TE Vwgh Beschluss 2021/1/14 Ra 2020/18/0530

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 14.01.2021
beobachten
merken

Index

10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)
10/07 Verwaltungsgerichtshof
19/05 Menschenrechte

Norm

B-VG Art133 Abs4
MRK Art8
VwGG §28 Abs3
VwGG §34 Abs1

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer als Richterin und die Hofräte Mag. Nedwed und Mag. Tolar als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Wuketich, über die Revision des I S in T, vertreten durch Dr. Gerhard Mory, Rechtsanwalt in 5020 Salzburg, Wolf-Dietrich-Straße 19/5, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 29. Juli 2020, I413 2143715-1/36E, betreffend eine Asylangelegenheit (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1        Der Revisionswerber, ein irakischer Staatsangehöriger, stammt aus Bagdad und gehört der schiitischen Glaubensgemeinschaft an. Er stellte am 25. März 2015 einen Antrag auf internationalen Schutz, den er im Wesentlichen damit begründete, er habe für den Fußballverein „Al Kadhimiya“ gespielt, welcher der schiitischen Miliz „Asa’ib Ahl al-Haqq“ gehöre. Als er zu einem anderen Fußballverein habe wechseln wollen, sei dies vom Obmann seines bisherigen Vereins namens Saad Abadi (auch Obadi) nicht akzeptiert worden. Er habe ihm gedroht, im Falle des Vereinswechsels seine Karriere zu ruinieren. In weiterer Folge sei ihm ein Drohbrief mit einer Todesdrohung durch die genannte Miliz zugekommen, weshalb er den Irak verlassen habe.

2        Mit Bescheid vom 6. Dezember 2016 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den Antrag des Revisionswerbers auf internationalen Schutz zur Gänze ab, erteilte ihm keinen Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG 2005, erließ eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass die Abschiebung des Revisionswerbers in den Irak zulässig sei, und legte eine Frist für die freiwillige Ausreise fest.

3        Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) mit Erkenntnis vom 24. Oktober 2018 ab und erklärte die Revision für nicht zulässig.

4        Aufgrund der außerordentlichen Revision des Revisionswerbers hob der Verwaltungsgerichtshof diese verwaltungsgerichtliche Entscheidung mit Erkenntnis vom 5. März 2020, Ra 2019/19/0386, wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften auf.

5        Begründend führte der Verwaltungsgerichtshof unter anderem aus, das BVwG habe dem Fluchtvorbringen des Revisionswerbers keinen Glauben geschenkt, sich in der Beweiswürdigung aber weitgehend darauf beschränkt, darzulegen, weshalb der vorgelegte Drohbrief als Fälschung einzustufen sei. Dabei habe es keine schlüssige Beweiswürdigung vorgenommen.Die Relevanz dieses Verfahrensfehlers sei vor dem Hintergrund der Länderberichte, wonach die für Menschenrechtsverletzungen bekannte schiitische Miliz „Asa’ib Ahl al-Haqq“ in Bagdad, insbesondere im Bezirk Kadhimiya, großen Einfluss habe, nicht von vornherein auszuschließen.

6        Im fortgesetzten Verfahren führte das BVwG eine weitere mündliche Verhandlung durch, in welcher (unter anderem) eine ergänzende Einvernahme des Revisionswerbers stattfand. Überdies wurden mehrere vom Revisionswerber vorgelegte Videos zu den behaupteten Machenschaften des Saad Abadi angesehen und deren Inhalt im Beisein eines Dolmetschers analysiert.

7        Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das BVwG die Beschwerde des Revisionswerbers - mit einer hier nicht relevanten Maßgabe - wiederum als unbegründet ab und erklärte die Revision für nicht zulässig.

8        Es führte aus, der Revisionswerber habe im Irak für den Fußballverein „Al Kadhimiya“ gespielt. Es könne aber nicht festgestellt werden, dass er - wegen eines geplanten Vereinswechsels - insbesondere von der schiitischen Miliz „Asa’ib Ahl al-Haqq“ bedroht worden sei oder bei Rückkehr bedroht würde. Er habe den Irak vielmehr aus wirtschaftlichen Gründen verlassen, um ein besseres Leben zu haben und eine Karriere als Fußballspieler in Europa zu machen. Eine Gefährdungslage, die Asyl oder subsidiären Schutz rechtfertigen würde, habe er aus näher umschriebenen Gründen nicht glaubhaft machen können. Selbst bei Wahrunterstellung seines Vorbringens könne er allerdings einer Bedrohung durch Inanspruchnahme einer zumutbaren innerstaatlichen Fluchtalternative bei nahen Angehörigen in der Autonomen Region Kurdistan entgehen. Zur Rückkehrentscheidung nahm das BVwG eine näher begründete Interessenabwägung nach Art. 8 EMRK vor.

9        Gegen dieses Erkenntnis erhob der Revisionswerber zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, deren Behandlung mit dg. Beschluss vom 21. September 2020, E 2984/2020-5, abgelehnt und die dem Verwaltungsgerichtshof mit Beschluss vom 27. Oktober 2020, E 2984/2020-7, zur Entscheidung abgetreten wurde.

10       Die vorliegende außerordentliche Revision wendet sich in der Zulassungsbegründung zunächst gegen die Beweiswürdigung des BVwG. Sie macht geltend, das Verwaltungsgericht habe die Frage der Echtheit und Authentizität des vorgelegten Drohbriefs (neuerlich) nicht nachvollziehbar begründet. Außerdem habe es das BVwG unterlassen, in die Beweiswürdigung die in der Beschwerdeverhandlung ausgewerteten Videobeweise über Saad Abadi miteinzubeziehen und dabei eine Würdigung vor dem Hintergrund der Berichtslage vorzunehmen. Das BVwG habe dem Revisionswerber kein Parteiengehör zur Frage eingeräumt, ob Saad Abadi einen Bezug zur schiitischen Miliz „Asa’ib Ahl al-Haqq“ habe. Wäre dies der Fall gewesen, so hätte der Revisionswerber eine Anfrage an ACCORD zu eben diesem Beweisthema beantragen können und es wäre hervorgekommen, dass Saad Abadi ein mächtiger Politiker in Bagdad sei, der sich mit bewaffneten Milizen zeige. Im Zusammenhang mit seiner Hilfsbegründung (innerstaatliche Fluchtalternative) setze sich das BVwG über die Einschätzungen des UNHCR hinweg, wonach eine innerstaatliche Fluchtalternative in der Autonomen Region Kurdistan generell nicht zumutbar sei. Zur Rückkehrentscheidung sei eine unvertretbare Interessenabwägung im Sinne des Art. 8 Abs. 2 EMRK vorgenommen worden, zumal der Revisionswerber bereits fünf Jahre im Bundesgebiet aufhältig und eine beachtliche Integration erfolgt sei. Insbesondere habe das BVwG die selbständige Erwerbstätigkeit des Revisionswerbers in einem Frisörunternehmen zu Unrecht als bloße Schein-Selbständigkeit gewertet und deshalb relativiert.

11       Mit diesem Vorbringen wird die Zulässigkeit der Revision nicht dargetan:

Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Hat das Verwaltungsgericht - wie im vorliegenden Fall - im Erkenntnis ausgesprochen, dass die Revision nicht zulässig ist, muss die Revision gemäß § 28 Abs. 3 VwGG auch gesondert die Gründe enthalten, aus denen entgegen dem Ausspruch des Verwaltungsgerichtes die Revision für zulässig erachtet wird.

Der Verwaltungsgerichtshof ist bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes nicht gebunden. Er hat die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß § 34 Abs. 1a VwGG im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe zu überprüfen. Liegt eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG danach nicht vor, ist die Revision gemäß § 34 Abs. 1 VwGG zurückzuweisen.

12       Soweit sich die Revision gegen die Beweiswürdigung des BVwG zum Fluchtvorbringen des Revisionswerbers wendet, ist lediglich festzuhalten, dass sich das BVwG im fortgesetzten Verfahren (anders als im ersten Rechtsgang) mit den für und gegen die Glaubwürdigkeit des Revisionswerbers sprechenden Umständen umfangreich auseinander gesetzt hat. Es trifft auch nicht zu, dass das BVwG die in der Verhandlung erörterten Videobeweise nicht berücksichtigt hätte. Im Gegenteil: Im angefochtenen Erkenntnis wurden diese Beweismittel im Einzelnen erörtert und das Verwaltungsgericht legte vertretbar dar, weshalb es darin keinen Beleg für die Untermauerung des Fluchtvorbringens erblickte. Dem hält die Revision nichts Stichhaltiges entgegen.

13       Auch eine Verletzung des Parteiengehörs ist dem BVwG in diesem Zusammenhang nicht vorzuwerfen, weil Fragen der Beweiswürdigung (hier, ob eine Verbindung zwischen dem behaupteten Fußballvereinsobmann Saad Abadi und der in Rede stehenden schiitischen Miliz belegt wurde) keinem Parteiengehör unterzogen werden müssen (vgl. dazu etwa VwGH 5.11.2020, Ra 2020/14/0258, mwN).

14       Der Revision gelingt es somit nicht, in Bezug auf das nicht geglaubte Fluchtvorbringen eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung aufzuzeigen (zum diesbezüglichen Prüfmaßstab vgl. etwa aus jüngerer Zeit VwGH 29.10.2020, Ra 2020/18/0374, mwN).

15       Bei dieser Ausgangslage hängt die Revision von der Hilfsbegründung des BVwG, der Revisionswerber habe selbst bei Wahrunterstellung seines Fluchtvorbringens eine innerstaatliche Fluchtalternative in den kurdischen Autonomiegebieten des Irak, nicht ab. Die gegen die Annahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative erhobenen Einwände der Revision begründen schon deshalb keine grundsätzliche Rechtsfrage im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG.

16       Bei Erlassung der Rückkehrentscheidung hat das BVwG im Übrigen die Aufenthaltsdauer und die Integrationsschritte des Revisionswerbers in seine Überlegungen einbezogen und diese privaten Interessen am Verbleib im Bundesgebiet geringer gewichtet als das öffentliche Interesse an der Beendigung seines Aufenthalts. Dass dem Verwaltungsgericht bei dieser Gesamtabwägung nach Art. 8 Abs. 2 EMRK im Lichte der höchstgerichtlichen Rechtsprechung eine relevante und unvertretbare Fehlbeurteilung unterlaufen wäre, zeigt die Revision nicht auf.

17       In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.

Wien, am 14. Jänner 2021

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2021:RA2020180530.L00

Im RIS seit

01.03.2021

Zuletzt aktualisiert am

01.03.2021
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten