Entscheidungsdatum
11.01.2021Norm
ASVG §5 Abs2Spruch
I403 2232076-1/24E 11.01.2021
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin MMag. Birgit ERTL über die Beschwerde von XXXX , Staatsangehörigkeit: Nigeria, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 06.04.2020, Zl. XXXX , betreffend den Antrag vom 20.12.2018 auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Art. 8 EMRK nach § 55 AsylG 2005, zu Recht:
A)
I. Der Beschwerde wird stattgegeben und gemäß § 9 Abs. 3 BFA-VG festgestellt, dass die Erlassung einer Rückkehrentscheidung gegen XXXX auf Dauer unzulässig ist.
II. XXXX wird gemäß § 55 Abs. 1 AsylG 2005 ein Aufenthaltstitel „Aufenthaltsberechtigung plus“ erteilt.
III. Spruchpunkt III. und IV. werden ersatzlos behoben.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:
Der Beschwerdeführer, ein nigerianischer Staatsbürger, reiste am 19.06.2005 unrechtmäßig in das Bundesgebiet ein und stellte am folgenden Tag – unter Angabe eines falschen Namens – einen ersten Antrag auf internationalen Schutz. Dieser Antrag wurde mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 24.04.2006 abgewiesen und der Beschwerdeführer nach Nigeria ausgewiesen. Die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde wurde mit Erkenntnis des Unabhängigen Bundesasylsenates vom 12.10.2006, Zl. 301.415-C1/E1-XV/54/06 als unbegründet abgewiesen. Der Verwaltungsgerichtshof lehnte die Behandlung der dagegen erhobenen Beschwerde mit Beschluss vom 15.10.2009, Zl. 2006/20/0594 ab. Der Beschwerdeführer kam seiner Ausreiseverpflichtung nicht nach.
Am 30.12.2009 stellte der Beschwerdeführer einen zweiten Antrag auf internationalen Schutz, der mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 21.01.2010 und dann in zweiter Instanz mit Entscheidung des Asylgerichtshofes vom 25.02.2010, Zl. A6 301.415-2/2010/3E (in Rechtskraft am 05.03.2010) wegen entschiedener Sache zurückgewiesen wurde. Erneut wurde eine Ausweisung nach Nigeria ausgesprochen. Der Beschwerdeführer kam seiner Ausreiseverpflichtung nicht nach.
Ein am 08.11.2012 gestellter Antrag auf Erteilung einer Rot-Weiß-Rot-Karte wurde vom Magistrat der Stadt XXXX mit Bescheid vom 25.10.2013 zurückgewiesen, da ein maßgeblich geänderter Sachverhalt nicht hervorgekommen sei. Dies wurde damit begründet, dass sich der Beschwerdeführer zwar seit acht Jahren im Bundesgebiet aufhalte, doch habe er, abgesehen von dem vorübergehenden Aufenthaltsrecht während der Asylverfahren, nie ein Aufenthaltsrecht besessen. Seit dem 05.03.2010 halte er sich unrechtmäßig im Bundesgebiet auf.
Am 27.02.2018 wurde er vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, der belangten Behörde, einvernommen.
Der Beschwerdeführer stellte am 20.12.2018 den gegenständlichen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Art. 8 EMRK gemäß § 55 AsylG 2005. Am 14.05.2019 wurde er neuerlich von der belangten Behörde einvernommen.
Mit dem oben im Spruch angeführten Bescheid der belangten Behörde vom 06.04.2020 wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Art. 8 EMRK gemäß § 55 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt I.). Gegen den Beschwerdeführer wurde gemäß § 10 Abs. 3 AsylG 2005 iVm. § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 3 FPG erlassen (Spruchpunkt II.). Es wurde gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung gemäß 46 FPG nach Nigeria zulässig ist (Spruchpunkt III.) sowie gemäß § 55 Abs. 4 FPG festgestellt, dass die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung beträgt (Spruchpunkt IV.).
Am 02.06.2020 erhob der Beschwerdeführer Beschwerde gegen den oben genannten Bescheid. Darin wurde nach Darlegung der Beschwerdegründe beantragt, eine mündliche Verhandlung anzuberaumen, den Bescheid zu beheben und dem Beschwerdeführer einen Aufenthaltstitel zu erteilen, in eventu den Bescheid zu beheben und an das BFA zurückzuverweisen, in eventu dem Beschwerdeführer den Status des subsidiär Schutzberechtigten zu gewähren, in eventu die Rückkehrentscheidung zu beheben.
Die gegenständliche Beschwerde und der Bezug habende Verwaltungsakt wurden dem Bundesverwaltungsgericht am 18.06.2020 vorgelegt. Mit Verfügung des Geschäftsverteilungsausschusses des Bundesverwaltungsgerichtes wurde die gegenständliche Rechtssache der Gerichtsabteilung der erkennenden Richterin per 01.10.2020 zur Entscheidung zugewiesen.
Am 15.12.2020 wurde eine mündliche Verhandlung abgehalten.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
Der unbescholtene Beschwerdeführer ist Staatsbürger Nigerias und befindet sich seit mehr als fünfzehn Jahren in Österreich. Er stellte am 20.06.2005 unter Angabe eines falschen Namens einen ersten Antrag auf internationalen Schutz. Mit Erkenntnis des Unabhängigen Bundesasylsenates vom 12.10.2006 wurde dieser Antrag rechtskräftig abgewiesen und wäre der Beschwerdeführer zur Ausreise verpflichtet gewesen. Stattdessen stellte der Beschwerdeführer - unmittelbar nachdem der Verwaltungsgerichtshof die Behandlung der dagegen erhobenen Beschwerde mit Beschluss vom 15.10.2009 abgewiesen hatte - am 30.12.2009 einen zweiten Antrag auf internationalen Schutz, der in zweiter Instanz mit Entscheidung des Asylgerichtshofes vom 25.02.2010, Zl. A6 301.415-2/2010/3E (in Rechtskraft am 05.03.2010) wegen entschiedener Sache zurückgewiesen wurde. Erneut wurde eine Ausweisung nach Nigeria ausgesprochen. Der Beschwerdeführer kam seiner Ausreiseverpflichtung wiederum nicht nach, obwohl er sich seiner Verpflichtung bewusst war. Er hält sich somit seit dem 05.03.2010 unrechtmäßig im Bundesgebiet auf.
Statt seiner Ausreiseverpflichtung nachzukommen, begann er 2010 das Bakkalaureatsstudium Psychotherapiewissenschaften an der XXXX PrivatUniversität (SFU). Der Beschwerdeführer belog das erkennende Gericht dahingehend, dass er der SFU seine Hochschulreife mittels Vorlage eines Maturazeugnisses nachgewiesen habe. Tatsächlich legte er, abgesehen von einem Empfehlungsschreiben des Vereins XXXX , kein Zeugnis vor. Privatuniversitäten sind allerdings berechtigt, eine der Studienberechtigungsprüfung vergleichbare Zulassungsprüfung für Studienwerber/innen ohne Matura durchzuführen, die nur zum Studium an der betreffenden Privatuniversität berechtigt. Zulassungsvoraussetzung für das Studium der Psychotherapiewissenschaften an der SFU sind „sehr gute Schreib- und Sprachkenntnisse in Deutsch (Niveau B 2, Verstehen und Sprechen)“ (vgl. dazu Homepage der SFU, abrufbar unter XXXX /). Allerdings darf angezweifelt werden, dass der Beschwerdeführer diese Zulassungsvoraussetzung zur Aufnahme des Studiums 2010 erfüllt hatte, besuchte er doch erst im Jahr 2015 mehrere Deutschkurse für AnfängerInnen. Im Übrigen war der Beschwerdeführer weder in der Einvernahme durch die belangte Behörde am 14.05.2019 noch in der mündlichen Verhandlung am 15.12.2020 in der Lage, seine Befragung bzw. Teile davon in Deutsch durchzuführen. Von umfassenden Deutschkenntnissen kann daher nicht ausgegangen werden.
Ein am 08.11.2012 gestellter Antrag auf Erteilung einer Rot-Weiß-Rot-Karte wurde vom Magistrat der Stadt XXXX am 25.10.2013 unter der Zahl XXXX zurückgewiesen.
Am 13.06.2013 schloss der Beschwerdeführer das Bakkalaureatsstudium, am 30.05.2017 das psychotherapeutische Fachspezifikum für Systemische Familientherapie und am 01.06.2017 das Magisterstudium Psychotherapiewissenschaften, ebenfalls an der XXXX PrivatUniversität, ab. Er ist in die öffentliche Liste der PsychotherapeutInnen des Bundesministeriums für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz eingetragen und darf als Psychotherapeut praktizieren. Seit dem Sommersemester 2018 ist der Beschwerdeführer im englischen Doktoratsstudium der Fakultät für Psychotherapiewissenschaft an der XXXX PrivatUniversität inskribiert.
Die Studienkosten haben sich für das Bakkalaureats- und das Masterstudium mindestens auf 65.120 Euro belaufen. Von einer niederländischen Familie, die dem Beschwerdeführer vom Verein XXXX vermittelt wurde, bekam er zur Unterstützung etwa 7.000 Euro. Womit der Beschwerdeführer, der in der Verhandlung fälschlich behauptet hatte, die Studiengebühren seien zur Gänze von der niederländischen Familie getragen worden, die Differenz bezahlte, bleibt unklar.
Der Beschwerdeführer plant ein Gerät zu entwickeln, das eine Psychotherapie ersetzen soll, indem dieses Gerät menschliche Emotionen erkennt und dann entsprechend mit dem Menschen kommuniziert. Das Gerät befindet sich laut Beschwerdeführer in der Entwicklungsphase; eine Marke mit dem Wortlaut „ XXXX “ wurde von ihm im Jänner 2017 beim Patentamt in das Markenregister eingetragen.
Der Beschwerdeführer war von 08.07.2005 bis 06.12.2006 in XXXX , dann von 06.12.2006 bis 10.04.2014 beim Verein XXXX , von 10.04.2014 bis 24.02.2016 bei der XXXX Ministry und ab 09.05.2016 in Privatunterkünften in Wien gemeldet.
Der Beschwerdeführer verschleierte über Jahre seine Identität durch Angabe eines falschen Namens. Er machte vor den österreichischen Behörden und dem Bundesverwaltungsgericht wiederholt falsche Angaben bzw. weigerte er sich, Fragen zur Einholung eines Heimreisezertifikates zu beantworten. Während seiner ersten zwei Asylverfahren legte er auch seine Geburtsurkunde nicht vor (welche auf seinen richtigen Namen lautete und damit offenbart hätte, dass er die Asylverfahren unter falschen Namen führte). Er versuchte dadurch seine Außerlandesbringung zu verhindern.
Der Beschwerdeführer war in Österreich nie bei einem Dienstgeber beschäftigt. Er hat sich als Student gemäß § 16 ASVG selbstversichert, obwohl sein Einkommen aus der selbständigen Tätigkeit als Therapeut über der Grenze von 5.527,92 (für 2020) liegt, wodurch eine Versicherung bei der SVA verpflichtend gewesen wäre. Der Beschwerdeführer hat damit seit Jahren gegen seine Versicherungspflicht verstoßen. Ebenso wenig kam und kommt der Beschwerdeführer seiner Verpflichtung nach, sein über dem Grundfreibetrag liegendes Einkommen zu versteuern. Außerdem ist der Beschwerdeführer zumindest seit Jänner 2010 als Zeitungszusteller tätig, ohne in diesem Zeitraum jemals über eine entsprechende arbeitsmarktrechtliche Bewilligung verfügt zu haben.
Der Beschwerdeführer führt in Österreich kein Familienleben, hat aber Freunde gefunden. Der Beschwerdeführer ist Kassier bei einem Verein namens „ XXXX “ ( XXXX Ministry). Er war von 2012 bis 2019 bei der „ XXXX Seelsorge“ im AKH XXXX ehrenamtlich tätig. Zudem ist er Mitglied bei einem Verein, der sich für die Unabhängigkeit von Biafra einsetzt.
Am 31.12.2016 gründete der Beschwerdeführer die „ XXXX GmbH“, deren Geschäftsführer und einziger Gesellschafter er ist. Er leistete eine Einlage von 5.000 Euro (50% der gründungsprivilegierten Stammeinlage). Der tatsächliche Unternehmenszweck ist unklar.
2. Beweiswürdigung:
Der oben angeführte Verfahrensgang ergibt sich aus dem Akteninhalt des vorgelegten Verwaltungsaktes des BFA und des vorliegenden Gerichtsaktes des BVwG. Die getroffenen Feststellungen beruhen auf den Ergebnissen des vom erkennenden Gericht auf Grund der vorliegenden Akten und der mündlichen Verhandlung durchgeführten Ermittlungsverfahrens und werden in freier Beweiswürdigung der gegenständlichen Entscheidung als maßgeblicher Sachverhalt zugrunde gelegt.
Die Identität des Beschwerdeführers steht aufgrund der Vorlage seines nigerianischen Reisepasses, ausgestellt am 13.08.2018, in der mündlichen Verhandlung fest. Dass er sich seit 2005 im Bundesgebiet befindet, geht unter anderem aus dem Zentralen Melderegister hervor.
Dass der Beschwerdeführer zunächst seine Identität verschleierte und dadurch eine Außerlandesbringung seiner Person erschwerte, ergibt sich aus dem Umstand, dass seine beiden ersten Asylverfahren unter dem Familiennamen XXXX geführt wurden. Dass der Beschwerdeführer für seine Asylverfahren einen anderen Namen benutzte als für sein Studium an der SFU, ergibt sich daraus, dass erst im Rahmen einer fremdenpolizeilichen Kontrolle am 10.03.2011 festgestellt wurde, dass der Beschwerdeführer, der sich mit einem Studentenausweis auf den im Spruch lautenden Namen ausgewiesen hatte, ident war mit dem unter dem Namen XXXX registrierten Asylwerber. In diesem Zusammenhang ist auch darauf hinzuweisen, dass sich der Beschwerdeführer trotz mehrmaliger Aufforderung mitzukommen, um seine Identität festzustellen, weigerte, so dass die Anwendung von Körperkraft durch die Polizeibeamten notwendig wurde (vgl. Anzeige des Landespolizeikommando Wien vom 11.03.2011, AS 237). Der Beschwerdeführer versuchte offenbar, seine Identität zu verschleiern bzw. die zwei „Identitäten“ parallel am Leben zu erhalten.
In einem Schreiben vom 11.02.2018 (AS 279) versuchte der Beschwerdeführer dann seine zwei Identitäten folgendermaßen zu erklären: Der Name seines Großvaters sei M XXXX XXXX gewesen, weswegen er selbst C XXXX E XXXX heiße, jedoch standesamtlich als C XXXX U XXXX M XXXX registriert sei. Der Beschwerdeführer versuchte die Verwendung der unterschiedlichen Namen auch in der Verhandlung damit zu rechtfertigen, dass es in Nigeria üblich sei, auch den Namen des Großvaters zu verwenden, doch ist dies nach Ansicht der erkennenden Richterin eine Schutzbehauptung. Auch die Nachnamen seiner Eltern wurden vom Beschwerdeführer in beiden Asylverfahren mit E XXXX angegeben und nicht, wie auf der Geburtsurkunde, mit dem im Spruch genannten Familiennamen. Der Beschwerdeführer konnte auch nicht glaubhaft machen, warum er jahrelang den einen und dann plötzlich den anderen Namen verwendete. Eine nachvollziehbare Erklärung dafür ist wohl darin zu finden, dass der Beschwerdeführer gegenüber den fremdenpolizeilichen Behörden nicht seinen wahren Namen angegeben hatte, um eine Abschiebung zu verhindern (entsprechend war eine Ladung vor die nigerianische Botschaft am 02.07.2010 auch folgenlos geblieben), während er diese Befürchtungen bei der Anmeldung zu seinem Studium an einer Privatuniversität nicht hatte und daher hierfür seinen richtigen Namen verwendete. Auch der Umstand, dass er seine Geburtsurkunde während seiner ersten beiden Asylverfahren nicht vorlegte, lässt nur den Schluss zu, dass er seine wahre Identität verschleiern wollte, um einer Außerlandesbringung zu entgehen. Der Beschwerdeführer wirkte daher jedenfalls bis 2011 nicht an der Feststellung seiner Identität fest und verhinderte so seine Außerlandesbringung.
Dass der Beschwerdeführer in Österreich nie bei einem Dienstgeber beschäftigt war, ergibt sich aus einem Auszug aus dem AJ-WEB vom 27.11.2020. Seine Unbescholtenheit wurde aufgrund eines aktuellen Strafregisterauszugs festgestellt. Der Abschluss seiner Studien ergibt sich aus den vorgelegten Zeugnissen der XXXX PrivatUniversität. Dass er von 2012 bis 2019 bei der „ XXXX Seelsorge“ im AKH XXXX ehrenamtlich tätig war, ergibt sich aus einem entsprechenden Empfehlungsschreiben vom 10.12.2020.
Der Beschwerdeführer versuchte den Umstand, dass er seiner Ausreiseverpflichtung über fünfzehn Jahre nicht nachgekommen war, in der mündlichen Verhandlung damit zu begründen, dass ihm nicht bewusst gewesen sei, dass er dazu verpflichtet gewesen sei; sein früherer Anwalt habe ihn darüber nie in Kenntnis gesetzt. Aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichtes ist dies nicht glaubhaft. Zunächst steht dem entgegen, dass im ersten Asylverfahren des Beschwerdeführers ein Rechtsmittel an den VwGH eingebracht wurde (Niederschrift der BPD XXXX vom 07.01.2010, AS 191). Zudem wäre eine erneute Asylantragstellung am 30.12.2009 obsolet gewesen, wenn der Beschwerdeführer davon ausgegangen wäre, dass er rechtmäßig in Österreich aufhältig ist – ebenso die Antragstellung auf Gewährung eines Aufenthaltstitels im Jahr 2012. Außerdem wurde er im Zuge einer niederschriftlichen Einvernahme am 07.01.2010 darauf aufmerksam gemacht, dass bereits beim ersten Asylverfahren eine Ausweisung erfolgt war (Niederschrift der BPD XXXX vom 07.01.2010, AS 191).
Dass er seine Außerlandesbringung aktiv zu verhindern versuchte, ergibt sich einerseits aus der Verwendung eines falschen Namens während der ersten Jahre seines Aufenthaltes in Österreich, andererseits aus dem Umstand, dass er etwa bei der Befragung durch die belangte Behörde am 27.02.2018 erklärte, dass er nicht bereit sei, persönliche Fragen zu beantworten, um an der Ausstellung eines Heimreisezertifikates mitzuwirken.
Dass der Beschwerdeführer wiederholt gegenüber Behörden und Gerichten falsche Angaben machte, ergibt sich exemplarisch aus den folgenden Erwägungen:
? Der Beschwerdeführer gab in der mündlichen Verhandlung am 15.12.2020 an, dass er sein Reifezeugnis der SFU vorgelegt habe und diese es einbehalten habe. Dazu ist festzuhalten, dass von Seiten der SFU erklärt wurde, dass abgesehen von einem Empfehlungsschreiben des Vereins XXXX vom 17.02.2010 keine weiteren Dokumente vorgelegt wurden.
? Der Beschwerdeführer gab in der mündlichen Verhandlung am 15.12.2020 außerdem an, dass seine Studiengebühren für das Bakkalaureatsstudium und das Magisterstudium (6 Semester Bakkalaureat um 6.300 Euro pro Semester, 4 Semester Master um 6.830 Euro pro Semester; vgl. dazu https://ptw.sfu.ac.at/de/studienangebot-ptw/kosten-und-finanzierung/) von einer niederländischen Familie bezahlt worden seien. Der Kontakt sei über den Verein XXXX vermittelt worden und die finanzielle Unterstützung auch über den Verein erfolgt. Nachdem er von der erkennenden Richterin aufgefordert wurde, den Emailverkehr mit den niederländischen Gönnern offenzulegen, übermittelte der Beschwerdeführer am 16.12.2020 einige Emails aus dem Jahr 2013 und aus Jänner/Februar 2016. Aus diesen Emails geht hervor, dass M XXXX van L XXXX und J XXXX XXXX pro Semester 780 Euro im Wege des Vereins XXXX an den Beschwerdeführer bezahlt haben. Dies deckt aber nur einen äußerst geringen Anteil der Studiengebühren ab und nicht, wie vom Beschwerdeführer in der Verhandlung behauptet wurde, die volle Summe der Studiengebühren. Aus den Emails geht im Übrigen hervor, dass der Beschwerdeführer wiederholt bei den niederländischen Gönnern nach mehr Geld verlangt hatte. Eine Rückfrage der erkennenden Richterin beim Verein XXXX ergab, dass dort eine finanzielle Unterstützung eines Bewohners durch eine niederländische Familie nicht bekannt ist.
? In seiner Befragung durch die belangte Behörde am 27.02.2018 machte der Beschwerdeführer falsche Angaben zu seinem Familienleben: Er erklärte, dass er in Italien eine Lebensgefährtin und zwei Kinder habe. Im gegenständlichen Verfahren gab er dagegen sowohl vor der belangten Behörde wie auch vor dem Bundesverwaltungsgericht an, dass er weder in Italien noch in Österreich Familie habe, sondern nur in Nigeria. In der mündlichen Verhandlung damit konfrontiert, meinte der Beschwerdeführer, dass er nie von einer Familie in Italien gesprochen habe und dass es zu falschen Niederschriften gekommen sei, so habe er etwa 2005 keine Straftat begangen. Das Bundesverwaltungsgericht schließt sich nach Aktendurchsicht dem Beschwerdeführer dahingehend an, dass, soweit im angefochtenen Bescheid auf ein im Jahr 2005 wegen einer Verurteilung verhängtes unbefristetes Aufenthaltsverbot verwiesen wird, es sich offensichtlich um eine Verwechslung mit einem anderen Asylwerber mit dem gleichen Familiennamen, aber einem anderen Vornamen handelt, der 2005 in Haft war, während sich im ZMR-Auszug des Beschwerdeführers kein Hinweis darauf findet. Die Befragung durch die belangte Behörde am 27.02.2018 wurde aber mit dem Beschwerdeführer selbst durchgeführt, handelt es sich doch um die im Spruch genannten Daten, war die Rede von seinem Studium an der XXXX Privatuniversität und ist die Unterschrift identisch mit jener im Reisepass des Beschwerdeführers. Dass der Beschwerdeführer noch in der Verhandlung am 15.12.2020 frühere Aussagen schlichtweg leugnet, zeigt, dass er keinen Respekt vor den österreichischen Behörden und Gerichten kennt.
Zudem weigerte sich der Beschwerdeführer offenzulegen, wovon er seit der Zurückweisung seines zweiten Asylantrages lebte. Einerseits studierte er an einer Privatuni, was jahrelang alleine an Studiengebühren jährliche Kosten von mehr als 12.000 Euro bedeutete. Andererseits gab er gegenüber der belangten Behörde am 27.02.2018 zu Protokoll, dass er nicht über die finanziellen Mittel verfügen würde, um einen Reisepass zu beantragen. Auch beim Versuch, seine Vermögensverhältnisse in der Verhandlung zu klären, wirkte der Beschwerdeführer nicht mit. Wie bereits dargelegt wurde, stimmt seine Aussage, dass die Studiengebühren von einer niederländischen Familie getragen wurden, nicht, sondern trugen diese nur etwa 10% bei. Dass er von seiner nigerianischen Familie finanziert wurde, erscheint angesichts des Umstandes, dass er vor dem BFA angab, dass seine Familie von der Landwirtschaft leben würde, „aber nicht gut“ (Protokoll der Niederschrift vom 14.05.2019), wenig wahrscheinlich. Der Beschwerdeführer wurde mit Schreiben des Gerichtes vom 21.12.2020 aufgefordert, bis zum 07.01.2021 seine Vermögensverhältnisse offenzulegen und seine Berufshaftpflichtversicherung als Psychotherapeut zu bescheinigen. Der Beschwerdeführer kam dieser Aufforderung nicht nach.
Der Beschwerdeführer behauptete in der Verhandlung, ein Einkommen aus seiner selbständigen Tätigkeit als Psychotherapeut zu erzielen. Dazu gab er bei seinem Antrag vom 20.12.2018 auf Erteilung des Aufenthaltstitels aus Gründen des Art. 8 EMRK an, dass er monatlich zwischen 800 und 900 Euro verdiene. In der Verhandlung meinte er dagegen, dass er erst 2019 „offiziell“ begonnen habe. In der Verhandlung meinte er außerdem, dass er mit der Psychotherapie rund 600 Euro im Monat verdienen würde, davon müsse er 300 Euro im Monat Studiengebühr für das Doktorratsstudium bezahlen, da er nun nicht mehr von der niederländischen Familie unterstützt werde. Daneben stelle er in der Nacht Zeitungen zu, womit er monatlich 600 Euro verdiene; diese Tätigkeit übe er „schwarz“ aus. Am Ende der Verhandlung (nachdem die Frage des Überschreitens der Einkommenssteuergrenze diskutiert worden war) erklärte der Beschwerdeführer im Rahmen der Rückübersetzung dann plötzlich, dass sein Freund 600 Euro monatlich durch das Zustellen der Zeitung verdiene, während er selbst davon nur 200 Euro erhalten würde. Sowohl von der Dolmetscherin als auch von der erkennenden Richterin war aber gehört worden, dass der Beschwerdeführer davon gesprochen hatte, selbst 600 Euro mit dieser Tätigkeit zu verdienen; zudem hatte er im Zuge der weiteren Befragung in der Verhandlung angegeben, dass er aktuell keinen Klienten habe, sondern von der Zeitungszustellung leben würde – was bei monatlichen Fixkosten von 300 Euro für das Doktoratsstudium und 250 bis 270 Euro für die Miete (wie von ihm in der Verhandlung angegeben wurde) wohl die Annahme zulässt, dass er nicht von einem Einkommen von 200 Euro monatlich leben kann. Allerdings ist es auch nicht glaubhaft, dass er aktuell keinen Klienten hat, gab dies der Beschwerdeführer doch erst an, als ihm vorgeworfen worden war, weder seiner Versicherungspflicht noch seiner Pflicht zur Bezahlung von Einkommenssteuer nachgekommen zu sein. Wenige Minuten vorher hatte er noch behauptet, rund 600 Euro monatlich durch diese selbständige Tätigkeit zu erhalten. Nachdem alleine für das Studium und die Miete Fixkosten von 550 bis 570 Euro monatlich anfallen, geht das Bundesverwaltungsgericht davon aus, dass seine ursprünglich in der mündlichen Verhandlung getätigten Aussagen, dass er als Therapeut 600 Euro und als Zeitungszusteller ebenfalls 600 Euro verdiene, der Wahrheit am nächsten kommt (wobei dieses Einkommen dennoch nicht ausreicht, um als nachvollziehbare Erklärung für die Bezahlung der Studiengebühren für das Bakkalaureat- und Masterstudium zu dienen).
Insgesamt muss festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer sich weigerte offenzulegen, wovon er in den letzten zehn Jahren lebte und wie er seine kostenintensiven Studien finanzierte. Hinsichtlich seiner Einnahmen durch die Tätigkeit als Psychotherapeut wird festgestellt, dass er zumindest ein durchschnittliches monatliches Einkommen von 600 Euro aufweist und dies in den letzten drei Jahren. Soweit er in der Verhandlung (ebenfalls erst nach Hinweis auf Versicherungs- und Steuerpflichten) angab, erst 2019 „offiziell“ damit begonnen zu haben, steht dem entgegen, dass er bereits auf dem Antragsformular Ende 2018 angab, als Therapeut monatlich zwischen 800 und 900 Euro zu verdienen. Bei einem Durchschnittseinkommen von 600 Euro monatlich verdiente der Beschwerdeführer somit etwa 7.200 Euro jährlich und liegt damit über der Versicherungsgrenze von 5.527,92 Euro jährlich (für 2020; der Wert liegt aber auch über den Versicherungsgrenzen der Vorjahre). Entgegen seiner entsprechenden Verpflichtung war der Beschwerdeführer aber nicht über die SVA, sondern als Student gemäß § 16 Abs. 2 ASVG versichert, wie sich aus dem AJ-Web ergibt.
Wenn man vom monatlichen Einkommen des Beschwerdeführers in der Höhe von 1.200 Euro und damit von einem Jahreseinkommen von 14.400 Euro ausgeht, ist zudem der Grundfreibetrag (im Sinne eines steuerfreien Jahresbetrags) überschritten und wäre der Beschwerdeführer verpflichtet gewesen, sein Einkommen zu versteuern, was ebenfalls nicht erfolgte.
Desweiteren gab der Beschwerdeführer in der Verhandlung selbst an, dass er als Zeitungszusteller „schwarz“ arbeite. Er war sich daher offenbar bewusst, dass er über keine entsprechende Bewilligung verfügte und ging trotzdem dieser Tätigkeit nach und dies offenbar über Jahre, gab er doch bereits am 07.01.2010 (AS 191) und ebenso bei einem Aufgriff durch die Polizei am 11.03.2011 an, als Zeitungszusteller zu arbeiten (AS 243).
In der mündlichen Verhandlung legte der Beschwerdeführer einen Kassablock vor, in dem rund die Hälfte der Blätter beschrieben war. Es fanden sich Rechnungen für die folgenden Daten für eine Psychotherapie eines namentlich bezeichneten Mannes, der pro Einheit 80 Euro bezahlte: 02.05.2019, 07.05.2019, 07.05.2019, 13.05.2019, 17.05.2019, 17.05.2019, 20.05.2019, 23.05.2019, 25.05.2019, 25.05.2019, 27.05.2019, 03.06.2019, 06.06.2019, 10.06.2019, 13.06.2019, 13.06.2019, 17.06.2019, 17.06.2019, 20.06.2019, 20.06.2019, 24.06.2019, 04.07.2019, 08.07.2019, 16.07.2019, 22.07.2019, 25.07.2019, 29.07.2019, 02.08.2019, 05.08.2019. Abgesehen davon, dass die Behandlungstermine für eine systemische Therapie sehr eng hintereinander getaktet erscheinen (dies mag aber der individuellen Herangehensweise des Beschwerdeführers als Therapeut geschuldet sein), fällt auf, dass an einigen Tagen zwei Rechnungen ausgestellt wurden, wobei eine der Rechnungen in diesen Fällen dann jeweils eine andere Unterschrift als jene des Beschwerdeführers aufweist, obwohl sich teilweise im Empfängerfeld dennoch der Name des Beschwerdeführers findet (in den anderen Fällen findet sich dort nur die Sozialversicherungsnummer des Patienten und ist der Rechnung nicht der Name des behandelnden Therapeuten zu entnehmen). Ein konkreter Schluss aus dem vorgelegten Kassablock kann nicht gezogen werden, eine transparente und nachvollziehbare Offenlegung der Einkommensverhältnisse des Beschwerdeführers ergibt sich daraus jedenfalls nicht.
Die Gründung einer GmbH ergibt sich aus einem Firmenbuchauszug. Vor dem BFA meinte der Beschwerdeführer am 14.05.2019, dass er „begabt“ sei und online seine Ideen verkaufe. Er könne mit seinem Unternehmen mit eBay konkurrieren und werde in wenigen Jahren weltbekannt sein. In einem im Akt einliegenden Schreiben an das Bundesministerium für Inneres vom 18.12.2019 (in dem eine positive Erledigung des Antrages auf einen Aufenthaltstitel gefordert wurde) spricht der Beschwerdeführer dann davon, dass er ein „Business Project mit erneuerbaren Energien in einem anderen Kontinent“ habe, in dem viel Geld involviert sei und das nötig sei, „um möglichst viele Menschen anzustellen“. Dagegen gab er in der mündlichen Verhandlung am 15.12.2020 an, dass dieses Unternehmen dem Marketing und Vertrieb eines in Entwicklung stehenden „Psychotherapie-Geräts“ diene. Der tatsächliche Unternehmenszweck kann daher nicht festgestellt werden.
Die Feststellungen zum Plan des Beschwerdeführers, ein „Psychotherapie-Gerät“ zu entwickeln, ergeben sich aus seinen Aussagen in der mündlichen Verhandlung und der Registrierungsbestätigung des Patentamtes. So meinte der Beschwerdeführer am 15.12.2020: „Das Gerät erkennt alle Gefühle, man kann mit ihm sprechen und erhält dann auch therapiebasierte Antworten.“
Der Beschwerdeführer gab in der Verhandlung zwar an, verlobt zu sein, weigerte sich aber, den Namen seiner Verlobten zu nennen. Die Existenz dieser Beziehung kann daher im gegenständlichen Verfahren nicht nachgeprüft und daher auch nicht festgestellt werden. Ein Familienleben wurde vom Beschwerdeführer für Österreich nicht behauptet, er gab nur an, Freunde in Österreich zu haben, bei einer Freikirche und einem „BIAFRA“-Verein zu sein.
Dass der Beschwerdeführer Kassier bei einem Verein ist, ergibt sich aus dem vorgelegten Vereinsregisterauszug.
3. Rechtliche Beurteilung:
3.1. Zum Eventualantrag, dem Beschwerdeführer einen Status als subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen:
In der Beschwerde wurde beantragt, dem Beschwerdeführer in eventu einen Status als subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen. Aufgrund des Umstandes, dass der Beschwerdeführer keinen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat und die Behörde daher rechtsrichtig auch nicht über einen solchen entschieden hat, ist die Frage, ob dem Beschwerdeführer ein Status gemäß § 8 AsylG 2005 zuzuerkennen ist, nicht Gegenstand des gegenständlichen Verfahrens.
Der Vollständigkeit halber wird aber folgendes ausgeführt:
In der Beschwerde wurde behauptet, dass die Behörde es unterlassen habe, Ermittlungen zur Frage der Gefährdung des Beschwerdeführers in Nigeria anzustellen. Diesfalls wird verkannt, dass der Beschwerdeführer gegenständlich einen Antrag auf Ausstellung eines Aufenthaltstitels und nicht auf internationalen Schutz gestellt hatte. Im ganzen Verfahren hatte er zu keinem Zeitpunkt eine Gefährdung seiner Person vorgebracht. Auf eine entsprechende Frage eines Organwalters der belangten Behörde am 14.05.2019 antwortete er: „Wenn ich mein Doktorat fertigmachen kann, dann komme ich zurecht, aber ich glaube nicht, dass Nigeria der beste Ort ist für mich.“ Eine Furcht oder Gefährdung geht daraus nicht hervor. Das in der Beschwerde erstattete Vorbringen, dass der Beschwerdeführer ein aktives Mitglied der IPOB (Indigenous People of BIAFRA) sei und schon seit Jahre an Demonstrationen in Österreich teilnehme und daher in Nigeria verfolgt werde, wurde vom Beschwerdeführer im Verfahren vorher nicht erstattet. Der Beschwerdeführer legte in der Verhandlung ein Schreiben eines M XXXX C XXXX U XXXX vor, der sich selbst als „Koordinator“ der indigenen Völker von Biafra (IPOB) in XXXX bezeichnet. Dieser bezeichnete den Beschwerdeführer in seinem Schreiben vom 14.12.2020 als engagiertes Mitglied der IPOB-Organisation, wodurch sein Leben in Gefahr sei. In der mündlichen Verhandlung wurde der Beschwerdeführer allerdings darauf aufmerksam gemacht, dass das gegenständliche Verfahren nicht der Feststellung einer Rückkehrgefährdung dienen würde, ihm aber die Möglichkeit offenstehe, einen Antrag auf internationalen Schutz zu stellen. Im Übrigen legt der Umstand, dass der Beschwerdeführer vor der Beschwerde nie von einer Gefährdung seiner Person in Nigeria gesprochen hatte, nahe, dass eine solche auch nicht gegeben ist.
Zum Zeitpunkt der gegenständlichen Entscheidung war vom Beschwerdeführer kein neuer Antrag auf internationaler Schutz gestellt worden, wie sich aus dem IZR ergibt.
3.2. Zur Gewährung eines Aufenthaltstitels nach § 55 AsylG 2005 und zur Erlassung einer Rückkehrentscheidung (Spruchpunkte I. und II. des angefochtenen Bescheides):
Der mit "Aufenthaltsberechtigung aus Gründen des Art. 8 EMRK" überschriebene § 55 AsylG 2005 (in der Fassung BGBl. I Nr. 69/2020) lautet:
„§ 55. (1) Im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen ist von Amts wegen oder auf begründeten Antrag eine „Aufenthaltsberechtigung plus“ zu erteilen, wenn
1. dies gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK geboten ist und
2. der Drittstaatsangehörige das Modul 1 der Integrationsvereinbarung gemäß § 9 Integrationsgesetz (IntG), BGBl. I Nr. 68/2017, erfüllt hat oder zum Entscheidungszeitpunkt eine erlaubte Erwerbstätigkeit ausübt, mit deren Einkommen die monatliche Geringfügigkeitsgrenze (§ 5 Abs. 2 Allgemeines Sozialversicherungsgesetz (ASVG), BGBl. Nr. 189/1955) erreicht wird.
(2) Liegt nur die Voraussetzung des Abs. 1 Z 1 vor, ist eine „Aufenthaltsberechtigung“ zu erteilen.“
Der mit "Schutz des Privat- und Familienlebens" überschriebene § 9 Abs. 1 bis 3 BFA-VG (in der Fassung BGBl. I Nr. 29/2020) lautet:
„§ 9. (1) Wird durch eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG, eine Ausweisung gemäß § 66 FPG oder ein Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist die Erlassung der Entscheidung zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.
(2) Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK sind insbesondere zu berücksichtigen:
1. die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war,
2. das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens,
3. die Schutzwürdigkeit des Privatlebens,
4. der Grad der Integration,
5. die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden,
6. die strafgerichtliche Unbescholtenheit,
7. Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts,
8. die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren,
9. die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.
(3) Über die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist jedenfalls begründet, insbesondere im Hinblick darauf, ob diese gemäß Abs. 1 auf Dauer unzulässig ist, abzusprechen. Die Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist nur dann auf Dauer, wenn die ansonsten drohende Verletzung des Privat- und Familienlebens auf Umständen beruht, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend sind. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG schon allein auf Grund des Privat- und Familienlebens im Hinblick auf österreichische Staatsbürger oder Personen, die über ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht oder ein unbefristetes Niederlassungsrecht (§ 45 oder §§ 51 ff Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG), BGBl. I Nr. 100/2005) verfügen, unzulässig wäre.“
Es ist sohin zunächst zu prüfen, ob der weitere Aufenthalt des Beschwerdeführers zur Aufrechterhaltung seines Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK geboten wäre.
Nach ständiger Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes ist bei einem mehr als zehn Jahre dauernden inländischen Aufenthalt des Fremden regelmäßig von einem Überwiegen der persönlichen Interessen an einem Verbleib in Österreich auszugehen. Nur dann, wenn der Fremde die in Österreich verbrachte Zeit überhaupt nicht genützt hat, um sich sozial und beruflich zu integrieren, wurden Aufenthaltsbeendigungen ausnahmsweise auch nach so langem Inlandsaufenthalt noch für verhältnismäßig angesehen (vgl. aus jüngerer Zeit etwa VwGH 19.12.2019, Ra 2019/21/0282, Rn 12, mwN). Letzteres trifft auf den Beschwerdeführer schon aufgrund seiner Ausbildung zum Psychotherapeuten und der vorgelegten Empfehlungsschreiben nicht zu (vgl. dazu etwa VwGH, 30.04.2020, Ra 2019/21/0134).
Jedoch ist auch bei einem mehr als zehnjährigen Inlandsaufenthalt in Verbindung mit dem Vorliegen gewisser integrationsbegründender Aspekte dann nicht zwingend von einem Überwiegen des persönlichen Interesses auszugehen, wenn dem Umstände entgegenstehen, die das gegen einen Verbleib im Inland sprechende öffentliche Interesse verstärken bzw. die Länge der Aufenthaltsdauer im Inland relativieren (vgl. wiederum VwGH 19.12.2019, Ra 2019/21/0282, Rn 14, mit dem Hinweis auf die beispielhafte Aufzählung in VwGH 17.10.2016, Ro 2016/22/0005).
Je länger der Aufenthalt eines Fremden im Bundesgebiet andauert, desto weniger Gewicht wird dem öffentlichen Interesse zugemessen. War der Verwaltungsgerichtshof bei einem elfjährigen Aufenthalt aufgrund von wiederholten Asylantragstellungen, die mit Zurückweisung wegen entschiedener Sache endeten, einer strafgerichtlichen Verurteilung, der Missachtung melderechtlicher Vorschriften sowie des wiederholt unbekannten Aufenthalts des Fremden davon ausgegangen, dass die Judikaturlinie der „Zehn-Jahres-Grenze“ nicht zum Tragen kommt (VwGH, 30.04.2020, Ra 2019/21/0374), war er bei einer Gesamtaufenthaltsdauer von fünfzehneinhalb Jahren davon ausgegangen, dass das Stellen zweier unbegründeter Asylanträge und Vereitelungshandlungen bei der Erlangung eines Heimreisezertifikats „angesichts dessen nicht überzubewerten“ seien (VwGH, 30.04.2020, Ra 2019/21/0134).
Es ist daher zu berücksichtigen, ob die „Zehnjahresgrenze“ nicht bloß geringfügig, sondern deutlich überschritten wurde (vgl. dazu auch VwGH 24.10.2019, Ra 2019/21/0177, Rn 9, mwN).
Im gegenständlichen Fall hält sich der Beschwerdeführer ebenfalls seit etwa fünfzehneinhalb Jahren im Bundesgebiet auf. Gegen die Anwendung der Judikaturlinie der „Zehn-Jahres-Grenze“ spricht insbesondere, dass er seiner Ausreiseverpflichtung (trotz zweier negativer Asylentscheidung und der Zurückweisung seines Antrages auf Erteilung eines Aufenthaltstitels) beharrlich nicht nachgekommen ist, dass er in den ersten sechs Jahren seines Aufenthaltes eine falsche Identität verwendete, dass er noch 2018 erklärte, nicht an der Erlangung eines Heimreisezertifikates mitwirken zu wollen und falsche Angaben zu seiner Familie machte, dass er seit zehn Jahren ohne Beschäftigungsbewilligung als Zeitungszusteller arbeitet und dass er seiner Versicherungs- und Einkommenssteuerpflicht nicht nachkommt.
Grundsätzlich kommen „Vereitelungshandlungen“ in Betracht, um die Länge der Aufenthaltsdauer eines Fremden im Inland relativieren. Dazu ist allerdings festzuhalten, dass diese Handlungen insbesondere im Zeitraum bis 2011 vorlagen, als der Beschwerdeführer einen falschen Namen verwendete. Aus Sicht der erkennenden Richterin wirkt der Beschwerdeführer zwar noch immer nicht umfassend am Verfahren mit, macht er immer wieder falsche Angaben und kommt er seinen Versicherungspflichten und Steuerpflichten nicht nach, so dass es durchaus ein starkes öffentliches Interesse an der Außerlandesbringung des Beschwerdeführers gibt. Allerdings darf im gegenständlichen Fall nicht außer Acht gelassen werden, dass sich den vorgelegten Verfahrensakten nicht entnehmen lässt, dass die Behörde selbst effektive Schritte gesetzt hätte, die dem Beschwerdeführer auferlegte Ausreiseverpflichtung durchzusetzen. So wurden zwar die beiden Asylverfahren durchaus rasch zum Abschluss gebracht, doch wurden keine nachhaltigen fremdenpolizeilichen Schritte gesetzt, um die mit 05.03.2010 rechtskräftige Ausweisung zu effektuieren. So wurde der Beschwerdeführer zwar am 02.07.2010 der nigerianischen Botschaft vorgeführt, weitere Maßnahmen (etwa nach Feststellung der tatsächlichen Identität im Zuge der Polizeikontrolle am 10.03.2011) sind bis zur Einvernahme am 27.02.2018 dem Akt nicht zu entnehmen. Dies stellt sich unter dem Gesichtspunkt des § 9 Abs. 2 Z 9 BFA-VG („Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist“) fallbezogen durchaus als beachtlich dar.
Soweit der Beschwerdeführer sich beharrlich weigerte, seiner Verpflichtung zum Verlassen Österreichs nachzukommen, ist darauf hinzuweisen, dass die bloße Nichtbefolgung eines Ausreisebefehls letztlich in einem Fall wie dem vorliegenden, der durch eine zehn Jahre deutlich übersteigende Dauer des inländischen Aufenthaltes gekennzeichnet ist, nicht von Belang ist (vgl. VwGH, 06.04.2020, Ra 2020/20/0055, VwGH 19.12.2019, Ra 2019/21/0243, Rn. 13).
Zusammengefasst kommt die erkennende Richterin zum Schluss, dass trotz der Vereitelungshandlungen und des nicht rechtskonformen Verhaltens des Beschwerdeführers hinsichtlich seiner beruflichen Tätigkeiten aufgrund des Behördenversagens hinsichtlich der Effektuierung der bereits 2010 (zum zweiten Mal) ausgesprochenen Ausweisung die Judikaturlinie der „Zehn-Jahres-Grenze“ zum Tragen kommt. Wie bereits dargelegt, kann angesichts der beruflichen Ausbildung und Tätigkeit als Psychotherapeut nicht davon gesprochen werden, dass der Beschwerdeführer die in Österreich verbrachte Zeit überhaupt nicht genützt hat, um sich sozial und beruflich zu integrieren, so dass die Erlassung einer Rückkehrentscheidung nicht verhältnismäßig wäre. In einer Gesamtschau und Abwägung aller Umstände ist das Interesse an der – nicht nur vorübergehenden – Fortführung des Privatlebens des Beschwerdeführers in Österreich demnach höher zu bewerten als das öffentliche Interesse an einer Aufenthaltsbeendigung.
Da im Hinblick auf die oben dargelegten Abwägungen zum Entscheidungszeitpunkt das Interesse der beschwerdeführenden Partei an der Aufrechterhaltung des Privatlebens in Österreich im konkreten Fall die in Art. 8 Abs. 2 EMRK angeführten öffentlichen Interessen überwiegt und die Erlassung einer Rückkehrentscheidung einen nicht nur vorübergehenden Eingriff in das Recht auf Privat- und Familienleben darstellen würde, war der Beschwerde gegen Spruchpunkt II. stattzugeben und gemäß § 9 Abs. 3 BFA-VG festzustellen, dass eine Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig ist.
Erfüllt der Drittstaatsangehörige das Modul 1 der Integrationsvereinbarung gemäß § 9 Integrationsgesetz (IntG) oder übt er zum Entscheidungszeitpunkt eine erlaubte Erwerbstätigkeit aus, mit deren Einkommen die monatliche Geringfügigkeitsgrenze nach § 5 Abs. 2 ASVG erreicht wird, so ist nach dem ersten Absatz des § 55 AsylG 2005 eine „Aufenthaltsberechtigung plus“ auszustellen, andernfalls nach dem zweiten Absatz dieser Bestimmung nur eine „Aufenthaltsberechtigung“, mit der (auf beschäftigungsrechtlicher Ebene) ein geringerer Berechtigungsumfang verbunden ist.
§ 9 Abs. 4 Integrationsgesetz lautet auszugsweise:
Das Modul 1 der Integrationsvereinbarung ist erfüllt, wenn der Drittstaatsangehörige
1. einen Nachweis des Österreichischen Integrationsfonds über die erfolgreiche Absolvierung der Integrationsprüfung gemäß § 11 vorlegt,
(Anm.: Z 2 aufgehoben durch Art. III Z 15, BGBl. I Nr. 41/2019)
3. über einen Schulabschluss verfügt, der der allgemeinen Universitätsreife im Sinne des § 64 Abs. 1 Universitätsgesetz 2002, BGBl. I Nr. 120/2002, oder einem Abschluss einer berufsbildenden mittleren Schule entspricht,
4. (…)
Der Beschwerdeführer legte keine Integrationsprüfung ab und legte auch kein Maturazeugnis vor. Allerdings kann die allgemeine Universitätsreife nach dem § 64 Abs. 1 Universitätsgesetz auch durch „eine Urkunde über den Abschluss eines mindestens dreijährigen Studiums an einer anerkannten inländischen oder ausländischen postsekundären Bildungseinrichtung“ nachgewiesen werden. Zu postsekundären Bildungseinrichtungen gehören auch Privatuniversitäten, so dass das Bakkalaureatszeugnis des Beschwerdeführers an der SFU als Nachweis für die Erfüllung des Moduls 1 der Integrationsvereinbarung anzusehen und ihm eine „Aufenthaltsberechtigung plus“ auszustellen ist. Daher war der Beschwerde gegen Spruchpunkt I. stattzugeben und ihm eine „Aufenthaltsberechtigung plus“ zuzuerkennen.
Die Ausstellung des Aufenthaltstitels auf Grund dieser Entscheidung ist gemäß § 58 Abs. 7 AsylG 2005 vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) unter persönlicher Mitwirkung des Beschwerdeführers vorzunehmen und ihm der Aufenthaltstitel sodann auszufolgen.
Die auf der Rückkehrentscheidung aufbauenden Spruchpunkte III. und IV. des angefochtenen Bescheides waren zu beheben.
3.4. Unzulässigkeit der Revision (Spruchpunkt B.):
Gemäß § 25a Abs. 1 Verwaltungsgerichtshofgesetz 1985 (VwGG), BGBl. Nr. 10/1985 idgF, hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision gegen die gegenständliche Entscheidung ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor. Konkrete Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung sind weder in der gegenständlichen Beschwerde vorgebracht worden noch im Verfahren vor dem BVwG hervorgekommen.
Schlagworte
Aufenthaltsberechtigung plus Aufenthaltstitel Aufenthaltstitel aus Gründen des Art. 8 EMRK befristete Aufenthaltsberechtigung ersatzlose Teilbehebung Integration Integrationsvereinbarung Integrationsverfestigung Interessenabwägung Kassation öffentliche Interessen Privat- und Familienleben private Interessen Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig Rückkehrentscheidung behoben SpruchpunktbehebungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2021:I403.2232076.1.00Im RIS seit
04.03.2021Zuletzt aktualisiert am
04.03.2021