TE Bvwg Erkenntnis 2021/1/29 L512 1430358-2

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Veröffentlicht am 29.01.2021
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Entscheidungsdatum

29.01.2021

Norm

AsylG 2005 §54 Abs1 Z1
AsylG 2005 §55 Abs1
AsylG 2005 §58 Abs2
BFA-VG §9 Abs2
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs9
FPG §55
VwGVG §28 Abs2

Spruch


L512 1430358-2/40E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Marlene JUNGWIRT als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. der Volksrepublik Bangladesch, vertreten durch die Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen, gegen die Spruchpunkte IV., V. und VI. des Bescheides des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Wien, Außenstelle Wien, vom XXXX , Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am XXXX , zu Recht erkannt:

A) I.) Es wird gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG und § 9 Abs. 2 BFA-VG festgestellt, dass eine Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig ist.

II. Gemäß § 54 Abs. 1 Z 1, § 58 Abs. 2 iVm § 55 Abs. 1 AsylG 2005 wird XXXX eine "Aufenthaltsberechtigung plus" für die Dauer von 12 Monaten erteilt.

III.) Der Beschwerde wird hinsichtlich der Spruchpunkte V. und VI. stattgegeben und diese ersatzlos behoben.

B) Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

I.1. Der Beschwerdeführer (in weiterer Folge kurz als „BF“ bezeichnet), ein Staatsangehöriger der Volksrepublik Bangladesch, (in weiterer Folge „Bangladesch“ genannt), stellte nach nicht rechtmäßiger Einreise am 11.10.2012 vor Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes einen Antrag auf internationalen Schutz.

Der Antrag des BF auf internationalen Schutz wurde mit Bescheid des damals zuständigen Bundesasylamtes (kurz: BAA) vom XXXX , Az.: XXXX , gemäß § 3 Abs 1 AsylG 2005 iVm § 2 Absatz 1 Ziffer 13 AsylG 2005 bezüglich des Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten abgewiesen (Spruchpunkt I.). Gem. § 8 Abs 1 AsylG iVm § 2 Absatz 1 Ziffer 13 AsylG 2005 wurde der Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Bangladesch nicht zugesprochen (Spruchpunkt II.) Gemäß § 10 Absatz 1 AsylG 2005 wurde der BF aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Bangladesch ausgewiesen (Spruchpunkt III.) (AS 75 ff.).

Der vom BF gegen den Bescheid des BAA vom XXXX fristgerecht eingebrachten Beschwerde des BF wurde mit Beschluss des Bundesverwaltungsgerichtes vom XXXX , GZ: XXXX , insofern Folge geleistet, dass der bekämpfte Bescheid behoben und die Angelegenheit gemäß § 28 Abs 3 VwGVG zur Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (kurz: BFA) zurückverwiesen wurde. Zusammengefasst wurde ausgeführt, dass die erfolgte Beweiswürdigung unschlüssig und mangelhaft sei.

Im Zuge einer weiteren Einvernahme am 04.04.2017 seitens des BFA wurde der BF neuerlich zu seinem Fluchtvorbringen, seiner Rückkehrsituation sowie seinen familiären und privaten Verhältnissen in Österreich befragt.

I.2. Der Antrag des BF auf internationalen Schutz wurde folglich mit im Spruch genannten Bescheid der belangten Behörde gemäß § 3 Abs 1 AsylG 2005 abgewiesen und der Status eines Asylberechtigten nicht zuerkannt (Spruchpunkt I.). Gem. § 8 Abs 1 AsylG wurde der Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Bangladesch nicht zugesprochen (Spruchpunkt II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG wurde nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen den BF eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.) und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass eine Abschiebung nach Bangladesch gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkt V.). Gemäß § 55 Absatz 1 bis 3 FPG wurde die Frist zur freiwilligen Ausreise mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung angesetzt (Spruchpunkt VI.) (AS 321 ff.).

I.2.1. Im Rahmen der Beweiswürdigung erachtete die belangte Behörde das Vorbringen des BF als nicht glaubwürdig bzw. nicht asylrelevant.

I.2.2. Zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage in Bangladesch traf die belangte Behörde ausführliche, aktuelle Feststellungen mit nachvollziehbaren Quellenangaben.

I.2.3. Rechtlich führte die belangte Behörde aus, dass weder ein unter Art. 1 Abschnitt A Ziffer 2 der GKF noch unter § 8 Abs. 1 AsylG zu subsumierender Sachverhalt hervorkam. Es hätten sich weiters keine Hinweise auf einen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG ergeben und stelle die Rückkehrentscheidung auch keinen ungerechtfertigten Eingriff in Art. 8 EMRK (§ 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005) dar. Zudem sei die Abschiebung zulässig, da kein Sachverhalt im Sinne des § 50 Abs 1, 2 und 3 FPG vorliege. Eine Frist für die freiwillige Ausreise bestehe in Höhe von 14 Tagen, da keine Gründe im Sinne des nach § 55 Abs 1 a FPG vorliegen würden.

I.3. Gegen diesen Bescheid wurde innerhalb offener Frist wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes sowie Verletzung von wesentlichen Verfahrensvorschriften Beschwerde erhoben (AS 407 ff.).

I.4. Mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom XXXX , GZ: XXXX , wurde die Beschwerde des BF gemäß § 3 Abs. 1, § 8 Abs. 1, § 10 Abs. 1 Z 3, § 57 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG sowie § 52 Abs. 2 Z 2 und Abs. 9, § 46 und § 55 FPG 2005 als unbegründet abgewiesen. Die Revision wurde gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG für nicht zulässig erachtet.

I.5. Der BF bzw. seine rechtsfreundliche Vertretung haben gegen das Erkenntnis vom XXXX , GZ: XXXX , außerordentliche Revision beim Verwaltungsgerichtshof erhoben. Der Verwaltungsgerichtshof hat mit Beschluss vom XXXX , Zl. XXXX , die Revision zurückgewiesen.

I.6. Der BF bzw. seine rechtsfreundliche Vertretung haben gegen das Erkenntnis vom XXXX , GZ: XXXX , Beschwerde beim Verfassungsgerichtshof erhoben. Mit Beschluss vom XXXX , Zl. XXXX , wurde dem Antrag der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen gemäß § 85 Abs. 2 und 4 VfGG Folge gegeben.

I.7. Mit Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom XXXX , Zl. XXXX , wurde das Erkenntnis insoweit behoben, dass damit die Rückkehrentscheidung der belangten Behörde bestätigt wird. Im Übrigen wurde die Behandlung der Beschwerde abgelehnt.

I.8. Hinsichtlich des Verfahrensherganges im Detail wird auf den Akteninhalt verwiesen.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

II.1.1. Der Beschwerdeführer

Beim BF handelt es sich um einen männlichen, bengalischen Staatsbürger, welcher aus dem Distrikt Dhaka stammt und die Sprachen Bengali, Urdu, Hindi und ein bisschen Englisch spricht. Der BF gehört der Volksgruppe der Bengalen und dem moslemisch/sunnitischen Glauben an. Der BF verfügt über eine mehrjährige schulische Ausbildung in Bangladesch.

Der BF ist somit Drittstaatsangehöriger.

Der BF ist ein lediger Mann mit bestehenden familiären Anknüpfungspunkten im Herkunftsstaat und einer – wenn auch auf niedrigerem Niveau als in Österreich - gesicherten Existenzgrundlage.

Familienangehörige des BF – die Eltern, ein Bruder und zwei Schwestern des BF - leben nach wie vor im Herkunftsstaat des BF. Der BF hat zu seiner Familie derzeit keinen Kontakt. Vor seiner Ausreise aus Bangladesch ging der BF keiner Arbeit nach. Der BF wurde vor seiner Ausreise aus Bangladesch von seiner Familie unterstützt.

Der BF ist gesund und arbeitsfähig.

Der BF möchte offensichtlich sein künftiges Leben in Österreich gestalten.

Der BF hat keine Verwandten in Österreich.

Der BF bezog im Zeitraum vom XXXX bis XXXX Leistungen aus der Grundversorgung für Asylwerber.

Der BF hat im Zeitraum vom XXXX bis XXXX eine Lehre als XXXX absolviert und die Berufsschule besucht. Der BF hat die Lehrabschlussprüfung anfänglich nicht bestanden, im XXXX hat der BF die Lehrabschlussprüfung positiv beendet. Dem Arbeitgeber des BF wurde für den Zeitraum vom XXXX bis XXXX sowie XXXX bis XXXX und XXXX bis XXXX eine Beschäftigungsbewilligung für den BF erteilt. Der BF ist selbsterhaltungsfähig.

Der BF hat mehrere Deutschkurse besucht. Der BF hat die ÖSD Prüfung auf Niveau A2 mit „gut“, auf B1 Niveau mit „befriedigend“ bestanden.

Der BF wohnt mit einer weiteren Person in einer Mietwohnung.

Der BF ist Mitglied der XXXX , eines Fitnessvereines, des XXXX . Der BF beabsichtigt beim XXXX und bei der XXXX freiwillig zu arbeiten.

Der BF hat einen Bekannten- und Freundeskreis in Österreich. Der BF ist seit ca. XXXX in einer Beziehung zu Frau XXXX .

Der BF ist unbescholten.

Die Identität des BF steht nicht fest.

II.2. Beweiswürdigung:

II.2.1. Das erkennende Gericht hat durch den vorliegenden Verwaltungsakt Beweis erhoben und ein ergänzendes Ermittlungsverfahren sowie Beschwerdeverhandlungen durchgeführt.

Aufgrund des vorliegenden Verwaltungsaktes, des Ergebnisses des ergänzenden Ermittlungsverfahrens sowie der Beschwerdeverhandlung ist das erkennende Gericht in der Lage, sich vom entscheidungsrelevanten Sachverhalt ein ausreichendes und abgerundetes Bild zu machen.

II.2.2. Die Feststellungen zur Person des BF (Staatsangehörigkeit, Volksgruppen- und Religionszugehörigkeit, familiäre und private Feststellungen in Heimatland) ergeben sich – vorbehaltlich der Feststellungen zur Identität - aus seinen in diesem Punkt nicht widerlegten Angaben sowie seinen Sprach- und Ortskenntnissen.

Aufgrund der im Verfahren unterlassenen Vorlage eines unbedenklichen nationalen Identitätsdokuments bzw. sonstigen Bescheinigungsmittels konnte die Identität des BF nicht festgestellt werden. Soweit dieser namentlich genannt wird, legt das Gericht auf die Feststellung wert, dass dies lediglich der Identifizierung des BF als Verfahrenspartei dient, nicht jedoch eine Feststellung der Identität im Sinne einer Vorfragebeurteilung iSd § 38 AVG bedeutet.

Bezüglich des Gesundheitszustandes des BF ist anzumerken, dass sich aus den diesbezüglichen Angaben des BF im Verfahren aktuell ergibt, dass der BF an keiner lebensbedrohlichen Krankheit leidet und eine dauerhafte ärztlicher Behandlungsnotwendigkeit nicht gegeben ist. Der BF brachte vielmehr vor, dass er gesund sei.

Dass der BF in der Lage ist einer Arbeit nachzugehen und somit auch seinen Lebensunterhalt bestreiten kann, ergibt sich aus seinen eigenen Angaben. Der BF legte dar, dass er vor seiner Ausreise aus Bangladesch die Schule besuchte. In Österreich arbeitete der BF als XXXX und ist auch nunmehr in der XXXX tätig.

Dass der BF lediglich ein paar Tage von Leistungen der Grundversorgung für Asylwerber lebte bzw. danach seinen Lebensunterhalt selbst bestritt, ist dem Betreuungsinformationssystem sowie den diesbezüglich gleichlautenden Angaben des BF zu entnehmen.

Dass der Beschwerdeführer seit dem XXXX eine Lehre als XXXX absolvierte und die Berufsschule besuchte, ist unter anderem der Lehrvertragsanmeldung bei der XXXX vom XXXX , den Lohn- und Gehaltsabrechnungen, den Lohn- und Beitragsgrundlagennachweisen, den Versicherungsdatenauszügen, der Schulnachricht sowie Jahreszeugnissen der Berufsschule für XXXX , dem Schreiben der Berufsschule für XXXX vom XXXX , den vom BF vorgelegten Unterstützungs- bzw. Empfehlungsschreiben zu entnehmen.

Die anfänglich erfolgslose Ablegung der Lehrabschlussprüfung lässt sich anhand der Mittteilung des zuständigen Arbeitsmarktservice sowie den Angaben des BF ableiten. Dass der BF die Lehrabschlussprüfung dann doch positiv beendet, geht aus dem Zertifikat der XXXX vom XXXX hervor.

Dass der BF im Besitz einer Beschäftigungsbewilligung ist, geht aus den Bescheiden des Arbeitsmarktservice hervor.

Der Besuch von Deutschqualifizierungsmaßnahmen und die Absolvierung von diesbezüglichen Prüfungen ist den diesbezüglichen Zertifikaten und Aussagen des BF zu entnehmen.

Die Mitgliedschaft bei Vereinen in Österreich lässt sich anhand der vorgelegten Bestätigungen ableiten und deckt sich mit den Angaben des BF im Verfahren. Die Wohnverhältnisse des BF ergeben sich aus seinen eigenen Angaben.

Das Bestehen eines Freundes- und Bekanntenkreises erschließt sich aus den Unterstützungs- bzw. Empfehlungsschreiben. Dass der BF eine Freundin hat, ergibt sich aus der schriftlichen Stellungnahme vom 16.08.2019.

Dass der BF in Österreich unbescholten ist, geht aus dem Strafregister der Republik Österreich hervor.

II.3. Rechtliche Beurteilung:

II.3.1. Zuständigkeit, Entscheidung durch den Einzelrichter, Anzuwendendes Verfahrensrecht

Gemäß § 7 Abs. 1 Z 1 des Bundesgesetzes, mit dem die allgemeinen Bestimmungen über das Verfahren vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zur Gewährung von internationalem Schutz, Erteilung von Aufenthaltstiteln aus berücksichtigungswürdigen Gründen, Abschiebung, Duldung und zur Erlassung von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen sowie zur Ausstellung von österreichischen Dokumenten für Fremde geregelt werden (BFA-Verfahrensgesetz – BFA-VG), BGBl I 87/2012 idgF entscheidet das Bundesverwaltungsgericht über Beschwerden gegen Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl.

Gemäß § 6 des Bundesgesetzes über die Organisation des Bundesverwaltungsgerichtes (Bundesverwaltungsgerichtsgesetz – BVwGG), BGBl I 10/2013 entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.

Gegenständlich liegt somit mangels anderslautender gesetzlicher Anordnung in den anzuwendenden Gesetzen Einzelrichterzuständigkeit vor.

Zu A)

II.3.2. Frage der Erteilung eines Aufenthaltstitels und Erlassung einer Rückkehrentscheidung

II.3.2.1. Gemäß § 52 Abs 2 Z 2 FPG ist gegen einen Drittstaatsangehörigen eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn dessen Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird und ihm kein Aufenthaltsrecht nach anderen Bundesgesetzen zukommt. Dies gilt nicht für begünstigte Drittstaatsangehörige.

Gemäß § 52 Abs 3 FPG ist unter einem mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn dessen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß §§ 55, 56 oder 57 AsylG 2005 zurück- oder abgewiesen wird.

Gemäß § 9 Abs 1 BFA-VG wird durch eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG, eine Ausweisung gemäß § 66 FPG oder ein Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen. Die Erlassung der Entscheidung ist zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.

Gemäß § 9 Abs 2 BFA-VG sind bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK insbesondere zu berücksichtigen:

1.       die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war,

2.       das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens,

3.       die Schutzwürdigkeit des Privatlebens,

4.       der Grad der Integration,

5.       die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden,

6.       die strafgerichtliche Unbescholtenheit,

7.       Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts,

8.       die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren,

9.       die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.

Gemäß § 9 Abs 3 AsylG ist über die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG jedenfalls begründet, insbesondere im Hinblick darauf, ob diese gemäß Abs. 1 auf Dauer unzulässig ist, abzusprechen. Die Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist nur dann auf Dauer, wenn die ansonsten drohende Verletzung des Privat- und Familienlebens auf Umständen beruht, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend sind.

II.3.2.2. Bei der Setzung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme, wie hier der Rückkehrentscheidung, kann folglich ein ungerechtfertigter Eingriff in das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens des Fremden iSd. Art. 8 Abs. 1 EMRK vorliegen. Daher muss überprüft werden, ob sie einen Eingriff und in weiterer Folge eine Verletzung des Privat- und/oder Familienlebens des Fremden darstellt.

Vom Begriff des 'Familienlebens' in Art. 8EMRK ist nicht nur die Kleinfamilie von Eltern und (minderjährigen) Kindern umfasst, sondern zB auch Beziehungen zwischen Geschwistern (EKMR 14.3.1980, B 8986/80, EuGRZ 1982, 311) und zwischen Eltern und erwachsenen Kindern (etwa EKMR 6.10.1981, B 9202/80, EuGRZ 1983, 215). Dies allerdings nur unter der Voraussetzung, dass eine gewisse Beziehungsintensität vorliegt.

Es kann nämlich nicht von vornherein davon ausgegangen werden, dass zwischen Personen, welche miteinander verwandt sind, immer auch ein ausreichend intensives Familienleben iSd Art. 8EMRK besteht, vielmehr ist dies von den jeweils gegebenen Umständen, von der konkreten Lebenssituation abhängig.

Artikel 8 EMRK schützt das Privatleben umfassend und sichert dem Einzelnen einen Bereich,

innerhalb dessen er seine Persönlichkeit frei entfalten kann.

II.3.2.3. Der BF möchte offensichtlich sein künftiges Leben in Österreich gestalten. Der BF hat keine Verwandten in Österreich. Der BF bezog im Zeitraum vom XXXX bis XXXX Leistungen aus der Grundversorgung für Asylwerber. Der BF hat im Zeitraum vom XXXX bis XXXX eine Lehre als XXXX absolviert und die Berufsschule besucht. Der BF hat die Lehrabschlussprüfung anfänglich nicht bestanden, im XXXX hat der BF die Lehrabschlussprüfung positiv beendet. Dem Arbeitgeber des BF wurde für den Zeitraum vom XXXX bis XXXX sowie XXXX bis XXXX und XXXX bis XXXX eine Beschäftigungsbewilligung für den BF erteilt. Der BF ist selbsterhaltungsfähig. Der BF hat mehrere Deutschkurse besucht. Der BF hat die ÖSD Prüfung auf Niveau A2 mit „gut“, auf B1 Niveau mit „befriedigend“ bestanden. Der BF wohnt mit einer weiteren Person in einer Mietwohnung. Der BF ist Mitglied der XXXX , eines Fitnessvereines, des XXXX . Der BF beabsichtigt beim XXXX und bei der XXXX freiwillig zu arbeiten. Der BF hat einen Bekannten- und Freundeskreis in Österreich. Der BF ist seit ca. XXXX in einer Beziehung zu Frau XXXX . Der BF ist unbescholten.

II.3.2.4. Gem. Art. 8 Abs. 2 EMRK ist der Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung des Rechts auf das Privat- und Familienleben nur statthaft, insoweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, welche in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, der Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.

Zweifellos handelt es sich sowohl beim BFA als auch beim ho. Gericht um öffentliche Behörden im Sinne des Art. 8 Abs. 2 EMRK und ist der Eingriff in § 10 AsylG gesetzlich vorgesehen.

Es ist in weiterer Folge zu prüfen, ob ein Eingriff in das Recht auf Achtung des Privat- und/oder Familienlebens des BF im gegenständlichen Fall durch den Eingriffsvorbehalt des Art. 8 EMRK gedeckt ist und ein in einer demokratischen Gesellschaft legitimes Ziel, nämlich die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung iSv. Art. 8 Abs. 2 EMRK, in verhältnismäßiger Weise verfolgt.

II.3.2.5. Im Einzelnen ergibt sich Folgendes:

Fallbezogen wird auf das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom XXXX , Zl. XXXX , wonach darin festgehalten wurde, dass die privaten Interessen des BF für den weiteren Verbleib des BF in Österreich sprechen und die öffentlichen Interessen an einer Aufenthaltsbeendigung überwiegen.

II.3.3. Gemäß § 58 Abs. 2 AsylG 2005 ist die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 55 von Amts wegen zu prüfen, wenn eine Rückkehrentscheidung auf Grund des § 9 Abs. 1 bis 3 BFA-VG auf Dauer für unzulässig erklärt wird.

§ 55 AsylG 2005 samt Überschrift lautet:

"Aufenthaltstitel aus Gründen des Art. 8 EMRK

§ 55. (1) Im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen ist von Amts wegen oder auf begründeten Antrag eine „Aufenthaltsberechtigung plus“ zu erteilen, wenn
1.         dies gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK geboten ist und
2.         der Drittstaatsangehörige das Modul 1 der Integrationsvereinbarung gemäß § 9 Integrationsgesetz (IntG), BGBl. I Nr. 68/2017, erfüllt hat oder zum Entscheidungszeitpunkt eine erlaubte Erwerbstätigkeit ausübt, mit deren Einkommen die monatliche Geringfügigkeitsgrenze (§ 5 Abs. 2 Allgemeines Sozialversicherungsgesetz (ASVG), BGBl. Nr. 189/1955) erreicht wird.

(2) Liegt nur die Voraussetzung des Abs. 1 Z 1 vor, ist eine „Aufenthaltsberechtigung“ zu erteilen.

Der Beschwerdeführer erfüllt die Voraussetzung des § 55 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005.

Das Modul 1 der Integrationsvereinbarung ist gemäß § 9 Abs. 4 Integrationsgesetz erfüllt, wenn der Drittstaatsangehörige einen Nachweis des Österreichischen Integrationsfonds über die erfolgreiche Absolvierung der Integrationsprüfung gemäß § 11 vorlegt, über einen Schulabschluss verfügt, der der allgemeinen Universitätsreife im Sinne des § 64 Abs. 1 Universitätsgesetz 2002, BGBl. I Nr. 120/2002, oder einem Abschluss einer berufsbildenden mittleren Schule entspricht,  einen Aufenthaltstitel „Rot-Weiß-Rot – Karte“ gemäß § 41 Abs. 1 oder 2 NAG besitzt oder  als Inhaber eines Aufenthaltstitels „Niederlassungsbewilligung – Künstler“ gemäß § 43a NAG eine künstlerische Tätigkeit in einer der unter § 2 Abs. 1 Z 1 bis 3 Kunstförderungsgesetz, BGBl. I Nr. 146/1988, genannten Kunstsparte ausübt; bei Zweifeln über das Vorliegen einer solchen Tätigkeit ist eine diesbezügliche Stellungnahme des zuständigen Bundesministers einzuholen.

Das Modul 1 dient gemäß § 7 Absatz 2 Integrationsgesetz dem Erwerb von Kenntnissen der deutschen Sprache zur vertieften elementaren Sprachverwendung auf dem Sprachniveau A2 gemäß dem Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmen für Sprachen und der Vermittlung der grundlegenden Werte der Rechts- und Gesellschaftsordnung. Die näheren Bestimmungen zu den Inhalten der Module 1 und 2 der Integrationsvereinbarung hat der Bundesminister für Europa, Integration und Äußeres durch Verordnung festzulegen.

§ 11 Integrationsgesetz lautet:

„§ 11 (1) Die Integrationsprüfung zur Erfüllung des Moduls 1 wird bundesweit nach einem einheitlichen Maßstab vom Österreichischen Integrationsfonds durchgeführt.

(2) Die Prüfung umfasst Sprach- und Werteinhalte. Mit der Prüfung ist festzustellen, ob der Drittstaatsangehörige über vertiefte elementare Kenntnisse der deutschen Sprache zur Kommunikation und zum Lesen und Schreiben von Texten des Alltags auf dem Sprachniveau A2 gemäß dem Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmen für Sprachen und über Kenntnisse der grundlegenden Werte der Rechts- und Gesellschaftsordnung der Republik Österreich verfügt. Der Prüfungserfolg ist mit „Bestanden“ oder „Nicht bestanden“ zu beurteilen. Zur erfolgreichen Absolvierung der Prüfung muss sowohl das Wissen über Sprach- sowie über Werteinhalte nachgewiesen werden. Wiederholungen von nicht bestandenen Prüfungen sind zulässig. Die Wiederholung von einzelnen Prüfungsinhalten ist nicht zulässig.

(3) Der Prüfungsinhalt, die Modalitäten der Durchführung, die Qualifikationen der Prüfer sowie die Prüfungsordnung zur Erfüllung des Moduls 1 werden durch Verordnung der Bundesministerin für Europa, Integration und Äußeres festgelegt.“

Übergangsbestimmung:

§ 81 Absatz 36 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) lautet:

„Das Modul 1 der Integrationsvereinbarung gemäß § 9 IntG gilt als erfüllt, wenn Drittstaatsangehörige das Modul 1 der Integrationsvereinbarung gemäß § 14a in der Fassung vor dem Bundesgesetz BGBl. I Nr. 68/2017 vor dem Zeitpunkt des Inkrafttretens des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 68/2017 erfüllt haben oder von der Erfüllung ausgenommen waren.“

Der BF hat die Prüfung zum Österreichischen Sprachdiplom B1 am XXXX bestanden und sohin das Modul 1 der Integrationsvereinbarung vor dem Zeitpunkt des Inkrafttretens des Integrationsgesetzes mit 01.10.2017 erfüllt. Es reicht im gegenständlichen Fall sohin der Nachweis des Erwerbs von Kenntnissen der deutschen Sprache zur vertieften elementaren Sprachverwendung auf dem Sprachniveau B1 und ist die Vorlage eines Nachweises hinsichtlich der Vermittlung der grundlegenden Werte der Rechts- und Gesellschaftsordnung nicht erforderlich. Es liegen sohin die Voraussetzungen des § 55 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 iVm § 9 Absatz 4 Integrationsgesetz iVm § 11 Absatz 2 Integrationsgesetz iVm § 81 Absatz 36 NAG vor und ist dem BF somit gemäß § 55 Abs. 1 AsylG 2005 der Aufenthaltstitel "Aufenthaltsberechtigung plus" zu erteilen.

Gemäß § 54 Abs. 1 AsylG 2005 werden Drittstaatsangehörigen folgende Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen erteilt:
1.         „Aufenthaltsberechtigung plus“, die zu einem Aufenthalt im Bundesgebiet und zur Ausübung einer selbständigen und unselbständigen Erwerbstätigkeit gemäß § 17 Ausländerbeschäftigungsgesetz (AuslBG), BGBl. Nr. 218/1975 berechtigt,
2.         „Aufenthaltsberechtigung“, die zu einem Aufenthalt im Bundesgebiet und zur Ausübung einer selbständigen und einer unselbständigen Erwerbstätigkeit, für die eine entsprechende Berechtigung nach dem AuslBG Voraussetzung ist, berechtigt,
3.         „Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz“, die zu einem Aufenthalt im Bundesgebiet und zur Ausübung einer selbständigen und einer unselbständigen Erwerbstätigkeit, für die eine entsprechende Berechtigung nach dem AuslBG Voraussetzung ist, berechtigt.

Gemäß Abs. 2 leg. cit. sind diese Aufenthaltstitel für die Dauer von zwölf Monaten beginnend mit dem Ausstellungsdatum auszustellen.

Da die Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 55 AsylG 2005 im Falle des BF in Folge des Ausspruches der dauerhaften Unzulässigkeit einer diese betreffenden Rückkehrentscheidung gegeben ist, und darüber hinaus der BF Deutschkenntnisse zumindest auf dem Niveau A2 iSd § 14a Abs. 4 NAG in der Fassung vor dem Bundesgesetz BGBl. I Nr. 68/2017 nachweisen konnte, war spruchgemäß zu entscheiden.

Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl hat dem BF den Aufenthaltstitel gemäß § 58 Abs. 7 AsylG 2005 auszufolgen, der BF hat hieran gemäß § 58 Abs. 11 AsylG 2005 mitzuwirken. Der Aufenthaltstitel gilt gemäß § 54 Abs. 2 AsylG 2005 zwölf Monate lang, beginnend mit dem Ausstellungsdatum.

II.3.4. Zur ersatzlosen Behebung des Spruchpunkt IV. des angefochtenen Bescheides

Da die Spruchpunkte V. und IV. des im Spruch bezeichneten Bescheides voraussetzt, dass eine Rückkehrentscheidung getroffen wird, ist dieser ohne weitere Prüfung ersatzlos zu beheben und ist insgesamt spruchgemäß zu entscheiden.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Aus den dem gegenständlichen Erkenntnis entnehmbaren Ausführungen geht hervor, dass das ho. Gericht in seiner Rechtsprechung im gegenständlichen Fall nicht von der bereits zitierten einheitlichen Rechtsprechung des VwGH abgeht.

Schlagworte

Aufenthaltsberechtigung plus Deutschkenntnisse Ersatzentscheidung ersatzlose Teilbehebung Integrationsvereinbarung Interessenabwägung private Interessen Privatleben Rechtsanschauung des VfGH Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig Selbsterhaltungsfähigkeit

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2021:L512.1430358.2.00

Im RIS seit

04.03.2021

Zuletzt aktualisiert am

04.03.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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