TE Vfgh Beschluss 2020/11/26 G256/2019

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Veröffentlicht am 26.11.2020
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Index

66/01 Allgemeines Sozialversicherungsgesetz

Norm

B-VG Art140 Abs1 Z1 litd
ASVG §255 Abs3, §273 Abs2
ZPO §63 ff
VfGG §7 Ab2

Leitsatz

Unzulässigkeit eines Parteiantrags auf Aufhebung bestimmter Wortfolgen des ASVG wegen zu engen Anfechtungsumfangs; gewährte Verfahrenshilfe im gerichtlichen Verfahren umfasst auch die Stellung eines Parteiantrags beim VfGH

Spruch

I. Der Antrag wird zurückgewiesen.

II. Der Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe wird zurückgewiesen.

Begründung

Begründung

I. Antrag

Gestützt auf Art140 Abs1 Z1 litd B-VG begehrt die Antragstellerin, in §255 Abs3 sowie in §273 Abs2 des Allgemeinen Sozialversicherungsgesetzes (ASVG), BGBl 189/1955 idF BGBl I 162/2015 (§255 Abs3) bzw BGBl I 122/2011 (§273 Abs2), jeweils die Wortfolge "auf dem Arbeitsmarkt" als verfassungswidrig aufzuheben.

II. Rechtslage

Die §§16a, 18a, 221, 222, 235, 236, 254, 255, 271 und 273 des Allgemeinen Sozialversicherungsgesetzes (ASVG), BGBl 189/1955 idF BGBl I 1/2002 (§16a), idF BGBl I 2/2015 (§18a), idF BGBl 704/1976 (§221), idF BGBl I 38/2017 (§222), idF BGBl I 83/2009 (§235), idF BGBl I 71/2003 (§236), idF BGBl I 29/2017 (§§254 und 271), idF BGBl I 162/2015 (§255) und idF BGBl I 122/2011 (§273), lauten wie folgt (die angefochtenen Wortfolgen sind hervorgehoben):

"Selbstversicherung in der Pensionsversicherung

§16a. (1) Personen, die das 15. Lebensjahr vollendet haben und nicht in einer gesetzlichen Pensionsversicherung pflicht- oder weiterversichert sind, können sich, solange ihr Wohnsitz im Inland gelegen ist, in der Pensionsversicherung selbstversichern. Ausgeschlossen von dieser Selbstversicherung sind jedoch Personen, die auf Grund eines Antrages nach §5 GSVG von der Pflichtversicherung in der Pensionsversicherung ausgenommen sind.

(2) Von der Selbstversicherung sind Personen für die Zeit ausgeschlossen, während der sie

1. zu einer Weiterversicherung in der Pensionsversicherung berechtigt sind oder gemäß §17 Abs1 Z1 berechtigt wären,

2. einen bescheidmäßig zuerkannten Anspruch auf eine monatlich wiederkehrende Geldleistung aus einer eigenen gesetzlichen Pensionsversicherung oder nach einem Sozialhilfegesetz der Länder haben oder

3. in einem öffentlich-rechtlichen oder unkündbaren privatrechtlichen Dienstverhältnis zu einer öffentlich-rechtlichen Körperschaft oder zu von solchen Körperschaften verwalteten Betrieben, Anstalten, Stiftungen und Fonds stehen, wenn ihnen aus ihrem Dienstverhältnis die Anwartschaft auf Ruhe- und Versorgungsgenuß zusteht oder die auf Grund eines solchen Dienstverhältnisses einen Ruhe(Versorgungs)genuß beziehen, der den Leistungen der Pensionsversicherung nach diesem Bundesgesetz gleichwertig ist (§6).

(3) Die Selbstversicherung beginnt, unbeschadet der Bestimmungen des §225 Abs1 Z3, mit dem Zeitpunkt, den der Versicherte wählt, spätestens jedoch mit dem Monatsersten, der auf die Antragstellung folgt. War der Antragsteller in der Pensionsversicherung nach diesem Bundesgesetz

1. bereits versichert, so ist der Antrag bei dem Träger der Pensionsversicherung einzubringen, bei dem er zuletzt versichert war; war er zuletzt in mehreren Pensionsversicherungen nach diesem Bundesgesetz versichert, steht es ihm frei, für welche der in Betracht kommenden Pensionsversicherungen er sich entscheidet;

2. nicht versichert oder in der Pensionsversicherung nach einem anderen Bundesgesetz versichert, so ist der Antrag bei der Pensionsversicherungsanstalt einzubringen.

(4) Der Träger der Pensionsversicherung, bei dem nach Abs3 der Antrag auf Selbstversicherung in der Pensionsversicherung einzubringen ist, ist zur Durchführung dieser Versicherung zuständig.

(5) Die Selbstversicherung endet, außer mit dem Wegfall der Voraussetzungen, mit dem Ende des Kalendermonates, in dem der (die) Versicherte seinen (ihren) Austritt erklärt hat.

[…]

Selbstversicherung in der Pensionsversicherung für Zeiten der Pflege eines behinderten Kindes

§18a. (1) Personen, die ein behindertes Kind, für das erhöhte Familienbeihilfe im Sinne des §8 Abs4 des Familienlastenausgleichsgesetzes 1967, BGBl Nr 376, gewährt wird, unter überwiegender Beanspruchung ihrer Arbeitskraft in häuslicher Umgebung pflegen, können sich, solange sie während dieses Zeitraumes ihren Wohnsitz im Inland haben, längstens jedoch bis zur Vollendung des 40. Lebensjahres des Kindes, in der Pensionsversicherung selbstversichern. Der gemeinsame Haushalt besteht weiter, wenn sich das behinderte Kind nur zeitweilig wegen Heilbehandlung außerhalb der Hausgemeinschaft aufhält. Eine Selbstversicherung in der Pensionsversicherung für Zeiten der Pflege eines behinderten Kindes kann jeweils nur für eine Person bestehen.

(2) Die Selbstversicherung ist für eine Zeit ausgeschlossen, während der

1. [Anm: aufgehoben durch BGBl I Nr 2/2015]

2. eine Ausnahme von der Vollversicherung gemäß §5 Abs1 Z3 besteht oder auf Grund eines der dort genannten Dienstverhältnisse ein Ruhegenuß bezogen wird oder

3. eine Ersatzzeit gemäß §227 Abs1 Z3 bis 6 oder §227a vorliegt.

(3) Eine überwiegende Beanspruchung der Arbeitskraft im Sinne des Abs1 wird jedenfalls dann angenommen, wenn und so lange das behinderte Kind

1. das Alter für den Beginn der allgemeinen Schulpflicht (§2 des Schulpflichtgesetzes 1985, BGBl Nr 76/1985) noch nicht erreicht hat und ständiger persönlicher Hilfe und besonderer Pflege bedarf,

2. während der Dauer der allgemeinen Schulpflicht wegen Schulunfähigkeit (§15 des Schulpflichtgesetzes 1985) entweder von der allgemeinen Schulpflicht befreit ist oder ständiger persönlicher Hilfe und besonderer Pflege bedarf,

3. nach Vollendung der allgemeinen Schulpflicht und vor Vollendung des 40. Lebensjahres dauernd bettlägrig ist oder ständiger persönlicher Hilfe und besonderer Pflege bedarf.

(4) Die Selbstversicherung ist in dem Zweig der Pensionsversicherung nach diesem Bundesgesetz zulässig, in dem der (die) Versicherungsberechtigte zuletzt Versicherungszeiten erworben hat. Werden keine Versicherungszeiten in der Pensionsversicherung nach diesem Bundesgesetz nachgewiesen oder richtet sich deren Zuordnung nach der ersten nachfolgenden Versicherungszeit, so ist die Selbstversicherung in der Pensionsversicherung der Angestellten zulässig.

(5) Die Selbstversicherung beginnt mit dem Zeitpunkt, den der (die) Versicherte wählt, frühestens mit dem Monatsersten, ab dem die erhöhte Familienbeihilfe (Abs1) gewährt wird, spätestens jedoch mit dem Monatsersten, der auf die Antragstellung folgt.

(6) Die Selbstversicherung endet mit dem Ende des Kalendermonates,

1. in dem die erhöhte Familienbeihilfe oder eine sonstige Voraussetzung (Abs1) weggefallen ist,

2. in dem der (die) Versicherte seinen (ihren) Austritt erklärt hat.

Ab dem erstmaligen Beginn der Selbstversicherung (Abs5) gelten die Voraussetzungen bis zum Ablauf des nächstfolgenden Kalenderjahres als erfüllt; in weiterer Folge hat der Versicherungsträger jeweils jährlich einmal festzustellen, ob die Voraussetzungen für die Selbstversicherung nach Abs1 gegeben sind. Der Versicherte ist verpflichtet, den Wegfall der erhöhten Familienbeihilfe dem Träger der Pensionsversicherung binnen zwei Wochen anzuzeigen.

(7) Das Ende der Selbstversicherung steht hinsichtlich der Berechtigung zur Weiterversicherung in der Pensionsversicherung dem Ausscheiden aus der Pflichtversicherung im Sinne des §17 Abs1 Z1 lita gleich.

[…]

VIERTER TEIL
Pensionsversicherung

ABSCHNITT I
Gemeinsame Bestimmungen

Aufgaben

§221. Die Pensionsversicherung trifft Vorsorge für die Versicherungsfälle des Alters, der geminderten Arbeitsfähigkeit (Invalidität, Berufsunfähigkeit, Dienstunfähigkeit) und des Todes sowie für die Rehabilitation und für Maßnahmen der Gesundheitsvorsorge.

Leistungen der Pensionsversicherung

§222. (1) In der Pensionsversicherung der Arbeiter und in der Pensionsversicherung der Angestellten sind zu gewähren:

1. aus dem Versicherungsfall des Alters die Alterspension;

2. aus den Versicherungsfällen der geminderten Arbeitsfähigkeit

a)  medizinische Maßnahmen der Rehabilitation (§§253f, 270b),

b)  bei Invalidität die Invaliditätspension aus der Pensionsversicherung der Arbeiter (§254),

c)  bei Berufsunfähigkeit die Berufsunfähigkeitspension aus der Pensionsversicherung der Angestellten (§271),

d)  berufliche Maßnahmen der Rehabilitation (§§253e, 270a);

3. aus dem Versicherungsfall des Todes

a)  die Hinterbliebenenpensionen (§§257, 259, 270),

b) die Abfindung (§§269, 270).

(2) In der knappschaftlichen Pensionsversicherung sind zu gewähren:

1. aus den Versicherungsfällen des Alters

a)  der Knappschaftssold (§275),

b)  die Knappschaftsalterspension (§276),

2. aus den Versicherungsfällen der geminderten Arbeitsfähigkeit

a)  medizinische Maßnahmen der Rehabilitation (§276f),

b)  bei Dienstunfähigkeit die Knappschaftspension (§277),

c)  bei Invalidität die Knappschaftsvollpension (§279),

d)  berufliche Maßnahmen der Rehabilitation (§276e);

3. aus dem Versicherungsfall des Todes

a)  die Hinterbliebenenpensionen (§282),

b)  die Abfindung (§291);

5. aus einem der Versicherungsfälle nach Z1 bis 3 auch das Bergmannstreuegeld (§281).

(3) Die Pensionsversicherungsträger treffen überdies – unbeschadet der Leistung nach Abs1 Z2 lita und Abs2 Z2 lita aus dem Versicherungsfall der geminderten Arbeitsfähigkeit – Maßnahmen der Rehabilitation (§301) einschließlich der Feststellung des Berufsfeldes sowie Maßnahmen der Gesundheitsvorsorge. Nach Maßgabe des §73 haben sie Beiträge zur Krankenversicherung der Pensionisten zu entrichten bzw den Aufwand für diese Krankenversicherung zu tragen.

(4) Stellen die Pensionsversicherungsträger nach §367 Abs4 Z1 fest, dass bei Versicherten mit aufrechtem Dienstverhältnis bei Fortsetzung der bisherigen Erwerbstätigkeit in absehbarer Zeit Invalidität (Berufsunfähigkeit) eintreten wird, so ist eine Zuweisung zum Informations-, Beratungs- und Unterstützungsangebot nach §1 Abs1 des Arbeit-und-Gesundheit-Gesetzes (AGG), BGBl I Nr 111/2010, mit dem Ziel vorzunehmen, das Dienstverhältnis zu erhalten

[…]

Wartezeit als allgemeine Voraussetzung der Leistungsansprüche

§235. (1) Der Anspruch auf jede der im §222 Abs1 und 2 angeführten Leistungen mit Ausnahme der Abfindung nach §269 Abs1 Z1 ist – abgesehen von den in den Abschnitten II bis IV festgesetzten besonderen Voraussetzungen – an die allgemeine Voraussetzung geknüpft, daß die Wartezeit durch Versicherungsmonate im Sinne des Abs2 erfüllt ist (§236).

(2) Für die Wartezeit sind die Versicherungsmonate aller Zweige der Pensionsversicherung, ausgenommen Zeiten einer Selbstversicherung nach §16a, soweit sie zwölf Versicherungsmonate überschreiten, bei der Knappschaftspension und dem Knappschaftssold jedoch nur die Versicherungsmonate der knappschaftlichen Pensionsversicherung zu berücksichtigen.

(3) Die Wartezeit entfällt für eine Leistung aus dem Versicherungsfall der geminderten Arbeitsfähigkeit oder aus dem Versicherungsfall des Todes, wenn

a) der Versicherungsfall die Folge eines Arbeitsunfalles (§§175 und 176 dieses Bundesgesetzes, §§148c und 148d BSVG, §§90 und 91 B-KUVG) oder einer Berufskrankheit (§177 dieses Bundesgesetzes, §148e BSVG, §92 B-KUVG) ist, der (die) bei einem in der Pensionsversicherung nach diesem oder einem anderen Bundesgesetz Pflichtversicherten oder bei einem nach §19a Selbstversicherten eingetreten ist, oder

c) der Versicherungsfall die Folge einer anerkannten Dienstbeschädigung im Sinne der versorgungsrechtlichen Vorschriften für Präsenz- oder Ausbildungsdienst Leistende ist.

Erfüllung der Wartezeit

§236. (1) Die Wartezeit ist erfüllt, wenn am Stichtag (§223 Abs2) Versicherungsmonate im Sinne des §235 Abs2 in folgender Mindestzahl vorliegen:

1. für eine Leistung aus einem Versicherungsfall der geminderten Arbeitsfähigkeit sowie aus dem Versicherungsfall des Todes

a)  wenn der Stichtag vor Vollendung des 50. Lebensjahres liegt, 60 Monate;

b)  wenn der Stichtag nach Vollendung des 50. Lebensjahres liegt, erhöht sich die Wartezeit nach lita je nach dem Lebensalter des (der) Versicherten für jeden weiteren Lebensmonat um jeweils einen Monat bis zum Höchstausmaß von 180 Monaten;

2. für eine Leistung aus einem Versicherungsfall des Alters, und zwar

a)  für die Alterspension (Knappschaftsalterspension) 180 Monate;

c)  für den Knappschaftssold 240 Monate.

(2) Die gemäß Abs1 für die Erfüllung der Wartezeit erforderliche Mindestzahl von Versicherungsmonaten muß

1. im Falle des Abs1 Z1 innerhalb der letzten 120 Kalendermonate vor dem Stichtag liegen; dieser Zeitraum verlängert sich, wenn der Stichtag nach Vollendung des 50. Lebensjahres liegt, je nach dem Lebensalter des (der) Versicherten für jeden weiteren Lebensmonat um jeweils zwei Kalendermonate bis zum Höchstausmaß von 360 Kalendermonaten;

2. im Falle des Abs1 Z2 lita bis c innerhalb der letzten 360 Kalendermonate vor dem Stichtag liegen;

(3) Fallen in die Zeiträume gemäß Abs2 neutrale Monate (§234), so verlängern sich die Zeiträume um diese Monate.

(4) Die Wartezeit ist auch erfüllt

1. für die Alterspension (Knappschaftsalterspension) und für Leistungen aus einem Versicherungsfall der geminderten Arbeitsfähigkeit und des Todes, wenn bis zum Stichtag

a)  mindestens 180 Beitragsmonate, ausgenommen Zeiten einer Selbstversicherung gemäß §16a, soweit sie zwölf Versicherungsmonate überschreiten, oder

b)  Beitragsmonate und/oder nach dem 31. Dezember 1955 zurückgelegte sonstige Versicherungsmonate in einem Mindestausmaß von 300 Monaten erworben sind;

3. für eine Leistung aus einem Versicherungsfall der geminderten Arbeitsfähigkeit sowie aus dem Versicherungsfall des Todes, wenn der Versicherungsfall vor der Vollendung des 27. Lebensjahres des (der) Versicherten eingetreten ist und bis zu diesem Zeitpunkt mindestens sechs Versicherungsmonate, die nicht auf einer Selbstversicherung gemäß §16a beruhen, erworben sind.

(4a) Als Beitragsmonate für die Erfüllung der Wartezeit nach Abs4 sind auch Ersatzmonate nach §227a dieses Bundesgesetzes oder nach §116a GSVG oder nach §107a BSVG im Ausmaß von höchstens 24 Kalendermonaten je Kind zu berücksichtigen, gezählt ab der Geburt des Kindes, wenn

1.  für diese Zeiten Anspruch auf Kinderbetreuungsgeld besteht oder der Anspruch darauf ausschließlich nach §6 Abs1 Z1 KBGG ruht und

2.  sich diese Ersatzmonate nicht mit Beitragsmonaten decken.

Als Beitragsmonate für die Erfüllung der Wartezeit nach Abs4 Z2 sind auch Ersatzmonate nach §227 Abs1 Z7 und 8 dieses Bundesgesetzes oder nach §116 Abs1 Z3 GSVG oder nach §107 Abs1 Z3 BSVG im Ausmaß von höchstens 30 Kalendermonaten zu berücksichtigen.

(5) Für den Knappschaftssold müssen während der für die Erfüllung der Wartezeit erforderlichen Versicherungsmonate wenigstens durch 120 Monate wesentlich bergmännische oder ihnen gleichgestellte Arbeiten (Abs6) verrichtet worden sein. Bei Angestellten müssen für die Knappschaftspension während der für die Erfüllung der Wartezeit erforderlichen Versicherungsmonate wenigstens durch 30 Monate solche Arbeiten verrichtet worden sein. Als Angestellte sind Personen anzusehen, die, wenn nicht ihre Zugehörigkeit zur knappschaftlichen Pensionsversicherung begründet wäre, nach §14 zur Pensionsversicherung der Angestellten gehören würden.

(6) Als wesentlich bergmännische oder ihnen gleichgestellte Arbeiten gelten die in der Anlage 9 zu diesem Bundesgesetz bezeichneten Arbeiten unter den dort angeführten Voraussetzungen. Eine solche Arbeit gilt für einen nicht dienstunfähigen Versicherten als nicht unterbrochen,

a) wenn er aus betrieblichen Gründen eine sonstige Tätigkeit nicht länger als drei Monate im Kalenderjahr ausübt, oder

b) wenn er als Mitglied des Betriebsrates von diesen Arbeiten freigestellt worden ist.

[…]

Invaliditätspension

§254. (1) Anspruch auf Invaliditätspension hat der (die) Versicherte, wenn

1. die Invalidität (§255) auf Grund des körperlichen oder geistigen Zustandes voraussichtlich dauerhaft vorliegt,

2. kein Rechtsanspruch auf zumutbare und zweckmäßige Maßnahmen im Sinne des §253e besteht,

3. die Wartezeit erfüllt ist (§236) und

4. er (sie) am Stichtag (§223 Abs2) noch nicht die Voraussetzungen für eine Alterspension nach diesem oder einem anderen Bundesgesetz, mit Ausnahme der Alterspension nach §4 Abs2 APG, erfüllt hat.

(3) Nach Anfall einer Pension aus einem Versicherungsfall des Alters nach diesem Bundesgesetz mit Ausnahme des Knappschaftssoldes, nach dem Gewerblichen Sozialversicherungsgesetz oder nach dem Bauern-Sozialversicherungsgesetz sowie nach Anfall einer Pension aus einem Versicherungsfall der Erwerbsunfähigkeit nach dem Gewerblichen Sozialversicherungsgesetz oder nach dem Bauern-Sozialversicherungsgesetz kann ein Anspruch auf Invaliditätspension nicht mehr entstehen.

(4) Ein Pensionsbezieher, dem Maßnahmen der Rehabilitation gewährt worden sind (§300 Abs1), hat Anspruch auf Invaliditätspension, wenn

1. durch diese Maßnahmen das im §300 Abs3 angestrebte Ziel erreicht wurde,

2. er als invalid im Sinne des §255 Abs5 gilt,

3. er während des Anspruches auf Pension mindestens 36 Beitragsmonate der Pflichtversicherung durch eine Beschäftigung erworben hat, und

4. er zu den in dieser Beschäftigung ausgeübten Berufen durch die Rehabilitation in der Unfallversicherung oder in der Pensionsversicherung befähigt wurde.

Für die Feststellung des Eintrittes des Versicherungsfalles gilt §223 Abs1 Z2 lita entsprechend.

(6) Bezieht eine Person, die Anspruch auf Invaliditätspension hat, in einem Kalendermonat ein Erwerbseinkommen (§91), das den Betrag gemäß §5 Abs2 übersteigt, so wandelt sich der Anspruch auf die gemäß §261 ermittelte Pension für diesen Kalendermonat in einen Anspruch auf Teilpension.

(7) Die Höhe der Teilpension wird wie folgt ermittelt:

1. Zunächst ist das Gesamteinkommen zu ermitteln, das ist die Summe aus der gemäß §261 ohne den besonderen Steigerungsbetrag (§248) ermittelten Pension und dem Erwerbseinkommen.

2. Die Teilpension gebührt in Höhe der gemäß §261 ohne den besonderen Steigerungsbetrag (§248) ermittelten Pension, wenn das Gesamteinkommen 897,58 € nicht übersteigt; andernfalls ist die gemäß §261 ohne den besonderen Steigerungsbetrag (§248) ermittelte Pension um einen Anrechnungsbetrag zu vermindern.

3. Der Anrechnungsbetrag gemäß Z2 setzt sich aus Teilen des Gesamteinkommens zusammen: Für Gesamteinkommensteile von

a)  über 897,58 € bis 1 346,41 € sind 30%,

b)  über 1 346,41 € bis 1 795,16 € sind 40% und

c)  über 1 795,16 € sind 50%

   dieser Gesamteinkommensteile anzurechnen.

4. Der Anrechnungsbetrag darf jedoch weder 50% der gemäß §261 ohne den besonderen Steigerungsbetrag (§248) ermittelten Pension noch das Erwerbseinkommen übersteigen.

An die Stelle dieser Eurobeträge treten ab 1. Jänner eines jeden Jahres, erstmals ab 1. Jänner 1999, die unter Bedachtnahme auf §108 Abs6 mit dem Anpassungsfaktor (§108f) vervielfachten Beträge.

(8) Der Prozentsatz der Teilpension gemäß Abs7 ist erstmalig auf Grund des Pensionsantrages festzustellen. Neufeststellungen dieses Prozentsatzes erfolgen sodann

1. aus Anlaß jeder Anpassung von Pensionen gemäß §108h;

2. bei jeder Neuaufnahme einer Erwerbstätigkeit;

3. auf besonderen Antrag des Pensionisten.

Begriff der Invalidität

§255. (1) War der Versicherte überwiegend in erlernten (angelernten) Berufen tätig, gilt er als invalid, wenn seine Arbeitsfähigkeit infolge seines körperlichen oder geistigen Zustandes auf weniger als die Hälfte derjenigen eines körperlich und geistig gesunden Versicherten von ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten in jedem dieser Berufe herabgesunken ist.

(2) Ein angelernter Beruf im Sinne des Abs1 liegt vor, wenn die versicherte Person eine Tätigkeit ausübt, für die es erforderlich ist, durch praktische Arbeit qualifizierte Kenntnisse oder Fähigkeiten zu erwerben, die jenen in einem erlernten Beruf gleichzuhalten sind. Eine überwiegende Tätigkeit im Sinne des Abs1 liegt vor, wenn innerhalb der letzten 15 Jahre vor dem Stichtag (§223 Abs2) in zumindest 90 Pflichtversicherungsmonaten eine Erwerbstätigkeit nach Abs1 oder als Angestellte/r ausgeübt wurde. Liegen zwischen dem Ende der Ausbildung (Abs2a) und dem Stichtag weniger als 15 Jahre, so muss zumindest in der Hälfte der Kalendermonate, jedenfalls aber für zwölf Pflichtversicherungsmonate, eine Erwerbstätigkeit nach Abs1 oder als Angestellte/r vorliegen. Liegen zwischen dem Ende der Ausbildung (Abs2a) und dem Stichtag mehr als 15 Jahre, so verlängert sich der im zweiten Satz genannte Rahmenzeitraum um Versicherungsmonate nach §8 Abs1 Z2 lita, d, e und g, um Monate des Bezuges von Übergangsgeld nach §306 sowie um höchstens 60 Monate des Bezuges von Rehabilitationsgeld nach §143a und von Umschulungsgeld nach §39b AlVG.

(2a) Als Ende der Ausbildung nach Abs2 gelten der Abschluss eines Lehrberufes, der Abschluss einer mittleren oder höheren Schulausbildung oder Hochschulausbildung sowie der Abschluss einer dem Schul- oder Lehrabschluss vergleichbaren Ausbildung, jedenfalls aber der Beginn einer Erwerbstätigkeit nach Abs1 oder als Angestellte/r.

(3) War der Versicherte nicht überwiegend in erlernten (angelernten) Berufen im Sinne der Abs1 und 2 tätig, gilt er als invalid, wenn er infolge seines körperlichen oder geistigen Zustandes nicht mehr imstande ist, durch eine Tätigkeit, die auf dem Arbeitsmarkt noch bewertet wird und die ihm unter billiger Berücksichtigung der von ihm ausgeübten Tätigkeiten zugemutet werden kann, wenigstens die Hälfte des Entgeltes zu erwerben, das ein körperlich und geistig gesunder Versicherter regelmäßig durch eine solche Tätigkeit zu erzielen pflegt.

(3a) War die versicherte Person nicht überwiegend in erlernten oder angelernten Berufen im Sinne der Abs1 und 2 tätig, so gilt sie auch dann als invalid, wenn sie

1. das 50. Lebensjahr vollendet hat,

2. mindestens zwölf Monate unmittelbar vor dem Stichtag (§223 Abs2) als arbeitslos im Sinne des §12 AlVG gemeldet war,

3. mindestens 360 Versicherungsmonate, davon mindestens 240 Beitragsmonate der Pflichtversicherung auf Grund einer Erwerbstätigkeit, erworben hat und

4. nur mehr Tätigkeiten mit geringstem Anforderungsprofil, die auf dem Arbeitsmarkt noch bewertet sind, ausüben kann und zu erwarten ist, dass ein Arbeitsplatz in einer der physischen und psychischen Beeinträchtigung entsprechenden Entfernung von ihrem Wohnort innerhalb eines Jahres nicht erlangt werden kann.

(3b) Tätigkeiten nach Abs3a Z4 sind leichte Tätigkeiten, die bei durchschnittlichem Zeitdruck und vorwiegend in sitzender Haltung ausgeübt werden. Tätigkeiten gelten auch dann als vorwiegend in sitzender Haltung ausgeübt, wenn sie durch zwischenzeitliche Haltungswechsel unterbrochen werden.

(4) Als invalid gilt auch der (die) Versicherte, der (die) das 60. Lebensjahr vollendet hat, wenn er (sie) infolge von Krankheit oder anderen Gebrechen oder Schwäche seiner (ihrer) körperlichen oder geistigen Kräfte außer Stande ist, einer Tätigkeit, die er (sie) in den letzten 180 Kalendermonaten vor dem Stichtag mindestens 120 Kalendermonate hindurch ausgeübt hat, nachzugehen. Dabei sind zumutbare Änderungen dieser Tätigkeit zu berücksichtigen. Fallen in den Zeitraum der letzten 180 Kalendermonate vor dem Stichtag

1.   neutrale Monate nach §234 Abs1 Z2 lita oder Monate des Bezuges von Übergangsgeld nach §306, so verlängert sich der genannte Zeitraum um diese Monate;

1a.  Monate des Bezuges von Rehabilitationsgeld nach §143a oder von Umschulungsgeld nach §39b AlVG, so verlängert sich der genannte Zeitraum um höchstens 60 dieser Monate;

2. Monate des Bezuges von Krankengeld nach §138, so sind diese im Höchstausmaß von 24 Monaten auf die im ersten Satz genannten 120 Kalendermonate anzurechnen.

(5) Abweichend von Abs1 und 2 ist dem (der) Versicherten jedenfalls eine Tätigkeit zumutbar, für die er (sie) unter Berücksichtigung der Dauer und des Umfanges seiner (ihrer) Ausbildung sowie der von ihm (ihr) bisher ausgeübten Tätigkeit durch Leistungen der beruflichen Rehabilitation mit Erfolg ausgebildet oder umgeschult worden ist.

(6) Wurden dem Versicherten Maßnahmen der Rehabilitation gewährt, durch die das im §300 Abs3 angestrebte Ziel erreicht worden ist, so gilt er auch als invalid, wenn seine Arbeitsfähigkeit in den Berufen, zu denen ihn die Rehabilitation befähigt hat, infolge seines körperlichen oder geistigen Zustandes auf weniger als die Hälfte derjenigen eines körperlich und geistig gesunden Versicherten von ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten in jedem dieser Berufe herabgesunken ist.

(7) Als invalid im Sinne der Abs1 bis 4 gilt der (die) Versicherte auch dann, wenn er (sie) bereits vor der erstmaligen Aufnahme einer die Pflichtversicherung begründenden Beschäftigung infolge von Krankheit oder anderen Gebrechen oder Schwäche seiner (ihrer) körperlichen oder geistigen Kräfte außer Stande war, einem regelmäßigen Erwerb nachzugehen, dennoch aber mindestens 120 Beitragsmonate der Pflichtversicherung auf Grund einer Erwerbstätigkeit nach diesem oder einem anderen Bundesgesetz erworben hat.

[…]

Berufsunfähigkeitspension

§271. (1) Anspruch auf Berufsunfähigkeitspension hat der (die) Versicherte, wenn

1. die Berufsunfähigkeit (§273) auf Grund des körperlichen oder geistigen Zustandes voraussichtlich dauerhaft vorliegt,

2. kein Rechtsanspruch auf zumutbare und zweckmäßige Maßnahmen im Sinne des §270a besteht,

3. die Wartezeit erfüllt ist (§236) und

4. er (sie) am Stichtag (§223 Abs2) noch nicht die Voraussetzungen für eine Alterspension nach diesem oder einem anderen Bundesgesetz, mit Ausnahme der Alterspension nach §4 Abs2 APG, erfüllt hat.

(3) §254 Abs3 bis 8 ist entsprechend anzuwenden.

Begriff der Berufsunfähigkeit

§273. (1) Als berufsunfähig gilt die versicherte Person, deren Arbeitsfähigkeit infolge ihres körperlichen oder geistigen Zustandes auf weniger als die Hälfte derjenigen einer körperlich und geistig gesunden versicherten Person von ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten herabgesunken ist, wenn innerhalb der letzten 15 Jahre vor dem Stichtag (§223 Abs2) in zumindest 90 Pflichtversicherungsmonaten eine Erwerbstätigkeit als Angestellte/r oder nach §255 Abs1 ausgeübt wurde. §255 Abs2 dritter und vierter Satz sowie Abs2a sind anzuwenden.

(2) Liegen die Voraussetzungen nach Abs1 nicht vor, so gilt die versicherte Person auch dann als berufsunfähig, wenn sie infolge ihres körperlichen oder geistigen Zustandes nicht mehr imstande ist, durch eine Tätigkeit, die auf dem Arbeitsmarkt noch bewertet wird und die ihr unter billiger Berücksichtigung der von ihr ausgeübten Tätigkeiten zugemutet werden kann, wenigstens die Hälfte des Entgeltes zu erwerben, das eine körperlich und geistig gesunde versicherte Person regelmäßig durch eine solche Tätigkeit zu erzielen pflegt.

(3) §255 Abs3a und 3b sowie Abs4 bis 7 gilt entsprechend."

III. Anlassverfahren, Antragsvorbringen und Vorverfahren

1. Die 1971 geborene Antragstellerin leidet seit dem Jahr 1999 an einer schubhaft remittierend verlaufenden Multiplen Sklerose. Ihre am 18. Juni 2002 geborene Tochter ist behindert und bezieht Pflegegeld der Stufe 6. Die Antragstellerin betreute dieses Kind und ging nie einer Erwerbstätigkeit nach. Von den von ihr erworbenen Versicherungszeiten (203 Versicherungsmonate) entfallen nach den Feststellungen des Landesgerichtes Innsbruck als Arbeits- und Sozialgericht 23 Monate auf Ersatzzeiten der Kindererziehung, 24 Monate auf Ersatzzeiten der Kindererziehung bei Anspruch auf Kinderbetreuungsgeld, 18 Monate auf Beitragszeiten der Kindererziehung sowie 138 Monate auf Beitragszeiten infolge Selbstversicherung gemäß §18a ASVG in der Pensionsversicherung der Angestellten. Die Antragstellerin ist nunmehr selbst nicht mehr geh- und arbeitsfähig und erhält Pflegegeld der Stufe 5.

2. Mit Bescheid vom 11. Juli 2018 wies die Pensionsversicherungsanstalt (PVA) den Antrag der Antragstellerin auf Gewährung einer Berufsunfähigkeitspension mit der Begründung ab, dass sie keine Beschäftigung auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt ausgeübt habe. Die Berufsunfähigkeitspension ziele aber darauf ab, dem durch eine gesundheitliche Beeinträchtigung nicht mehr arbeitsfähigen Versicherten einen Ersatz für das entfallende Einkommen zu bieten. Der Versicherungsfall der geminderten Erwerbsfähigkeit setze voraus, dass sich der körperliche oder geistige Zustand des Versicherten nach dem Beginn seiner Erwerbstätigkeit in einem für die Arbeitsfähigkeit wesentlichen Ausmaß verschlechtert habe. Die Antragstellerin habe unbestritten niemals eine Erwerbstätigkeit aufgenommen, weshalb ein Herabsinken der körperlichen Leistungsfähigkeit seit Beginn der Erwerbstätigkeit nicht vorliege und somit der Versicherungsfall nicht eingetreten sei. Nach dem ASVG seien Kindererziehungszeiten nur dann zu berücksichtigen, wenn entweder vor oder nach der Kindererziehung ein Beitragsmonat erworben worden sei. Durch §4 Allgemeines Pensionsgesetz sei ein erleichterter Zugang zur Alterspension geschaffen worden; erst ab diesem Zeitpunkt seien Kindererziehungszeiten für die Alterspension anzuerkennen, auch wenn kein Beitragsmonat vorliege.

3. Die Antragstellerin erhob daraufhin Klage auf Gewährung einer Invaliditäts- oder Berufsunfähigkeitspension nach den §§271 ff. ASVG. Das Landesgericht Innsbruck als Arbeits- und Sozialgericht wies diese Klage mit Urteil vom 6. Juni 2019 ab, weil das Gesetz voraussetze, dass vor Eintritt des Versicherungsfalles eine berufliche Tätigkeit ausgeübt worden sei. Eine Grundvoraussetzung für die Gewährung einer Invaliditäts- oder Berufsunfähigkeitspension, nämlich der Erwerb von Versicherungszeiten auf Grund einer Erwerbstätigkeit, sei im Fall der Antragstellerin nicht gegeben.

4. Gegen dieses Urteil erhob die Antragstellerin Berufung und stellte aus Anlass dieses Rechtsmittels unter einem den vorliegenden Gesetzesprüfungsantrag. Darin legt die Antragstellerin ihre Bedenken auf das Wesentliche zusammengefasst dahingehend dar, es sei unsachlich, dass sie keine Berufsunfähigkeitspension erhalte, weil sie ihr eigenes Kind gepflegt habe, während sie eine Berufsunfähigkeitspension erhalten würde, hätte sie gegen Entgelt ein fremdes Kind gepflegt.

5. Das Landesgericht Innsbruck als Arbeits- und Sozialgericht legte die Gerichtsakten vor und teilte unvorgreiflich der Beurteilung des Oberlandesgerichtes Innsbruck mit, dass die von der Antragstellerin erhobene Berufung rechtzeitig und zulässig sei.

6. Die Bundesregierung erstattete eine Äußerung, in der sie die Zurückweisung des Parteiantrages mangels Präjudizialität des §255 ASVG bzw wegen zu engen Anfechtungsumfanges, in eventu die Abweisung des Parteiantrages begehrt. Zur Zulässigkeit führte sie wie folgt aus:

"2. Zur Zulässigkeit:

2.1. Zur Präjudizialität:

2.1.1. Ein Parteiantrag auf Normenkontrolle kann gemäß §62 Abs2 VfGG nur dann gestellt werden, wenn das angefochtene Gesetz vom Gericht in der anhängigen Rechtssache unmittelbar anzuwenden bzw wenn die Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes eine Vorfrage für die Entscheidung der beim Gericht anhängigen Rechtssache ist oder nach Ansicht der Antragsteller wäre. Der Antrag hat darzulegen, inwiefern das Gericht das Gesetz anzuwenden und welche Auswirkungen die Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes auf die beim Gericht anhängige Rechtssache hätte. Eine Antragstellung gemäß Art140 Abs1 Z1 litd B-VG setzt daher voraus, dass die angefochtenen Gesetzesbestimmungen in der vor dem ordentlichen Gericht entschiedenen Rechtssache präjudiziell sind (vgl zB VfSlg 20.010/2015; 19.11.2015, G498/2015 ua; 13.10.2016, G33/2016 ua; 30.11.2016, G286/2016; 14.6.2017, G26/2017).

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes fehlt es an der gemäß §62 Abs2 VfGG erforderlichen Präjudizialität, wenn es offenkundig unrichtig (denkunmöglich) ist, dass die angefochtene Norm eine Voraussetzung der Entscheidung des antragstellenden Gerichts im Anlassfall bildet (vgl zB VfSlg 17.670/2005, 17.790/2006, 17.983/2006; VfGH 23.2.2017, G369/2016; 14.6.2017, G26/2017).

2.1.2. Ausgehend von den Sachverhaltsfeststellungen des erkennenden Gerichts im Ausgangsverfahren verfügt die Antragstellerin in der gesetzlichen Pensionsversicherung über Ersatzzeiten für Zeiten der Kindererziehung (§227a ASVG), über Beitragszeiten in der Pflichtversicherung für Zeiten der Kindererziehung (§3 Abs1 Z2 des Allgemeinen Pensionsgesetzes — APG, BGBl I Nr 142/2004, iVm. §8 Abs1 Z2 litg ASVG) sowie über Beitragszeiten für Zeiten der Pflege eines behinderten Kindes (§18a ASVG).

Gemäß §18a Abs4 ASVG ist die Selbstversicherung nach dieser Bestimmung (Zeiten der Pflege eines behinderten Kindes) grundsätzlich in dem Zweig der Pensionsversicherung zulässig, in dem die versicherungsberechtigte Person zuletzt Versicherungszeiten erworben hat. Werden keine Versicherungszeiten in der Pensionsversicherung nachgewiesen, so ist die Selbstversicherung in der Pensionsversicherung der Angestellten zulässig.

Gemäß §227a Abs1 erster Satz ASVG gelten Ersatzzeiten nach dieser Bestimmung grundsätzlich in jenem Zweig der Pensionsversicherung, in dem die letzte vorangegangene Beitragszeit vorliegt. Bei Fehlen einer solchen gelten die Ersatzzeiten in jenem Zweig, in dem die erste nachfolgende Beitragszeit vorliegt.

Gemäß §14 Abs5 ASVG gehören zur Pensionsversicherung der Angestellten auch die gemäß §8 Abs1 Z2 lita bis g und k ASVG versicherten Personen, die zuletzt in diesem Zweig der Pensionsversicherung pflichtversichert waren oder bisher nicht in der Pensionsversicherung pflichtversichert waren.

Aus der eben dargestellten Rechtslage ergibt sich, dass die Antragstellerin ausschließlich Versicherungszeiten (Ersatzzeiten/Beitragszeiten) in der Pensionsversicherung der Angestellten erworben hat und ein Anspruch bzw Antrag auf Invaliditätspension in der gesetzlichen Pensionsversicherung der Arbeiter (§§254 ff ASVG) nach Ansicht der Bundesregierung alleine schon aus diesem Grund ausscheidet.

Der im verfahrensgegenständlichen Antrag angefochtene §255 Abs3 ASVG, welcher den Invaliditätsbegriff in der Pensionsversicherung der Arbeiter regelt, kann sohin nach Auffassung der Bundesregierung denkunmöglich eine Voraussetzung für die gerichtliche Entscheidung in der Sache gewesen sein, auch wenn — was die Bundesregierung nicht verkennt — das erkennende Gericht §255 ASVG im Rahmen seiner Erwägungen begründend anführt.

Nach Auffassung der Bundesregierung mangelt es hinsichtlich des §255 Abs3 ASVG sohin an der erforderlichen Präjudizialität, weshalb der gegenständliche Antrag sich in diesem Umfang als unzulässig erweist.

2.2. Zum Anfechtungsumfang:

2.2.1. Die Antragstellerin führt aus, sie wende sich dem Grunde nach dagegen, dass auf Grund der angefochtenen Wortfolge 'auf dem Arbeitsmarkt' ausschließlich auf eine solche Tätigkeit abgestellt werde, welche am allgemeinen Arbeitsmarkt erbracht wird. Dies führe dazu, dass die Antragstellerin — hätte sie nicht ihre eigene schwer behinderte Tochter betreut, sondern die exakt idente Tätigkeit für ein fremdes Kind am allgemeinen Arbeitsmarkt gegen Entgelt erbracht — ohne Zweifel Anspruch auf Berufsunfähigkeitspension/Invaliditätspension haben würde. Der Antrag der Antragstellerin auf Berufsunfähigkeitspension/Invaliditätspension sei alleine auf Grund der angefochtenen Wortfolge abgewiesen worden. Zur Beseitigung der behaupteten Verfassungswidrigkeit sei folglich auch die Aufhebung der angefochtenen Wortfolge ausreichend. Der nach einer etwaigen Aufhebung verbleibende Verweis in den §§255 Abs3 und 273 Abs3 ASVG auf das zu erwerbende Entgelt (bzw wenigstens die Hälfte des zu erwerbenden Entgelts) schade nicht, da dieser auch als Verweis auf ein hypothetisches oder theoretisch zu erzielendes Entgelt verstanden werden könne.

2.2.2. Nach ständiger Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes ist der Umfang einer auf ihre Verfassungsmäßigkeit hin zu prüfenden Gesetzesbestimmung derart abzugrenzen, dass einerseits nicht mehr aus dem Rechtsbestand ausgeschieden wird als zur Beseitigung der zulässigerweise geltend gemachten Rechtsverletzung erforderlich ist, dass aber andererseits der verbleibende Teil keine Veränderung seiner Bedeutung erfährt (vgl ua VfSlg 20.082/2016). Ein Antrag ist demnach dann zu eng gefasst, wenn nach der angestrebten Aufhebung Schwierigkeiten bezüglich der Anwendbarkeit der im Rechtsbestand verbleibenden Vorschriften entstünden, und zwar in der Weise, dass der Wegfall der angefochtenen (Teile einer) Bestimmung den verbleibenden Rest unverständlich oder auch unanwendbar werden ließe (siehe zB VfSlg 15.935/2000, 16.869/2003, 19.624/2012; zuletzt VfGH 9.3.2016, G606/2015 ua).

Weiters müssen nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes — bei sonstiger Unzulässigkeit des Antrags — alle Normen angefochten werden, die für die Beurteilung der behaupteten Verfassungswidrigkeit der Rechtslage eine untrennbare Einheit bilden (vgl VfSlg 16.507/2002; VfGH 18.06.2019, G216/2018, jeweils mwN).

Vor dem Hintergrund dieser Rechtsprechung erweist sich der im gegenständlichen Antrag gewählte Anfechtungsumfang nach Auffassung der Bundesregierung als zu eng gefasst:

Entgegen der Bedeutung, die die Antragstellerin der angefochtenen Wortfolge 'auf dem Arbeitsmarkt' beimisst, wird mit dieser das (weite) Verweisungsfeld, auf welches unqualifiziert tätig gewesene Arbeitnehmer im Falle des Herabsinkens ihrer Arbeitsfähigkeit verwiesen werden können, im Wesentlichen mit dem gesamten Arbeitsmarkt definiert. Die vom Aufhebungsantrag nicht umfasste Wortfolge 'noch bewertet' schränkt dieses Verweisungsfeld dahingehend ein, als nur auf solche Tätigkeiten verwiesen werden darf, welche auf dem Arbeitsmarkt angeboten und nachgefragt werden. Der Wegfall der angefochtenen Wortfolge würde den verbleibenden Rest (die relevante Passage in §273 Abs3 ASVG würde nach einer allfälligen Aufhebung lauten: '[...] durch eine Tätigkeit, die noch bewertet wird und [...]') unverständlich machen, da der Wortfolge 'noch bewertet' ohne Bezugnahme auf den Arbeitsmarkt keine eigenständige Bedeutung beigemessen werden kann.

Sollte der Verfassungsgerichtshof im Übrigen zur Auffassung gelangen, dass der tatsächliche Eintritt in das Erwerbsleben (samt Eintritt in die Pflichtversicherung) keine dem Begriff der Berufsunfähigkeit immanente Voraussetzung bilden soll, hätte jedenfalls der gesamte §273 ASVG angefochten werden müssen, um den Verfassungsgerichtshof in die Lage zu versetzen, eine verfassungskonforme Rechtslage im Bereich der Pensionsversicherung der Angestellten herzustellen.

3. Aus diesen Gründen ist die Bundesregierung der Auffassung, dass der Antrag zur Gänze unzulässig ist.

[…]"

IV. Zulässigkeit

1. Gemäß Art140 Abs1 Z1 litd B-VG erkennt der Verfassungsgerichtshof über die Verfassungswidrigkeit von Gesetzen auch auf Antrag einer Person, die als Partei einer von einem ordentlichen Gericht in erster Instanz entschiedenen Rechtssache wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes in ihren Rechten verletzt zu sein behauptet, aus Anlass eines gegen diese Entscheidung erhobenen Rechtsmittels. Nach §62a Abs1 erster Satz VfGG idF BGBl I 78/2016 kann eine Person, die als Partei in einer von einem ordentlichen Gericht in erster Instanz entschiedenen Rechtssache wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes in ihren Rechten verletzt zu sein behauptet, einen Antrag stellen, das Gesetz als verfassungswidrig aufzuheben.

2. Ein auf Art140 Abs1 Z1 litd B-VG gestützter Antrag auf Aufhebung eines Gesetzes oder von bestimmten Stellen eines solchen kann gemäß §62 Abs2 VfGG nur dann gestellt werden, wenn das Gesetz vom Gericht in der anhängigen Rechtssache unmittelbar anzuwenden bzw die Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes eine Vorfrage für die Entscheidung der beim Gericht anhängigen Rechtssache ist oder nach Ansicht des Antragstellers wäre. Eine Antragstellung gemäß Art140 Abs1 Z1 litd B-VG setzt daher voraus, dass die angefochtene Bestimmung eine Voraussetzung der Entscheidung des ordentlichen Gerichtes im Anlassfall bildet (VfSlg 20.029/2015; vgl VfSlg 20.010/2015).

3. Die Grenzen der Aufhebung einer auf ihre Verfassungsmäßigkeit zu prüfenden Gesetzesbestimmung sind, wie der Verfassungsgerichtshof sowohl für von Amts wegen als auch für auf Antrag eingeleitete Gesetzesprüfungsverfahren schon wiederholt dargelegt hat (VfSlg 13.965/1994 mwN, 16.542/2002, 16.911/2003), notwendig so zu ziehen, dass einerseits der verbleibende Gesetzesteil nicht einen völlig veränderten Inhalt bekommt und dass andererseits die mit der aufzuhebenden Gesetzesstelle untrennbar zusammenhängenden Bestimmungen auch erfasst werden.

Dieser Grundposition folgend hat der Verfassungsgerichtshof die Rechtsauffassung entwickelt, dass im Gesetzesprüfungsverfahren der Anfechtungsumfang der in Prüfung gezogenen Norm bei sonstiger Unzulässigkeit des Prüfungsantrages nicht zu eng gewählt werden darf (vgl VfSlg 16.212/2001, 16.365/2001, 18.142/2007, 19.496/2011; VfGH 14.3.2017, G311/2016). Der Antragsteller hat all jene Normen anzufechten, welche für die Beurteilung der allfälligen Verfassungswidrigkeit der Rechtslage eine untrennbare Einheit bilden. Es ist dann Sache des Verfassungsgerichtshofes, darüber zu befinden, auf welche Weise eine solche Verfassungswidrigkeit – sollte der Verfassungsgerichtshof die Auffassung des Antragstellers teilen – beseitigt werden kann (VfSlg 16.756/2002, 19.496/2011, 19.684/2012, 19.903/2014; VfGH 10.3.2015, G201/2014).

Unzulässig ist der Antrag etwa dann, wenn der im Falle der Aufhebung im begehrten Umfang verbleibende Rest einer Gesetzesstelle als sprachlich unverständlicher Torso inhaltsleer und unanwendbar wäre (VfSlg 16.279/2001, 19.413/2011; VfGH 19.6.2015, G211/2014; 7.10.2015, G444/2015; VfSlg 20.082/2016), der Umfang der zur Aufhebung beantragten Bestimmungen so abgesteckt ist, dass die angenommene Verfassungswidrigkeit durch die Aufhebung gar nicht beseitigt würde (vgl zB VfSlg 18.891/2009, 19.933/2014), oder durch die Aufhebung bloßer Teile einer Gesetzesvorschrift dieser ein völlig veränderter, dem Gesetzgeber überhaupt nicht mehr zusinnbarer Inhalt gegeben würde (VfSlg 18.839/2009, 19.841/2014, 19.972/2015, 20.102/2016).

Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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