TE Bvwg Erkenntnis 2020/12/14 W159 2197580-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 14.12.2020
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Entscheidungsdatum

14.12.2020

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §3 Abs5
B-VG Art133 Abs4

Spruch


W159 2197580-1/12E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Dr. Clemens KUZMINSKI als Einzelrichter über die Beschwerde des XXXX , geb. XXXX , StA Afghanistan, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 20.04.2018, Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 27.11.2020 zu Recht erkannt:

A)

Der Beschwerde wird stattgegeben und XXXX gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 der Status eines Asylberechtigten zuerkannt.

Gemäß § 3 Abs. 5 leg. cit. wird festgestellt, dass XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

Der Beschwerdeführer, ein damals unbegleiteter minderjähriger Staatsbürger Afghanistans, gelangte (spätestens) am 25.09.2015 irregulär nach Österreich und stellte an diesem Tag einen Antrag auf internationalen Schutz. Noch am gleichen Tag erfolgte die Erstbefragung durch die Landespolizeidirektion XXXX . Dabei gab der Beschwerdeführer an, dass er im Iran von den Bassidji mit dem Umbringen bedroht und mehrmals geschlagen worden sei. Deswegen habe er den Iran verlassen. Afghanistan habe sein Vater seinerzeit wegen der Taliban verlassen. Die Schiiten und Hazara seien von den Taliban verfolgt und umgebracht worden.

Mit der gesamten Obsorge wurde das Amt für Jugend und Familie, XXXX betraut, es wurde jedoch ein Betreuungsvertrag mit Frau XXXX als Vertreterin der Gastfamilie abgeschlossen. Nach Zulassung zum Asylverfahren erfolgte am 22.02.2018 eine Einvernahme durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Wien. Eingangs der Einvernahme gab der Beschwerdeführer an, dass er von seiner Religion her Agnostiker sei. Organisch gehe es ihm gut, aber er sei durch die Flucht traumatisiert und mache deswegen eine Traumatherapie bei Frau XXXX . Er habe keine Personaldokumente, legte aber mehrere Integrationsdokumente, insbesondere Schulbestätigungen vor.

Bis zum Alter von zwei Jahren sei er mit seinen Eltern im Dorf XXXX , Provinz Uruzgan in Afghanistan aufhältig gewesen. Dann sei er mit seinen Familienangehörigen in den Iran verzogen. Zuerst habe er ein Jahr eine private Schule für Afghanen besucht, dann sei es seinem Vater aufgrund von Beziehungen gelungen, dass er als außerordentlicher Schüler in eine öffentliche Schule im Iran gehen durfte. Er habe fünf Jahr lang die Grundschule besucht und dann noch zwei Jahre verschiedene Koranschulen. Sein Vater habe im Iran in der Speisepilzerzeugung gearbeitet, seine Mutter als Schneiderin. 2014 habe er auch in der Speisepilzerzeugung gearbeitet und nebenbei seiner Mutter in der Schneiderei geholfen. Im Iran würden außer seinen Eltern auch noch seine beiden jüngeren Brüder sowie eine jüngere Schwester leben. In Afghanistan habe er niemanden mehr. Auch seine Onkel und Tanten würden in verschiedenen Teilen des Irans leben. Seine Eltern hätten Afghanistan wegen der Taliban und der Verfolgung der Hazara verlassen, außerdem sei sein Großvater, der ein bekannter Mullah gewesen sei, vergiftet worden. Seine Flucht habe seine Mutter und sein Onkel XXXX organisiert. Er selbst habe keine Probleme in Afghanistan gehabt.

Zu den Fluchtgründen gefragt, gab er an, dass ihn sein Vater in eine Koranschule nach XXXX geschickt habe. Er habe dort im Religionsunterricht nach der Meinung der Mullahs unangebrachte und respektlose Fragen gestellt und auch nicht ordentlich an den Gebeten teilgenommen und sei von der Koranschule verwiesen worden. Dann habe er mit seinem Vater gemeinsam gearbeitet. Sein Vater habe ihn dann quasi zur „Besserung“ in eine Schule der Bassidji geschickt. Auch dort habe er „unangebrachte Fragen“ gestellt und alles hinterfragt. Er sei auch nicht in die Moschee gegangen. Da die Lehrer gemerkt hätten, dass er nicht wirklich gläubig sei, sei er geschlagen und gefoltert worden. Sie hätten ihm sogar einen Zehennagel ausgerissen. Der Direktor habe dann seinem Vater vorgeschlagen, dass er zur „Läuterung“ in den Krieg nach Syrien geschickt werden solle und würde seine Familie dadurch einen legalen Aufenthaltsstatus erhalten. Sein sehr religiöser Vater sei damit einverstanden gewesen, seine Mutter jedoch nicht. Als er einmal daheim und sein Vater beruflich unterwegs gewesen sei, habe seine Mutter und sein Onkel die Ausreise organisiert. Seine Eltern seien sehr religiös gewesen, sein Vater habe gewollt, dass er so wie sein Großvater Mullah werde. Seine Mutter habe jedoch verhindern wollen, dass er im Krieg in Syrien sterbe.

In Österreich besuche er die HTL Höhere Abteilung für Netzwerktechnik im XXXX und mache mit seinen Freunden Sport. Zum Beispiel gehe er Fußballspielen und ins Fitness-Center.

Er glaube schon, dass es einen Gott geben könnte, aber es sei ihm egal. Er wolle ohne Religion leben. Es störe ihn, dass die Politik und die Religion sehr vermischt würden. Er habe auch kein Interesse an einer anderen Religion. Nach seinen Rückkehrbefürchtungen befragt, gab er an, dass, wenn sie in Afghanistan herausfinden würden, dass er sich vom Glauben abgewandt habe, würde er getötet werden Außerdem würde ihn auch sein Vater töten, weil er dessen Ehre zerstört habe. Er lebe bei der Familie XXXX , beziehe Grundversorgung. Er glaube auch, dass seine Verwandten schon wissen würden, dass er vom Glauben abgefallen sei.

Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 20.04.2018, Zl. XXXX wurde unter Spruchteil I. der Antrag auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen, unter Spruchpunkt II. dieser Antrag auch hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan abgewiesen, unter Spruchpunkt III. ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt, unter Spruchpunkt IV. eine Rückkehrentscheidung erlassen, unter Spruchpunkt V. die Abschiebung nach Afghanistan für zulässig erklärt und unter Spruchpunkt VI. die Frist für die freiwillige Ausreise mit 14 Tagen festgelegt.

In der Begründung des Bescheides wurden die oben bereits im wesentlichen Inhalt wiedergegebenen Einvernahmen dargestellt sowie Feststellungen zu Afghanistan getroffen. In der Beweiswürdigung wurde aufgrund der vorgelegten Bestätigungen festgestellt, dass der Beschwerdeführer sich einer klinisch-psychologischen Behandlung unterziehe, von akuten (organischen) Krankheiten sei jedoch nichts berichtet worden. Es sei nicht festgestellt worden, dass der Beschwerdeführer vom muslimisch-schiitischen Glauben abgefallen sei, zumal er bei der Erstbefragung vor der Landespolizeidirektion XXXX angegeben habe, muslimisch-schiitischen Glaubens zu sein. Für die Behörde sei auch nicht nachvollziehbar, dass er die Befürchtung der Verfolgung durch seinen Vater nicht als erstes angegeben habe. Außerdem habe er den Austritt aus der islamischen Glaubensgemeinschaft nicht formell erklärt und habe er sich bei der Beschreibung seiner Einstellung zur Religion „in der afghanischen Society bekannter Floskeln und Phrasen“ bedient, sodass die Behörde nicht zur Überzeugung gelangt sei, dass er aus innerer Überzeugung vom Glauben abgefallen sei. Die belangte Behörde setzte sich in der Folge ausgiebig mit den vorgebrachten Verfolgungshandlungen im Iran auseinander, kam jedoch dann zu dem Schluss, dass diese rechtlich nicht relevant wären, sowie dass der Beschwerdeführer hinsichtlich Afghanistan keinerlei Verfolgungshandlungen vorgebracht habe. Eine (Gruppen)-verfolgung der Hazara widerspreche den herangezogenen Länderdokumenten und wurde schließlich auch aus einer Anfragebeantwortung der Staatendokumentation betreffend die Behandlungsmöglichkeiten von posttraumatischer Belastungsstörung in Afghanistan zitiert. Rechtlich begründend wurde zu Spruchteil I. insbesondere ausgeführt, dass der Antragsteller keine glaubhaften asylrelevanten Gründe darlegen hätte können und daher begründete Furcht als Voraussetzung für die Asylgewährung ausgeschlossen werden könne. Hinsichtlich Spruchteil II. wurde auf eine mögliche inländische Fluchtalternative in Kabul hingewiesen, sowie auf die Behandlungsmöglichkeiten einer posttraumatischen Belastungsstörung und auf den Umstand, dass die Angehörigen der Volksgruppe der Hazara in Afghanistan nicht (mehr) verfolgt würden. Es könnten daher aus den individuellen persönlichen Verhältnissen keine Gefährdung im Sinne des § 8 AsylG abgeleitet werden. Es sei davon auszugehen, dass der Antragsteller im Falle der Rückkehr nach Afghanistan in der Lage sei, seine dringendsten Lebensbedürfnisse zu befriedigen. Dazu sei auch kein soziales und familiäres Netzwerk erforderlich. Schließlich sei auch auf den Umstand hinzuweisen, dass der Beschwerdeführer nicht nur arbeitsfähig sei, sondern auch über schulische Bildung und Berufserfahrung verfüge.

Die Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 57 AsylG läge nicht vor (Spruchpunkt III.). Unter Spruchpunkt IV. wurde insbesondere darauf hingewiesen, dass der Beschwerdeführer über keine Familienangehörigen im Bundesgebiet verfüge. Er lebe erst seit relativ kurzer Zeit bei einer Gastfamilie und zeige durchaus Integrationsbemühungen. Unter Berücksichtigung des erst ca. zweieinhalbjährigen Aufenthaltes sei jedoch in Anbetracht des Verstoßes gegen die Einreisevorschriften auch nicht von einem schützenswerten Privatleben auszugehen und sei daher ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht zu erteilen gewesen und eine Rückkehrentscheidung für zulässig zu erachten. Zu Spruchpunkt V. wurde insbesondere dargelegt, dass keine Gefährdung im Sinne des § 50 FPG vorliege und einer Abschiebung nach Afghanistan auch keine Empfehlung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte entgegenstehe, sodass diese als zulässig zu bezeichnen sei; Gründe für die Verlängerung der Frist für die freiwillige Ausreise wären ebenfalls nicht hervorgekommen (Spruchpunkt VI.).

Gegen diesen Bescheid erhob der Antragsteller, vertreten durch die XXXX , fristgerecht gegen alle Spruchteile Beschwerde, in der zunächst der bisherige Verfahrensgang und das Vorbringen (gerafft) wiedergegeben wurde. Weiters wurde ein Vorbringen hinsichtlich einer allfälligen Gruppenverfolgung der Hazara in Afghanistan vorgebracht, um dann ausführlich unter Zitierung zahlreicher Länderdokumente zu schlussfolgern, dass die Apostasie mit dem Tode bestraft werde und der Beschwerdeführer auch als verwestlich wahrgenommene Person einer Verfolgungsgefahr unterliege. Schließlich setzte sich die Beschwerde auch weitwendig mit der Frage einer inländischen Fluchtalternative und den Existenzmöglichkeiten für Rückkehrer in Afghanistan auseinander. Zur Beweiswürdigung wurde insbesondere ausgeführt, dass bei der Beurteilung von Unstimmigkeiten und Widersprüchen zur Erstbefragung zu berücksichtigen gewesen sei, dass der Beschwerdeführer damals erst 15 Jahre alt gewesen sei.

Die Schlussfolgerung, dass der Beschwerdeführer keine asylrelevanten Fluchtgründe im Sinne der GFK vorgebracht habe, beruhe nur auf dem mangelhaften Ermittlungsverfahren und der mangelhaften Beweiswürdigung der belangten Behörde. Von der Möglichkeit des formellen Austritts aus der Islamischen Glaubensgemeinschaft habe der Beschwerdeführer keine Kenntnis gehabt. Er habe aber bereits gegenüber dem Meldeamt angegeben, ohne religiöses Bekenntnis zu sein.

Rechtlich begründend wurde insbesondere ausgeführt, dass der Verfolgungsreligion nach der Statusrichtlinie auch nicht theistische und atheistische Glaubensüberzeugungen umfasse und sei die staatliche Verfolgung aufgrund des Abfall vom Islam wegen der Verquickung von Staat und Religion in Afghanistan auch unter den GFK-Grund der unterstellten politischen Gesinnung zu subsumieren. Wenn die Behörde darauf verweise, dass der Beschwerdeführer keine Verfolgungshandlungen in Afghanistan habe geltend machen können, sei dem entgegen zu halten, dass der Beschwerdeführer nur im Kleinkindalter in Afghanistan gelebt habe und es auch bei der Verfolgungsgefahr um eine Prognoseentscheidung gehe. Beim Beschwerdeführer liege eine Kumulation verfolgungsrelevanter Merkmale, nämlich Agnostiker, Hazara, keinerlei familiärer und sozialer Anschluss in Afghanistan vor. Dies sei insbesondere auch für die Frage des subsidiären Schutzes zu berücksichtigen gewesen und verfüge der Beschwerdeführer auch über keinerlei Kontakte oder Netzwerke, die ihm einen Zugang zur Arbeit, Wohnraum oder sonstigen überlebenswichtigen Ressourcen in Afghanistan ermöglichen würden. Es sei dem Beschwerdeführer daher auch keine inländische Fluchtalternative zumutbar.

Schließlich wurde zur Integration des Beschwerdeführers ausgeführt, dass dieser bereits fließend Deutsch auf C1-Niveau spreche und auch bei der Einvernahme am 22.02.2018 schon in der Lage gewesen sei, alle an ihn gerichteten Fragen auf Deutsch zu beantworten. Zudem verfüge der Beschwerdeführer in Österreich über ein dichtes Netz an sozialen Kontakten, hege zahlreiche Freundschaften zu Österreichern und sei insgesamt von einer positiven Integration auszugehen, zumal bei ihm auch ein durchgehender Schulbesuch vorliege. Schließlich wurde unter Hinweis auf die diesbezügliche Judikatur des Verwaltungs- und des Verfassungsgerichtshofes basierend auf Art. 47 GRC die Anberaumung einer mündlichen Beschwerdeverhandlung ausdrücklich beantragt.

Die XXXX legte mit Schreiben vom 20.10.2020 die Vertretung des Beschwerdeführers zurück, Rechtsanwalt XXXX legte mit Schriftsatz vom 29.10.2020 eine Vollmacht vor, rügte in drei Punkten die Protokollierung der belangten Behörde und führte aus, dass der Beschwerdeführer nicht länger den stark islamisch konnotierten Vornamen XXXX tragen wolle und sein gesamtes Umfeld ihn XXXX nenne. Der Beschwerdeführer bezeichne sich selbst seit langem als Agnostiker und sei auch formell aus der Islamischen Glaubensgemeinschaft ausgetreten. Er hielte keinerlei islamische Gebote ein, esse gerne Schweinsbraten und trinke Alkohol. Zudem führe er seit mehr als einem Jahr eine uneheliche Beziehung mit einer jungen österreichischen Frau, die ebenfalls ohne religiöses Bekenntnis sei und spiele trotz seiner distanzierten Haltung zu allen Religionen in der Fußballmannschaft der XXXX mit. Diesbezüglich wurden die zeugenschaftlichen Einvernahmen des XXXX (Gastvater), der XXXX (Freundin) und des XXXX (Leiter der Pfarr-Fußballmannschaft) beantragt. Aufgrund seiner (a)religiösen Gesinnung wäre der Beschwerdeführer bei einer Rückkehr nach Afghanistan mit der Todesstrafe bedroht. Weiters habe sich der Beschwerdeführer bestens in Österreich integriert und werde von seiner Gastfamilie als jüngstes Kind wahrgenommen. Er habe bereits die neunte Schulstufe abgeschlossen und habe zunächst die XXXX besucht, sei jedoch in der Zwischenzeit in das Abendgymnasium gewechselt, um die Matura zu machen. Aufgrund der psychischen Probleme und starken Schlafstörungen des Beschwerdeführers habe er in der HTL zu viele Fehlzeiten gehabt, mit dem Abendgymnasium sei dies leichter. Zum Ausgleich spiele der Beschwerdeführer wöchentlich in der Pfarre XXXX . Er sei auch ehrenamtlich für das XXXX tätig. Außerdem habe er bereits ein Praktikum absolviert und wurden diesbezügliche Bestätigungen einschließlich eines Deutschzertifikates B2 sowie eine ausgiebige Stellungnahme der Gastfamilie vorgelegt.

Das Bundesverwaltungsgericht beraumte eine öffentliche mündliche Beschwerdeverhandlung für den 27.11.2020 unter Ladung der genannten Zeugen an, das Bundesamt hat keinen Vertreter entsandt. Aufgrund der sehr guten Deutschkenntnisse des Beschwerdeführers wurde auf die Beiziehung eines Dolmetschers verzichtet. Der Beschwerdeführer hielt die Beschwerde und sein bisheriges Vorbringen aufrecht und wollte außer den bereits durch seinen Rechtsanwalt vorgebrachten Korrekturen nichts korrigieren oder ergänzen. Er sei afghanischer Staatsbürger. Die iranische Staatsangehörigkeit sei seinen Eltern nicht verliehen worden. Sie seien dort illegal aufhältig gewesen. Er sei am XXXX im Dorf XXXX (phonetisch), in der Provinz Uruzgan in Afghanistan geboren worden. Als er zwei Jahre alt gewesen sei, sei er mit seinen Eltern in den Iran geflohen. Dort habe er bis 2015 gelebt. Anschließend sei er nach Europa gereist. Er sei nach dem Jahr 2002/2003 nicht noch einmal in Afghanistan gewesen. Er gehöre der Volksgruppe der Hazara an und sei ursprünglich Moslem/Schiit gewesen, jetzt sei er Agnostiker. Gefragt nach dem Grund, warum er sich vom Islam abgewandt habe, gab er an, dass sein Vater ein sehr religiöser Mensch gewesen sei und sein Großvater ein Mullah gewesen sei. Sein Vater habe gewollt, dass er auch Mullah werde und habe er das als Kind auch gewollt. Sobald er älter geworden sei, habe er sich Fragen gestellt, zum Beispiel habe er bei der Beschäftigung mit der Evolutionstheorie Darwins sich die Frage gestellt, ob Adam vielleicht ein Affe gewesen sei. Sein Vater habe ihn wegen dieser Frage verprügelt. Es seien noch viele andere Fragen aufgetaucht. Sein Vater habe gewollt, dass er den Koran auswendig lerne. Auch habe er nicht verstehen können, dass XXXX sich selbst als Nachfolger Gottes bezeichne, obwohl in einer der letzten Suren des Koran stehe, dass Gott keinen Nachfolger habe. Er sei immer mehr vom Islam enttäuscht worden. Dies habe zu Konflikten mit seinem Vater geführt und habe er ihn dann in eine Koranschule nach XXXX , dem Zentrum des Islams im Iran, geschickt. Er habe auch dort versucht, auf seine Fragen Antworten zu finden, habe aber keine bekommen. Es sei vielmehr im Islam verboten, gewisse Fragen zu stellen. Es sei ihm vorgeworfen worden, dass er Fragen des Satans stelle und sei er dann von der Schule verwiesen worden. Dann sei er zu seinen Eltern zurück und habe mit seinem Vater in der Pilzzucht gearbeitet. Er habe auch versucht, auf seine Fragen Antworten im Internet zu finden, wobei es ihm gelungen sei, den Zensurfilter im Iran zu umgehen. Er habe dann Antworten auf seine Fragen bei Personen außerhalb des Irans gefunden. So sei er auch auf den Philosophen XXXX gestoßen. Sein Ausspruch „Gott ist tot und wir haben ihn umgebracht.“ sei zu seinem Lieblingszitat geworden. Es habe ihn besonders gestört, dass der Koran vor 1400 Jahren geschrieben worden sei, aber sich die Verfassung direkt auf ihn beziehe. Außerdem habe ihn die Unterdrückung der Frauen gestört. Während die Atheisten sagen würden, es gebe keinen Gott, sagten die Agnostiker, es sei ihnen egal. Er akzeptiere jede Religion, übe aber keine Religion aus. Er spiele wohl in einer kirchlichen Fußballmannschaft, wolle aber nicht zum Christentum konvertieren. Einmal habe er mit seiner Gastfamilie Weihnachten gefeiert, aber das sei in ihrer Familie nicht so wichtig. Alle, die ihn kennen würden, wüssten über seinen Abfall vom Islam. Sein Vater habe ihn deswegen aus der Familie verstoßen. Dieser wolle keinen Kontakt mehr mit ihm. Im Iran habe er Angst, nach Afghanistan oder nach Syrien geschickt zu werden, gehabt, denn die Polizei interessiere es nicht, wie alt man sei.

Nach den Konflikten mit seinem Vater habe er ihn in einer Koranschule der Bassidji angemeldet, da sein Vater gute Beziehungen zu dem Direktor gehabt habe. Es sei eine schreckliche Zeit gewesen, sie hätten ihn dort gefoltert. Sie hätten ihn als Kämpfer nach Syrien schicken wollen. Als er einmal zuhause gewesen sei und sein Vater nicht da gewesen sei, hätte ihn seine Mutter mit Hilfe seines Onkels zur iranisch-türkischen Grenze und dann weiter nach Europa geschickt. Ab und zu habe er noch zu seinem nächstjüngeren Bruder Kontakt und durch ihn mit seiner Mutter. Er leide unter einem posttraumatischen Belastungssyndrom und sei bei einer Psychotherapeutin in Behandlung.

Der Kontakt mit der Familie XXXX sei 2016 durch die Organisation XXXX entstanden, welche Patenfamilien vermittle. Mit der Familie habe es von Anfang an sehr gut „gefunkt“. Schon im Dezember 2016 sei er bei ihnen eingezogen. Er habe von der Familie XXXX gratis Unterkunft und Verpflegung erhalten, sie erhielten allerdings eine Unterstützung durch das XXXX . Er fühle sich als Mitglied dieser Familie und unternehme in seiner Freizeit sehr viel mit seiner Gastschwester und deren Freund. Sie hätten einen Hund und würden sie oft spazieren gehen. In den Weihnachtsferien würde er mit der Familie XXXX nach Oberösterreich fahren, wo Herr XXXX herstamme. Samstag und Sonntag würden sie auch gemeinsam Mittagessen. Er mag die österreichische Küche, am liebsten habe er Schweinsbraten. Er trinke auch gerne österreichische Weine, vor allem aus dem Burgenland. Am liebsten den XXXX . In seiner Freizeit trinke er auch gerne Rum und Whiskey. Er koche gerne, auch die persische Küche, aber auch Wiener Schnitzel habe er schon öfters gemacht. Seine Freundin XXXX habe er in einer Bar in der Nähe des XXXX kennengelernt, wo sie mit einer Freundin gewesen sei. Seit 12.05.2019 führten sie eine Beziehung. Seine Freundin studiere Volkswirtschaftslehre und arbeite am Wochenende im XXXX . Er übernachte fast fünf Mal in der Woche bei seiner Freundin bzw. deren Eltern und sie würden auch gerne zusammenziehen.

Er besucht das Abendgymnasium. Wegen seiner Schlafstörungen und seiner posttraumatischen Belastungsstörung habe er in der HTL viel gefehlt und habe er dann den Anschluss verloren. In der Maturaschule sei dies ihm leichter möglich. Er habe schon ein B2-Diplom und einen Pflichtschulabschluss in Form einer Übergangsklasse gemacht und habe ein Praktikum bei der Firma „ XXXX “ gemacht. Außerdem helfe er freiwillig beim XXXX . In seiner Freizeit mache er viel Sport, spiele Fußball, gehe ins Fitness-Studio und mache Yoga und lese auch gerne. Befragt nach seinen Zukunftsplänen gab er an, dass er zunächst die Matura machen möchte und dann Lehramt für Sport und Englisch studieren wolle und eine EDV-Firma gründen wolle. Bei einer Rückkehr nach Afghanistan würde er ziemlich fix getötet werden. Er könne dort keine eigene Meinung haben. Er müsste sich immer verstecken. Gefragt, ob er sich vielleicht in Herat oder Mazar-e Sharif niederlassen könne, gab er an, dass er das nicht könne, er habe dort niemanden und habe dort keine Chance zu überleben. Befragt, ob er bei einer Rückkehr nach Afghanistan zum Schein wieder zum Islam zurückkehren würde, gab er an, dass er das nicht könne. Er könne seine Einstellung nicht immer geheim halten. Vielleicht würde er am Anfang leise sein, aber irgendwann könne er seine nichtreligiöse Einstellung nicht mehr für sich behalten. Diese Überzeugung sei ein Teil seines Lebens. Über Befragungen durch den Beschwerdeführervertreter erläuterte der Beschwerdeführer die Tätowierungen an beiden Unterarmen. Weiters gab er an, dass er sich als Feminist bezeichne. Er wolle seinen offiziellen Namen XXXX nicht länger behalten, weil dies sein sehr islamischer Name sei. Alle würden ihn XXXX nennen und möchte er diesen Namen auch offiziell führen können.

Verlesen wurde der aktuelle Strafregisterauszug des Beschwerdeführers, in dem keine Verurteilung aufscheint. Festgehalten wurde, dass der Beschwerdeführer hervorragend Deutsch spricht und eine Verständigung auch zu schwierigen Themen ohne jegliche Probleme möglich gewesen ist.

Der Zeuge XXXX gab an, dass er ein Ordensbruder sei und in einer Pfarre als Pastoralassistent tätig sei. Den Beschwerdeführer habe er im Spätherbst/Winter 2015 beim Fußballspielen kennengelernt. Sie hätten Flüchtlinge zum Fußballspielen in die Pfarre eingeladen. Ein Freund habe den Beschwerdeführer, den er als XXXX kenne, mitgenommen. Sie würden mit ihrer Mannschaft, XXXX , in der Hobby-Kleinfeld-Fußballliga spielen. Sie würden sich wohl nach jedem Spiel über Glaubensfragen unterhalten, der Beschwerdeführer beteilige sich auch an Diskussionen, aber alle wüssten, dass er Agnostiker sei. Er habe ihn auch gefragt, ob dies ein Problem sei und habe er dies verneint. Der Beschwerdeführer habe auch kein Interesse am Christentum gezeigt und habe er diese Einstellung respektiert. Der Beschwerdeführer sei auch schon Trainer bei einem Fußballcamp gewesen.

Die Zeugin XXXX gab an, dass sie an der Universität XXXX Volkswirtschaftslehre studiere und sie am Samstag als Aushilfe im XXXX im XXXX arbeiten würde. Sie habe Mitte/Ende April 2019 den Beschwerdeführer in einer Bar in der Nähe des XXXX kennengelernt. Seit 12.05.2019 würden sie eine Beziehung führen. Vor dem Lockdown hätten sie viel gemeinsam im Fitness-Studio trainiert. Sie gehe auch hobbymäßig Reiten und begleitet er sie dorthin. Sie würden sich beide sehr für Kunst interessieren und würden auch öfters in die XXXX gehen. Über Religion hätten beide in einem sehr kritischen und philosophischen Kontext gesprochen. Sie sei auch religionskritisch eingestellt. Ihr Freund habe keinen Hass auf Religionen, aber alle Religionen würden ihm fernstehen. Der Beschwerdeführer übernachte regelmäßig bei ihr bzw. bei ihren Eltern, weil sie noch bei ihren Eltern leben würde. Sie seien aber auch oft gemeinsam bei seiner Patenfamilie. Wenn sie mit dem Studium fertig sei und sie sich eine Wohnung leisten könnten, würden sie auch gerne zusammenziehen. Heiratspläne hätten sie derzeit nicht. Sie könne auch eindeutig bestätigen, dass ihr Freund ein Feminist sei. Sie habe schon verschiedene Männer in unterschiedlichem Alter kennengelernt und sei es erstaunlich, wenn man berücksichtige, in welchem Umfeld der Beschwerdeführer aufgewachsen ist, wie fortschrittlich und feministisch er denke.

Schließlich wurde der Zeuge XXXX unter Wahrheitspflicht befragt. Dieser gab an, dass Kontakt mit dem Beschwerdeführer über Vermittlung des Vereines XXXX im Dezember 2016 entstanden sei. Sie seien dann als gesamte Familie einschließlich des Freundes seiner Tochter in die WG, wo der Beschwerdeführer damals gewohnt habe, gekommen. Es sei irgendwie Zuneigung auf den ersten Blick gewesen und hätte sich dieser Eindruck über die Jahre verstärkt. Bis September 2016 sei er zunächst am Wochenende bei ihnen gewesen und ab Dezember 2016 sei er offiziell zu ihnen gezogen. Er bekomme ein Taschengeld vom XXXX , das bleibe ihm jedoch. Er erhalte von der Patenfamilie gratis Verpflegung und Unterkunft. Der Beschwerdeführer nehme auch an Familienfeiern und Freizeitaktivitäten teil. Sie würden gemeinsam regelmäßig seine Verwandten in Oberösterreich besuchen, hätten aber auch in verschiedenen österreichischen Bundesländern gemeinsam Urlaub gemacht. Er sei wohl als Jugendlicher aktiv linkskatholisch gewesen, aber und seine Frau seien schon lange nicht mehr Mitglied der Katholischen Kirche und habe er auch sehr viel über seinen Werdegang mit dem Beschwerdeführer gesprochen. Er hätte mit dem Beschwerdeführer mehr über philosophische als über religiöse Themen gesprochen, zum Beispiel über das Thema Freiheit, aber der Beschwerdeführer habe sich ihm auch bald anvertraut über das, was in seiner Familie passiert sei und über die Einstellung seines Vaters. Der Beschwerdeführer sei ein hochgradig Wissender, was Religion und Philosophie betreffe, sie würden auch öfters über Geschichte und Zeitgeschichte sprechen, aber er habe den Beschwerdeführer noch nie bei irgendeiner Religionsausübung gesehen. Der Beschwerdeführer habe für sich selbst klar erkannt, wie gefährlich Religion sein könne und halte er sich von fanatisch religiösen Personen (gleichgültig welcher Religion) fern. Er habe aber einen breiten Freundeskreis, darunter viele Österreicher. Seine Freundin sei auch öfters bei ihnen. Am Wochenende gebe es auch ein gemeinsames Essen, an der sie teilnehme. Der Beschwerdeführer esse auch Schweinefleisch und trinke Alkohol. Er sei ein Liebhaber von Weinen und mag am liebsten aromatische Weine mit leicht süßer Note. Gefragt, warum der Beschwerdeführer mit der HTL aufgehört habe, gab er an, dass der Beschwerdeführer auch Probleme mit seinen viel jüngeren Mitschülern gehabt habe und im Frühjahr 2017 durch den Tod seines Onkels XXXX , der in seinem Leben eine positive väterliche Rolle eingenommen habe, stark belastet gewesen sei, wobei es bis zuletzt unklar geblieben sei, ob dieser eines natürlichen Todes gestorben sei. Der Beschwerdeführer möchte die Reifeprüfung machen und anschließend studieren. Er sei davon überzeugt, dass er das schaffen könne und er werde ihn auch nicht hängen lassen.

Über Vorhalt des aktuellen Länderinformationsblattes der Staatendokumentation (soweit verfahrensrelevant) gab der Beschwerdeführervertreter sogleich folgende Stellungnahme ab.

„Anhand der Ergebnisse des Beweisverfahrens ist ersichtlich, dass der Abfall des Beschwerdeführers vom islamischen Glauben auf einer gefestigten inneren Überzeugung beruht. Die legitimen Zweifel und Fragen des Beschwerdeführers zu seinem damaligen islamischen Glauben wurden seitens des Vaters des Beschwerdeführers sowie durch Repräsentanten des konservativ islamischen Regimes im Iran mit Gewalt beantwortet, was beim Beschwerdeführer zu großer Frustration und einer Abkehr vom islamischen Glauben führte. Zuletzt sah er sich aufgrund seiner kritischen Fragen und Äußerungen zum Islam insofern sogar in seinem Leben bedroht, als sein Vater ihn im Dienste des iranischen Regimes nach Syrien in den Krieg schicken lassen wollte, was zur Flucht führte. In Österreich lernte der Beschwerdeführer im Rahmen seiner säkularen Gastfamilie sowie seines gemischten bzw. liberalen Freundeskreises Freiheiten kennen, welche er inzwischen zutiefst verinnerlicht hat. Er führt eine nicht eheliche Beziehung mit einer konfessionslosen Partnerin und bezeichnet sich offen als Agnostiker und Feministen. Aufgrund seiner Ablehnung des stark islamisch konnotierten Namens „ XXXX “ führt er seit Jahren den Rufnamen „ XXXX “. Eine Verleugnung seiner Überzeugungen wäre dem Beschwerdeführer im hypothetischen Fall einer Rückkehr nach Afghanistan weder zumutbar noch – angesichts der „unislamischen“ Tätowierungen an beiden Unterarmen – praktisch möglich. In Afghanistan droht dem Beschwerdeführer daher die Todesstrafe bzw. die Verfolgung durch Private bei fehlendem staatlichen Schutz, weshalb ihm Asyl zu gewähren sein wird.“

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat wie folgt festgestellt und erwogen:

1. Feststellungen:

Feststellungen zur Person des Beschwerdeführers:

Der Beschwerdeführer ist Staatsbürger von Afghanistan und gehört der Volksgruppe der Hazara an. Er wurde am XXXX im Dorf XXXX in der Provinz Uruzgan geboren, lebte jedoch nur die ersten zwei Lebensjahre dort und floh dann mit seinen Eltern und seinen Geschwistern in den Iran, wo er bis zum Jahr 2015 in XXXX lebte. Seine Familie lebte illegal im Iran, hatte jedoch keine wirtschaftlichen Probleme. Sein Vater arbeitete in einer Pilzzucht, seine Mutter als Schneiderin. Er entstammt einer sehr religiösen schiitischen Familie. Sein Großvater war Mullah und der Beschwerdeführer wollte als Kind auch Mullah werden. Bereits mit Eintritt der Pubertät begann jedoch der Beschwerdeführer religionskritische Fragen zu stellen und wurde von seinem Vater deswegen geschlagen. Sein Vater schickte ihn zunächst in eine Koranschule in das islamische Zentrum des Iran, nach XXXX , wo er jedoch wegen seiner kritischen Fragen negativ auffiel und der Schule verwiesen wurde. Nachdem der Beschwerdeführer eine Zeit lang gemeinsam mit seinem Vater arbeitete, schickte er ihn sodann „zwecks Korrektur“ auf eine Koranschule der Bassidji. Als er auch dort durch seine religionskritische Einstellung und Verweigerung einer religiösen Betätigung negativ auffiel, wurde er gefoltert und sollte er – mit Zustimmung seines Vaters – in den Krieg nach Syrien geschickt werden. Während eines Heimaufenthaltes, bei dem sein Vater nicht anwesend war, schickte die Mutter des Beschwerdeführers und sein Onkel XXXX ihn auf die Reise nach Europa, wo er am 24.09.2015 in Österreich anlangte. Der Beschwerdeführer hat über seinen nächstjüngeren Bruder gelegentlich Kontakt mit seiner Mutter im Iran, mit niemanden jedoch mehr in Afghanistan. Sein Vater hat ihn, nachdem ihm der Abfall des Beschwerdeführers vom Glauben bekannt geworden ist, aus der Familie verstoßen. Der Beschwerdeführer hat in Österreich Deutschdiplome bis B2 erworben und den Pflichtschulabschluss in Form der Übergangsstufe. Er besuchte zunächst in der HTL im XXXX die Höhere Abteilung für Netzwerktechnik. Wegen seiner posttraumatischen Belastungsstörung und schwerer Schlafstörungen häuften sich Fehlstunden beim Beschwerdeführer an. Dazu kam die psychische Belastung durch den Tod seines Onkels XXXX , sodass der Beschwerdeführer nunmehr ins Abendgymnasium wechselte. Der Beschwerdeführer erhält gegen die posttraumatische Belastungsstörung Psychotherapie.

Er lebt seit Dezember 2016 bei seiner Patenfamilie und wurde dort wie ein eigenes Kind aufgenommen. Der Beschwerdeführer hat sich gänzlich vom Islam abgewandt und bezeichnet sich als Agnostiker. Er ist auch formell aus der Islamischen Glaubensgemeinschaft ausgetreten und distanziert sich von allen Religionen. Trotzdem spielt er in einer kirchlichen Hobby-Fußballmannschaft. Er führt eine nichteheliche Beziehung mit einer ebenfalls religionsfernen österreichischen Staatsbürgerin und möchte mit dieser zusammenziehen, aber nicht heiraten. Der Beschwerdeführer spricht schon hervorragend Deutsch, nahezu muttersprachlich (Niveau zumindest C1) und ist auch sonst in Österreich bestens integriert. Obwohl er der Volksgruppe der Hazara zugehört, fällt er auch optisch in Österreich nicht stark auf, er hat Tätowierungen an beiden Unterarmen, seine Freizeit verbringt er teilweise mit seiner Freundin, teilweise mit seiner Patenfamilie. Außer Fußball betreibt er auch Fitnesstraining und Yoga (vor dem Lockdown). Der Beschwerdeführer ist insgesamt hervorragend integriert und führt in Österreich ein Familienleben mit seiner Patenfamilie und ein intensives Privatleben mit seiner Freundin. Er ist unbescholten. Der Beschwerdeführer bezeichnet sich selbst als Feminist und lebt einen „sehr westlichen Lebensstil.“ Er isst Schweinefleisch und trinkt gerne Alkohol.

Zu Afghanistan wird Folgendes verfahrensbezogen festgestellt:

1. Politische Lage

Letzte Änderung: 18.5.2020

Afghanistan ist ein Zentralstaat mit 34 Provinzen, die in Distrikte gegliedert sind (AA 15.4.2019). Auf einer Fläche von ca. 632.000 Quadratkilometern (CIA 24.5.2019) leben ca. 32 Millionen Menschen (CSO 2019).

Im Jahr 2004 wurde die neue Verfassung angenommen (BFA 7.2016; vgl. Casolino 2011), die vorsieht, dass kein Gesetz gegen die Grundsätze und Bestimmungen des Islam verstoßen darf und alle Bürgerinnen und Bürger Afghanistans, Mann wie Frau, gleiche Rechte und Pflichten vor dem Gesetz haben (BFA 3.2014; vgl. Casolino 2011, MPI 27.1.2004).

Die Verfassung der islamischen Republik Afghanistan sieht vor, dass der Präsident der Republik direkt vom Volk gewählt wird und sein Mandat fünf Jahre beträgt (Casolino 2011). Implizit schreibt die Verfassung dem Präsidenten auch die Führung der Exekutive zu (AAN 13.2.2015) und die Provinzvorsteher, sowie andere wichtige Verwaltungsbeamte, werden direkt vom Präsidenten ernannt und sind diesem rechenschaftspflichtig. Viele werden aufgrund persönlicher Beziehungen ausgewählt (EC 18.5.2019).

Die ursprünglich für den 20. April 2019 vorgesehene Präsidentschaftswahl wurde mehrfach verschoben, da die Wahlbehörden auf eine landesweite Wahl so kurz nach der Parlamentswahl im Oktober 2018 nicht vorbereitet waren. Der Oberste Gerichtshof Afghanistans konnte die Herausforderungen für die Wahlkommission nachvollziehen und verlängerte die Amtszeit von Präsident Ashraf Ghani bis zu der auf den 28.9.2019 verschobenen Präsidentschaftswahl (DZ 21.4.2019). Die unabhängige afghanische Wahlkommission (Afghanistan’s Independent Election Commission) hat mehr als vier Monate nach der Präsidentschaftswahl in Afghanistan Mohammed Ashraf Ghani zum Sieger erklärt (DW 18.2.2020). Der amtierende Präsident erhielt 50,64% der Stimmen, wie die Kommission verlautbarte (DW 18.2.2020; vgl. REU 25.2.2020; UNGASC 17.3.2020). Da Ghani im ersten Durchgang die Präsidentschaftswahl bereits gewonnen hat, ist keine Stichwahl mehr notwendig (DW 18.2.2020). CEO bzw. Regierungsgeschäftsführer Abdullah Abdullah, kam den Resultaten zufolge auf 39,52% (DW 18.2.2020; vgl. REU 25.2.2020). Die Präsidentenwahl hatte am 28. September stattgefunden. Nach monatelangem, erbittertem Streit um die Richtigkeit von Hunderttausenden von Stimmen waren nur noch 1,8 Millionen Wahlzettel berücksichtigt worden. Hingegen lag die Zahl der registrierten Wähler bei 9,6 Millionen. Afghanistan hat eine geschätzte Bevölkerung von 35 Millionen Einwohnern (DW 18.2.2020).

Wochenlang stritten der amtierende Präsident Ashraf Ghani und sein ehemaliger Regierungsgeschäftsführer Abdullah Abdullah um die Macht in Kabul und darum wer die Präsidentschaftswahl im vergangenen September gewonnen hatte. Abdullah Abdullah beschuldigte die Wahlbehörden, Ghani begünstigt zu haben, und anerkannte das Resultat nicht (NZZ 20.4.2020). Am 9.3.2020 ließen sich sowohl Ghani als auch Abdullah als Präsident vereidigen (NZZ 20.4.2020; vgl. TN 16.4.2020). Nach monatelanger politischer Krise (DP 17.5.2020; vgl. TN 11.5.2020), einigten sich der afghanische Präsident Ashraf Ghani und Abdullah Abdullah auf eine Machtteilung: Abdullah wird die Friedensgespräche mit den Taliban leiten und Mitglieder seines Wahlkampfteams werden ins Regierungskabinett aufgenommen (DP 17.5.2020; vgl. BBC 17.5.2020; DW 17.5.2020).

Anm.: Weitere Details zur Machtteilungsvereinbarung sind zum Zeitpunkt der Aktualisierung noch nicht bekannt (Stand: 18.5.2020) und werden zu einem späteren Zeitpunkt bekannt gegeben (BBC 17.5.2020).

Präsidentschafts- und Parlamentswahlen

Die afghanische Nationalversammlung ist die höchste legislative Institution des Landes und agiert im Namen des gesamten afghanischen Volkes (Casolino 2011). Sie besteht aus zwei Kammern: dem Unterhaus oder Volksvertretung (Wolesi Jirga) mit 250 Abgeordneten (für 5 Jahre gewählt), sowie dem Oberhaus oder Ältestenrat (Meschrano Jirga) mit 102 Abgeordneten (AA 15.4.2019).

Das Oberhaus setzt sich laut Verfassung zu je einem Drittel aus Vertretern der Provinz- und Distrikträte zusammen. Das letzte Drittel der Senatoren wird durch den Präsidenten bestimmt (AA 15.4.2019). Die Hälfte der vom Präsidenten entsandten Senatoren müssen Frauen sein. Weiters vergibt der Präsident zwei Sitze für die nomadischen Kutschi und zwei weitere an behinderte Personen. Auch ist de facto ein Sitz für einen Vertreter der Hindu- bzw. Sikh-Gemeinschaft reserviert (USDOS 13.3.2019).

Die Sitze im Unterhaus verteilen sich proportional zur Bevölkerungszahl auf die 34 Provinzen. Verfassungsgemäß sind für Frauen 68 Sitze, für die Minderheit der Kutschi zehn Sitze und für Vertreter der Hindu- bzw. Sikh-Gemeinschaft ein Sitz reserviert (AAN 22.1.2017; vgl. USDOS 13.3.2019, Casolino 2011).

Die Rolle des Parlaments bleibt begrenzt. Ob das neue Parlament, das sich nach den Wahlen vom Oktober 2018 erst mit erheblicher Verzögerung im April 2019 konstituierte, eine andere Rolle einnehmen kann, muss sich zunächst noch erweisen. Zwar beweisen die Abgeordneten mit kritischen Anhörungen und Abänderungen von Gesetzentwürfen in teils wichtigen Punkten, dass das Parlament grundsätzlich funktionsfähig ist, doch nutzt das Parlament auch seine verfassungsmäßigen Rechte, um die Arbeit der Regierung destruktiv zu behindern, Personalvorschläge der Regierung z.T. über längere Zeiträume zu blockieren und sich Zugeständnisse wohl auch durch finanzielle Zuwendungen an einzelne Abgeordnete abkaufen zu lassen. Insbesondere das Unterhaus hat sich dadurch sowohl die Regierung der Nationalen Einheit als auch die Zivilgesellschaft zum Gegner gemacht. Generell leidet die Legislative unter einem kaum entwickelten Parteiensystem und mangelnder Rechenschaft der Parlamentarier gegenüber ihren Wählern (AA 2.9.2019).

Die Präsidentschaftswahlen und Parlamentswahlen finden gemäß Verfassung alle fünf Jahre statt (USIP 11.2013). Mit dreijähriger Verzögerung fanden zuletzt am 20. und 21. Oktober 2018 – mit Ausnahme der Provinz Ghazni – Parlamentswahlen statt (AA 15.4.2019; vgl. USDOS 13.3.2019). Die letzten Präsidentschaftswahlen fanden am 28. September 2019 statt (RFE/RL 20.10.2019).

Bei den Wahlen zur Nationalversammlung am 20. und 21.10.2018 gaben etwa vier Millionen der registrierten 8,8 Millionen Wahlberechtigten ihre Stimme ab. Die Wahl war durch Unregelmäßigkeiten geprägt, darunter Betrug bei der Wählerregistrierung und Stimmabgabe, Einschüchterung der Wähler, und einige Wahllokale mussten wegen Bedrohungen durch örtliche Machthaber schließen. Die Taliban und andere Gruppierungen behinderten die Stimmabgabe durch Drohungen und Belästigungen (USDOS 13.3.2019).

Wegen Vorwürfen des Betruges und des Missmanagements erklärte Anfang Dezember 2018 die afghanische Wahlbeschwerdekommission (ECC) alle in der Provinz Kabul abgegebenen Stimmen für ungültig (RFE/RL 6.12.2018). Die beiden Wahlkommissionen einigten sich in Folge auf eine neue Methode zur Zählung der abgegebenen Stimmen (TN 12.12.2018). Die Provinzergebnisse von Kabul wurden schließlich am 14.5.2019, fast sieben Monate nach dem Wahltag, veröffentlicht. In einer Ansprache bezeichnete Präsident Ghani die Wahl als „Katastrophe“ und die beiden Wahlkommissionen als „ineffizient“ (AAN 17.5.2019).

Politische Parteien

Die afghanische Verfassung erlaubt die Gründung politischer Parteien, solange deren Programm nicht im Widerspruch zu den Prinzipien des Islam steht (USDOS 29.5.2018). Um den Parteien einen allgemeinen und nationalen Charakter zu verleihen, verbietet die Verfassung jeglichen Zusammenschluss in politischen Organisationen, der aufgrund von ethnischer, sprachlicher (Casolino 2011; vgl. MPI 27.1.2004) oder konfessioneller Zugehörigkeit erfolgt (Casolino 2011; vgl. MPI 27.1.2004; USDOS 29.5.2018). Auch darf keine rechtmäßig zustande gekommene Partei oder Organisation ohne rechtliche Begründung und ohne richterlichen Beschluss aufgelöst werden (MPI 27.1.2004).

Das kaum entwickelte afghanische Parteiensystem weist mit über 70 registrierten Parteien eine starke Zersplitterung auf (AA 2.9.2019). Die politischen Parteien haben ihren Platz im politischen System Afghanistans noch nicht etablieren können (DOA 17.3.2019). Die meisten dieser Gruppierungen erscheinen mehr als Machtvehikel ihrer Führungsfiguren denn als politisch-programmatisch gefestigte Parteien (AA 2.9.2019; vgl. AAN 6.5.2018, DOA 17.3.2019). Ethnische Zugehörigkeit, persönliche Beziehungen und ad hoc geformte Koalitionen spielen traditionell eine größere Rolle als politische Organisationen (AA 2.9.2019).

Das derzeitige Wahlsystem ist personenbezogen, die Parteien können keine Kandidatenlisten erstellen, es sind keine Sitze für die Parteien reserviert und es ist den Parteien untersagt, Fraktionen im Parlament zu gründen. Der Parteivorsitz wird nicht durch parteiinterne Abläufe bestimmt, sondern wird eher wie ein partimoniales Erbgut gesehen, das von einer Generation an die nächste, vom Vater zum Sohn, übergeben wird. Die Menschen vertrauen den Parteien nicht und junge, gebildete Leute sind nicht gewillt, solchen Parteien beizutreten (DOA 17.3.2019).

Friedens- und Versöhnungsprozess

Die afghanischen Regierungskräfte und die Amerikaner können die Taliban, die über rund 60 000 Mann verfügen, nicht besiegen. Auch die Islamisten sind nicht stark genug, um die Regierungstruppen zu überrennen, obwohl sie rund die Hälfte des Landes kontrollieren oder dort zumindest präsent sind. In Afghanistan herrscht fast zwei Jahrzehnte nach dem Sturz des Taliban-Regimes durch die USA eine Pattsituation (NZZ 20.4.2020). Das lang erwartete Abkommen zwischen den Vereinigten Staaten und den Taliban wurde Ende Februar 2020 unterzeichnet (AJ 7.5.2020; vgl. NPR 6.5.2020) – die afghanische Regierung war an dem Abkommen weder beteiligt, noch unterzeichnete sie dieses. Diesem Abkommen zufolge hätten noch vor den für 10.03.2020 angesetzten inneren Friedensgesprächen, von den Taliban bis zu 1.000 Gefangene und von der Regierung 5.000 gefangene Taliban freigelassen werden sollen. Zum einen, verzögern die Unstimmigkeiten zwischen den Taliban und der afghanischen Regierung über Umfang und Umsetzungstempo des Austauschs, die Gespräche (AJ 7.5.2020) [ Anm.: 800 Taliban-Gefangene entließ die afghanische Regierung, während die Taliban 100 der vereinbarten 1.000 Sicherheitskräfte frei ließen – (NPR 6.5.2020)], Andererseits stocken die Verhandlungen auch aufgrund des innerpolitischen Disputes zwischen Ashraf Ghani und Abdullah Abdullah, die beide die Präsidentschaft für sich beanspruchten. Die Taliban haben seit dem unterzeichneten Abkommen im Februar mehr als 4.500 Angriffe verübt. Die von dieser Gewalt am stärksten betroffenen Provinzen sind auch jene Provinzen, die am stärksten von COVID-19-Fällen betroffen sind (AJ 7.5.2020). In den innerafghanischen Gesprächen wird es um die künftige Staatsordnung, eine Machtteilung und die Integration der Aufständischen gehen (NZZ 20.4.2020).

Das Abkommen mit den US-Amerikanern

Das Abkommen zwischen den Vereinigten Staaten und den Taliban enthält das Versprechen der US-Amerikaner, ihre noch rund 13.000 Armeeangehörigen in Afghanistan innerhalb von 14 Monaten abzuziehen. Auch die verbliebenen nichtamerikanischen NATO-Truppen (Stand Ende 2019: rund 6.700 Mann) sollen abgezogen werden. In den ersten 135 Tagen nach der Unterzeichnung werden die US-Amerikaner ihre Truppen in Afghanistan auf 8.600 Mann reduzieren. Der Abzug der ausländischen Truppenangehörigen, von denen die meisten Beratungs- und Ausbildungsfunktionen wahrnehmen, ist abhängig davon, ob die Taliban ihren Teil der Abmachung einhalten. Sie haben im Abkommen zugesichert, terroristischen Gruppierungen wie etwa al-Qaida keine Zuflucht zu gewähren. Die Taliban verpflichteten sich weiter, innerhalb von zehn Tagen nach Unterzeichnung, Gespräche mit einer afghanischen Delegation aufzunehmen (NZZ 20.4.2020; vgl. USDOS 29.2.2020).

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2. Sicherheitslage

Letzte Änderung: 22.4.2020

Die Sicherheitslage in Afghanistan ist nach wie vor volatil (UNGASC 17.3.2019). Die afghanische Regierung behält die Kontrolle über Kabul, die wichtigsten Bevölkerungszentren und Transitrouten sowie Provinzhauptstädte und die meisten Distriktzentren. Nichtsdestotrotz, hat die afghanische Regierung wichtige Transitrouten verloren (USDOD 12.2019).

Der Konflikt in Afghanistan befindet sich nach wie vor in einer "strategischen Pattsituation", die nur durch Verhandlungen zwischen der afghanischen Regierung und den Taliban gelöst werden kann (SIGAR 30.1.2020). Die afghanische Regierung führte zum ersten Mal persönliche Gespräche mit den Taliban, inhaltlich wurde über den Austausch tausender Gefangener verhandelt; bis dahin hatten die beiden Seiten sich nur per Videokonferenz unterhalten (BBC 1.4.2020). Ein erster Schritt Richtung inner-afghanischer Verhandlungen, welcher Teil eines zwischen Taliban und US-Amerikanern unterzeichneten Abkommens ist (TD 2.4.2020). Die Gespräche fanden vor dem Hintergrund anhaltender Gewalt im Land statt (BBC 1.4.2020).

Für den Berichtszeitraum 8.11.2019-6.2.2020 verzeichnete die UNAMA 4.907 sicherheitsrelevante Vorfälle – ähnlich dem Vorjahreswert. Die Sicherheitslage blieb nach wie vor volatil. Die höchste Anzahl sicherheitsrelevanter Vorfälle wurden in der südlichen Region, gefolgt von den nördlichen und östlichen Regionen, registriert, die alle samt 68% der Zwischenfälle ausmachten. Die aktivsten Konfliktregionen waren in den Provinzen Kandahar, Helmand, Nangarhar und Balkh zu finden. Entsprechend saisonaler Trends, gingen die Kämpfe in den Wintermonaten – Ende 2019 und Anfang 2020 – zurück (UNGASC 17.3.2020).

Die Sicherheitslage im Jahr 2019

Die geographische Verteilung aufständischer Aktivitäten innerhalb Afghanistans blieb, im Vergleich der beiden Jahre 2018 und 2019, weitgehend konstant. Im Jahr 2019 fanden auch weiterhin im Süden und Westen Afghanistans weiterhin schwere Kampfhandlungen statt; feindliche Aktivitäten nahmen zu und breiteten sich in größeren Gebieten des Nordens und Ostens aus. Der Resolute Support (RS) Mission (seit 2015 die Unterstützungsmission der NATO in Afghanistan) zufolge, waren für das Jahr 2019 29.083 feindlich-initiierte Angriffe landesweit zu verzeichnen. Im Gegensatz waren es im Jahr 2018 27.417 (SIGAR 30.1.2020). Mit einer hohen Anzahl an sicherheitsrelevanten Vorfällen – speziell in den südlichen, nördlichen und östlichen Regionen – blieb die Sicherheitslage vorerst volatil, bevor ein Zeitraum der Reduzierung der Gewalt registriert werden konnte. Die UNAMA (Hilfsmission der Vereinten Nationen in Afghanistan) registrierte für das gesamte Jahr 2019 10.392 zivile Opfer, was einem Rückgang von 5% gegenüber 2018 entspricht (UNGASC 17.3.2020).

Seit Ende des Jahres 2019 haben Angriffe durch regierungsfeindliche Elemente erheblich zugenommen. Im September 2019 fanden die afghanischen Präsidentschaftswahlen statt, in diesem Monat wurde auch die höchste Anzahl feindlicher Angriffe eines einzelnen Monats seit Juni 2012 und die höchste Anzahl effektiver feindlicher Angriffe seit Beginn der Aufzeichnung der RS-Mission im Januar 2010 registriert. Dieses Ausmaß an Gewalt setzte sich auch nach den Präsidentschaftswahlen fort, denn im Oktober 2019 wurde die zweithöchste Anzahl feindlicher Angriffe in einem Monat seit Juli 2013 dokumentiert. Betrachtet man jedoch das Jahr 2019 in dessen Gesamtheit, so waren scheinbar feindliche Angriffe, seit Anfang des Jahres, im Zuge der laufenden Friedensgespräche zurückgegangen. Nichtsdestotrotz führte ein turbulentes letztes Halbjahr zu verstärkten Angriffen feindlicher Elemente von insgesamt 6% und effektiver Angriffe von 4% im Jahr 2019 im Vergleich zu den bereits hohen Werten des Jahres 2018 (SIGAR 30.1.2020).

Zivile Opfer

Für das Jahr 2019 registrierte die Hilfsmission der Vereinten Nationen in Afghanistan (UNAMA) als Folge des bewaffneten Konflikts 10.392 zivile Opfer (3.403 Tote und 6.989 Verletzte), was einen Rückgang um 5% gegenüber dem Vorjahr, aber auch die niedrigste Anzahl an zivilen Opfern seit dem Jahr 2013 bedeutet. Nachdem die Anzahl der durch ISKP verursachten zivilen Opfer zurückgegangen war, konnte ein Rückgang aller zivilen Opfer registriert werden, wenngleich die Anzahl ziviler Opfer speziell durch Taliban und internationale Streitkräfte zugenommen hatte. Im Laufe des Jahres 2019 war das Gewaltniveau erheblichen Schwankungen unterworfen, was auf Erfolge und Misserfolge im Rahmen der Friedensverhandlungen zwischen Taliban und den US-Amerikanern zurückzuführen war. In der ersten Jahreshälfte 2019 kam es zu intensiven Luftangriffen durch die internationalen Streitkräfte und Suchaktionen der afghanischen Streitkräfte – insbesondere der Spezialkräfte des afghanischen Geheimdienstes NDS (National Directorate of Security Special Forces) (UNAMA 2.2020).

Aufgrund der Suchaktionen der afghanischen Streitkräfte, gab es zur Jahresmitte mehr zivile Opfer durch regierungsfreundliche Truppen als durch regierungsfeindliche Truppen. Das dritte Quartal des Jahres 2019 registrierte die höchste Anzahl an zivilen Opfern seit 2009, was hauptsächlich auf verstärkte Anzahl von Angriffen durch Selbstmordattentäter und IEDs (improvisierte Sprengsätze) der regierungsfeindlichen Seite – insbesondere der Taliban – sowie auf Gewalt in Zusammenhang mit den Präsidentschaftswahlen zurückzuführen ist. Das vierte Quartal 2019 verzeichnete, im Vergleich zum Jahr 2018, eine geringere Anzahl an zivilen Opfern; wenngleich sich deren Anzahl durch Luftangriffe, Suchoperationen und IEDs seit dem Jahr 2015 auf einem Rekordniveau befand (UNAMA 2.2020).

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Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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