TE Bvwg Erkenntnis 2020/12/9 W187 2193256-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 09.12.2020
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Entscheidungsdatum

09.12.2020

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §3 Abs2
AsylG 2005 §3 Abs5
B-VG Art133 Abs4

Spruch


W187 2193256-1/15E
W187 2193331-1/15E
W187 2193327-1/15E
W187 2235483-1/5E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Hubert REISNER als Einzelrichter über die Beschwerden von 1. XXXX , geboren am XXXX , 2. XXXX , geboren am XXXX , 3. des minderjährigen XXXX , geboren am XXXX und 4. des minderjährigen XXXX , geboren am XXXX , alle Staatsangehörigkeit Afghanistan, die Minderjährigen vertreten durch ihre Mutter, XXXX , alle vertreten durch den Verein Menschenrechte Österreich, gegen die Bescheide des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl vom jeweils XXXX , 1. XXXX , 2. XXXX und 3. XXXX , sowie vom XXXX , 4. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am XXXX zu Recht:

A)

Den Beschwerden wird stattgegeben und XXXX und XXXX gemäß § 3 Abs 1 Asylgesetz 2005, sowie dem minderjährigen XXXX und dem minderjährigen XXXX gemäß § 3 Abs 1 iVm § 34 Abs 2 Asylgesetz 2005 der Status der Asylberechtigten zuerkannt.

Gemäß § 3 Abs 5 Asylgesetz 2005 wird festgestellt, dass XXXX , XXXX , dem minderjährigen XXXX und dem minderjährigen XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

B)

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe

I. Verfahrensgang

1. Das Ehepaar XXXX (in der Folge: Erstbeschwerdeführerin) und XXXX (in der Folge: Zweitbeschwerdeführer) reiste gemeinsam unter Umgehung der Einreisebestimmungen in das österreichische Bundesgebiet ein, wo sie am XXXX jeweils einen Antrag auf internationalen Schutz stellten.

2. Die Erstbeschwerdeführerin und der Zweitbeschwerdeführer wurden im Rahmen ihrer jeweiligen Erstbefragungen durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes im Beisein eines Dolmetschers für die Sprache Dari zu ihren Identitäten, ihrer Reiseroute und ihren Fluchtgründen einvernommen. Dabei gaben sie übereinstimmend an, miteinander verheiratet zu sein.

Die Erstbeschwerdeführerin gab im Rahmen ihrer Erstbefragung am XXXX an, am XXXX in Afghanistan geboren zu sein, der Volksgruppe der Hazara anzugehören, sowie schiitische Moslemin zu sein. Sie sei im Iran aufgewachsen und habe nie in Afghanistan gelebt. Als Beweggrund für die Ausreise gab sie an, sie habe mit ihrem jetzigen Gatten, dem Zweitbeschwerdeführer, eine (außereheliche) Beziehung geführt. Als ihre Familie die Beziehung bemerkt habe, seien sie bedroht worden, dass man sie bei der Behörde anzeigen werde. Die Erstbeschwerdeführerin und der Zweitbeschwerdeführer hätten schließlich heimlich geheiratet, weil ihre Familie gegen die Heirat gewesen sei. Nach der Hochzeit seien sie nach XXXX übersiedelt und hätten ungefähr zwei Monate dort gelebt, ehe sie ihre Ausreise aus dem Iran organisierten. Nach Afghanistan könne die Erstbeschwerdeführerin nicht zurück, weil ihr Leben dort als schiitische Hazara gefährdet sei. Außerdem habe sie dort nie gelebt.

Der Zweitbeschwerdeführer gab im Rahmen seiner Erstbefragung am XXXX an, am XXXX in Afghanistan geboren zu sein, der Volksgruppe der Hazara anzugehören sowie schiitischer Moslem zu sein. Als Beweggrund für die Ausreise führte er an, er habe mit seiner Freundin (der Erstbeschwerdeführerin) eine Beziehung geführt. Ihre Familien seien jedoch gegen die Verbindung gewesen, weshalb sie heimlich geheiratet hätten. Als ihre Familien davon erfuhren, hätten sie sie bei den Behörden anzeigen wollen. Der Zweitbeschwerdeführer sei daher mit der Erstbeschwerdeführerin von XXXX nach XXXX übersiedelt, wo sie zwei Monate lebten. Anschließend hätten sie ihre Ausreise aus dem Iran geplant und organisiert. Der Zweitbeschwerdeführer habe niemanden in Afghanistan und fürchte die dortigen Anschläge und die Taliban.

3. Am XXXX wurde der gemeinsame Sohn der Erstbeschwerdeführerin und des Zweitbeschwerdeführers, XXXX (in der Folge: Drittbeschwerdeführer), geboren. Die Erstbeschwerdeführerin stellte am XXXX als gesetzliche Vertreterin für den Drittbeschwerdeführer einen Antrag auf internationalen Schutz.

4. Die Erstbeschwerdeführerin und der Zweitbeschwerdeführer wurden am XXXX vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl im Beisein eines Dolmetschers für die Sprache Farsi niederschriftlich zu ihren Anträgen auf internationalen Schutz einvernommen.

Die Erstbeschwerdeführerin gab hier zunächst an, dass sie zwar keine Medikamente einnehme und sich auch nicht in ärztlicher Therapie befinde, jedoch auf einer Seite im Gesicht taub sei. Afghanistan habe sie im Alter von zwei Jahren verlassen und sei im Iran aufgewachsen. Grund für die Ausreise aus Afghanistan seien Grundstücksstreitigkeiten ihres Vaters sowie die Verfolgung schiitischer Hazara gewesen. Zu ihrem aktuellen Beweggrund für ihre Ausreise legte die Erstbeschwerdeführerin dar, sie könne nicht nach Afghanistan zurück, weil ihre Ex-Verlobter dort lebe. Dieser habe im Iran gelebt und sei vor ein paar Jahren nach Afghanistan zurückgekehrt, wo er mit seiner Familie in Herat lebe. Ihre Familie unterstütze sie nicht, da sie weggelaufen sei. Die Erstbeschwerdeführerin sei aus dem Iran geflüchtet, weil ihre Familie sie zwangsverheiraten habe wollen. Einen Monat vor dem Hochzeitstermin sei sie geflohen. Das Leben des Zweitbeschwerdeführers sei besonders in Gefahr, weil er eine Frau gestohlen habe und geflüchtet sei. Der Ex-Verlobte der Erstbeschwerdeführerin sei sehr verliebt in sie gewesen und habe viel Geld für sie ausgegeben. Seine Ehre sei beschmutzt. Aus diesem Grund habe die Erstbeschwerdeführerin Angst, dass er sie überall in Afghanistan finden werde. Hinzu komme, dass die Erstbeschwerdeführerin ihr gesamtes Leben im Ausland verbracht und keine Beziehung zu Afghanistan habe. In Österreich genieße sie ihre Freiheit. Sie habe hier ihren Schleier ablegen können. In Afghanistan könne sie nicht so leben, wie sie das wolle. Bei ihren Eltern habe sie diese Unabhängigkeit nicht gehabt und nicht einmal den Schleier ablegen dürfen. Sie habe nicht zu anderen Leuten Kontakt haben und niemanden besuchen dürfen. Nicht einmal ein Handy habe sie besitzen dürfen. In Afghanistan gebe es jede Woche Anschläge und sie habe Angst, auch einmal unter den Toten zu sein. Sie wolle weder durch die Familie ihres Ex-Verlobten, noch durch eine Bombe getötet werden. In Österreich besuche die Erstbeschwerdeführerin sonntags die Kirche und bete dort. Seit eineinhalb Jahren beschäftige sie sich mit der evangelischen Religion. Einen Taufvorbereitungskurs besuche sie noch nicht, aber sie liebe die Gebete. Nachdem alle für sie gebeten hätten, sei ein Wunder geschehen. Sie sei schwanger geworden. Im Islam habe sich die Erstbeschwerdeführerin immer eingeengt gefühlt. Sie sei gezwungen worden, zu fasten und zu beten. Zudem habe sie im Iran keinen Freiraum gehabt. Erst als sie sich umbringen habe wollen, hätten ihre Eltern verstanden, wie wichtig ihr Bildung sei. Sie habe dann weiterhin in die Schule gehen dürfen. Dass man sich in Österreich frei bilden dürfe, schätze die Erstbeschwerdeführerin besonders.

Der Zweitbeschwerdeführer führte zunächst aus, er sei in Afghanistan geboren, wisse jedoch nicht in welcher Provinz. Er sei erst wenige Monate alt gewesen, als seine Familie mit ihm in den Iran geflüchtet sei. Dort sei er in XXXX aufgewachsen. Zu seinen Fluchtgründen gab der Zweitbeschwerdeführer an, seine Eltern hätten ihm nichts Konkretes darüber erzählt, warum sie Afghanistan einst verließen. Er vermute, dass ihre Volksgruppen- oder Religionszugehörigkeit der Grund für die Flucht gewesen sei. Den Iran habe der Zweitbeschwerdeführer mit der Erstbeschwerdeführerin verlassen, da sein Leben in Gefahr sei. Die Erstbeschwerdeführerin habe sich nach der Hochzeit immer zu Hause verstecken müssen. Zwei Monate nach der Hochzeit mit der Erstbeschwerdeführerin sei der Zweitbeschwerdeführer von ihrem Bruder angegriffen und geschlagen worden. Dieser Vorfall habe sich ereignet, als der Zweitbeschwerdeführer einkaufen gegangen sei. Durch das Einschreiten mehrerer Personen habe er entkommen können. Nach Afghanistan könne der Zweitbeschwerdeführer nicht zurück, da er Verfolgung durch den Ex-Verlobten seiner Gattin befürchte. Der Zweitbeschwerdeführer habe auch nie in Afghanistan gelebt und habe dort niemanden. Zudem hätten alle Hazara und Schiiten in Afghanistan Probleme. In Österreich besuche der Zweitbeschwerdeführer eine offene Kirche und bete dort. Zwar bete der Zweitbeschwerdeführer auch noch islamisch, er interessiere sich jedoch für das Christentum und informiere sich derzeit über diese Religion.

5. Mit den gegenständlich angefochtenen Bescheiden vom jeweils XXXX wurden die Anträge der Erstbeschwerdeführerin, des Zweitbeschwerdeführers und des Drittbeschwerdeführers sodann sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs 1 iVm § 2 Abs 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.), als auch bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan gemäß § 8 Abs 1 iVm § 2 Abs 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt II.) abgewiesen. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde den Beschwerdeführern gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Gegen die Beschwerdeführer wurde gemäß § 10 Abs 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.) und gemäß § 52 Abs 9 FPG festgestellt, dass ihre Abschiebung nach Afghanistan gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkt V.). Unter Spruchpunkt VI. wurde die Frist für die freiwillige Ausreise gemäß § 55 Abs 1 bis 3 FPG mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgesetzt.

Für ein allfälliges Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht wurde den Beschwerdeführern amtswegig ein Rechtsberater zur Seite gestellt.

6. Gegen diese Bescheide erhoben die Erstbeschwerdeführerin, der Zweitbeschwerdeführer und der Drittbeschwerdeführer, der Minderjährige vertreten durch seine Mutter, die Erstbeschwerdeführerin, alle vertreten durch den Verein Menschenrechte Österreich, mit Schreiben vom XXXX gemeinsam fristgerecht vollumfängliche Beschwerde.

7. Die Beschwerde und die dazugehörigen Verwaltungsakten wurden dem Bundesverwaltungsgericht durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zur Entscheidung vorgelegt. In einem verzichtete die belangte Behörde auf die Durchführung und Teilnahme an einer mündlichen Beschwerdeverhandlung und beantragte die Abweisung der Beschwerde.

8. Am XXXX langte eine Vollmachtsbekanntgabe von Mag. Dr. Helmut BLUM, LL.M., Rechtsanwalt, beim Bundesverwaltungsgericht ein.

9. Mit Schriftsatz vom XXXX legten die Beschwerdeführer ein Konvolut an Integrationsunterlagen vor.

10. Mit Schreiben vom XXXX übermittelten die Beschwerdeführer dem erkennenden Gericht Bestätigungen betreffend die erfolgte Wassertaufe der Erstbeschwerdeführerin und des Zweitbeschwerdeführers.

11. Am XXXX wurde der gemeinsame zweitgeborene Sohn der Erstbeschwerdeführerin und des Zweitbeschwerdeführers, XXXX (in der Folge: Viertbeschwerdeführer), geboren. Die Erstbeschwerdeführerin stellte am XXXX als gesetzliche Vertreterin für den Viertbeschwerdeführer einen Antrag auf internationalen Schutz im Familienverfahren. Dabei führte sie aus, der Viertbeschwerdeführer sei gesund und habe keine eigenen Fluchtgründe bzw. Rückkehrbefürchtungen. Der Antrag beziehe sich ausschließlich auf die Gründe der Erstbeschwerdeführerin bzw. des Zweitbeschwerdeführers.

12. Am XXXX wurde der Zweitbeschwerdeführer vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl im Beisein einer Dolmetscherin für die Sprache Farsi niederschriftlich zum Antrag des Viertbeschwerdeführers auf internationalen Schutz einvernommen. Hier gab der Zweitbeschwerdeführer zunächst an, der Viertbeschwerdeführer werde sowohl durch ihn als Vater als auch durch die Erstbeschwerdeführerin als Mutter vertreten. Weiter führte der Zweitbeschwerdeführer aus, der Viertbeschwerdeführer sei gesund, befinde sich nicht in ärztlicher Behandlung und nehme keine Medikamente ein. Er habe keine eigenen Fluchtgründe und schließe sich den Gründen der Erstbeschwerdeführerin und des Zweitbeschwerdeführers an.

13. Mit Ladung vom XXXX beraumte das Bundesverwaltungsgericht eine mündliche Verhandlung für den XXXX an und übermittelte den Parteien einschlägige Länderinformationen zu Afghanistan.

14. Mit Schriftsatz vom XXXX teilte Mag. Dr. Helmut BLUM, LL.M., Rechtsanwalt, dem Bundesverwaltungsgericht mit, dass das Vollmachtverhältnis zu den Beschwerdeführern aufgelöst worden sei. Es werde ersucht, künftige Zustellungen an die Beschwerdeführer persönlich vorzunehmen. Auf telefonische Nachfrage durch das Bundesverwaltungsgericht teilte eine Mitarbeiterin der Rechtsanwaltskanzlei mit, die Beschwerdeführer seien über den Verhandlungstermin am XXXX informiert worden und würden mit dem Verein Menschenrechte Österreich zur Beschwerdeverhandlung erscheinen.

15. Mit Dokumentenvorlage vom XXXX teilte der Verein Menschenrechte Österreich mit, er vertrete die Beschwerdeführer im Verfahren. In einem wurde ein Konvolut an Integrationsurkunden vorgelegt.

16. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl wies mit dem gegenständlich angefochtenen Bescheid vom XXXX den Antrag des Viertbeschwerdeführers sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs 1 iVm § 2 Abs 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.), als auch bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan gemäß § 8 Abs 1 iVm § 2 Abs 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt II.) ab. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde dem Viertbeschwerdeführer gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Gegen den Viertbeschwerdeführer wurde gemäß § 10 Abs 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.) und gemäß § 52 Abs 9 FPG festgestellt, dass seine Abschiebung nach Afghanistan gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkt V.). Unter Spruchpunkt VI. wurde die Frist für die freiwillige Ausreise gemäß § 55 Abs 1 bis 3 FPG mit zwei Wochen (gemeint: 14 Tagen) ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgesetzt.

Für ein allfälliges Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht wurde dem Viertbeschwerdeführer amtswegig ein Rechtsberater zur Seite gestellt.

17. Die belangte Behörde teilte mit Schreiben vom XXXX mit, dass die Teilnahme eines informierten Vertreters an der mündlichen Beschwerdeverhandlung betreffend die Erst- bis Drittbeschwerdeführer aus dienstlichen und personellen Gründen nicht möglich sei. Es werde die Abweisung gegenständlicher Beschwerden beantragt und um Übersendung des Verhandlungsprotokolls ersucht.

18. Am XXXX fanden vor dem Bundesverwaltungsgericht zwei öffentliche mündliche Verhandlungen statt, im Zuge derer die Erstbeschwerdeführerin und der Zweitbeschwerdeführer im Beisein ihres ausgewiesenen Rechtsvertreters und einer Dolmetscherin für die Sprache Dari jeweils getrennt vom erkennenden Richter zu ihren Anträgen auf internationalen Schutz und ihren Beschwerdegründen einvernommen wurden. Die belangte Behörde blieb den mündlichen Verhandlungen fern.

Die Verhandlungsschrift betreffend die Erstbeschwerdeführerin lautet auszugsweise:

„[…]

Richter: Verstehen Sie die Dolmetscherin gut?

Beschwerdeführerin: Ja.

Richter: Sind Sie psychisch und physisch in der Lage, der heute stattfindenden mündlichen Verhandlung zu folgen? Liegen Gründe vor, die Sie daran hindern?

Beschwerdeführerin: Ja.

Richter: Nehmen Sie regelmäßig Medikamente, befinden Sie sich in medizinischer Behandlung?

Beschwerdeführerin: Nein.

[…]

Richter: Können Sie sich an Ihre Aussage vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl erinnern? Waren diese richtig, vollständig und wahrheitsgetreu?

Beschwerdeführerin: Ja. Diese waren richtig.

Richter: Geben Sie Ihr Geburtsdatum an. Wo sind Sie auf die Welt gekommen?

Beschwerdeführerin: XXXX , ich kenne mein genaues Geburtsdatum nach dem afghanischen Kalender nicht. Ich habe im Iran Dokumente bekommen. Da wurde ein Geburtsdatum XXXX festgelegt. In Österreich wurde mir das Geburtsdatum XXXX zugeteilt. Ich konnte damals die Umrechnung nicht, ich habe lediglich gesagt, dass ich am XXXX vermutlich geboren wurde, denn laut diesem Datum wurden mir im Iran Dokumente ausgestellt. Ich wurde in Afghanistan in Daikundi geboren.

Dolmetscherin: Umgerechnet XXXX .

Richter: Welche Sprachen sprechen Sie? Können Sie diese lesen und schreiben?

Beschwerdeführerin: Ich kann Dari und Farsi lesen und schreiben. Mein Dari ist nicht so gut, da ich eine iranische Schule besucht habe. Dari habe ich zuhause gesprochen und habe es von meinen Eltern gelehrt bekommen. Deutsch habe ich hier gelernt.

Richter: Geben Sie Ihre Volksgruppe, Religion und Ihren Familienstand an.

Beschwerdeführerin: Ich war zuvor schiitische Muslimin, jetzt bin ich XXXX und ich habe den evangelischen Glauben. Ich bin verheiratet und habe zwei Kinder. Ich bin Hazara.

Richter: Können Sie bitte soweit wie möglich chronologisch angeben, wann und wo Sie sich in Afghanistan und im Iran aufgehalten haben.

Beschwerdeführerin: Meine Eltern haben mir erzählt, dass ich in einem Dorf in Daikundi geboren wurde. Im Kindesalter sind meine Eltern mit mir in den Iran gezogen, dann haben wir durchgehend im Iran gelebt. Ich weiß nicht, wie unser Dorf hieß. In XXXX habe ich im Iran gelebt im Stadtteil XXXX

Richter: Wie haben Sie in Afghanistan und im Iran gewohnt?

Beschwerdeführerin: Im Heimatdorf haben wir im Elternhaus gelebt, im Iran haben wir in einem angemieteten Haus gelebt.

Richter: Was haben Sie im Iran gemacht, gearbeitet, gelernt oder etwas Anderes?

Beschwerdeführerin: Ich habe im Iran die Schule besucht. Nach der Schule wollte ich die Universität besuchen, aber die Familie hat es mir dann nicht erlaubt.

Richter: Welche Schulbildung haben Sie erhalten?

Beschwerdeführerin: Ich habe 11 Jahre lang die Schule besucht.

Richter: Wo und wie leben Ihre Verwandten?

Beschwerdeführerin: Sie sind alle im Iran.

Richter: Haben Sie Kontakt zu Ihrer Familie (Vater, Mutter, Bruder, Schwester, Onkel)?

Beschwerdeführerin: Zu meinem Vater, meiner Mutter und zu meinem Bruder habe ich keinen Kontakt. Ich habe Kontakt zu meiner Schwester. Alle zwei bis drei Monate nimmt sie mit mir Kontakt auf, je nachdem, ob sie eine Internetverbindung hat und ob ihr Mann nicht zuhause ist.

Richter: Haben Sie in Afghanistan Verwandte oder sonstige wichtige Kontaktpersonen und wie heißen sie? Wo leben sie? Haben Sie zu ihnen Kontakt?

Beschwerdeführerin: Nein.

Richter: Wie ist Ihr Leben derzeit in Österreich? Was machen Sie in Österreich?

Beschwerdeführerin: Als ich noch in der anderen Stadt gelebt habe, habe ich viele freiwillige Arbeiten verrichtet und ich hatte auch viel Kontakt zu Österreichern. Wir sind dann in eine neue Stadt gezogen, da habe ich für die Gemeinde im Bauhof gearbeitet. Eine Zeit lang habe ich im Bauhof als Reinigungskraft gearbeitet. Mein Vorgesetzter war XXXX , danach habe ich gemeinsam mit XXXX Gärtnerarbeiten verrichtet. Das war in der Gemeinde XXXX .

Richter: Haben Sie Freunde in Österreich?

Beschwerdeführerin: Ja, sehr viele.

Richter: Sind Sie Mitglied in einem Verein?

Beschwerdeführerin: Zurzeit nein, aber ich singe gerne mit meinen österreichischen Freunden. Das ist aber nicht immer, seit Corona haben wir das einfach gelassen. Als ich noch in der alten Stadt gelebt habe, bin ich auch mit meinen Freunden tanzen gegangen.

Richter: Hatten Sie Probleme mit der Polizei oder einem Gericht?

Beschwerdeführerin: Nein.

Richter: Schildern Sie den Vorfall, der zu Ihrer Flucht geführt hat!

Beschwerdeführerin: Meine Eltern sind aus Afghanistan weggezogen, als ich noch ein Kind war. Ich bin dann aus dem Iran geflüchtet. Ich kann nicht nach Afghanistan zurückkehren, da mein früherer Verlobter in Afghanistan lebt. Er ist Händler und ihm geht es auch finanziell gut. Ich war verlobt, ich wollte aber den Verlobten nicht. Meine Familie hat mich dazu gezwungen ihn zu heiraten, da es ihm finanziell sehr gut gegangen ist. Nach der Heirat wollte er mich nach Afghanistan mitnehmen, das wollte ich aber nicht. Während meiner Verlobungszeit habe ich meinen jetzigen Ehemann kennengelernt. Die Schwester meines jetzigen Mannes ist zu meiner Familie gekommen und hat um meine Hand angehalten. Meine Familie hat diesen Antrag abgelehnt, war damit nicht einverstanden. Ich traute mich auch nicht mehr zu sagen, dass ich diese Verlobung nicht will, denn mein Vater und mein Bruder haben wiederholt gesagt, dass ich meinen Verlobten heiraten muss. Die Familie meines Verlobten hat meine Familie um die Festlegung eines Hochzeitstermins gebeten. Ich habe dann meinem jetzigen Mann gesagt, da die Familie mit unserer Heirat nicht einverstanden ist, so sollen wir die Gelegenheit nutzen und flüchten. Mein jetziger Ehemann hatte damals große Angst, er sagte, wir sollen die älteren lassen, darüber noch einmal nachzudenken. Aber ich war diejenige, die dahinter war und die die Flucht wollte. Auch die Familie meines jetzigen Ehemannes wollte mich nicht, denn mein Mann und ich habe uns auf der Straße kennengelernt und ich wurde deswegen immer diskriminiert. Ich habe meinen jetzigen Ehemann gefragt, auf welche Ältesten er sich verlässt, denn er sagte immer, dass wir die Älteren entscheiden lassen sollen. Nach einiger Zeit, nachdem ich mit ihm geredet hatte, war er damit einverstanden. Wir haben uns dann ein Treffpunkt ausgemacht, ich bin dann dort hingegangen. Als meine Familie nicht zuhause war, bin ich dann zu diesem Treffpunkt gegangen und wir sind von dort dann weggegangen. Vier Monate lang haben wir uns noch in XXXX aufgehalten, ich hatte aber die ständige Angst, dass meine Familie mich finden wird oder dass meinem Mann die Situation zu viel wird und er mich verlassen wird. Dann ist der Vorfall mit meinem jetzigen Ehemann und meinem Bruder passiert. In einem Supermarkt haben sie sich zufällig getroffen, woraufhin mein Bruder meinen jetzigen Ehemann geschlagen hat. Da dort sehr viele Menschen waren, konnte mein Ehemann nachhause flüchten. Danach ist er ins Krankenhaus gegangen. Nach dem Krankenhausaufenthalt hat er darüber noch einmal nachgedacht. Ein Freund meines Mannes, der im oberen Stock gelebt hat, sagte uns, es ist sehr gefährlich für uns, wenn wir länger hierbleiben sollten. Denn es kann jederzeit passieren, dass zufällig mein jetziger Ehemann und mein Bruder am selben Ort eine Arbeit finden und arbeiten. Danach sind wir über den Freund meines Mannes nach XXXX gegangen, dort hat er einen Bekannten. Wir haben dort eine Wohnung genommen und wir hatten vor dort zu leben. Damals war es eine sehr schwierige Zeit in XXXX . Viele Afghanen wurden festgenommen und nach Afghanistan abgeschoben oder in ein anderes Land geschickt. Mein Mann hatte Angst davor, vor der Polizei erwischt und festgenommen zu werden und ich wäre dann als alleinstehende Frau ganz alleine im Iran. Auch ich hatte Angst, dann hat mein Mann eine Zeit lang gearbeitet. Wir haben bemerkt, dass es nicht mehr so weitergeht. Dann hatte mein Mann die Idee ins Ausland zu gehen. Anfänglich hatte ich Angst vor dieser Idee, dann haben wir aber den Entschluss gefasst. Dann sind wir nach Europa gekommen.

Richter: Sind Sie jemals persönlich bedroht oder angegriffen worden?

Beschwerdeführerin: Ich bin geflüchtet. Wenn ich geblieben wäre, weiß ich nicht, was alles vorgefallen wäre. Die Freunde meines Mannes hatten ihm gesagt, dass mein Bruder hinter ihm her ist und ihm folgt. Das wäre für uns beide sehr gefährlich gewesen, wenn wir dort weitergelebt hätten. Man hätte uns bestimmt dort angegriffen, uns etwas angetan, die Angreifer wären dann nach Afghanistan geflüchtet und keiner hätte sie fassen können. Zwei Jahre vor meiner Flucht wurde ein junger Mann getötet. Man hat die Leiche dann vor seinem Haus hingelegt. Man konnte bis heute die Mörder nicht finden. Dieser Mann hatte seine Frau aus Liebe geheiratet und sie hatten sogar ein Kind. Deswegen hatte ich auch eine große Angst.

Richter: Wodurch sind Sie in Afghanistan bedroht?

Beschwerdeführerin: Mein ehemaliger Verlobter ist in Herat und er ist dort Händler. Wenn er mich in Afghanistan findet, wird er sicherlich nicht ruhig sitzen.

Richter: Wie sind Sie nach Österreich gekommen?

Beschwerdeführerin: Von XXXX sind wir bis zur türkischen Grenze in die Stadt XXXX gegangen. Ich kenne die ganzen Namen nicht, die habe ich vom Schlepper gehört. Wir sind dann in die Türkei gereist, von dort nach Griechenland. Nach Griechenland sind wir, glaube ich, nach Mazedonien gereist. Wir sind mit dem Bus bis zur mazedonischen Grenze gefahren worden. Von Mazedonien sind wir dann mit dem Zug bis nach Serbien gefahren. Dann sind wir mit dem Bus in Slowenien gebracht worden. Ich kenne die Namen der Länder nicht, ich habe es von anderen Leuten gehört. Ich weiß jetzt nicht, ob wir von der Slowakei oder Slowenien mit dem Bus nach XXXX gebracht worden sind. In XXXX waren wir dann eine Nacht in einem Flüchtlingslager in der Nähe einer Polizeistation untergebracht. Eine andere afghanische Familie wollte mit dem Zug weiterfahren. Wir sind ihnen gefolgt und sind dann in XXXX angekommen, wo wir uns der Polizei gestellt haben.

Richter: Wie haben Sie die Reise bezahlt?

Beschwerdeführerin: Mein Mann hat das Geld seinem Freund im Iran übergeben. Die Reisekosten haben dann mein Mann und sein Freund geregelt. Ich habe danach nicht viel nachgefragt.

Richter: Welcher Richtung des Islam gehört ihre Familie an (Sunniten oder Schiiten)?

Beschwerdeführerin: Sie sind Schiiten.

Richter: Lehnen Sie den Islam ab?

Beschwerdeführerin: Ja.

Richter: Wie sind Sie mit dem Christentum in Kontakt gekommen?

Beschwerdeführerin: Als ich nach Österreich gekommen bin, etwa 6 Monate nach der Einreise wurde ich krank. Die Hälfte meines Gesichts war gelähmt. Ich war sehr beunruhigt, habe Depressionen bekommen. Ich habe mich dafür geschämt, deshalb habe ich auch in der Unterkunft immer eine Maske getragen. Ich habe aber auch viel von den anderen gehört, die hinter meinem Rücken über mich gesprochen haben. Einige meinten, ich hätte Krebs. Die anderen meinten, ich hätte bestimmt einen Hirninfarkt erlitten. Wir hatten in der Asylunterkunft eine Feier, dort war auch eine Frau namens XXXX . Sie fragte mich, ob ich Lust hätte, Piano zu lernen. Sie ist jeden Samstag zwei Stunden gekommen, dann hat sie mir den Vorschlag gemacht, ob ich auch an ihren Gottesdiensten in der Kirche teilnehmen möchte. Damals wusste ich nicht, was Gottesdienst überhaupt bedeutet. Ich dachte, das ist ein gemeinsames Singen. Ich bin mitgegangen und dann habe ich mitbekommen, dass man dort getanzt hat, gemeinsam geweint hat und gesungen hat. Mir ging es psychisch sehr gut und bin dann sonntags dort hingegangen. Ich habe sie gebeten für mich zu beten, damit es meinem Gesicht wieder besser geht. Ich dachte nur, dass die Gebete der Moslems erhört werden und nicht die Gebete dieser Leute. Ich habe von ihr gehört, dass auch deren Gebete erhört werden und das war für mich etwas Neues. Das führte dazu, dass ich das Christentum kennengelernt habe. Mein Mann hatte Probleme und wir konnten keine Kinder bekommen. Wir waren in der Kirche. Eine Frau aus Afrika war hier, ich habe sie gebeten, für uns zu beten, damit wir Kinder bekommen. Sie hat ihre Hand auf meine Stirn gelegt und mir gesagt, dass ich ganz bestimmt schwanger werde. Vielleicht klingt das jetzt etwas komisch, aber im selben Monat wurde ich schwanger. So ist dann langsam das Interesse aufgeweckt worden. Im Islam ist tanzen verboten, aber sie haben getanzt und gebetet. Es wurde dann sehr interessant für mich, deshalb habe ich sie gebeten, mir ein Buch zu geben. Ich habe dann mit XXXX auch viel über Islam gesprochen. Ich erzählte ihr, dass im Islam ich nur als eine Hälfte der Person gezählt werde. Ich sagte ihr, dass ich nur die Hälfte von dem wert bin, was mein Mann ist. Sie hat immer gelacht und fragte nach, warum. Dann habe ich das Buch gelesen. Ich habe das Buch gelesen, das hat mir viel Ruhe gegeben. In diesem Buch gab es nichts, was die Frau wertlos gemacht hätte. Ich habe es dann mit dem Koran verglichen und ich bin mir dann sehr wertlos vorgekommen, denn mein Mann hätte das Recht mich zu schlagen. In der Bibel steht nichts von Gewalt, es geht immer um Liebe und Barmherzigkeit. Ich konnte mit meinen eigenen Worten beten, ohne, dass ich ein Gebet zwanghaft lerne. Ich konnte jederzeit, wann ich es wollte, beten. Es gab keine bestimmte Zeit und kein bestimmter Ort dafür. Ich habe immer darüber nachgedacht, wären meine Eltern Christen, dann hätten sie bestimmt nicht so viele Vorurteile.

Richter: Und so sind Sie davon überzeugt worden, sich taufen zu lassen?

Beschwerdeführerin: Ich habe mich dann in das Christentum verliebt, ich habe mich in Jesus Christus verliebt. Ich habe mich in die Liebe verliebt, die Liebe, die Jesus Christus uns gegenüber hat. Meiner Meinung nach glaube ich, dass Gott mich akzeptiert hat und mir den richtigen Weg gezeigt hat. Gott hat mir den richtigen Weg gezeigt. Ich wollte mich taufen lassen, damit meine Sünden mir vergeben werden und ich ein neues Leben beginnen kann. Ein neues Leben und dass ich von meinem alten Leben gerettet werde und mir meine Sünden vergeben werden.

Richter: Welcher Kirche haben Sie sich angeschlossen?

Beschwerdeführerin: Als ich in XXXX gelebt habe, war unsere Kirche in XXXX . Die Kirche nannte sich XXXX In XXXX ist die Kirche in XXXX , das ist eine evangelische Kirche. Dort gehe ich, um zu beten. Anfänglich sind unsere Freunde aus XXXX zu uns gekommen, haben uns abgeholt und wir sind gemeinsam in die Kirche gegangen. Jetzt ist es etwas weniger geworden, da die Kinder im Auto sehr laut sind und weinen. Daher fahren wir nicht so oft dort hin, aber die Freunde kommen gelegentlich zu uns und wir beten gemeinsam.

Richter: Wie oft sind Sie in einer Kirche?

Beschwerdeführerin: Sonntags, entweder geht mein Mann oder ich. Früher sind wir immer gemeinsam hingegangen, aber seit Corona und der Geburt des zweiten Kindes, können wir nicht gemeinsam gehen.

Richter: Nehmen Sie regelmäßig an christlichen Messen Teil?

Beschwerdeführerin: Mein Mann geht regelmäßig hin. Ich bin wegen Corona, weil ich schwanger war und große Angst hatte und dann nach der Geburt unseres Kindes, wenig in die Kirche gegangen. Ich gehe vielleicht alle zwei Wochen einmal in die Kirche, mein Mann geht aber regelmäßig.

Richter: Haben Sie eine bestimmte Pfarre oder Gemeinde, bei der Sie regelmäßig sind? Wenn ja, welche ist das?

Beschwerdeführerin: Die Kirche in XXXX namens XXXX . Ich habe auch eine Bestätigung mitgenommen.

Richter: Was sind die wichtigsten Grundlagen des Christentums?

Beschwerdeführerin: Glaube, Hoffnung, Liebe. Das wichtigste ist die Liebe.

Richter: Woran glauben Sie?

Beschwerdeführerin: Wir Christen glauben daran, dass Jesus unser Gott ist und wegen den Sünden der Menschen wurde er geopfert.

Richter: Wer ist Gott?

Beschwerdeführerin: Eine Person mit drei unterschiedlichen Erscheinungen: Vater, Sohn und der Heilige Geist.

Richter: Welche sind die wichtigsten Gebete?

Beschwerdeführerin: In der Kirche lesen wir zuerst das Vater Unser durch.

Richter: Welche kirchlichen Feiertage kennen Sie?

Beschwerdeführerin: Die heilige Woche, Weihnachtsfest, Ostern, Pfingsten. Das wichtigste ist Ostern für uns.

Richter: Wer ist das Oberhaupt Ihrer Kirche?

Beschwerdeführerin: Pfarrer.

Richter: Was ist die Grundlage Ihres Glaubens?

Beschwerdeführerin: Reue, dass wir an Jesus Christus, den Sohn des Gottes glauben und dass Jesus Christus wegen unserer Sünden geopfert wurde. Das sind die Grundlagen des Glaubens.

Richter: Aus welchen Teilen besteht die Bibel?

Beschwerdeführerin: 66 Teile, das Alte Testament hat 39 Teile und das Neue Testament besteht aus 27 Teilen.

Richter: Wodurch unterscheidet sich das Christentum in Ihren Augen vom Islam so sehr, dass Sie sich haben taufen lassen?

Beschwerdeführerin: Der Unterschied ist, dass im Islam erst nach dem Tod mit den Sünden abgerechnet wird. Im Christentum ist es so, wenn man getauft wird, dann werden einem die Sünden vergeben.

Richter: Gibt es in Ihrer Kirche auch eine Beichte?

Beschwerdeführerin: Nein, weil bei den Protestanten zeigt man Reue nur beim Gott.

Richter: Wie ist die Taufe abgelaufen?

Beschwerdeführerin: Wir sind zu einem Fluss gegangen, einer ist auf meine rechte Seite und der andere auf meine linke Seite gestanden. Ich wurde dann gefragt, ob ich an Jesus Christus glaube, ich habe es bejaht. Ich wurde dann gefragt, ob ich will, dass man meine Sünden, die ich früher begangen habe, vergeben werden. Dann wurde ich gefragt, ob ich will, dass ich vom Heiligen Geist erfüllt werde, ich habe es bejaht. Dann hat man mein Kopf ins Wasser zur Gänze getaucht und ich war dann von meinen Sünden befreit.

Richter: Wie sieht das Leben in Ihrer christlichen Gemeinde aus?

Beschwerdeführerin: Sonntags gehen wir dorthin, wir lesen Gebete. Um 9:30 Uhr gehen wir hin, bis 10:30 Uhr werden Gebete gelesen. Dann trinken wir einen Kaffee und reden miteinander und dann ist es auch schon zu Ende.

Richter: Gibt es im Rahmen der christlichen Gemeinde auch andere Veranstaltungen oder Zusammenkünfte?

Beschwerdeführerin: Bis vor Corona habe ich auch an den Abenden teilgenommen, wo einige Frauen und Männer sich versammelt haben, Gitarre gespielt haben und gesungen haben. Bis vor Corona bin ich auch mit meinem Kind in den Krabbelkurs gegangen. Dann gab es noch alle zwei Wochen den Glaubenskurs, das war aber auch alles vor Corona.

Richter: Haben Sie Ihrer Familie von der Taufe erzählt?

Beschwerdeführerin: Nein, meine Familie weiß davon nichts. Einmal habe ich mit meiner Schwester gesprochen und sie gefragt, was sie davon halten würde, wenn ich eines Tages sagen würde, dass ich XXXX bin. Sie sagte mir, dass sie mein Gesicht nie wieder sehen wollen würde. Ich habe viel mit ihr gesprochen und sie gefragt, warum sie so sehr an den Islam hängt, obwohl der Islam ihr überhaupt keine Wertschätzung schenkt. Sie antwortete darauf, dass sie die Religion von unseren Eltern geerbt hat. Ich habe indirekt mit ihr gesprochen, aber ich konnte ihr nicht alles sagen, weil ich noch einen Draht zu meiner Familie haben will.

Richter: Schildern Sie bitte nochmals die Gründe Ihrer Beschwerde!

Beschwerdeführerin: Ich kann nicht in meine Heimat aus diesem Grund zurückkehren. In meiner Heimat ist mein Leben in Gefahr. Mein Leben ist seitens meines ehemaligen Verlobten in Gefahr und eine Frau hat dort gar keine Wertschätzung. Ich möchte hier sein und ich liebe die Freiheiten hier. Ich möchte die Möglichkeit haben mich frei zu kleiden und will nicht, dass mir jemand vorschreibt, was ich machen soll. In Afghanistan haben Frauen keine Wertschätzung, sie haben auch nicht das Recht, etwas zu sagen und ich will nicht dort leben. Früher war nur mein Leben gefährdet, jetzt ist das Leben meines Mannes und auch meiner beiden Kinder in Gefahr.

Richter: Was würde passieren, wenn Sie jetzt nach Afghanistan zurückkehren müssten?

Beschwerdeführerin: Mein Leben wird dort nicht in Sicherheit sein, meine Kinder sind nicht sicher, ich habe dort keine Freiheiten, ich kann meine Meinung nicht äußern, ich kann nicht alleine aus dem Haus hinausgehen. Ich möchte alleine Einkaufen gehen und in Afghanistan ist das schwierig. Es muss immer ein Mann dabei sein. Ich kann nicht ständig zuhause sitzen, mein ehemaliger Verlobter ist Händler. Es kann sein, dass er mich in einer Stadt sieht. Ich bin nicht in Afghanistan aufgewachsen, aber, was ich immer gehört habe, war, dass es dort gefährlich ist. Wenn ich dort ankommen sollte, würde ich nicht wissen, wohin ich gehen soll.

Rechtsvertreter: Könnten Sie Ihren christlichen Glauben in Afghanistan ohne Probleme praktizieren?

Beschwerdeführerin: Nein. Die Strafe eines Moslems, der Christ wird, ist der Tod.

Rechtsvertreter: Keine weiteren Fragen.

Die Beschwerdeführerin bringt nichts mehr vor.

Richter: Haben Sie die Dolmetscherin gut verstanden?

Beschwerdeführerin: Ja.“

Die Verhandlungsschrift betreffend den Zweitbeschwerdeführer lautet auszugsweise:

„[…]

Richter: Verstehen Sie die Dolmetscherin gut?

Beschwerdeführer: Ja.

Richter: Sind Sie psychisch und physisch in der Lage, der heute stattfindenden mündlichen Verhandlung zu folgen? Liegen Gründe vor, die Sie daran hindern?

Beschwerdeführer: Ich bin in der Lage der heute stattfindenden mündlichen Verhandlung zu folgen.

Richter: Nehmen Sie regelmäßig Medikamente, befinden Sie sich in medizinischer Behandlung?

Beschwerdeführer: Nein.

[…]

Richter: Können Sie sich an Ihre Aussage vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl erinnern? Waren diese richtig, vollständig und wahrheitsgetreu?

Beschwerdeführer: Ja, diese waren richtig.

Richter: Geben Sie Ihr Geburtsdatum an. Wo sind Sie auf die Welt gekommen?

Beschwerdeführer: Ich kenne mein genaues Geburtsdatum nicht. Ich weiß nur, dass ich im Jahre XXXX ) geboren bin. Ich wurde in XXXX in Afghanistan geboren. In Österreich führe ich das Geburtsdatum XXXX .

Richter: Welche Sprachen sprechen Sie? Können Sie diese lesen und schreiben?

Beschwerdeführer: Ich kann Farsi lesen und schreiben. Ich kann auch Deutsch lesen und schreiben.

Richter: Geben Sie Ihre Volksgruppe, Religion und Ihren Familienstand an.

Beschwerdeführer: Ich bin Hazara, ich bin verheiratet. Ich war zuvor Schiit. Jetzt bin ich Christ geworden und bin evangelisch.

Richter: Haben Sie Kinder?

Beschwerdeführer: Ja, ich habe zwei Kinder.

Richter: Können Sie bitte soweit wie möglich chronologisch angeben, wann und wo Sie sich in Afghanistan und im Iran aufgehalten haben.

Beschwerdeführer: Ich bin in XXXX in Afghanistan geboren. Als Baby wurde ich mit meiner Familie in den Iran gebracht. Im Iran haben wir in der Stadt XXXX gelebt. Ich habe immer in XXXX gelebt.

Richter: Wie haben Sie in Afghanistan und im Iran gewohnt?

Beschwerdeführer: In XXXX haben wir in einem angemieteten Haus gelebt. Auch in Afghanistan hatten wir kein eigenes Haus.

Richter: Was haben Sie im Iran gemacht, gearbeitet, gelernt oder etwas Anderes?

Beschwerdeführer: Ich habe fünf Jahre lang die Schule besucht. In XXXX habe ich als Bauarbeiter gearbeitet.

Richter: Welche Schulbildung haben Sie erhalten?

Beschwerdeführer: Fünf Jahre.

Richter: Wo und wie leben Ihre Verwandten?

Beschwerdeführer: Sie sind nach wie vor in XXXX .

Richter: Haben Sie Kontakt zu Ihrer Familie (Vater, Mutter, Bruder, Schwester, Onkel)?

Beschwerdeführer: Nein.

Richter: Haben Sie in Afghanistan Verwandte oder sonstige wichtige Kontaktpersonen und wie heißen sie? Wo leben sie? Haben Sie zu ihnen Kontakt?

Beschwerdeführer: Nein.

Richter: Wie ist Ihr Leben derzeit in Österreich? Was machen Sie in Österreich?

Beschwerdeführer: Ich habe keine Arbeitserlaubnis. Wir führen ein Leben so, wie die Österreicher. Im Monat darf ich 22 Stunden für die Gemeinde arbeiten und ich lebe ein ganz normales Leben.

Richter: Wie stellen Sie sich Ihr weiteres Leben in Österreich vor?

Beschwerdeführer: Eine gute und erfolgreiche Zukunft stelle ich mir vor.

Richter: Wie soll diese aussehen?

Beschwerdeführer: Ich möchte auf Baustellen arbeiten, ich möchte diese Arbeit fortsetzen, natürlich auch Geld sparen, damit unsere Kinder in der Schule erfolgreich sein können.

Richter: Haben Sie Freunde in Österreich?

Beschwerdeführer: Ja in der Stadt XXXX

Richter: Sind Sie Mitglied in einem Verein?

Beschwerdeführer: In XXXX habe ich keine Mitgliedschaften, aber in XXXX war ich Mitglied einer zwölfköpfigen Gruppe. Wir waren zwölf Personen, die gemeinsam in einem Raum Tischtennis gespielt haben.

Richter: Hatten Sie Probleme mit der Polizei oder einem Gericht?

Beschwerdeführer: Nein.

Richter: Schildern Sie den Vorfall, der zu Ihrer Flucht geführt hat!

Beschwerdeführer: Ich habe meine Frau kennengelernt, das war auf der Straße. Die Familien mögen solche Frauen nicht, sie bekommen den Ruf einer Prostituierten. Als ich meine Ehefrau kennengelernt habe, habe ich damals schon den Entschluss gefasst, mit ihr zusammenzuleben. Wir haben uns in XXXX eine Einzimmerwohnung angemietet. Wir haben dort heimlich gelebt. Eines Tages hat der Bruder meiner Frau mich in einem Supermarkt gesehen, ich hatte den Einkauf und bin aus dem Supermarkt hinausgekommen. Da hat er begonnen auf mich einzuschlagen. Wie er mich dort gefunden hat, weiß ich nicht. Er hat mir einen Faustschlag versetzt, dabei habe ich eine Platzwunde an meiner Augenbraue bekommen. Viele Leute sind dann gekommen, die Leute haben ihn zurückgehalten und ich konnte flüchten. Ich bin dann nachhause gegangen. Die Blutung war stark, deswegen musste ich dann ins Krankenhaus. Die Wunde wurde genäht, ich wurde dann entlassen und bin dann nachhause gegangen. Der Bruder meiner Frau und ich übten den gleichen Beruf aus. Es hätte durchaus sein können, dass wir auf derselben Stelle eine Arbeit finden. Dort, wo ich gelebt habe, lebte im 2. Stockwerk ein Freund von mir. Dieser hat mir angeraten nach XXXX zu gehen. Wir sind dann nach XXXX gegangen, dort haben wir uns eine Wohnung angemietet. Wir haben 14 Millionen iranische Toman Kaution bezahlt. Landsleute habe ich nach einer Arbeit gefragt. Damals war es sehr schwierig zu arbeiten, denn die iranische Polizei hat Afghanen festgenommen und sie nach Afghanistan abgeschoben. Ich habe dann meiner Ehefrau gesagt, dass wir nicht immer unter Angst leben können, daher sollen wir uns ein bisschen Geld sammeln und ins Ausland gehen. Ich habe etwa zwei Monate dort gearbeitet, dann wurden die Grenzen geöffnet und ich sagte meiner Frau, dass es nun der beste Zeitpunkt für uns wäre, auszureisen. Meine Frau war einverstanden, da wir im Iran nicht leben konnten. Ich durfte nur in XXXX leben und nicht in einer anderen Stadt. Nachdem wir beide miteinander gesprochen haben, waren wir beide damit einverstanden, den Iran zu verlassen. Meine Frau und ich haben uns kennengelernt, als sie bereits verlobt war. Sie war mit einem älteren Mann verlobt. Sie erzählte mir, dass ihre Familie für die Heirat ist. Das war auch eine Gefahr für uns, der Verlobte wollte in den Iran kommen. Für meine Frau und für mich besteht in Afghanistan eine große Gefahr. Auch meine Kinder sind einer Gefahr ausgesetzt.

Richter: Sind Sie, abgesehen von dem geschilderten Vorfall, jemals persönlich bedroht oder angegriffen worden?

Beschwerdeführer: Nein, aber meine Freunde sagten mir, dass die Familie meiner Frau hinter mir her ist. Man sagte mir, wenn man mich erwischen sollte, würde man mich ganz bestimmt töten. Aus diesem Grund haben wir Angst und sind im Iran nach XXXX gegangen, konnten dort aber auch nicht bleiben.

Richter: Wodurch sind Sie in Afghanistan bedroht?

Beschwerdeführer: Die größte Gefahr für mich ist eben der Verlobte meiner Frau, denn er ist ein Händler. Er ist Händler und ist in allen Städten unterwegs. Die größte Drohung zurzeit ist dieser Verlobte.

Richter: Wie sind Sie nach Österreich gekommen?

Beschwerdeführer: Zuerst sind wir in die Türkei gereist, danach nach Griechenland, über Griechenland nach Mazedonien. Nach Mazedonien weiß ich nicht genau über welchen Ländern wir gereist sind. Ich glaube wir sind über Ungarn, Kroatien, Serbien bis nach Österreich gereist.

Richter: Wie haben Sie die Reise bezahlt?

Beschwerdeführer: Ich habe das Geld meinem Freund im Iran übergeben und der hat dann alles dem Schlepper übergeben.

Richter: Welcher Richtung des Islam gehört ihre Familie an (Sunniten oder Schiiten)?

Beschwerdeführer: Sie sind Schiiten.

Richter: Lehnen Sie den Islam ab?

Beschwerdeführer: Ja.

Richter: Wie sind Sie mit dem Christentum in Kontakt gekommen?

Beschwerdeführer: In XXXX gab es in der Asylunterkunft eine Feier, dort haben wir eine österreichische Frau kennengelernt und haben uns mit ihr angefreundet. Sie hat vorgeschlagen meiner Frau Pianounterricht zu geben. Sie sagte auch, dass sie sonntags zu einem Ort gehen, wo sie singen und musizieren. Meine Frau und ich sind dort hingegangen, aber ich hatte nicht so ein großes Interesse daran. Meine Frau ist sehr gerne dort hingegangen, denn das Verrichten des Gebetes war ganz anders als im Iran und im Islam. Meine Frau erzählte immer von Barmherzigkeit und Liebe, auch die Bibel ist voller Liebe. Sie hat mir oft gesagt, mitzugehen und dort zu beten. Das Beten dort ist wirklich ganz anders. Das Verrichten des Gebets im Iran war so, dass die Eltern, nämlich Mutter und Vater uns gezwungen haben, dass wir das Gebet verrichten müssen. Ich habe das unter Zwang gelernt, das war nicht freiwillig. In dieser Kirche ist alles voller Liebe, als sie uns gesehen haben, sind sie immer zu uns gekommen und haben Liebe gezeigt. Wir sagten ihnen, dass wir im Islam nur auf Arabisch beten können. Dort wurde uns gesagt, dass wir in jeder Sprache und auch in der Muttersprache beten können. Man sagte uns: „Betet euren Gott, Jesus Christus hat nicht festgelegt, in welcher Sprache man beten muss“. Das war der Grund, dass ich mit diesen Leuten in Kontakt getreten bin. Alle haben uns Liebe gegeben. Ich habe mich vom Islam abgewendet, denn dieser Weg ist der Weg, der zum Leben führt. Auf diesem Weg habe ich auch erfahren, dass wir unseren Gott in unserer eigenen Sprache anbeten können. Das führte dazu, dass ich langsam zu diesem Weg gekommen bin. Ich weiß, dass ich bei diesem Weg mit meinem Gott im Kontakt bin.

Richter: Wie sind Sie davon überzeugt worden, sich taufen zu lassen?

Beschwerdeführer: Jesus Christus sagt: „Jeder, der an mich glaubt, bekommt die Taufe und wird gerettet“. Ich habe es erlaubt mich taufen zu lassen, dass ich im Wasser ertrinke, meine Sünden mir vergeben werden und ich neu geboren werde.

Richter: Welcher Kirche haben Sie sich angeschlossen?

Beschwerdeführer: Wir sind jetzt in der evangelischen Kirche in XXXX .

Richter: Wie oft sind Sie in einer Kirche?

Beschwerdeführer: Etwa jede Woche.

Richter: Nehmen Sie regelmäßig an christlichen Messen Teil?

Beschwerdeführer: Ja.

Richter: Würden Sie sich als gläubig bezeichnen?

Beschwerdeführer: Das Christentum ist keine Religion, sondern ein Weg, welcher zum Gott führt und ich bin auf diesem Weg.

Richter: Was sind die wichtigsten Grundlagen des Christentums?

Beschwerdeführer: Reue, Glaube und Liebe.

Richter: Woran glauben Sie?

Beschwerdeführer: Liebe, alles ist Liebe.

Richter: Wer ist Gott?

Beschwerdeführer: Der Gott, alle drei sind Gott Vater, Sohn und der Heilige Geist.

Richter: Welche sind die wichtigsten Gebete?

Beschwerdeführer: Vater Unser.

Richter: Welche kirchlichen Feiertage kennen Sie?

Beschwerdeführer: Geburt Jesus Christus, das ist zu Weihnachten, Ostern und Pfingsten.

Richter: Wer ist das Oberhaupt Ihrer Kirche?

Beschwerdeführer: Der Vater der Kirche ist unser Pfarrer.

Richter: Was ist die Grundlage Ihres Glaubens?

Beschwerdeführer: Vater, Sohn und der Heilige Geist.

Richter: Aus welchen Teilen besteht die Bibel?

Beschwerdeführer: Das Alte Testament und das Neue Testament. Das Alte Testament besteht aus 39 Büchern und das Neue Testament aus 27 Büchern.

Richter: Wodurch unterscheidet sich das Christentum in Ihren Augen vom Islam so sehr, dass Sie sich haben taufen lassen?

Beschwerdeführer: Im Islam ist es so, wenn jemand stirbt, dann wird mit ihm in der anderen Welt abgerechnet. Jesus Christus sagt: „Wenn jemand an mich glaubt und getauft wird, der wird von seinen Sünden befreit“. Wenn man getauft wird und an Jesus Christus glaubt, dann wird einem alle Sünden vergeben und man beginnt ein neues Leben.

Richter: Wie ist die Taufe abgelaufen?

Beschwerdeführer: Es war an einem Fluss. Zwei Personen sind jeweils auf meiner rechten und linken Seite gestanden. Ich wurde dann ins Wasser getaucht und es wurde dann gesagt: „Im Namen Gottes, des Sohnes und des Heiligen Geistes“. Bevor ich ins Wasser getaucht wurde, wurde ich gefragt, ob ich Jesus Christus akzeptiere und es wurde mir gesagt, dass ich all die Sünden, die ich früher begangen habe, vergessen und nicht mehr daran denken soll.

Richter: Wie sieht das Leben in Ihrer christlichen Gemeinde aus?

Beschwerdeführer: Wir gehen jede Woche in die Kirche, wir unterhalten uns mit den Mitgliedern der Kirche, sie erzählen von den guten Taten des Jesus Christus. Dann sprechen wir über unser Leben. Sie sagen, wenn wir Flüchtlinge etwas brauchen, dann sollen wir es ihnen sagen, sie werden uns helfen. Wir sagen auch: „Wir Flüchtlinge sind auch bereit zu helfen, wenn Sie Hilfe brauchen“. Wir wollen zusammen ein gutes Leben haben.

Richter: Könnten Sie Ihr Christentum in Afghanistan oder im Iran praktizieren?

Beschwerdeführer: Man kann als Christ nach Afghanistan zurückkehren, aber man kann es dort nicht sagen, dass man Christ ist. Wenn man sagt, dass man Christ ist, wird man auf die Stelle getötet. Jesus Christus sagt, wer an ihn glaubt, muss von Herzen an ihn glauben. Jesus Christus sagt auch, wenn man an ihn glaubt, darf man ihn in keiner Situation leugnen. Wenn ich nach Afghanistan zurückkehre, kann ich es nicht verheimlichen, dass ich Christ bin. Ich muss sagen, dass ich Christ geworden bin. Wenn ich in Afghanistan aber sage, dass ich Christ geworden bin und den Islam nicht mehr akzeptiere, dann wird man mich ganz bestimmt töten.

Richter: Haben Sie Ihrer Familie von der Taufe erzählt?

Beschwerdeführer: Nein, da ich gar keinen Kontakt zu ihnen habe. Ich habe meine Frau kennengelernt, sie haben meiner Frau den Namen einer „Prostituierten“ gegeben, seitdem will ich gar nicht mit meiner Familie in Kontakt sein.

Richter: Schildern Sie bitte nochmals die Gründe Ihrer Beschwerde!

Beschwerdeführer: Wir wollen in Österreich leben.

Richter: Was würde passieren, wenn Sie jetzt nach Afghanistan zurückkehren müssten?

Beschwerdeführer: Wenn ich nach Afghanistan zurückkehren sollte, muss ich dort sagen, dass ich Christ geworden bin. Dort wird man mich, meine Kinder und meine Frau töten.

Rechtsvertreter: Würden Sie den zweiten Sohn auch taufen lassen?

Beschwerdeführer: Ja, wollen wir.

Rechtsvertreter: Keine weiteren Fragen.

[…]

Der Beschwerdeführer bringt nichts mehr vor.

Richter: Haben Sie die Dolmetscherin gut verstanden?

Beschwerdeführer: Ja.“

Die Rechtsvertretung der Beschwerdeführer verwies in der mündlichen Beschwerdeverhandlung auf die bisherigen Anträge der Beschwerde und fügte hinzu, die Beschwerdeführer würden sich für das Christentum bereits seit langer Zeit interessieren. Sie würden regelmäßig die Kirche besuchen, seien vom Islam ausgetreten und bereits getauft. Im Fall ihrer Abschiebung nach Afghanistan wären die Beschwerdeführer nur aufgrund ihrer Konversion massiven Verfolgungshandlungen, sowohl von Seiten des Staates als auch der afghanischen Gesellschaft, ausgesetzt. Aufgrund dieser Verfolgung aus religiösen Gründen seien die Beschwerdeführer Flüchtlinge im Sinn der Genfer Flüchtlingskonvention. Die Voraussetzungen für die Gewährung von Asyl und die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft würden vorliegen. Abschließend verwies die Rechtsvertretung auf die aktuellen Länderberichte und ersuchte um Stattgabe der Beschwerde.

19. Mit Schreiben vom XXXX erhob der minderjährige Viertbeschwerdeführer, vertreten durch seine Eltern, die Erstbeschwerdeführerin und den Zweitbeschwerdeführer, diese vertreten durch den Verein Menschenrechte Österreich, fristgerecht vollumfängliche Beschwerde gegen den abweisenden Bescheid vom XXXX .

20. Die Beschwerde des Viertbeschwerdeführers und der dazugehörige Verwaltungsakt wurden dem Bundesverwaltungsgericht durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zur Entscheidung vorgelegt. In einem beantragte die belangte Behörde die Abweisung der Beschwerde.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen

Beweis wurde erhoben durch Einsicht in die dem Bundesverwaltungsgericht vorliegenden Verwaltungsakten des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl und die Verfahrensakten des Bundesverwaltungsgerichts betreffend die Beschwerdeführer, insbesondere durch Einsicht in die vorgelegten Dokumente und Integrationsunterlagen, sowie durch Durchführung einer mündlichen Verhandlung und durch Einsichtnahme in die ins Verfahren eingeführten Länderberichte.

1. Feststellungen

1.1 Zu den Personen der Beschwerdeführer und ihrem Leben in Afghanistan

Die Beschwerdeführer tragen die im Spruch angeführten Namen und sind Staatsangehörige der Islamischen Republik Afghanistan. Sie gehören der Volksgruppe der Hazara an und waren ursprünglich der schiitischen Glaubensgemeinschaft des Islam zugehörig. Seit dem Jahr XXXX bekennen sich die Erstbeschwerdeführerin und der Zweitbeschwerdeführer zum christlichen Glauben. Die Muttersprache der Beschwerdeführer ist Dari bzw Farsi. Die Erstbeschwerdeführerin und der Zweitbeschwerdeführer können diese Sprache sowohl lesen als auch schreiben. Die Erstbeschwerdeführerin und der Zweitbeschwerdeführer sprechen Deutsch zumindest auf Niveau B1 des gemeinsamen europäischen Referenzrahmens für Sprachen.

Die Erstbeschwerdeführerin und der Zweitbeschwerdeführer heirateten am XXXX (entspricht dem XXXX nach gregorianischem Kalender) XXXX und sind Eltern des Drittbeschwerdeführers und des Viertbeschwerdeführers. Sie haben keine weiteren Kinder. Die Erstbeschwerdeführerin und der Zweitbeschwerdeführer sind im Entscheidungszeitpunkt jedenfalls volljährig. Der Drittbeschwerdeführer und der Viertbeschwerdeführer sind unmündige Minderjährige im Alter von XXXX Jahren bzw XXXX Monaten. Die Minderjährigen sind ledig und kinderlos.

Die Erstbeschwerdeführerin wurde in der afghanischen Provinz Daikundi geboren und reiste im Alter von ungefähr zwei Jahren mit ihrer Familie in den Iran aus. Dort wuchs sie in der Stadt XXXX im afghanischen Familienverband gemeinsam mit ihren Eltern, drei Brüdern und zwei Schwestern in einem angemieteten Haus auf. Der Zweitbeschwerdeführer wurde in der afghanischen Provinz Ghor im Distrikt XXXX geboren. Als der Zweitbeschwerdeführer erst wenige Monate alt war, flüchtete seine Familie mit ihm in den Iran, wo er in der Stadt XXXX im afghanischen Familienverband mit seinen Eltern, einer Schwester und zwei Brüdern aufwuchs. Die Erstbeschwerdeführerin und der Zweitbeschwerdeführer lernten einander in XXXX auf der Straße kennen und lieben. Gegen den Willen ihrer Familien heirateten die Erstbeschwerdeführerin und der Zweitbeschwerdeführer heimlich in XXXX und mieteten dort eine Einzimmerwohnung an, in der sie fortan ungefähr vier Monate lang wohnten, ehe sie nach XXXX übersiedelten, wo sie ungefähr zwei Monate lebten. Anschließend verließen die Erstbeschwerdeführerin und der Zweitbeschwerdeführer den Iran und reisten im Herbst XXXX Richtung Europa. Der Drittbeschwerdeführer und der Vierbeschwerdeführer wurden in Österreich (in XXXX bzw in XXXX ) geboren und waren noch nie in ihrem Herkunftsstaat Afghanistan.

Die Erstbeschwerdeführerin besuchte im Iran in XXXX elf Jahre die Schule und war anschließend Hausfrau. Der Zweitbeschwerdeführer besuchte fünf Jahre lang die Schule und arbeitete anschließend in XXXX als Bauarbeiter.

Die Eltern und die Geschwister der Erstbeschwerdeführerin leben nach wie vor im Iran. Die Erstbeschwerdeführerin hat nur mit einer ihrer Schwestern gelegentlich Kontakt übers Internet. Zu den übrigen Familienmitgliedern besteht kein Kontakt. Der Vater des Zweitbeschwerdeführers ist bereits vor mehreren Jahren verstorben. Seine Mutter und seine Geschwister halten sich nach wie vor im Iran auf. Es besteht kein Kontakt des Zweitbeschwerdeführers zu seiner Familie im Iran. Die Beschwerdeführer haben keine Verwandten oder sonstige enge Bezugspersonen in Afghanistan. Sie verfügen daher über kein soziales Netzwerk in ihrem Herkunftsstaat.

1.2 Zum Leben der Beschwerdeführer in Österreich

Die Erstbeschwerdeführerin und der Zweitbeschwerdeführer gelangten im XXXX gemeinsam in das österreichische Bundesgebiet und stellten am XXXX gegenständliche Anträge auf internationalen Schutz. Seither halten sie sich durchgehend im Bundesgebiet auf. Der Drittbeschwerdeführer und der Viertbeschwerdeführer wurden am XXXX bzw am XXXX in Österreich geboren und halten sich seit ihrer Geburt durchgehend in Österreich auf. Am XXXX stellte der Drittbeschwerdeführer und am XXXX der Viertbeschwerdeführer, beide vertreten durch ihre Mutter, die Erstbeschwerdeführerin, gegenständliche Anträge auf internationalen Schutz.

Das Verfahren wird als Familienverfahren gemäß § 34 AsylG 2005 geführt.

In Österreich leben keine Verwandten oder sonstige wichtige Bezugspersonen der Beschwerdeführer. Es besteht weder eine Lebensgemeinschaft der Beschwerdeführer in Österreich, noch gibt es, abgesehen von den Dritt- und Viertbeschwerdeführern, in Österreich geborene Kinder der Beschwerdeführer.

Die Beschwerdeführer bewohnen gemeinsam eine Unterkunft in XXXX . Sie beziehen L

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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