TE Bvwg Erkenntnis 2020/11/19 I416 2237003-1

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Veröffentlicht am 19.11.2020
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Entscheidungsdatum

19.11.2020

Norm

AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §33 Abs1 Z2
AsylG 2005 §33 Abs2
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1 Z1
AsylG 2005 §8 Abs2
AsylG 2005 §8 Abs3
BFA-VG §21 Abs7
B-VG Art133 Abs4
EMRK Art2
EMRK Art3
VwGVG §24 Abs4
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch


I416 2237003-1/3E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Alexander BERTIGNOL als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , StA. Marokko, vertreten durch Diakonie Flüchtlingshilfe gem. GmbH, gegen den Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl vom 09.11.2020, Zl. XXXX , zu Recht erkannt:

A)

Die Beschwerde wird gemäß den §§ 3 Abs. 1, 8 Abs. 1 iVm. § 33 Abs. 1 Z. 2, sowie § 57 AsylG 2005 idgF als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1.       Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger von Marokko, ist am 24.10.2020 von Istanbul kommend am Flughafen Wien Schwechat gelandet. Der Beschwerdeführer wies sich mit einem gültigen marokkanischen Reisepass, ausgestellt von der marokkanischen Botschaft in Moskau, aus und brachte einen italienischen Aufenthaltstitel in Vorlage, der sich infolge als Totalfälschung herausstellte. Im Zuge der niederschriftlichen Vernehmung stellte der Beschwerdeführer einen Antrag auf internationalen Schutz, wobei er in Anwesenheit eines Dolmetschers als Grund angab, dass er in Marokko mit seiner Familie große Probleme habe, mit dem Land und der marokkanischen Polizei habe er keine Probleme. Eine Abfrage im SIS AFIS ergab ein Einreise-/Aufenthaltsverbot des Beschwerdeführers für den Schengenraum gültig bis 17.4.2021. Im Rahmen seiner Einvernahme als Beschuldigter wegen des Verdachts auf Fälschung besonders geschützter Urkunden (Totalfälschung Aufenthaltstitel) gab der Beschwerdeführer in Anwesenheit eines Dolmetschers zu seiner Asylantragstellung in Österreich wörtlich an: „Weil mir gesagt wurde, ich kann nicht nach Italien zurück und ich möchte nicht nach Marokko. Ich schaffe es nicht in Marokko zu leben ich habe dort große Probleme mit der Familie. Ich habe mit dem Staat Marokko keine Probleme und habe auch mit der marokkanischen Polizei nie Probleme. Ich gebe abermals an, mein Asylgrund ist ich möchte nicht abgeschoben werden.“

2.       Bei der am 28.10.2020 stattfindenden Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes erklärte er, dass XXXX heiße, am XXXX in Marokko geboren und Staatsangehöriger von Marokko sei. Er sei verheiratet, seine Ehefrau würde in Italien wohnen, seine Muttersprache sei Berberisch, er spreche auch arabisch und sehr gut italienisch. Er gehöre der Volksgruppe der Berber an und sei Moslem (Sunnit). Er habe zehn Jahre lang die Grundschule besucht und zuletzt als Bauarbeiter gearbeitet. Er führte weiters aus, dass seine Eltern gestorben seien und in Marokko noch seine beiden Brüder und seine beiden Schwestern wohnen würden. Er sei erstmalig 1995 von Marokko mit dem Boot nach Spanien ausgereist und habe sich danach bis 2013 in Italien aufgehalten, mangels Arbeitsmöglichkeiten sei er dann mit dem Zug nach Frankreich und dann weiter nach Holland gereist, wo er sieben Jahre auf dem Bau gearbeitet habe. 2019 sei er noch Marokko zurückgekehrt, da sein Vater gestorben sei und habe er sich dort ca. ein Jahr und acht Monate aufgehalten, danach sei er von Marokko nach Moskau geflogen, wo er sich wieder acht Monate aufgehalten habe, danach sei er in die Türkei und dann weiter nach Österreich, gewollt habe eigentlich nach Italien, da dort seine Ehefrau und seine Freunde wohnen würden. Zu seinem Fluchtgrund befragt, führte er wörtlich aus: „Als mein Vater 2019 stab bin ich in mein Heimatland Marokko zurückgekehrt, weil ich mein Erbe antreten wollte. Ich bin Berber und habe in Marokko keine Rechte. Wir wohnen in der Sahara und die Polisario (militärische und politische Organisation in der Westsahara) hat uns alles weggenommen. Ich wurde mit dem Messer am Kopf, Hand und Fuß verletzt und in einen Brunnen geworfen. Ich habe mich danach ca. 15 Tage versteckt und bin ausgereist. Aus diesen Gründen möchte ich hier um Asyl ansuchen. Würde aber gerne nach Italien weiterreisen, da meine Frau ca. 18 Jahre älter ist und sie mich dringend braucht.“ Gefragt, was er im Falle seiner Rückkehr in seine Heimat befürchte gab er an, dass er in seine Heimat nicht zurückkehren könne da er sonst umgebracht werde.

3.       Am 03.11.2020 wurde der Beschwerdeführer von der belangten Behörde in Anwesenheit der Rechtsberaterin der ARGE/Diakonie niederschriftlich einvernommen. Zu seinem Gesundheitszustand führte er aus, dass er seit dem tätlichen Angriff im Jahr 2019 an einem Nasenscheidewandschiefstand leiden würde, zudem sei er 2019 im Krankenhaus des marokkanischen Gesundheitsministeriums in der Westsahara am Bein operiert und eine Schnittverletzung am Bauch genäht worden. Zu seinen persönlichen Lebensumständen führte er aus, dass er XXXX heißen würde und am XXXX geboren sei. Er sei seit 2006 mit XXXX , verheiratet. Er habe mit dieser bis zu seiner Ausreise nach Holland sieben Jahre zusammengelebt und habe sie ihn in Amsterdam regelmäßig besucht. Zuletzt gesehen habe er seine Frau im Oktober 2016, er habe keine Kinder und wisse auch nicht genau, wo sich seine Ehefrau derzeit aufhalte. In seinem Heimatland würden noch zwei Schwestern und zwei Brüder väterlicherseits leben, er wisse aber nicht wo sich die Brüder aufhalten würden, seine Angehörigen würden sich aktuell in einem Flüchtlingslager in der Nähe der algerischen Grenze aufhalten. Er gab weiters an, dass er zehn Jahre die Schule besucht habe, die Grundschule habe er in acht Jahren abgeschlossen, und dann die mittlere Bildungsstufe mit zwei Jahren, in Italien habe er eine Berufsausbildung gemacht und habe ein Diplom im Bereich Bau, als Maurer. In Italien sei er auf dem Bau beschäftigt gewesen, ausgereist sei er, als er keine Arbeit mehr gehabt habe und sei danach auch nicht wieder nach Italien zurückgekehrt. Auf Vorhalt, dass er in Italien ein Aufenthaltsverbot erhalten habe, gab er an, dass es in einem pakistanischen Restaurant zu einer Schlägerei gekommen sei, dies sei vor ca. zwölf Jahren oder so gewesen. In Italien habe er einen Aufenthaltstitel für Familienangehörige besessen, auf Vorhalt, warum er nicht versucht habe, auf legalem Wege nach Italien zu kommen, gab er an, dass er 2010 nach Amsterdam gezogen sei und habe er sich nicht über seinen Status in Italien erkundigt, er habe überdies vorgehabt, seine Frau nach Amsterdam nachzuholen. Er sei erst nach dem Tod seines Vaters im Jahr 2019 nach Marokko zurückgekehrt und habe von dort aus eine Person, die sich in Italien aufhalten würde, kontaktiert und dieser gesagt, dass er eine Aufenthaltskarte brauche. Gefragt, wann er dem Entschluss zur Ausreise gefasst habe, führte er an, dass dies vor ca. zehn Monaten gewesen sei, hinsichtlich seiner Reiseroute, führte er aus, dass er Angst vor der Polisario gehabt habe und nach Russland gereist wäre. Auf Nachfrage, wo sich das Reisepass mit dem Visum für Russland befinden würde, führte er aus, dass er diesen in Russland verloren habe und sich einen neuen Reisepass habe ausstellen lassen. Er führte weiters aus, dass er von Casablanca nach Moskau gereist sei, sich dort für acht Monate aufgehalten habe und nachdem die Grenzen wieder geöffnet worden seien, habe er einen neuen Reisepass und das neue Visum beantragt und sei mit einem Ticket nach Istanbul geflogen. Sein eigentliches Ziel sei Italien gewesen. Auf Frage warum er in Österreich einen zu Asylantrag gestellt habe, gab er wörtlich an: „Es war geplant, dass ich nach Italien reise und dort in der Gegend in der meine Frau lebt Asyl beantrage. Hier hat man mir gesagt, dass ich keine Chance habe in Italien Asyl zu beantragen, deswegen habe ich Asyl beantragt. Ich hatte auch ein Ticket für den Weiterflug nach Italien.“ Er führte weiters aus, dass er wegen seiner Volksgruppe in seinem Heimatland oft Probleme gehabt habe, er sei oft wegen seiner Hautfarbe diskriminiert worden, es seien ihm auch zwei Ohrringe mit Gewalt am linken Ohr entfernt worden. Gefragt, wann die letzte Diskriminierung stattgefunden habe, führte aus, dass er immer wieder wegen seiner Hautfarbe diskriminiert worden sei, auf Frage, ob er zur Polizei gegangen sei, gab er an das die Justiz und die Polizei sie nicht mögen würden, die Saharawis würden von der Polizei auch nicht unterstützt. Er sei auch zur Polizei gegangen, diese habe ihm aber nicht helfen wollen, dies sei kurz nach seiner Einreise gewesen, auch nach dem tätlichen Angriff sei er zur Polizei gegangen. Die Polizei habe ihm gesagt, dass er von seinen Landsleuten angegriffen worden sei und sie das nichts angehen würde, Unterlagen darüber habe er keine. Er werde auch nicht von den marokkanischen Behörden gesucht, in Italien sei er in Haft gewesen, aufgrund des Vorfalles der Schlägerei im Restaurant. Nochmals befragt zu seinen Fluchtgründen, führte er aus, dass die Polisari versucht hätten, ihn umzubringen. Auf Nachfrage, gab er an, dass er in die Westsahara gereist sei, um das Erbe seines Vaters zu bekommen, er sei festgenommen worden, am Anfang seien es zwei Personen gewesen, er habe dann Stiche in den Bauch bekommen und sei am rechten Handgelenk verletzt worden, er sei dann zu Boden gegangen und habe ihm ein Dritter mit dem Schwert auf den Fuß geschlagen, danach sei er in einen Brunnen geworfen worden, gewesen sei dies in Smara. Gefragt, wann dieser Vorfall gewesen sei, führte er aus, dass dies zehn Tage vor dem Neujahr 2020 gewesen sei, er sei damals von Amsterdam nach Marokko zurückgekommen. Gefragt, welches Erbe, er hätte antreten sollen gab er an, dass es sich um ein Grundstück in der Westsahara gehandelt habe. Auf Vorhalt der aktuellen Länderfeststellungen zu Marokko, führte er aus, dass dies nicht für die Westsahara gelten würde, es gebe Unterschied für Marokkaner aus der Westsahara und Marokkaner. Nach Mitteilung, dass es beabsichtigt sei, seinen Antrag auf internationalen Schutz in der EAST Flughafen abzuweisen und ihm die Einreise in das österreichische Bundesgebiet nicht gestattet werde, gab der Beschwerdeführer wörtlich an: „Dann schicken sie mich nach Italien.“

Auf die Frage an die Rechtsberatung, ob es noch offene Fragen gebe oder Anträge gestellt werden wollen antwortete diese wörtlich: „Nein, Danke.“

4.       Mit Schreiben vom 04.11.2020 an das UNHCR- Büro in Österreich ersuchte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl um Zustimmung gemäß § 33 Abs. 2 AsylG zur Abweisung des gegenständlichen Antrages auf internationalen Schutz gemäß § 33 Abs. 1 Z 2 und Z 4 AsylG 2005.

5.       Am 09.11.2020 übermittelte UNHCR ein Antwortschreiben, wonach bezugnehmend auf das Ersuchen vom 04.11.2020 mitgeteilt wurde, dass das UN-Flüchtlingshochkommissariat UNHCR im vorliegenden Fall die Zustimmung gemäß § 33 Abs. 2 AsylG 2005 erteile, da das Vorbringen in Einklang mit Beschluss Nr. 30 des UNHCR-Exekutivkommitees als offensichtlich unbegründet eingestuft werden könne.

6.       Mit dem Bescheid vom 09.11.2020, Zl. XXXX , wies die belangte Behörde den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz gemäß § 33 Abs. 1 Z 2 und Z 4 iVm § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 hinsichtlich des Status eines Asylberechtigten ab, erkannte ihm gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 den Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf seinen Herkunftsstaat Marokko nicht zu und erteilte ihm unter einem auch keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG.

7.       Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer durch seine ausgewiesene Rechtsvertretung, die Diakonie Flüchtlingsdienst gem. GmbH, Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht und monierte inhaltliche Rechtswidrigkeit infolge unrichtiger rechtlicher Beurteilung, sowie die Verletzung von Verfahrensvorschriften bei deren Einhaltung ein für den Beschwerdeführer günstigere Bescheid erzielt worden wäre. Begründend wurde im Wesentlichen zusammengefasst ausgeführt, dass die belangte Behörde ein mangelhaftes Ermittlungsverfahren geführt habe und sich mit den Länderfeststellungen nur mangelhaft auseinandergesetzt habe. Der Beschwerdeführer habe angegeben, marokkanischen Staatsangehöriger zu sein und aus der Westsahara zu kommen, er sei daher Sahraui und ethnischer Berber und hätte die belangte Behörde sein Vorbringen in Zusammenschau mit den Länderberichten gebracht, wäre sie zu der Feststellung gelangen, dass das Vorbringen des Beschwerdeführers plausibel sei. Es wurde weiters ausgeführt, dass die belangte Behörde mangelnde Ermittlungen im Hinblick auf den Gesundheitszustand des Beschwerdeführers getroffen habe, da sie kein fachärztliches Gutachten zu seinen zahlreichen Narben am Körper eingeholt habe, weshalb der Einholung eines fachärztlichen Gutachtens zum Beweis dafür beantragt werde, dass die vom Beschwerdeführer beschriebenen Verletzungen auf die von ihm geschilderte Art und Weise zustande gekommen seien. Die Feststellung der belangten Behörde würden zudem auf einer unschlüssigen Beweiswürdigung einer mangelnden Sachverhaltsermittlung passieren und hätte ihm nach einer mängelfreien Beweiswürdigung die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt werden müssen. Es werde daher beantragt, das Bundesverwaltungsgericht möge eine mündliche Beschwerdeverhandlung inklusive der nochmaligen Einvernahme des Beschwerdeführers anberaumen, falls nicht alle zu Lasten des Beschwerdeführers gehenden Rechtswidrigkeiten im angefochtenen Bescheid in der Beschwerde geltend gemacht wurden diese amtswegig aufgreifen, den angefochtenen Bescheid allenfalls nach Verfahrensergänzung beheben und dem Beschwerdeführer den Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 AsylG zu erkennen, in eventu den angefochtenen Bescheid allenfalls nach Verfahrensergänzung bezüglich des Spruchpunktes II. beheben und dem Beschwerdeführer den Status des subsidiär Schutzberechtigten zu erkennen, in eventu den angefochtenen Bescheid ersatzlos beheben und zur Verfahrensergänzung und neuerlichen Entscheidung an das BFA zurückverweisen.

8.       Beschwerde und Verwaltungsakt wurden dem Bundesverwaltungsgericht am 18.11.2020 vorgelegt. Mit Schriftsatz vom 19.11.2020 wurden seitens der Rechtsvertretung zwei Dokumente vorgelegt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Die unter Punkt I getroffenen Ausführungen werden als entscheidungswesentlicher Sachverhalt festgestellt. Darüber hinaus werden folgende Feststellungen getroffen:

Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger von Marokko. Der Beschwerdeführer ist somit Drittstaatsangehöriger im Sinne des § 2 Abs. 1 Z 20b AsylG 2005.

Die Identität des Beschwerdeführers steht fest.

Der Beschwerdeführer ist volljährig, gehört der Volksgruppe der Berber an und ist moslemischen Glaubens.

Der Beschwerdeführer hat in Marokko 10 Jahre die Schule besucht und in Italien eine Ausbildung als Maurer absolviert und war dort als Maurer tätig.

Der Beschwerdeführer ist gesund und arbeitsfähig. Der Beschwerdeführer gehört keiner Risikogruppe im Sinne der COVID 19 Pandemie an.

Er leidet an keiner lebensbedrohlichen psychischen oder physischen Beeinträchtigung, die seiner Rückkehr in seinen Herkunftsstaat entgegensteht.

Der Beschwerdeführer ist seit 2006 mit einer italienischen Staatsangehörigen verheiratet, der Beschwerdeführer hat seine Ehefrau zuletzt 2016 gesehen, steht mit dieser über soziale Netzwerke in Kontakt und hat keine Kinder.

Der Beschwerdeführer verfügt in Marokko über familiäre Anknüpfungspunkte in Form seiner Halbschwestern und Halbbrüder. Zudem hat er noch Kontakt zu dort lebenden Freunden.

Gegen den Beschwerdeführer besteht ein von Italien erlassenes Einreise-/Aufenthaltsverbot für den Schengenraum bis 04/2021.

In Österreich verfügt der Beschwerdeführer über keine Familienangehörigen oder Verwandten. Der Beschwerdeführer war bisher noch nie in Österreich und hat keine Anknüpfungspunkte in sprachlicher, beruflicher und kultureller Hinsicht.

Der Beschwerdeführer, der im Besitz eines von 14.09.2020 bis 14.09.2025 gültigen marokkanischen Reisepasses ist, landete am 24.10.2020 von Istanbul kommend auf dem Flughafen Wien-Schwechat. Der Beschwerdeführer wollte ursprünglich nach Italien und führte einen Aufenthaltstitel für Italien mit sich, welcher sich als Totalfälschung herausstellte. Im Zuge der Sachverhaltsdarstellung stellte der Beschwerdeführer den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz. Dem Beschwerdeführer wurde in weiterer Folge die förmliche Einreise in das Bundesgebiet verweigert. Zum Zweck des weiteren Verfahrens wurde der Beschwerdeführer in den Sondertransitbereich des Flughafens Wien-Schwechat verbracht, wo er sich seitdem aufhält.

Nicht festgestellt werden kann, dass der Beschwerdeführer sein Herkunftsland aus den von ihm genannten Gründen verlassen hat. Das diesbezügliche Vorbringen ist unglaubwürdig und entspricht offensichtlich nicht den Tatsachen.

Nicht festgestellt werden kann weiter, dass eine Zurückweisung, Zurück- oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Marokko eine reale Gefahr einer Verletzung von Art 2 EMRK, Art 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder 13 zur Konvention bedeuten würde oder für den Beschwerdeführer als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konflikts mit sich bringen würde.

Das Büro des Hohen Flüchtlingskommissars der Vereinten Nationen (UNHCR) in Österreich hat gegenüber der belangten Behörde am 09.11.2020 die schriftliche Zustimmung gemäß § 33 Abs. 2 AsylG 2005 zur Abweisung des gegenständlichen Antrages auf internationalen Schutz erteilt, da das Vorbringen des Antragstellers in Einklang mit Beschluss Nr. 30 des UNHCR-Exekutivkomitees als offensichtlich unbegründet eingestuft werden kann.

Zu den Feststellungen zur Lage in Marokko:

Politische Lage

Marokko ist ein sicherer Herkunftsstaat. Marokko ist ein zentralistisch geprägter Staat. Das Land ist eine Monarchie mit dem König als weltlichem und geistigem Staatsoberhaupt, Oberbefehlshaber der Streitkräfte und "Anführer der Gläubigen" (AA 6.5.2019a; vgl. USDOS 11.3.2020). Laut der Verfassung vom 1.7.2011 ist Marokko eine konstitutionelle, demokratische und soziale Erbmonarchie, mit direkter männlicher Erbfolge und dem Islam als Staatsreligion. Abweichend vom demokratischen Grundprinzip der Gewaltenteilung kontrolliert der König in letzter Instanz die Exekutive, die Judikative und teilweise die Legislative (GIZ 5.2020a; vgl. ÖB 5.2019). Im Zusammenhang mit den Protestbewegungen in Nordafrika im Frühjahr 2011 leitete der König im Jahr 2011 eine Verfassungsreform und vorgezogene Neuwahlen ein. Proteste im Norden des Landes sind vor allem Ausdruck der Unzufriedenheit mit der Umsetzung sozioökonomischer Reformen, die schleppend verläuft (AA 6.5.2019a). Die Verfassung vom 1.7.2011 brachte im Grundrechtsbereich einen deutlichen Fortschritt für das Land; in Bezug auf die Königsmacht jedoch nur eine Abschwächung der absolutistischen Stellung. Das Parlament wurde als Gesetzgebungsorgan durch die neue Verfassung aufgewertet und es ist eine spürbare Verlagerung des politischen Diskurses in die Volksvertretung hinein erkennbar. Die Judikative wird als unabhängige Staatsgewalt gleichberechtigt neben Legislative und Exekutive gestellt. Das System der checks und balances als Ergänzung zur Gewaltenteilung ist jedoch in der Verfassung vergleichsweise wenig ausgebildet (ÖB 5.2019).

Vier Schlüsselministerien sind in Marokko der Kontrolle des Parlamentes und des Premierministers entzogen: Inneres, Äußeres, Verteidigung, Religiöse Angelegenheiten und Stiftungen. Soziale Reformen während der Regentschaft Mohamed VI sollten mehr Wohlstand für alle bringen - doch faktisch nahm die ohnehin starke Kontrolle der Königsfamilie und ihrer Entourage über die Reichtümer und Ressourcen des Landes weiter zu (GIZ 5.2020a). Hauptakteure der Exekutive sind die Minister, der Regierungschef und der König, der über einen Kreis hochrangiger Fachberater verfügt. Der König ist Vorsitzender des Ministerrates, hat Richtlinienkompetenz und ernennt nach Art. 47 der Verfassung von 2011 den Regierungschef aus der Partei, die bei den Wahlen als Sieger hervorgeht. Marokko verfügt seit der Unabhängigkeit über ein Mehrparteiensystem. Das Wahlrecht macht es schwierig für eine Partei, eine absolute Mehrheit zu erringen; Mehrparteienkoalitionen sind deshalb die Regel (AA 6.5.2019a).

Das marokkanische Parlament besteht aus zwei Kammern, dem Unterhaus (Chambre des Représentants, Madschliss an-Nuwwab) und dem Oberhaus (Chambre des conseillers, Madschliss al-Mustascharin). Die Abgeordneten des Unterhauses werden alle fünf Jahre in direkten allgemeinen Wahlen neu gewählt. Das Unterhaus besteht aus 395 Abgeordneten. Entsprechend einer gesetzlich festgelegten Quote sind mindestens 12% der Abgeordneten Frauen. Das Oberhaus (Chambre des Conseillers) besteht aus mindestens 90 und maximal 120 Abgeordneten, die in indirekten Wahlen für einen Zeitraum von sechs Jahren bestimmt werden (GIZ 5.2020a).

In Marokko haben am 7.10.2016 Wahlen zum Unterhaus stattgefunden. Als stärkste Kraft ging die seit 2011 an der Spitze der Regierung stehende Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung („Parti de la Justice et du Développement“) hervor. Am 5.4.2017 ernannte König Mohammed VI Saad-Eddine El Othmani zum Premierminister. Größte Oppositionspartei ist die Partei für Authentizität und Modernität (PAM) (AA 6.5.2019a). Sie rangiert an zweiter Stelle mit 102 Sitzen und konnte ihre Stimmengewinne mehr als verdoppeln und gilt daher als heimliche Siegerin. Dahinter gereiht ist mit 46 Sitzen die traditionsreiche Unabhängigkeitspartei (PI – Parti de l'Istiqlal), dahinter andere Parteien (GIZ 5.2020a).

Seit Anfang 2017 ist Marokko wieder offiziell Mitglied der Afrikanischen Union (GIZ 5.2020a).

Quellen:

-        AA - Auswärtiges Amt (6.5.2019a): Marokko - Innenpolitik, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/marokko-node/-/224120, Zugriff 21.1.2020

-        GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (5.2020a), LIPortal - Marokko - Geschichte & Staat, https://www.liportal.de/marokko/geschichte-staat/, Zugriff 9.7.2020

-        ÖB - Österreichische Botschaft in Rabat (5.2019): Asylländerbericht Marokko

-        USDOS - United States Department of State (11.3.2020): 2019 Country Reports on Human Rights Practices: Morocco, https://www.state.gov/wp-content/uploads/2020/02/MOROCCO-2019-HUMAN-RIGHTS-REPORT.pdf, Zugriff 2.4.2020

Sicherheitslage

Marokko kann grundsätzlich als stabiles Land betrachtet werden (EDA 9.7.2020). Das französische Außenministerium rät bis auf einige Regionen zu normaler Aufmerksamkeit im Land, dem einzigen in Nordafrika, das auf diese Weise bewertet wird (FD 9.7.2020). In den Grenzregionen zu Algerien wird zu erhöhter Aufmerksamkeit geraten (FD 9.7.2020), bzw. wird von Reisen abgeraten (AA 9.7.2020).

Die Westsahara darf nur nach Genehmigung durch die marokkanischen Behörden und nur auf genehmigten Strecken bereist werden (FD 9.7.2020). Zusätzlich besteht für die Grenzregionen zu Mauretanien in der Westsahara eine Reisewarnung (AA 9.7.2020; vgl. FD 9.7.2020, BMEIA 9.7.2020).

Im Jahr 2019 konnte Marokko sein Terrorismusrisiko weitgehend eindämmen und die Zahl der Verhaftungen im Vergleich zu 2018 verdoppelt. Das Land sah sich jedoch weiterhin sporadischen Bedrohungen ausgesetzt, die hauptsächlich von kleinen, unabhängigen Terrorzellen ausgingen, von denen die meisten angeben, sie seien vom Islamischen Staat (IS) inspiriert oder mit ihm verbunden. Im März 2019 repatriierte Marokko acht Kämpfer aus Syrien. Im Jahr 2019 wurden in Marokko keine terroristischen Vorfälle gemeldet (USDOS 25.6.2020).

Demonstrationen und Protestaktionen sind jederzeit im ganzen Land möglich (EDA 9.7.2020; vgl. IT-MAE 9.7.2020). Auch nicht genehmigte Demonstrationen verlaufen meist friedlich, es kommt jedoch vereinzelt zu gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen Demonstranten und Sicherheitskräften. Die Proteste entzünden sich meist an wirtschaftlichen und sozialen Missständen (IT-MAE 9.7.2020; vgl. AA 9.7.2020, BMEIA 9.7.2020, EDA 9.7.2020). In der Region Rif kann es zu Übergriffen durch Kriminelle kommen, die in Drogenproduktion und -handel involviert sind (FD 9.7.2020; vgl. EDA 9.7.2020).

In großen Teilen der Sahara sind bewaffnete Banden und islamistische Terroristen aktiv, die vom Schmuggel und von Entführungen leben. Das Entführungsrisiko ist in einigen Gebieten der Sahara und der Sahelzone hoch und nimmt noch zu. Die Grenze zu Algerien ist geschlossen (AA 9.7.2020; vgl. EDA 9.7.2020, BMEIA 9.7.2020).

Das völkerrechtlich umstrittene Gebiet der Westsahara erstreckt sich südlich der marokkanischen Stadt Tarfaya bis zur mauretanischen Grenze. Es wird sowohl von Marokko als auch von der Unabhängigkeitsbewegung Frente Polisario beansprucht. Die United Nations Mission for the Referendum in Western Sahara MINURSO überwacht den Waffenstillstand zwischen den beiden Parteien. Auf beiden Seiten der Demarkationslinie (Sandwall) sind diverse Minenfelder vorhanden (EDA 9.7.2020).

Quellen:

-        AA - Auswärtiges Amt (9.7.2020): Marokko - Reise- und Sicherheitshinweise, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/marokko-node/marokkosicherheit/224080, Zugriff 9.7.2020

-        BMEIA - Bundesministerium für Europa, Integration und Äußeres (9.7.2020): Reiseinformation Marokko, https://www.bmeia.gv.at/reise-aufenthalt/reiseinformation/land/marokko/, Zugriff 9.7.2020

-        EDA - Eidgenössisches Departemenet für auswärtige Angelegenheiten (9.7.2020): Reisehinweise für Marokko, https://www.eda.admin.ch/eda/de/home/laender-reise-information/marokko/reisehinweise-marokko.html, Zugriff 9.7.2020

-        FD - France Diplomatie (9.7.2020): Conseils aux Voyageurs - Maroc - Sécurité, https://www.diplomatie.gouv.fr/fr/conseils-aux-voyageurs/conseils-par-pays-destination/maroc/#derniere_nopush, Zugriff 9.7.2020

-        IT-MAE - Ministero degli Affari Esteri e della Cooperazione Internazionale (9.7.2020): Viaggiare Sicuri – Marocco, http://www.viaggiaresicuri.it/country/MAR, Zugriff 9.7.2020

-        USDOS - United States Department of State (24.6.2020): Country Reports on Terrorism 2019 – Chapter 1 - Morocco, https://www.ecoi.net/de/dokument/2032530.html, Zugriff 9.7.2020

Westsahara

Der Konflikt in und um die Westsahara schwelt seit Jahrzehnten. Als sich nach dem Tod des Diktators Franco 1975 Spanien aus der damaligen Kolonie zurückzogen, marschierte Marokko im Rahmen des sogenannten Grünen Marsches in das Nachbarland ein. Seitdem hält Marokko große Teile des Territoriums besetzt und betrachtet das Gebiet seit der Annexion 1976 als Bestandteil seines Landes. Dagegen wehrt sich die Bewegung Frente Polisario, welche die Unabhängigkeit der Westsahara anstrebt. Ein rund 2.500 Kilometer langer Sandwall, dessen Baubeginn 1981 war, und der von der mauretanisch-marokkanischen Grenze durch die Sahara bis zum marokkanisch-algerisch-sahrauischen Dreiländereck verläuft, spaltet heute die Westsahara (GIZ 5.2020a). Auf der einen Seite liegt der von Marokko kontrollierte, größere Teil; er umfasst rund 75% des Territoriums. Die UNO erkennt Marokko jedoch nicht als Verwaltungsmacht für die Westsahara an. Seit 1991 überwacht sie den Waffenstillstand zwischen Marokko und der Frente Polisario und seit Dezember 2018 wurden die Verhandlungen über den Status des Territoriums wieder aufgenommen (CIA 10.6.2020). 1991 endeten die Kampfhandlungen zwischen der Frente Polisario und Marokko. Die UNO installierte an mehreren Orten in der Westsahara zur Friedenssicherung die MINURSO (CIA 8.6.2020; vgl. GIZ 5.2020a, AA 6.5.2019b), und verlängerte zuletzt im Oktober 2019 das Mandat um ein Jahr (AI 18.2.2020). Die Frente Polisario hatte im Februar 1976 eine Exilregierung in Algerien, in der Nähe von Tindouf, gebildet, die bis zum Tod von Präsident Mohamed Abdelaziz im Mai 2016 geführt wurde. Sein Nachfolger Brahim Ghali wurde im Juli 2016 gewählt (GIZ 5.2020a). Für Marokko ist die Sicherung der Zugehörigkeit der Westsahara zu Marokko Staatsräson und zentrales Anliegen der marokkanischen Politik (AA 6.5.2019b).

Seit dem Ende der Kampfhandlungen im Jahr 1991 gelang es nicht, ein Referendum bzgl. des Status der Westsahara durchzuführen bzw. scheiterten Anläufe für neue Gespräche zwischen Marokko und der Polisario immer wieder. Seit November 2010 gab es mehrere Anläufe für neue Gespräche zwischen Marokko und der Polisario, doch eine Lösung des Konfliktes ist zurzeit nicht in Sicht. Die Zahl der Staaten, die die sahrauische Exilregierung anerkennen, ist von 80 auf gut die Hälfte gesunken (GIZ 5.2020a).

Als 1982 die Demokratische Arabische Republik Sahara (DARS) als offizielles Mitglied in die Organisation der Afrikanischen Union aufgenommen wurde, verließ Marokko diese als Reaktion darauf im Jahr 1984. Aufgrund des Westsahara-Konfliktes war Marokkos politische Position jedoch über Jahrzehnte schwach. In der Afrikanischen Union war Marokko mehr als 30 Jahre nicht Mitglied. In den vergangenen Jahren hat Marokko seine Beziehungen und Aktivitäten in Afrika jedoch intensiviert. In Westafrika gewinnt Marokko wirtschaftlich an Einfluss. Seit Anfang 2017 ist Marokko wieder offiziell Mitglied der Afrikanischen Union (GIZ 5.2020a).

Quellen:

-        AA - Auswärtiges Amt (6.5.2019b): Marokko - Außenpolitik, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/marokko-node/-/224118, Zugriff 21.1.2020

-        AI - Amnesty International (18.2.2020): Human rights in the Middle East and North Africa: Review of 2019; Morocco and Western Sahara, https://www.ecoi.net/de/dokument/2025837.html, Zugriff 9.7.2020

-        CIA - Central Intelligence Agency (10.6.2020): The World Factbook - Morocco, https://www.cia.gov/library/publications/the-world-factbook/geos/mo.html, Zugriff 6.7.2020

-        CIA - Central Intelligence Agency (8.6.2020): The World Factbook - Western Sahara, https://www.cia.gov/library/publications/the-world-factbook/geos/wi.html, Zugriff 6.7.2020

-        GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) GmbH (5.2020a), LIPortal - Marokko - Geschichte & Staat, http://liportal.giz.de/marokko/geschichte-staat/, Zugriff 6.7.2020

Rechtsschutz / Justizwesen

Die Justiz ist laut Verfassung unabhängig (USDOS 11.3.2020). In der Praxis wird diese Unabhängigkeit jedoch durch Korruption (USDOS 11.3.2020; vgl. ÖB 5.2019, AA 14.2.2018) und außergerichtliche Einflüsse unterlaufen. Behörden setzen manchmal gerichtliche Anordnungen nicht zeitnah durch (USDOS 11.3.2020). Das Gerichtssystem ist nicht unabhängig vom Monarchen, der dem Obersten Justizrat vorsitzt (FH 4.3.2020). Rechtsstaatlichkeit ist vorhanden, aber noch nicht ausreichend entwickelt. Unabhängigkeit der Justiz, Verfassungsgerichtsbarkeit, Transparenz durch Digitalisierung, Modernisierung der Justizverwaltung befinden sich noch im Entwicklungsprozess, der, teils von der Verfassung gefordert, teils von der Justizverwaltung angestoßen wurde. Mit dem in der Verfassung vorgesehenen und im April 2017 eingesetzten Conseil supérieur du pouvoir judiciaire (Oberster Rat der Rechtssprechenden Gewalt) wurden Richter- und Staatsanwaltschaft aus dem Verantwortungsbereich des Justizministeriums herausgelöst und verwalten sich nun selbst. Der Rat agiert als unabhängige Behörde. Mit der Herauslösung der Staatsanwaltschaft wurde formal die Unabhängigkeit der Ermittlungsbehörden von der Politik gestärkt. Es gibt jedoch Stimmen, die eine direkte Einflussnahme des Palastes befürchten, da sich Richterschaft und Staatsanwaltschaft nunmehr jeder demokratisch legitimierten Kontrolle entziehen (AA 14.2.2018). In der Praxis werden die Gerichte regelmäßig dazu benutzt, vermeintliche Gegner der Regierung zu bestrafen, darunter andersdenkende Islamisten, Menschenrechts- und Antikorruptionsaktivisten sowie Kritiker der marokkanischen Herrschaft in der Westsahara (FH 4.3.2020).

Formal besteht Gleichheit vor dem Gesetz. Das extreme Gefälle in Bildung und Einkommen, die materielle Unterentwicklung ländlicher Gebiete und der allgegenwärtige gesellschaftliche Klientelismus behindern allerdings die Umsetzung des Gleichheitsgrundsatzes (AA 14.2.2018). Gesetzlich gilt die Unschuldsvermutung. Der Rechtsweg ist formal sichergestellt. Angeklagte haben das Recht auf ein faires Gerichtsverfahren, auf rechtzeitigen Zugang zu ihrem Anwalt und das Recht, Berufung einzulegen. Das marokkanische Recht sieht Pflichtverteidiger für mittellose Angeklagte vor. Der Zugang zu juristischem Beistand ist in der Praxis noch immer unzulänglich (AA 14.2.2018; vgl. USDOS 11.3.2020). NGOs kritisieren, dass die Beschuldigten zu Geständnissen gedrängt werden (FH 4.3.2020; vgl. AA 14.2.2018). Das Strafprozessrecht erlaubt der Polizei, einen Verdächtigen bis zu 48 Stunden in Gewahrsam („garde à vue“) zu nehmen. Der Staatsanwalt kann diese Frist zweimal verlängern. Der Entwurf für ein neues Strafprozessgesetz sieht verbesserten Zugang zu Anwälten bereits im Gewahrsam vor. Das Gesetz ist noch nicht verabschiedet (AA 14.2.2018). Berichten zufolge werden Untersuchungshäftlinge in der Praxis länger als ein Jahr festgehalten, und das Gesetz enthält keine Bestimmungen, die es Untersuchungshäftlingen erlauben, ihre Inhaftierung vor Gericht anzufechten. Einige Verdächtige, insbesondere diejenigen, die des Terrorismus beschuldigt werden, werden tage- oder wochenlang in geheimer Haft gehalten, bevor eine formelle Anklage erhoben wird. Zudem wird Angeklagten nach ihrer Verhaftung der sofortige Zugang zu Anwälten verwehrt und Verteidigern stoßen beim Zugang bei der Vorlage von Prozessbeweisen zu Hindernissen (FH 4.3.2020).

Im Bereich der Strafzumessung wird häufig kritisiert, dass bestehende Möglichkeiten zur Vermeidung von Haft bei minder schweren Delikten (z.B. Geldstrafen, Sozialstunden) nicht genutzt werden. Auch die Möglichkeit der Entlassung auf Bewährung (libération conditionnelle) wird kaum genutzt (AA 14.2.2018).

Seit Juli 2015 ist die Militärgerichtsbarkeit in Verfahren gegen Zivilisten nicht mehr zuständig. Im Juli 2016 wurden durch das Revisionsgericht die Urteile eines Militärgerichts gegen 23 sahrauische Aktivisten im Zusammenhang mit dem Tod von Sicherheitskräften bei der Räumung des Protestlagers Gdim Izik aufgehoben. Von der ordentlichen Gerichtsbarkeit wurden die Angeklagten 2017 zu Haftstrafen zwischen zwei Jahren und lebenslänglich verurteilt (AA 14.2.2018).

Quellen:

-        AA - Auswärtiges Amt (14.2.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage im Königreich Marokko, https://www.ecoi.net/en/file/local/1424844/4598_1519120123_auswaertiges-amt-bericht-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-im-koenigreich-marokko-stand-november-2017-14-02-2018.pdf, Zugriff 5.9.2019

-        FH - Freedom House (4.3.2020): Freedom in the World 2020 - Morocco, https://www.ecoi.net/de/dokument/2030898.html, Zugriff 6.7.2020

-        ÖB - Österreichische Botschaft in Rabat (5.2019): Asylländerbericht Marokko

-        USDOS - United States Department of State (11.3.2020): 2019 Country Reports on Human Rights Practices: Morocco, https://www.state.gov/wp-content/uploads/2020/02/MOROCCO-2019-HUMAN-RIGHTS-REPORT.pdf, Zugriff 2.4.2020

Sicherheitsbehörden

Der Sicherheitsapparat verfügt über einige Polizei- und paramilitärische Organisationen, deren Zuständigkeitsbereiche sich teilweise überlappen. Die DGSN „Direction Générale de la Sûreté Nationale“ (Nationalpolizei) ist für die Umsetzung der Gesetze zuständig und untersteht dem Innenministerium. Bei den „Forces auxiliaires“ handelt es sich um paramilitärische Hilfskräfte, die dem Innenministerium unterstellt sind und die Arbeit der regulären Sicherheitskräfte unterstützen. Die Gendarmerie Royale ist zuständig für die Sicherheit in ländlichen Gegenden und patrouilliert auf Nationalstraßen. Sie untersteht dem Verteidigungsministerium (USDOS 11.3.2020; vgl. AA 14.2.2018). Es gibt zwei Nachrichtendienste: den Auslandsdienst DGED („Direction Générale des Etudes et de Documentation“) und den Inlandsdienst DGST („Direction Générale de la Surveillance du Territoire“) (AA 14.2.2018; vgl. ÖB 5.2019). Im April 2015 wurde zusätzlich das „Bureau central d'investigations judiciaires“ (BCIJ) geschaffen. Es untersteht dem Inlandsdienst DGST. Von der Funktion entspricht es etwa dem deutschen Bundeskriminalamt mit originären Zuständigkeiten und Ermittlungskompetenzen im Bereich von Staatsschutzdelikten sowie Rauschgift- und Finanzdelikten im Rahmen von Verfahren der Organisierten Kriminalität (AA 14.2.2018).

Die zivile Kontrolle über die Sicherheitskräfte ist gemäß USDOS wirksam (USDOS 11.3.2020), gemäß auswärtigem Amt hingegen sind die Sicherheitskräfte weitgehend der zivilen Kontrolle durch Parlament und Öffentlichkeit entzogen (AA 14.2.2018).

Quellen:

-        AA - Auswärtiges Amt (14.2.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage im Königreich Marokko, https://www.ecoi.net/en/file/local/1424844/4598_1519120123_auswaertiges-amt-bericht-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-im-koenigreich-marokko-stand-november-2017-14-02-2018.pdf, Zugriff 9.10.2019

-        ÖB - Österreichische Botschaft Rabat (5.2019): Asylländerbericht Marokko

-        USDOS - United States Department of State (11.3.2020): 2019 Country Reports on Human Rights Practices: Morocco, https://www.state.gov/wp-content/uploads/2020/02/MOROCCO-2019-HUMAN-RIGHTS-REPORT.pdf, Zugriff 2.4.2020

Folter und unmenschliche Behandlung

Die Verfassung gewährleistet die Grundrechte und verbietet Folter und unmenschliche Behandlung oder Bestrafung. Die Sicherheitsbehörden unterliegen der effektiven Kontrolle der zivilen Behörden und die Regierung bestreitet, dass sie die Anwendung von Folter erlaubt (USDOS 11.3.2020).

Folter ist gemäß Verfassung unter Strafe gestellt (USDOS 11.3.2020; vgl. AA 14.2.2018). Marokko ist Vertragsstaat der Anti-Folter-Konvention der Vereinten Nationen und hat auch das Zusatzprotokoll unterzeichnet (AA 14.2.2018; vgl. ÖB 5.2019). Der CNDH (Conseil National des Droits de l'Homme / Nationaler Menschenrechtsrat) ist für den Nationalen Präventionsmechanismus gegen Folter zuständig (CDNH o.D.; vgl. AA 14.2.2018, AI 26.2.2019). Die marokkanische Regierung lehnt den Einsatz von Folter ab und bemüht sich um aktive Prävention. Der Einsatz von systematischer, staatlich angeordneter Folter wird auch von NGOs nicht bestätigt. Gleichwohl berichten NGOs über Fälle von nicht gesetzeskonformer Gewaltanwendung gegenüber Inhaftierten durch Sicherheitskräfte. Die marokkanische Menschenrechtsorganisation OMDH („Organisation Marocaine des Droits de l’Homme“) geht vom Fehlverhalten einzelner Personen aus (AA 14.2.2018). Es kommt weiterhin zu Fällen übermäßiger Gewalt durch die Polizei und Folter in Gewahrsam. Einige der in den letzten Jahren inhaftierten Demonstranten gaben an, während der Festnahme geschlagen und verletzt worden zu sein, und einige wurden bis zur Verhandlung länger in Einzelhaft gehalten. Gefängnisse leiden häufig unter Überfüllung. Die Verurteilungen der Hirak-Rif-Demonstranten im April 2019 basierten auf durch Folter erlangten Geständnissen, die die Angeklagten während des Prozesses alle widerriefen (FH 4.3.2020; vgl. HRW 14.1.2020, AI 18.2.2020).

Es gibt Berichte, dass Folter oder exzessive Polizeigewalt vorkommen (FH 4.3.2020). Der Staatsminister für Menschenrechte räumt ein, dass Folter in Einzelfällen auftritt, aber es sich nicht mehr um eine systematische Praxis handeln würde. Es besteht kein systematischer Mechanismus, Menschenrechtsverletzungen und Korruption wirksam zu untersuchen und zu bestrafen, was Straffreiheit bei Vergehen durch die Sicherheitskräfte begünstigt (USDOS 11.3.2020). Die Behörden haben es versäumt, den Vorwürfen von Folter und anderen Misshandlungen angemessen nachzugehen, was zu unfairen Gerichtsverfahren führte. In mehreren Fällen wurde eine längere Einzelhaft von Gefangenen verzeichnet, die auf Folter oder andere Misshandlungen hinausläuft (AI 18.2.2020). Inhaftierte Islamisten werfen dem Sicherheitsapparat, insbesondere dem Inlandsgeheimdienst DGST, vor, Methoden anzuwenden, die rechtsstaatlichen Maßstäben nicht immer genügen (z.B. lange U-Haft unter schlechten Bedingungen, kein Anwaltszugang). Die zivilgesellschaftlichen Organisationen und Medien dokumentieren diese Vorwürfe nur bruchstückhaft (AA 14.2.2018).

Quellen:

-        AA - Auswärtiges Amt (14.2.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage im Königreich Marokko, https://www.ecoi.net/en/file/local/1424844/4598_1519120123_auswaertiges-amt-bericht-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-im-koenigreich-marokko-stand-november-2017-14-02-2018.pdf, Zugriff 9.10.2019

-        AI - Amnesty International (18.2.2020): Human rights in the Middle East and North Africa: Review of 2019; Morocco and Western Sahara, https://www.ecoi.net/de/dokument/2025837.html, Zugriff 7.7.2020

-        AI - Amnesty International (4.2.2019): Human rights in the Middle East and North Africa: Review of 2018 - Morocco/Western Sahara, https://www.ecoi.net/en/file/local/2003693/MDE2998912019ENGLISH.pdf, Zugriff 9.10.2019

-        CDNH - Kingdom of Morocco, National Human Rights Council (o.D.): CNDH mandate for the protection of human rights, https://www.cndh.org.ma/an/presentation/cndhs-mandate-area-human-rights-protection, Zugriff 2.4.2020

-        FH - Freedom House (4.3.2020): Freedom in the World 2020 - Morocco, https://www.ecoi.net/de/dokument/2030898.html, Zugriff 2.7.2020

-        HRW - Human Rights Watch (14.1.2020): World Report 2020 - Morocco, https://www.ecoi.net/de/dokument/2022718.html, Zugriff 7.7.2020

-        ÖB - Österreichische Botschaft Rabat (5.2019): Asylländerbericht Marokko

-        USDOS - United States Department of State (11.3.2020): 2019 Country Reports on Human Rights Practices: Morocco, https://www.state.gov/wp-content/uploads/2020/02/MOROCCO-2019-HUMAN-RIGHTS-REPORT.pdf, Zugriff 2.4.2020

Korruption

Das Gesetz sieht für behördliche Korruption Strafen vor, doch setzt die Regierung die gesetzlichen Regelungen nicht effektiv um (USDOS 11.3.2020). Korruption ist in den staatlichen Institutionen und in der Wirtschaft weit verbreitet (FH 4.3.2020; vgl. GIZ 5.2020a). Staatsbedienstete,die in Korruptionsfälle verwickelt sind, gehen straffrei aus. Es gibt Berichte über Korruptionsfälle bei der Exekutive, Legislative und in der Justiz. Korruption ist bei der Polizei weit verbreitet (USDOS 11.3.2020).

Trotz der offiziellen Rhetorik über die Korruptionsbekämpfung ist die Bilanz bei der Durchsetzung der Gesetze gemischt. Tiefgreifende Reformen zur Bekämpfung der Korruption werden durch einen Mangel an politischem Willen, geringe institutionelle Kapazitäten und den Einfluss von Eliten, die vom Status quo profitieren, gebremst (FH 4.3.2020; vgl. GIZ 5.2020a) .

Die Antikorruptionsbehörde National Authority for Probity, Prevention, and Fighting Corruption (INPPLC), das Justizministerium und die Hohe Rechnungskontrollbehörde (Government Accountability Court) sind für Korruptionsfragen zuständig. Die Behörden ermitteln in Fällen von Korruption kleineren Ausmaßes, jedoch hängen die Fälle manchmal in den Ermittlungs- oder Verhandlungsphasen fest. Korruptionsvorwürfe gegen die Polizei werden oft abgeschmettert, da ausschließlich die Aussagen der Polizisten berücksichtigt werden (USDOS 11.3.2020).

Marokko belegt im Korruptionswahrnehmungsindex 2019 den 80. von insgesamt 180 Plätzen (TI 23.1.2020).

Quellen:

-        FH - Freedom House (4.3.2020): Freedom in the World 2020 - Morocco, https://www.ecoi.net/de/dokument/2030898.html, Zugriff 2.7.2020

-        GIZ- Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (5.2020a), LIPortal - Marokko - Geschichte & Staat, https://www.liportal.de/marokko/geschichte-staat/, Zugriff 2.7.2020

-        TI - Transparency International (23.1.2020): Corruption Perceptions Index 2019 – Full Data Set, https://files.transparency.org/content/download/2450/14822/file/2019_CPI_FULLDATA.zip, Zugriff 11.2.2020

-        USDOS - United States Department of State (11.3.2020): 2019 Country Reports on Human Rights Practices: Morocco, https://www.state.gov/wp-content/uploads/2020/02/MOROCCO-2019-HUMAN-RIGHTS-REPORT.pdf, Zugriff 2.4.2020

NGOs und Menschenrechtsaktivisten

Es gibt in Marokko eine lebendige und aktive Zivilgesellschaft mit nationalen und internationalen NGOs, die im Prinzip unbehelligt agieren kann. Verbote gegen einzelne Veranstaltungen und Einschränkungen für NGOs und Menschenrechtsorganisationen kommen jedoch vor (AA 14.2.2018; vgl. FH 4.3.2020). NGOs sind rechtlichen Schikanen, Reisebeschränkungen, aufdringlicher Überwachung und weiteren Behinderungen ihrer Arbeit ausgesetzt (FH 4.3.2020). Ein NGO-Gesetz gibt es nicht. Für NGOs gilt das Vereinsrecht. Sie müssen sich beim Innenministerium registrieren lassen. Es kommt vor, dass die Registrierungsanzeigen nicht fristgemäß mit einer Eingangsbestätigung beantwortet werden (AA 14.2.2018). Wenn NGOs Verbindungen zur islamistische Massenbewegung „al-Adl wal-Ihsan“ haben oder die Rechte marginalisierter Gemeinschaften geltend machen, verweigern die Behörden routinemäßig die Registrierung (FH 4.3.2020).

Menschenrechtsorganisationen publizieren Berichte über Menschenrechtsfälle. Die Einstellung der Regierung gegenüber lokalen und internationalen Menschenrechtsorganisationen variiert jedoch, abhängig von der politischen Orientierung der Organisation und der Sensitivität der jeweiligen Angelegenheit. Lokale und internationale NGOs sind immer wieder Einschränkungen bei ihren Aktivitäten ausgesetzt (USDOS 11.3.2020; vgl. AA 14.2.2018).

Der Bereich NGOs/Menschenrechtsverteidiger stellt sich als breit gefächerte Landschaft (ca. 90.000 Vereinigungen) dar, mit einer aktiven und sich artikulierenden Menschenrechtsverteidigerszene, die mit dem CNDH (Nationaler Rat für Menschenrechte) korreliert und dessen Arbeit ergänzt oder diesem sogar voraneilt. Sichtbarste und mit Veranstaltungen und Berichten hervortretende Protagonisten der Menschenrechtsszene sind die OMDH (Organisation Marocaine des Droits Humains) und die AMDH (Association Marocaine des Droits Humains). Die Zivilcourage der einzelnen Aktivisten verdient Anerkennung, weil nicht nur Gefahr besteht, mit staatlicher Repression in Konflikt zu geraten, sondern auch an die Grenzen des von der Gesellschaft Tolerierten zu stoßen (ÖB 5.2019). Die AMDH, eine der bekanntesten NGOs Marokkos, wird häufig von der Regierung ins Visier genommen. Laut Human Rights Watch wurden zwischen Jänner 2017 und Juli 2018 16 Veranstaltungen der AMDH abgesagt, weil die Eigentümer der Veranstaltungsorte unter Druck gesetzt wurden oder die Sicherheitskräfte den Zugang zu den Veranstaltungsräumen direkt blockierten. 2019 wurde mindestens fünf AMDH-Veranstaltungen der Zugang in ähnlicher Weise verweigert (FH 4.3.2020).

Quellen:

-        AA - Auswärtiges Amt (14.2.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage im Königreich Marokko, https://www.ecoi.net/en/file/local/1424844/4598_1519120123_auswaertiges-amt-bericht-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-im-koenigreich-marokko-stand-november-2017-14-02-2018.pdf, Zugriff 9.10.2019

-        FH - Freedom House (4.3.2020): Freedom in the World 2020 - Morocco, https://www.ecoi.net/de/dokument/2030898.html, Zugriff 7.7.2020

-        ÖB - Österreichische Botschaft Rabat (5.2019): Asylländerbericht Marokko

-        USDOS - United States Department of State (11.3.2020): 2019 Country Reports on Human Rights Practices: Morocco, https://www.state.gov/wp-content/uploads/2020/02/MOROCCO-2019-HUMAN-RIGHTS-REPORT.pdf, Zugriff 2.4.2020

Ombudsmann

Zur Kontrolle der Gewährleistung grundlegender Menschenrechte wurde nach der Verabschiedung der neuen Verfassung im Jahr 2011 ein „Nationaler Menschenrechtsrat“ (Conseil National des droits de l’homme - CNDH) als besondere Verfassungsinstanz eingerichtet. Seine kritischen Bestandsaufnahmen und Empfehlungen zu Gesetzesentwürfen haben Gewicht und beeinflussen die Politik (AA 14.2.2018). Der CNDH ist sichtbar, aktiv und produktiv (Berichte über psychiatrische Anstalten, Strafvollzug, Jugendwohlfahrtseinrichtungen, Situation von Asylsuchenden und Migranten). Er legt jährlich einen Bericht vor, der dem König und dem Parlament zur Kenntnis gebracht wird und nimmt auch zu Individualfällen Stellung, bis hin zur Intervention (ÖB 5.2019). Menschenrechtsangelegenheiten werden somit durch den CNDH, die interministerielle Abordnung über Menschenrechte (DIDH), und die Institution des Médiateur (Ombudsmann) wahrgenommen (USDOS 11.3.2020).

Quellen:

-        AA - Auswärtiges Amt (14.2.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage im Königreich Marokko, https://www.ecoi.net/en/file/local/1424844/4598_1519120123_auswaertiges-amt-bericht-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-im-koenigreich-marokko-stand-november-2017-14-02-2018.pdf, Zugriff 9.10.2019

-        ÖB - Österreichische Botschaft Rabat (5.2019): Asylländerbericht Marokko

-        USDOS - United States Department of State (11.3.2020): 2019 Country Reports on Human Rights Practices: Morocco, https://www.state.gov/wp-content/uploads/2020/02/MOROCCO-2019-HUMAN-RIGHTS-REPORT.pdf, Zugriff 2.4.2020

Allgemeine Menschenrechtslage

Der Grundrechtskatalog (Kapitel I und II) der Verfassung ist substantiell; wenn man noch die durch internationale Verpflichtungen übernommenen Grundrechte hinzuzählt, kann man von einem recht umfassenden Grundrechtsrechtsbestand ausgehen. Als eines der Kerngrundrechte fehlt die Glaubens- und Gewissensfreiheit. Die Verfassung selbst stellt allerdings den Rechtsbestand unter den Vorbehalt der traditionellen „roten Linien“ - Monarchie, islamischer Charakter von Staat und Gesellschaft, territoriale Integrität (i.e. Annexion der Westsahara) - quasi als „Baugesetze“ des Rechtsgebäudes. Der vorhandene Rechtsbestand, der mit der neuen Verfassungslage, v.a. in Bereichen wie Familien- und Erbrecht, Medienrecht und Strafrecht, teilweise nicht mehr konform ist, gilt weiterhin (ÖB 5.2019).

In den unter Titel II aufgeführten Artikeln 19 bis 35 garantiert die Verfassung die universellen Menschenrechte (AA 14.2.2018).

Staatliche Repressionsmaßnahmen gegen bestimmte Personen oder Personengruppen wegen ihrer Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen ihrer politischen Überzeugung sind nicht festzustellen. Gewichtige Ausnahme: wer die Vorrangstellung der Religion des Islam in Frage stellt, die Person des Königs antastet oder die Zugehörigkeit der Westsahara zu Marokko anzweifelt. Obwohl Kritik an den Staatsdoktrinen strafrechtlich sanktioniert wird, werden entsprechende Verurteilungen in den vergangenen Jahren eher selten bekannt. Marokkanische NGOs sind der Auffassung, dass administrative Schikanen eingesetzt und Strafverfahren zu anderen Tatbeständen (z. B. Ehebruch oder Steuervergehen) angestoßen oder auch konstruiert werden, um politisch Andersdenkende sowie kritische Journalisten einzuschüchtern oder zu verfolgen (AA 14.2.2018).

Im Mai 2017 stellte sich Marokko dem Universellen Staatenüberprüfungsverfahren (UPR) des UN-Menschenrechtsrats. Marokko akzeptierte 191 der 244 Empfehlungen (AA 14.2.2018).

Gesetzlich sind Meinungs- und Pressefreiheit garantiert, einige Gesetze schränken jedoch die Meinungsfreiheit im Bereich der Presse und den sozialen Medien ein (USDOS 11.3.2020; vgl. AA 14.2.2018). Es kommt vereinzelt zur Strafverfolgung von Journalisten. Staatliche Zensur existiert nicht, sie wird durch die Selbstzensur der Medien im Bereich der drei Tabuthemen ersetzt. Ausländische Satellitensender und das Internet sind frei zugänglich (AA 14.2.2018).

Gesetzlich unter Strafe gestellt und aktiv verfolgt sind und werden kritische Äußerungen betreffend den Islam, die Institution der Monarchie und die offizielle Position der Regierung zur territorialen Integrität und den Anspruch auf das Gebiet der Westsahara (USDOS 11.3.2020; vgl. HRW 14.1.2020, AA 14.2.2018, FH 4.3.2020), sowie Kritik an Staatsinstitutionen oder das Gutheißen von Terrorismus. Für Kritik in diesen Bereich können weiterhin Haftstrafen verhängt werden. Für kritische Äußerungen in anderen Bereichen wurden Haftstrafen im Rahmen einer Änderung des Pressegesetzes im Juli 2016 abgeschafft und durch Geldstrafen ersetzt (HRW 14.1.2020).

Verfolgung wegen politischer Überzeugungen erfolgt zwar nicht systematisch flächendeckend, bleibt aber ein reelles Risiko für politisch aktive Personen außerhalb des politischen Establishments und Freigeister. Parameter des „Wohlverhaltens“ sind die „roten Linien“ (Monarchie, Islam, territoriale Integrität) sowie der Kampf gegen den Terrorismus. Wer sich dagegen kritisch äußert oder dagegen politisch aktiv wird, muss mit Repression rechnen. Durch Fokussierung auf Einzelfälle, deren Publizierung gar nicht behindert wird, entsteht eine generalpräventive Grundstimmung: die Marokkaner wissen sehr gut abzuschätzen, wann sie mit Äußerungen in tiefes Wasser geraten könnten. Dies hindert aber nicht, dass Jugend, Menschenrechtsaktivisten, Interessensvertreter dennoch laufend ihre Stimme erheben, wobei nicht jede kritische oder freiherzige Äußerung unbedingt Konsequenzen haben muss; insbesondere Medien und Persönlichkeiten mit großer Visibilität wird ein gewisser Freiraum zugestanden. Gegenüber Regierung, Ministern und Parlament etwa kann ganz freimütig Kritik geübt werden. Die „kritische Masse“ für das Eingreifen der Obrigkeit scheint erst beim Zusammentreffen mehrerer Faktoren zustande zu kommen: Etwa Infragestellen des Autoritätsgefüges (Königshaus, Sicherheitskräfte) oder Kritik am Günstlingsumfeld des Hofes („Makhzen“) verbunden mit publizitärer Reichweite des Autors (ÖB 5.2019).

Die – auch im öffentlichen Raum kaum kaschierten – Überwachungsmaßnahmen erstrecken sich auch auf die Überwachung des Internets und elektronischer Kommunikation, wobei Aktivisten, die für eine unabhängige Westsahara eintreten – vor allem im Gebiet der Westsahara selbst – besonders exponiert sind (ÖB 5.2019).

Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit sind in der Verfassung von 2011 verfassungsrechtlich geschützt, werden aber durch die „roten Linien“ Glaube, König, Heimatland eingeschränkt (AA 14.2.2018). Versammlungen von mehr als drei Personen sind genehmigungspflichtig (USDOS 11.3.2020). Die Behörden gehen meist nicht gegen öffentliche Ansammlungen und die häufigen politischen Demonstrationen vor, selbst wenn diese nicht angemeldet sind (AA 14.2.2018; vgl. USDOS 11.3.2020). In Einzelfällen kommt es jedoch zur gewaltsamen Auflösung von Demonstrationen (AA 14.2.2018; vgl. FH 4.3.2020, USDOS 11.3.2020, HRW 14.1.2020).

2017 gab es eine Vielzahl von Protesten gegen staatliches Versagen, Korruption und Machtwillkür in der Rif-Region, die unter dem Schlagwort „Hirak“ zusammengefasst werden. Berichtet wurde von zunehmend hartem Durchgreifen der Sicherheitskräfte, Videos von Polizeieinsätzen wurden durch Aktivisten in Facebook hochgeladen (AA 14.2.2018).

Obwohl verfassungsmäßig Vereinigungsfreiheit gewährleistet ist, schränkt die Regierung dieses Recht manchmal ein (USDOS 11.3.2020). Organisationen wird die offizielle Registrierung verweigert (HRW 14.1.2020). Politischen Oppositionsgruppen und Organisationen, die den Islam als Staatsreligion, die Monarchie, oder die territoriale Integrität Marokkos infrage stellen, wird kein NGO-Status zuerkannt (USDOS 11.3.2020).

Quellen:

-        AA - Auswärtiges Amt (14.2.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage im Königreich Marokko, https://www.ecoi.net/en/file/local/1424844/4598_1519120123_auswaertiges-amt-bericht-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-im-koenigreich-marokko-stand-november-2017-14-02-2018.pdf, Zugriff 10.10.2019

-        FH - Freedom House (4.3.2020): Freedom in the World 2020 – Morocco, https://www.ecoi.net/de/dokument/2030898.html, Zugriff 2.7.2020

-        HRW - Human Rights Watch (14.1.2020): World Report 2020 - Morocco, https://www.ecoi.net/de/dokument/2022718.html, Zugriff 20.1.2020

-        ÖB - Österreichische Botschaft Rabat (5.2019): Asylländerbericht Marokko

-        USDOS - United States Department of State (11.3.2020): 2019 Country Reports on Human Rights Practices: Morocco, https://www.state.gov/wp-content/uploads/2020/02/MOROCCO-2019-HUMAN-RIGHTS-REPORT.pdf, Zugriff 2.4.2020

Opposition

Die Gründung von neuen Parteien wurde mit der Verfassung von 2011 vereinfacht. Verboten bleibt die Gründung von Parteien auf ethnischer, religiöser, sprachlicher oder regionaler Grundlage. Zugelassene Oppositionsparteien sind in ihrer Arbeit nicht wesentlich eingeschränkt. Politische Debatten werden offen und kontrovers geführt. Parteiprogrammatik ist insgesamt schwach ausgeprägt (AA 14.2.2018).

Neben der parlamentarischen Opposition sind im außerparlamentarischen Bereich vor allem folgende Gruppierungen zu nennen (AA 14.2.2018):

- Die durch den gewaltsamen Unfalltod eines Fischhändlers in Al Hoceima im Norden Marokkos im Oktober 2016 ausgelöste Protestbewegung („Hirak“) war eine vor allem über die sozialen Netzwerke organisierte Bewegung ohne klare Strukturen mit sozioökonomischen Forderungen (AA 14.2.2018). Die Bewegung Hirak war hauptsächlich 2016 und 2017 aktiv, es kam zu starken Repressionen seitens des marokkanischen Staates (lvsl 28.12.2019), aber auch zu Begnadigungen (AA 14.2.2018). Verfahren gegen Beteiligte führten in den Folgejahren zu Solidaritätsbekundungen in Form von Protesten (lvsl 28.12.2019).

- Die Bewegung „20. Februar“, die Auslöser bzw. Anführer der Protestbewegung im Jahr 2011 war, hat seit der Verfassungsreform und den Parlamentswahlen an Bedeutung verloren. Bei Demonstrationen zu unterschiedlichen Anlässen 2016 und 2017 konnte sie nur noch einige hundert Teilnehmer mobilisieren (AA 14.2.2018).

- „al-Adl wal-Ihsan“

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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