Index
41/02 StaatsbürgerschaftNorm
ASVG §293Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Blaschek und die Hofräte Dr. Kleiser, Dr. Fasching, Mag. Brandl und Dr. Terlitza als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Kieslich, über die Revision der Wiener Landesregierung gegen das Erkenntnis des Verwaltungsgerichts Wien vom 20. März 2019, Zl. VGW-152/089/13615/2019-30, betreffend Staatsbürgerschaft (mitbeteiligte Partei: S M in W), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Begründung
Vorgeschichte
1 Am 15. März 2016 stellte die (damals) minderjährige Mitbeteiligte, eine thailändische Staatsangehörige und (damals) vertreten durch ihren Pflegevater, bei der Wiener Landesregierung (Amtsrevisionswerberin) einen Antrag auf Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft.
2 Mit Schreiben vom 30. September 2019 erhob die Mitbeteiligte mangels einer Entscheidung durch die Amtsrevisionswerberin Säumnisbeschwerde an das Verwaltungsgericht.
Angefochtenes Erkenntnis
3 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wurde der Mitbeteiligten gemäß § 20 Abs. 1 Staatsbürgerschaftsgesetz 1985 (StbG) die österreichische Staatsbürgerschaft für den Fall zugesichert, dass sie innerhalb von zwei Jahren ab Zusicherung das Ausscheiden aus ihrem bisherigen Staatsverband (Thailand) nachweist.
4 Begründend führte das Verwaltungsgericht zu seiner Zuständigkeit infolge Säumnis der Amtsrevisionswerberin aus, diese habe zwar gewisse Ermittlungsschritte gesetzt, jedoch über einen Zeitraum von dreieinhalb Jahren keine Entscheidung getroffen, ohne dass ein sachlicher Grund für diese Verzögerung vorgelegen sei.
5 In der Sache stellt das Verwaltungsgericht, soweit vorliegend (im Zusammenhang mit der Frage der hinreichenden Sicherung des Lebensunterhaltes nach § 10 Abs. 1 Z 7 StbG) relevant, fest, die Mitbeteiligte sei seit 7. Oktober 2005 durchgehend mit Hauptwohnsitz in W behördlich gemeldet und wohne seither durchgehend im gemeinsamen Haushalt mit ihrem Pflegevater, einem näher bezeichneten österreichischen Staatsbürger. Mit näher bezeichnetem Beschluss des Bezirksgerichts Favoriten vom 15. November 2013 sei der Pflegevater vorläufig mit der Obsorge der Mitbeteiligten betraut worden. Mit näher bezeichnetem Beschluss des Bezirksgerichts Favoriten vom 6. Juli 2015 sei der Mutter der Mitbeteiligten die Obsorge über die Mitbeteiligte endgültig entzogen und dem Pflegevater endgültig übertragen worden.
6 Der Pflegevater habe im Zeitraum März 2013 bis Februar 2016 allein für die (damals minderjährige) Mitbeteiligte gesorgt und sei für sämtliche Lebenshaltungs- sowie Schulkosten aufgekommen. Diese Leistungen habe der Pflegevater in der Absicht getätigt, die Unterhaltsansprüche der Mitbeteiligten vollständig zu erfüllen. Die leiblichen Eltern der Mitbeteiligten hätten zu keinem Zeitpunkt Unterhalt an die Mitbeteiligte geleistet. Auch habe es keine Unterhaltsvereinbarung zwischen dem Pflegevater und der Mutter der Mitbeteiligten gegeben.
7 In rechtlicher Hinsicht führte das Verwaltungsgericht insoweit aus, bei der Berechnung des hinreichend gesicherten Lebensunterhaltes der Mitbeteiligten nach § 10 Abs. 1 Z 7 iVm Abs. 5 StbG sei das Einkommen ihres Pflegevaters (im Zeitraum November 2013 bis Februar 2016) aus folgenden Gründen heranzuziehen gewesen.
8 Einkünfte aus gesetzlichen Unterhaltsansprüchen seien gemäß § 10 Abs. 1 Z 7 iVm Abs. 5 StbG für die Berechnung des Lebensunterhaltes zu berücksichtigen.
9 Der Kindesunterhalt sei in § 231 ABGB geregelt. Demnach hätten die Eltern zur Deckung der ihren Lebensverhältnissen angemessenen Bedürfnisse des Kindes unter Berücksichtigung seiner Anlagen, Fähigkeiten, Neigungen und Entwicklungsmöglichkeiten nach ihren Kräften anteilig beizutragen. Werde den Pflegeeltern (bzw. dem Pflegeelternteil) die Obsorge eines Kindes gänzlich übertragen, gebe ihnen dies die Stellung von Eltern, nicht bloß die eines anderen Obsorgebetrauten.
10 Durch die gerichtliche Übertragung der gänzlichen (zunächst vorläufigen und dann endgültigen) Obsorge über die (damals minderjährige) Mitbeteiligte auf den Pflegevater sei diesem die Stellung eines Elternteiles zugekommen, womit auch eine gesetzliche Unterhaltsverpflichtung gegenüber der Mitbeteiligten verbunden sei bzw. gewesen sei. Der Pflegevater habe daher ab dem Zeitpunkt der Übertragung der Obsorge für den gesetzlichen Unterhalt der (mit ihm im gemeinsamen Haushalt lebenden) Mitbeteiligten aufzukommen gehabt, was er nach den Feststellungen auch tatsächlich getan habe. Für den Umstand, dass es sich beim Pflegevater um den gesetzlich Unterhaltspflichtigen gehandelt habe, spreche auch, dass dieser im relevanten Zeitraum für die (damals minderjährige) Mitbeteiligte Familienbeihilfe und den Kinderabsetzbetrag bezogen habe. So hätten die Familienbeihilfe und der mit ihr ausbezahlte Kinderabsetzbetrag nach Auffassung des Verfassungsgerichtshofes (VfGH) den Zweck, Unterhaltspflichtige steuerlich zu entlasten (Verweis auf VfSlg. 14.992/1997).
11 Eine Auslegung, dass ausschließlich Einkünfte aus gesetzlichen Unterhaltsansprüchen gegen die leiblichen Eltern bei der Berechnung des Lebensunterhaltes zu berücksichtigen wären, verbiete sich nach Auffassung des Verwaltungsgerichts bereits aus verfassungsrechtlichen Gründen. Dies würde nämlich zu einer unsachlichen Schlechterstellung von Pflegekindern führen, die oftmals keinen Kontakt zu leiblichen Eltern hätten oder auch keinerlei Unterhaltsleistungen von diesen erhielten. Pflegekinder wären gegenüber Kindern, die bei ihren leiblichen Eltern aufwachsen würden und daher (auch tatsächlich) Unterhaltsansprüche gegen diese geltend machen könnten, gröblich benachteiligt. Eine derartige Interpretation könne nicht dem Willen des Gesetzgebers entsprechen.
12 Es sei auch auf die herrschende Lehre und Rechtsprechung verwiesen, wonach der Unterhaltsanspruch eines Kindes gegenüber dem Unterhaltspflichtigen untergehe, wenn Dritte Unterhaltsleistungen in der Absicht erbrächten, die Unterhaltspflicht zu erfüllen (Verweis auf OGH 27.7.2017, 4 Ob 87/17y). Vorliegend habe der Pflegevater den Lebensunterhalt der Mitbeteiligten mit der Absicht geleistet, die Unterhaltspflicht gegenüber der Mitbeteiligten zu erfüllen. Damit sei der gesetzliche Unterhaltsanspruch der Mitbeteiligten gegenüber ihren leiblichen Eltern erloschen. Dieser Umstand könne nach Auffassung des Verwaltungsgerichts keinesfalls zu Lasten der Mitbeteiligten „gereichen“.
13 Sodann führte das Verwaltungsgericht mit näherer Begründung aus, unter Berücksichtigung des Einkommens des Pflegevaters im gewählten Zeitraum sei ein hinreichend gesicherter Lebensunterhalt der Mitbeteiligten gemäß § 10 Abs. 1 Z 7 iVm Abs. 5 StbG anzunehmen.
14 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende Amtsrevision mit dem Antrag, das Erkenntnis wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
15 Die Mitbeteiligte erstattete keine Revisionsbeantwortung.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Zulässigkeit
16 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
17 Die Amtsrevision bringt zu ihrer Zulässigkeit zunächst vor, das Verwaltungsgericht sei von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofesabgewichen, nach der freiwillige Geldgeschenke und finanzielle Zuwendungen, auf welche kein Rechtsanspruch bestehe, nicht als Einkünfte gemäß § 10 Abs. 1 Z 7 iVm Abs. 5 StbG angesehen werden könnten.
18 Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes soll die Verleihung der Staatsbürgerschaft den Abschluss einer (erfolgreichen) Integration des Fremden in Österreich darstellen, zu der nach der Wertung des Gesetzgebers auch gehört, dass der Verleihungswerber sein Fortkommen ohne Unterstützung durch Sozialhilfeleistungen der Gebietskörperschaft bestreiten kann. Daher erfordert die Annahme eines „hinreichend gesicherten Lebensunterhalts“ eine Nachhaltigkeit der Einkommenssicherung. Berücksichtigt man dieses Ziel der Regelung, so werden nur jene Einkünfte nach § 10 Abs. 5 StbG heranzuziehen sein, welche die Prognose erlauben, dass der Verleihungswerber sein Fortkommen auch künftig ohne Unterstützung durch Sozialhilfeleistungen der Gebietskörperschaft bestreiten kann. In diesem Sinne können „freiwillige Geldgeschenke einer dritten Person“ sowie finanzielle Zuwendungen, auf welche kein Rechtsanspruch im Sinne eines gesetzlichen Unterhaltsanspruches bestehe, nicht als Einkünfte im Sinne des § 10 Abs. 5 StbG angesehen werden (vgl. VwGH 28.2.2019, Ra 2019/01/0004, mwN).
19 Von dieser Rechtsprechung ist das Verwaltungsgericht nicht abgewichen, da es (mit näherer Begründung) die Auffassung vertrat, dass es sich gegenständlich um Einkünfte aus gesetzlichen Unterhaltsansprüchen handelte.
20 Die Amtsrevision rügt jedoch in diesem Zusammenhang, entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts habe die Mitbeteiligte als Pflegekind keinen gesetzlichen Unterhaltsanspruch: Gesetzliche Unterhaltsansprüche könnten nur zwischen Ehegatten, ehemaligen Ehegatten nach Scheidung, Aufhebung oder Nichtigerklärung der Ehe (§§ 66 ff EheG) und Eltern bzw. Großeltern und Kindern bzw. Enkelkindern (§§ 231 - 234, 197, 198 [gemeint: ABGB]) bestehen. Keinen gesetzlichen Unterhaltsanspruch hätten dagegen Lebensgefährten, Stiefkinder und Stiefeltern, Pflegekinder und Pflegeeltern sowie Personen, die nur in Seitenlinie miteinander verwandt seien (Geschwister, Tante, Onkel, Neffe, Nichte etc.). Werde der Unterhalt von Pflegeeltern geleistet, so geschehe dies aus vertraglicher Verpflichtung oder nach § 1042 ABGB (Verweis auf näher zitierte Literatur).
21 Bei der Auslegung von nicht in die Kompetenz der Verwaltung fallenden Rechtsmaterien kommt dem Verwaltungsgerichtshof keine Leitfunktion zu; er ist zur Fällung grundlegender Entscheidungen auf dem Gebiet des Zivilrechts nicht berufen, sodass die Auslegung zivilrechtlicher Normen auch keine erhebliche Rechtsfrage im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG begründen kann, solange den Verwaltungsgerichten dabei keine krasse Fehlentscheidung unterlaufen ist. Eine derartige Unvertretbarkeit ist in der Regel dann auszuschließen, wenn die Verwaltungsgerichte eine zivilrechtliche Vorfrage im Einklang mit der Rechtsprechung der Obersten Gerichtshofes (OGH) gelöst haben (vgl. VwGH 3.7.2020, Ra 2020/14/0006, Rn. 41, mwN).
22 Dem Verwaltungsgericht ist vorliegend eine derart krasse Fehlentscheidung unterlaufen, weshalb die Revision aus diesem Grund zulässig ist.
Rechtslage
23 § 10 Staatsbürgerschaftsgesetz 1985 (StbG), BGBl. Nr. 311 idF BGBl. I Nr. 136/2013, lautet auszugsweise:
„Verleihung
§ 10. (1) Die Staatsbürgerschaft darf einem Fremden, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, nur verliehen werden, wenn
...
7. sein Lebensunterhalt hinreichend gesichert ist oder der Fremde seinen Lebensunterhalt aus tatsächlichen, von ihm nicht zu vertretenden Gründen dauerhaft nicht oder nicht in ausreichendem Maße sichern kann und
...
(1b) Nicht zu vertreten hat der Fremde seinen nicht gesicherten Lebensunterhalt insbesondere dann, wenn dieser auf einer Behinderung oder auf einer dauerhaften schwerwiegenden Krankheit beruht, wobei dies durch ein ärztliches Gutachten nachzuweisen ist.
...
(5) Der Lebensunterhalt (Abs. 1 Z 7) ist dann hinreichend gesichert, wenn feste und regelmäßige eigene Einkünfte aus Erwerb, Einkommen, gesetzlichen Unterhaltsansprüchen oder Versicherungsleistungen zum Entscheidungszeitpunkt im Durchschnitt von 36 Monaten aus den letzten sechs Jahren vor dem Antragszeitpunkt vom Fremden nachgewiesen werden, wobei jedenfalls die letzten geltend gemachten sechs Monate unmittelbar vor dem Antragszeitpunkt liegen müssen. Im geltend gemachten Zeitraum müssen die eigenen Einkünfte des Fremden ihm eine Lebensführung ohne Inanspruchnahme von Sozialhilfeleistungen der Gebietskörperschaften ermöglichen und der Höhe nach dem Durchschnitt der Richtsätze des § 293 des Allgemeinen Sozialversicherungsgesetzes (ASVG), BGBl. Nr. 189/1955, der letzten drei Jahre entsprechen. Feste und regelmäßige eigene Einkünfte werden durch regelmäßige Aufwendungen geschmälert, insbesondere durch Mietbelastungen, Kreditbelastungen, Pfändungen und durch Unterhaltszahlungen an Dritte nicht im gemeinsamen Haushalt lebende Personen. Dabei bleibt einmalig ein Betrag bis zu der in § 292 Abs. 3 ASVG festgelegten Höhe unberücksichtigt und führt zu keiner Erhöhung der notwendigen Einkünfte im Sinne des ersten Satzes. Bei Nachweis der Unterhaltsmittel durch Unterhaltsansprüche ist zur Berechnung der Leistungsfähigkeit des Verpflichteten nur der das pfändungsfreie Existenzminimum gemäß § 291a der Exekutionsordnung (EO), RGBl. Nr. 79/1896, übersteigende Einkommensteil zu berücksichtigen. Wird in den letzten geltend gemachten sechs Monaten unmittelbar vor dem Antragszeitpunkt Kinderbetreuungsgeld gemäß den Bestimmungen des Kinderbetreuungsgeldgesetzes - KBGG, BGBl. I Nr. 103/2001, bezogen, so gilt in dem Zeitraum in dem Kinderbetreuungsgeld bezogen wird, der Lebensunterhalt jedenfalls als hinreichend gesichert.“
24 Die vorliegend maßgeblichen Bestimmungen des ABGB, jeweils idF des Kindschafts- und Namensrechts-Änderungsgesetz 2013 (KindNamRÄG 2013), BGBl. I Nr. 15/2013, lauten:
„Drittes Hauptstück
Rechte zwischen Eltern und Kindern
Erster Abschnitt
Allgemeine Bestimmungen
Allgemeine Grundsätze
§ 137. (1) Eltern und Kinder haben einander beizustehen...
...
Vierter Abschnitt
Obsorge
Inhalt der Obsorge
§ 158. (1) Wer mit der Obsorge für ein minderjähriges Kind betraut ist, hat es zu pflegen und zu erziehen, sein Vermögen zu verwalten und es in diesen sowie allen anderen Angelegenheiten zu vertreten; Pflege und Erziehung sowie die Vermögensverwaltung umfassen auch die gesetzliche Vertretung in diesen Bereichen.
...
Pflegeeltern
§ 184. Pflegeeltern sind Personen, die die Pflege und Erziehung des Kindes ganz oder teilweise besorgen und zu denen eine dem Verhältnis zwischen leiblichen Eltern und Kindern nahe kommende Beziehung besteht oder hergestellt werden soll. Sie haben das Recht, in den die Person des Kindes betreffenden Verfahren Anträge zu stellen.
§ 185. (1) Das Gericht hat einem Pflegeelternpaar (Pflegeelternteil) auf seinen Antrag die Obsorge für das Kind ganz oder teilweise zu übertragen, wenn das Pflegeverhältnis nicht nur für kurze Zeit beabsichtigt ist und die Übertragung dem Wohl des Kindes entspricht. Die Regelungen über die Obsorge gelten dann für dieses Pflegeelternpaar (diesen Pflegeelternteil).
...
Sechster Abschnitt
Annahme an Kindesstatt
§ 191. (1) Eine Person kann ein Kind an Kindesstatt annehmen, wenn sie entscheidungsfähig ist. Sie kann dabei nicht vertreten werden. Durch die Annahme an Kindesstatt wird die Wahlkindschaft begründet.
...
Wirkungen
§ 197. (1) Zwischen dem Annehmenden und dessen Nachkommen einerseits und dem Wahlkind und dessen im Zeitpunkt des Wirksamwerdens der Annahme minderjährigen Nachkommen andererseits entstehen mit diesem Zeitpunkt die gleichen Rechte, wie sie durch die Abstammung begründet werden.
...
§ 198. (1) Die im Familienrecht begründeten Pflichten der leiblichen Eltern und deren Verwandten zur Leistung des Unterhaltes und der Ausstattung gegenüber dem Wahlkind und dessen im Zeitpunkt des Wirksamwerdens der Annahme minderjährigen Nachkommen bleiben aufrecht.
...
Fünftes Hauptstück
Kindesunterhalt
§ 231. (1) Die Eltern haben zur Deckung der ihren Lebensverhältnissen angemessenen Bedürfnisse des Kindes unter Berücksichtigung seiner Anlagen, Fähigkeiten, Neigungen und Entwicklungsmöglichkeiten nach ihren Kräften anteilig beizutragen.
...
§ 232. Soweit die Eltern nach ihren Kräften zur Leistung des Unterhalts nicht imstande sind, schulden ihn die Großeltern nach den den Lebensverhältnissen der Eltern angemessenen Bedürfnissen des Kindes. ...
§ 233. Die Schuld eines Elternteils, dem Kind den Unterhalt zu leisten, geht bis zum Wert der Verlassenschaft auf seine Erben über. ...“
Kein gesetzlicher Unterhaltsanspruch gegen den Pflegevater
25 In der vorliegenden Rechtssache ist die Rechtsfrage strittig, ob ein gesetzlicher Unterhaltsanspruch des Pflegekindes (der Mitbeteiligten) gegen den mit der Obsorge betrauten Pflegevater besteht (im vorliegenden Fall bestanden hat).
26 Diese zivilrechtliche Vorfrage hat das Verwaltungsgericht aus nachstehenden Erwägungen unvertretbar gelöst:
27 Der Auffassung des Verwaltungsgerichts, dass ein gesetzlicher Unterhaltsanspruch gegen den Pflegevater besteht, steht die Beschränkung der gesetzlichen Unterhaltspflicht gegenüber Kindern durch den Wortlaut des Gesetzes auf die Eltern (§ 231 ABGB) bzw. unter den im Gesetz genannten Voraussetzungen auf die Großeltern (§ 232 ABGB) bzw. im Falle einer Annahme an Kindesstatt (§ 191 ABGB) auf die Wahleltern (§ 197 ABGB) entgegen (§ 233 ABGB regelt zudem den Übergang der Unterhaltsschuld auf die Erben des Elternteils).
28 Dagegen ist die Übertragung der Obsorge an Pflegeeltern (§ 185 ABGB) nicht mit der Übertragung oder dem Entstehen einer gesetzlichen Unterhaltspflicht des nunmehr Obsorgeberechtigten gegenüber dem Pflegekind verbunden. Dies zeigt § 158 ABGB, wonach die Pflicht zur Unterhaltsleistung nicht Inhalt der Obsorge ist. So bestimmt auch § 185 Abs. 1 zweiter Satz ABGB, dass die Regelungen über die Obsorge dann für dieses Pflegeelternpaar (diesen Pflegeelternteil) gelten. Dies entspricht auch systematisch der oben dargestellten Beschränkung der gesetzlichen Unterhaltspflicht im Gesetz auf die leiblichen Eltern und Großeltern sowie Wahleltern.
29 In diesem Sinne umfasst die Obsorge das gesamte Fürsorgeverhältnis der Eltern gegenüber ihren minderjährigen Kindern, namentlich die Pflege und Erziehung, Vermögensverwaltung und gesetzliche Vertretung (vgl. Gitschthaler in Schwimann/Kodek (Hrsg.), ABGB-Praxiskommentar5 [2018], Rz. 4 zu § 158 ABGB). Wird die gesamte Obsorge nach § 158 Abs. 1 ABGB Pflegeeltern übertragen, erlangen die Pflegeltern (mit Ausnahme des - hier nicht relevanten - § 185 Abs. 3 ABGB) die Rechtstellung wie leibliche Eltern. Die Unterhaltspflichten nach den §§ 231 ff ABGB bleiben jedoch unberührt (vgl. Weitzenböck in Schwimann/Kodek (Hrsg.), ABGB-Praxiskommentar5, § 185 ABGB Rz. 8).
30 Der Verweis des Verwaltungsgerichts auf Stabentheiner in Rummel ABGB3 § 186a ABGB Rz. „1b“ (richtig: 1a) führt zu keinem anderen Ergebnis. So bezieht sich diese Literaturstelle auf § 145 Abs. 1 ABGB idF vor dem KindNamRÄG 2013 und spricht von der gesetzlichen Vertretung. An anderer Stelle wird dagegen ausgeführt, dass die vertragliche Überwälzung der Unterhaltspflicht keinen gesetzlichen Anspruch zwischen Pflegekind und Pflegeeltern schafft (vgl. Stabentheiner in Rummel ABGB3 § 186 ABGB Rz. 2).
31 Auch das Argument, der Pflegevater habe im relevanten Zeitraum für die (damals minderjährige) Mitbeteiligte Familienbeihilfe und den Kinderabsetzbetrag bezogen, trägt die Auffassung des Verwaltungsgerichts nicht. So hat gemäß § 2 Abs. 2 Familienlastenausgleichsgesetz 1967 (unabhängig von einer gesetzlichen Unterhaltspflicht) jene Person Anspruch auf Familienbeihilfe, zu deren Haushalt das Kind gehört, wobei gemäß § 2 Abs. 3 lit. d leg. cit. als Kinder auch deren Pflegekinder (§§ 186 und 186a ABGB) gelten.
32 Das Verwaltungsgericht verweist auf die Rechtsprechung des OGH, dass im Ausmaß der vom Scheinvater erfüllten Unterhaltsschuld der Unterhaltsanspruch des Kindes insoweit erloschen ist und der wahre Unterhaltspflichtige damit von seiner Verpflichtung befreit wird (vgl. OGH 27.7.2017, 4 Ob 87/17y, Pkt. 1.1., mwN). Diese Rechtsprechung macht aber - entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts - deutlich, dass Grundlage der solcherart erfüllten Unterhaltsschuld eben nicht eine gesetzliche Unterhaltsverpflichtung ist (arg.: „der wahre Unterhaltspflichtige“).
33 Zusammenfassend ist daher festzuhalten, dass kein gesetzlicher Unterhaltsanspruch des Pflegekindes (vorliegend der Mitbeteiligten) gegen den mit der Obsorge betrauten Pflegevater besteht und deshalb auch ein gesetzlicher Unterhaltsanspruch nach § 10 Abs. 5 StbG nicht vorliegt.
Kein Fall des § 10 Abs. 1b StbG
34 Aufbauend auf ihre Auffassung, es bestehe kein gesetzlicher Unterhaltsanspruch der Mitbeteiligten gegen den Pflegevater, führt die Amtsrevision aus, es fehle Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, „ob die vorliegende Konstellation einen Anwendungsfall des § 10 Abs. 1 Z 7 2. Fall in Verbindung mit § 10 Abs. 1b StbG darstellt“ und ob „eine solche Lebenssituation, wie sie auf Minderjährige, deren Pflege und Erziehung auf den Jugendwohlfahrtsträger, auf Pflegeeltern oder auf eine andere Person im Sinne des § 213 ABGB übertragen wurde, generell zutreffen wird“, mit einer Behinderung oder dauerhaft schwerwiegenden Krankheit nach § 10 Abs. 1b StbG vergleichbar sei. Richtigerweise hätte das Verwaltungsgericht - so die Amtsrevision weiter - den Schluss ziehen müssen, dass die Mitbeteiligte im Sinne des § 10 Abs. 1 Z 7 iVm Abs. 1b StbG ihren nicht gesicherten Lebensunterhalt nicht zu vertreten gehabt habe.
35 Zu diesem Vorbringen ist auf folgende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hinzuweisen:
36 Die Verleihungsvoraussetzung des § 10 Abs. 1 Z 7 StbG kommt (soweit gesetzlich vorgesehen) auch bei minderjährigen Verleihungswerbern zur Anwendung.
Nach der bereits zu § 10 Abs. 1b StbG ergangenen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist der Staatsbürgerschaftsbehörde ein gewisser Beurteilungsspielraum eingeräumt. Durch die demonstrative Aufzählung in § 10 Abs. 1b StbG wird klargestellt, wann solche Gründe iSd § 10 Abs. 1 Z 7 zweiter Fall StbG vorliegen, die der Fremde nicht zu vertreten hat. Entscheidend ist dabei, dass der Gesetzgeber eine spezifische Ausnahmeregelung für besonders berücksichtigungswürdige Situationen schaffen wollte. Sowohl der Grund als auch die Nachweisbarkeit des Grundes müssen der in § 10 Abs. 1b StbG angeführten Behinderung oder dauerhaft schwerwiegenden Krankheit in ihrer Bedeutung vergleichbar sein. Für diese Tatbestände hält der Gesetzgeber fest, dass nur Personen, die aufgrund ihres Behinderungsgrades oder Krankheitsbildes tatsächlich nicht oder nur eingeschränkt am Erwerbsleben teilnehmen können, in den Anwendungsbereich dieser Ausnahmebestimmung gelangen.
Der Umstand, dass die Mitbeteiligte als unmündige Minderjährige weder faktisch noch rechtlich wie eine volljährige Person am Erwerbsleben teilnehmen kann, stellt keine besonders berücksichtigungswürdige Situation dar, welche in ihrer Bedeutung sowohl dem Grunde als auch der Nachweisbarkeit nach den Tatbeständen des § 10 Abs. 1b StbG vergleichbar ist.
Vielmehr ist nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes gemäß § 10 Abs. 1 Z 7 iVm § 10 Abs. 5 StbG im Fall von minderjährigen und gegenüber ihren Eltern unterhaltsberechtigten Verleihungswerbern ohne eigenes Einkommen für die Beurteilung des auch für Minderjährige geltenden Erfordernisses des gesicherten Lebensunterhaltes jener der unterhaltspflichtigen Eltern als Haushaltseinkommen heranzuziehen. Bei einem gemeinsamen Haushalt hat das Haushaltseinkommen der unterhaltspflichtigen Eltern unter Berücksichtigung der zu versorgenden Personen entsprechend § 10 Abs. 5 StbG, wonach die Höhe der nachzuweisenden Einkünfte an die Richtsätze des § 293 ASVG anknüpft, den „Haushaltsrichtsatz“ nach § 293 ASVG zu erreichen (vgl. zu allem VwGH 9.11.2020, Ra 2020/01/0372, mwN).
37 Darauf aufbauend hat der Verwaltungsgerichtshof festgehalten, dass es keinen mit einer Behinderung oder einer dauerhaften schwerwiegenden Krankheit gemäß § 10 Abs. 1b StbG vergleichbaren Grund darstellt, wenn das Haushaltseinkommen der Eltern eines minderjährigen Antragstellers im maßgeblichen Berechnungszeitraum nach § 10 Abs. 5 StbG nicht den maßgeblichen „Haushaltsrichtsatz“ nach § 293 Abs. 1 ASVG erreicht (vgl. VwGH 9.11.2020, Ra 2020/01/0372, mwN).
38 Nach dieser Linie der Rechtsprechung stellt es auch keinen mit einer Behinderung oder einer dauerhaften schwerwiegenden Krankheit gemäß § 10 Abs. 1b StbG vergleichbaren Grund dar, wenn (in der vorliegenden Konstellation) die gesetzlichen Unterhaltsansprüche der minderjährigen Antragstellerin (der Mitbeteiligten) gegenüber ihren leiblichen Eltern nach den Feststellungen des Verwaltungsgerichtes zum Nachweis eines gesicherten Lebensunterhalts gemäß § 10 Abs. 1 Z 7 iVm Abs. 5 StbG nicht ausreichen.
39 Die Unterhaltsleistungen des Pflegevaters erfüllen nach dem Obgesagten nicht das Tatbestandsmerkmal eines gesetzlichen Unterhaltsanspruches nach § 10 Abs. 5 StbG und können daher nicht zum Nachweis eines gesicherten Lebensunterhalts gemäß § 10 Abs. 1 Z 7 iVm Abs. 5 StbG herangezogen werden.
40 In diesem Zusammenhang bringt die Amtsrevision vor, die obzitierte Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu freiwilligen Geldgeschenken und finanziellen Zuwendungen, auf welche kein Rechtsanspruch bestehe, sei „nur bedingt“ mit dem vorliegenden Sachverhalt vergleichbar. So wäre „aber zu bedenken“, dass die Obsorge von Pflegeeltern anders als bei leiblichen Eltern vom Gericht wieder aufgehoben werden könne, und zu „bedenken wäre auch“, ob die Voraussetzung des hinreichend gesicherten Lebensunterhaltes „wiederum anders zu beurteilen wäre“, wenn die Obsorge dem Kinder- und Jugendwohlfahrtsträger zukomme. Somit fehle Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Frage, wie der hinreichend gesicherte Lebensunterhalt bei Verleihungswerbern, „über die andere Personen als die gesetzlich zu Unterhalt Verpflichteten die Obsorge - zumindest im Bereich der Pflege und Erziehung - innehaben, zu ermitteln ist“.
41 Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes erfordert die Annahme eines „hinreichend gesicherten Lebensunterhalts“ nach § 10 Abs. 1 Z 7 iVm Abs. 5 StbG eine Nachhaltigkeit der Einkommenssicherung. Berücksichtigt man das Ziel der Regelung, so werden nur jene Einkünfte nach § 10 Abs. 5 StbG heranzuziehen sein, welche die Prognose erlauben, dass der Verleihungswerber sein Fortkommen auch künftig ohne Unterstützung durch Sozialhilfeleistungen der Gebietskörperschaft bestreiten kann. In diesem Sinne können „freiwillige Geldgeschenke einer dritten Person“ sowie finanzielle Zuwendungen, auf welche kein Rechtsanspruch im Sinne eines gesetzlichen Unterhaltsanspruches bestehe, nicht als Einkünfte im Sinne des § 10 Abs. 5 StbG angesehen werden (vgl. VwGH 28.2.2019, Ra 2019/01/0004, mwN).
42 Ausgenommen von dieser Voraussetzung eines hinreichend gesicherten Lebensunterhalts sind nach (der vom Gesetzgeber geschaffenen spezifischen Ausnahmeregelung des) § 10 Abs. 1b StbG nur besonders berücksichtigungswürdige Situationen (vgl. VwGH 9.11.2020, Ra 2020/01/0372, mwN). Die vorliegende Konstellation stellt nach dem Obgesagten keinen, mit einer Behinderung oder einer dauerhaften schwerwiegenden Krankheit gemäß § 10 Abs. 1b StbG vergleichbaren, Grund dar.
43 Daher sieht der Verwaltungsgerichtshof auch keinen Anlass von seiner Rechtsprechung abzugehen, nach der finanzielle Zuwendungen, auf welche kein Rechtsanspruch im Sinne eines gesetzlichen Unterhaltsanspruches bestehe, nicht als Einkünfte im Sinne des § 10 Abs. 5 StbG angesehen werden können.
Ergebnis
44 Das angefochtene Erkenntnis war aus diesen Erwägungen wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.
Wien, am 29. Jänner 2021
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2021:RA2020010243.L00Im RIS seit
16.03.2021Zuletzt aktualisiert am
16.03.2021