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41 Innere AngelegenheitenNorm
EMRK Art8 Abs2Leitsatz
Verletzung im Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens durch die Abweisung von Anträgen auf Verlängerung von Aufenthaltsberechtigungen für eine jugoslawische Familie mit langjährigem Aufenthalt im Inland und im Inland geborenen, österreichische höhere Schulen besuchenden Kindern; verfassungswidrige Annahme der Notwendigkeit der Antragstellung vom Ausland aus aufgrund der bereits abgelaufenen Sichtvermerke; analoge Vorgangsweise zur Fallgruppe der Verlängerungsanträge verfassungsrechtlich gebotenSpruch
Die Beschwerdeführer sind durch die angefochtenen Bescheide in dem durch Art8 EMRK verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens verletzt worden.
Die Bescheide werden aufgehoben.
Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, den Beschwerdeführern zu Handen ihres Rechtsvertreters die mit je 18.000,- S bestimmten Kosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. 1. Der Beschwerdeführer zu B901/95 ist kroatischer Staatsangehöriger und lebt - den unwidersprochen gebliebenen Beschwerdeausführungen zufolge - seit 1968 in Österreich. Er war während seines Aufenthaltes unselbständig erwerbstätig und bezieht seit 1. Jänner 1988 eine Invaliditätspension der Pensionsversicherungsanstalt der Arbeiter. Die Beschwerdeführerin zu B902/95 ist die ebenfalls seit 1968 in Österreich lebende Gattin des Beschwerdeführers zu B901/95, bei den Beschwerdeführern zu B900/95 und zu 903/95 handelt es sich um zwei bereits in Österreich geborene und derzeit in einer Lehrlingsausbildung stehende Kinder dieses Ehepaares.
2. Die den Beschwerdeführern zuletzt erteilten Sichtvermerke liefen den Beschwerdeausführungen zufolge am 3. Dezember 1993, einem Samstag, ab.
Am 5. und am 7. Dezember 1993 versuchten die Beschwerdeführer Anträge auf Verlängerung der Aufenthaltsbewilligung einzubringen, die jedoch mit der Begründung, die Beschwerdeführer benötigten anstelle der vorgelegten "jugoslawischen" Reisepässe, Reisepässe der Republik Kroatien bzw. die Befristung des vorgelegten Mietvertrages ermögliche nicht die Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung mit der angestrebten Dauer, nicht entgegengenommen wurden.
Am 4. Februar 1994 gestellte Anträge auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung wurden dann zwar entgegengenommen, jedoch mit Bescheiden des Landeshauptmannes von Wien mit der Begründung, die Anträge seien verspätet gestellt worden, abgewiesen.
Die gegen diese Bescheide erhobenen Berufungen wurden mit im wesentlichen gleichlautenden Bescheiden des Bundesministers für Inneres unter Berufung auf §13 iVm §6 Abs2 des Aufenthaltsgesetzes - AufG, BGBl. 466/1992, abgewiesen. Begründend wurde ausgeführt, die Beschwerdeführer, hätten die Frist zur Stellung eines Verlängerungsantrages versäumt und deshalb einen Antrag auf Erteilung einer Bewilligung vom Ausland aus stellen müssen, weshalb die Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung ausgeschlossen und auf das Vorbringen der Beschwerdeführer - auch im Zusammenhang mit ihren persönlichen Verhältnissen - nicht weiter einzugehen sei.
3. Gegen diese Bescheide richten sich die vorliegenden, auf Art144 Abs1 B-VG gestützten Beschwerden, mit denen insbesondere die Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Achtung des Privat- und Familienlebens (Art8 EMRK) geltend gemacht und die kostenpflichtige Aufhebung der angefochtenen Bescheide begehrt wird.
II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässigen - Beschwerden erwogen:
1.a) Die angefochtenen, Aufenthaltsbewilligungen nach dem AufG versagenden Bescheide greifen in das den Beschwerdeführern, die sich seit mehr als 25 Jahren bzw. seit ihrer Geburt in Österreich aufhalten, durch Art8 EMRK verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens ein.
b) Ein Eingriff in dieses verfassungsgesetzlich gewährleistete - unter Gesetzesvorbehalt stehende - Recht ist dann verfassungswidrig, wenn der ihn verfügende Bescheid ohne jede Rechtsgrundlage erging, auf einer dem Art8 EMRK widersprechenden Rechtsgrundlage beruht, oder wenn die Behörde bei Erlassung des Bescheides eine verfassungsrechtlich unbedenkliche Rechtsgrundlage in denkunmöglicher Weise anwendete; ein solcher Fall liegt nur vor, wenn die Behörde einen so schweren Fehler beging, daß dieser mit Gesetzlosigkeit auf eine Stufe zu stellen ist, oder wenn sie der angewendeten Rechtsvorschrift fälschlicherweise einen verfassungswidrigen, insbesondere einen dem Art8 Abs1 EMRK widersprechenden und durch Art8 Abs2 EMRK nicht gedeckten Inhalt unterstellte (vgl. VfSlg. 11638/1988).
2. Wie der Verfassungsgerichtshof bereits im Erkenntnis vom 16.6.1995, B 1611-1614/94, mit näherer Begründung dargelegt hat, ist es im Rahmen einer verfassungskonformen Auslegung des durch §6 Abs2 AufG geschaffenen Regelungssystems geboten, Antragsteller, die sich jahre- bzw. jahrzehntelang rechtmäßig in Österreich aufgehalten und die Frist zur Stellung eines Antrages iS des §13 AufG nur relativ kurz versäumt haben, unter den zweiten Satz des §6 Abs2 AufG zu subsumieren, wonach Anträge auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung auch vom Inland aus gestellt werden können.
3. Die belangte Behörde hat in den Beschwerdefällen auf Fremde, die sich bereits seit über 25 Jahren bzw. seit ihrer Geburt rechtmäßig in Österreich aufgehalten haben, nur weil sie die Anträge auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung - auch wenn man davon ausgeht, daß diese Anträge erst am 4. Februar 1994 eingebracht wurden - innerhalb relativ kurzer Zeit nach dem Ablauf der Geltungsdauer der ihnen zuletzt erteilten Sichtvermerke gestellt haben, die Bestimmung des §6 Abs2 erster Satz AufG angewendet und die Aufenthaltsbewilligungen, ohne auf die persönlichen Verhältnisse der Beschwerdeführer einzugehen mit der Begründung versagt, der Antrag müsse vom Ausland aus gestellt werden. Sie hat damit dem §6 Abs2 AufG einen verfassungswidrigen, weil gegen Art8 EMRK verstoßenden Inhalt unterstellt.
Die angefochtenen Bescheide waren daher schon aus diesem Grunde aufzuheben.
4. Die Kostenentscheidung gründet sich auf §88 VerfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer von je 3.000,- S enthalten.
5. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VerfGG ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung getroffen werden.
Schlagworte
Aufenthaltsrecht, Privat- und FamilienlebenEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:1995:B900.1995Dokumentnummer
JFT_10049371_95B00900_00