TE Bvwg Erkenntnis 2020/12/4 W235 2191548-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 04.12.2020
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Entscheidungsdatum

04.12.2020

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §3 Abs5
AsylG 2005 §34 Abs2
B-VG Art133 Abs4

Spruch


W235 2191539-1/13E

W235 2191548-1/9E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Maga. Sabine MEHLGARTEN-LINTNER als Einzelrichterin über die Beschwerde von 1. XXXX , geb. XXXX und 2. mj. XXXX , geb. XXXX , diese gesetzlich vertreten durch: XXXX , beide StA. Pakistan, gegen die jeweiligen Spruchpunkte I. der Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 27.02.2018, Zl. 1083682908-151151573 (ad 1.) und Zl. 1083682603-151151581 (ad 2.) nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 15.07.2020 zu Recht erkannt:

A)

Der Beschwerde wird stattgegeben und XXXX gemäß § 3 Abs. 1 AsylG und mj. XXXX gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 34 Abs. 2 AsylG der Status von Asylberechtigten zuerkannt.

Gemäß § 3 Abs. 5 leg. cit. wird festgestellt, dass XXXX und mj. XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.



Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1.1. Die Erstbeschwerdeführerin ist die Mutter der minderjährigen Zweitbeschwerdeführerin. Beide Beschwerdeführerinnen sind Staatsangehörige von Pakistan. Nach unrechtmäßiger Einreise in das österreichische Bundesgebiet stellte die Erstbeschwerdeführerin am 21.08.2015 für sich und als gesetzliche Vertreterin für die minderjährige Zweitbeschwerdeführerin die gegenständlichen Anträge auf internationalen Schutz.

1.2. Am Tag der Antragstellung wurde die Erstbeschwerdeführerin einer Erstbefragung durch ein Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes unterzogen, wobei sie zu ihrer Person angab, sie gehöre der Volksgruppe der Hazara an, bekenne sich zur schiitischen Glaubensrichtung des Islam und sei traditionell verheiratet. Die Erstbeschwerdeführerin stamme aus XXXX , wo sie sieben Jahre lang die Grundschule besucht habe. Neben ihrer Erstsprache Dari spreche sie Englisch und Urdu. Im Herkunftsstaat würden noch ihre Eltern, ein Bruder sowie eine Schwester leben. In Österreich wohne neben ihrer Tochter, der minderjährigen Zweitbeschwerdeführerin, auch der [zum damaligen Zeitpunkt] minderjährige Bruder der Erstbeschwerdeführerin. Vor ca. eineinhalb Jahren sei sie mit ihrer Mutter, ihrer Schwester, ihrem Bruder und der Zweitbeschwerdeführerin mit dem Bus legal unter Verwendung ihres pakistanischen Reisepasses in den Iran gereist und sei dort zunächst verblieben. Vor etwa einem Monat seien sie in Richtung Türkei gefahren; beim Grenzübertritt seien jedoch ihre Mutter und ihre Schwester von ihr getrennt worden. Sie sei mit der Zweitbeschwerdeführerin und ihrem Bruder über die Türkei nach Griechenland gereist. Dort hätten sie nach zwölf Tagen einen Landesverweis erhalten. Ihr Bruder sei weitergereist, während sie mit der Zweitbeschwerdeführerin in Athen geblieben sei. Schließlich seien die Beschwerdeführerinnen schlepperunterstützt über Serbien, Nordmazedonien und Ungarn nach Österreich gelangt.

Zu ihrem Fluchtgrund brachte die Erstbeschwerdeführerin vor, dass ihr Ehemann seit ca. zwei Jahren vermisst werde und sie ihn nicht wiedersehen wolle. Ihre Schwiegereltern hätten ihr zwar mitgeteilt, dass er verstorben sei; ein Nachbar habe aber erzählt, dass er in Australien lebe und eine andere Familie habe. Der Vater der Erstbeschwerdeführerin habe daher gewollt, dass sie ihre Tochter, die Zweitbeschwerdeführerin, ihrem Schwiegervater übergebe. Ferner habe sie ihr Vater zwangsweise mit einem anderen Mann verheiraten wollen. Aus diesem Grund habe sie mit ihrer Mutter, ihrer Schwester, ihrem Bruder und der Zweitbeschwerdeführerin den Herkunftsstaat verlassen. Ihr Vater sei überdies drogensüchtig und wolle sie verkaufen.

1.3. Am 13.04.2017 wurde die Erstbeschwerdeführerin in Anwesenheit eines geeigneten Dolmetschers für die Sprachen Dari und Urdu vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl einvernommen und gab dabei zunächst an, dass sie einvernahmefähig sei, bestätigte ihre bisherigen Angaben zu ihrer Volksgruppen- und Religionszugehörigkeit und erklärte, dass sie traditionell verheiratet gewesen sei. Die Erstbeschwerdeführerin sei die Obsorgeberechtigte der Zweitbeschwerdeführerin, welche dieselben Fluchtgründe wie die Erstbeschwerdeführerin habe. Für ihren Bruder, XXXX , habe die Erstbeschwerdeführerin ebenso die Obsorge; er wohne aber nicht bei ihr.

Zu ihrem (zweiten) Ehemann gab sie an, er heiße XXXX und sei ein Cousin von ihr. Als sie im zweiten Monat schwanger gewesen sei, habe er sie verlassen und sei nach Australien ausgewandert. Er habe zweimal versucht, dort hinzugelangen, sei beim ersten Mal jedoch von Indonesien aus abgeschoben worden. Es habe eine Explosion zuhause gegeben und seine Mutter habe der Erstbeschwerdeführerin gesagt, er sei ums Leben gekommen. Die Erstbeschwerdeführerin habe sich telefonisch scheiden lassen. Im Zeitpunkt der Eheschließung sei sie 19 Jahre alt gewesen. Die Ehe habe sieben Monate gedauert. Die Zweitbeschwerdeführerin sei die gemeinsame Tochter der Erstbeschwerdeführerin und dieses Mannes. Im Vorjahr habe er sie via Facebook kontaktiert und ihr gesagt, er werde kommen und ihre Tochter (= die Zweitbeschwerdeführerin) mitnehmen.

Die Beschwerdeführerinnen würden aus der pakistanischen Stadt XXXX stammen. An ihrer Heimatadresse würden noch die Eltern der Erstbeschwerdeführerin und ihr Bruder sowie dessen Ehefrau und Kinder leben. Ferner würden in ihrem Elternhaus ihre zwei Onkel väterlicherseits mit ihren Familien wohnen. Die Schwester der Erstbeschwerdeführerin sei nach Australien verzogen. Ihr Onkel XXXX lebe in Österreich und sei der Stiefbruder ihrer Mutter. Im Vorjahr habe er sie kontaktiert und habe ihr gedroht, dass sie geschlagen werde, da sie eine Schande für die Familie sei. Sie habe gegen ihn Anzeige erstattet; die Polizei habe ihn jedoch nicht finden können, da er eine falsche Identität in Österreich angegeben habe.

Zur Ausreise wurde unter anderem angeführt, die Beschwerdeführerinnen seien mit der Mutter, der Schwester und dem jüngeren Bruder der Erstbeschwerdeführerin aus dem Herkunftsstaat geflüchtet. Sie seien im September bzw. Oktober 2014 von XXXX aus mit dem Taxi weggefahren, als ihr Vater nicht zuhause gewesen sei und ihr [anderer] Bruder XXXX geschlafen habe. In der Türkei seien sie jedoch von der Mutter und der Schwester der Erstbeschwerdeführerin getrennt worden und seien diese nach Pakistan zurückgeschoben worden.

Im Herkunftsstaat habe die Erstbeschwerdeführerin Probleme mit ihrer gesamten männlichen Verwandtschaft gehabt. Dezidiert zum Fluchtgrund befragt, gab die Erstbeschwerdeführerin an, dass sie ihre erste Ehe mit einem Mann namens XXXX geschlossen habe. Nach der Hochzeit sei sie weggelaufen, woraufhin die Community der Hazara eine Versammlung, eine Jirga, einberufen habe, bei welcher beschlossen worden sei, dass die Erstbeschwerdeführerin aufgrund der Verletzung der Ehre der Familie sterben müsse. Auf Nachfrage brachte sie vor, als sie weggegangen sei, habe sie einen Jungen aus XXXX namens XXXX getroffen. Sie sei mit ihm mitgegangen, da sie nicht nachhause gehen habe wollen. Er habe ihr gesagt, er werde sie nach XXXX bringen, wo es ein Frauenhaus gebe. Der Junge habe sie in der Folge mit zu sich nach „ XXXX “ genommen. Anschließend seien sie mit dem Zug nach Islamabad gefahren, wo er sie zu seiner Familie gebracht habe. Um die Reise bezahlen zu können, habe er ihr ihren Schmuck weggenommen. Der Familie habe er gesagt, sie wären miteinander verheiratet. Als die Angehörigen des Jungen herausgefunden hätten, dass dies nicht den Tatsachen entspreche, hätten sie die Familie der Erstbeschwerdeführerin kontaktiert. Ihr Bruder XXXX habe sie gemeinsam mit dem Bruder von XXXX in Islamabad abgeholt. Damals sei sie 16 Jahre alt gewesen. Als sie von ihrem Ehemann weggelaufen sei, habe sie sich nicht an die Polizei wenden können. Die pakistanischen Behörden seien korrupt. Ihr Vater hätte sie zudem aus dem Frauenhaus herausnehmen können. Als die Erstbeschwerdeführerin zurückgekommen sei, sei sie bei der Jirga-Versammlung geschieden worden. Die Familie ihres [ersten] Ehemanns habe gewollt, dass sie getötet werde. Allerdings habe die Familie von XXXX der Familie ihres Ehemanns Geld angeboten. Diese habe das Angebot angenommen, woraufhin die Ehe annulliert worden sei. Die Jirga habe auch beschlossen, dass die Erstbeschwerdeführerin unter Hausarrest gestellt werde, bis sie verheiratet sei. Insgesamt habe sie sich zwei Jahre im Hausarrest befunden. Sie sei in einem Zimmer eingesperrt und angekettet gewesen. Ihre Mutter habe sich um sie gekümmert. Befragt, ob es noch weitere Gründe für das Verlassen des Herkunftsstaates gebe, führte sie aus, die männliche Verwandtschaft ihrer Familie habe Angst, dass ihre Frauen von der Erstbeschwerdeführerin lernen könnten, weshalb sie gegen sie vorgehen würden und sie töten lassen wollten. In Österreich lebe sie in Freiheit und selbstbestimmt. Im Fall der Rückkehr würde sie getötet werden, da sie nunmehr volljährig sei und wisse, was eine Ehrverletzung bedeute. Sie würde als Ungläubige bezeichnet werden, da sie in Europa alleine lebe. Als alleinstehende Frau in Pakistan würde sie von der Familie geächtet werden und könnte nicht überleben. Ferner wolle sie nicht, dass die Zweitbeschwerdeführerin dasselbe Schicksal erleide wie sie.

Im Zuge der weiteren Einvernahme brachte die Erstbeschwerdeführerin vor, dass die Zweitbeschwerdeführerin tatsächlich am XXXX geboren sei, während die Behörde fälschlicherweise das Geburtsdatum „ XXXX “ protokolliert habe. Abschließend wurden Länderinformationen zur allgemeinen Situation in Pakistan in das Verfahren eingeführt und den Beschwerdeführerinnen eine Frist von zwei Wochen zur schriftlichen Stellungnahme eingeräumt.

Im Zuge der Einvernahme brachte die Erstbeschwerdeführerin folgende verfahrensrelevante Dokumente in Vorlage:

?        Auszug aus dem Reisepass der Erstbeschwerdeführerin, ausgestellt am XXXX .10.2012 mit Gültigkeit bis zum XXXX .10.2017, wonach die Erstbeschwerdeführerin am XXXX geboren wurde und den Namen XXXX führt;

?        Auszug aus dem Reisepass der minderjährigen Zweitbeschwerdeführerin, ausgestellt am XXXX .11.2012 mit Gültigkeit bis zum XXXX .11.2022, wonach die Zweitbeschwerdeführerin am XXXX geboren wurde und den Namen XXXX führt und

?        Geburtsurkunde der minderjährigen Zweitbeschwerdeführerin, wonach diese am XXXX geboren wurde

1.4. Mit Stellungnahme vom 09.05.2017 brachte die Erstbeschwerdeführerin zusammengefasst vor, aus den von der Behörde in das Verfahren eingebrachten Länderberichten sowie aus einem Auszug aus dem UK Home Office Bericht von Feber 2016 gehe hervor, dass Frauen, welche die Familienehre gravierend verletzt hätten, in Pakistan einer Bedrohung ausgesetzt seien. Die Erstbeschwerdeführerin habe sich gegen den Willen und die Tradition ihrer fundamentalistisch ausgerichteten Familie gestellt. Die staatlichen Behörden Pakistans würden keine ausreichenden Maßnahmen zur Ahndung von Ehrenmorden setzen und würden die Täter in mehr als 70% der Fälle nicht strafrechtlich belangt werden. Die Erstbeschwerdeführerin könne keinen Schutz der pakistanischen Behörden erwarten. Es bestehe eine einfache Möglichkeit für einen Täter, sich von der strafrechtlichen Verfolgung für eine Tötung aus Gründen der Familienehre freizukaufen oder eine solche durch Verzeihung durch die anderen Familienmitglieder abzuwenden. Im Fall der Rückkehr nach Pakistan müsse die Erstbeschwerdeführerin damit rechnen, von der Familie geächtet und in weiterer Folge ermordet zu werden, ohne dass sie auf den Schutz der staatlichen Stellen zählen könne.

1.5. Aus einem amtswegig eingeholten Bericht über eine Vorortrecherche zur Familie der Beschwerdeführerinnen vom 20.09.2017, verfasst von der Rechtsanwaltskanzlei „ XXXX “, geht zusammengefasst hervor, dass ein Ermittler am 17.09.2017 Nachforschungen an jener Adresse durchführte, welche von der Erstbeschwerdeführerin als ihre Wohnadresse in Pakistan genannt wurde. Folgende Personen würden nach der Recherche an dieser Adresse leben:

?        ?XXXX (Vater der Erstbeschwerdeführerin) sowie

?        dessen drei Brüder, von welchen einer an einer geistigen Behinderung leidet, ein weiterer eine Gliedmaße bei einem Selbstmordattentat verloren hat und einer im Schmuckgeschäft des Vaters der Erstbeschwerdeführerin aushilft;

?        ?XXXX , der Bruder der Erstbeschwerdeführerin;

?        ?XXXX , ein weiterer, achtjähriger Bruder der Erstbeschwerdeführerin und

?         XXXX , die Mutter der Erstbeschwerdeführerin

Die Ermittlungen hätten ergeben, dass die Angaben der Erstbeschwerdeführerin zu ihrer Identität den Tatsachen entsprechen würden. Ihr tatsächlicher Name sei XXXX . Ebenso sei bestätigt worden, dass die Erstbeschwerdeführerin mit XXXX verheiratet gewesen sei, dieser sich jedoch nach sieben Monaten scheiden habe lassen und nach Australien verzogen sei. Der Vater der Erstbeschwerdeführerin besitze ein Schmuckgeschäft in der Nachbarschaft der Wohnadresse. Ferner sei bestätigt worden, dass die Erstbeschwerdeführerin eine Schwester habe, die nach Australien verzogen sei. Der Bruder der Erstbeschwerdeführerin, XXXX , sei Inspektor bei der Polizei in Belutschistan. Der jüngere Bruder, XXXX , sei acht Jahre alt und besuche die örtliche Schule.

1.6. Am 18.10.2017 fand eine weitere Einvernahme der Erstbeschwerdeführerin vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl statt. Auf Vorhalt, es sei eine Vorortrecherche durchgeführt worden und habe diese ergeben, dass entgegen der Ausführungen der Erstbeschwerdeführerin nicht nur ein Bruder, sondern insgesamt zwei Brüder an ihrer Heimatadresse leben würden, führte sie aus, es handle sich wohl um ein Missverständnis, da das achtjährige Kind, welches im Bericht über die Vorortrecherche erwähnte werde, nicht ihr Bruder, sondern ihr Neffe sei. In der Folge wurde der Erstbeschwerdeführerin vorgehalten, sie werde laut der Vorortrecherche von allen „ XXXX “ genannt, auf den Dokumenten, die sie vorgelegt habe, stehe jedoch „ XXXX “ und habe sie selbst in der Erstbefragung den Namen „ XXXX “ angeführt. Diesbezüglich gab sie an, bei der Erstbefragung habe sie als Nachnamen XXXX bzw. XXXX angegeben. Ihr Großvater heiße so und werde ihre Familie nach dem Namen des Großvaters benannt. In Pakistan führe sie die Namen XXXX und XXXX .

Zur Ehe mit XXXX gab die Erstbeschwerdeführerin an, die Ehe sei von ihrem Vater und ihrer Tante arrangiert worden und habe sieben Monate gedauert. Sie hätten schon bald Probleme gehabt und ihr Ehemann sei oft nicht nachhause gekommen. Nachdem er in Australien angekommen sei, habe er sich telefonisch gemeldet und sie hätten sich scheiden lassen. Wenn er in Pakistan gewesen wäre, hätte ihr Vater eine Scheidung nicht zugelassen. Zur Zweitbeschwerdeführerin gab sie an, diese heiße XXXX und nicht XXXX . Sie sei am XXXX geboren. Auf Vorhalt, ihr Bruder habe angeführt, dass ihr Vater Elektriker sei, erklärte sie, ihr Vater habe etwa 40 Jahre als Elektriker gearbeitet und führe erst jetzt in der Pension das Schmuckgeschäft.

2. Mit den nunmehr jeweils in ihrem Spruchpunkt I. angefochtenen Bescheiden des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 27.02.2018 wurden die Anträge auf internationalen Schutz der Beschwerdeführerinnen bezüglich der Zuerkennung des Status von Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG abgewiesen (Spruchpunkt I.). Unter Spruchpunkt II. dieser Bescheide wurde den Beschwerdeführerinnen gemäß § 8 Abs. 1 AsylG der Status der subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt und ihnen eine befristete Aufenthaltsberechtigung gemäß § 8 Abs. 4 AsylG bis zum 27.02.2019 erteilt (Spruchpunkt III.).

In der Begründung des Bescheides betreffend die Erstbeschwerdeführerin stellte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl unter anderem fest, dass die Erstbeschwerdeführerin Staatsangehörige Pakistans sei, der Volksgruppe der Hazara angehöre und sich zur schiitischen Glaubensrichtung des Islam bekenne. Sie sei zweimal gegen ihren Willen verheiratet worden und sei nunmehr geschieden. Ihr zweiter Ehemann habe sie verlassen. Ob sie zuhause festgehalten worden sei, könne nicht festgestellt werden. Im Fall der Rückkehr in den Herkunftsstaat bestehe die Gefahr, dass ihr ihre Tochter, die minderjährige Zweitbeschwerdeführerin, weggenommen werde. Die Erstbeschwerdeführerin wäre in Pakistan neuerlich finanziell von ihrer Familie abhängig und müsse von ihr versorgt werden. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl traf auf den Seiten 22 bis 159 des Bescheides Länderfeststellungen zur Lage in Pakistan, einschließlich der Situation von Frauen (Seiten 114 bis 122) sowie zu Eheverbrechen an Frauen und Männern, unerwünschte Heiraten, Zwangsheirat und andere schädliche traditionelle Praktiken gegen Frauen (Seiten 122 bis 131).

Der Beweiswürdigung im angefochtenen Bescheid der Erstbeschwerdeführerin ist zu entnehmen, dass ihre Identität mangels entsprechender Personaldokumente nicht hinreichend festgestellt werden habe können, da sie lediglich Kopien des Reisepasses und des Personalausweises vorgelegt habe. Ferner seien die Angaben zu ihrem Namen widersprüchlich und könnten nicht mit dem Ergebnis der Vorortrecherche in Einklang gebracht werden. Demgegenüber seien ihre Angaben zur Staatsangehörigkeit, Volksgruppen- und Religionszugehörigkeit aufgrund ihrer dahingehend nachvollziehbaren Angaben glaubhaft. Nach Darstellung des Fluchtvorbringens der Erstbeschwerdeführerin wurde festgehalten, eine Vorortrecherche habe im Wesentlichen ihre Angaben zu ihrer zweiten Eheschließung, zur Scheidung sowie zum Verschwinden ihres Ehemanns bestätigt. Dennoch hätten vor Ort keine Daten erhoben werden können. Ihr Vorbringen, wonach sie im Elternhaus gegen ihren Willen festgehalten worden sei, habe durch die Recherche nicht bestätigt werden können und seien auch die diesbezüglichen Angaben der Erstbeschwerdeführerin nicht glaubhaft. Den allgemeinen Länderinformationen sei in Bezug auf die kulturellen und gesellschaftlichen Normen betreffend den Umgang mit geschiedenen Frauen in Pakistan zu entnehmen, dass das Gesetz zwar Diskriminierung aufgrund des Geschlechts verbiete, dies jedoch in der Praxis nicht umgesetzt werde und Frauen in verschiedenen Bereichen, wie etwa im Familienrecht, im Eigentumsrecht sowie innerhalb des Justizsystems diskriminiert werden würden. Ein bundesweites Gesetz gegen häusliche Gewalt gebe es nicht. Für XXXX gelte das Anfang 2014 erlassene Gesetz gegen häusliche Gewalt. Zur Anwendung dieses Gesetzes in der Praxis würden jedoch keine Informationen vorliegen. Die Angaben, wonach die Erstbeschwerdeführerin bereits im September oder Oktober 2014 ihre Heimat verlassen habe und mit der minderjährigen Zweitbeschwerdeführerin, ihrer Mutter, ihrer Schwester und ihrem Bruder in den Iran ausgewandert sei, würden als glaubhaft erachtet werden. Ausgehend von diesen Angaben könne jedoch nicht von einer direkten Flucht aus dem Herkunftsstaat nach Europa gesprochen werden. Ein zeitlicher Zusammenhang zwischen den von der Erstbeschwerdeführerin geltend gemachten Gründen für das Verlassen des Herkunftsstaates und ihrer Ausreise bestehe sohin nicht. Gegen einen zeitlichen Zusammenhang würden auch ihre Angaben sprechen, wonach sie von 2008 bis 2011 bzw. im Jahr 2012 oder im Jahr 2013 eingesperrt gewesen sei. In der Folge sei sie mit ihrem Cousin verheiratet worden und habe spätestens ab der Geburt der Tochter alleine mit dieser im Familienverband gelebt, bevor sie im September oder Oktober 2014 ausgereist sei. In Bezug auf die Situation von geschiedenen Frauen und Männern in Pakistan wurde ausgeführt, dass es Bestrebungen gebe, eine Verbesserung für Frauen in dieser Situation voranzutreiben. Die Bemühungen würden durch die konservative Haltung religiöser Oberhäupter erschwert und verzögert werden. Da die Erstbeschwerdeführerin über keine höhere Bildung verfüge, in Pakistan keine Berufserfahrung gesammelt habe und der Minderheit der Hazara angehöre, sei es ihr nicht möglich, sich in den Großstädten Pakistans durch die Ausübung einer Erwerbstätigkeit selbst zu versorgen und fernab der Familie ein unabhängiges Leben aufzubauen. Sie wäre daher gezwungen, sich im Fall der Rückkehr zur Sicherung ihrer Existenz in das Umfeld ihrer Familie zu begeben. Dies sei ihr jedoch nicht zumutbar. Festgehalten wurde weiters, dass die Sorge der Erstbeschwerdeführerin, die Zweitbeschwerdeführerin könne ihr im Fall der Rückkehr nach Pakistan zwangsweise abgenommen, berechtigt sei, da nach islamischem Recht der Vater der gesetzliche Vertreter des Kindes sei und in Pakistan das islamische Gesetz gegenüber anderen pakistanischen rechtlichen Institutionen Vorrang habe.

In rechtlicher Hinsicht wurde zu Spruchpunkt I. dieses angefochtenen Bescheides ausgeführt, weder aus dem Vorbringen der Erstbeschwerdeführerin noch aus dem Amtswissen lasse sich ableiten, dass die Erstbeschwerdeführerin im Fall der Rückkehr einer Verfolgung aufgrund der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder aufgrund ihrer politischen Gesinnung ausgesetzt wäre. Der Status der Asylberechtigten sei ihr daher nicht zuzuerkennen. Unter Spruchpunkt II. wurde unter Verweis auf die Beweiswürdigung festgehalten, die Erstbeschwerdeführerin gerate im Fall der Rückkehr nach Pakistan aufgrund ihrer Situation als geschiedene, alleinstehende Frau mit Kind in eine ausweglose Situation und sei ihr daher der Status der subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen.

Mit Verfahrensanordnung des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 28.02.2018 wurde den Beschwerdeführerinnen für das Beschwerdeverfahren amtswegig ein Rechtsberater zur Seite gestellt.

3. Mit Schriftsatz vom 27.03.2018 erhoben die Beschwerdeführerinnen im Wege ihrer nunmehr bevollmächtigten Vertretung Beschwerde gegen die jeweiligen Spruchpunkte I. der oben angeführten Bescheide wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit, unrichtiger rechtlicher Beurteilung, mangelhafter Beweiswürdigung und Mangelhaftigkeit des Verfahrens aufgrund fehlerhafter bzw. unzureichender Ermittlungen. Begründend wurde das wesentliche Fluchtvorbringen wiederholt und ergänzend ausgeführt, die Eltern des zweiten Ehemanns der Erstbeschwerdeführerin hätten ihr mitgeteilt, dass ihr Ehemann bei einer Explosion gestorben sei. Sie hätten gewollt, dass die Erstbeschwerdeführerin ihr Kind töte. Der Vater der Erstbeschwerdeführerin habe demgegenüber gewollt, dass sie ihr Kind ihren Schwiegereltern gebe. Nach einem Jahr habe sie ihr zweiter Ehemann kontaktiert. Er habe ihr erklärt, dass er sich scheiden lassen und seine Tochter zurückhaben wolle. Es wurde moniert, die Behörde habe verabsäumt sich mit der Frage auseinanderzusetzen, ob die Erstbeschwerdeführerin im Fall ihrer Rückkehr in den Herkunftsstaat neuerlich von Zwangsverheiratung betroffen wäre. So sei die Behörde richtiger Weise selbst davon ausgegangen, dass die Erstbeschwerdeführerin bereits zweimal Opfer von Zwangsverheiratung geworden sei und im Fall der Rückkehr sich neuerlich in das Umfeld ihres Vaters bzw. ihres Ex-Mannes begeben müsse. Folglich müsse sie nicht nur befürchten, ihre Tochter zu verlieren, sondern liefe auch Gefahr, neuerlich einer Zwangsverehelichung ausgesetzt zu sein. Hinzu komme, dass die Erstbeschwerdeführerin entgegen den Ausführungen der Behörde durchaus detailliert und glaubhaft geschildert habe, in ihrem Elternhaus festgehalten worden zu sein. Die Behörde hätte diesen Sachverhalt durch gezielte Nachfrage genauer ermitteln müssen. Zudem hätte die Behörde prüfen müssen, ob für die minderjährige Zweitbeschwerdeführerin eigene Fluchtgründe vorlägen. Als minderjährige Tochter einer geschiedenen Frau, welcher möglicherweise neuerlich eine Zwangsheirat drohe, wäre sie unter Umständen einer Verfolgung ausgesetzt. Ferner gehe bereits aus dem vom Bundesamt herangezogenen Länderinformationsblatt hervor, dass Hazara in Pakistan einer gezielten Verfolgung ausgesetzt seien. Die rechtliche Beurteilung der Behörde sei verfehlt, da die Erstbeschwerdeführerin im Fall der Rückkehr aufgrund ihrer Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe der Frauen, welche von Zwangsverheiratung bedroht seien, bzw. aufgrund der Zugehörigkeit zur Gruppe der geschiedenen, alleinerziehenden Frauen einer Verfolgung ausgesetzt sei.

4. Am 15.07.2020 fand vor dem Bundesverwaltungsgericht eine öffentliche mündliche Verhandlung unter Zuhilfenahme einer geeigneten Dolmetscherin für die Sprache Dari statt, an der die Erstbeschwerdeführerin mit ihrer Vertretung teilnahm. Ein Vertreter des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl ist nicht erschienen; das Bundesamt hat mit Schreiben vom 05.06.2020 auf die Teilnahme an der mündlichen Verhandlung verzichtet und die Abweisung der Beschwerde beantragt.

Eingangs der Verhandlung gab die Erstbeschwerdeführerin an, dass sie und die Zweitbeschwerdeführerin gesund seien. Ob sie schwanger sei, könne sie nicht genau sagen. In der Erstbefragung sei ein afghanischer Dolmetscher anwesend gewesen, der ihr gesagt habe, sie solle behaupten, Afghanin zu sein und alles bejahen, was er sage. Falls es Gegensätze gebe, könne sie nichts dafür. Im Rahmen der ersten und zweiten Befragung seien Dari-Dolmetscher beigezogen worden, bei der dritten Einvernahme habe ein Urdu-Dolmetscher übersetzt. Sie habe vor der Polizei sowie vor dem Bundesamt die Wahrheit gesagt. Bei der Protokollierung sei es allerdings zu Fehlern gekommen. Beispielsweise habe sie gesagt, dass der Junge der Sohn ihres Bruders sei, während protokolliert worden sei, dass es ihr eigener Bruder sei.

Auf Vorhalt, die Beschwerdeführerinnen seien im Verfahren unter zwei Identitäten aufgetreten, führte die Erstbeschwerdeführerin an, es sei bei ihnen so, dass sie keine Familiennamen hätten. Sie heiße XXXX . Alle Familienmitglieder hätten zwei Vornamen, aber keinen Nachnamen. Als sie nach dem Nachnamen gefragt worden sei, habe sie den Titel ihrer Familie angegeben, das sei „ XXXX “. Unter diesem Namen sei ihre Familie in der Nachbarschaft bekannt. Zur Identität der Zweitbeschwerdeführerin brachte sie vor, diese habe dasselbe Problem mit dem Familiennamen wie die Erstbeschwerdeführerin. In diesem Zusammenhang merkte die Dolmetscherin an, dass der Name der Erstbeschwerdeführerin auf ihrer Geburtsurkunde falsch geschrieben worden sei. Man schreibe den Namen so, wie ihn die Erstbeschwerdeführerin angeführt habe. Den Namen der Zweitbeschwerdeführerin schreibe man so, wie er auf der vorgelegten Karte für subsidiär Schutzberechtigte ersichtlich sei, nämlich „ XXXX “. Zu ihrem Familienstand führte die Erstbeschwerdeführerin an, sie sei bereits geschieden gewesen, als sie ausgereist sei. Im Herkunftsstaat werde eine Scheidung nur mündlich ausgesprochen. Ihre Mutter habe aber mit viel Mühe, Zeitaufwand und Geld eine Bestätigung für sie ausstellen lassen können. Eine Scheidung laufe so ab, dass der Mann den Mullah anrufe und sage, er soll ein Scheidungsgebet aussprechen. Der Mann sei dann die Frau los. Er bezahle dem Mullah hierfür Geld. Es werde nicht schriftlich dokumentiert; dies habe ihre Mutter im Nachhinein für sie erledigt. Im Zuge der Beschwerdeverhandlung wurde die Scheidungsurkunde vorgelegt. Diese wurde eingesehen und zurückgestellt. Auf Vorhalt, das Datum der Scheidungsurkunde sei entweder der XXXX .2012 oder XXXX .2012, führte die Erstbeschwerdeführerin aus, sie hätten einfach irgendein Datum geschrieben. Sie wisse es selbst nicht genau; für sie sei nur der Stempel wichtig gewesen, dass sie geschieden sei. Das genaue Datum kenne sie selbst nicht. Sie gehe davon aus, dass es das Datum der mündlichen Aussprache sei. Das angeführte Datum sei nicht das Datum der Ausstellung der Urkunde, sondern jenes der mündlichen Aussprache bzw. der Scheidung.

Zu ihrem Familienleben in Österreich gab sie an, sie habe neben der minderjährigen Zweitbeschwerdeführerin noch einen Sohn, der österreichischer Staatsangehöriger sei, da sein Vater ebenso österreichischer Staatsangehöriger sei.

Die Erstbeschwerdeführerin sei pakistanische Staatsangehörige, bekenne sich zum schiitischen Glauben und gehöre zu Balutschestan-Valesgani. Auf Vorhalt, sie habe vor dem Bundesamt angeführt, der Volksgruppe der Hazara anzugehören, erklärte die Erstbeschwerdeführerin, der Grund hierfür sei, dass der Vater ihrer Mutter Hazara, seine Frau aber ein Belutsch-Mädchen gewesen sei. Im Dorf seien sie als halb Hazara und halb Balutschen bekannt gewesen, daher habe sie vor dem Bundesamt angeführt, zur Volksgruppe der Hazara zu gehören. Auf die Frage, ob sie im Herkunftsstaat Probleme aufgrund ihrer Volksgruppen- oder Religionszugehörigkeit gehabt habe, gab sie an, sie habe Probleme gehabt, da sie diese Bekleidung nicht tragen habe wollen. Ferner habe sie Probleme wegen ihrer Zugehörigkeit zur schiitischen Glaubensgemeinschaft gehabt. Sie habe eine außereheliche Beziehung geführt und sei deswegen geflüchtet. Auf Nachfrage erklärte sie, sie habe das falsch verstanden. Probleme wegen ihrer Volksgruppen- oder Religionszugehörigkeit habe sie nicht gehabt. Ihre Religion habe sie nicht gewechselt, sie trage aber kein Kopftuch und könne schwimmen gehen. Christin sei sie nicht geworden, da sie der Meinung sei, es gebe ohnehin nur einen Gott. Sie gehe nicht in die Kirche und bete nicht viel. Das Menschliche sei ihr wichtiger. Die Erstbeschwerdeführerin spreche Urdu und Farsi, könne aber in diesen Sprachen nicht schreiben.

Zu ihrem Wohnort, zu ihren Familienangehörigen und zu ihrem Leben in Pakistan brachte die Erstbeschwerdeführerin vor, ihr Vater lebe an ihrer letzten Wohnadresse im Herkunftsstaat. Ferner habe sie noch ihre Mutter. Ihr großer Bruder XXXX sei verheiratet und habe drei Kinder. Ergänzend merkte sie an, dass der vor dem Bundesamt erwähnte XXXX I nicht ihr Bruder, sondern ihr Neffe sei. Ihre Schwester sei jünger als sie und lebe in Australien. Ihr Bruder XXXX befinde sich in Österreich. Ferner habe sie noch zwei jüngere Brüder und eine jüngere Schwester. Die letzten drei genannten Kinder seien nicht bei ihrer Mutter, sondern bei ihrer Tante väterlicherseits, da diese keine Kinder habe und der Vater der Erstbeschwerdeführerin es so beschlossen habe. Bis zu ihrer Ausreise aus dem Herkunftsstaat habe sie im Elternhaus gelebt. Lediglich während ihrer Ehe habe sie für die Dauer von sieben Monaten woanders gelebt. Ihr Wohnort sei zehn Minuten von ihrem Elternhaus entfernt gewesen. Bis sie 15 Jahre alt gewesen sei, habe sie mit ihren Eltern und ihren jüngeren Geschwistern im Haus der Eltern gelebt. Als sie mit 16 Jahren geheiratet habe, sei sie lediglich für drei Tage im Haushalt ihres Mannes gewesen. Anschließend sei sie nach Islamabad geflüchtet, woraufhin sie ihre Familie jedoch gefunden und zurückgeholt habe. Anschließend sei sie zwei Jahre zuhause gewesen, habe wieder geheiratet und sei sieben Monate lang im Haus des Vaters ihres Ehemanns gewesen. Anschließend habe sie wieder zuhause gelebt. Kontakt pflege sie nur zu ihrer Mutter. Im Herkunftsstaat habe sie lediglich sechs Jahre die Schule besucht, da ihre Eltern gesagt hätten, ein Mädchen brauche die Schule nicht länger besuchen. Als ihr Vater nicht zuhause gewesen sei, habe sie heimlich einen Englischkurs sowie einen Schneider- und Kosmetikkurs besucht. Ihr Vater habe davon nicht erfahren dürfen, ihre Mutter habe es aber schon gewusst. Ein Mädchen dürfe nur zuhause bleiben und nicht hinausgehen bzw. mit einem fremden Mann sprechen. Ihr Vater habe daher für den Lebensunterhalt der Familie gesorgt. Die finanzielle Situation ihrer Familie sei gut gewesen. Sie hätten Häuser, Geschäfte und Grundstücke gehabt. Der Vater habe als Elektriker gearbeitet, sei aber bereits in Pension. Ihr ältester Bruder sei Polizist. Auch ein Onkel väterlicherseits sei ein hochrangiger Polizist.

Zu ihrem Leben in Österreich brachte die Erstbeschwerdeführerin vor, sie habe hier alles, was sie in Pakistan nicht gehabt habe, nämlich einen Lebensgefährten, Familie und viele Freunde. Auf Nachfrage führte sie aus, aus ihrer Beziehung zu XXXX , welche sie im Erstverfahren erwähnt habe, sei nichts geworden, da ihr damaliger Freund am Ende auch wie ihr Vater entschieden habe, sie solle ein Kopftuch tragen und nicht mit Fremden sprechen. Sie habe das nicht gewollt und daher sei nichts daraus geworden.

Zu ihren Reisebewegungen und zu ihren Fluchtgründen wiederholte die Erstbeschwerdeführerin im Wesentlichen ihr bisher erstattetes Vorbringen. Ergänzend brachte sie vor, sie sei mit der Zweitbeschwerdeführerin geflüchtet und sei dann acht Monate im Iran gewesen. Sie habe ihren Reisepass sowie das Geld ihrer Mutter bei sich gehabt. Dann habe sie aber ihr Vater wiedergefunden. Sie sei dann aus dem Iran nach Istanbul und mit dem Schlauchboot nach Griechenland geflüchtet, von wo aus sie ihre Reise nach Österreich fortgesetzt habe. Konkret sei ihr Vater in den Iran gekommen und habe ihnen alles weggenommen. Er habe gewollt, dass sie am nächsten Tag nach Pakistan zurückkehren würden und die Erstbeschwerdeführerin wieder heirate. Ihre Mutter habe ihr gesagt, sie werde es nicht zulassen, dass die Erstbeschwerdeführerin nach Pakistan zurückkehren müsse. Die Erstbeschwerdeführerin sei mit ihrer Mutter zum Bruder ihrer Mutter geflüchtet. Ihr Onkel mütterlicherseits habe sie zum Essen eingeladen. Als ihr Vater geschlafen habe, habe ihnen der Schlepper zur Flucht verholfen. Erklärend führte die Erstbeschwerdeführerin weiter an, da sie bereits gewusst bzw. vermutet habe, dass ihr Vater kommen und ihnen die Pässe abnehmen werde, hätten sie schon vorab mit dem Onkel die weitere Flucht besprochen. Die Beschwerdeführerinnen seien dann gemeinsam mit der Mutter, dem Bruder und der Schwester der Erstbeschwerdeführerin geflüchtet.

Ihr Fluchtvorbringen ergänzte die Erstbeschwerdeführerin insoweit, als sie vorbrachte, als sie das erste Mal verheiratet worden sei, sei es sehr schwierig für sie gewesen, dies zu akzeptieren. Sie habe überhaupt nicht verstanden, wie ihr damaliger Ehemann mit ihr sexuell umgegangen sei. Er habe mit ihr geschlafen und sie habe nicht einmal gewusst, was Beischlaf sei. Sie habe solche Angst bekommen, dass sie geflüchtet sei. Vor der Hochzeit habe sie einen Monat lang vor ihren Eltern geweint, da sie nicht heiraten habe wollen. Sie habe zufällig gehört, dass in Islamabad Frauen keine Kopftücher tragen müssten und mehr Freiheiten hätten. Sie habe einen Jungen namens XXXX kennengelernt, mit welchem sie bereits drei Monate vor der Hochzeit geredet habe. Diesem habe sie Geld gegeben. Er habe ihr gesagt, sie könnten gemeinsam flüchten, zumal das Leben in Islamabad viel besser sei. Dieser Junge habe es aber tatsächlich auf ihr Geld und ihr Gold abgesehen gehabt. Zudem sei er auch sehr jung gewesen und sei ihm die Tragweite seiner Taten, nämlich die Flucht mit einer verheirateten Frau, nicht bewusst gewesen. Sie seien dann drei Tage nach der Hochzeit nach Islamabad geflüchtet. Als ihr Mann geschlafen habe, habe sie den Jungen angerufen, dass er sie abholen solle. In Islamabad habe der Junge Verwandte gehabt. Ihnen hätten sie gesagt, dass sie verheiratet seien, zumal man der Erstbeschwerdeführerin an ihrem Schmuck und ihrem Henna-Tattoo angesehen habe, dass sie verheiratet sei. Die Verwandten hätten sich gewundert, von der Eheschließung nichts gehört zu haben und hätten die Eltern des Jungen kontaktiert. Insgesamt seien sie zwei Wochen dort gewesen und eine Woche lang hätten sie ihnen noch geglaubt, dann hätten sie aber die Familie des Jungen angerufen. Jeder in der Umgebung der Erstbeschwerdeführerin habe mitbekommen, dass ein frisch verheiratetes Mädchen geflüchtet sei. Sie sei am selben Tag verschwunden wie der Junge. Von jeder Familie sei dann der älteste Bruder gekommen und habe sie getrennt weggebracht. Die Strafe für die außereheliche Beziehung (Zina) sei die Todesstrafe, aber die Familie von XXXX habe gemeint, dass er jung sei, und habe daher dem damaligen Ehemann der Erstbeschwerdeführerin Geld angeboten. Nachdem er das Geld bekommen habe und die Erstbeschwerdeführerin auch noch sehr jung gewesen sei, sei ihnen die Todesstrafe erlassen worden. Die Ältesten hätten auch ihr verziehen. Ihre Strafe sei jedoch gewesen, dass sie das Elternhaus nicht mehr verlassen habe dürfen, bis sie wieder heirate. Die Erstbeschwerdeführerin habe sogar eine Fußfessel mit einer Kette bekommen. Ihre Mutter habe ihr beim WC-Gang geholfen und habe ihr Essen gebracht. Die Erstbeschwerdeführerin habe ihr Zimmer nicht verlassen dürfen und habe sich auch in diesem Zimmer gewaschen. Selbst beim Schlafen habe sie die Fußfessel getragen. Den Tag habe sie damit verbracht, ihrer Mutter bei der Essensvorbereitung zu helfen und zu basteln. Sie habe keinen Fernseher, kein Internet, kein Radio und natürlich auch kein Handy gehabt. Es sei auch verboten gewesen, dass Fremde, aber auch Mitglieder ihrer Familie mit ihr sprechen. Sie hätten sie „herabgestuft“ und hätten zu jedem gesagt, man solle nicht mit ihr sprechen, weil sie es nicht wert sei. Eine Scheidung von ihrem ersten Mann sei ausgesprochen worden, etwas Schriftliches habe sie darüber aber nicht.

Insgesamt sei sie ca. zwei Jahre im Hausarrest gewesen. Der [spätere] Vater der minderjährigen Zweitbeschwerdeführerin sei aus dem Ausland gekommen und sei offener gewesen. Er habe sich für sie interessiert. Bereits in der Kindheit habe er sie gemocht; er sei ihr Cousin mütterlicherseits. Allerdings sei jeder zu ihm gegangen und habe ihm gesagt, dass die Erstbeschwerdeführerin schlecht sei. Diese Aussagen und Gespräche hätten ihn beeinflusst. Seine Familie sei mit der Ehe auch nicht einverstanden gewesen und er sei dann nach Australien geflüchtet. Als die Erstbeschwerdeführerin schwanger geworden sei, habe er ihr gesagt, wenn es ein Mädchen werde, werde es – ebenso wie die Erstbeschwerdeführerin – schlecht werden. Er habe gewollt, dass sie das Kind abtreibe. Sie seien dann als Gäste zum Haus ihrer Eltern gekommen und er sei geflüchtet. Konkret sei er nach Australien gegangen, da seine Familie auch dort gewesen sei. Er sei vor der Erstbeschwerdeführerin geflüchtet. Seine Familie habe sie einige Monate dahingehend belogen, dass ihr Ehemann in XXXX bei einer Explosion verstorben sei. In Australien seien seine Mutter und seine Geschwister, sein Vater sei in Pakistan gewesen. Als sie ihr Ehemann verlassen habe, sei sie im zweiten oder dritten Monat schwanger gewesen. Auf Vorhalt, sie habe zuvor gesagt, ihr Mann habe eine Abtreibung gefordert, da es ein Mädchen werde, obwohl er dies zu diesem Zeitpunkt noch nicht wissen habe können, führte die Erstbeschwerdeführerin aus, er habe es natürlich nicht gewusst. Wenn man aber „dort“ ca. zehn Kinder habe, sei klar, dass eines davon ein Mädchen werde. Er habe befürchtet, dass das Wesen des Kindes schlecht sei, egal welches Geschlecht es haben werde. Warum er sie überhaupt geheiratet habe, wisse sie nicht. Er habe nicht mehr ständig hören wollen, dass seine Frau schlecht sei und sei dann weggelaufen. Sie denke, wenn er sich normal scheiden lassen hätte wollen, hätte ihn ihr Vater getötet. Der Vater ihres Mannes habe ihren Vater belogen, als er gesagt habe, dass ihr Ehemann gestorben sei. Sie glaube, ihr Schwiegervater habe sich vor ihrem Vater auch gefürchtet. Auf Vorhalt, sie habe vor dem Bundesamt angegeben, ihr Vater habe sie vor dieser Ehe mit einem anderen Mann verheiraten wollen, der bereits verheiratet gewesen sei und Kinder gehabt habe, führte sie an, dies würde stimmen. Ihr Vater warte noch, bis sie zurückkehre. Es sei ein Nachbar, der bei ihrem Vater um ihre Hand angehalten habe. Dieser habe seinem Vater gesagt, dass er ihr Kind (= die Zweitbeschwerdeführerin) nicht akzeptieren werde. Ihr Vater habe zunächst überlegt, aber der Nachbar habe Geld gehabt und ihrem Vater sei es egal gewesen, dass er schon verheiratet gewesen sei. Der Nachbar habe sie schon immer heiraten wollen, aber ihr Vater habe zuvor eher ihren Cousin akzeptiert, da dieser zur Familie gehöre. Die Frage, ob sie ihren Cousin freiwillig geheiratet habe, bejahte die Erstbeschwerdeführerin und führte begründend aus, er sei ihr Cousin, sie habe ihn gekannt, er habe keine Kinder gehabt und alles sei besser als eine Fußfessel gewesen. Zu ihrem Leben nach der Flucht ihres zweiten Ehemanns gab die Erstbeschwerdeführerin an, ihre Familie sei „müde“ von ihrer Geschichte gewesen. Sie sei nicht mehr angekettet gewesen; wohin hätte sie auch als Schwangere hinsollen. Sie habe in ihrem alten Zimmer gewohnt, habe aber nicht die gleichen Rechte wie andere Schwangere gehabt. Die Frau ihres Bruders sei zeitgleich schwanger gewesen und sei – im Gegensatz zur Erstbeschwerdeführerin - von allen geliebt und verwöhnt worden. Die Erstbeschwerdeführerin habe viel mehr arbeiten müssen als ihre Schwägerin und es sei auch sehr schlimm für sie gewesen.

Zur Frage, was der Grund für ihre Anzeige im Oktober 2015 gegen den Halbbruder ihrer Mutter gewesen sei, führte sie an, als sie nach Österreich gekommen sei, habe die Frau des Halbbruders ihrer Mutter die Erstbeschwerdeführerin im Camp wiedererkannt, woraufhin sie ihrem Mann davon berichtet habe. Dieser habe sie dann angerufen und ihr gedroht, er werde sie umbringen. Sie sei nur ca. eine Woche im Camp geblieben. Der Halbbruder ihrer Mutter sei zum Camp gekommen, um die Erstbeschwerdeführerin zu finden. Ihm sei der Zutritt zum Camp allerdings verweigert worden. Aus diesem Grund sei ihr aber erlaubt worden, in eine Wohnung zu übersiedeln. Der Halbbruder seiner Mutter habe von ihrem jüngeren Bruder ihre Telefonnummer bekommen. Daraufhin habe er sie eine Woche lang jeden Abend angerufen und bedroht. Nachdem er einigen Leuten Geld gegeben habe, um ihren Bruder ausfindig zu machen, sei die Erstbeschwerdeführerin gezwungen gewesen, Anzeige zu erstatten.

Die minderjährige Zweitbeschwerdeführerin habe keine eigenen Fluchtgründe. Sie sei sehr klein gewesen und die Erstbeschwerdeführerin habe sie mitgenommen.

Zu ihren Rückkehrbefürchtungen gab die Erstbeschwerdeführerin an, sie habe dargelegt, wie sie in Österreich lebe und aussehe. Für ihren Bruder und ihren Vater, die sehr streng gläubig seien, sei sie schon tot. Sie hätten für sie ein Todesgebet ausgesprochen. Den Leuten hätten sie gesagt, dass die Erstbeschwerdeführerin für sie gestorben sei und sie mit ihr nichts mehr zu tun haben wollen würden. Würde sie zurückkehren, würde sie von ihnen umgebracht werden. Sie würden auch nicht wissen, dass sie ein Kind ohne Heirat habe. Ein uneheliches Kind von einem Christen zu bekommen, sei noch schlimmer, als das, was sie gemacht habe. Ferner fürchte sie sich vor den Familienmitgliedern ihres ersten Ehemannes. Es gebe viele Männer, die Angst hätten, dass ihre Frauen sich ähnlich wie die Erstbeschwerdeführerin verhalten könnten. Im Allgemeinen hätten Leute ein Problem mit ihr, weil sie „diese Sachen“ gemacht habe. Sie habe nur versucht, ihr Leben zu leben und zu genießen. Sie wolle so leben, wie sie sei.

Im Rahmen der mündlichen Verhandlung legte die Erstbeschwerdeführerin nachstehende verfahrensrelevante Unterlagen vor:

?        Geburtsurkunde der Erstbeschwerdeführerin, aus welcher hervorgeht, dass sie unter dem Namen XXXX , geboren am XXXX in XXXX , registriert wurde;

?        Geburtsurkunde der Zweitbeschwerdeführerin, aus welcher das Geburtsdatum XXXX ersichtlich ist und

?        Geburtsurkunde des minderjährigen Sohnes der Erstbeschwerdeführerin vom XXXX .01.2019, ausgestellt vom Standesamt XXXX , aus welcher hervorgeht, dass er am XXXX in Österreich geboren ist

Weiters wurde eine Stellungnahme vorgelegt, in welcher zusammengefasst ausgeführt wird, dass die der Erstbeschwerdeführerin übermittelten Länderinformationen zur allgemeinen Situation in Pakistan die Rückkehrbefürchtungen der Erstbeschwerdeführerin bestätigen würden und die reale Gefahr bestehe, dass sie aufgrund ihrer außerehelichen Beziehung, ihrem unehelichen Kind sowie ihrer verwestlichten Haltung in Pakistan verfolgt werden würde sowie allenfalls neuerlich einer Zwangsverheiratung ausgesetzt wäre. In der Folge wurden Auszüge aus dem Länderinformationsblatt wiedergegeben. Ferner wurde auf einen Bericht des UK Home Office „Country Policy and Information Note Pakistan: Women fearing gender-based violence“ von Feber 2020 sowie auf die ACCORD-Anfragebeantwortung „Konsequenzen bei vorehelichem Geschlechtsverkehr“ hingewiesen und ausgeführt, dass in diesen Berichten das im Länderinformationsblatt gezeichnete Bild bestätigt werde. Aus den Erkenntnisquellen gehe klar hervor, dass Frauen insbesondere bei sogenannten Ehrverletzungen regelmäßig drakonische Bestrafungen oder der Tod drohen würde. Polizeilicher Schutz sei nicht gegeben. In Unterstützungszentren würden Frauen Gefahr laufen, erneut Opfer von geschlechtsspezifischer Gewalt zu werden. Aufgrund des Bruches mit den gesellschaftlichen Traditionen und Werten laufe die Erstbeschwerdeführerin Gefahr, Opfer eines Ehrenmordes zu werden. Ihr drohe sohin Verfolgung aus religiösen und (unterstellten) politischen Gründen. Zudem zähle sie zur sozialen Gruppe der Frauen, welche wegen Ehrverletzungen verfolgt werden würden. Im Fall der Rückkehr komme ihr kein Schutz durch die pakistanischen Behörden zu. Würde die Erstbeschwerdeführerin von ihrer Familie im Herkunftsstaat verstoßen werden, wäre es ihr überdies faktisch unmöglich, sich unbehelligt niederzulassen. Aufgrund der dargelegten Gründe sei ihr der Status der Asylberechtigten gemäß § 3 AsylG zuzuerkennen.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Zu den Beschwerdeführerinnen:

1.1.1. Die Erstbeschwerdeführerin ist die Mutter der minderjährigen Zweitbeschwerdeführerin. Beide Beschwerdeführerinnen sind Staatsangehörige von Pakistan und stammen aus XXXX . Die Erstbeschwerdeführerin bekennt sich zur schiitischen Glaubensrichtung des Islam und gehört einerseits der Volksgruppe der Hazara, andererseits der Volksgruppe der Balutschestan-Valesgani an.

1.1.2. Anfang des Jahres 2014 verließen die Beschwerdeführerinnen gemeinsam mit der Mutter, der Schwester sowie einem jüngeren Bruder der Erstbeschwerdeführerin den Herkunftsstaat und verzogen für die Dauer von acht Monaten in den Iran. Anschließend setzten sie ihre Flucht nach Europa fort. In der Türkei kam es jedoch zu einer Trennung von der Mutter und der Schwester der Erstbeschwerdeführerin, da diese nach Pakistan zurückgeschoben wurden. Die Beschwerdeführerinnen flüchteten von der Türkei aus nach Griechenland und reisten weiter nach Österreich, wo die Erstbeschwerdeführerin am 21.08.2015 nach illegaler Einreise für sich und als gesetzliche Vertreterin für die minderjährige Zweitbeschwerdeführerin die gegenständlichen Anträge auf internationalen Schutz stellte. Mit Bescheiden des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 27.02.2018 wurde den Beschwerdeführerinnen der Status von subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt.

1.1.3. Die Erstbeschwerdeführerin besuchte im Herkunftsstaat ca. sechs Jahre die Schule. Ein weiterer Schulbesuch wurde ihr von ihren Eltern verwehrt, da ihrer Ansicht nach ein Mädchen nicht länger zur Schule gehen muss. Als ihr Vater für längere Zeit im Iran war, besuchte die Erstbeschwerdeführerin jedoch im Einverständnis mit ihrer Mutter verschiedene Kurse. Einer Erwerbstätigkeit ging sie nicht nach, sondern ihr Vater sorgte für den Lebensunterhalt der Familie.

Im Alter von 16 Jahren wurde die Erstbeschwerdeführerin von ihren Eltern gegen ihren Willen verheiratet. Aus Angst vor ihrem Ehemann flüchtete sie drei Tage nach der Eheschließung aus dem Haus ihres Ehemannes und reiste mit einem Jungen namens XXXX , welchen sie bereits ein paar Monate zuvor kennengelernt hatte, nach Islamabad zu dessen Angehörigen. Gegenüber seinen Angehörigen behaupteten die Erstbeschwerdeführerin und XXXX , miteinander verheiratet zu sein. Als sich jedoch herausstellte, dass dies nicht den Tatsachen entspricht, wurden sie jeweils von ihrem ältesten Bruder zu ihren Familien zurückgebracht. In der Folge wurde eine Jirga-Versammlung abgehalten, im Zuge derer ihnen aufgrund der Führung einer außerehelichen Beziehung („zina“) mit der Todesstrafe gedroht wurde. In der Versammlung einigte man sich letztlich insbesondere aufgrund ihres jugendlichen Alters darauf, dass die Familie von XXXX einen Geldbetrag an den Ehemann der Erstbeschwerdeführerin leistet und XXXX im Gegenzug begnadigt wird. Über die Erstbeschwerdeführerin wurde als Strafe ein Hausarrest verhängt, der so lange dauern sollte, bis sie wieder heiratet. Die mit ihrem (ersten) Ehemann geschlossene Ehe wurde nach islamischem Ritus geschieden.

Während ihres Hausarrests, welcher insgesamt ca. zwei Jahre andauerte, war die Erstbeschwerdeführerin in ihrem Zimmer im Elternhaus angekettet und durfte ihr Zimmer auch nicht in Begleitung anderer Personen verlassen. Ihren Alltag bewältigte sie mithilfe ihrer Mutter. Familienmitgliedern oder Bekannten war es in dieser Zeit verboten mit der Erstbeschwerdeführerin zu sprechen, da die Flucht vor ihrem ersten Ehemann aus Sicht der (männlichen) Familie sowie des sozialen Umfeldes ein gravierendes Fehlverhalten darstellte.

Ein Nachbar der Erstbeschwerdeführerin, welcher bereits verheiratet war und Kinder hatte, hielt in weiterer Folge bei ihrem Vater um ihre Hand an. Als ihr Cousin XXXX aus dem Ausland nach Pakistan zurückkehrte, wurde allerdings eine Ehe zwischen der Erstbeschwerdeführerin und ihrem Cousin arrangiert, woraufhin die Erstbeschwerdeführerin zu ihrem Ehemann XXXX und dessen Vater zog. Das soziale und familiäre Umfeld übte in der Folge Druck auf den (zweiten) Ehemann der Beschwerdeführerin aus, indem es ihm vorhielt, dass die Erstbeschwerdeführerin aufgrund ihrer Taten, welche zur Scheidung der ersten Ehe geführt hatten, einen schlechten Charakter habe. Als die Erstbeschwerdeführerin wenige Monate nach der Eheschließung schwanger wurde, hielt ihr der Ehemann schließlich vor, dass auch das Kind einen schlechten Charakter haben werde, und forderte sie zur Abtreibung auf. Schließlich verließ er die Erstbeschwerdeführerin heimlich, als sie im zweiten oder dritten Monat schwanger war. Er zog nach Australien, wo bereits ein Teil seiner Familie lebte. Die Schwiegereltern der Erstbeschwerdeführerin behaupteten gegenüber ihrer Familie, dass ihr Ehemann in Pakistan bei einer Explosion verstorben sei. Nach dem Verschwinden ihres Ehemanns zog die Erstbeschwerdeführerin neuerlich in ihr Elternhaus, wo sie sich nunmehr frei bewegen konnte. Im Juli 2012 wurde schließlich die minderjährige Zweitbeschwerdeführerin, die Tochter der Erstbeschwerdeführerin und XXXX , geboren. Nachdem die Erstbeschwerdeführerin herausgefunden hatte, dass ihr Ehemann noch lebt, wurde ihre Ehe geschieden. Der Nachbar der Erstbeschwerdeführerin war auch nach ihrer zweiten Scheidung an einer Eheschließung mit ihr interessiert, wollte die Zweitbeschwerdeführerin jedoch nicht zu sich nehmen. Da die Erstbeschwerdeführerin in Pakistan kein selbstbestimmtes Leben führen konnte und ihr neuerlich eine Zwangsverehelichung drohte, entschloss sie sich, aus dem Herkunftsstaat zu flüchten.

Durch ihre Flucht verletzte die Erstbeschwerdeführerin die Ehre der Familie, da sie sich der Kontrolle ihres Vaters entzog und sich gleichzeitig der von ihm geplanten Verehelichung mit ihrem Nachbarn widersetzte, um letztlich ein selbstbestimmtes Leben führen zu können. Dieses Verhalten der Erstbeschwerdeführerin steht ferner im Widerspruch zu den religiösen Vorstellungen ihres familiären und sozialen Umfeldes, insbesondere jedoch ihres Vaters und ihres im Herkunftsstaat wohnhaften Bruders. Im Fall der Rückkehr in ihre Heimatregion liefe die Erstbeschwerdeführerin Gefahr, von einem ihrer Angehörigen entdeckt und von ihrer Familie entweder getötet oder unmenschlicher Strafe sowie einer neuerlichen Zwangsheirat unterworfen zu werden. Ebenso besteht die reale Gefahr, dass ihr soziales oder familiäres Umfeld eine Jirga organisiert und im Rahmen einer solchen eine unmenschliche Strafe über sie verhängt wird. Eine Schutzfähigkeit bzw. Schutzwilligkeit der pakistanischen Behörden bzw. der pakistanischen Polizei betreffend die Beschwerdeführerinnen besteht nicht.

In Österreich lebt die Erstbeschwerdeführerin in einer Lebensgemeinschaft mit einem österreichischen Staatsangehörigen und hat mit diesem ein gemeinsames (uneheliches) Kind. Die Erstbeschwerdeführerin kleidet sich (westlich) modern, trägt ihre (langen) Haare offen und verhält sich selbstbestimmt. Sie ist in Österreich strafrechtlich unbescholten.

1.2. Zur verfahrensrelevanten Situation in Pakistan:

1.2.1. Frauen:

Die Rolle der Frau in Pakistan wird in erster Linie von einer islamischen Gesellschaft geprägt, in der weite Teile einer sehr konservativen Denkweise anhängen. Dem setzen sich vor allem Frauen aus der wirtschaftlichen Oberschicht entgegen, denen es z.T. gelingt, wichtige Positionen in Staat und Gesellschaft zu erringen (AA 21.8.2018). Das Gesetz verbietet Diskriminierung aufgrund des Geschlechts, aber die Behörden setzen diese Bestimmung nicht durch. Frauen sind mit Diskriminierung im Beruf, Erb-, Familien- und Eigentumsrecht sowie im Justizsystem konfrontiert (USDOS 13.3.2019). Dies gilt unter anderem aufgrund der Anwendung der Scharia, die in Teilen des materiellen und prozessualen Rechts vorrangig zur Anwendung kommt (AA 21.8.2019).

Frauen nehmen als Mitglieder politischer Parteien aktiv am politischen Geschehen teil. In ländlichen Gebieten halten kulturelle und traditionelle Barrieren Frauen oft davon ab, zu wählen (USDOS 13.3.2019). Gemäß dem 2017 verabschiedeten neuen Wahlgesetz müssen Frauen mindestens 5 % der Kandidatenplätze einer Partei bekommen. Wenn weniger als 10 % der Frauen ihre Stimme abgeben, wird davon ausgegangen, dass die Frauenstimmen unterdrückt wurden und das Ergebnis für den betreffenden Wahlkreis (Constituency) wird annulliert (Herald 18.9.2018; vgl. USDOS 13.3.2019). In Folge der Parlamentswahlen 2018 wurden aus diesem Grund in mehreren Wahlkreisen Nachwahlen durchgeführt (Herald 18.9.2018).

Das Familienrecht legt klare Richtlinien mit Bezug auf Schutz für Frauen im Falle einer Scheidung, Unterhaltsleistungen, sowie das Sorgerecht für minderjährige Kinder vor (USDOS 13.3.2019).

Rechtliche Bestimmungen, die Frauen benachteiligen, finden sich u. a. auch im pakistanischen Strafgesetz, dem Staatsangehörigkeitsrecht und in der Gesetzgebung zum Schutz der Frau (AA 21.8.2018). Wichtige Gesetze zum Schutz der Frauenrechte wurden nicht verabschiedet und die bestehende Gesetzgebung wird nicht durchgesetzt (AI 21.2.2018).

Der Strafrahmen für Vergewaltigung reicht von zehn bis 25 Jahren Haft und einer Geldstrafe bis zur Todesstrafe. Gruppenvergewaltigungen werden mit Hinrichtung oder lebenslanger Haft bestraft. Vergewaltigung in der Ehe ist kein Verbrechen (USDOS 13.3.2019). Geschlechtsverkehr mit Frauen unter 16 Jahren gilt als Vergewaltigung (AA 21.8.2018). Obwohl Vergewaltigungen häufig vorkommen, werden sie nur selten angezeigt und bei Anzeigen sind Strafverfolgungen selten. Es gibt keine zuverlässigen Statistiken zum Strafbestand. Die Polizei setzt manchmal Vergewaltigungsopfer unter Druck, die Anzeige fallenzulassen, insbesondere wenn der mutmaßliche Täter eine einflussreiche Person ist oder die Polizei bestochen hat. Es gibt Fälle, dass die Polizei erst Bestechungsgeld verlangt, bevor eine Anzeige wegen Vergewaltigung aufgenommen wird. Außergerichtliche Einigungen nach Vergewaltigungen sind häufig, oft muss das Opfer dabei den Täter heiraten (USDOS 13.3.2019).

Im Jahr 2016 verabschiedete das Parlament ein neues Anti-Vergewaltigungsgesetz, das die Abnahme von DNS, Datenschutz des Opfers und das Recht auf rechtliche Vertretung vorsieht. Medizinische Tests nach einer Vergewaltigung nehmen zu, in vielen Gebieten ist das medizinische Personal jedoch dazu nicht ausreichend geschult (USDOS 13.3.2019).

Das so genannte „Zina-Gesetz“ von 1979, das den außerehelichen Geschlechtsverkehr generell unter Strafe stellt, ist weiterhin gültig, wurde aber de facto mit dem 2006 verabschiedeten „The Protection of Women Act“ weitgehend außer Kraft gesetzt. Der Federal Shariat Court of Pakistan erklärte allerdings bereits Ende 2010 Teile des Protection of Women Act für unislamisch und verfassungswidrig. Über eine Verfassungsklage gegen dieses Gerichtsurteil ist bislang noch nicht entschieden worden (AA 21.8.2018).

Der einvernehmliche Geschlechtsverkehr zwischen Mann und Frau, die nicht miteinander verheiratet sind, ist im Strafgesetzbuch als Unzucht („Fornication“) definiert und kann mit bis zu fünf Jahren Haft bestraft werden (PPC 1860/2012 § 496B). Ehebruch wird laut Strafgesetzbuch wie Unzucht behandelt; die Todesstrafe wird bei Ehebruch nicht mehr verhängt (AA 21.8.2018; vgl. PPC 1860/2012 § 496B, ex § 497). Für eine Anzeige werden hohe verfahrensrechtliche Hürden aufgestellt, eine Verhaftung kann nur auf richterliche Anordnung erfolgen; Freilassung auf Kaution ist möglich. Bei Vergewaltigung kann sowohl nach pakistanischem Strafgesetzbuch als auch nach den „Hudood“-Verordnungen durch eine Anzeige und unter Beiziehung forensischer und medizinischer Indizien das Gerichtsverfahren eröffnet werden. Über die Anklage entscheidet ein Richter. Die Umwandlung einer Vergewaltigungsklage in eine Anklage wegen Ehebruchs gegen das Opfer – eine bislang übliche Praxis – wird ausdrücklich ausgeschlossen (AA 21.8.2018).

Sexuelle Belästigung ist trotz zahlreicher Gesetze weit verbreitet. Gesetze sehen die Etablierung von Ombudspersonen in allen Provinzen vor; Sindh, Punjab, Khyber Pakhtunkhwa und Gilgit Baltistan haben diese eingerichtet (USDOS 13.3.2019; vgl. Abschnitt 9).

Häusliche Gewalt ist weit verbreitet und kann in einigen Fällen – unter anderem wegen Mitgiftstreitigkeiten – bis zu Mord, Verbrennung, Säureangriffen oder zu Verstümmelung führen.

Die Gewalt geht sowohl von Ehemännern als auch den Familien der Ehemänner aus (USDOS 13.3.2019). Gesetze gegen häusliche Gewalt wurden in den Provinzen Sindh (2013), Belutschistan (2014) und Punjab (2016) verabschiedet. In Khyber Pakhtunkhwa wurde der Provinzversammlung ein entsprechendes Gesetz im Februar 2019 zur Diskussion vorgelegt (Dawn 13.2.2019). Es gibt kein Bundesgesetz, das häusliche Gewalt verbietet (USDOS 13.3.2019).

Frauen sind ernsthaften Schwierigkeiten ausgesetzt, Misshandlungen anzuzeigen. Polizei und Gerichte sind abgeneigt, Fälle häuslicher Gewalt zu verfolgen, da diese als Familienprobleme angesehen werden. Statt Anzeigen aufzunehmen, ermutigt die Polizei die Streitparteien, sich zu versöhnen und schickt Missbrauchsopfer regelmäßig zu ihrer sie missbrauchenden Familie zurück. Um den sozialen Normen entgegenzuwirken, die Opfer davon abhalten, geschlechtsspezifische Gewalt anzuzeigen, wurden Frauenpolizeistationen mit weiblichen Angestellten eingerichtet, die Frauen einen sicheren Zufluchtsort für Anzeigen bieten. Diese Stationen sind allerdings von Personalmangel und mangelhafter Ausstattung betroffen (USDOS 13.3.2019).

Die Regierung unterhält ein Krisenzentrum für Frauen in Notlagen, das misshandelte Frauen an NGOs zur Unterstützung weitervermittelt. Weiters gibt es zahlreiche staatliche „Shaheed Benazir Bhutto“-Frauenschutzzentren, die temporären Schutz, rechtliche Hilfe sowie medizinische und psychologische Betreuung bieten. Von diesen werden die Frauen in eines von landesweit mehreren hundert, von den Provinzen verwalteten Dar-ul-Aman (Frauen- und Kinderzentren) weitergeleitet, wo Unterkunft und medizinische Versorgung gewährt werden, allerdings keine rechtliche oder psychologische Beratung. Viele Regierungszentren sind überfüllt und nicht ausreichend mit Ressourcen und Personal ausgestattet. Es gibt Fälle, in denen Frauen in staatlichen Schutzhäusern missbraucht, in ihrer Bewegungsfreiheit eingeschränkt oder gedrängt wurden, zu ihren Misshandlern zurückzukehren. Es gibt auch einige Berichte, dass Frauen in den Zentren zur Prostitution gezwungen wurden (USDOS 13.3.2019).

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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