Index
001 Verwaltungsrecht allgemein;Norm
ABGB §182;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Puck und die Hofräte Dr. Holeschofsky, Dr. Zens, Dr. Bayjones und Dr. Schick als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Keller, über die Beschwerde des T in W, vertreten durch Dr. M, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 30. Mai 1995, Zl. 301.009/3-III/11/95, betreffend Aufenthaltsbewilligung, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund (Bundesministerium für Inneres) hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.740,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 30. Mai 1995 wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung gestützt auf § 6 Abs. 2 des Aufenthaltsgesetzes (AufG) und (offenbar in Verbindung mit § 5 Abs. 1 AufG) gemäß § 10 Abs. 1 Z. 4 des Fremdengesetzes (FrG) abgewiesen.
Der Beschwerdeführer habe am 3. Februar 1995 einen Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung gestellt. Da seine letzte Aufenthaltsbewilligung mit 21. September 1994 geendet habe, habe sich der Beschwerdeführer in der Zeit vom 22. September 1994 bis zur Antragstellung "sichtvermerksfrei" in Österreich aufgehalten. Durch diesen "sichtvermerksfreien" und damit "illegalen" Aufenthalt in Österreich zeige der Beschwerdeführer, daß er nicht gewillt sei, die österreichische Rechtsordnung zu respektieren; damit liege der Sichtvermerksversagungsgrund im Sinne des § 10 Abs. 1 Z. 4 FrG vor.
Der Beschwerdeführer habe weiters den vorliegenden "Erstantrag" zwar aus dem Ausland, doch während seines Aufenthaltes in Österreich gestellt, sodaß er der Bestimmung des § 6 Abs. 2 AufG nicht entsprochen habe.
Auf das Vorbringen des Beschwerdeführers im Zusammenhang mit seinen persölichen Verhältnissen sei nicht weiter einzugehen gewesen.
Mit Beschluß vom 11. Oktober 1995, B 2301/95-7, lehnte der Verfassungsgerichtshof die Behandlung der dagegen erhobenen Beschwerde ab und trat diese gemäß Art. 144 Abs. 3 B-VG dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung ab.
Dieser hat über die - ergänzte - Beschwerde erwogen:
Aktenkundig ist, daß das Bezirksgericht Wien Innere Stadt mit Beschluß vom 12. Juli 1994, GZ 4 P 72/94-5, die Annahme des Beschwerdeführers an Kindes statt durch einen österreichischen Staatsbürger bewilligt hat. Unbestritten ist auch, daß der Beschwerdeführer über eine Aufenthaltsbewilligung bis zum 21. September 1994 verfügte.
Gemäß § 5 Abs. 1 AufG darf eine Bewilligung Fremden nicht erteilt werden, bei denen (unter anderem) ein Sichtvermerksversagungsgrund (§ 10 Abs. 1 FrG) vorliegt. Nach § 10 Abs. 1 Z. 4 FrG ist die Erteilung eines Sichtvermerkes zu versagen, wenn der Aufenthalt des Sichtvermerkswerbers die öffentliche Ruhe, Ordnung oder Sicherheit gefährden würde.
Aus der Begründung des angefochtenen Bescheides geht klar hervor, daß die Versagung der Aufenthaltsbewilligung (auch) darauf gestützt wurde, daß der Beschwerdeführer Österreich nach Ablauf der oben erwähnten Aufenthaltsbewilligung nicht verlassen und sich somit seither, somit auch zum Zeitpunkt seiner Antragstellung, unrechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten (im Sinne des § 1 Abs. 1 AufG) habe. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes rechtfertigt dieser Umstand aber für sich alleine noch nicht die Annahme, daß der weitere Aufenthalt des Beschwerdeführers im Bundesgebiet die öffentliche Ruhe, Ordnung oder Sicherheit gefährden würde (vgl. das hg. Erkenntnis vom 24. März 1997, Zl. 95/19/1048, mwN), zumal auch nach dem Akteninhalt keine Anhaltspunkte für eine subjektive, darauf gerichtete Verhaltensweise des Beschwerdeführers erkennbar sind.
Weiters hat nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes die Behörde bei Anwendung des § 10 Abs. 1 Z. 4 FrG auf die privaten und familiären Interessen des Fremden Bedacht zu nehmen, und zwar in der Weise, daß sie zu prüfen hat, ob ein Aufenthalt des Fremden im Bundesgebiet die öffentliche Ruhe, Ordnung oder Sicherheit derart gefährden würde, daß die im Art. 8 Abs. 2 MRK genannten öffentlichen Interessen einen Eingriff in sein Privat- und Familienleben rechtfertigen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 30. November 1995, Zl. 95/18/0629, mwN). Dieser Verpflichtung ist die belangte Behörde im vorliegenden Fall nicht nachgekommen.
Die Behörde hat ihren Bescheid überdies noch auf § 6 Abs. 2 AufG gestützt. Im Hinblick auf die Erlassung des angefochtenen Bescheides (Zustellung am 12. Juni 1995) hatte sie diese Bestimmung in der Fassung der Novelle BGBl. Nr. 351/1995 (Bundesgesetzblatt ausgegeben am 19. Mai 1995), anzuwenden. § 6 Abs. 2 AufG in der soeben genannten Fassung lautet:
"(2) Der Antrag auf Erteilung einer Bewilligung ist vor der Einreise nach Österreich vom Ausland aus zu stellen. Begründet eine Einbringung auf dem Postweg oder durch Vertreter die Vermutung, daß diese Regelung umgangen werden soll, kann die persönliche Einbringung verlangt werden. Eine Antragstellung im Inland ist ausnahmsweise zulässig: Im Fall des Verlustes der österreichischen Staatsbürgerschaft, des Asyls oder des Aufenthaltsrechts gemäß § 1 Abs. 3 Z. 1; weiters in den Fällen des § 7 Abs. 2, des § 12 Abs. 4 und einer durch zwischenstaatliche Vereinbarung oder durch eine Verordnung gemäß § 14 FrG ermöglichten Antragstellung nach Einreise; schließlich für jene im Bundesgebiet aufhältigen Personen, für die dies in einer Verordnung gemäß § 2 Abs. 3 Z. 4 festgelegt ist. Der Antrag auf Verlängerung einer Bewilligung und auf Änderung des Aufenthaltszwecks kann bis zum Ablauf der Geltungsdauer der Bewilligung auch vom Inland aus gestellt werden."
Die Bestimmung des § 6 Abs. 2 erster Satz AufG, wonach der Antrag auf Erteilung einer Bewilligung vor der Einreise nach Österreich vom Ausland aus zu stellen ist, trifft auf den Beschwerdeführer zu. Bei dem dort normierten Erfordernis handelt es sich um eine Voraussetzung, deren Nichterfüllung zwingend die Abweisung des Antrages nach sich zieht. Diese Bestimmung ist im Einklang mit dem aus den Gesetzesmaterialien hervorgehenden Willen des Gesetzgebers auszulegen, wonach der Fremde die Entscheidung über seinen im Ausland zu stellenden Antrag in der Regel auch vom Ausland aus abzuwarten hat. Die Antragstellung bei gleichzeitigem (unrechtmäßigem) Aufenthalt des Fremden in Österreich würde gegen den durch § 6 Abs. 2 erster Satz AufG verfolgten Zweck, die illegale Zuwanderung zu verhindern oder zumindest zu reduzieren, verstoßen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 24. Jänner 1997, Zl. 95/19/0895, mwN).
Nach der Rechtsprechung der Gerichtshöfe des öffentlichen Rechtes war die Bestimmung des § 6 Abs. 2 AufG in der Fassung vor der Novelle BGBl. Nr. 351/1995, in der ebenfalls das Erfordernis der Antragstellung aus dem Ausland enthalten war, im Hinblick auf Art. 8 MRK einer verfassungskonformen Interpretation zu unterziehen. Unter den von der Rechtsprechung erarbeiteten Kriterien waren derartige Anträge - ungeachtet der Fristversäumnis - als rechtzeitig gestellte Anträge auf Verlängerung einer Aufenthaltsbewilligung, die auch vom Inland aus gestellt werden können, zu behandeln (vgl. das hg. Erkenntnis vom 24. März 1997, Zl. 95/19/1496, mwN auch aus der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes).
Der Gesetzgeber der Aufenthaltsgesetznovelle BGBl. Nr. 351/1995 hat nicht nur § 6 Abs. 2 AufG sondern - in diesem Zusammenhang - auch die Bestimmung des § 2 Abs. 3 Z. 4 AufG geändert. § 2 Abs. 3 Z. 4 AufG in der hier anzuwendenden Fassung der Novelle BGBl. Nr. 351/1995 lautet auszugsweise:
"(3) Die Bundesregierung kann in dieser Verordnung insbesondere ...
4. ..., Angehörige österreichischer Staatsbürger (§ 3 Abs. 1 Z. 1) ..., insoweit von der Anrechnung auf die Zahl der Bewilligungen ausnehmen, als dadurch das Ziel der Zuwanderungsregelung nicht beeinträchtigt wird ..."
Mit den erwähnten Bestimmungen des § 2 Abs. 3 Z. 4 AufG und des § 6 Abs. 2 dritter Satz AufG in der Fassung der Novelle sowie der darin enthaltenen - von der Bundesregierung mit der Verordnung BGBl. Nr. 408/1995 auch genützten - Verordnungsermächtigung hat der Gesetzgeber auf die durch die in Rede stehende Bestimmung der Europäischen Menschenrechtskonvention geschützten familiären Interessen Bedacht genommen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 24. März 1997, Zl. 95/19/0902).
Im Beschwerdefall ist aber zu berücksichtigen, daß die Verordnung der Bundesregierung BGBl. Nr. 408/1995 noch nicht anzuwenden war (Bescheidzustellung am 12. Juni 1995; Ausgabe des Bundesgesetzblattes am 27. Juni 1995). Die belangte Behörde hätte jedoch im Hinblick auf eine verfassungskonforme Interpretation der von ihr anzuwendenden Bestimmung des § 6 Abs. 2 AufG in der Fassung der erwähnten Novelle 1995 im Sinne des Art. 8 MRK zu prüfen gehabt, ob private oder familiäre Interessen des Beschwerdeführers derart beeinträchtigt werden, daß eine ausnahmsweise Antragstellung aus dem Inland in Betracht zu ziehen wäre. Die belangte Behörde hat dies in Verkennung der Rechtslage unterlassen.
Die belangte Behörde hätte bei richtiger Rechtsanwendung berücksichtigen müssen, daß im Sinne der oben zitierten Bestimmung des § 2 Abs. 3 Z. 4 AufG Angehörige österreichischer Staatsbürger - hiezu zählen auch Adoptivkinder (vgl. das hg. Erkenntnis vom 19. Juni 1996, Zl. 95/21/0098) - , die eine Aufenthaltsbewilligung hatten, ausnahmsweise zur Antragstellung aus dem Inland im Sinne des § 6 Abs. 2 letzter Satz AufG berechtigt sind.
Selbst unter Heranziehung der Kriterien des § 3 der hier nicht anzuwendenden Verordnung BGBl. Nr. 408/1995 würde eine verfassungskonforme Interpretation des § 6 Abs. 2 AufG zu keinem anderen Ergebnis führen. § 3 der zitierten Verordnung lautet auszugsweise:
"§ 3. Der Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung kann ausnahmsweise im Inland gestellt werden von:
1.
...,
2.
...,
3.
Personen, für die eine Beschäftigungsbewilligung, eine Arbeitserlaubnis oder ein Befreiungsschein ausgestellt ist, und deren Familienangehörigen im Sinne des § 3 des Aufenthaltsgesetzes, die eine Aufenthaltsbewilligung hatten und
4. Angehörigen von österreichischen Staatsbürgern (§ 3 Abs. 1 Z. 1 Aufenthaltsgesetz), die gemäß § 14 Abs. 3 FrG einreisen oder denen vor der Einreise ein gewöhnlicher Sichtvermerk erteilt wurde."
Der Beschwerdeführer ist - wie oben erwähnt - Angehöriger eines österreichischen Staatsbürgers im Sinne des § 3 Abs. 1 Z. 1 AufG. Es kann nun dahingestellt bleiben, ob er die genannten Kriterien des § 3 Z. 4 der Verordnung erfüllen würde, liegen doch bei ihm die - kraft Größenschlusses auch auf Angehörige österreichischer Staatsbürger anwendbare (vgl. das hg. Erkenntnis vom 14. Dezember 1995, Zl. 95/19/0536) - Voraussetzungen der Z. 3 des § 3 der Verordnung vor.
Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994. Die Abweisung des Mehrbegehrens beruht einerseits darauf, daß Verfahrenskosten vor dem Verfassungsgerichtshof nicht vor dem Verwaltungsgerichtshof geltend gemacht werden können, sowie andererseits darauf, daß der aufgetragene Mängelbehebungsschriftsatz nur zweifach einzubringen war.
Da die Schriftsätze der Parteien des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens und die dem Verwaltungsgerichtshof vorgelegten Akten des Verwaltungsverfahrens erkennen lassen, daß die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten läßt, konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z. 6 VwGG von der beantragten Verhandlung abgesehen werden.
Soweit Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofes zitiert wurden, die in der Amtlichen Sammlung der Erkenntnisse und Beschlüsse dieses Gerichtshofes nicht veröffentlicht sind, wird auf Art. 14 Abs. 4 der Geschäftsordnung des Verwaltungsgerichtshofes, BGBl. Nr. 45/1965, hingewiesen.
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1997:1995191474.X00Im RIS seit
11.07.2001