TE Bvwg Erkenntnis 2020/12/18 W169 2014054-3

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 18.12.2020
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Entscheidungsdatum

18.12.2020

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §57
AVG §68
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §52
FPG §53 Abs1
FPG §53 Abs2
FPG §55

Spruch


W169 2014054-3/2E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Barbara MAGELE als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. INDIEN, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, Erstaufnahmestelle Ost, vom 23.11.2020, Zl. 1032087808-200874445, zu Recht erkannt:

A)

I. Die Beschwerde hinsichtlich Spruchpunkt I. und II. des angefochtenen Bescheides wird gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG iVm § 68 AVG als unbegründet abgewiesen.

II. Im Übrigen wird die Beschwerde gemäß § 57, 10 Abs 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG und §§ 52, 53 Abs 1 iVm Abs 2, 55 FPG als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang und Sachverhalt:

1. Der Beschwerdeführer, ein indischer Staatsangehöriger, stellte nach illegaler Einreise nach Österreich am 29.09.2014 einen Antrag auf internationalen Schutz. Dazu wurde er am 01.10.2014 durch ein Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes niederschriftlich einvernommen.

Zu seiner Person gab er an, er sei in dem Dorf XXXX , Karimnagar, in Indien geboren und habe bis zum Zeitpunkt seiner Ausreise dort gelebt. Er sei verheiratet und habe drei Kinder. Die Grundschule habe er von 1990 bis 2002 in XXXX besucht, danach sei er zwei Jahre lang aufs College gegangen. Er habe im September 2014 den Entschluss gefasst, seine Heimat zu verlassen.

Zu seinen Fluchtgründen gab der Beschwerdeführer im Wesentlichen zu Protokoll, dass er für die politische Partei TRS gearbeitet habe. Die Rivalen der Partei hätten ihm mit dem Umbringen gedroht. Daher hätten Bekannte von ihm dazu geraten, im Ausland Schutz zu suchen. Daraufhin habe er einen Schlepper aufgesucht und die Reise organisiert. Im Falle der Rückkehr in sein Herkunftsland habe er Angst mit den besagten Rivalen Probleme zu bekommen. Konkrete Vorfälle habe es nicht gegeben. Seine Familie benötige keinen Schutz, da er ihnen nichts von seinen Problemen erzählt habe.

2. Im Zuge seiner Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl am 07.10.2014 gab der Beschwerdeführer zu Protokoll, er habe zehn Jahre Schulbildung genossen, zwei Jahre das College besucht und bis zu seiner Ausreise als Landwirt in der väterlichen Landwirtschaft gearbeitet. Er habe seine Heimatstadt am 25.08.2014 verlassen und sei nach Hyderabad gefahren, dort habe er einen Schlepper kennengelernt. Am 20.09.2014 sei er mit dem Zug nach Delhi gefahren und von dort mit einem Direktflug am 25.09.2014 nach Österreich geflogen. Am 26.09.2014 sei er in das Bundesgebiet eingereist. Das Geld für seine Ausreise habe ihm sein Vater gegeben.

Er habe für die TRS- Partei gearbeitet und sei Anhänger dieser Partei gewesen. Nachgefragt gab er an, dass er kein Mitglied gewesen sei, jedoch habe er die Partei freiwillig unterstützt. Er führte aus, dass die TRS-Partei im Jahr 2000 gegründet worden sei und das Ziel gehabt habe, für einen unabhängigen Bundesstaat Telangana zu kämpfen und anerkannt zu werden. Der Parteiführer heiße K. Chandra Sekhar Rao, er sei unter der Abkürzung „KCR“ bekannt. Im Jahr 2009 hätten sie dieses Ziel beinahe erreicht, jedoch habe die Regierung dies dann abgelehnt. In weiterer Folge sei der Bundesstaat am 02.06.2014 dann doch offiziell gegründet worden.

Zu seinen Fluchtgründen gab der Beschwerdeführer an, am 20.08.2014 – aufgrund der aktiven Unterstützung der TRS Partei - Drohungen von Gegnern der TRS-Partei, dabei handle es sich um Anhänger der Kongress-Partei, bekommen zu haben. „Diese Leute“ hätten nicht gewollt, dass er für die TRS- Partei arbeite. Deswegen habe er Angst bekommen, dass ihm etwas angetan werde. Obwohl es keine konkreten Vorfälle gegeben habe, habe er ständig Angst gehabt. Andere Fluchtgründe habe er nicht. Nach Aufforderung zur konkreten Schilderung seiner Fluchtgründe gab der Beschwerdeführer an, er könne keine detaillierteren Angaben machen. Im Jahr 2009 habe es eine sehr starke TRS-Bewegung gegeben, er sei daran beteiligt gewesen. Daher habe er Konflikte mit „den Leuten“ der gegnerischen Partei gehabt und diese hätten sich an ihm aus diesem Grund rächen wollen und ihn daher telefonisch bedroht. Auf Nachfragen, weshalb sich diese Leute erst fünf Jahre später an ihm rächen hätten wollen, gab er an, dass er das nicht wisse. Die besagten Drohungen hätten telefonisch stattgefunden, er habe „die Leute“ nie gesehen. Sie hätten ihn angerufen und mit dem Umbringen bedroht, der Anruf sei am 20.08.2014 erfolgt. Es habe nur einen Anruf gegeben. Er sei deswegen nicht bei der Polizei gewesen und habe keine Anzeige erstattet, da er vor der Polizei Angst gehabt habe. Mehr könne er dazu nicht angeben. Er habe nicht versucht, sich in eine andere Stadt Indiens zu begeben und dort Schutz zu suchen, da er von Bekannten gehört habe, dass er im Ausland Schutz suchen könne. Daraufhin habe er die Vorbereitungen zur Ausreise getroffen. Im Falle der Rückkehr nach Indien habe er Angst, er hoffe, dass die Situation in sechs Monaten anders sei, dann würde er wieder nach Indien zurückgehen.

3. Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 15.10.2014 wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten und gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Indien abgewiesen, ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß §§ 57 und 55 AsylG nicht erteilt, gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen sowie festgestellt, dass seine Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Indien zulässig ist und gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG die Frist für seine freiwillige Ausreise zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung beträgt.

Begründend führte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl betreffend die konkreten Gründe für das Verlassen des Herkunftslandes unter anderem aus, dass das Vorbringen nicht glaubhaft sei. Die Angaben des Beschwerdeführers zu seinem Fluchtgründen seien extrem vage gewesen. Er habe weder Einzelheiten bezüglich der behaupteten Drohung noch jegliche Details, etwa genaue Zeit-, Orts- und Personenangaben, vorgebracht. Es sei nicht nachvollziehbar, dass sich die angeblichen politischen Gegner für Konflikte, die sich im Jahr 2009 abgespielt hätten, erst fünf Jahre später rächen hätten wollen. Der Beschwerdeführer habe trotz ausdrücklicher Aufforderung, konkrete und detaillierte Angaben zu der behaupteten Bedrohung bzw. Gefährdungslage zu machen, keine konkreten Angaben tätigen können und habe lediglich angegeben, er sei von den Leuten der gegnerischen Partei angerufen und telefonisch bedroht worden, ohne Details und nähere Umstände dieses Anrufes zu schildern. Die Art und Weise der behaupteten Bedrohung, nämlich ein einziger Telefonanruf, lasse nicht auf eine tatsächliche Verfolgung schließen, zumal der Beschwerdeführer „diese Leute“, die den besagten Anruf getätigt haben wollen, zu keinem Zeitpunkt gesehen habe. Zudem habe er keine Informationen zum behaupteten Telefonat machen können. Die Angaben des Beschwerdeführers, dass er nicht zur Polizei gehen habe wollen, da er auch vor dieser Angst gehabt habe, seien als Schutzbehauptung zu werten und somit ein weiteres Indiz dafür, dass es sich bei seinem Vorbringen nicht um ein von ihm er- und durchlebtes Geschehen, sondern eine konstruierte Geschichte handle. Im Falle der Rückkehr in sein Herkunftsland sei nicht davon auszugehen, dass für den Beschwerdeführer eine Bedrohung oder Verfolgung zu erwarten wäre.

Auch eine refoulementschutzrechtlich relevante Gefährdung im Falle einer Rückkehr sei nicht gegeben Der Beschwerdeführer sei ein gesunder, erwachsener, arbeitsfähiger Mann mit Schulbildung und es wäre ihm auch zumutbar, anfänglich mit Gelegenheitsjobs seinen Unterhalt zu bestreiten. Ferner sei ebenso in Betracht zu ziehen, dass er den Großteil seines Lebens in Indien verbracht habe und über familiäre und soziale Anknüpfungspunkte verfügen würde.

Der Beschwerdeführer erfülle nicht die Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels, der Erlassung einer Rückkehrentscheidung stehe sein Recht auf Achtung des Privat- oder Familienlebens nicht entgegen, zumal der Beschwerdeführer in Österreich keine Familienangehörigen habe, über keine privaten Bindungen verfüge, kein Deutsch spreche, kein geregeltes Einkommen beziehe, keiner Arbeit nachgehe und sein Aufenthalt im österreichischem Bundesgebiet ein sehr kurzer sei.

4. Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer fristgerecht das Rechtsmittel der Beschwerde und führte im Wesentlichen aus, der Bescheid werde vollinhaltlich wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften angefochten, unrichtiger rechtlicher Beurteilung sowie Mangelhaftigkeit des Verfahrens. Das Ermittlungsverfahren der Behörde sei mangelhaft gewesen, da die Befragungen im Zuge der Einvernahme sehr oberflächlich und kurz verlaufen seien und dem Beschwerdeführer keine Gelegenheit gegeben worden sei, zu Ungereimtheiten sowie Widersprüchen Stellung zu beziehen. Er habe Indien aufgrund der Verfolgung durch politische Gegner verlassen. Der indische Staat fungiere nicht rechtstaatlich, die Polizei und die Behörden würden korrupt und bestechlich agieren und sei daher nicht in der Lage, die Bevölkerung zu schützen. Diesbezüglich werde auf diverse Berichte zur Menschenrechtslage, zur Polizei sowie zu den Haftbedingungen in Indien aus der ACCORD Anfrage vom 24.Mai 2012 verwiesen.

5. Mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 04.02.2015, Zl. W222 2014054-1/2E, wurde die Beschwerde gegen diesen Bescheid als unbegründet abgewiesen.

Begründend führte das Bundesverwaltungsgericht aus, dass die vom Beschwerdeführer vorgebrachten Fluchtgründe – telefonische Todesdrohung seitens der Gegner (Anhänger der Kongresspartei) der politischen Partei namens TRS, die er aktiv unterstützt habe - nicht glaubwürdig seien. Auch eine refoulementschutzrechtlich relevante Gefährdung im Falle einer Rückkehr nach Indien sei nicht gegeben. Zur allgemeinen Situation alleine würden sich auch keine ausreichenden Anhaltspunkte dafür ergeben, dass es ausreichend wahrscheinlich wäre, dass der Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr im Sinne des § 8 AsylG bedroht wäre. Der Erlassung einer Rückkehrentscheidung stehe das Recht des Beschwerdeführers auf Achtung des Privat- und Familienlebens angesichts der kurzen Aufenthaltsdauer und Fehlens von familiären und privaten Bindungen im Inland nicht entgegen. Die Schutzwürdigkeit seines Privat- und Familienlebens in Österreich sei aufgrund des Umstandes, dass er seinen Aufenthalt nur auf einen im Ergebnis nicht berechtigten Asylantrag gestützt habe, nur in geringem Maße gegeben. Im Hinblick auf den Umstand, dass der erwachsene Beschwerdeführer den überwiegenden Teil seines Lebens im Herkunftsstaat verbracht habe und die Dauer seines Aufenthaltes im Bundesgebiet als kurz zu bezeichnen sei, sei davon auszugehen, dass anhaltende Bindungen zum Herkunftsstaat bestehen, zumal dort seine Eltern, seine Gattin und seine drei Kinder im Heimatdorf leben würden, der Beschwerdeführer auch zwei Sprachen des Herkunftsstaates beherrsche und dort die Schule besucht habe. Somit stelle die Rückkehrentscheidung keinen unzulässigen Eingriff in eine gemäß der EMRK gestützten Rechtsposition dar.

6. Der Beschwerdeführer verblieb im Bundesgebiet und meldete am 14.11.2014 ein Gewerbe „Güterbeförderung mit Kraftfahrzeugen […]“ an.

7. Der Beschwerdeführer wurde am 28.04.2019 aufgrund seines illegalen Aufenthaltes im Bundesgebiet festgenommen und niederschriftlich befragt.

8. Am 23.05.2019 stellte der Beschwerdeführer beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl einen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Art. 8 EMRK gemäß § 55 Abs. 1 AsylG.

9. Mit Schreiben des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 26.06.2019 wurden dem Beschwerdeführer Fragen zu seinem Privat- und Familienleben in Österreich gestellt und ihm die Möglichkeit eingeräumt, dazu eine Stellungnahme abzugeben.

10. Am 15.07.2019 langte beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl eine diesbezügliche Stellungnahme der rechtsfreundlichen Vertreterin des Beschwerdeführers ein.

11. Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 18.07.2019 wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Art. 8 EMRK vom 23.05.2019 gemäß § 55 AsylG abgewiesen und gegen den Beschwerdeführer gemäß § 10 AsylG iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 3 FPG erlassen. Weiters wurde festgestellt, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers gemäß § 46 FPG nach Indien zulässig sei. Darüber hinaus wurde keine Frist für die freiwillige Ausreise gewährt und einer Beschwerde gegen die Rückkehrentscheidung die aufschiebende Wirkung aberkannt.

12. Die dagegen fristgerecht eingebrachte Beschwerde wurde mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 13.08.2019, Zl. W191 2014054-2/2E, als unbegründet abgewiesen.

13. Am 16.09.2020 stellte der Beschwerdeführer einen zweiten (den gegenständlichen) Antrag auf internationalen Schutz.

Im Rahmen der Erstbefragung vor Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes am selben führte der Beschwerdeführer aus, dass er die Sprachen Telugu und Hindi in Wort und Schrift beherrsche. Nach Vorhalt, dass sein Verfahren bereits am 10.02.2015 rechtskräftig negativ entschieden sei und auf die Frage, warum er nun einen neuerlichen Asylantrag stelle, führte der Beschwerdeführer aus, dass er Probleme in Indien habe. Er sei Mitglied der politischen Partei TRS gewesen. Am 15.09.2020 seien Männer von der Kongresspartei zu seinem Haus in Indien gegangen und hätten seine Familie bedroht und geschlagen. Gestern habe ihn ein Freund aus Indien angerufen und gesagt, dass ihn diese Männer umbringen wollen würden. Somit habe er Angst, dass er bei einer Rückkehr nach Indien getötet werde. Diese neuen Fluchtgründe seien ihm seit 15.09.2020 bekannt.

14. Im Rahmen der Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl am 12.11.2020 führte der Beschwerdeführer aus, dass er gesund sei und keine Medikamente nehme. Er habe keine Verwandten in Österreich und lebe auch nicht in einer Lebensgemeinschaft. Seit dem Jahr 2014 sei er durchgängig in Österreich aufhältig. Zu seiner Familie in Indien, insbesondere zu seiner Ehefrau, habe er einmal in der Woche über WhatsApp Kontakt. Gelegentlich spreche er auch mit einem Freund in Indien. Seine Fluchtgründe aus dem Vorverfahren seien nach wie vor aufrecht. Er habe aber auch neue Fluchtgründe. Am 15.09.2020 seien Leute (Nashalite) bei ihm zuhause gewesen und hätten seiner Familie - seiner Ehefrau, seinen Eltern und seinem Kind - eine Warnung gegeben. Diese Leute seien gegen die Polizei und gegen die Regierung. Diese drei bis vier Männer hätten eine Pistole gehabt und gesagt, falls er nach Indien zurückkomme, werde er getötet werden. Auf die Frage, ob dies ein einmaliger Vorfall gewesen sei oder ob die Leute schon einmal bei ihm gewesen seien, gab der Beschwerdeführer an, dass diese schon einmal im Jahr 2015 bei ihm zuhause gewesen seien. Auch damals hätten sie eine Warnung abgegeben. Auf die Frage, ob nur er von diesen Leuten bedroht werde, oder ob mehrere Leute in Indien bedroht werden, führte er aus, dass nur er bedroht werde. Auf die Frage, warum er denke, dass nur er bedroht werde, gab der Beschwerdeführer an: „Weil die mich kennen.“. Im Fall einer Rückkehr nach Indien werde er sicher getötet werden. Auf die Frage, ob es zwischen dem Jahr 2015 und dem Vorfall im Jahr 2020 noch weitere Vorfälle gegeben habe, führte der Beschwerdeführer an, dass diese Leute dazwischen noch drei- bis viermal gekommen seien. Auf die Frage, warum er dies erst jetzt sage, zumal er vorhin gefragt worden sei, ob es sonst noch Vorfälle gegeben habe, führte der Beschwerdeführer aus, dass sie noch drei- bis viermal gekommen seien. Auf nochmalige Nachfrage, warum er dies erst jetzt gesagt habe, wiederholte der Beschwerdeführer, dass sie „drei- bis viermal“ gekommen seien.

Auf Vorhalt, dass es in Indien kein Meldewesen gebe und ihm die Möglichkeit einer inländischen Fluchtalternative offenstehe, gab der Beschwerdeführer an, dass er zuvor in Hyderabad gewesen sei, aber „sie“ ihn bestimmt gefunden hätten, egal wo er hingezogen wäre. Er sei seit 2016 in Österreich selbständig erwerbstätig und arbeite für eine Firma, die Medikamente zustelle. In Österreich sei er nicht Mitglied in einem Verein oder einer sonstigen Organisation. Er spreche „normal“ Deutsch, er mache auch gerade einen Kurs. In Indien würden seine Eltern, seine Ehefrau und seine drei Kinder leben, weiters eine Schwester und einige Onkel und Tanten. Seine Familienangehörigen würden im Elternhaus im Heimatdorf leben.

Am Ende der Einvernahme wurde dem bevollmächtigten Vertreter des Beschwerdeführers eine Frist zur Abgabe einer Stellungnahme zur den Länderfeststellungen eingeräumt.

15. Am 20.11.2020 langte beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl eine diesbezügliche Stellungnahme des bevollmächtigten Vertreters des Beschwerdeführers ein. Darin wurde unter anderem ausgeführt, dass im letzten bekannten Länderinformationsblatt zu Indien sich auf Seite 3 der Hinweis befinde, dass die aktuelle Corona-Virus-Pandemie (COVID-19) noch keine Berücksichtigung gefunden habe, weil die zur Bekämpfung der Krankheit eingeleiteten und noch einzuleitenden Maßnahmen ständigen Änderungen unterworfen seien und zu deren Auswirkungen zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch Informationen fehlen würden. Da gravierende Auswirkungen auf das Gesundheitswesen, die Versorgungslage und auf Bewegungs- und Reisefreiheit zu erwarten seien, würde die Übermittlung von aktuellsten Berichten und Feststellungen beantragt. Aufgrund der COVID-Krise würde der Beschwerdeführer in eine ausweglose Situation geraten. Einrichtungen für Rückkehrer gebe es in Indien nicht, humanitäre Hilfe sei nicht verfügbar.

16. Mit dem angefochtenen Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz gemäß § 68 Abs. 1 AVG sowohl hinsichtlich des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) als auch hinsichtlich des Status des subsidiär Schutzberechtigten (Spruchpunkt II.) wegen entschiedener Sache zurückgewiesen. Dem Beschwerdeführer wurde kein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG erteilt (Spruchpunkt III.) und wurde gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.) sowie gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass seine Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Indien zulässig sei (Spruchpunkt V.). Unter Spruchpunkt VI. wurde von der Erteilung einer Frist für die freiwillige Ausreise gemäß § 55 Abs. 1a FPG abgesehen und unter Spruchpunkt VII. gemäß § 53 Abs.1 iVm Abs. 2 Z 6 FPG gegen den Beschwerdeführer ein für die Dauer von zwei Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen.

Begründend wurde hinsichtlich der Spruchpunkte I. und II. ausgeführt, dass seit dem rechtskräftigen Abschluss des Erstverfahrens keine entscheidungswesentliche Änderung des maßgeblichen Sachverhaltes eingetreten sei. Ein neuer Sachverhalt, welcher im gegenständlichen Fall eine anderslautende Entscheidung in der Sache rechtfertigen würde, liege somit nicht vor. Da weder in der maßgeblichen Sachlage – und zwar im Hinblick auf jenen Sachverhalt, der in der Sphäre des Beschwerdeführers gelegen sei, noch auf jenen, welcher von Amtswegen aufzugreifen sei – noch im Begehren und auch nicht in den anzuwendenden Rechtsnormen eine Änderung eingetreten sei, welche eine andere rechtliche Beurteilung des Antrages nicht von vornhinein als ausgeschlossen erscheinen ließe, sei der neuerliche Antrag auf internationalen Schutz zurückzuweisen. Hinsichtlich der Spruchpunkte III. bis V. wurde festgehalten, dass eine der Rückkehr entgegenstehende Integration des Beschwerdeführers ebenso wenig erkannt werden könne, wie eine der Rückkehr entgegenstehende Situation in Indien. Schließlich wurde die Verhängung des Einreiseverbots damit begründet, dass das Fehlverhalten des Beschwerdeführers (Nichteinhaltung der behördlichen bzw. gerichtlichen Anweisung, in der gewährten Frist das Bundesgebiet bzw. der Schengenraum zu verlassen) geeignet sei, die öffentliche Ordnung und Sicherheit zu gefährden.

Zur COVID-19 Pandemie sowie zum Herkunftsstaat stellte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl Folgendes fest:

„Derzeit herrscht weltweit die als COVID-19 bezeichnete Pandemie. COVID-19 ist eine durch das Corona-Virus SARS-CoV-2 verursachte Viruserkrankung, die erstmals im Jahr 2019 in Wuhan/China festgestellt wurde und sich seither weltweit verbreitet.

In Österreich gibt es mit Stand 23.11.2020, 07:48 Uhr: 247.188 bestätigte Fälle von mit dem Corona-Virus infizierten Personen und 2.388 Todesfälle; in Indien wurden zu diesem Zeitpunkt 9.139.865 Fälle von mit dem Corona-Virus infizierten Personen nachgewiesen, wobei 133.738 diesbezügliche Todesfälle bestätigt wurden.

Nach dem aktuellen Stand verläuft die Viruserkrankung bei ca. 80% der Betroffenen leicht, dies bestätigt auch Chinas Gesundheitsbehörde und bei ca. 15% der Betroffenen schwerer, wenn auch nicht lebensbedrohlich. Bei ca. 5% der Betroffenen verläuft die Viruserkrankung derart schwer, dass Lebensgefahr gegeben ist und intensivmedizinische Behandlungsmaßnahmen notwendig sind. Diese sehr schweren Krankheitsverläufe treten am häufigsten in den Risikogruppen der älteren Personen und der Personen mit Vorerkrankungen (wie z.B. Diabetes, Herzkrankheiten und Bluthochdruck) auf. Menschen mit milden Symptomen erholen sich der WHO zufolge in zwei Wochen, solche mit schweren Symptomen brauchen drei bis sieben Wochen.“

(…)

Zur Lage in Ihrem Herkunftsstaat:

Zu Indien werden folgende Feststellungen getroffen:

(Anmerkung: Die Feststellungen sind durch die Staatendokumentation des Bundesamtes zusammengestellt und entsprechen dem Stand vom Juli 2020).

„Politische Lage

Letzte Änderung: 30.03.2020

Indien ist mit über 1,3 Milliarden Menschen und einer multireligiösen und multiethnischen Gesellschaft die bevölkerungsreichste Demokratie der Welt (CIA Factbook 28.2.2020; vgl. AA 19.7.2019). Im Einklang mit der Verfassung haben die Bundesstaaten und Unionsterritorien ein hohes Maß an Autonomie und tragen die Hauptverantwortung für Recht und Ordnung (USDOS 11.3.2020). Die Hauptstadt New Delhi hat einen besonderen Rechtsstatus (AA 2.2020a).

Der Grundsatz der Gewaltenteilung von Legislative, Exekutive und Judikative ist nach britischem Muster durchgesetzt (AA 2.2020a; vgl. AA 19.7.2019). Die Unabhängigkeit der Gerichtsbarkeit ist verfassungsmäßig garantiert, der Instanzenzug ist dreistufig (AA 19.7.2019). Das oberste Gericht (Supreme Court) in New Delhi steht an der Spitze der Judikative und wird gefolgt von den High Courts auf Länderebene (GIZ 11.2019a). Die Pressefreiheit ist von der Verfassung verbürgt, jedoch immer wieder Anfechtungen ausgesetzt (AA 2.2020a). Indien hat eine lebendige Zivilgesellschaft (AA 2.2020a).

Indien ist eine parlamentarische Demokratie und verfügt über ein Mehrparteiensystem und ein Zweikammerparlament (USDOS 11.3.2020). Darüber hinaus gibt es Parlamente auf Bundesstaatsebene (AA 19.7.2019).

Der Präsident ist das Staatsoberhaupt und wird von einem Wahlausschuss gewählt, während der Premierminister der Regierungschef ist (USDOS 11.3.2020).Der Präsident nimmt weitgehend repräsentative Aufgaben wahr. Die politische Macht liegt hingegen beim Premierminister und seiner Regierung, die dem Parlament verantwortlich ist. Präsident ist seit 25. Juli 2017 Ram Nath Kovind, der der Kaste der Dalits (Unberührbaren) entstammt GIZ 11.2019a).

Im April/Mai 2019 wählten etwa 900 Mio. Wahlberechtigte ein neues Unterhaus. Im System des einfachen Mehrheitswahlrechts konnte die Bharatiya Janata Party (BJP) unter der Führung des amtierenden Premierministers Narendra Modi ihr Wahlergebnis von 2014 nochmals verbessern (AA 19.7.2019).

Als deutlicher Sieger mit 352 von 542 Sitzen stellt das Parteienbündnis „National Democratic Alliance“, mit der BJP als stärkster Partei (303 Sitze) erneut die Regierung. Der BJP-Spitzenkandidat und amtierende Premierminister Narendra Modi wurde im Amt bestätigt. Die United Progressive Alliance rund um die Congress Party (52 Sitze) erhielt insgesamt 92 Sitze (AA 19.7.2019). Die Wahlen verliefen, abgesehen von vereinzelten gewalttätigen Zusammenstößen v. a. im Bundesstaat Westbengal, korrekt und frei. Im Wahlbezirk Vellore (East) im Bundesstaat Tamil Nadu wurden die Wahlen wegen des dringenden Verdachts des Stimmenkaufs ausgesetzt und werden zu einem späteren Zeitpunkt nachgeholt (AA 19.7.2019). Mit der BJP-Regierung unter Narendra Modi haben die hindu-nationalistischen Töne deutlich zugenommen. Die zahlreichen hindu-nationalen Organisationen, allen voran das Freiwilligenkorps RSS, fühlen sich nun gestärkt und versuchen verstärkt, die Innenpolitik aktiv in ihrem Sinn zu bestimmen (GIZ 11.2019a). Mit der Reform des Staatsbürgerschaftsrechts treibt die regierende BJP ihre hindu-nationalistische Agenda weiter voran. Die Reform wurde notwendig, um die Defizite des Bürgerregisters des Bundesstaats Assam zu beheben und den Weg für ein landesweites Staatsbürgerregister zu ebnen. Kritiker werfen der Regierung vor, dass die Vorhaben vor allem Muslime und Musliminnen diskriminieren, einer großen Zahl von Personen den Anspruch auf die Staatsbürgerschaft entziehen könnten und Grundwerte der Verfassung untergraben (SWP 2.1.2020; vgl. TG 26.2.2020). Kritiker der Regierung machten die aufwiegelnde Rhetorik und die Minderheitenpolitik der regierenden Hindunationalisten, den Innenminister und die Bharatiya Janata Party (BJP) für die Gewalt verantwortlich, bei welcher Ende Februar 2020 mehr als 30 Personen getötet wurden. Hunderte wurden verletzt (FAZ 26.2.2020; vgl. DW 27.2.2020).

Bei der Wahl zum Regionalparlament der Hauptstadtregion Neu Delhi musste die Partei des Regierungschefs Narendra Modi gegenüber der regierenden Antikorruptionspartei Aam Aadmi (AAP) eine schwere Niederlage einstecken. Diese gewann die Regionalwahl erneut mit 62 von 70 Wahlbezirken. Die AAP unter Führung von Arvind Kejriwal, punktete bei den Wählern mit Themen wie Subventionen für Wasser und Strom, Verbesserung der Infrastruktur für medizinische Dienstleistungen sowie die Sicherheit von Frauen, während die BJP für das umstrittene Staatsbürgerschaftsgesetz warb (KBS 12.2.2020). Modis Partei hat in den vergangenen zwei Jahren bereits bei verschiedenen Regionalwahlen in den Bundesstaaten Maharashtra und Jharkhand heftige Rückschläge hinnehmen müssen (quanatra.de 14.2.2020; vgl. KBS 12.2.2020).

Unter Premierminister Modi betreibt Indien eine aktivere Außenpolitik als zuvor. Die frühere Strategie der „strategischen Autonomie“ wird zunehmend durch eine Politik „multipler Partnerschaften“ mit allen wichtigen Ländern in der Welt überlagert. Wichtigstes Ziel der indischen Außenpolitik ist die Schaffung eines friedlichen und stabilen globalen Umfelds für die wirtschaftliche Entwicklung des Landes und als aufstrebende Großmacht die zunehmende verantwortliche Mitgestaltung regelbasierter internationaler Ordnung (BICC 12.2019). Ein ständiger Sitz im UN-Sicherheitsrat ist dabei weiterhin ein strategisches Ziel (GIZ 11.2019a). Gleichzeitig strebt Indien eine stärkere regionale Verflechtung mit seinen Nachbarn an, wobei nicht zuletzt Alternativkonzepte zur einseitig sino-zentrisch konzipierten „Neuen Seidenstraße“ eine wichtige Rolle spielen. In der Region Südasien setzt Indien zudem zunehmend auf die Regionalorganisation BIMSTEC (Bay of Bengal Initiative for Multi-Sectoral Technical and Economic Cooperation). Indien ist Dialogpartner der südostasiatischen Staatengemeinschaft und Mitglied im „Regional Forum“ (ARF). Überdies nimmt Indien am East Asia Summit und seit 2007 auch am Asia-Europe Meeting (ASEM) teil. Die Shanghai Cooperation Organisation (SCO) hat Indien und Pakistan 2017 als Vollmitglieder aufgenommen. Der Gestaltungswille der BRICS-Staatengruppe (Brasilien, Russland, Indien, China, Südafrika) schien zuletzt abzunehmen (BICC 12.2019).

Die Beziehungen zu Bangladesch sind von besonderer Natur, teilen die beiden Staaten doch eine über 4.000 km lange Grenze. Indien kontrolliert die Oberläufe der wichtigsten Flüsse Bangladeschs und war historisch maßgeblich an der Entstehung Bangladeschs während seines Unabhängigkeitskrieges beteiligt. Schwierige Fragen wie Transit, Grenzverlauf, ungeregelter Grenzübertritt und Migration, Wasserverteilung und Schmuggel werden in regelmäßigen Regierungsgesprächen erörtert. Die Beziehungen des Landes zur EU sind vor allem in wirtschaftlicher Hinsicht von besonderer Bedeutung. Die EU ist der größte Handels- und Investitionspartner Indiens. Der Warenhandel in beide Richtungen hat sich faktisch stetig ausgeweitet (GIZ 11.2019a).

Quellen:

-        AA – Auswärtiges Amt (Deutschland) (19.7.2019): Auswärtiges Amt, Bericht zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage in der Republik Indien (Stand: Mai 2019), https://www.ecoi.net/en/file/local/2014276/Deutschland___Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_zur_asyl-_und_abschiebungsrelevanten_Lage_in_der_Republik_Indien_%28Stand_Mai_2019%29%2C_19.07.2019.pdf, Zugriff 19.3.2020

-        AA – Auswärtiges Amt (2.2020a): Indien: Politisches Porträt, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/indien-node/politisches-portrait/206048, Zugriff 27.3.2020

-        AA - Auswärtiges Amt (11.2019b): Indien, Außenpolitik, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/indien-node/politisches-portrait/206048, Zugriff 16.1.2020

-        BICC - Bonn International Centre for Conversion (12.2019): Informationsdienst - Sicherheit, Rüstung und Entwicklung in Empfängerländern deutscher Rüstungsexporte: Länderinformation Indien, http://www.ruestungsexport.info/user/pages/04.laenderberichte/indien/2019_Indien.pdf, Zugriff 10.2.2020

-        CIA - Central Intelligence Agency (28.2.2020): The World Factbook – India, https://www.cia.gov/library/publications/the-world-factbook/geos/in.html, Zugriff 17.3.2020

-        DW – Deutsche Welle (27.2.2020): Sierens China: Schwieriges Dreiecksverhältnis, https://www.dw.com/de/sierens-china-schwieriges-dreiecksverh%C3%A4ltnis/a-52556817, Zugriff 28.2.2020

-        FAZ – Frankfurter Allgemeine Zeitung (26.2.2020): Immer mehr Tote nach Unruhen in Delhi, https://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/indien-tote-bei-gewalt-zwischen-hindus-und-muslimen-in-delhi-16652177.html, Zugriff 28.2.2020

-        GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (11.2019a): Indien, Geschichte und Staat, https://www.liportal.de/indien/geschichte-staat/, Zugriff 27.3.2020

-        GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmBH (3.2020b): Indien, Wirtschaftssystem und Wirtschaftspolitik, https://www.liportal.de/indien/wirtschaft-entwicklung/, Zugriff 30.3.2020

-        GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (3.2020c): Indien, Überblick, https://www.liportal.de/indien/ueberblick/, Zugriff 27.3.2020

-        KBS – Korean Broadcasting System (12.2.2020): Niederlage für Indiens Regierungschef Modi bei Wahl in Neu Delhi, http://world.kbs.co.kr/service/contents_view.htmlang=g&board_seq=379626, Zugriff 14.2.2020

-        Quantara.de (14.2.2020): Herbe Niederlage für Indiens Regierungschef Modi bei Wahl in Neu Delhi, https://de.qantara.de/content/herbe-niederlage-fuer-indiens-regierungschef-modi-bei-wahl-in-neu-delhi, Zugriff 20.2.2020

-        SWP – Stiftung Wissenschaft und Politik (8.2019): Indiens Ringen um die Staatsbürgerschaft, https://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/aktuell/2020A02_wgnArora_WEB.pdf, Zugriff 18.2.2020

-        SWP – Stiftung Wissenschaft und Politik (8.2019): Keine Ruhe in Kaschmir. Die Auflösung des Bundesstaats und die Folgen für Indien, https://www.swp-berlin.org/10.18449/2019A45/, Zugriff 16.1.2020

-        TG – The Guardian (26.2.2020): Anti-Muslim violence in Delhi serves Modi well, https://www.theguardian.com/commentisfree/2020/feb/26/violence-delhi-modi-project-bjp-citizenship-law, Zugriff 28.2.2020

-        USDOS – US Department of State (11.3.2020): 2019 Country Reports on Human Rights Practices: India, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026357.html, Zugriff 13.3.2020

Sicherheitslage

Es gibt in Indien eine Vielzahl von Spannungen und Konflikten, Gewalt ist an der Tagesordnung (GIZ 11.2019a). Terroristische Anschläge in den vergangenen Jahren (Dezember 2010 in Varanasi, Juli 2011 in Mumbai, September 2011 in New Delhi und Agra, April 2013 in Bangalore, Mai 2014 in Chennai und Dezember 2014 in Bangalore) und insbesondere die Anschläge in Mumbai im November 2008 haben die Regierung unter Druck gesetzt. Von den Anschlägen der letzten Jahre wurden nur wenige restlos aufgeklärt und die als Reaktion auf diese Vorfälle angekündigten Reformvorhaben zur Verbesserung der indischen Sicherheitsarchitektur wurden nicht konsequent umgesetzt (AA 24.4.2015). Aber auch im Rest des Landes gab es in den letzten Jahren Terroranschläge mit islamistischem Hintergrund. Im März 2017 platzierte eine Zelle des „Islamischen Staates“ (IS) in der Hauptstadt des Bundesstaates Madhya Pradesh eine Bombe in einem Passagierzug. Die Terrorzelle soll laut Polizeiangaben auch einen Anschlag auf eine Kundgebung von Premierminister Modi geplant haben (BPB 12.12.2017). Das Land unterstützt die US-amerikanischen Maßnahmen gegen den internationalen Terrorismus. Intern wurde eine drakonische neue Anti-Terror-Gesetzgebung verabschiedet, die Prevention of Terrorism Ordinance (POTO), von der Menschenrechtsgruppen fürchten, dass sie auch gegen legitime politische Gegner missbraucht werden könnte (BICC 12.2020).

Die Spannungen im Nordosten des Landes gehen genauso weiter wie die Auseinandersetzung mit den Naxaliten (maoistische Untergrundkämpfer, Anm.) (GIZ 11.2019a), die das staatliche Gewaltmonopol gebietsweise infrage stellen (AA 19.7.2019).

Konfliktregionen sind Jammu und Kashmir, die nordöstlichen Regionen und der maoistische Gürtel. In Jharkhand und Bihar setzten sich die Angriffe von maoistischen Rebellen auf Sicherheitskräfte und Infrastruktur fort. In Punjab kam es bis zuletzt durch gewaltbereite Regierungsgegner immer wieder zu Morden und Bombenanschlägen. Neben den islamistischen Terroristen tragen die Naxaliten zur Destabilisierung des Landes bei. Von Chattisgarh aus kämpfen sie in vielen Unionsstaaten (von Bihar im Norden bis Andrah Pradesh im Süden) mit Waffengewalt gegen staatliche Einrichtungen. Im Nordosten des Landes führen zahlreiche Separatistengruppen (United Liberation Front Assom, National Liberation Front Tripura, National Socialist Council Nagaland, Manipur People’s Liberation Front etc.) einen Kampf gegen die Staatsgewalt und fordern entweder Unabhängigkeit oder mehr Autonomie. Der gegen Minderheiten wie Moslems und Christen gerichtete Hindu-Radikalismus wird selten von offizieller Seite in die Kategorie Terror eingestuft, sondern vielmehr als „communal violence“ bezeichnet (ÖB 8.2019).

Erhebungen maoistischer Gruppierungen in den ostzentralen Bergregionen Indiens dauern an. Angaben zu Folge haben Rebellen illegale Steuern erhoben, Lebensmittel und Unterkünfte beschlagnahmt und sich an Entführungen und Zwangsrekrutierungen von Kindern und Erwachsenen beteiligt. Zehntausende von Zivilisten wurden durch die Gewalt vertrieben und leben in von der Regierung geführten Lagern. Unabhängig davon greifen in den sieben nordöstlichen Bundesstaaten Indiens mehr als 40 aufständische Gruppierungen, welche entweder eine größere Autonomie oder die vollständige Unabhängigkeit ihrer ethnischen oder Stammesgruppen anstreben, weiterhin Sicherheitskräfte an. Auch kommt es weiterhin zu Gewalttaten unter den Gruppierungen, welche sich in Bombenanschlägen, Morden, Entführungen, Vergewaltigungen von Zivilisten und in der Bildung von umfangreichen Erpressungsnetzwerken ausdrücken (FH 4.3.2020).

Das South Asia Terrorism Portal verzeichnet in einer Aufstellung für das Jahr 2016 insgesamt 907 Todesopfer durch terrorismusrelevante Gewalt. Im Jahr 2017 wurden 812 Personen durch terroristische Gewalt getötet und im Jahr 2018 kamen 940 Menschen durch Terrorakte. 2019 belief sich die Opferzahl terrorismus- relevanter Gewalt landesweit auf insgesamt 621 Tote. Bis zum 5.3.2020 wurden 81 Todesopfer durch terroristische Gewaltanwendungen registriert [Anmerkung: die angeführten Zahlen beinhalten Zivilisten, Sicherheitskräfte und Terroristen] (SATP 17.3.2020).

Gegen militante Gruppierungen, die meist für die Unabhängigkeit bestimmter Regionen eintreten und/oder radikalen (z. B. Maoistisch-umstürzlerische) Auffassungen anhängen, geht die Regierung mit großer Härte und Konsequenz vor. Sofern solche Gruppen der Gewalt abschwören, sind in der Regel Verhandlungen über ihre Forderungen möglich. Gewaltlose Unabhängigkeitsgruppen können sich politisch frei betätigen (AA 19.7.2019).

Indien und Pakistan

Pakistan erkennt weder den Beitritt Jammu und Kaschmirs zur indischen Union im Jahre 1947 noch die seit dem ersten Krieg im gleichen Jahr bestehende de-facto-Aufteilung der Region auf beide Staaten an. Indien hingegen vertritt den Standpunkt, dass die Zugehörigkeit Jammu und Kaschmirs in seiner Gesamtheit zu Indien nicht zur Disposition steht (Piazolo 2008). Die äußerst angespannte Lage zwischen Indien und Pakistan hat sich in der Vergangenheit immer wieder in Grenzgefechten entladen, welche oft zu einem größeren Krieg zu eskalieren drohten. Seit 1947 gab es bereits drei Kriege aufgrund des umstrittenen Kaschmir-Gebiets (BICC 12.2019; vgl. BBC 23.1.2018).

Nach dem friedlichen Unabhängigkeitskampf gegen die britische Kolonialherrschaft zeigte bereits die blutige Teilung Britisch-Indiens, die mit einer Massenflucht, schweren Gewaltausbrüchen und Pogromen einherging, wie schwierig es sein wird, die ethnisch, religiös, sprachlich und sozioökonomisch extrem heterogene Gesellschaft in einem Nationalstaat zusammenzuhalten. Die inter-religiöse Gewalt setzte sich auch nach der Teilung zwischen Indien und Pakistan fort (BPB 12.12.2017).

Indien wirft Pakistan dabei unter anderem vor, in Indien aktive terroristische Organisationen zu unterstützen und fordert ein Ende dieser Unterstützung ebenso wie der Unterstützung kaschmirischer Separatisten. Pakistan hingegen fordert eine Volksabstimmung über die Zukunft der Region, da der Verlust des größtenteils muslimisch geprägten Gebiets als Bedrohung der islamischen Identität Pakistans wahrgenommen wird (BICC 12.2019). Nach einem Terrorangriff auf eine indische Militärbasis in Kaschmir Mitte September 2016 eskaliert die Rhetorik auf beiden Seiten erneut (DW 29.9.2016). So kommt es immer wieder zu Schusswechseln zwischen Truppenteilen Indiens und Pakistans an der Waffenstillstandslinie in Kaschmir (BICC 12.2019). So drang die indische Luftwaffe am 26.2.2019 als Vergeltung für einen am 14.2.2019 verübten Selbstmordanschlag erstmals seit dem Krieg im Jahr 1971 in den pakistanischen Luftraum ein, um ein Trainingslager der islamistischen Gruppierung Jaish-e-Mohammad in der Region Balakot, Provinz Khyber Pakhtunkhwa, zu bombardieren (SZ 26.2.2019; vgl. FAZ 26.2.2019, WP 26.2.2019). Indien ist überzeugt, dass der Selbstmordanschlag vom 14.2.2019 von Pakistan aus geplant und unterstützt worden ist (NZZ 26.2.2019). Die Armeen der verfeindeten Nachbarn hatten seit Anfang März 2019 immer wieder an verschiedenen Stellen über die de-facto-Grenze zwischen den von Pakistan und Indien kontrollierten Teilen Kaschmirs das Feuer eröffnet (Presse 2.3.2019) und kurz darauf gemeldet, dass die Lage entlang der „Line of Control“ wieder relativ ruhig sei (Reuters 3.3.2019)

Indien und China

Der chinesisch-indische Grenzverlauf im Himalaya ist weiterhin umstritten. Auch hat China Indien nie verziehen, dem Dalai Lama Exil gewährt zu haben. Dennoch hat keine der beiden Seiten ein Interesse daran, die Meinungsverschiedenheiten in offenen Streit umschlagen zu lassen (FAZ 27.2.2020), doch haben sowohl Indien als auch China Ambitionen, ihren Einflussbereich in Asien auszuweiten (BICC 12.2019).

Der amerikanisch-chinesische Handelskrieg hat die Wirtschaftsbeziehungen zwischen Indien und China gestärkt und neue Möglichkeiten für indische Unternehmen auf dem chinesischen Markt geschaffen. Dennoch ist Delhi besorgt, dass chinesische Waren den heimischen Markt überschwemmen und lokale Anbieter verdrängen. Das ist auch der Grund, warum Indien noch einmal nachverhandeln will, wenn es um das „Regional Comprehensive Economic Partnership“ (RCEP) Abkommen geht, das gemeinsam mit den meisten asiatischen Ländern größte Freihandelsabkommen der Welt, zu schaffen. Indien fühlt sich von Peking geopolitisch herausgefordert, da China innerhalb seiner „Neuen Seidenstraße“ Allianzen mit Indiens Nachbarländern Pakistan, Bangladesch, Nepal und Sri Lanka geschmiedet hat. Besonders der Wirtschaftskorridor mit dem Erzfeind Pakistan ist den Indern ein Dorn im Auge (FAZ 27.2.2020). Bestimmender Faktor des indischen Verhältnisses zu China ist das immer wieder auch in Rivalität mündende Neben- und Miteinander zweier alter Kulturen, die heute die beiden bevölkerungsreichsten Staaten der Welt sind. Das bilaterale Verhältnis ist von einem signifikanten Ungleichgewicht zu Gunsten Chinas gekennzeichnet (BICC 12.2019).

Indien und Sri Lanka pflegen ein eher ambivalentes Verhältnis, das durch den mittlerweile beendeten Bürgerkrieg auf Sri Lanka zwischen der tamilischen Minderheit und singhalesischen Mehrheit stark beeinflusst wurde. Die tamilische Bevölkerungsgruppe in Indien umfasst ca. 65 Millionen Menschen, woraus sich ein gewisser Einfluss auf die indische Außenpolitik ergibt (GIZ 11.2019a). Darüber hinaus bestehen kleinere Konflikte zwischen Indien und Bangladesch (BICC 12.2019).

Quellen:

-        AA – Auswärtiges Amt (Deutschland) (19.7.2019): Auswärtiges Amt, Bericht zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage in der Republik Indien (Stand: Mai 2019), https://www.ecoi.net/en/file/local/2014276/Deutschland___Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_zur_asyl-_und_abschiebungsrelevanten_Lage_in_der_Republik_Indien_%28Stand_Mai_2019%29%2C_19.07.2019.pdf, Zugriff 19.3.2020

-        AA - Auswärtiges Amt (19.7.2019): Bericht zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage in der Republik Indien

-        BBC - British Broadcasting Corporation (23.1.2018): India country profile – Overview, http://www.bbc.co.uk/news/world-south-asia-12557384, Zugriff 29.1.2019

-        BICC - Bonn International Centre for Conversion (12.2019): Informationsdienst - Sicherheit, Rüstung und Entwicklung in Empfängerländern deutscher Rüstungsexporte: Länderinformation Indien, http://www.ruestungsexport.info/user/pages/04.laenderberichte/indien/2019_Indien.pdf, Zugriff 10.2.2020

-        BPB - Bundeszentrale für politische Bildung (Deutschland) (12.12.2017): Konfliktporträt: Indien, http://www.bpb.de/internationales/weltweit/innerstaatliche-konflikte/215390/indien, Zugriff 18.3.2020

-        DW – Deutsche Welle (29.9.2016): Indien und Pakistan lassen Kaschmir-Konflikt eskalieren, https://www.dw.com/de/indien-und-pakistan-lassen-kaschmir-konflikt-eskalieren/a-35922107, Zugriff 11.2.2020

-        FAZ – Frankfurter Allgemeine Zeitung (26.2.2019): Pakistan: Wir behalten uns vor, auf Indiens Angriffe zu reagieren, https://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/indische-luftwaffe-verletzt-den-pakistanischen-luftraum-16061769.html, Zugriff 6.8.2019

-        FH - Freedom House (4.3.2020): Freedom in the World 2020 - India, https://www.ecoi.net/de/dokument/2025925.html, Zugriff 10.3.2020

-        GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (11.2019a): Indien, https://www.liportal.de/indien/geschichte-staat/, Zugriff 17.3.2020

-        NZZ – Neue Züricher Zeitung (26.2.2019): Die Spirale der Eskalation dreht, https://www.nzz.ch/meinung/indien-bombardiert-pakistan-spirale-der-eskalation-dreht-ld.1462893, Zugriff 6.8.2019

-        ÖB - Österreichische Botschaft New Delhi (8.2019): Asylländerbericht Indien

-        Piazolo, Michael (2008): Macht und Mächte in einer multipolaren Welt. Springer Verlag. Seite 201

-        Presse, die (2.3.2019): Kaschmir: Sieben Tote bei Schüssen an Grenze von Indien und Pakistan, https://diepresse.com/home/ausland/aussenpolitik/5588780/Kaschmir_Sieben-Tote-bei-Schuessen-an-Grenze-von-Indien-und-Pakistan, Zugriff 6.8.2019

-        Reuters (3.3.2019): India-Pakistan border quiet but Kashmir tense amid militancy crackdown, https://www.reuters.com/article/us-india-kashmir-pakistan-idUSKCN1QK093, Zugriff 6.8.2019

-        SATP - South Asia Terrorism Portal (15.2.2020): Data Sheet - India Yearly Fatalities: 2000 - 2020, https://www.satp.org/datasheet-terrorist-attack/fatalities/india, Zugriff 17.3.2020

-        SZ- Süddeutsche Zeitung (26.2.2019): Indien bombardiert pakistanischen Teil Kaschmirs, https://www.sueddeutsche.de/politik/indien-pakistan-luftangriff-1.4345509, Zugriff 6.8.2019

-        WP – The Washington Post (26.2.2019): India strikes Pakistan in severe escalation of tensions between nuclear rivals, https://www.washingtonpost.com/world/pakistan-says-indian-fighter-jets-crossed-into-its-territory-and-carried-out-limited-airstrike/2019/02/25/901f3000-3979-11e9-a06c-3ec8ed509d15_story.html?utm_term=.ee5f4df72709, Zugriff 6.8.2019

(…)

Sicherheitsbehörden

Letzte Änderung: 30.03.2020

Die indische Polizei (Indian Police Service) ist keine direkte Strafverfolgungs- oder Vollzugsbehörde (BICC 12.2019) und untersteht den Bundesstaaten (AA 19.7.2019). Sie fungiert vielmehr als Ausbildungs- und Rekrutierungsstelle für Führungsoffiziere der Polizei in den Bundesstaaten. Im Hinblick auf die föderalen Strukturen ist die Polizei dezentral in den einzelnen Bundesstaaten organisiert. Die einzelnen Einheiten haben jedoch angesichts eines nationalen Polizeigesetzes, zahlreichen nationalen Strafrechten und der zentralen Rekrutierungsstelle für Führungskräfte eine Reihe von Gemeinsamkeiten. Allgemein ist die Polizei mit der Strafverfolgung, Verbrechensprävention und -bekämpfung sowie der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung betraut und übt gleichzeitig eine teilweise Kontrolle über die verschiedenen Geheimdienste aus. Innerhalb der Polizei gibt es eine Kriminalpolizei (Criminal Investigation Department - CID), in die wiederum eine Sondereinheit (Special Branch) integriert ist. Während erstere mit nationalen und die Bundesstaaten übergreifenden Verbrechen betraut ist, hat die Sondereinheit Informationsbeschaffung und Überwachung jeglicher subversiver Elemente und Personen zur Aufgabe. In fast allen Bundesstaaten sind spezielle Polizeieinheiten aufgestellt worden, die sich mit Frauen und Kindern beschäftigen. Kontrolliert wird ein Großteil der Strafverfolgungsbehörden vom Innenministerium (Ministry of Home Affairs) (BICC 12.2019).

Ein Mangel an Vertrauen in die Zuverlässigkeit der Polizei entsteht neben den strukturellen Defiziten auch durch häufige Berichte über Menschenrechtsverletzungen wie Folter, außergerichtliche Tötungen und Drohungen, die mutmaßlich durch die Polizei verübt wurden (BICC 12.2019; vgl. FH 4.3.2020). Es gab zwar Ermittlungen und Verfolgungen von Einzelfällen, aber eine unzureichende Durchsetzung wie auch ein Mangel an ausgebildeten Polizeibeamten tragen zu einer geringen Effizienz bei (USDOS 11.3.2020). Es mangelt nach wie vor an Verantwortlichkeit für Misshandlung durch die Polizei und an der Durchsetzung von Polizeireformen (HRW 14.1.2020).

Das indische Militär ist der zivilen Verwaltung unterstellt und hat in der Vergangenheit wenig Interesse an einer politischen Rolle gezeigt. Der Oberbefehl obliegt dem Präsidenten. Ihrem Selbstverständnis nach ist die Armee zwar die „Beschützerin der Nation“, aber nur im militärischen Sinne (BICC 12.2019). Das Militär kann im Inland eingesetzt werden, wenn dies zur Aufrechterhaltung der inneren Sicherheit notwendig ist (AA 19.7.2019; vgl. BICC 12.2019). Paramilitärischen Einheiten werden als Teil der Streitkräfte, vor allem bei internen Konflikten eingesetzt, so in Jammu und Kaschmir sowie in den nordöstlichen Bundesstaaten. Bei diesen Einsätzen kommt es oft zu erheblichen Menschenrechtsverletzungen (BICC 12.2019).

Für den Einsatz von Streitkräften - vor allem von Landstreitkräften - in Unruhegebieten und gegen Terroristen wird als Rechtsgrundlage der „Armed Forces Special Powers Act“ (AFSPA) zur Aufrechterhaltung von „Recht und Ordnung“ herangezogen (USDOS 11.3.2020). Das Gesetz gibt den Sicherheitskräften in „Unruhegebieten“ weitgehende Befugnisse zum Gebrauch von Gewalt, zu Festnahmen ohne Haftbefehl und Durchsuchungen ohne Durchsuchungsbefehl (AA 19.7.2019; vgl. FH 4.3.2020, USDOS 11.3.2020). Das Gesetz zur Verhinderung ungesetzlicher Aktivitäten (UAPA) gibt den Behörden die Möglichkeit, Personen in Fällen im Zusammenhang mit Aufständen oder Terrorismus festzuhalten (USDOS 11.3.2020). Den Sicherheitskräften wird weitgehende Immunität gewährt (AA 19.7.2019; vgl. FH 4.3.2020, USDOS 11.3.2020).

Im Juli 2016 ließ das Oberste Gericht in einem Zwischenurteil zum AFSPA in Manipur erste Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes erkennen. Der Schutz der Menschenrechte sei auch unter den Regelungen des AFSPA unbedingt zu gewährleisten. Das umstrittene Sonderermächtigungsgesetz wurde im April 2018 für den Bundesstaat Meghalaya aufgehoben, im Bundesstaat Arunachal Pradesh auf acht Polizeidistrikte beschränkt und ist seit April 2019 in drei weiteren Polizeidistrikten von Arunachal Pradesh teilweise aufgehoben. Unverändert in Kraft ist es in folgenden als Unruhegebiete geltenden Staaten: Assam, Nagaland sowie in Teilen von Manipur. Für den Bundesstaat Jammu & Kashmir existiert eine eigene Fassung (AA 19.7.2019).

Die unter anderem auch in den von linksextremistischen Gruppen (sogenannten Naxaliten) betroffenen Bundesstaaten Zentralindiens eingesetzten paramilitärischen Einheiten Indiens unterstehen zu weiten Teilen dem Innenministerium (AA 19.7.2019). Dazu zählen insbesondere die National Security Guard (Nationale Sicherheitspolizei NSG), aus Angehörigen des Heeres und der Polizei zusammengestellte Spezialtruppe für Personenschutz, auch als „Black Cat“ bekannt, die Rashtriya Rifles, eine Spezialtruppe zum Schutz der Verkehrs- und Nachrichtenverbindungen bei inneren Unruhen und zur Bekämpfung von bewaffneten Rebellionen, die Central Reserve Police Force (CRPF) - die Bundesreservepolizei, eine militärisch ausgerüstete Polizeitruppe für Sondereinsätze - die Border Security Force (BSF - Bundesgrenzschutz) als größte und am besten ausgestattete Miliz zum Schutz der Grenzen zu Pakistan, Bangladesch und Myanmar. Sie wird aber auch zur Aufrechterhaltung der inneren Ordnung in anderen Landesteilen eingesetzt. Die sogenannten Assam Rifles sind zuständig für Grenzverteidigung im Nordosten - die Indo-Tibetan Border Force (ITBP) werden als Indo-Tibetische Grenzpolizei, die Küstenwache und die Railway Protective Force zum Schutz der nationalen Eisenbahn und die Central Industrial Security Force zum Werkschutz der Staatsbetriebe verantwortlich (ÖB 8.2019). Besonders in Unruhegebieten haben die Sicherheitskräfte zur Bekämpfung sezessionistischer und terroristischer Gruppen weitreichende Befugnisse, die oft exzessiv genutzt werden (AA 19.7.2019).

Die Grenzspezialkräfte („Special Frontier Force)“ unterstehen dem Büro des Premierministers. Die sogenannten Grenzspezialkräfte sind eine Eliteeinheit, die an sensiblen Abschnitten im Grenzgebiet zu China eingesetzt werden. Sie agieren im Rahmen der Geheimdienste, des sogenannten Aufklärungsbüros ("Intelligence Bureau" - Inlandsgeheimdienst) und dem Forschungs- und Analyseflügel ("Research and Analysis Wing“ - Auslandsgeheimdienst) (War Heros of India, 15.1.2017).

Quellen:

-        AA – Auswärtiges Amt (Deutschland) (19.7.2019): Auswärtiges Amt, Bericht zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage in der Republik Indien (Stand: Mai 2019), https://www.ecoi.net/en/file/local/2014276/Deutschland___Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_zur_asyl-_und_abschiebungsrelevanten_Lage_in_der_Republik_Indien_%28Stand_Mai_2019%29%2C_19.07.2019.pdf, Zugriff 19.3.2020

-        AA - Auswärtiges Amt (19.7.2019): Bericht zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage in der Republik Indien

-        BICC - Bonn International Centre for Conversion (12.2019): Informationsdienst - Sicherheit, Rüstung und Entwicklung in Empfängerländern deutscher Rüstungsexporte: Länderinformation Indien, http://www.ruestungsexport.info/user/pages/04.laenderberichte/indien/2019_Indien.pdf, Zugriff 11.2.2020

-        Freedom House (4.3.2020): Freedom in the World 2020 - India, https://www.ecoi.net/de/dokument/2025925.html, Zugriff 9.3.2020

-        HRW – Human Rights Watch (14.1.2020): World Report 2020 - India, https://www.ecoi.net/de/dokument/2022689.html, Zugriff 17.1.2020

-        ÖB - Österreichische Botschaft New Delhi (8.2019): Asylländerbericht Indien

-        USDOS – US Department of State (11.3.2020): 2019 Country Reports on Human Rights Practices: India, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026357.html, Zugriff 13.3.2020

-        War Heros of India (15.1.2017): Special Forces of India Part 3: Special Frontier Force, https://gallantryawardwinners.blogspot.com/2017/01/Special-Frontier-Force.html, Zugriff 19.3.2020

Allgemeine Menschenrechtslage

Letzte Änderung: 30.3.2020

Indien hat 1948 die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte unterzeichnet (AA 19.7.2019). Die nationale Gesetzgebung in Menschenrechtsangelegenheiten ist breit angelegt. Alle wichtigen Menschenrechte sind verfassungsrechtlich garantiert (ÖB 8.2019). Die Umsetzung dieser Garantien ist allerdings häufig nicht in vollem Umfang gewährleistet (AA 19.7.2019). Eine Reihe von Sicherheitsgesetzen schränken die rechtsstaatlichen Garantien, z.B. das Recht auf ein faires Verfahren, ein. Diese Gesetze wurden nach den Terroranschlägen von Mumbai im November 2008 verschärft; u.a. wurde die Unschuldsvermutung für bestimmte Straftatbestände außer Kraft gesetzt. Besonders in Unruhegebieten haben die Sicherheitskräfte zur Bekämpfung sezessionistischer und terroristischer Gruppen weitreichende Befugnisse, die oft exzessiv genutzt werden. Es gibt glaubhafte Berichte über extralegale Tötungen (AA 19.7.2019).

Menschenrechtsprobleme umfassen unter anderem Hinweise auf willkürliche Hinrichtungen, Verschleppung, Folter und Vergewaltigung. Korruption bleibt weit verbreitet. Gesellschaftliche Gewalt auf der Grundlage von Konfession und Kastegibt nach wie vor Anlass zur Sorge. Muslime und Dalit-Gruppen aus den unteren Kasten sind auch weiterhin am stärksten gefährdet. (USDOS 11.3.2020).

Eine verallgemeinernde Bewertung der Menschenrechtslage ist für Indien kaum möglich: Drastische Grundrechtsverletzungen und Rechtsstaatsdefizite koexistieren mit weitgehenden bürgerlichen Freiheiten, fortschrittlichen Gesetzen und engagierten Initiativen der Zivilgesellschaft. Vor allem die Realität der unteren Gesellschaftsschichten, die die Bevölkerungsmehrheit stellen, ist oftmals von Grundrechtsverletzungen und Benachteiligung geprägt (AA 19.7.2019). Ursache vieler Menschenrechtsverletzungen in Indien bleiben tiefverwurzelte soziale Praktiken, nicht zuletzt das Kastenwesen (AA 19.7.2019). Frauen, Mitglieder ethnischer und religiöser Minderheiten sowie niederer Kasten werden systematisch diskriminiert (BICC 12.2019). Während die Bürger- und Menschenrechte von der Regierung größtenteils respektiert werden, ist die Lage in den Regionen, dort wo es interne Konflikte gibt, teilweise sehr schlecht. Dies trifft insbesondere auf Jammu und Kaschmir und den Nordosten des Landes zu. Den Sicherheitskräften, sowohl der Polizei, den paramilitärischen Einheiten als auch dem Militär, werden schwere Menschenrechtsverletzungen bei ihren Einsätzen in den Krisengebieten des Landes angelastet. Dem Militär und den paramilitärischen Einheiten werden Entführungen, Folter, Vergewaltigungen, willkürliche Festnahmen und außergerichtliche Hinrichtungen vorgeworfen. Insbesondere hinsichtlich der Spannungen zwischen Hindus und Moslems, welche im Jahr 2002 zu Tausenden von Todesfällen führten, wird den Sicherheitskräften Parteilichkeit vorgeworfen. Die Stimmung wird durch hindu-nationalistische Parteien angeheizt, welche auch in der Regierung vertreten sind (BICC 12.2019).

Den indische Sicherheitskräften werden Menschenrechtsverletzungen vorgeworfen (FH 4.3.2020) und auch den separatistischen Rebellen und Terroristen im Bundesstaat Jammu und Kaschmir, im Nordosten und in den von den Maoisten beeinflussten Gebieten werden schwerwiegende Menschenrechtsverletzungen, darunter Morde, Folterungen von Angehörigen der Streitkräfte und der Polizei, sowie von Regierungsbeamten und Zivilisten vorgeworfen. Aufständische sind ebenso für die Rekrutierung und den Einsatz von Kindersoldaten verantwortlich (USDOS 11.3.2020; vgl. FH 4.3.2020).

In manchen Bundesstaaten schränkt das Gesetz die religiöse Konversion ein (USDOS 21.6.2019), Einschränkungen in Bezug auf die Bewegungsfreiheit dauern an (USDOS 1.3.2020).

Quellen:

-        AA – Auswärtiges Amt (Deutschland) (19.7.2019): Auswärtiges Amt, Bericht zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage in der Republik Indien (Stand: Mai 2019), https://www.ecoi.net/en/file/local/2014276/Deutschland___Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_zur_asyl-_und_abschiebungsrelevanten_Lage_in_der_Republik_Indien_%28Stand_Mai_2019%29%2C_19.07.2019.pdf, Zugriff 19.3.2020

-        BICC - Bonn International Centre for Conversion (12.2019): Informationsdienst - Sicherheit, Rüstung und Entwicklung in Empfängerländern deutscher Rüstungsexporte: Länderinformation Indien, http://www.ruestungsexport.info/user/pages/04.laenderberichte

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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