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41 Innere AngelegenheitenNorm
EMRK Art8Leitsatz
Verletzung des Beschwerdeführers im Recht auf Privat- und Familienleben durch die Versagung einer Aufenthaltsbewilligung mangels einer für Inländer ortsüblichen Unterkunft wegen Unterlassung der bei verfassungskonformer Auslegung des §5 Abs1 AufenthaltsG gebotenen Interessenabwägung; keine Bedenken gegen §5 Abs1 AufenthaltsGSpruch
Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens verletzt worden.
Der Bescheid wird aufgehoben.
Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seines bevollmächtigten Vertreters die mit 18.000 S bestimmten Prozeßkosten binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. 1. Der Beschwerdeführer (ein seit 1992 mit einer Österreicherin verheirateter türkischer Staatsangehöriger, dem zuletzt ein mit 30. Jänner 1994 befristeter Sichtvermerk erteilt worden war) beantragte am 5. November 1993 die Verlängerung der Aufenthaltsbewilligung. Der Landeshauptmann von Wien gab diesem Antrag mit Bescheid vom 13. Feber 1994 unter Berufung auf §5 Abs1 AufG nicht statt; eine Bewilligung dürfe insbesondere nicht erteilt werden, wenn eine für Inländer ortsübliche Unterkunft in Österreich für die Geltungsdauer der Bewilligung nicht gesichert ist. Da nach den Angaben des Beschwerdeführers die ihm zur Verfügung stehende Wohnung mit einer Nutzfläche von 22 m2 von insgesamt drei Personen bewohnt werde (tatsächlich seien sogar sieben Personen dort polizeilich gemeldet), sei - unter Zugrundelegung eines Mindestbedarfes von 10 m2 Nutzfläche pro Person - im Falle des Beschwerdeführers eine für Inländer ortsübliche Unterkunft nicht gegeben.
Die gegen diesen Bescheid eingebrachte Berufung wies der Bundesminister für Inneres mit Bescheid vom 14. Oktober 1994 ab.
2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die auf Art144 Abs1 B-VG gestützte Beschwerde, mit der die Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Achtung des Privat- und Familienlebens (Art8 EMRK) sowie eine Rechtsverletzung wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes geltend gemacht und die kostenpflichtige Aufhebung des Bescheides begehrt wird. Der Beschwerdeführer bringt vor, daß er seit 1992 mit einer Österreicherin verheiratet sei, über einen Befreiungsschein verfüge, ordnungsgemäß beschäftigt und sozialversichert sei und in der Zwischenzeit eine andere Unterkunft gemeinsam mit drei weiteren Personen mit einer Nutzfläche von 41 m2 benütze. Die Grenzziehung durch Annahme eines Mindestbedarfes von 10 m2 pro Person sei willkürlich. Zur Abwägung im Sinn des Art8 EMRK habe die belangte Behörde in ihrem Bescheid angeführt, daß für den Beschwerdeführer private Bindungen in Österreich bestehen; tatsächlich sei eine Abwägung jedoch nicht vorgenommen worden.
3. Der belangte Bundesminister für Inneres hat die Verwaltungsakten vorgelegt und die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde begehrt.
II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:
1. Der angefochtene Bescheid greift in das dem Beschwerdeführer gemäß Art8 EMRK verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens ein.
Nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes ist ein Eingriff in dieses verfassungsgesetzlich garantierte - unter Gesetzesvorbehalt stehende - Recht dann verfassungswidrig, wenn der ihn verfügende Bescheid ohne jede Rechtsgrundlage erging, auf einer dem Art8 EMRK widersprechenden Rechtsgrundlage beruht oder wenn die Behörde bei Erlassung des Bescheides eine verfassungsrechtlich unbedenkliche Rechtsgrundlage in denkunmöglicher Weise anwendete; ein solcher Fall liegt nur vor, wenn die Behörde einen so schweren Fehler beging, daß dieser mit Gesetzlosigkeit auf eine Stufe zu stellen ist, oder wenn sie der angewendeten Rechtsvorschrift fälschlicherweise einen verfassungswidrigen, insbesondere einen dem Art8 Abs1 EMRK widersprechenden und durch Art8 Abs2 EMRK nicht gedeckten Inhalt unterstellte (vgl. VfSlg. 11638/1988).
2. Der Beschwerdeführer wurde in diesem Recht durch den bekämpften Bescheid verletzt, weil der belangten Behörde bei der Anwendung des Gesetzes in die Verfassungssphäre reichende Fehler unterlaufen sind. Sie hat sich nämlich lediglich auf eine Aussage im Erkenntnis VfSlg. 11044/1986 berufen, die die Einreise eines Fremden nach Österreich und dessen lediglich kurzfristigen Aufenthalt im Inland betraf und sich hinsichtlich der Interessenabwägung auf die Aussage beschränkt, daß private Bindungen in Österreich bestehen. Damit hat sie die gebotene Interessenabwägung in Wahrheit nicht vorgenommen.
Der angefochtene Bescheid war aus diesem Grund aufzuheben.
3. Beizufügen bleibt, daß auf die vom Beschwerdeführer geltend gemachten Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit des §5 Abs1 AufG hier nicht im einzelnen einzugehen war; es genügt der Hinweis auf das Erk. B2259/1994 vom 16. März 1995, in dem der Gerichtshof die verfassungsrechtliche Unbedenklichkeit dieser Gesetzesvorschrift dargetan hat.
III. Die Kostenentscheidung
gründet sich auf §88 VerfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer von 3.000 S enthalten.
IV. Diese Entscheidung konnte
gemäß §19 Abs4 erster Satz VerfGG ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung getroffen werden.
Schlagworte
Aufenthaltsrecht, Privat- und Familienleben, Fremdenrecht, Interessenabwägung, Auslegung verfassungskonformeEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:1995:B2563.1994Dokumentnummer
JFT_10049371_94B02563_00