TE Bvwg Erkenntnis 2020/11/23 G306 2223533-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 23.11.2020
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Entscheidungsdatum

23.11.2020

Norm

AsylG 2005 §10 Abs2
AsylG 2005 §57
BFA-VG §18 Abs2 Z1
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs1 Z1
FPG §52 Abs9
FPG §53 Abs1
FPG §53 Abs3 Z1

Spruch

G306 2223533-1/19E

Schriftliche Ausfertigung des am 20.10.2020 mündlich verkündeten Erkenntnisses:

Im namen der republik!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Dietmar MAURER als Einzelrichter, nach Beschwerdevorentscheidung des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 29.08.2019, Zl. XXXX , aufgrund des Vorlageantrages des XXXX , geb. am XXXX , StA: Serbien, vertreten durch RA Mag. Christian HIRSCH, über die Beschwerde gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 18.07.2019, Zahl XXXX , zu Recht erkannt:

A)

Der Beschwerde wird insoweit stattgegeben, als die Befristung des Einreiseverbotes auf 5 Jahre herabgesetzt wird.

Im Übrigen wird die Beschwerde als unbegründet abgewiesen.

Die Beschwerdevorentscheidung der belangten Behörde wird bestätigt.

B)

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1. Mit Schreiben des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA), vom 11.11.2016, dem Beschwerdeführer (im Folgenden: BF) zugestellt am 15.11.2016, wurde der BF anlässlich seiner Verurteilung zu einer 5-jährigen Freiheitsstrafe über die in Aussicht genommene Erlassung einer Rückkehrentscheidung samt Einreiseverbotes sowie in Schubhaftnahme in Kenntnis gesetzt. Gleichzeitig wurde der BF zur Abgabe einer Stellungnahme binnen zwei Wochen aufgefordert.

2. Mit per Post am 24.11.2016 beim BFA eingebrachtem Schriftsatz gab der BF eine Stellungnahme ab und brachte diverse Unterlagen in Vorlage.

3. Mit einem weiteren Schreiben des BFA vom 14.06.2019, wurde der BF erneut über die in Aussicht genommene Erlassung einer Rückkehrentscheidung samt Einreiseverbotes sowie seine in Schubhaftnahme in Kenntnis gesetzt. Erneut wurde der BF zur Abgabe einer Stellungnahme binnen zwei Wochen aufgefordert.

4. Mit Schriftsatz vom 19.06.2019 gab der BF neuerlich eine Stellungnahme ab.

5. Mit dem oben im Spruch angeführten Bescheid des BFA, dem BF zugestellt am 24.07.2019, wurde dem BF ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG nicht erteilt, gegen den BF gemäß § 10 Abs. 2 AsylG iVm. § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 1 Z 1 FPG erlassen (Spruchpunkt I.). Ferner wurde gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung des BF nach Serbien gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkt II.), gegen den BF gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 3 Z 5 FPG ein unbefristetes Einreiseverbot erlassen (Spruchpunkt III.), einer Beschwerde gegen die Rückkehrentscheidung gemäß § 18 Abs. 2 Z 1 BFA-VG die aufschiebende Wirkung aberkannt (Spruchpunkt IV.), sowie gemäß § 55 Abs. 4 FPG eine Frist zur freiwilligen Ausreise nicht gewährt (Spruchpunkt V.).

6. Mit per Telefax am 12.08.2019 beim BFA eingebrachtem Schreiben erhob der BF durch seinen Rechtsvertreter (im Folgenden: RV) Beschwerde gegen den oben im Spruch angeführten Bescheid an das Bundesverwaltungsgericht (im Folgenden. BVwG).

Darin wurde neben der Anberaumung einer mündlichen Verhandlung und Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung, jeweils in eventu die Behebung der Rückkehrentscheidung und Erteilung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen, die Feststellung der Unzulässigkeit der Abschiebung des BF, die Behebung des Einreiseverbotes, die Herabsetzung dessen Befristung und dessen Beschränkung auf Österreich, sowie die Einräumung einer Frist zur freiwilligen Ausreise beantragt.

7. Mit Beschwerdevorentscheidung, Zl. XXXX , vom XXXX .2019, dem RV des BF zugestellt am 02.09.2019, wurde der Beschwerde hinsichtlich des Spruchpunktes III. des angefochtenen Bescheides insoweit stattgegeben und das Einreiseverbot auf die Dauer von 8 Jahren verkürzt.

Im Übrigen wurden – unter Abweisung der Beschwerde im entsprechenden Umfang – die sonstigen Spruchpunkte des angefochtenen Bescheides insofern bestätigt, als sich die Rückkehrentscheidung auf § 52 Abs. 5 FPG stützt.

8. Am XXXX .2019 wurde der BF auf dem Luftweg nach Serbien abgeschoben.

9. Mit per Telefax am 16.09.2019 beim BFA eingebrachtem Schreiben stellte der BF durch seinen RV einen Vorlageantrag.

Darin wurde ausgeführt, dass die Ausführungen in der Beschwerde vom 13.08.2019 vollinhaltlich aufrecht gehalten werden und diese dem BVwG vorgelegt werden solle.

10. Der gegenständliche Vorlageantrag wurde samt dem dazugehörigen Verwaltungsakt vom BFA dem BVwG vorgelegt, wo sie am 18.09.2019 einlangten.

11. Am 20.10.2020 fand in der Grazer Außenstelle des BVwG eine mündliche Verhandlung statt, an jener der RV des BF teilnahm und die Mutter des BF als Zeugin einvernommen wurde.

Der BF blieb der Verhandlung entschuldigt fern und verzichtete die belangte Behörde auf eine Teilnahme.

Nach Schluss der Verhandlung wurde das gegenständliche Erkenntnis mündlich verkündet und eine Ausfertigung der Niederschrift samt Belehrung gemäß § 29 Abs. 2a VwGVG dem RV des BF ausgefolgt.

Eine Ausfertigung der Niederschrift wurde auch dem BFA am selbigen Tag auf elektronischem Wege übermittelt.

Weder der RV des BF noch der BF selbst haben einen Verzicht auf die Erhebung eines außerordentlichen Rechtsmittels an den VwGH oder VfGH abgegeben.

12. Mit auf elektronischem Weg am 23.10.2020 eingebrachtem Schriftsatz wurde die schriftliche Ausfertigung des mündlich verkündeten Erkenntnisses vom RV des BF beantragt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Der BF führt die im Spruch angegebene Identität (Name und Geburtsdatum) und ist serbischer Staatsbürger.

Es konnte nicht festgestellt werden, dass der BF der serbischen Sprache nicht mächtig ist.

Der BF ist in Serbien geboren und lebte bis zu seinem 13. Geburtstag ebendort, wo er auch die Schule besuchte. Seit 19.05.2005 hält der BF sich durchgehend im Bundesgebiet auf, wo er auch über Wohnsitzmeldungen verfügt.

Seit XXXX .2015 ist der BF im Besitz eines Aufenthaltstitels „Daueraufenthalt EU“.

Am XXXX ehelichte der BF die serbische Staatsbürgerin XXXX , geb. XXXX , mit jener er zwei gemeinsame Kinder, XXXX , geb. XXXX und XXXX , geb. XXXX , beide StA: Serbien, hat.

Die Frau sowie die beiden gemeinsamen Kinder sind jeweils im Besitz von Aufenthaltstiteln „Rot-Weiß-Rot-Karte plus“ gültig bis 12.04.2028, und halten sich, sowie auch die Mutter, XXXX , und ein Bruder des BF, XXXX , in Österreich auf.

Der BF wohnte vor seiner Inhaftierung mit seiner Frau und den beiden gemeinsamen Kindern im gemeinsamen Haushalt in Österreich.

Der BF besuchte in Österreich die Schule und absolvierte von XXXX .2009 bis XXXX .2012 eine Lehre zum Einzelhandelskaufmann, welche er am XXXX .2012 mit Erfolg abschloss.

Von 01.09.2012 bis 21.02.2015 sowie von 05.03.2015 bis 30.11.2015 bis 15.04.2016 war der BF unselbstständig erwerbstätig und bezog zwischen 26.02.2015 bis 09.11.2015 wiederholt Leistungen aus der staatlichen Arbeitslosenversicherung.

Mit rechtskräftigem Urteil des LG XXXX , Zl. XXXX , vom XXXX .2016, wurde der BF wegen des Verbrechens des schweren Raubes gemäß §§ 142 Abs. 1, 143 Abs. 1 zweiter Fall, 143 Abs. 2 erster Fall StGB und des Vergehens des versuchten Widerstandes gegen die Staatsgewalt gemäß §§ 269 Abs. 1, 15 StGB zu einer Freiheitsstrafe von 5 Jahren verurteilt.

Der BF wurde für schuldig befunden, er habe am XXXX .2016 in XXXX :

I.       Dem Trafikanten G.R.E. mit Gewalt gegen seine Person und durch Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben (§ 89 StGB) fremde bewegliche Sachen, nämlich EUR 139,10 Bargeld, weggenommen und abgenötigt, indem er diesen mit einer CO2-Pistole und unter Vorhalt eines Hammers bedrohte und die Herausgabe von Bargeld forderte, ihm zweimalig einen Stoß versetzte, wodurch das Opfer zu Sturz kam und androhte, dass er ihm die Knie zerschlagen werde, ihm den Tresorschlüssel wegnahm, den Tresor öffnete und das Bargeld entnahm, wobei er den Raub unter Verwendung einer Waffe verübte und sein Opfer durch die ausgeübte Gewalt einen Deckplatteneinbruch des zehnten Brustwirbels sowie eine Zerrung des linken Kniegelenks, mithin eine schwere Verletzung (§ 84 Abs. 1 StGB) erlitt;

II.      Dadurch, dass er Insp. A.Z. mit der rechten Hand einen Stoß zu versetzen trachtete, einen Beamten mit Gewalt an einer Amtshandlung, nämlich seiner Festnahme, zu hindern versucht.

Mildernd wurde dabei der bisherige untadelige Lebenswandel, das Geständnis, der Umstand, dass es teilweise beim Versuch geblieben ist sowie die teilweise Schadensgutmachung durch Sicherstellung des erbeuteten Bargeldes, erschwerend jedoch die verstärkte Tatbildmäßigkeit beim Raub sowie das Zusammentreffen eines Verbrechens mit einem Vergehen gewertet.

Es wird festgestellt, dass der BF die besagten Straftaten begangen hat.

Der BF hat Bankkreditschulden in Höhe EUR 10.000,- sowie weitere Schulden in unbekannter Höhe.

Im Herbst 2015 begann der BF übermäßig zu spielen (Automaten und Sportwetten) wodurch er bald in finanzielle Schwierigkeiten geriet und ach Schulden bei Freunden und Verwandten machte, um sein seinerzeit betriebenes Lokal weiter betreiben zu können, zumal er die Umsätze aus dem Lokal Großteils verspielte. In dieser Situation fasste er den Entschluss, seine finanzielle Lage durch Begehung eines Raubüberfalles zu verbessern. Die bei der Tat benutzte CO2-Pistole erwarb der BF explizit zur Begehung derselben.

Es konnte nicht festgestellt werden, dass der BF eine Therapie und/oder eine Beratung hinsichtlich seiner Spielproblematik und in Anspruch genommen hat.

Von XXXX .2016 bis XXXX .2019 wurde der BF in Justizanstalten angehalten. Mit Beschluss des LG XXXX , Zl. XXXX , vom XXXX .2019, wurde der BF am XXXX .2019, unter Setzung einer dreijährigen Probezeit und der Auflage der Bewährungshilfe sowie der Weisung einen Wohnortwechsel dem Gericht mitzuteilen, bedingt aus seiner Freiheitsstrafe entlassen.

Am XXXX .2019 wurde der BF auf dem Luftweg in seinen Herkunftsstaat abgeschoben, wo er sich seither aufhält, Erwerbstätigkeiten nachgeht und von seinen in Österreich aufhältigen Angehörigen wiederholt besucht wurde. Der BF erhält zudem finanzielle Unterstützung durch seine Mutter.

Serbien gilt als sicher Herkunftsstaat.

Der BF ist gesund und arbeitsfähig.

2. Beweiswürdigung

2.1. Zum Verfahrensgang:

Der oben unter Punkt I. angeführte Verfahrensgang ergibt sich aus dem unzweifelhaften und unbestrittenen Akteninhalt der vorgelegten Verwaltungsakten des BFA und des vorliegenden Gerichtsaktes des Bundesverwaltungsgerichtes.

2.2. Die oben getroffenen Feststellungen beruhen auf den Ergebnissen des vom erkennenden Gericht auf Grund der vorliegenden Akten und abgehaltenen mündlichen Verhandlung durchgeführten Ermittlungsverfahrens und werden in freier Beweiswürdigung der gegenständlichen Entscheidung als maßgeblicher Sachverhalt zugrunde gelegt:

Die Feststellung, dass Serbien als sicherer Herkunftsstaat gilt folgt § 1 Z 6 HStV.

Der Aufenthalt der Mutter sowie des Bruders des BF in Österreich beruht auf dem konsistenten Vorbringen des BF, welches durch Abfragen des Zentralen Melderegisters verifiziert werden konnte.

Der gemeinsame Haushalt des BF mit seiner Frau und den gemeinsamen Kindern in Österreich beruht auf einer Einsichtnahme in das Zentrale Melderegister der Republik Österreich, und vermochte der BF den erfolgreichen Abschluss seiner Lehre als Einzelhandelskaufmann durch die Vorlage einer Lehrbestätigung (siehe AS 195) sowie eines Lehrabschlussprüfungszeugnisses (siehe AS 193) belegen.

Der Schulbesuch des BF in Österreich wiederum beruht auf den konsistenten Angaben des BF. Diese werden dadurch gestützt, dass der BF sich im Zeitpunkt seiner damaligen Einreise nach Österreich im schulpflichtigen Alter befand und letztlich eine – einen Pflichtschulabschluss voraussetzende – Lehre in Österreich absolviert hat.

Die Erwerbstätigkeiten und Bezüge von Arbeitslosengeld ergeben sich aus einem Sozialversicherungsauszug und konnten die Anhaltezeiten des BF in Justizanstalten durch Einsichtnahme in das Zentrale Melderegister ermittelt werden.

Die strafgerichtliche Verurteilung des BF samt den näheren Ausführungen sowie die Feststellung, dass der BF die besagten Straftaten begangen hat, beruhen auf eine Ausfertigung des oben zitierten Strafurteils (siehe AS 73f) sowie einer Einsichtnahme in das Strafregister der Republik Österreich. Auf dem oben zitierten Strafurteil des LG Wien beruhen zudem die obigen Ausführungen zum Grund für die strafbaren Handlungen des BF (triste finanzielle Lage aufgrund übermäßigen Spielens) sowie die dem BF anhaftenden Schulden.

In Ermangelung des Eingehens des BF auf die Gründe seiner Straftaten sowie der Nichtvoralge allfälliger Nachweise hinsichtlich der Absolvierung von Therapien und/oder Beratungsgespräche, konnte nicht festgestellt werden, dass der BF allfällige Schritte um seiner offenkundigen Neigung zu Glücksspielen entgegenzutreten gesetzt hat.

Einer Ausfertigung des oben zitierten Beschlusses des LG XXXX , kann ferner die bedingte Entlassung samt Probezeit, Auflage und Weisung entnommen werden (siehe AS 471f)

Die erfolgte Abschiebung des BF wurde mit Bericht des Stadtpolizeikommandos XXXX , GZ.: XXXX , vom XXXX .2019, dokumentiert (siehe AS 567) und beruhen die Feststellungen zum aktuellen Aufenthalt des BF, zu seinen Erwerbstätigkeiten im Herkunftsstaat, zu den Besuchsfahrten der Angehörigen des BF nach Serbien sowie zur finanziellen Unterstützung des BF durch seine Mutter, auf den konkreten Angaben der Mutter der BF in der mündlichen Verhandlung.

Der Gesundheitszustand des BF beruht auf dem Nichtvorbringen eines das Vorliegen einer Krankheit beim BF nahelegenden Sachverhaltes und ergibt sich die Erwerbsfähigkeit des BF aus seinem Gesundheitszustand sowie dem Umstand, dass der BF in seinem Herkunftsstaat erwerbstätig ist.

Auf dem Umstand, dass der BF bis zu seinem 13. Geburtstag in Serbien gelebt hat beruht die Nichtfeststellbarkeit fehlender Serbisch-Sprachkenntnisse. Es widerspricht jeglicher Logik, anzunehmen, dass eine Person, die in Serbien geboren wurde und die ersten 13 Jahre seines Lebens ebendort aufgewachsen ist, seine Muttersprache (serbisch), nach einem nur 14-jährigen Aufenthalt im Ausland verlernt hätte und diese, zumindest in ihren Grundlagen, nicht mehr beherrscht. Letztlich wurde durch den BF zu keinem Zeitpunkt konkret behauptet der serbischen Sprache nicht mehr mächtig zu sein.

Die sonstigen oben getroffenen Feststellungen beruhen auf den Feststellungen im angefochtenen Bescheid/Beschwerdevorentscheidung, jenen weder in der gegenständlichen Beschwerde noch im Vorlageantrag und in der mündlichen Verhandlung – substantiiert – entgegengetreten wurde.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu Spruchteil A):

3.1. Rechtliches:

3.1.1. Der mit „Verkündung und Ausfertigung der Erkenntnisse“ betitelte § 29 VwGVG lautet wie folgt:

„§ 29. (1) Die Erkenntnisse sind im Namen der Republik zu verkünden und auszufertigen. Sie sind zu begründen.

(2) Hat eine Verhandlung in Anwesenheit von Parteien stattgefunden, so hat in der Regel das Verwaltungsgericht das Erkenntnis mit den wesentlichen Entscheidungsgründen sogleich zu verkünden.

(2a) Das Verwaltungsgericht hat im Fall einer mündlichen Verkündung die Niederschrift den zur Erhebung einer Revision beim Verwaltungsgerichtshof oder einer Beschwerde beim Verfassungsgerichtshof legitimierten Parteien und Organen auszufolgen oder zuzustellen. Der Niederschrift ist eine Belehrung anzuschließen:

1.       über das Recht, binnen zwei Wochen nach Ausfolgung bzw. Zustellung der Niederschrift eine Ausfertigung gemäß Abs. 4 zu verlangen;

2.       darüber, dass ein Antrag auf Ausfertigung des Erkenntnisses gemäß Abs. 4 eine Voraussetzung für die Zulässigkeit der Revision beim Verwaltungsgerichtshof und der Beschwerde beim Verfassungsgerichtshof darstellt.

(2b) Ist das Erkenntnis bereits einer Partei verkündet worden, kann ein Antrag auf Ausfertigung des Erkenntnisses gemäß Abs. 4 bereits ab dem Zeitpunkt gestellt werden, in dem der Antragsteller von dem Erkenntnis Kenntnis erlangt hat. Ein Antrag auf Ausfertigung des Erkenntnisses gemäß Abs. 4 ist den übrigen Antragsberechtigten zuzustellen.

(3) Die Verkündung des Erkenntnisses entfällt, wenn

1. eine Verhandlung nicht durchgeführt (fortgesetzt) worden ist oder

2. das Erkenntnis nicht sogleich nach Schluss der mündlichen Verhandlung gefasst werden kann und jedermann die Einsichtnahme in das Erkenntnis gewährleistet ist.

(4) Den Parteien ist eine schriftliche Ausfertigung des Erkenntnisses zuzustellen. Eine schriftliche Ausfertigung des Erkenntnisses ist in den in Art. 132 Abs. 1 Z 2 B-VG genannten Rechtssachen auch dem zuständigen Bundesminister zuzustellen.

(5) Wird auf die Revision beim Verwaltungsgerichtshof und die Beschwerde beim Verfassungsgerichtshof von den Parteien verzichtet oder nicht binnen zwei Wochen nach Ausfolgung bzw. Zustellung der Niederschrift gemäß Abs. 2a eine Ausfertigung des Erkenntnisses gemäß Abs. 4 von mindestens einem der hiezu Berechtigten beantragt, so kann das Erkenntnis in gekürzter Form ausgefertigt werden. Die gekürzte Ausfertigung hat den Spruch sowie einen Hinweis auf den Verzicht oder darauf, dass eine Ausfertigung des Erkenntnisses gemäß Abs. 4 nicht beantragt wurde, zu enthalten.“

Weder der BF noch sein RV haben einen Verzicht auf die Erhebung eines außerordentlichen Rechtsmittels beim VwGH oder VfGH nach Verkündung des gegenständlichen Erkenntnisses in der mündlichen Verhandlung und Ausfolgung des entsprechenden Protokolls am 20.10.2020 abgegeben.

Am 23.10.2020 hat der RV des BF auf elektronischem Wege einen Antrag auf schriftliche Ausfertigung gestellt.

Der besagte Antrag erweist sich als fristgerecht und war diesem zu entsprechen.

3.1.2. Der mit „Beschwerdevorentscheidung“ betitelte § 14 VwGVG lautet:

„§ 14. (1) Im Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG steht es der Behörde frei, den angefochtenen Bescheid innerhalb von zwei Monaten aufzuheben, abzuändern oder die Beschwerde zurückzuweisen oder abzuweisen (Beschwerdevorentscheidung). § 27 ist sinngemäß anzuwenden.

(2) Will die Behörde von der Erlassung einer Beschwerdevorentscheidung absehen, hat sie dem Verwaltungsgericht die Beschwerde unter Anschluss der Akten des Verwaltungsverfahrens vorzulegen.

(Anm.: Abs. 3 aufgehoben durch Art. 5 Z 11, BGBl. I Nr. 138/2017)“

Der mit „Vorlageantrag“ betitelte § 15 VwGVG lautet:

„§ 15. (1) Jede Partei kann binnen zwei Wochen nach Zustellung der Beschwerdevorentscheidung bei der Behörde den Antrag stellen, dass die Beschwerde dem Verwaltungsgericht zur Entscheidung vorgelegt wird (Vorlageantrag). Wird der Vorlageantrag von einer anderen Partei als dem Beschwerdeführer gestellt, hat er die Gründe, auf die sich die Behauptung der Rechtswidrigkeit stützt (§ 9 Abs. 1 Z 3), und ein Begehren (§ 9 Abs. 1 Z 4) zu enthalten.

(2) Ein rechtzeitig eingebrachter und zulässiger Vorlageantrag hat aufschiebende Wirkung, wenn die Beschwerde

1. von Gesetzes wegen aufschiebende Wirkung hatte und die Behörde diese nicht ausgeschlossen hat;

2. von Gesetzes wegen keine aufschiebende Wirkung hatte, die Behörde diese jedoch zuerkannt hat.

Die Behörde hat dem Verwaltungsgericht den Vorlageantrag und die Beschwerde unter Anschluss der Akten des Verfahrens vorzulegen und den sonstigen Parteien die Vorlage des Antrags mitzuteilen.

(3) Verspätete und unzulässige Vorlageanträge sind von der Behörde mit Bescheid zurückzuweisen. Wird gegen einen solchen Bescheid Beschwerde erhoben, hat die Behörde dem Verwaltungsgericht unverzüglich die Akten des Verfahrens vorzulegen.“

Die Beschwerdevorentscheidung derogiert den Ausgangsbescheid, das Rechtsmittel, über welches das Verwaltungsgericht zu entscheiden hat, bleibt aber im Fall eines zulässigen Vorlageantrags die Beschwerde; der Vorlageantrag richtet sich nämlich (nur) darauf, dass die Beschwerde dem Verwaltungsgericht vorgelegt wird. (vgl. VwGH 09.09.2019, Ro 2016/08/0009)

Da sich die Beschwerde gegen den Ausgangsbescheid richtet (und sich ihre Begründung auf diesen beziehen muss), bleibt der Ausgangsbescheid auch Maßstab dafür, ob die Beschwerde berechtigt ist oder nicht. Aufgehoben, abgeändert oder bestätigt werden kann aber nur die - außer in Fällen einer Zurückweisung der Beschwerde - an die Stelle des Ausgangsbescheides getretene Beschwerdevorentscheidung. (vgl. VwGH 09.09.2019, Ro 2016/08/0009)

Gegenstand der Prüfung auf eine Verletzung des Vorlageantragstellers ist nicht der ursprüngliche Bescheid, sondern die Beschwerdevorentscheidung (vgl. VwGH 17.12.2015, Ro 2015/08/0026). (vgl. VwGH 27.02.2019, Ra 2018/10/0052)

„Ist die Beschwerde gegen den Ausgangsbescheid berechtigt, so ist sie vom Verwaltungsgericht stattzugeben: Eine Beschwerdevorentscheidung, die der Beschwerde ebenfalls im gebotenen Umfang stattgegeben hat und den Ausgangsbescheid im Rahmen des durch die Beschwerde abgesteckten Verfahrensgegenstandes rechtskonform abgeändert ober behoben hat, ist zu bestätigen, eine rechtswidrige – den Ausgangsbescheid entweder bestätigende oder in rechtswidriger (etwa nicht weit genug gehender Weise) abändernde – Beschwerdevorentscheidung ist ihrerseits abzuändern (das heißt: durch ein rechtmäßiges Erkenntnis zu ersetzten) oder gegebenenfalls – wenn eine Entscheidung in der betreffenden Sache gar nicht hätte ergehen dürfen – ersatzlos zu beheben. (Walter/Kolonovits/Muzak/Stöger, Verwaltungsverfahrensrecht11 (2019) Rn 774 Ziffer 2)

Der BF erhob am 14.08.2019 gegen den ihm am 24.07.2019 zugestellten unter Punkt I.5. genannten Bescheid des BFA – fristgerecht – Beschwerde an das BVwG.

Dem RV des BF wurde die gegenständliche Beschwerdevorentscheidung am 02.09.2019 – sohin innerhalb der Frist gemäß § 14 Abs. 1 VwGVG – zugestellt und wurde der gegenständliche Vorlageantrag am 16.09.2019 sohin rechtszeitig beim BFA eingebracht.

3.2. Zu Spruchpunkt I. und II. des angefochtenen Bescheides/Beschwerdevorentscheidung:

3.2.1. Gemäß § 2 Abs. 4 Z 1 FPG gilt als Fremder, jemand der die österreichische Staatsbürgerschaft nicht besitzt, und gemäß Abs. 4 Z 10 leg cit, ein Fremder der nicht EWR-Bürger oder Schweizer Bürger ist als Drittstaatsangehöriger.

Der BF ist aufgrund seiner serbischen Staatsangehörigkeit Drittstaatsangehöriger iSd. § 4 Abs. 4 Z 10 FPG.

3.2.2. Der mit „Rückkehrentscheidung“ betitelte § 52 FPG lautet wie folgt:

„§ 52. (1) Gegen einen Drittstaatsangehörigen hat das Bundesamt mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn er sich
1.         nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält oder
2.         nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat und das Rückkehrentscheidungsverfahren binnen sechs Wochen ab Ausreise eingeleitet wurde.

(2) Gegen einen Drittstaatsangehörigen hat das Bundesamt unter einem (§ 10 AsylG 2005) mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn
1.         dessen Antrag auf internationalen Schutz wegen Drittstaatsicherheit zurückgewiesen wird,
2.         dessen Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird,

3.       ihm der Status des Asylberechtigten aberkannt wird, ohne dass es zur Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten kommt oder
4.         ihm der Status des subsidiär Schutzberechtigten aberkannt wird

und ihm kein Aufenthaltsrecht nach anderen Bundesgesetzen zukommt. Dies gilt nicht für begünstigte Drittstaatsangehörige.

(3) Gegen einen Drittstaatsangehörigen hat das Bundesamt unter einem mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn dessen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß §§ 55, 56 oder 57 AsylG 2005 zurück- oder abgewiesen wird.

(4) Gegen einen Drittstaatsangehörigen, der sich rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält, hat das Bundesamt mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn

1.       nachträglich ein Versagungsgrund gemäß § 60 AsylG 2005 oder § 11 Abs. 1 und 2 NAG eintritt oder bekannt wird, der der Erteilung des zuletzt erteilten Aufenthaltstitels entgegengestanden wäre,

1a.      nachträglich ein Versagungsgrund eintritt oder bekannt wird, der der Erteilung des zuletzt erteilten Einreisetitels entgegengestanden wäre oder eine Voraussetzung gemäß § 31 Abs. 1 wegfällt, die für die erlaubte visumfreie Einreise oder den rechtmäßigen Aufenthalt erforderlich ist,

2.       ihm ein Aufenthaltstitel gemäß § 8 Abs. 1 Z 1 oder 2 NAG erteilt wurde, er der Arbeitsvermittlung zur Verfügung steht und im ersten Jahr seiner Niederlassung mehr als vier Monate keiner erlaubten unselbständigen Erwerbstätigkeit nachgegangen ist,

3.       ihm ein Aufenthaltstitel gemäß § 8 Abs. 1 Z 1 oder 2 NAG erteilt wurde, er länger als ein Jahr aber kürzer als fünf Jahre im Bundesgebiet niedergelassen ist und während der Dauer eines Jahres nahezu ununterbrochen keiner erlaubten Erwerbstätigkeit nachgegangen ist,
4.         der Erteilung eines weiteren Aufenthaltstitels ein Versagungsgrund (§ 11 Abs. 1 und 2 NAG) entgegensteht oder

5.       das Modul 1 der Integrationsvereinbarung gemäß § 9 Integrationsgesetz (IntG), BGBl. I Nr. 68/2017, aus Gründen, die ausschließlich vom Drittstaatsangehörigen zu vertreten sind, nicht rechtzeitig erfüllt wurde.

Werden der Behörde nach dem NAG Tatsachen bekannt, die eine Rückkehrentscheidung rechtfertigen, so ist diese verpflichtet dem Bundesamt diese unter Anschluss der relevanten Unterlagen mitzuteilen. Im Fall des Verlängerungsverfahrens gemäß § 24 NAG hat das Bundesamt nur all jene Umstände zu würdigen, die der Drittstaatsangehörige im Rahmen eines solchen Verfahrens bei der Behörde nach dem NAG bereits hätte nachweisen können und müssen.

(5) Gegen einen Drittstaatsangehörigen, der vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes auf Dauer rechtmäßig niedergelassen war und über einen Aufenthaltstitel „Daueraufenthalt – EU“ verfügt, hat das Bundesamt eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn die Voraussetzungen gemäß § 53 Abs. 3 die Annahme rechtfertigen, dass dessen weiterer Aufenthalt eine gegenwärtige, hinreichend schwere Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit darstellen würde.

(6) Ist ein nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhältiger Drittstaatsangehöriger im Besitz eines Aufenthaltstitels oder einer sonstigen Aufenthaltsberechtigung eines anderen Mitgliedstaates, hat er sich unverzüglich in das Hoheitsgebiet dieses Staates zu begeben. Dies hat der Drittstaatsangehörige nachzuweisen. Kommt er seiner Ausreiseverpflichtung nicht nach oder ist seine sofortige Ausreise aus dem Bundesgebiet aus Gründen der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit erforderlich, ist eine Rückkehrentscheidung gemäß Abs. 1 zu erlassen.

(7) Von der Erlassung einer Rückkehrentscheidung gemäß Abs. 1 ist abzusehen, wenn ein Fall des § 45 Abs. 1 vorliegt und ein Rückübernahmeabkommen mit jenem Mitgliedstaat besteht, in den der Drittstaatsangehörige zurückgeschoben werden soll.

(8) Die Rückkehrentscheidung wird im Fall des § 16 Abs. 4 BFA-VG oder mit Eintritt der Rechtskraft durchsetzbar und verpflichtet den Drittstaatsangehörigen zur unverzüglichen Ausreise in dessen Herkunftsstaat, ein Transitland gemäß unionsrechtlichen oder bilateralen Rückübernahmeabkommen oder anderen Vereinbarungen oder einen anderen Drittstaat, sofern ihm eine Frist für die freiwillige Ausreise nicht eingeräumt wurde. Liegt ein Fall des § 55a vor, so wird die Rückkehrentscheidung mit dem Ablauf der Frist für die freiwillige Ausreise durchsetzbar. Im Falle einer Beschwerde gegen eine Rückkehrentscheidung ist § 28 Abs. 2 Bundesgesetz über das Verfahren der Verwaltungsgerichte (Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz – VwGVG), BGBl. I Nr. 33/2013 auch dann anzuwenden, wenn er sich zum Zeitpunkt der Beschwerdeentscheidung nicht mehr im Bundesgebiet aufhält.

(9) Mit der Rückkehrentscheidung ist gleichzeitig festzustellen, ob die Abschiebung des Drittstaatsangehörigen gemäß § 46 in einen oder mehrere bestimmte Staaten zulässig ist. Dies gilt nicht, wenn die Feststellung des Drittstaates, in den der Drittstaatsangehörige abgeschoben werden soll, aus vom Drittstaatsangehörigen zu vertretenden Gründen nicht möglich ist.

(10) Die Abschiebung eines Drittstaatsangehörigen gemäß § 46 kann auch über andere als in Abs. 9 festgestellte Staaten erfolgen.

(11) Der Umstand, dass in einem Verfahren zur Erlassung einer Rückkehrentscheidung deren Unzulässigkeit gemäß § 9 Abs. 3 BFA-VG festgestellt wurde, hindert nicht daran, im Rahmen eines weiteren Verfahrens zur Erlassung einer solchen Entscheidung neuerlich eine Abwägung gemäß § 9 Abs. 1 BFA-VG vorzunehmen, wenn der Fremde in der Zwischenzeit wieder ein Verhalten gesetzt hat, das die Erlassung einer Rückkehrentscheidung rechtfertigen würde.“

Der mit „Schutz des Privat- und Familienlebens“ betitelte § 9 BFA VG lautet wie folgt:

„§ 9. (1) Wird durch eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG, eine Ausweisung gemäß § 66 FPG oder ein Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist die Erlassung der Entscheidung zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.

(2) Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK sind insbesondere zu berücksichtigen:

1.       die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war,
2.         das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens,
3.         die Schutzwürdigkeit des Privatlebens,
4.         der Grad der Integration,
5.         die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden,
6.         die strafgerichtliche Unbescholtenheit,
7.         Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts,

8.       die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren,

9.       die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.

(3) Über die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist jedenfalls begründet, insbesondere im Hinblick darauf, ob diese gemäß Abs. 1 auf Dauer unzulässig ist, abzusprechen. Die Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist nur dann auf Dauer, wenn die ansonsten drohende Verletzung des Privat- und Familienlebens auf Umständen beruht, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend sind. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG schon allein auf Grund des Privat- und Familienlebens im Hinblick auf österreichische Staatsbürger oder Personen, die über ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht oder ein unbefristetes Niederlassungsrecht (§ 45 oder §§ 51 ff Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG), BGBl. I Nr. 100/2005) verfügen, unzulässig wäre.

(Anm.: Abs. 4 aufgehoben durch Art. 4 Z 5, BGBl. I Nr. 56/2018)

(5) Gegen einen Drittstaatsangehörigen, der vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes bereits fünf Jahre, aber noch nicht acht Jahre ununterbrochen und rechtmäßig im Bundesgebiet niedergelassen war, darf mangels eigener Mittel zu seinem Unterhalt, mangels ausreichenden Krankenversicherungsschutzes, mangels eigener Unterkunft oder wegen der Möglichkeit der finanziellen Belastung einer Gebietskörperschaft eine Rückkehrentscheidung gemäß §§ 52 Abs. 4 iVm 53 FPG nicht erlassen werden. Dies gilt allerdings nur, wenn der Drittstaatsangehörige glaubhaft macht, die Mittel zu seinem Unterhalt und seinen Krankenversicherungsschutz durch Einsatz eigener Kräfte zu sichern oder eine andere eigene Unterkunft beizubringen, und dies nicht aussichtslos scheint.

(6) Gegen einen Drittstaatsangehörigen, der vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes bereits acht Jahre ununterbrochen und rechtmäßig im Bundesgebiet niedergelassen war, darf eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 4 FPG nur mehr erlassen werden, wenn die Voraussetzungen gemäß § 53 Abs. 3 FPG vorliegen. § 73 Strafgesetzbuch (StGB), BGBl. Nr. 60/1974 gilt.“

Der mit „Gültigkeitsdauer von Aufenthaltstiteln“ betitelte § 20 NAG lautet:

„§ 20. (1) Befristete Aufenthaltstitel sind für die Dauer von zwölf Monaten oder für die in diesem Bundesgesetz bestimmte längere Dauer auszustellen, es sei denn, es wurde jeweils eine kürzere Dauer des Aufenthaltstitels beantragt oder das Reisedokument weist nicht die entsprechende Gültigkeitsdauer auf.

(1a) Aufenthaltstitel gemäß § 8 Abs. 1 Z 2, 4, 5, 6, 8, 9 oder 10 sind für die Dauer von drei Jahren auszustellen, wenn der Fremde
1.         das Modul 1 der Integrationsvereinbarung (§ 9 IntG) erfüllt hat und
2.         in den letzten zwei Jahren durchgehend rechtmäßig im Bundesgebiet niedergelassen war,

es sei denn, es wurde eine kürzere Dauer des Aufenthaltstitels beantragt oder das Reisedokument weist nicht die entsprechende Gültigkeitsdauer auf.

(2) Die Gültigkeitsdauer eines Aufenthaltstitels beginnt mit dem Ausstellungsdatum, die Gültigkeitsdauer eines verlängerten Aufenthaltstitels mit dem auf den letzten Tag des letzten Aufenthaltstitels folgenden Tag, wenn seither nicht mehr als sechs Monate vergangen sind. Der rechtmäßige Aufenthalt im Bundesgebiet im Zeitraum zwischen Ablauf des letzten Aufenthaltstitels und Beginn der Gültigkeitsdauer des verlängerten Aufenthaltstitels ist gleichzeitig mit dessen Erteilung von Amts wegen gebührenfrei mit Bescheid festzustellen.

(3) Inhaber eines Aufenthaltstitels „Daueraufenthalt – EU“ (§ 45) sind in Österreich unbeschadet der befristeten Gültigkeitsdauer des diesen Aufenthaltstiteln entsprechenden Dokuments unbefristet niedergelassen. Dieses Dokument ist für einen Zeitraum von fünf Jahren auszustellen und, soweit keine Maßnahmen nach dem Fremdenpolizeigesetz 2005 durchsetzbar sind, abweichend von § 24 auch nach Ablauf auf Antrag zu verlängern.

(4) Ein Aufenthaltstitel nach Abs. 3 erlischt, wenn sich der Fremde länger als zwölf aufeinander folgende Monate außerhalb des EWR-Gebietes aufhält. Aus besonders berücksichtigungswürdigen Gründen, wie einer schwerwiegenden Erkrankung, der Erfüllung einer sozialen Verpflichtung oder der Leistung eines der allgemeinen Wehrpflicht oder dem Zivildienst vergleichbaren Dienstes, kann sich der Fremde bis zu 24 Monate außerhalb des EWR-Gebietes aufhalten, wenn er dies der Behörde vorher mitgeteilt hat. Liegt ein berechtigtes Interesse des Fremden vor, hat die Behörde auf Antrag festzustellen, dass der Aufenthaltstitel nicht erloschen ist. Der Nachweis des Aufenthalts im EWR-Gebiet obliegt dem Fremden.

(4a) Abweichend von Abs. 4 erster Satz erlischt der Aufenthaltstitel „Daueraufenthalt – EU“, der einem Inhaber eines Aufenthaltstitels „Blaue Karte EU“ oder dessen Familienangehörigen erteilt wurde erst, wenn sich der Fremde länger als 24 aufeinander folgende Monate außerhalb des EWR-Gebietes aufhält.

(5) Abs. 4 gilt nicht für Inhaber eines Aufenthaltstitels Daueraufenthalt – EU, wenn

1.       sein Ehegatte, eingetragener Partner oder Elternteil Österreicher ist, der in einem Dienstverhältnis zu einer inländischen Gebietskörperschaft steht und dessen Dienstort im Ausland liegt, oder

2.       sein Ehegatte, eingetragener Partner oder Elternteil Österreicher ist, der in einem Dienstverhältnis zu einer inländischen Körperschaft öffentlichen Rechts steht und dessen Dienstort im Ausland liegt, soweit die Tätigkeit dieser Körperschaft im Ausland im Interesse der Republik liegt und

er die beabsichtigte Aufgabe der Niederlassung (§ 2 Abs. 2) der Behörde vorher mitgeteilt hat. Das Vorliegen der Voraussetzungen gemäß Z 1 oder 2 hat der Fremde nachzuweisen. Der Aufenthaltstitel „Daueraufenthalt – EU“ ist auch nach Aufgabe der Niederlassung auf Antrag zu verlängern.“

3.2.2.  Auf Grund des durchgeführten Ermittlungsverfahrens und des festgestellten Sachverhaltes ergibt sich:

Gemäß § 31 Abs. 1 Z 2 FPG halten sich Fremde rechtmäßig im Bundesgebiet auf, wenn sie auf Grund einer Aufenthaltsberechtigung oder einer Dokumentation des Aufenthaltsrechtes nach dem Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz zur Niederlassung oder zum Aufenthalt oder auf Grund einer Verordnung für Vertriebene zum Aufenthalt berechtigt sind.

Der BF ist im Besitz eines unbefristeten Aufenthaltstitel und hielt sich somit rechtmäßig im Bundesgebiet auf.

Das Bundesamt hat die Rückkehrentscheidung daher dem Grunde nach zu Recht auf § 52 Abs. 5 FPG gestützt.

Der BF fällt nicht in den Anwendungsbereich des 6. Hauptstückes des FPG.

3.2.3. Gemäß Art. 8 Abs. 1 EMRK hat jede Person Anspruch auf Achtung ihres Privat- und Familienlebens, ihrer Wohnung und ihres Briefverkehrs.

Gemäß Art. 8 Abs. 2 EMRK ist der Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung dieses Rechts nur statthaft, insoweit ein Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.

Bei der Setzung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme, wie sie eine Ausweisung eines Fremden darstellt, kann ein ungerechtfertigter Eingriff in das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens des Fremden iSd. Art. 8 Abs. 1 EMRK vorliegen. Daher muss überprüft werden, ob die Ausweisung einen Eingriff und in weiterer Folge eine Verletzung des Privat- und/oder Familienlebens des Fremden darstellt:

Zu den in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR) zu Art. 8 EMRK entwickelten Grundsätzen zählt unter anderem, dass das durch Art. 8 EMRK gewährleistete Recht auf Achtung des Familienlebens, das Vorhandensein einer „Familie“ voraussetzt. Der Begriff des „Familienlebens“ in Art. 8 EMRK umfasst nicht nur die Kernfamilie von Eltern und (minderjährigen) Kindern bzw. von verheirateten Ehegatten, sondern auch andere nahe verwandtschaftliche Beziehungen, sofern diese Beziehungen eine hinreichende Intensität für die Annahme einer familiären Beziehung iSd. Art. 8 EMRK erreichen. Der EGMR unterscheidet in seiner Rechtsprechung nicht zwischen einer ehelichen Familie (sog. „legitimate family“ bzw. „famille légitime“) oder einer unehelichen Familie („illegitimate family“ bzw. „famille naturelle“), sondern stellt auf das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens ab (siehe EGMR 13.06.1979, Marckx, EuGRZ 1979, 454; 18.12.1986, Johnston u.a., EuGRZ 1987, 313; 26.05.1994, Keegan, EuGRZ 1995, 113; 12.07.2001 [GK], K. u. T., Zl. 25702/94; 20.01.2009, ?erife Yi?it, Zl. 03976/05). Als Kriterien für die Beurteilung, ob eine Beziehung im Einzelfall einem Familienleben iSd. Art. 8 EMRK entspricht, kommen tatsächliche Anhaltspunkte in Frage, wie etwa das Vorliegen eines gemeinsamen Haushaltes, die Art und die Dauer der Beziehung sowie das Interesse und die Bindung der Partner aneinander, etwa durch gemeinsame Kinder, oder andere Umstände, wie etwa die Gewährung von Unterhaltsleistungen (EGMR 22.04.1997, X., Y. und Z., Zl. 21830/93; 22.12.2004, Merger u. Cros, Zl. 68864/01). So verlangt der EGMR auch das Vorliegen besonderer Elemente der Abhängigkeit, die über die übliche emotionale Bindung hinausgeht (siehe Grabenwarter, Europäische Menschenrechtskonvention3 [2008] 197 ff.). In der bisherigen Spruchpraxis des EGMR wurden als unter dem Blickwinkel des Art. 8 EMRK zu schützende Beziehungen bereits solche zwischen Enkel und Großeltern (EGMR 13.06.1979, Marckx, EuGRZ 1979, 458; auch EKMR 07.12.1981, B 9071/80, X-Schweiz, EuGRZ 1983, 19), zwischen Geschwistern (EKMR 14.03.1980, B 8986/80, EuGRZ 1982, 311) und zwischen Onkel bzw. Tante und Neffen bzw. Nichten (EKMR 19.07.1968, 3110/67, Yb 11, 494 (518); EKMR 28.02.1979, 7912/77, EuGRZ 1981/118; EKMR 05.07.1979, B 8353/78, EuGRZ 1981, 120) anerkannt, sofern eine gewisse Beziehungsintensität vorliegt (vgl. Baumgartner, ÖJZ 1998, 761; Rosenmayer, ZfV 1988, 1). Das Kriterium einer gewissen Beziehungsintensität wurde von der Europäischen Kommission für Menschenrechte auch für die Beziehung zwischen Eltern und erwachsenen Kindern gefordert (EKMR 06.10.1981, B 9202/80, EuGRZ 1983, 215). Das Zusammenleben und die Bindung von Partnern, die auf einer gleichgeschlechtlichen Beziehung beruhen, fallen jedoch nicht unter den Begriff des Familienlebens iSd. Art. 8 EMRK (EGMR 10.05.2001, Mata Estevez, Zl. 56501/00).

Wie der Verfassungsgerichtshof (VfGH) bereits in zwei Erkenntnissen vom 29.09.2007, Zl. B 328/07 und Zl. B 1150/07, dargelegt hat, sind die Behörden stets dazu verpflichtet, das öffentliche Interesse an der Aufenthaltsbeendigung gegen die persönlichen Interessen des Fremden an einem weiteren Verbleib in Österreich am Maßstab des Art. 8 EMRK abzuwägen, wenn sie eine Ausweisung verfügt. In den zitierten Entscheidungen wurden vom VfGH auch unterschiedliche – in der Judikatur des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR) fallbezogen entwickelte – Kriterien aufgezeigt, die in jedem Einzelfall bei Vornahme einer solchen Interessenabwägung zu beachten sind und als Ergebnis einer Gesamtbetrachtung dazu führen können, dass Art. 8 EMRK einer Ausweisung entgegensteht:

•        die Aufenthaltsdauer, die vom EGMR an keine fixen zeitlichen Vorgaben geknüpft wird (EGMR 31.01.2006, Rodrigues da Silva und Hoogkamer, Zl. 50435/99, ÖJZ 2006, 738 = EuGRZ 2006, 562; 16.09.2004, Ghiban, Zl. 11103/03, NVwZ 2005, 1046),

•        das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens (EGMR 28.05.1985, Abdulaziz ua., Zl. 9214/80, 9473/81, 9474/81, EuGRZ 1985, 567; 20.06.2002, Al-Nashif, Zl. 50963/99, ÖJZ 2003, 344; 22.04.1997, X, Y und Z, Zl. 21830/93, ÖJZ 1998, 271) und dessen Intensität (EGMR 02.08.2001, Boultif, Zl. 54273/00),

•        die Schutzwürdigkeit des Privatlebens,

•        den Grad der Integration des Fremden, der sich in intensiven Bindungen zu Verwandten und Freunden, der Selbsterhaltungsfähigkeit, der Schulausbildung, der Berufsausbildung, der Teilnahme am sozialen Leben, der Beschäftigung und ähnlichen Umständen manifestiert (vgl. EGMR 04.10.2001, Adam, Zl. 43359/98, EuGRZ 2002, 582; 09.10.2003, Slivenko, Zl. 48321/99, EuGRZ 2006, 560; 16.06.2005, Sisojeva, Zl. 60654/00, EuGRZ 2006, 554; vgl. auch VwGH 05.07.2005, Zl. 2004/21/0124; 11.10.2005, Zl. 2002/21/0124),

•        die Bindungen zum Heimatstaat,

•        die strafgerichtliche Unbescholtenheit, aber auch Verstöße gegen das Einwanderungsrecht und Erfordernisse der öffentlichen Ordnung (vgl. zB EGMR 24.11.1998, Mitchell, Zl. 40447/98; 11.04.2006, Useinov, Zl. 61292/00), sowie

•        auch die Frage, ob das Privat- und Familienleben in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren (EGMR 24.11.1998, Mitchell, Zl. 40447/98; 05.09.2000, Solomon, Zl. 44328/98; 31.01.2006, Rodrigues da Silva und Hoogkamer, Zl. 50435/99, ÖJZ 2006, 738 = EuGRZ 2006, 562; 31.07.2008, Omoregie ua., Zl. 265/07).

Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR) sind die Staaten im Hinblick auf das internationale Recht und ihre vertraglichen Verpflichtungen befugt, die Einreise, den Aufenthalt und die Ausweisung von Fremden zu überwachen (EGMR 28.05.1985, Abdulaziz ua., Zl. 9214/80 ua, EuGRZ 1985, 567; 21.10.1997, Boujlifa, Zl. 25404/94; 18.10.2006, Üner, Zl. 46410/99; 23.06.2008 [GK], Maslov, 1638/03; 31.07.2008, Omoregie ua., Zl. 265/07). Die EMRK garantiert Ausländern kein Recht auf Einreise, Aufenthalt und Einbürgerung in einem bestimmten Staat (EGMR 02.08.2001, Boultif, Zl. 54273/00; 28.06.2011, Nunez, Zl. 55597/09).

Hinsichtlich der Rechtfertigung eines Eingriffs in die nach Art. 8 EMRK garantierten Rechte muss der Staat ein Gleichgewicht zwischen den Interessen des Einzelnen und jenen der Gesellschaft schaffen, wobei er in beiden Fällen einen gewissen Ermessensspielraum hat. Art. 8 EMRK begründet keine generelle Verpflichtung für den Staat, Einwanderer in seinem Territorium zu akzeptieren und Familienzusammenführungen zuzulassen. Jedoch hängt in Fällen, die sowohl Familienleben als auch Einwanderung betreffen, die staatliche Verpflichtung, Familienangehörigen von ihm Staat Ansässigen Aufenthalt zu gewähren, von der jeweiligen Situation der Betroffenen und dem Allgemeininteresse ab. Von Bedeutung sind dabei das Ausmaß des Eingriffs in das Familienleben, der Umfang der Beziehungen zum Konventionsstaat, weiters ob im Ursprungsstaat unüberwindbare Hindernisse für das Familienleben bestehen, sowie ob Gründe der Einwanderungskontrolle oder Erwägungen zum Schutz der öffentlichen Ordnung für eine Ausweisung sprechen. War ein Fortbestehen des Familienlebens im Gastland bereits bei dessen Begründung wegen des fremdenrechtlichen Status einer der betroffenen Personen ungewiss und dies den Familienmitgliedern bewusst, kann eine Ausweisung nur in Ausnahmefällen eine Verletzung von Art. 8 EMRK bedeuten (EGMR 31.07.2008, Omoregie ua., Zl. 265/07, mwN; 28.06.2011, Nunez, Zl. 55597/09; 03.11.2011, Arvelo Aponte, Zl. 28770/05; 14.02.2012, Antwi u.a., Zl. 26940/10).

„Es trifft zu, dass bei einem mehr als zehn Jahre dauernden inländischen Aufenthalt des Fremden regelmäßig von einem Überwiegen der persönlichen Interessen an einem Verbleib in Österreich auszugehen ist und grundsätzlich nur dann, wenn der Fremde die in Österreich verbrachte Zeit überhaupt nicht genützt hat, um sich sozial und beruflich zu integrieren, eine Aufenthaltsbeendigung ausnahmsweise auch nach so langem Inlandsaufenthalt noch für verhältnismäßig angesehen werden kann (vgl. etwa VwGH 23.2.2017, Ra 2016/21/0340, mwN). Diese zu mehr als zehnjährigen Inlandsaufenthalten entwickelte Judikatur wurde vom VwGH - bei stärkerem Integrationserfolg - auch auf Fälle übertragen, in denen die Aufenthaltsdauer knapp unter zehn Jahren lag (vgl. VwGH 21.12.2017, Ra 2017/21/0132, mwN). Diese Rechtsprechungslinie betraf aber nur Konstellationen, in denen der Inlandsaufenthalt bereits über zehn Jahre dauerte und sich aus dem Verhalten des Fremden - abgesehen vom unrechtmäßigen Verbleib in Österreich - sonst keine Gefährdung der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit ergab (VwGH 25.4.2014, Ro 2014/21/0054; 10.11.2015, Ro 2015/19/0001).“ (VwGH 10.09.2018, Ra 2018/19/0169)

„Die "Zehn-Jahres-Grenze" spielt in der Judikatur des VwGH nur dann eine Rolle, wenn einem Fremden, kein - massives - strafrechtliches Fehlverhalten vorzuwerfen ist (vgl E 26. März 2015, 2013/22/0303). In Fällen gravierender Kriminalität und daraus ableitbarer hoher Gefährdung der öffentlichen Sicherheit stand die Zulässigkeit der Erlassung aufenthaltsbeendender Maßnahmen auch gegen langjährig in Österreich befindliche Ehegatten von österreichischen Staatsbürgern nie in Frage (vgl. E 2. August 2013, 2012/21/0262).“ (VwGH 03.09.2015, Ra 2015/21/0121)

„Im Falle der Erlassung aufenthaltsbeendender Maßnahmen, wenn diese (auch) wegen strafrechtlichen Fehlverhaltens verhängt werden, bedarf es vor allem im Rahmen der zu treffenden Gefährlichkeitsprognose einer näheren Auseinandersetzung mit diesem strafrechtlichen Fehlverhalten im Einzelnen (Hinweis E 19. Mai 2015, Ra 2014/21/0057).“ (VwGH 03.09.2015, Ra 2015/21/0121)

„Bei der Erstellung der für jedes Aufenthaltsverbot zu treffenden Gefährdungsprognose ist das Gesamtverhalten des Fremden in Betracht zu ziehen und auf Grund konkreter Feststellungen eine Beurteilung dahin vorzunehmen, ob und im Hinblick auf welche Umstände die jeweils anzuwendende Gefährdungsannahme gerechtfertigt ist. Dabei kann zur Begründung einer Gefährdung auch das einer bereits getilgten Verurteilung zugrunde liegende Verhalten herangezogen werden (Hinweis E 22. Mai 2013, 2013/18/0074).“ (VwGH 20.08.2013, 2013/22/0113)

3.2.4. Der BF verfügt im Bundesgebiet über teils kernfamiliäre Anknüpfungspunkte und lebte mit seiner Familie (Frau und Kindern) bis zu seiner Inhaftierung im gemeinsamen Haushalt, weshalb vom Vorliegen eines Privat- und Familienlebens iSd. Art 8 EMRK auszugehen ist. Darüber hinaus hielt sich der BF seit 2005 bis zu seiner Abschiebung am XXXX .2019 durchgehend in Österreich auf, hat in Österreich die Pflichtschule besucht und einen Beruf erlernt und ging Erwerbstätigkeiten nach. Insofern kann erkannt werden, dass der BF einen nicht unbeachtlichen Grad an Integration in Österreich erworben hat.

Dem ist jedoch gegenüberzustellen, dass der BF im Jahr 2016 wegen des Verbrechens des schweren Raubes sowie des Vergehens des versuchten Widerstandes gegen die Staatsgewalt zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von 5 Jahren verurteilt wurde. Der BF wurde derentwegen von XXXX .2016 bis XXXX .2019 in Strafhaft angehalten und am XXXX .2019 nach Serbien abgeschoben, wo er sich seither durchgehend aufhält und von seinen Angehörigen finanziell unterstützt und besucht wird. Auch, dass der BF mit seinem gezeigten und in weiterer Folge noch zu behandelnden Verhalten sein sonstiges integratives Verhalten maßgeblich konterkariert hat und damit dieses auch zu relativieren vermochte, ist in Anschlag zu bringen. Ferner hat auch der beinahe 3 ½ Jahre andauernde Aufenthalt des BF in Strafhaft zu einer Abschwächung der familiären Bezüge in Österreich geführt. So konnte der BF während besagter Zeit seinen väterlichen Pflichten nicht nachkommen und den Kontakt zu seiner Familie nur im engen Rahmen der gesetzlich vorgesehenen Möglichkeiten iSd. StVG pflegen. Selbst bei völliger Ausschöpfung der diesbezüglichen Möglichkeiten im Rahmen des Strafvollzuges, kann keinesfalls von einer Gleichwertigkeit mit einem in Freiheit gelebten Familienleben die Rede sein.

Ein Blick auf die Verurteilung des BF lässt darauf schließen, dass dieser im Grunde dazu neigt – selbst herbeigeführten – Finanznöten durch das Erschließen rechtswidriger Einnahmequellen zu begegnen, wobei er dabei letztlich auch nicht davor zurückschreckt eine Waffe einzusetzen und sein Opfer schwer zu verletzen. Auch familiäre Bezüge, bzw. der möglich Verlust sein Familienleben in Österreich weiterführen zu können, vermochten den BF letztlich nicht von der Begehung einer schweren Straftat abhalten.

Das vom BF gezeigte Verhalten legt nahe, dass dieser eigene (Bereicherungs-) Interessen vor andere stellt, was wiederum einen nachhaltigen und wahren Integrationswillen, insbesondere im Einklang mit gültigen Normen und gesellschaftlichen Regeln in Österreich zu leben, nicht erkennen lässt. Diesem Verhalten hat der BF durch seine Missachtung gültiger Strafrechtsnormen in Österreich, welche letztlich auch die schwere Verletzung einer Person zum Ergebnis hatte, Ausdruck verliehen, womit der BF keinesfalls einen Integrationswillen zu vermitteln vermag.

Das erkennende Gericht verkennt nicht, dass der BF sich bereits seit 2005, sohin seit ca. 14 Jahren, im Bundesgebiet rechtmäßig aufgehalten hat. Auch, dass der BF Integrationsschritte in Form von Schulbesuchen, einer Berufsausbildung und Erwerbstätigkeiten gesetzt hat und familiäre Bezüge aufweist. Auf Seiten des BF sind sohin gewichtige Gründe für einen Verbleib im Bundesgebiet anzuerkennen. Jedoch auch, dass vom BF gesetzte – öffentliche Interessen massiv in Mitleidenschaft gezogene – strafrechtswidrige Verhalten ist als gewichtiges gegen einen weiteren Aufenthalt desselben im Bundesgebiet sprechendes Argument zu werten.

Unter Berücksichtigung all dieser Sachverhalte – sowie der zum Einreiseverbot noch zu behandelnder maßgeblichen Gefährdung öffentlicher Interessen durch das Verhalten des BF – ist nach Maßgabe einer Interessensabwägung im Sinne des § 9 BFA-VG die belangte Behörde zu Recht davon ausgegangen, dass im konkreten Einzelfall, das öffentliche Interesse an der Beendigung des unrechtmäßigen Aufenthalts des BF im Bundesgebiet dessen persönliches Interesse am Verbleib im Bundesgebiet überwiegt. Dies unter Beachtung der ständigen Judikatur des VwGH, wonach den die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regelnden Vorschriften und deren Befolgung durch den Normadressaten aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung (Art. 8 Abs. 2 EMRK) (vgl. VwGH 9.3.2003, 2002/18/0293), sowie der Verhinderung von Gewalt- und Eigentumsdelikten (vgl. VwGH 22.11.2017, Ra 2017/19/0474; 22.02.2017, Ra 2017/19/0043; 04.06.2008, AW 2008/18/0299) ein hoher Stellenwert zukommt.

Wie oben zitiert, erachtet auch der VwGH eine Rückkehrentscheidung nicht bereits aufgrund eines langjährigen, jedenfalls 10 Jahre übersteigenden Aufenthalts in Österreich als unzulässig, wenn dem Fremden massive Rechtsverletzungen anzulasten sind. Auch hat der Umstand, dass der BF in Serbien geboren wurde, dort bis zu seinem 13. Geburtstag gelebt und die Schule besucht hat und der serbischen Sprache mächtig, gesund und erwerbsfähig ist im gegenständlichen Abwägungsprozess Beachtung zu finden.

Eine Verletzung des Art 8 EMRK liegt im Ergebnis durch die angeordnete Rückkehrentscheidung nicht vor (siehe dazu auch EGMR 28.06.2007, 31753/02, Kaya gegen Deutschland: Wonach die Erlassung eine Rückkehrentscheidung gegen einen in Deutschland geborenen 30-jährigen türkischen Staatsbürger aufgrund massiver Delinquenz für zulässig erachtet wurde). Auch sonst sind keine Anhaltspunkte hervorgekommen und auch in der Beschwerde nicht substantiiert vorgebracht worden, dass im gegenständlichen Fall eine Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig wäre.

Die Rückkehr des BF nach Serbien muss zudem nicht unweigerlich mit einem Abbruch seiner im Bundesgebiet gelegenen Beziehungen einhergehen. So ist – wie von der Mutter des BF in der mündlichen Verhandlung bestätigt – anzunehmen, dass der BF seine Kontakte unter Zuhilfenahme moderner Kommunikationsmittel und/oder Besuchsfahrten nach Serbien seitens seiner Angehörigen – wie bisher auch – aufrechterhalten wird können.

3.2.5. Schließlich sind im Hinblick auf die gemäß § 52 Abs. 9 FPG getroffenen Feststellungen keine konkreten Anhaltspunkte dahingehend hervorgekommen, dass die Abschiebung des BF nach Nordmazedonien unzulässig wäre. Dies erhellt sich auch aus der aktuellen Judikatur des VwGH, wonach über die Unzulässigkeit der Abschiebung in den Herkunftsstaat ausschließlich im Verfahren über einen Antrag auf internationalen Schutz abzusprechen sei und demzufolge die Feststellung iSd. § 52 Abs. 9 FPG bloß der Festlegung des Zielstaates der Abschiebung diene (vgl. VwGH 16.12.2015, Ra 2015/21/0119), jedoch substantiierte Vorbringen allfälliger Rückehrhindernisse Beachtung zu schenken sei (vgl. VwGH 15.09.2016, Ra 2016/21/0234) Derartiges wurde jedoch in der gegenständlichen Beschwerde nicht substantiiert behauptet (vgl. auch VwGH 22.01.2013, 2012/18/0182; 17.04.2013, 2013/22/0068; 20.12.2012, 2011/23/0480, wonach im Verfahren über das Treffen einer Rückkehrentscheidung nicht primär die Fragen des internationalen Schutzes im Vordergrund stünden, sondern dies Aufgabe eines eigenen Verfahrens sei).

Selbst wenn der VwGH vermeint, dass im Rahmen eines Rückkehrentscheidungsverfahrens dennoch unter der Schwelle des Art 2 und 3 EMRK gelegene Sachverhalte bei der Beurteilung des Privatlebens iSd. Art 8 EMRK Bedeutung zukomme, sodass etwa "Schwierigkeiten beim Beschäftigungszugang oder bei Sozialleistungen" in die bei der Erlassung der Rückkehrentscheidung vorzunehmende Interessenabwägung nach § 9 BFA-VG 2014 miteinzubeziehen seien (vgl. VwGH 16.12.2015, Ra 2015/21/0119), vermochte gegenständlich angesichts einer feststellbaren Gesundheit des BF, Berufserfahrung und im Herkunftsstaat aufgenommener Erwerbstätigkeiten seitens des BF, der finanziellen Unterstützung des BF durch seine Mutter im Herkunftsstaat sowie hinreichender Sprachkenntnisse eine maßgebliche Verletzung nicht aufgezeigt werden.

Schließlich sind im Hinblick auf die von der belangten Behörde im angefochtenen Bescheid gemäß § 52 Abs. 9 iVm. § 50 FPG getroffenen Feststellungen keine konkreten Anhaltspunkte dahingehend hervorgekommen, dass die Abschiebung des BF nach Serbien unzulässig wäre.

Die Beschwerde war in diesem Umfang sohin abzuweisen und die Beschwerdevorentscheidung entsprechend zu bestätigen.

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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