TE Bvwg Erkenntnis 2020/11/17 I405 2163495-1

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Veröffentlicht am 17.11.2020
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Entscheidungsdatum

17.11.2020

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §54 Abs1 Z1
AsylG 2005 §54 Abs1 Z2
AsylG 2005 §55
AsylG 2005 §55 Abs1
AsylG 2005 §58 Abs1 Z5
AsylG 2005 §58 Abs2
AsylG 2005 §58 Abs3
BFA-VG §9 Abs2
BFA-VG §9 Abs3
B-VG Art133 Abs4
EMRK Art8
FPG §52
VwGVG §24 Abs1
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch


I405 2163495-1/36E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Sirma KAYA als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , StA. Nigeria (alias Sierra Leone) vertreten durch EMBACHER, NEUGESCHWENDTNER, Rechtsanwälte in 1040 Wien, Schleifmühlgasse 5/8, gegen den Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl vom 02.06.2017, Zl. 639990605-1694043, nach Durchführung mündlicher Verhandlungen am 16.08.2017 sowie am 31.07.2020, zu Recht erkannt:

A) Der Beschwerde gegen Spruchpunkt III. wird stattgegeben und festgestellt, dass gemäß § 9 Abs. 2 und 3 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig ist. Gemäß § 54 Abs. 1 Z 1 und 2, § 58 Abs. 2 iVm § 55 Abs. 1 AsylG 2005 wird XXXX , der Aufenthaltstitel „Aufenthaltsberechtigung plus“ erteilt.

B) Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer (in Folge BF) reiste unrechtmäßig in das Bundesgebiet ein und stellte am 21.07.2013 unter dem Nationale XXXX , StA. Sierra Leone, einen Antrag auf internationalen Schutz.

2. Der BF begründete seine Flucht in der Erstbefragung vor den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 23.07.2013 mit religiösen Motiven, nämlich damit, dass sein Vater Sektenführer einer Glaubensgemeinschaft gewesen sei; nachdem sein Vater gestorben sei, habe diese Gruppe den BF umbringen wollen.

3. Der BF wurde mit Urteil des Landesgerichtes XXXX vom 22.11.2013, Zl. XXXX , gem. § 27 Abs. 1 Z 1 8. Fall und Abs. 3 SMG zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von vier Monaten, bedingt unter Setzung einer Probezeit von drei Jahren, rechtskräftig verurteilt. Zuletzt wurde der BF mit Urteil des Landesgerichtes XXXX vom 06.06.2014, Zl. XXXX , gem. § 27 Abs. 1 Z 1 8. Fall und Abs. 3 SMG, §§ 15, 269 Abs. 1 1. Fall StGB sowie gem. §§ 83 Abs. 1, 84 Abs. 2 Z 4 StGB erneut zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von acht Monaten, davon sechs Monate bedingt unter Setzung einer Probezeit von drei Monaten, rechtskräftig verurteilt.

5. Am 26.08.2015 und am 09.05.2016 wurde der BF vom Bundesamt für Fremdenwesen- und Asyl (in Folge BFA) einvernommen. Als Motiv für seine Flucht führte er wiederum religiöse Gründe an, nämlich die Mitgliedschaft seines Vaters in einer Sekte, an. So seien er und sein Bruder von der Sektengruppe zum Beitritt in die Sekte aufgefordert worden, was der BF und sein Bruder jedoch abgelehnt haben, woraufhin er und sein Bruder von drei Männern zuhause aufgesucht worden seien.

6. Mit Bescheidausfertigung des Arbeitsmarktservices Mödling vom 07.12.2015 wurde dem BF eine Beschäftigungsbewilligung für die Zeit vom 07.12.2015 bis 07.07.2019 für die berufliche Tätigkeit als Einzelhandelskaufmann – Lebensmittelhandel (Lehrling/Auszubildender) erteilt.

7. Ein von XXXX durchgeführtes Gutachten zu den Sprachkompetenzen und den Landeskenntnissen des BF vom 13.02.2017 ergab zusammenfassend, dass eine Hauptsozialisierung des BF in Sierra Leone mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auszuschließen sei und mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit von einer Hauptsozialisierung des BF in Nigeria auszugehen sei. Positive Hinweise auf eine Haupt- oder Teilsozialisierung des BF außerhalb Nigerias gebe es keine.

8. Auch bei seiner niederschriftlichen Einvernahme vor dem BFA am 27.04.2017 hielt er seine religiös begründeten Fluchtmotive aufrecht. Dem BF wurde das Ergebnis des eingeholten linguistischen Gutachtens vorgehalten. Der BF blieb jedoch bei seinen Angaben aus Sierra Leone zu stammen.

9. Erst im Zuge der schriftlichen Stellungnahme seines rechtsfreundlichen Vertreters vom 29.05.2017 revidierte der BF seine Angaben und erklärte, dass seine Mutter nigerianische Staatsangehörige und er in Nigeria geboren worden sei, wo er auch bis 2007 aufhältig gewesen sei. Danach sei er mit seinem Vater, der Staatsangehöriger von Sierra Leone sei, in dessen Heimatstaat gereist, von wo aus er schließlich geflohen sei.

10. Mit gegenständlich angefochtenem Bescheid vom 02.06.2017, Zl. 639990605-1694043, wies das BFA den Antrag des BF auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) sowie hinsichtlich des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf seinen Herkunftsstaat Nigeria (Spruchpunkt II.) als unbegründet ab. Zugleich erteilte sie dem BF keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen den BF eine Rückkehrentscheidung und stellte fest, dass seine Abschiebung nach Nigeria zulässig sei (Spruchpunkt III.). Zugleich erkannte das BFA einer Beschwerde gegen diese Entscheidung die aufschiebende Wirkung ab (Spruchpunkt IV.). Eine Frist für die freiwillige Ausreise wurde nicht gewährt (Spruchpunkt V.).

11. Gegen diesen Bescheid richtet sich die fristgerecht erhobene Beschwerde vom 22.06.2017 (beim BFA eingelangt am selben Tag), mit welcher Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften und Rechtswidrigkeit des Inhalts des angefochtenen Bescheides moniert wurden. Im Wesentlichen wurde ausgeführt, der BF wäre in Nigeria auf sich alleine gestellt und hätte weder eine Wohnmöglichkeit noch eine Existenzgrundlage bzw. jemanden, der ihm beim Aufbau einer neuen Existenzgrundlage behilflich wäre. Er käme in eine für ihn hoffnungslose Situation. Zudem verfüge er über äußerst intensive familiäre und private Bindungen zum Bundesgebiet. Insbesondere sei er seit eineinhalb Jahren rechtmäßig erwerbstätig und habe Anschluss zu österreichischen Familien gefunden. Sein Lebensunterhalt sei im Bundesgebiet gesichert. Eine Abschiebung nach Nigeria hätte für das weitere berufliche Fortkommen des BF katastrophale Auswirkungen. Aufgrund der umfassenden Integration des BF im Bundesgebiet sei auch nicht davon auszugehen, dass die sofortige Umsetzung der aufenthaltsbeendenden Maßnahme fremdenrechtlich geboten sei. Des Weiteren wurde ein Antrag auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung gestellt mit der Begründung, dass die Abschiebung des BF nach Nigeria eine reale Gefahr einer Verletzung von Bestimmungen der EMRK, insbesondere Art. 2, 3 und 8 der EMRK bedeuten würde.

12. Mit Schriftsatz vom 05.07.2017, beim Bundesverwaltungsgericht (in Folge BVwG) eingelangt am 10.07.2017, legte das BFA dem BVwG die Beschwerde samt Verwaltungsakt vor.

13. Mit Beschluss des BVwG vom 11.07.2017, Zl. I405 2163495-1/3Z, wurde dem Antrag vom 22.06.2017 entsprochen und der Beschwerde gem. § 18 Abs. 5 BFA-VG die aufschiebende Wirkung zuerkannt.

14. Das BVwG führte am 16.08.2017 im Beisein zweier Vertrauenspersonen des BF eine mündliche Verhandlung durch, in welcher der BF als Partei einvernommen wurde.

15. Im Rahmen des Parteiengehörs und dem Auftrag des BVwG vom 04.06.2019 fristgerecht entsprechend, erstattete der BF mit Schreiben vom 17.06.2019, beim BVwG eingelangt am 19.06.2019, eine Stellungnahme zum Länderinformationsblatt der Staatendokumentation (LIB) vom 12.04.2019.

16. Mit Erkenntnis vom 23.07.2019 wies das BVwG die Beschwerde hinsichtlich der Spruchpunkte I. und II. des angefochtenen Bescheides als unbegründet ab. Die Revision wurde nicht zugelassen. Im Übrigen wurde der Beschwerde stattgegeben und festgestellt, dass gemäß § 9 Abs. 2 und 3 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig ist und dem BF gemäß § 54 Abs. 1 Z 1 und 2, § 58 Abs. 2 iVm § 55 Abs. 1 AsylG 2005 der Aufenthaltstitel „Aufenthaltsberechtigung plus“ erteilt.

17. Gegen dieses Erkenntnis des BVwG wurde seitens des BFA die außerordentliche Revision erhoben.

18. Mit Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes (in Folge VwGH) 30.04.2020, Ra 2019/20/0399-6 wurde das Erkenntnis im Umfang seines Spruchpunktes A) II. wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufgehoben. Im Wesentlichen begründete der VwGH seine Entscheidung dahingehend, dass das BVwG entgegen der ständigen Rechtsprechung des VwGH außer Acht gelassen habe, dass sämtliche integrationsbegründenden Schritte des BF gesetzt worden seien, obwohl er sich seines unsicheren Aufenthaltes bewusst sein hätte müssen. Zudem habe das BVwG zu Unrecht dem Umstand keine Beachtung geschenkt, dass der BF im Asylverfahren zunächst unrichtige Angaben sowohl zu seiner Herkunft als auch seiner Identität gemacht habe. Schließlich seien dem Erkenntnis des BVwG auch keine näheren Feststellungen (über Art und Schwere der Taten), die eine Beurteilung im Lichte der Gefährlichkeit zuließen, zu entnehmen.

19. Mit Schreiben vom 28.07.2020 langte eine Stellungnahme des BF durch seine Rechtsvertretung beim BVwG ein und wurde auf die Intensivierung der Bindung des BF im Sinne des Art. 8 EMRK zum Bundesgebiet verwiesen und entsprechende Unterlagen in Vorlage gebracht.

20. Am 31.07.2020 fand eine neuerliche mündliche Verhandlung vor dem BVwG statt, in welcher der BF als Partei und seine Freundin als Zeugin einvernommen wurden.

21. Mit Schreiben vom 04.08.2020 wurde ein Diplom betreffend die bestandene Lehrabschlussprüfung im Lehrberuf Einzelhandelskaufmann vom 18.12.2018 und ein Externistenprüfungszeugnis, Teilprüfung „Lebende Fremdsprache Englisch“, vom 26.06.2018 nachgereicht.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Der volljährige BF ist Staatsangehöriger von Nigeria und somit Drittstaatsangehöriger im Sinne des § 2 Abs. 4 Z 10 FPG. Er ist ledig und hat keine Sorgepflichten. Er bekennt sich zum christlichen Glauben und gehört der Volksgruppe der Ika an.

Der BF hat zunächst über seine Identität ( XXXX ) und Herkunft (StA. Sierra Leone) unwahre Angaben gemacht. Seine Identität steht nicht fest.

Der BF ist gesund und arbeitsfähig.

Er stellte nach seiner unrechtmäßigen Einreise in das österreichische Bundesgebiet am 21.07.2013 einen Antrag auf internationalen Schutz und hält sich spätestens seit diesem Zeitpunkt in Österreich auf.

Der BF hat keinen Kontakt zu Familienangehörigen in Nigeria. In Österreich verfügt der BF über keine Verwandten, jedoch hat er eine langjährige Freundin, mit der er zwar nicht im gemeinsamen Haushalt lebt, welche jedoch in seiner Nähe wohnhaft ist, weswegen sie sich fast jeden Tag sehen. Seine Freundin verfügt über einen Aufenthaltstitel „Daueraufenthalt-EU“.

Der BF weist in Österreich zwei strafrechtliche Verurteilungen auf. Er wurde mit Urteil des Landesgerichtes XXXX , XXXX , vom 22.11.2013, rechtskräftig mit 26.11.2013, wegen §§ 27 Abs. 1 Z 1 8. Fall und § 27 Abs. 3 SMG (Unerlaubter Umgang mit Suchtgiften) zu einer bedingten Freiheitsstrafe von vier Monaten unter Setzung einer dreijährigen Probezeit, verurteilt. Weiters wurde er mit Urteil des Landesgerichtes XXXX , XXXX , vom 06.06.2014 wegen §§ 27 Abs. 1 Z 1 8. Fall, 27 Abs. 3 SMG, §§15, 269 Abs. 1 1. Fall StGB und §§ 83 Abs. 1, 84 Abs. 2 Z 4 StGB zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von acht Monaten, hiervon sechs Monate bedingt unter Setzung einer Probezeit von drei Jahren, rechtskräftig verurteilt.

Der letztmaligen Verurteilung des BF wegen des Vergehens des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften, des Vergehens des Widerstandes gegen die Staatsgewalt und des Vergehens der schweren Körperverletzung lag zu Grunde, dass er vorschriftswidrig Suchtgift gewerbsmäßig einem anderen durch Verkauf überlassen hat, indem er dem gesondert verfolgten S. B. zwei Kugeln mit 0,7g Kokain mit einer nicht mehr feststellbaren Menge des Suchtgiftes Cocain um EUR 20,-- verkaufte; er einem Beamten mit Gewalt an einer Amtshandlung, nämlich seiner Festnahme, zu hindern versucht hat, indem er Bzl J. S. Bisse in den Unterarm und am Körper versetzte und einen Griff in den Genitalbereich sowie Stöße versetzte und er ebendiesen Beamten während und wegen der Vollziehung seiner Aufgaben am Körper verletzte und dieser eine Prellung des rechten Arms sowie eine Bisswunde am linken Unterarm erlitt. Mildernd wurde damals das teilweise Geständnis, dass es teilweise beim Versuch geblieben ist und das Suchtgift sichergestellt werden konnte gewertet. Erschwerend wurden die einschlägige Vorstrafe und das Zusammentreffen von drei Vergehen gewertet.

Aufgrund des Wohlverhaltens des BF in den letzten fünf Jahren sowie seiner beachtlichen Integration ist jedoch nicht mehr davon auszugehen, dass von ihm eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgeht. Zum Zeitpunkt der Tatbegehung war der BF noch minderjährig (Anwendung von § 5 JGG) und zeigt sich der BF immer noch äußerst reumütig betreffend seine begangenen Straftaten.

Der BF hat sich in all den Jahren seines Aufenthaltes sowohl in wirtschaftlicher, sprachlicher als auch sozialer Hinsicht in Österreich integriert. Der BF hat mehrere Deutschkurse besucht und verfügt über Deutschkenntnisse auf dem Niveau B2. Er hat den Pflichtschulabschluss absolviert und macht gerade die Berufsmatura, wobei er die Externistenprüfung in Englisch bereits absolviert hat.

Der BF hat am 09.12.2015 eine Lehre als Einzelhandelskaufmann mit dem Schwerpunkt Lebensmittelhandel in Österreich begonnen und die Lehrabschlussprüfung am 18.12.2018 bestanden. Er arbeitet nach wie vor bei der XXXX , ist aber mittlerweile Feinkostleiter-Stellvertreter, besucht zahlreiche Weiterbildungskurse und verfügt über ein monatlichen Bruttogehalt von € 1.850,--. Er bezieht keine Leistungen von der staatlichen Grundversorgung und ist selbsterhaltungsfähig.

Er war am Wiener Hilfswerk tätig. Er ist Mitglied der „ XXXX “ Kirche. Während der Coronakrise hat er in Asylunterkünften Asylwerber über die Pandemiemaßnahmen informiert und übersetzt. Aufgrund seines dargestellten jahrelangen Aufenthaltes im Bundesgebiet verfügt der BF über einen dementsprechenden Freundes- und Bekanntenkreis.

2. Beweiswürdigung:

Der oben unter Punkt I. angeführte Verfahrensgang ergibt sich aus dem unzweifelhaften und unbestrittenen Akteninhalt des vorgelegten Verwaltungsaktes des BFA und des vorliegenden Gerichtsaktes des BVwG sowie aus der mündlichen Beschwerdeverhandlung vom 16.08.2017 und vom 31.07.2020. Auskünfte aus dem Strafregister, dem Zentralen Melderegister (ZMR), der Grundversorgung (GVS), und dem Hauptverband österreichischen Sozialversicherungsträger (AJ-WEB) wurden ergänzend zu den vorliegenden Akten eingeholt.

Soweit in der gegenständlichen Rechtssache Feststellungen zur Identität (Namen und Geburtsdatum), zur Staatsangehörigkeit, zur Religionszugehörigkeit sowie zum Gesundheitszustand und zur Arbeitsfähigkeit des BF getroffen wurden, beruhen diese auf den im Beschwerdeverfahren vorgelegten Urkunden und im angefochtenen Bescheid getroffenen Feststellungen, denen nicht entgegengetreten wurde sowie dem Gutachten zu den Sprachkompetenzen und den Landeskenntnissen des BF vom 13.02.2017.

Dass der BF zunächst über seine Identität und Herkunft unwahre Angaben gemacht hat, ergibt sich eindeutig aus der Aktenlage. Erst in der Stellungnahme seines rechtlichen Vertreters vom 29.05.2017 wurde erstmals seine nigerianische Staatsangehörigkeit bestätigt und eine andere Identität bzw. ein anderer Name angeführt.

Da der BF den österreichischen Behörden keine identitätsbezeugenden Dokumente vorlegen konnte, steht seine Identität nicht zweifelsfrei fest.

Die Feststellung zum Aufenthalt des BF in Österreich ergibt sich aus seinen Aussagen sowie aus dem entsprechenden ZMR-Auszug vom 03.11.2020.

Die Feststellungen zu den persönlichen und familiären Verhältnissen, zu den Lebensumständen in Österreich und in Nigeria sowie zur Integration des BF in Österreich beruhen auf den Angaben des BF und seiner Freundin in den mündlichen Beschwerdeverhandlungen am 16.08.2017 und 31.07.2020 sowie den vorgelegten Unterlagen.

Die Absolvierung seines Pflichtschulabschlusses, geht aus dem Zeugnis des BF über die Pflichtschulabschluss-Prüfung der Neuen Mittelschule mit naturkundlich-technischem Schwerpunkt, XXXX , vom 10.02.2016, hervor. Dass er dabei ist die Berufsmatura zu machen, ergibt sich aus seinen Angaben und dem Externistenprüfungszeugnis vom 26.06.2018. Aus dem vorgelegten ÖSD Zertifikat vom 15.02.2016 geht hervor, dass der BF die Sprachprüfung auf Niveau B2 bestanden hat; außerdem konnte sich die erkennende Richterin in den Verhandlungen vom 16.08.2017 sowie vom 31.07.2020 einen persönlichen Eindruck von den guten Deutschkenntnissen des BF machen.

Die Feststellungen zur abgeschlossenen Lehre als Einzelhandelskaufmann und seiner aktuellen Tätigkeit als Feinkostleiter-Stellvertreter beruhen auf dem Lehrvertrag vom 01.03.2016, dem Lehrabschlussprüfungszeugnis vom 18.12.2018, der Arbeitsbestätigung vom 09.06.2020 und dem Auszug aus dem Hauptverband österreichischer Sozialversicherungsträger vom 30.10.2020.

Die Feststellung, wonach er am Wiener Hilfswerk tätig war, beruht auf dem vorgelegten Freiwilligen-Ausweis vom 19.03.2015 und aus der Bestätigung vom 02.07.2020 geht hervor, dass der BF Mitglied der „ XXXX “ Kirche ist. Sein Engagement während der COVID-Pandemie ergibt sich aus seinen Angaben und dem Schreiben von Frau A P.

Die Feststellung über die strafgerichtlichen Verurteilungen des BF ergibt sich aus einer Abfrage des Strafregisters der Republik Österreich vom 30.10.2020 und dem im Akt einliegenden Strafurteil vom 06.06.2014.

Dass der BF keine Leistungen aus der Grundversorgung bezieht, sondern seinen Lebensunterhalt mit seinem Gehalt bestreitet, ergibt sich einerseits aus einem GVS-Auszug und andererseits aus den diesbezüglich glaubhaften Angaben des BF.

3. Rechtliche Beurteilung:

Vorweg ist festzuhalten, dass die Spruchpunkte I. und II. des angefochtenen Bescheides in Rechtskraft erwachsen sind, zumal diese mit Erkenntnis des erkennenden Gerichts vom 23.07.2019, Zl. I405 2163495-1/24E, abgewiesen wurden und dieses Erkenntnis lediglich im Umfang seines Spruchpunktes A) II. wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben wurde. Die gegenständliche Beschwerde richtet sich daher lediglich gegen die Spruchpunkte III. bis V. des angefochtenen Bescheides.

Zu A) Zur Stattgebung der Beschwerde gegen Spruchpunkt III. des bekämpften Bescheides:

3.1. Gemäß § 10 Abs. 1 AsylG 2005 ist eine Entscheidung nach diesem Bundesgesetz mit einer Rückkehrentscheidung oder einer Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß dem 8. Hauptstück des FPG zu verbinden, wenn

1. der Antrag auf internationalen Schutz gemäß §§ 4 oder 4a zurückgewiesen wird,

2. der Antrag auf internationalen Schutz gemäß § 5 zurückgewiesen wird,

3. der Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird,

4. einem Fremden der Status des Asylberechtigten aberkannt wird, ohne dass es zur Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten kommt oder

5. einem Fremden der Status des subsidiär Schutzberechtigten aberkannt wird

und in den Fällen der Z 1 und 3 bis 5 von Amts wegen ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 nicht erteilt wird sowie in den Fällen der Z 1 bis 5 kein Fall der §§ 8 Abs. 3a oder 9 Abs. 2 vorliegt.

Gemäß § 52 Abs. 2 FPG hat das BFA gegen einen Drittstaatsangehörigen unter einem (§ 10 AsylG 2005) mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn

1. dessen Antrag auf internationalen Schutz wegen Drittstaatsicherheit zurückgewiesen wird,

2. dessen Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird,

3. ihm der Status des Asylberechtigten aberkannt wird, ohne dass es zur Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten kommt oder

4. ihm der Status des subsidiär Schutzberechtigten aberkannt wird

und ihm kein Aufenthaltsrecht nach anderen Bundesgesetzen zukommt. Dies gilt nicht für begünstigte Drittstaatsangehörige.

Gemäß § 52 Abs. 9 FPG hat das BFA mit einer Rückkehrentscheidung gleichzeitig festzustellen, ob die Abschiebung des Drittstaatsangehörigen gemäß § 46 in einen oder mehrere bestimmte Staaten zulässig ist. Dies gilt nicht, wenn die Feststellung des Drittstaates, in den der Drittstaatsangehörige abgeschoben werden soll, aus vom Drittstaatsangehörigen zu vertretenden Gründen nicht möglich ist.

Der mit „Schutz des Privat- und Familienlebens“ betitelte § 9 BFA-VG lautet:

„§ 9. (1) Wird durch eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG, eine Ausweisung gemäß § 66 FPG oder ein Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist die Erlassung der Entscheidung zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.

(2) Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK sind insbesondere zu berücksichtigen:

1. die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war,

2. das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens,

3. die Schutzwürdigkeit des Privatlebens,

4. der Grad der Integration,

5. die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden,

6. die strafgerichtliche Unbescholtenheit,

7. Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts,

8. die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren,

9. die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.

(3) Über die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist jedenfalls begründet, insbesondere im Hinblick darauf, ob diese gemäß Abs. 1 auf Dauer unzulässig ist, abzusprechen. Die Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist nur dann auf Dauer, wenn die ansonsten drohende Verletzung des Privat- und Familienlebens auf Umständen beruht, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend sind. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG schon allein auf Grund des Privat- und Familienlebens im Hinblick auf österreichische Staatsbürger oder Personen, die über ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht oder ein unbefristetes Niederlassungsrecht (§ 45 oder §§ 51 ff Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG), BGBl. I Nr. 100/2005) verfügen, unzulässig wäre.

(4) Gegen einen Drittstaatsangehörigen, der sich auf Grund eines Aufenthaltstitels rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält, darf eine Rückkehrentscheidung nicht erlassen werden, wenn

1. ihm vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes die Staatsbürgerschaft gemäß § 10 Abs. 1 des Staatsbürgerschaftsgesetzes 1985 (StbG), BGBl. Nr. 311, verliehen hätte werden können, es sei denn, eine der Voraussetzungen für die Erlassung eines Einreiseverbotes von mehr als fünf Jahren gemäß § 53 Abs. 3 Z 6, 7 oder 8 FPG liegt vor, oder

2. er von klein auf im Inland aufgewachsen und hier langjährig rechtmäßig niedergelassen ist.

(5) Gegen einen Drittstaatsangehörigen, der vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes bereits fünf Jahre, aber noch nicht acht Jahre ununterbrochen und rechtmäßig im Bundesgebiet niedergelassen war, darf mangels eigener Mittel zu seinem Unterhalt, mangels ausreichenden Krankenversicherungsschutzes, mangels eigener Unterkunft oder wegen der Möglichkeit der finanziellen Belastung einer Gebietskörperschaft eine Rückkehrentscheidung gemäß §§ 52 Abs. 4 iVm 53 FPG nicht erlassen werden. Dies gilt allerdings nur, wenn der Drittstaatsangehörige glaubhaft macht, die Mittel zu seinem Unterhalt und seinen Krankenversicherungsschutz durch Einsatz eigener Kräfte zu sichern oder eine andere eigene Unterkunft beizubringen, und dies nicht aussichtslos scheint.

(6) Gegen einen Drittstaatsangehörigen, der vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes bereits acht Jahre ununterbrochen und rechtmäßig im Bundesgebiet niedergelassen war, darf eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 4 FPG nur mehr erlassen werden, wenn die Voraussetzungen gemäß § 53 Abs. 3 FPG vorliegen. § 73 Strafgesetzbuch (StGB), BGBl. Nr. 60/1974 gilt.“

Gemäß § 58 Abs. 1 Z 5 AsylG 2005 hat das BFA die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 AsylG 2005 von Amts wegen zu prüfen, wenn ein Fremder sich nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält und nicht in den Anwendungsbereich des 6. Hauptstückes des FPG fällt.

Gemäß § 58 Abs. 2 AsylG 2005 hat das BFA einen Aufenthaltstitel gemäß § 55 AsylG 2005 von Amts wegen zu erteilen, wenn eine Rückkehrentscheidung auf Grund des § 9 Abs. 1 bis 3 BFA-VG rechtskräftig auf Dauer unzulässig erklärt wurde; § 73 AVG gilt.

Gemäß § 58 Abs. 3 AsylG 2005 hat das BFA über das Ergebnis der von Amts wegen erfolgten Prüfung der Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß §§ 55 und 57 AsylG 2005 im verfahrensabschließenden Bescheid abzusprechen.

3.2. Auf Grund des durchgeführten Ermittlungsverfahrens und des festgestellten Sachverhaltes ergibt sich, dass die im angefochtenen Bescheid angeordnete Rückkehrentscheidung des BF aus dem österreichischen Bundesgebiet einen ungerechtfertigten Eingriff in das durch Art. 8 EMRK gewährleistete Recht auf Privat- und Familienleben darstellen würde:

Hinsichtlich allfälliger familiärer Bindungen in Österreich ist auszuführen, dass sich aus dem Vorbringen des BF ergibt, dass er keine Familienangehörigen im Bundesgebiet hat und auch mit keiner Person in einer familienähnlichen Gemeinschaft lebt, sodass keine Anhaltspunkte dafür bestehen, dass er im Bundesgebiet ein Familienleben führt. Jedoch ist hervorzuheben, dass er eine Freundin hat, mit welcher er zwar nicht zusammenwohnt, welche aber in seiner unmittelbaren Nähe wohnt, weswegen er sie fast täglich trifft.

Im Hinblick auf sein Privatleben im Bundesgebiet ist jedoch auszuführen, dass der BF seit mehr als sieben Jahren in Österreich aufhältig ist. Er hat seinen Aufenthalt im Bundesgebiet für seine Integration in sprachlicher, beruflicher und sozialer Hinsicht genutzt.

So hat der BF Deutschkurse besucht und verfügt über Sprachkenntnisse auf dem Niveau B2. Außerdem hat er seinen Pflichtschulabschluss absolviert, die Lehre zum Einzelhandelskaufmann abgeschlossen und ist gerade dabei seine Berufsmatura zu machen. Durch seine geregelte Beschäftigung als Feinkostleiter-Stellvertreter mit einem monatlichen Bruttogehalt von € 1.850,-- liegt eine berufliche Integration vor, die es ihm ermöglicht, finanziell auf eigenen Beinen zu stehen und seinen Lebensunterhalt alleine zu bestreiten. Außerdem besucht er immer wieder berufliche Weiterbildungskurse.

Auch verfügt der BF aufgrund seines jahrelangen Aufenthaltes im Bundesgebiet über einen Freundes- und Bekanntenkreis. Außerdem ist er Kirchenmitglied und hat freiwillige Tätigkeiten, vor allem auch während der Coronakrise, übernommen, wodurch er sein soziales Engagement bekundet.

Der BF hat somit gezeigt, dass er in den letzten Jahren um eine möglichst umfassende und auf Dauer angelegte persönliche Integration in Österreich bemüht war bzw. bemüht ist.

3.3. Das Interesse des BF an der Aufrechterhaltung seiner privaten Kontakte ist dadurch geschwächt, dass er sich bei allen Integrationsschritten seines unsicheren Aufenthaltsstatus und damit auch der Vorläufigkeit der Integrationsschritte bewusst sein musste.

Es ist auch nach wie vor von einer Bindung des BF nach Nigeria auszugehen, zumal er dort den Großteil seines bisherigen Lebens verbracht hat und dort seine Familie lebt. Er wurde in Nigeria sozialisiert und spricht auch eine Landessprache als Muttersprache.

Wenngleich der VwGH erst jüngst wiederum ausgesprochen hat, dass es maßgeblich relativierend ist, wenn integrationsbegründende Schritte in einem Zeitraum gesetzt wurden, in dem sich der Fremde seines unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst sein musste (vgl. etwa zuletzt VwGH 06.05.2020, Ra 2020/20/0093; 27.02.2020, Ra 2019/01/0471; 28.02.2019, Ro 2019/01/0003), so ist in einer Gesamtschau des bisherigen Aufenthaltes des BF im Bundesgebiet und seiner in dieser Zeit erlangten integrativen Schritte auch zu berücksichtigen, dass das Beschwerdeverfahren noch anhängig war und für den BF noch keine rechtskräftig auferlegte Rückkehrverpflichtung bestand (vgl. zu dieser Abgrenzung schon VfGH 07.10.2010, B 950/10 ua, VfSlg. 19.203, Punkt II.2.4. der Entscheidungsgründe).

Auch hat der VwGH bereits dargelegt, dass „freilich“ ein gradueller Unterschied dahingehend zu machen sei, ob die Integration auf einem nur durch Folgeanträge begründeten unsicheren Aufenthaltsstatus basiere oder während eines einzigen, ohne schuldhafte Verzögerung durch den Fremden lange dauernden Asylverfahrens erfolgt sei (siehe VwGH 29.02.2012, 2010/21/0233, und daran anschließend VwGH 20.03.2012, 2010/21/0471 bis 475). Somit war fallgegenständlich auch die unangemessen lange Dauer des Asylverfahrens von sechs Jahren unter dem Gesichtspunkt des § 9 Abs. 2 Z 9 BFA-VG („Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist“) zu Gunsten des BF zu berücksichtigen (siehe VwGH 27.04.2020, Ra 2020/21/0121-3), da diese im vorliegenden Fall unbestritten auf den Behörden (bzw. dem Gericht) zurechenbaren überlangen Verzögerungen gründete. Der BF hat stets am Verfahren mitgewirkt, allerdings zu Beginn über seine Herkunft getäuscht, indem er anführte, dass er aus Sierra Leone stamme und einen anderen Namen habe, was dann seitens des BFA mittels Gutachten über die Sprachkompetenzen und Landeskenntnisse widerlegt wurde. Auch gab er bei seiner Einreise einen anderen Namen an, welchen er dann im Laufe des Verfahrens selbst richtigstellte. Es gilt jedoch zu berücksichtigen, dass der BF zum Zeitpunkt dieser falschen Angaben noch minderjährig war und zeigte er in der mündlichen Verhandlung vom 31.07.2020 auch Reue bezüglich seiner unwahren Angaben. Er habe ein schlechtes Gewissen gehabt und auf Anraten eines Pfarrers sowie österreichischer Bekannte seine Identität richtigstellen wollen. Außerdem haben diese unwahren Angaben, wenn überhaupt, dann nur äußerst marginal zur langen Verfahrensdauer beigetragen, da sie bereits seit Februar 2017 bekannt waren und die Entscheidung des BVwG über seinen ersten Asylantrag dennoch erst im Juli 2019 erfolgte.

3.4. Es wird nicht verkannt, dass dem Schutz der öffentlichen Ordnung und Sicherheit, insbesondere der Einhaltung der die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regelnden Vorschriften im Rahmen einer Güterabwägung grundsätzlich ein hoher Stellenwert zukommt. Weiters wird nicht verkannt, dass der BF seit seinem Aufenthalt in Österreich bereits zwei Mal von österreichischen Strafgerichten verurteilt wurde.

Er wurde mit Urteil des Landesgerichtes XXXX , XXXX , vom 22.11.2013, rechtskräftig mit 26.11.2013, wegen §§ 27 Abs. 1 Z 1 8. Fall und § 27 Abs. 3 SMG (Unerlaubter Umgang mit Suchtgiften) zu einer bedingten Freiheitsstrafe von vier Monaten unter Setzung einer dreijährigen Probezeit, verurteilt. Weiters wurde er mit Urteil des Landesgerichtes XXXX , XXXX , vom 06.06.2014 wegen §§ 27 Abs. 1 Z 1 8. Fall, 27 Abs. 3 SMG, §§15, 269 Abs. 1 1. Fall StGB und §§ 83 Abs. 1, 84 Abs. 2 Z 4 StGB zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von acht Monaten, hiervon sechs Monate bedingt unter Setzung einer Probezeit von drei Jahren, rechtskräftig verurteilt.

Der letztmaligen Verurteilung des BF wegen des Vergehens des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften, des Vergehens des Widerstandes gegen die Staatsgewalt und das Vergehen der schweren Körperverletzung lag zu Grunde, dass er vorschriftswidrig Suchtgift gewerbsmäßig einem anderen durch Verkauf überlassen hat, indem er dem gesondert verfolgten S. B. zwei Kugeln mit 0,7g Kokain mit einer nicht mehr feststellbaren Menge des Suchtgiftes Cocain um EUR 20,-- verkaufte; er einem Beamten mit Gewalt an einer Amtshandlung, nämlich seiner Festnahme, zu hindern versucht hat, indem er Bzl J S Bisse in den Unterarm und am Körper versetzte und einen Griff in den Genitalbereich sowie Stöße versetzte und er ebendiesen Beamten während und wegen der Vollziehung seiner Aufgaben am Körper verletzte und dieser eine Prellung des rechten Arms sowie eine Bisswunde am linken Unterarm erlitt. Mildernd wurde damals das teilweise Geständnis, dass es teilweise beim Versuch geblieben ist und das Suchtgift sichergestellt werden konnte gewertet. Erschwerend wurden die einschlägige Vorstrafe und das Zusammentreffen von drei Vergehen gewertet.

Nach der Judikatur des VwGH wird die für die Integration wesentliche soziale Komponente durch vom Fremden begangene Straftaten erheblich beeinträchtigt (VwGH 19.11.2003, 2002/21/0181 mwN).

Doch ist hierzu anzuführen, dass der BF seine Straftaten kurze Zeit nach seiner Einreise in Österreich beging und sich seither wohlverhalten hat. Er hat sich seit seiner letzten Verurteilung im Jahr 2014 wohlverhalten und sich nichts zu Schulden kommen lassen. Im Gegenteil hat er sich sogar massiv integriert und zwar sowohl in gesellschaftlicher als auch in beruflicher Hinsicht, was für einen Gesinnungswandel des BF und seinem Respekt gegenüber der österreichischen Rechtsordnung spricht. In der mündlichen Verhandlung dazu befragt, führte der BF an: „Ich möchte meine Fehler nicht rechtfertigen. Spätestens im Gefängnis ist mir klargeworden, dass ich damals auf der falschen Seite stand. Auch möchte ich die Aussagen der Polizisten nicht bestreiten. Ich war damals noch ein Kind und war mir der Situation nicht bewusst. Heute bin ich enttäuscht über mich selbst. Deshalb habe ich auch nach meiner Entlassung aus der Haft alles Mögliche unternommen, um meine Fehler wiedergutzumachen. So etwa habe ich auch ein Jahr lang ohne Bezahlung für das Hilfswerk gearbeitet und wollte damit beweisen, dass ich das alles sehr bereue.“ und „Mir ist bewusst, in der Vergangenheit Fehler gemacht zu haben. Ich verspreche aber niemanden mehr zu enttäuschen und in Zukunft immer mein Bestes zu geben. Die einzige Familie, die ich habe, ist hier und ich möchte bei ihr bleiben. Was in der Vergangenheit passiert ist, tut mir unglaublich leid.“ Es wird seitens des BVwG nicht verkannt, dass es sich bei den begangenen Vergehen um schwere Verstöße gegen die österreichische Rechtsordnung handelt, allerdings wurde der Strafrahmen nicht voll ausgeschöpft und bei der ersten Verurteilung eine bedingte bzw. bei der zweiten eine teilbedingte Freiheitsstrafe verhängt. Zudem war der BF teilweise geständig und ist es auch teilweise beim Versuch geblieben. Er stellt als Einzelperson nach Ansicht des BVwG keine Gefahr für die öffentliche Ruhe, Ordnung und Sicherheit Österreichs dar. Die rechtskräftige Verurteilung wiegt nach Ansicht des BVwG in der Abwägung nicht schwerer als der Eingriff in das Recht auf Achtung des Privatlebens.

Aus den eben dargelegten Gründen ist im gegenständlichen Fall in einer Gesamtschau und Abwägung aller Umstände das Interesse an der – nicht nur vorübergehenden – Fortführung des Privatlebens des BF in Österreich dennoch höher zu bewerten, als das öffentliche Interesse an einer Aufenthaltsbeendigung.

3.5. Im Rahmen einer dahingehenden Abwägung iSd Art 8 Abs. 2 EMRK gelangt das Gericht daher gegenständlich zu dem Ergebnis, dass die individuellen Interessen des BF iSd Art. 8 Abs. 1 EMRK nun bereits so ausgeprägt sind, dass sie insbesondere das öffentliche Interesse an der Aufenthaltsbeendigung nach Abschluss des gg. Verfahrens und der Einhaltung der österreichischen aufenthalts- und fremdenrechtlichen Bestimmungen bereits überwiegen.

Nach Maßgabe einer Interessensabwägung iSd § 9 BFA-VG ist das BFA zwar zum Zeitpunkt seiner Entscheidung zu Recht davon ausgegangen, dass das öffentliche Interesse an der Beendigung des unrechtmäßigen Aufenthaltes des BF im Bundesgebiet sein persönliches Interesse am Verbleib im Bundesgebiet überwog, und daher durch die angeordnete Rückkehrentscheidung eine Verletzung des Art. 8 EMRK zumindest damals nicht vorlag. Dies war insbesondere deshalb der Fall, weil der BF sich noch nicht so intensiv integriert hatte. Mittlerweile hat sich die Sachlage insoweit geändert, als er seit mehreren Jahren eine Freundin in Österreich hat, welche er täglich sieht, über eine Lehrabschlussprüfung verfügt, die Berufsmatura macht, als Feinkostleiter-Stellvertreter mit einem monatlichen Bruttogehalt von € 1.850,-- vollkommen selbsterhaltungsfähig ist, immer wieder ehrenamtliche Tätigkeiten verübt sowie seine freundschaftlichen Beziehungen immer weiter verfestigt.

Im Zuge der Interessensabwägung im Sinne des § 9 BFA-VG überwiegen sohin im konkret vorliegenden Fall unter Einbeziehung aller für den BF sprechenden Umstände seine privaten Interessen die öffentlichen an der Beendigung seines Aufenthalts im Bundesgebiet. Daher ist die Erlassung einer Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig.

Das BVwG kommt daher aufgrund der vorgenommenen Interessenabwägung unter Berücksichtigung der genannten besonderen Umstände dieses Beschwerdefalles zum Ergebnis, dass eine Rückkehrentscheidung gegen den BF unzulässig ist.

3.6. Der BF hat im Verfahren unter anderem ein ÖSD-Zertifikat vorgelegt, mit welchem bestätigt wird, dass er die Deutschprüfung auf dem B2-Niveau bestanden hat. Beim vorgelegten Zertifikat handelt es sich somit um ein allgemein anerkanntes Sprachdiplom als Nachweis über die Kenntnisse der deutschen Sprache auf dem Niveaus B2. Zudem übt er eine erlaubte Erwerbstätigkeit, mit deren Einkommen die monatliche Geringfügigkeitsgrenze erreicht wird, aus.

Da die Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 55 AsylG im Fall des BF folglich gegeben sind, war der Beschwerde in diesem Punkt stattzugeben und dem BF eine „Aufenthaltsberechtigung plus“ zu erteilen.

Es war sohin insgesamt spruchgemäß zu entscheiden.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des VwGH ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des VwGH auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Im gegenständlichen Fall wurde keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung aufgeworfen. Die vorliegende Entscheidung basiert auf den oben genannten Entscheidungen des VwGH.

Schlagworte

Aufenthaltsberechtigung plus Aufenthaltstitel Aufenthaltstitel aus Gründen des Art. 8 EMRK befristete Aufenthaltsberechtigung Ersatzentscheidung Integration Interessenabwägung mündliche Verhandlung öffentliche Interessen Privat- und Familienleben private Interessen Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig Suchtmitteldelikt

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:I405.2163495.1.00

Im RIS seit

04.03.2021

Zuletzt aktualisiert am

04.03.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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