Entscheidungsdatum
30.12.2020Norm
AsylG 2005 §10 Abs2Spruch
I401 2236237-1/4E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Gerhard AUER über die Beschwerde des XXXX , StA. NIGERIA, vertreten durch die ARGE Rechtsberatung Diakonie und Volkshilfe und Verein Menschenrecht Österreich gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Niederösterreich, vom 02.03.2020 in der Fassung der Beschwerdevorentscheidung vom XXXX zu Recht:
A)
I. Die Beschwerdevorentscheidung vom 19.09.2020 wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl ersatzlos behoben.
II. Der Beschwerde gegen Spruchpunkt III. wird mit der Maßgabe als unbegründet abgewiesen, als das Einreiseverbot auf die Dauer von drei Jahren herabgesetzt wird.
III. Im Übrigen wird die Beschwerde als unbegründet abgewiesen.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:
Der Beschwerdeführer, ein nigerianischer Staatsangehöriger, stellte im Jahr 2017 einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich, der, ohne in die Sache einzutreten, gemäß § 5 AsylG wegen Zuständigkeit Italiens als unzulässig zurückgewiesen wurde. Dessen Abschiebungen nach Italien wurden am 16.03.2017 sowie nach neuerlich unrechtmäßigem Aufenthalt im Bundesgebiet am 01.04.2019 durchgesetzt.
Der Beschwerdeführer, der über eine Aufenthaltsberechtigung für Italien verfügt, wurde am 18.02.2020 beim unrechtmäßigen Aufenthalt im österreichischen Bundesgebiet betreten und gemäß § 52 Abs. 6 FPG zur unverzüglichen Ausreise sowie zum Nachweis seiner unverzüglichen Ausreise aus Österreich aufgefordert. In weiterer Folge wurde gegen den Beschwerdeführer ein Festnahmeauftrag gemäß § 34 Abs. 1 Z 2 BFA-VG erlassen.
Am 26.02.2020 wurde der Beschwerdeführer neuerlich beim unrechtmäßigen Aufenthalt im österreichischen Bundesgebiet angetroffen, festgenommen und dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in der Folge als Bundesamt bezeichnet) zur Einvernahme vorgeführt.
Am selben Tag wurde der Beschwerdeführer vor dem Bundesamt niederschriftlich zur Prüfung der Rechtmäßigkeit seines Aufenthaltes, der Erlassung einer Rückkehrentscheidung, der Verhängung von Schubhaft sowie der Erlassung eines Einreiseverbotes einvernommen.
Mit Mandatsbescheid vom 26.02.2020 ordnete das Bundesamt gemäß § 76 Abs. 2 Z 2 FPG iVm § 57 AVG über den Beschwerdeführer die Schubhaft zum Zwecke der Sicherung des Verfahrens zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme an. Der Beschwerdeführer wurde am 26.02.2020 in Schubhaft genommen und bis 24.03.2020 in Schubhaft angehalten.
Mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 08.05.2020, W275 2230316-1, wurde die Beschwerde gegen die Festnahme am 26.02.2020 gemäß § 40 Abs. 1 Z 1 und § 34 Abs. 1 Z 2 iVm § 22a Abs. 1 BFA-VG und gegen die Anhaltung in Schubhaft von 26.02.2020 bis 24.03.2020 gemäß § 76 Abs. 2 Z 2 FPG iVm § 22a Abs. 1 BFA-VG als unbegründet abgewiesen.
Mit Bescheid vom 02.03.2020 erteilte das Bundesamt dem Beschwerdeführer keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005, erließ gemäß § 10 Abs. 2 AsylG iVm § 9 BFA-Verfahrensgesetz (BFA-VG) gegen ihn eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 1 Z 1 Fremdenpolizeigesetz (FPG) (Spruchpunkt I.), stellte gemäß § 52 Abs. 9 FPG fest, dass seine Abschiebung nach Nigeria gemäß § 46 FPG zulässig ist (Spruchpunkt II.), erließ gegen ihn gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 2 Z 6 und Z 7 FPG ein auf die Dauer von fünf Jahren befristetes Einreiseverbot (Spruchpunkt III.) und erkannte gemäß § 18 Abs. 2 Z 1 BFA-VG einer Beschwerde gegen die Rückkehrentscheidung die aufschiebende Wirkung ab (Spruchpunkt IV.).
Die von der Diakonie Flüchtlingsdienst gemeinnützige GmbH dagegen erhobene Beschwerde vom 11.05.2020 richtet sich ausdrücklich gegen Spruchpunkt III. Moniert wurde, dass vom Beschwerdeführer durch Verwirklichung der Z 6 und 7 des § 53 Abs. 2 FPG keine solche schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit ausgehe, die ein Einreiseverbot in der festgesetzten Dauer rechtfertigen würde. Gemäß den ErläutRV (2144 BlgNR 24. GP 23 f) könne bei Vorliegen der Tatbestände des § 53 Abs. 2 Z 1 bis 9 auch ein kurzfristiges Einreiseverbot von weniger als 18 Monate verhängt werden oder ein solches gänzlich unterbleiben. Jedenfalls sei in die Entscheidung miteinzubeziehen, dass der Beschwerdeführer in einer Lebensgemeinschaft mit einer Österreicherin lebe.
Der Beschwerdeführer und seine Partnerin wurden am 20.05.2020 niederschriftlich einvernommen, über den Beschwerdeführer am selben Tag neuerlich die Schubhaft verhängt.
Am 25.05.2020 langte eine Beschwerdeergänzung des Rechtsanwalts Edward W. DAIGNEAULT ein, welche den Bescheid vom 02.03.2020 vollumfänglich bekämpft. Der Beschwerdeführer brachte vor, er habe aufgrund der Corona-bedingten Grenzschließung nicht nach Italien zurückreisen können; der Aufenthalt in Österreich nach Ablauf der 90 Tage könne ihm nicht vorgeworfen werden. Seine Mittellosigkeit gefährde die nationale Sicherheit nicht, da er bei seiner Lebensgefährtin wohne und nur gelegentlich vor Supermärkten Straßenzeitungen verkaufe. Er sei in Italien aufenthaltsberechtigt und wolle dort auch weiterhin bleiben. Nach Österreich sei er nur gekommen, um sich seinen Reisepass abzuholen.
Mit Mandatsbescheid vom 20.06.2020 wurde über den Beschwerdeführer erneut Schubhaft verhängt, nachdem er erneut in Ausübung des Verkaufs einer Straßenzeitung vor einem Supermarkt einer fremdenrechtlichen Kontrolle unterzogen wurde.
Am 08.07.2020 wurde vom Beschwerdeführer das gegenüber dem Verein Menschenrechte Österreich begründete Vollmachtsverhältnis angezeigt.
Mit Beschwerdevorentscheidung vom 19.09.2020 wies das Bundesamt die Beschwerde vom 11.05.2020 ab, wobei sich die Entscheidung ausschließlich auf Spruchpunkt III. (Einreiseverbot) bezieht. Das Beschwerdevorbringen vom 25.05.2020 (Anfechtung der Rückkehrentscheidung, Zulässigkeit der Abschiebung, Einreiseverbot und aufschiebende Wirkung) wurde nicht behandelt.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
1.1. Zur Person des Beschwerdeführers und zum Sachverhalt:
Die Identität des Beschwerdeführers steht fest. Er ist volljährig, ledig, kinderlos, nigerianischer Staatsangehöriger und in Italien aufgrund eines bis 06.02.2021 gültigen Aufenthaltstitel aufenthaltsberechtigt. Außerdem ist er gesund und arbeitsfähig. Er ist in Österreich strafgerichtlich unbescholten.
Zu seinen bisherigen Aufenthalten in Österreich wird - um Wiederholungen zu vermeiden - auf den oben dargestellten Verfahrensgang verwiesen, dieser wird als Sachverhalt festgestellt. Fest steht, dass sich der Beschwerdeführer neuerlich seit 18.02.2020 durchgehend in Österreich aufhielt, einer schriftlichen Aufforderung, sich unverzüglich nach Italien zu begeben, kam er nicht nach. Die neuerliche Einreise nach Österreich erfolgte entgegen einer seit 22.03.2019 rechtskräftigen Anordnung zur Außerlandesbringung nach Italien. Der Beschwerdeführer wurde von 26.02. bis 24.03.2020 in Schubhaft angehalten, am 20.06.2020 wurde neuerlich Schubhaft über ihn verhängt und dauerte seine Anhaltung bis zur freiwilligen Ausreise am 12.08.2020.
Er hat in Österreich keine Familienangehörigen und verfügt auch sonst über keine maßgeblichen persönlichen Verbindungen oder integrative Verfestigungen. Er verkaufte mehrmals ohne entsprechende Bewilligung eine Straßenzeitung, ging keiner erlaubten Erwerbstätigkeit nach, verfügt über keinen Versicherungsschutz und wies Mittel zur Bestreitung des Lebensunterhaltes nicht nach. Außerhalb von Polizeianhaltezentren weist er keinen Wohnsitz im Bundesgebiet auf. Er ist strafgerichtlich unbescholten. In Nigeria leben seine Mutter und zwei Schwestern sowie Onkeln und Tanten. Über ein Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers in Italien ist nichts bekannt. Er wird sich bei einer Rückkehr in den Herkunftsstaat durch Erwerbstätigkeit eine Lebensgrundlage sichern können und nicht Gefahr laufen, in eine aussichtlose, existenzbedrohende Situation zu geraten.
1.2. Zur (auszugsweise wiedergegebenen) Lage im Herkunftsstaat (mit Angabe der Quellen):
Das aktuelle Länderinformationsblatt der Staatendokumentation für Nigeria mit Stand 23.11.2020 wird zur Beurteilung der Lage im Herkunftsstaat herangezogen und fallbezogen wird festgestellt:
4 Sicherheitslage
Es gibt in Nigeria keine klassischen Bürgerkriegsgebiete oder -parteien (AA 16.1.2020). Im Wesentlichen lassen sich mehrere Konfliktherde unterscheiden: Jener von Boko Haram im Nordosten; jener zwischen Hirten und Bauern im Middle-Belt (AA 16.1.2020; vgl. FH 4.3.2020); sowie Spannungen im Nigerdelta (AA 16.1.2020; vgl. EASO 11.2018a) und Gewalt im Bundesstaat Zamfara (EASO 11.2018a; vgl. Garda 23.6.2020). Außerdem gibt es im Südosten zwischen der Regierung und Igbo-Gruppen, die für ein unabhängiges Biafra eintreten (EASO 11.2018a; vgl. AA16.1.2020), sowie zwischen Armee und dem Islamic Movement in Nigeria (IMN) Spannungen (EASO 11.2018a) bzw. kommt es seit Jänner 2018 zu regelmäßigen Protesten des IMN in Abuja und anderen Städten, die das Potential haben, in Gewalt zu münden (UKFCDO 26.9.2020). Beim Konflikt im Nordosten handelt es sich um eine grenzüberschreitende jihadistische Insurgenz. Im „Middlebelt" kommt es zu gewalttätigen Auseinandersetzungen um knapper werdende Ressourcen zwischen Hirten und Bauern. Bei den Auseinandersetzungen im Nigerdelta geht es sowohl um Konflikte zwischen regionalen militanten Gruppen einerseits und der Staatsgewalt andererseits, als auch um Rivalitäten zwischen unterschiedlichen lokalen Gemeinschaften. Im Südosten handelt es sich (noch) um vergleichsweise beschränkte Konflikte zwischen einzelnen sezessionistischen Bewegungen und der Staatsgewalt. Die Lage im Südosten des Landes („Biafra") bleibt jedoch latent konfliktanfällig. Die separatistische Gruppe Indigenous People of Biafra (IPOB) ist allerdings derzeit in Nigeria nicht sehr aktiv (AA 16.1.2020).
Die Kriminalitätsrate in Nigeria ist sehr hoch, die allgemeine Sicherheitslage hat sich in den vergangenen Jahren laufend verschlechtert. In Nigeria können in allen Regionen unvorhersehbare lokale Konflikte aufbrechen. Ursachen und Anlässe der Konflikte sind meist politischer, wirtschaftlicher, religiöser oder ethnischer Art. Insbesondere die Bundesstaaten Zamfara, westl. Taraba und der östl. Teil von Nassarawa, das nördliche Sokoto und die Bundesstaaten Plateau, Kaduna, Benue, Niger und Kebbi sind derzeit von bewaffneten Auseinandersetzungen bzw. innerethnischen Konflikten betroffen. Weiterhin bestimmen immer wieder gewalttätige Konflik¬te zwischen nomadisierenden Viehzüchtern und sesshaften Farmern sowie gut organisierten Banden die Sicherheitslage. Demonstrationen und Proteste sind insbesondere in Abuja und Lagos, aber auch anderen großen Städten möglich und können zu gewalttätigen Auseinandersetzungen führen. Im Juli/August 2019 forderten diese in Abuja auch wiederholt Todesopfer (AA 8.10.2020).
Anfang Oktober 2020 führte eine massive Protestwelle zur Auflösung der Spezialeinheit SARS am 11.10.2020 (Guardian 11.10.2020). Die Einheit wurde in SWAT (Special Weapons and Tactics Team) umbenannt und seine Beamten sollen einer zusätzlichen Ausbildung unterzogen werden. Die Protestwelle hielt jedoch an (DS 16.10.2020). Mit Stand 26.10.2020 war das
Ausmaß der Ausschreitungen stark angestiegen. Es kam zu Gewalt und Plünderungen sowie zur Zerstörung von Geschäften und Einkaufszentren. Dabei waren bis zu diesem Zeitpunkt 69 Menschen ums Leben gekommen - hauptsächlich Zivilisten, aber auch Polizeibeamte und Soldaten (BBC News 26.10.2020).
In den nordöstlichen Landesteilen werden fortlaufend terroristische Gewaltakte, wie Angriffe und Sprengstoffanschläge von militanten Gruppen auf Sicherheitskräfte, Märkte, Schulen, Kirchen und Moscheen verübt (AA 8.10.2020).
In der Zeitspanne September 2019 bis September 2020 stechen folgende nigerianische Bundesstaaten mit einer hohen Anzahl an Toten durch Gewaltakte besonders hervor: Borno (3.085), Kaduna (894), Zamfara (858), und Katsina (644). Folgende Bundesstaaten stechen mit einer niedrigen Zahl hervor: Gombe (3), Kebbi (4), Kano (6), Jigawa (15) (CFR 2020).
Quellen:
? AA - Auswärtiges Amt (16.1.2020): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria (Stand September 2019), https://www.ecoi.net/en/file/lo- cal/2025287/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_- abschieberelevante_Lage_in_der_Bundesrepublik_Nigeria_%28Stand_September_- 2019%29%2C_16.01.2020.pdf, Zugriff 18.11.2020
? AA-Auswärtiges Amt (16.4.2020): Nigeria: Reise- und Sicherheitshinweise
? (Teilreisewarnung), https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/nigeria-n ode/nigeriasicherheit/205788#content_5, 16.4.2020
? BBC News (26.10.2020): Nigeria protests: Police chief deploys ’all resources’ amid street violence, https://www.bbc.com/news/world-africa-54678345, Zugriff 28.10.2020
? CFR - Council on Foreign Relations (2020): Nigeria Security Tracker, https://www.cfr.org/ nigeria/nigeria-security-tracker/p29483, Zugriff 8.10.2020
? DS - Der Standard (16.10.2020): Berüchtigte „Sars“-Polizeieinheit in Nigeria nach Protes-ten abgeschafft, https://www.derstandard.at/story/2000120951836/beruechtigte-sars-pol izeieinheit-in-nigeria-nach-protesten-abgeschafft, Zugriff 28.10.2020
? EASO - European Asylum Support Office (11.2018a): Country of Origin Information Report - Nigeria - Security Situation, https://www.ecoi.net/en/file/local/2001366/2018_EASO_C OI_Nigeria_SecuritySituation.pdf, Zugriff 16.4.2020
? FH - Freedom House (4.3.2020): Freedom in the World 2019 - Nigeria, https://www.ecoi .net/de/dokument/2035799.html, Zugriff 30.9.2020
? Garda - Gardaworld (23.6.2020): Nigeria: Gunmen attack village in Zamfara State on June 20, https://www.garda.com/crisis24/news-alerts/353501/nigeria-gunmen-attack-viNage-in-zamfara-state-on-june-20 , Zugriff 8.10.2020 (siehe „context“)
? Guardian, The (11.10.2020): Nigeria to disband Sars police unit accused of killings and brutality, https://www.theguardian.com/world/2020/oct/11/nigeria-to-disband-sars-police-unit-accused-of-killings-and-brutality, Zugriff 28.10.2020
? UKFCDO - United Kingdom Foreign, Commonwealth & Development Office (26.9.2020): Foreign travel advice - Nigeria, https://www.gov.uk/foreign-travel-advice/nigeria, Zugriff 8.10.2020
22 Grundversorgung
Nigeria ist die größte Volkswirtschaft Afrikas. Die Erdölproduktion ist der wichtigste Wirtschaftszweig des Landes. Aufgrund des weltweiten Verfalls der Erdölpreise rutschte Nigeria 2016 jedoch in eine schwere Rezession, die bis zum zweiten Quartal 2017 andauerte (GIZ 6.2020). 2018 wuchs die nigerianische Wirtschaft erstmals wieder um 1,9 Prozent (GIZ 6.2020; vgl. AA 24.5.2019c). Getragen wurde das Wachstum vor allem durch die positive Entwicklung von Tei-len des Nicht-Öl-Sektors (Landwirtschaft, Industrie, Gewerbe). Seit 2020 ist die nigerianische Wirtschaft aufgrund des erneuten Verfalls des Rohölpreises sowie der massiven wirtschaftlichen Auswirkungen der COVID-19 Pandemie wieder geschwächt. Wie hoch der wirtschaftliche Schaden sein wird, ist bislang noch nicht abschätzbar (GIZ 6.2020). Für 2020 wird aufgrund der wirtschaftlichen Auswirkungen der COVID-19 Pandemie auf Nigeria und der drastisch gesunkenen Erdölpreise mit einer Schrumpfung des nigerianischen BIP um 4,4 % gerechnet. In der 2. Jahreshälfte 2020 ist jedoch ein Wiederanziehen der Konjunktur feststellbar und für 2021 wird ein Wachstum von 2,2 % erwartet (WKO 14.9.2020).
Etwa 80 Prozent der Gesamteinnahmen Nigerias stammen aus der Öl- und Gasförderung (AA 16.1.2019). Neben Erdöl verfügt das Land über z.B. Zinn, Eisen-, Blei- und Zinkerz, Kohle, Kalk, Gesteine, Phosphat - gesamtwirtschaftlich jedoch von geringer Bedeutung (GIZ 6.2020). Von Bedeutung sind hingegen der (informelle) Handel und die Landwirtschaft, welche dem größten Teil der Bevölkerung eine Subsistenzmöglichkeit bieten (AA 16.1.2020). Der Industriesektor (Stahl, Zement, Düngemittel) machte 2016 ca. 20 Prozent des BIP aus. Neben der Verarbeitung von Erdölprodukten werden Nahrungs- und Genussmittel, Farben, Reinigungsmittel, Textilien, Brennstoffe, Metalle und Baumaterial produziert. Industrielle Entwicklung wird durch die unzureichende Infrastruktur (Energie und Transport) behindert (GIZ 6.2020). Vor allem im Bereich Stromversorgung und Transport ist die Infrastruktur weiterhin mangelhaft und gilt als ein Haupthindernis für die wirtschaftliche Entwicklung (AA 24.5.2019c).
Über 60 Prozent (AA 24.5.2019c) bzw. nach anderen Angaben über 70 Prozent (GIZ 6.2020) der Nigerianer sind in der Landwirtschaft beschäftigt. Der Agrarsektor wird durch die Regierung stark gefördert. Dadurch hat etwa der Anteil an Großfarmen zugenommen (GIZ 6.2020; vgl. AA 24.5.2019c). Die unterentwickelte Landwirtschaft ist jedoch nicht in der Lage, den inländischen Nahrungsmittelbedarf zu decken (AA 24.5.2019c). Einerseits ist das Land nicht autark, sondern auf Importe - v.a. von Reis - angewiesen. Andererseits verrotten bis zu 40 Prozent der Ernten wegen fehlender Transportmöglichkeiten (ÖB 10.2019). Über 95 Prozent der landwirtschaftlichen Produktion kommt von kleinen Anbauflächen - in der Regel in Subsistenzwirtschaft (AA 24.5.2019c).
Historisch war Lebensmittelknappheit in fast ganz Nigeria aufgrund des günstigen Klimas und der hohen agrarischen Tätigkeit so gut wie nicht existent. In einzelnen Gebieten im äußersten Norden (Grenzraum zu Niger) gestaltet sich die Landwirtschaft durch die fortschreitende Desertifikation allerdings schwierig. Experten schließen aufgrund der Wetterbedingungen, aber auch wegen der Vertreibungen als Folge der Attacken durch Boko Haram Hungerperioden für die nördlichen, insbesondere die nordöstlichen Bundesstaaten nicht aus. In Ernährungszentren nahe der nördlichen Grenze werden bis zu 25 Prozent der unter fünfjährigen Kinder wegen starker Unterernährung behandelt. Insgesamt hat sich der Prozentsatz an Unterernährung in den nördlichen Staaten im Vergleich zu 2015 verbessert und liegt nun unter der Alarmschwelle von 10 Prozent. Gemäß Schätzungen von UNICEF unterliegen aber weiterhin zwei Millionen Kinder unter fünf Jahren in Nordnigeria einem hohen Risiko von schwerer akuter Unterernährung (ÖB 10.2019). Im Jahr 2019 benötigten von der Gesamtbevölkerung von 13,4 Millionen Menschen, die in den Staaten Borno, Adamawa und Yobe leben, schätzungsweise 7,1 Millionen Menschen humanitäre Hilfe. Davon sind schätzungsweise 80 Prozent Frauen und Kinder (IOM 17.3.2020).
Die Einkommen sind in Nigeria höchst ungleich verteilt (BS 2020; vgl. GIZ 9.2020b). 87 Millionen Nigerianer (40 Prozent der Bevölkerung) leben in absoluter Armut, d.h. sie haben weniger als 1 US-Dollar pro Tag zur Verfügung (GIZ 6.2020). 48 Prozent der Bevölkerung Nigerias bzw. 94 Millionen Menschen leben in extremer Armut mit einem Durchschnittseinkommen von unter 1,90 US-Dollar pro Tag (ÖB 10.2019). Die Armut ist in den ländlichen Gebieten größer als in den städtischen Ballungsgebieten (GIZ 9.2020b). Programme zur Armutsbekämpfung gibt es sowohl auf Länderebene als auch auf lokaler Ebene. Zahlreiche NGOs im Land sind in den Bereichen Armutsbekämpfung und Nachhaltige Entwicklung aktiv. Frauenorganisationen, von denen Women In Nigeria (WIN) die bekannteste ist, haben im traditionellen Leben Nigerias immer eine wichtige Rolle gespielt. Auch Nigerianer, die in der Diaspora leben, engagieren sich für die Entwicklung in ihrer Heimat (GIZ 6.2020).
Die Arbeitslosigkeit ist hoch, bei den Jugendlichen im Alter von 15 bis 35 wird sie auf über 50 Prozent geschätzt (GIZ 9.2020b). Offizielle Statistiken über Arbeitslosigkeit gibt es aufgrund fehlender sozialer Einrichtungen und Absicherung nicht. Geschätzt wird sie auf 20 bis 45 Prozent - in erster Linie unter 30-jährige - mit großen regionalen Unterschieden. Die Chancen, einen sicheren Arbeitsplatz im öffentlichen Dienst, staatsnahen Betrieben oder Banken zu finden, sind gering, außer man verfügt über eine europäische Ausbildung und vor allem über Beziehungen (ÖB 10.2019). Verschiedene Programme auf Ebene der Bundesstaaten aber auch der Zentralregierung zielen auf die Steigerung der Jugendbeschäftigung ab (ÖB 10.2019; vgl. BS 2020).
Der Mangel an lohnabhängiger Beschäftigung führt dazu, dass immer mehr Nigerianer in den Großstädten Überlebenschancen im informellen Wirtschaftssektor als „self-employed" suchen. Die Massenverelendung nimmt seit Jahren bedrohliche Ausmaße an (GIZ 9.2020b). Nur Angestellte des öffentlichen Dienstes, des höheren Bildungswesens sowie von staatlichen, teilstaatlichen oder großen internationalen Firmen genießen ein gewisses Maß an sozialer Sicherheit. Eine immer noch geringe Anzahl von Nigerianern (acht Millionen) ist im Pensionssystem (Con- tributory Pension Scheme) registriert (BS 2020).
Die Großfamilie unterstützt in der Regel beschäftigungslose Angehörige (ÖB 10.2019). Generell wird die Last für Alter, Krankheit, Arbeitslosigkeit und Unterbeschäftigung vom Netz der Großfamilie und vom informellen Sektor getragen (BS 2020). Allgemein kann festgestellt werden, dass auch eine nach Nigeria zurückgeführte Person, die in keinem privaten Verband soziale Sicherheit findet, keiner lebensbedrohlichen Situation überantwortet wird. Sie kann ihre existenziellen Grundbedürfnisse aus selbstständiger Arbeit sichern, insbesondere dann, wenn Rückkehrhilfe angeboten wird (ÖB 10.2019).
Die täglichen Lebenshaltungskosten differieren regional zu stark, um Durchschnittswerte zu berichten. Mietkosten, Zugang zu medizinischer Versorgung und Lebensmittelpreise variieren nicht nur von Bundesstaat zu Bundesstaat, sondern auch regional/ethnisch innerhalb jedes Teilstaates (ÖB 10.2019).
Verdienstmöglichkeiten für Rückkehrerinnen: Eine der Berufsmöglichkeiten für Rückkehrerinnen ist die Eröffnung einer mobilen Küche für „peppersoup", „garri" oder „pounded yam", für die man lediglich einen großen Kochtopf und einige Suppenschüsseln benötigt. Die Grundausstattung für eine mobile Küche ist für einen relativ geringen Betrag erhältlich. Hauptsächlich im Norden ist auch der Verkauf von bestimmten Holzstäbchen zur Zahnhygiene eine Möglichkeit, genügend Einkommen zu erlangen. In den Außenbezirken der größeren Städte und im ländlichen Bereich bietet auch „mini-farming“ eine Möglichkeit, selbständig erwerbstätig zu sein. Schneckenfarmen sind auf 10 m2 Grund einfach zu führen und erfordern lediglich entweder das Sammeln der in Nigeria als „bushmeat“ gehandelten Wildschnecken zur Zucht oder den Ankauf einiger Tiere. Ebenso werden nun „grasscutter“ (Bisamratten-ähnliche Kleintiere) gewerbsmäßig in Kleinkäfigen als „bushmeat“ gezüchtet. Großfarmen bieten Tagesseminare zur Aufzucht dieser anspruchslosen und sich rasch vermehrenden Tiere samt Verkauf von Zuchtpaaren an. Rascher Gewinn und gesicherte Abnahme des gezüchteten Nachwuchses sind gegeben. Schnecken und „grasscutter“ finden sich auf jeder Speisekarte einheimischer Lokale. Für handwerklich geschickte Frauen bietet auch das Einflechten von Kunsthaarteilen auf öffentlichen Märkten eine selbständige Erwerbsmöglichkeit. Für den Verkauf von Wertkarten erhält eine Verkäuferin wiederum pro 1.000 Naira Wert eine Provision von 50 Naira. Weiters werden im ländlichen Bereich Mobiltelefone für Gespräche verliehen; pro Gespräch werden 10 Prozent des Gesprächspreises als Gebühr berechnet (ÖB 10.2019).
Quellen:
? AA - Auswärtiges Amt (16.1.2020): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria (Stand September 2019)
? AA-Auswärtiges Amt (24.5.2019c): Nigeria - Wirtschaft, https://www.auswaertiges-amt.d e/de/aussenpolitik/laender/nigeria-node/wirtschaft/205790 , Zugriff 5.10.2020
? BS - Bertelsmann Stiftung (2020): BTI 2020 - Nigeria Country Report, https://www.ecoi.n et/en/file/local/2029575/country_report_2020_NGA.pdf, Zugriff 18.5.2020
? GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (6.2020): Wirtschaft & Entwicklung, https://www.liportal.de/nigeria/wirtschaft-entwicklung/, Zugriff 5.10.2020
? GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (9.2020b): Nigeria, Ge-sellschaft, https://www.liportal.de/nigeria/gesellschaft/, Zugriff 2.10.2020
? IOM Nigeria - International Organization for Migration (17.3.2020): Emergency Response, 2019 Annual Reports, https://reliefweb.int/sites/reliefweb.int/files/resources/2019_annua l_report_-_iom_nigeria_emergency_responsefinal.pdf, Zugriff 15.4.2020
? ÖB - Österreichische Botschaft Abuja (10.2019): Asylländerbericht Nigeria
? WKO - Wirtschaftskammer Österreich (14.9.2020): Die nigerianische Wirtschaft, https: //www.wko.at/service/aussenwirtschaft/die-nigerianische-wirtschaft.html , Zugriff 13.10.2020
23 Medizinische Versorgung
Insgesamt kann die Gesundheitsversorgung in Nigeria als mangelhaft bezeichnet werden. Zwischen Arm und Reich sowie zwischen Nord und Süd besteht ein erhebliches Gefälle: Auf dem Land sind die Verhältnisse schlechter als in der Stadt (GIZ 3.2020b); und im Norden des Landes ist die Gesundheitsversorgung besonders prekär (GIZ 9.2020b; vgl. ÖB 10.2019). Die medizinische Versorgung ist vor allem im ländlichen Bereich vielfach technisch, apparativ und/oder hygienisch problematisch (AA 7.9.2020). Die Gesundheitsdaten Nigerias gehören zu den schlechtesten in Afrika südlich der Sahara und der Welt (ÖB 10.2019). Mit 29 Todesfällen pro 1.000 Neugeborenen hat Nigeria weltweit die elfthöchste Todesrate bei Neugeborenen (GIZ 9.2020b). Die aktuelle Sterberate für Kinder unter fünf Jahren beträgt 100,2 Todesfälle pro 1.000 Lebendgeburten (ÖB 10.2019).
Es gibt sowohl staatliche als auch zahlreiche privat betriebene Krankenhäuser (AA 16.1.2020). Rückkehrer finden in den Großstädten eine medizinische Grundversorgung vor, die im öffentlichen Gesundheitssektor allerdings in der Regel unter europäischem Standard liegt. Der private Sektor bietet hingegen in einigen Krankenhäusern der Maximalversorgung (z.B. in Abuja, Ibadan, Lagos) westlichen Medizinstandard. Nahezu alle, auch komplexe Erkrankungen, können hier kostenpflichtig behandelt werden (AA 16.1.2020; vgl. ÖB 10.2019). In größeren Städten ist ein Großteil der staatlichen Krankenhäuser mit Röntgengeräten ausgestattet, in ländlichen Gebieten verfügen nur einige wenige Krankenhäuser über moderne Ausstattung (ÖB 10.2019).
In den letzten Jahren hat sich die medizinische Versorgung in den Haupt- und größeren Städten allerdings sowohl im öffentlichen als auch im privaten Sektor deutlich verbessert. So ist mittlerweile insbesondere für Privatzahler eine gute medizinische Versorgung für viele Krankheiten und Notfälle erhältlich. Es sind zunehmend Privatpraxen und -kliniken entstanden, die um zahlungskräftige Kunden konkurrieren. Die Ärzte haben oft langjährige Ausbildungen in Europa und Amerika absolviert und den medizinischen Standard angehoben. In privaten Kliniken können die meisten Krankheiten behandelt werden (AA 16.1.2020).
Stigmatisierung und Missverständnisse über psychische Gesundheit, einschließlich der falschen Wahrnehmung, dass psychische Erkrankungen von bösen Geistern oder übernatürlichen Kräften verursacht werden, veranlassen die Menschen dazu, religiöse oder traditionelle Heiler zu konsultieren; eine Rolle spielt hier auch der Mangel an qualitativ hochwertiger psychiatrischer Versorgung und die unerschwinglichen Kosten (HRW 11.11.2019). Es existiert kein mit westlichen Standards vergleichbares Psychiatriewesen, sondern allenfalls Verwahreinrichtungen auf sehr niedrigem Niveau. Dort werden Menschen mit psychischen Erkrankungen oft gegen ihren Willen untergebracht, können aber nicht adäquat behandelt werden (AA 16.1.2020). Nigeria verfügt derzeit über weniger als 150 Psychiater (AJ 2.10.2019), nach anderen Angaben sind es derzeit 130 für 200 Millionen Einwohner (Österreich 2011: 20 Psychiater/100.000 Einwohner). Bei Psychologen ist die Lage noch drastischer, hier kamen im Jahr 2014 auf 100.000 Einwohner 0,02 Psychologen (Österreich 2011: 80 Psychologen/100.000 Einwohner). Aufgrund dieser personellen Situation ist eine regelrechte psychologische/psychiatrische Versorgung für die große Mehrheit nicht möglich, neben einer basalen Medikation werden die stationären Fälle in öffentlichen Einrichtungen im Wesentlichen „aufbewahrt“. Die Auswahl an Psychopharmaka ist aufgrund der mangelnden Nachfrage sehr begrenzt (VAÖB 23.1.2019). Die WHO schätzt, dass weniger als 10 Prozent der Nigerianer jene psychiatrische Behandlung bekommen, die sie brauchen (AJ 2.10.2019; vgl. HRW 11.11.2019).
Nach anderen Angaben gibt es insgesamt für die inzwischen annähernd (VAÖB 23.1.2019) 180-200 Millionen (Punch 22.12.2017: 180 Mio; VAÖB 23.1.2019: 200 Mio) Einwohner 100 Hospitäler mit psychiatrischer Abteilung (VAÖB 23.1.2019). Das in Lagos befindliche Federal Neuro Psychiatric Hospital Yaba bietet sich als erste Anlaufstelle für die Behandlung psychisch kranker Rückkehrer an. Die Kosten für einen Empfang durch ein medizinisches Team direkt am Flughafen belaufen sich auf ca. 195.000 Naira (ca. 570 Euro). Die Behandlungskosten sind jedoch je nach Schwere der Krankheit unterschiedlich. Zudem ist an diesem Krankenhaus auch die stationäre Behandlung psychischer Erkrankungen mit entsprechender Medikation möglich (AA 16.1.2020).
Es gibt eine allgemeine Kranken- und Rentenversicherung, die allerdings nur für Beschäftigte im formellen Sektor gilt. Die meisten Nigerianer arbeiten jedoch als Bauern, Landarbeiter oder Tagelöhner im informellen Sektor. Leistungen der Krankenversicherung kommen schätzungsweise nur zehn Prozent der Bevölkerung zugute (AA 16.1.2020). Nur weniger als sieben Millionen (Punch 22.12.2017) der 180-200 Millionen (Punch 22.12.2017: 180 Mio; VAÖB 23.1.2019: 200 Mio) Einwohner Nigerias sind beim National Health Insurance Scheme leistungsberechtigt (Punch 22.12.2017). Eine Minderheit der erwerbstätigen Bevölkerung ist über das jeweils beschäftigende Unternehmen mittels einer Krankenversicherung abgesichert, die jedoch nicht alle Krankheitsrisiken abdeckt (VAÖB 27.3.2019).
Wer kein Geld hat, bekommt keine medizinische Behandlung (GIZ 9.2020b). Selbst in staatlichen Krankenhäusern muss für Behandlungen bezahlt werden (AA 16.1.2020). Die Kosten medizinischer Betreuung müssen im Regelfall selbst getragen werden. Die staatlichen Gesundheitszentren heben eine Registrierungsgebühr von umgerechnet 10 bis 25 Cent ein (ÖB 10.2019). Eine medizinische Grundversorgung wird über die Ambulanzen der staatlichen Krankenhäuser aufrechterhalten, jedoch ist auch dies nicht völlig kostenlos, in jedem Fall sind Kosten für Medikamente und Heil- und Hilfsmittel von den Patienten zu tragen, von wenigen Ausnahmen abgesehen (VAÖB 27.3.2019). Die staatliche Gesundheitsversorgung gewährleistet keine kostenfreie Medikamentenversorgung. Jeder Patient - auch im Krankenhaus - muss Medikamente selbst besorgen bzw. dafür selbst aufkommen (AA 16.1.2020). Gemäß Angaben einer anderen Quelle werden Tests und Medikamente an staatlichen Gesundheitseinrichtungen dann unentgeltlich abgegeben, wenn diese überhaupt verfügbar sind. Religiöse Wohltätigkeitseinrichtungen und NGOs bieten kostenfrei medizinische Versorgung (ÖB 10.2019).
In der Regel gibt es fast alle geläufigen Medikamente in Nigeria in Apotheken zu kaufen, so auch die Antiphlogistika und Schmerzmittel Ibuprofen und Diclofenac sowie die meisten Antibiotika, Bluthochdruckmedikamente und Medikamente zur Behandlung von neurologischen und psychiatrischen Leiden (AA 16.1.2020). Medikamente gegen einige weitverbreitete Infektionskrankheiten wie Malaria und HIV/AIDS können teilweise kostenlos in Anspruch genommen werden, werden jedoch nicht landesweit flächendeckend ausgegeben. Schutzimpfaktionen werden von internationalen Organisationen finanziert, stoßen aber auf religiös und kulturell bedingten Widerstand, überwiegend im muslimischen Norden (ÖB 10.2019).
Die Qualität der Produkte auf dem freien Markt ist jedoch zweifelhaft, da viele gefälschte Produkte - meist aus asiatischer Produktion - vertrieben werden (bis zu 25% aller verkauften Medikamente). Diese wirken aufgrund unzureichender Dosisanteile der Wirkstoffe nur eingeschränkt. Es gibt zudem wenig zuverlässige Kontrollen hinsichtlich der Qualität der auf dem Markt erhältlichen Produkte (AA 16.1.2020). Gegen den grassierenden Schwarzmarkt mit Medikamenten gehen staatliche Stellen kaum vor (ÖB 10.2019).
Der Glaube an die Heilkräfte der traditionellen Medizin ist nach wie vor sehr lebendig. Bei bestimmten Krankheiten werden eher traditionelle Heiler als Schulmediziner konsultiert (GIZ 9.2020b). Gerade im ländlichen Bereich werden „herbalists" und traditionelle Heiler aufgesucht (ÖB 10.2019).
In Nigeria gibt es wie in anderen Ländern relativ wenig belegte COVID-19 Infizierte. Dies kann auch damit zusammenhängen, dass vergleichsweise wenig Tests durchgeführt werden (Africa CDC 13.10.2020).
Quellen:
? AA - Auswärtiges Amt (7.9.2020): Nigeria - Reise- und Sicherheitshinweise, https://www. auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/nigeria-node/nigeriasicherheit/205788#c ontent_5 , Zugriff 5.10.2020
? AA - Auswärtiges Amt (16.1.2020): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria (Stand September 2019), https://www.ecoi.net/en/file/localy2 025287/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschie berelevante_LageJn_der_Bundesrepublik_Nigeria_%28Stand_September_2019%29 %2C_16.01.2020.pdf, Zugriff 18.11.2020
? AfricaCDC - Africa Centres for Disease Control and Prevention (13.10.2020): Coronavirus Disease 2019 (COVID-19) - Latest updates on the COVID-19 crisis from Africa CDC, https://africacdc.org/covid-19/, Zugriff 13.10.2020
? AJ - Al Jazeera (2.10.2019): Nigeria has a mental health problem, https://www.aljazeera. com/ajimpact/nigeria-mental-health-problem-191002210913630.html , Zugriff 16.4.2020
? ÖB - Österreichische Botschaft Abuja (10.2020): Asylländerbericht Nigeria, https://www.ec oi.net/en/file/local/2021612/NIGR_%C3%96B_Bericht_2019_10.pdf, Zugriff 18.11.2020
? GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (9.2020b): Nigeria, Ge-sellschaft, https://www.liportal.de/nigeria/gesellschaft/, Zugriff 2.10.2020
? HRW - Human Rights Watch (11.11.2019). Nigeria: People With Mental Health Conditions Chained, Abused, https://www.hrw.org/news/2019/11/11/nigeria-people-mental-health-c onditions-chained-abused , Zugriff 16.4.2020
? Punch (22.12.2017): NHIS: Health insurance still elusive for many Nigerians, https://punc hng.com/nhis-health-insurance-still-elusive-for-many-nigerians/, Zugriff 16.4.2020
? VAÖB - Vertrauensarzt der ÖB Abuja (23.1.2019): medizinische Stellungnahme
? VAÖB - Vertrauensarzt der ÖB Abuja (27.3.2019): medizinische Stellungnahme22. Rückkehr
24 Rückkehr
Generell kann kein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen festgestellt werden, welcher geeignet wäre, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates zu begründen. Die allgemein herrschende Situation in Nigeria stellt keine Bedrohung i.S.v Art. 2 MRK, 3 MRK oder des Protokolls Nr. 6 oder 13 der EMRK dar. Außerdem kann allgemein festgestellt werden, dass eine nach Nigeria zurückgeführte Person, die in keinem privaten Verband soziale Sicherheit finden kann, keiner lebensbedrohlichen Situation überantwortet wird. Sie kann ihre existenziellen Grundbedürfnisse aus selbstständiger Arbeit sichern, insbesondere dann, wenn Rückkehrhilfe angeboten wird (ÖB 10.2019).
Abschiebungen erfolgen auf dem Luftweg, in Linien- oder Chartermaschinen. Rückführungen aus EU-Staaten erfolgen meist durch Charterflüge, die auch durch FRONTEX durchgeführt werden (AA 16.1.2020). Die österreichische Botschaft in Abuja unterstützt regelmäßig die Vorbereitung und Durchführung von Joint Return Operations (JROs) gemeinsam mit FRONTEX (ÖB 10.2019). Ohne gültigen nigerianischen Pass oder einen von einer nigerianischen Botschaft ausgestellten vorläufigen Reiseausweis ist eine Einreise aus Europa kommender nigerianischer Staatsangehöriger nicht möglich. Dies gilt auch für zwangsweise Rückführungen (AA 16.1.2020).
Erkenntnisse darüber, ob abgelehnte Asylbewerber bei Rückkehr nach Nigeria allein wegen der Beantragung von Asyl mit staatlichen Repressionen zu rechnen haben, liegen nicht vor. Verhaftung aus politischen Gründen oder andere außergewöhnliche Vorkommnisse bei der Einreise von abgeschobenen oder freiwillig rückkehrenden Asylwerbern sind nicht bekannt (AA 16.1.2020). Die Erfahrungen mit den JROs seit dem Jahre 2005 lassen kaum Probleme erkennen (ÖB 10.2019). Abgeschobene Personen werden im Allgemeinen nach ihrer Ankunft in Lagos von der zuständigen Behörde (Nigerian Immigration Service), manchmal auch von der NDLEA (National Drug Law Enforcement Agency) befragt (AA 16.1.2020) bzw. erkennungsdienstlich behandelt (ÖB 10.2019) und können danach das Flughafengelände unbehelligt verlassen (AA 16.1.2020; vgl. ÖB 10.2019). Meist steigen sie in ein Taxi ein oder werden von ihren Familien abgeholt. Es kann jedoch nicht mit gänzlicher Sicherheit ausgeschlossen werden, dass die abgeschobenen Personen keine weiteren Probleme mit den Behörden haben. Das fehlende Meldesystem in Nigeria lässt allerdings darauf schließen, dass nach Verlassen des Flughafen-geländes eine Ausforschung Abgeschobener kaum mehr möglich ist (ÖB 10.2019).
Wegen Drogendelikten im Ausland verurteilte Nigerianer werden nach Rückkehr an die NDLEA überstellt. Ein zweites Strafverfahren in Nigeria wegen derselben Straftat haben diese Personen jedoch trotz anderslautender Vorschriften im „Decree 33" nicht zu befürchten (AA 16.1.2020). Aus menschenrechtlichen Erwägungen wird gegenüber nigerianischen Behörden als Grund für Abschiebungen stets „overstay" angegeben, da dieser kein strafrechtliches Delikt darstellt (ÖB 10.2019).
Staatliche oder sonstige Aufnahmeeinrichtungen für zurückkehrende unbegleitete Minderjährige sind in Lagos und anderen Landesteilen grundsätzlich vorhanden. Sie sind jedoch in schlechtem Zustand, so dass z.B. die Angebote nicht bekannt sind oder eine ausreichende Versorgung dort nicht ohne weiteres gewährleistet ist. Internationale Akteure bemühen sich, neue Rückkehrer- bzw. Migrationsberatungszentren aufzubauen. Eine entsprechende Einrichtung von IOM in Benin-City, Edo State, wurde 2018 eröffnet. Gleichermaßen haben im Herbst 2018 in Lagos, Abuja und Benin City Migrationsberatungszentren der GIZ ihren Betrieb aufgenommen. Gemeinsam mit dem nigerianischen Arbeitsministerium wird dort über berufliche Perspektiven in Nigeria informiert (AA 16.1.2020).
Quellen:
? AA - Auswärtiges Amt (16.1.2020): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria (Stand September 2019)
? ÖB - Österreichische Botschaft Abuja (10.2019): Asylländerbericht Nigeria
Eine nach Nigeria zurückkehrende Person, bei welcher keine berücksichtigungswürdigen Gründe vorliegen, wird durch eine Rückkehr nicht automatisch in eine unmenschliche Lage versetzt.
1.3. Zur Covid-19-Pandemie:
COVID-19 ist eine durch das Corona-Virus SARS-CoV-2 verursachte Viruserkrankung, die erstmals im Jahr 2019 in Wuhan/China festgestellt wurde und sich seither weltweit verbreitet. In Österreich gibt es mit Stand 30.12.2020, 00:00 Uhr, 30.461 aktive Fälle von mit dem Corona-Virus infizierten Personen und 6.086 Todesfälle (https://info.gesundheitsministerium.at/dashboard_GenTod.html?l=de; Zugriff am 30.12.2020); in Nigeria wurden 84.811 bestätigt, 1.264 Personen sind gestorben (vgl. https://www.worldometers.info/coronavirus/country/nigeria/; Zugriff am 30.12.2020). Aufgrund des Umstandes, dass die Einwohnerzahl in Nigeria um vieles höher ist wie jene Österreichs, liegt die Infektionsrate in Nigeria somit prozentual wesentlich unter jener von Österreich. Nach dem aktuellen Stand verläuft die Viruserkrankung bei ca. 80 % der Betroffenen leicht und bei ca. 15% der Betroffenen schwerer, wenn auch nicht lebensbedrohlich. Bei ca. 5 % der Betroffenen verläuft die Viruserkrankung derart schwer, dass Lebensgefahr gegeben ist und intensivmedizinische Behandlungsmaßnahmen notwendig sind. Diese sehr schweren Krankheitsverläufe treten am häufigsten in den Risikogruppen der älteren Personen und der Personen mit Vorerkrankungen (wie z.B. Diabetes, Herzkrankheiten, Immunschwächen, etc.) auf. Dass der Beschwerdeführer derzeit an einer COVID-19-Infektion leiden würde, wurde nicht vorgebracht. Bei jungen Menschen ohne Schwächung des Immunsystems verläuft eine Infektion mit COVID-19 zudem mit nur geringen Symptomen vergleichbar einer Grippe. Bei Personen in der Altersgruppe bis 49 Jahre, ist die Sterblichkeit sehr gering und liegt unter 1 %.
2. Beweiswürdigung:
2.1. Zum Sachverhalt und zur Person:
Zur Feststellung des für die Entscheidung maßgebenden Sachverhaltes wurden im Rahmen des Ermittlungsverfahrens Beweise erhoben durch die Einsichtnahme in den Akt des Bundesamtes, in die niederschriftlichen Angaben des Beschwerdeführers und der Zeugin, in den bekämpften Bescheid und in die Beschwerdeschriftsätze, in die Beschwerdevorentscheidung sowie in das aktuelle „Länderinformationsblatt der Staatendokumentation“ zu Nigeria mit Stand 13.11.2020. Zum Schubhaftverfahren konnte Einsicht in den Gerichtsakt des Bundesverwaltungsgerichts zu W275 2230316-1 und das dazu ergangene Erkenntnis vom 08.05.2020 genommen werden. Ergänzend wurden Auszüge aus dem Informationsverbundsystem Zentrales Fremdenregister (IZR), dem Zentralen Melderegister (ZMR), dem Hauptverband der österreichischen Sozialversicherungsträger (AJ-Web), dem Betreuungsinformationssystem (GVS) und dem Strafregister der Republik Österreich eingeholt. Insbesondere aus dem rechtskräftigen Erkenntnis zu W275 2230316-1/6E ergeben sich die Feststellungen zur Identität, zum italienischen Aufenthaltstitel, zur Einreise und zum Aufenthalt, zur bestehenden Anordnung zur Außerlandesbringung, zur illegalen Beschäftigung als Zeitungsverkäufer, zur Missachtung der Aufforderung zur unverzüglichen Ausreise nach Italien gemäß § 52 Abs. 6 FPG und zur Festnahme und Anhaltung in Schubhaft bis 24.03.2020.
Die sonstigen Feststellungen zur Person und seinen Lebensumständen in Nigeria fußen auf den eigenen glaubhaften Angaben des Beschwerdeführers vor dem Bundesamt und blieben diese Angaben auch in der Beschwerde unbestritten. Der Beschwerdeführer und auch die Zeugin gaben übereinstimmend an, eine Beziehung zu führen. Allerdings ergaben sich schon in der Beantwortung der Frage nach dem Kennenlernen Widersprüche, indem die Zeugin angab, den Beschwerdeführer im Internet kennengelernt zu haben (AS 221), dieser aber ausführte, seiner Partnerin in Italien in einem Supermarkt begegnet zu sein. Auch die Frequenz der Treffen beschrieben beide unterschiedlich. Der Beschwerdeführer gab an, die Partnerin zwei bis dreimal wöchentlich zu treffen (AS 233) und sogar bei ihr zu wohnen (AS 329), hingegen beschränkten sich ihren Angaben zufolge die Treffen anfangs nur auf die Wochenenden, dann hätten sie sich für sieben Wochen gar nicht gesehen und einige Zeit hätte sie ihn nicht besuchen können, weil sie gar nicht wusste, wo er sich aufgehalten hat (AS 221). Von einem gemeinsamen Haushalt kann ihren Angaben nach bei Wochenendbesuchen nicht die Rede sein und ergibt sich ein solcher auch nicht aus dem ZMR. Aus den sporadischen Treffen, der kurzen Zeit der Verbindung seit November 2019 und der von der Zeugin zum Ausdruck gebrachten Unsicherheit über die Zukunft der Beziehung (AS 221) sowie dem Umstand, dass sich der Beschwerdeführer seit 12.08.2020 nicht mehr in Österreich befindet, kann nicht von einer tiefgreifenden oder gefestigten Lebensgemeinschaft ausgegangen werden.
Sonstige Verwandte in Österreich wurden vom Beschwerdeführer verneint (AS 233), Angehörige in Italien wurden von ihm keine angegeben. Aus dem Einvernahmeprotokoll vom 20.05.2020 gehen keine expliziten Fragen zu seinen Lebensumständen in Italien hervor. Bereits aufgrund des Umstandes seines kurzen Aufenthaltes in Österreich bis 12.08.2020 kann eine integrative Verfestigung ausgeschlossen werden. Unterlagen, die eine Verfestigung belegen würden, wurden nicht vorgelegt und ergibt sich die Erwerbslosigkeit und der fehlende Versicherungsschutz aus dem AJ-Web. Mit seiner Angabe, ca. 100,-- an Barmittel zu besitzen, konnte er die Mittel für seinen Unterhalt nicht nachweisen und musste die Mittellosigkeit festgestellt werden. Grundsätzlich ist er aber arbeitsfähig und gesund, was sich auch dadurch gezeigt hat, dass er wiederholt beim illegalen Verkauf einer Straßenzeitung betreten worden ist.
2.2. Zu den Länderfeststellungen:
Die Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat gründet sich auf einem Auszug aus dem aktuellen Länderinformationsblatt für Nigeria. Das LIB setzt sich aus unterschiedlichen staatlichen und nichtstaatlichen Nachrichtenquellen zusammen und bildet so die Situation möglichst umfassend und neutral ab. Für den erkennenden Richter ergibt sich daraus ein nachvollziehbares Bild im Herkunftsstaat und wurden diese Passage des LIB samt Quellenangabe der Entscheidung zu Grunde gelegt. Das Länderinformationsblatt wurde im angefochtenen Bescheid vollständig zitiert und ist der Beschwerdeführer diesen Aussagen weder in den Beschwerdeschriftsätzen entgegengetreten, noch in seiner niederschriftlichen Einvernahme vor dem Bundesamt.
3. Rechtliche Beurteilung:
Zu Spruchpunkt A):
3.1. Zu I.: Behebung der Beschwerdevorentscheidung:
Die maßgeblichen Bestimmungen des Bundesgesetzes über das Verfahren der Verwaltungsgerichte (Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz - VwGVG) idF BGBl. I Nr. 57/2018, lauten wie folgt:
„Beschwerdevorentscheidung
§ 14 (1) Im Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG steht es der Behörde frei, den angefochtenen Bescheid innerhalb von zwei Monaten aufzuheben, abzuändern oder die Beschwerde zurückzuweisen oder abzuweisen (Beschwerdevorentscheidung). § 27 ist sinngemäß anzuwenden.
(2) Will die Behörde von der Erlassung einer Beschwerdevorentscheidung absehen, hat sie dem Verwaltungsgericht die Beschwerde unter Anschluss der Akten des Verwaltungsverfahrens vorzulegen.
Vorlageantrag
§ 15 (1) Jede Partei kann binnen zwei Wochen nach Zustellung der Beschwerdevorentscheidung bei der Behörde den Antrag stellen, dass die Beschwerde dem Verwaltungsgericht zur Entscheidung vorgelegt wird (Vorlageantrag). Wird der Vorlageantrag von einer anderen Partei als dem Beschwerdeführer gestellt, hat er die Gründe, auf die sich die Behauptung der Rechtswidrigkeit stützt (§ 9 Abs. 1 Z 3), und ein Begehren (§ 9 Abs. 1 Z 4) zu enthalten.
(2) Ein rechtzeitig eingebrachter und zulässiger Vorlageantrag hat aufschiebende Wirkung, wenn die Beschwerde
1. von Gesetzes wegen aufschiebende Wirkung hatte und die Behörde diese nicht ausgeschlossen hat;
2. von Gesetzes wegen keine aufschiebende Wirkung hatte, die Behörde diese jedoch zuerkannt hat.
Die Behörde hat dem Verwaltungsgericht den Vorlageantrag und die Beschwerde unter Anschluss der Akten des Verfahrens vorzulegen und den sonstigen Parteien die Vorlage des Antrags mitzuteilen.
(3) Verspätete und unzulässige Vorlageanträge sind von der Behörde mit Bescheid zurückzuweisen. Wird gegen einen solchen Bescheid Beschwerde erhoben, hat die Behörde dem Verwaltungsgericht unverzüglich die Akten des Verfahrens vorzulegen.“
Gegen den angefochtenen Bescheid wurde rechtzeitig am 11.05.2020 Beschwerde erhoben und diese binnen offener Beschwerdefrist am 25.05.2020 ergänzt. Sie ist somit rechtzeitig und zulässig. Abgesehen davon, dass in der Beschwerdevorentscheidung nur Bezug auf die Beschwerde vom 11.05.2020 genommen wird und ausschließlich das Einreiseverbot bestätigt worden ist und das Bundesamt nach Nichtbeachtung der Beschwerdeergänzung binnen offener Rechtsmittelfrist in irriger Weise von der Rechtskraft der Spruchpunkte I., II. und IV. ausging, war die Beschwerdevorentscheidung aus folgendem Grund zu beheben:
Gemäß § 14 Abs. 1 VwGVG steht es der belangten Behörde frei, den angefochtenen Bescheid - innerhalb von zwei Monaten - aufzuheben, abzuändern oder die Beschwerde zurückzuweisen oder abzuweisen (Beschwerdevorentscheidung); dies unter sinngemäßer Beachtung des § 27 VwGVG. Die zweimonatige Frist beginnt mit dem Einlangen der Beschwerde bei der Behörde zu laufen (vgl. Fister/Fuchs/Sachs, Das neue Verwaltungsgerichtsverfahren, § 14 Rz 6), ebenso Eder/Martschin/Schmid, das Verfahrensrecht der Verwaltungsgerichte [2017], § 14 VwGVG K 6.).
Diese zweimonatige Frist endete hinsichtlich der am 11.05.2020 beim Bundesamt eingegangenen Beschwerde nach § 33 Abs. 2 AVG (iVm § 17 VwGVG) mit Ablauf des 11.07.2020. Das Einlangen der Beschwerde mit 11.05.2020 und der Beschwerdeergänzung vom 25.05.2020 wurde nicht bestritten. Die Beschwerdevorentscheidung wurde jedoch erst am 19.09.2010 zugestellt und ist somit als verspätet und damit als von einer unzuständigen Behörde erlassen zu qualifizieren.
Die Beschwerdevorentscheidung war in der Folge wegen Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit der belangten Behörde ersatzlos zu beheben (vgl. Eder/Martschin/Schmid, das Verfahrensrecht der Verwaltungsgerichte [2017], § 14 VwGVG K 7.) Das Bundesverwaltungsgericht hat über die Beschwerde zu entscheiden, mit der - wie angeführt - der Bescheid nach Beschwerdeergänzung vollumfänglich angefochten wurde.
3.2. Zu II.
3.2.1. Zur Nichterteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des § 57 AsylG 2005:
Das Vorliegen der Voraussetzungen für die Erteilung eines „Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen“ gemäß § 57 AsylG 2005 (gemeint offenbar: einer „Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz“) wurde vom Beschwerdeführer nicht behauptet. Auch aus dem Verwaltungsakt ergeben sich keine Hinweise, die es nahelegen würden, dass die Erteilung einer solchen Aufenthaltsberechtigung in Betracht kommt.
Da somit die Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 57 AsylG 2005 nicht gegeben sind, war die Beschwerde gegen Spruchpunkt I. erster Satz des angefochtenen Bescheides gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG iVm § 57 AsylG 2005 als unbegründet abzuweisen.
3.2.2. Zur Rückkehrentscheidung und zur Zulässigkeit der Abschiebung:
3.2.2.1. Rechtslage:
Das Bundesamt hat im angefochtenen Bescheid eine Rückkehrentscheidung erlassen und diese auf § 52 Abs. 1 Z 1 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG), BGBl. I Nr. 100/2005 idgF, gestützt.
Gemäß § 52 Abs. 1 FPG hat das Bundesamt gegen einen Drittstaatsangehörigen mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn sich dieser nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält (Z 1) oder nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat und das Rückkehrentscheidungsverfahren binnen sechs Wochen ab Ausreise eingeleitet wurde (Z 2).
Wird durch eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG, eine Ausweisung gemäß § 66 FPG oder ein Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist die Erlassung der Entscheidung zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist (§ 9 Abs. 1 BFA-VG). Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK sind insbesondere zu berücksichtigen die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war, das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens, die Schutzwürdigkeit des Privatlebens, der Grad der Integration, die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden, die strafgerichtliche Unbescholtenheit, Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts, die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren, die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist (§ 9 Abs. 2 BFA-VG).
Gemäß § 9 Abs. 3 BFA-VG ist über die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG jedenfalls begründet, insbesondere im Hinblick darauf, ob diese gemäß Abs. 1 auf Dauer unzulässig ist, abzusprechen. Die Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist nur dann auf Dauer, wenn die ansonsten drohende Verletzung des Privat- und Familienlebens auf Umständen beruht, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend sind.
Gemäß § 31 Abs. 1 Z 1 FPG halten sich Fremde unter anderem rechtmäßig im Bundesgebiet auf, wenn sie rechtmäßig eingereist sind und während des Aufenthalts im Bundesgebiet die Befristungen oder Bedingungen des Einreisetitels oder des visumfreien Aufenthalts oder die durch zwischenstaatliche Vereinbarungen, Bundesgesetz oder Verordnung bestimmte Aufenthaltsdauer nicht überschritten haben.
Bei der Beurteilung der Frage, ob die Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme aus dem Blickwinkel des § 9 BFA-VG iVm. Art. 8 EMRK zulässig ist, ist weiters eine gewichtende Gegenüberstellung des öffentlichen Interesses an der Aufenthaltsbeendigung mit dem Interesse des Fremden an einem weiteren Verbleib in Österreich vorzunehmen.
3.2.2.2. Anwendung auf den gegenständlichen Fall:
Gegen den Beschwerdeführer bestand eine seit 22.03.2019 rechtskräftige Anordnung zur Außerlandesbringung nach Italien und behalten diese Anordnungen gemäß § 61 Abs. 2 FPG binnen 18 Monaten ab Ausreise Gültigkeit. Der Beschwerdeführer wurde am 01.04.2019 nach Italien abgeschoben und war die Anordnung zur Außerlanderbringung bei seiner neuerlichen Einreise spätestens am 18.02.2020 nach wie vor gültig, seine Einreise und der Aufenthalt folglich unrechtmäßig.
Gemäß § 52 Abs. 6 FPG hat sich ein nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhältiger Drittstaatsangehöriger, der im Besitz eines Aufenthaltstitels oder einer sonstigen Aufenthaltsberechtigung eines anderen Mitgliedstaates ist, unverzüglich in das Hoheitsgebiet dieses Staates zu begeben. Dies hat der Drittstaatsangehörige nachzuweisen. Kommt er seiner Ausreiseverpflichtung nicht nach oder ist seine sofortige Ausreise aus dem Bundesgebiet aus Gründen der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit erforderlich, ist eine Rückkehrentscheidung gemäß Abs. 1 zu erlassen.
Der Beschwerdeführer wurde nachweislich aufgefordert, sich nach Italien zu begeben, er kam dieser Aufforderung aber nicht nach.
Das Erlassen einer Rückkehrentscheidung war demnach grundsätzlich nicht zu beanstanden. Zu prüfen bleibt, ob eine solche auch in Hinblick auf ein etwaiges Privat- und Familienleben gemäß Art. 8 EMRK gerechtfertigt ist. Eine Interessensabwägung nach § 9 BFA-VG ist vorzunehmen und schlägt diese aus folgenden Gründen zu Ungunsten des Beschwerdeführers aus:
Dem Beschwerdeführer waren seine unrechtmäßige Einreise sowie der unrechtmäßige Aufenthalt bewusst und räumte er zudem ein, der Schwarzarbeit nachgegangen zu sein. Auch nach Entlassung aus der Schubhaft Ende März 2020 setzte er seinen unrechtmäßigen Aufenthalt fort, bis er neuerlich beim Verkauf einer Straßenzeitung betreten und einer fremdenpolizeilichen Kontrolle unterzogen wurde. Nur durch Verhängung einer weiteren Schubhaft konnte der Beschwerdeführer letztlich dazu bewogen werden, freiwillig das Bundesgebiet am 12.08.2020 zu verlassen. Das beharrliche unrechtmäßige Verbleiben eines Fremden im Bundesgebiet bzw. ein länger dauernder unrechtmäßiger Aufenthalt stellt eine erhebliche Gefährdung der öffentlichen Ordnung im Hinblick auf die Aufrechterhaltung eines geordneten Fremdenwesens dar, was in der Folge eine aufenthaltsbeendende Maßnahme gegen den Fremden als dringend geboten erscheinen lässt (VwGH 31.10.2002, Zl. 2002/18/0190). Ein weiterer Aufenthalt birgt auch die Gefahr der weiteren Ausübung der Schwarzarbeit, da der Beschwerdeführer zu keinem Zeitpunkt über eine arbeitsrechtliche Bewilligung verfügte, keine Wohnsitzmeldung erstattete und die Mittel für seinen Unterhalt nicht nachweisen konnte.
Trotz der strafgerichtlichen Unbescholtenheit hat der Beschwerdeführer mit seinem Verhalten gezeigt, dass er nicht gewillt ist, sich an verwaltungs- und fremdenrechtliche Vorschriften zu halten und demonstrierte damit ein Desinteresse an in Österreich (und insgesamt in der Union) geschützten Werten.
Da der Beschwerdeführer um seinen unrechtmäßigen Aufenthalt wusste, durfte er nicht darauf vertrauen, sich auf rechtlich gesicherte Weise in Österreich zu verfestigten. Dies betrifft insbesondere die vorgebrachte Beziehung zu einer Österreicherin, die angesichts des nur kurzen Bestehens und mangels Zusammenlebens keine solche Intensität erreicht, dass von einem geschützten Privat- oder gar Familienleben gesprochen werden kann. Im Übrigen wird es dem erwachsenen Paar möglich sein, den Kontakt über technische Einrichtungen oder gegenseitige Besuche außerhalb Österreichs aufrecht zu halten. Angehörige in Österreich wurden vom Beschwerdeführer ansonsten verneint, sodass eine weitere Prüfung eines Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK unterbleiben kann. Auch ein schützenswertes Privatleben kann nicht erkannt werden, zumal der Beschwerdeführer weder sprachlich, noch wirtschaftlich oder gesellschaftlich integriert ist. Er spricht nicht Deutsch, ging keiner erlaubten Erwerbstätigkeit nach und brachte auch sonst keine sozialen Bindungen vor.
Bei einer Gesamtbetrachtung wiegt unter diesen Umständen das öffentliche Interesse an der Aufrechterhaltung der Durchsetzung der geltenden Bedingungen des Einwanderungsrechts und an der Befolgung der den Aufenthalt von Frem