TE Vwgh Erkenntnis 2021/1/29 Ra 2017/22/0023

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Veröffentlicht am 29.01.2021
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Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof
40/01 Verwaltungsverfahren
41/02 Passrecht Fremdenrecht

Norm

AVG §13 Abs3
AVG §56
NAG 2005 §2 Abs1 Z11
NAG 2005 §2 Abs1 Z12
NAG 2005 §2 Abs1 Z13
NAG 2005 §21a Abs1 idF 2014/I/040
NAG 2005 §21a Abs2 idF 2014/I/040
NAG 2005 §21a Abs5 idF 2014/I/040
NAG 2005 §24 Abs4
NAG 2005 §26
NAG 2005 §46 Abs1 Z2
NAG 2005 §8 Abs1 Z2
NAG 2005 §8 Abs1 Z4
NAG 2005 §8 Abs1 Z5
NAG 2005 §8 Abs1 Z6
NAG 2005 §8 Abs1 Z8
VwGG §42 Abs2 Z1
VwGVG 2014 §17

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Köhler sowie die Hofräte Dr. Mayr und Mag. Berger als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Thaler, über die Revision der Landeshauptfrau von Niederösterreich gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Niederösterreich vom 20. Dezember 2016, LVwG-AV-956/001-2016, betreffend Aufenthaltstitel (mitbeteiligte Partei: N M, vertreten durch Mag. Stefan Errath, Rechtsanwalt in 1030 Wien, Untere Viaduktgasse 6/6), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts aufgehoben.

Begründung

1.1. Unstrittig ist, dass sich der am 27. August 2000 geborene Mitbeteiligte, ein serbischer Staatsangehöriger, seit Herbst 2015 in Österreich aufhält und im Haushalt seines - bereits seit dem Jahr 2010 in Österreich aufhältigen und zuletzt über einen Aufenthaltstitel „Rot-Weiß-Rot - Karte plus“ verfügenden - Vaters, eines serbischen Staatsangehörigen (im Folgenden: Vater), lebt.

Der Mitbeteiligte verfügte zunächst über eine (Erst)Aufenthaltsbewilligung „Schüler“ gemäß § 63 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) mit einer Gültigkeitsdauer vom 22. September 2015 bis zum 13. März 2016 und besuchte die Polytechnische Schule in H.

1.2. Am 5. Jänner 2016 stellte die Mutter und gesetzliche Vertreterin des Mitbeteiligten, eine serbische Staatsangehörige (im Folgenden: Mutter), für sich einen Erstantrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels „Rot-Weiß-Rot - Karte plus“ gemäß § 46 Abs. 1 Z 2 NAG zur Familienzusammenführung mit ihrem Ehemann (dem Vater des Mitbeteiligten).

Der Mitbeteiligte stellte am selben Tag einen Verlängerungsantrag hinsichtlich seiner Aufenthaltsbewilligung „Schüler“ und damit verbunden einen Zweckänderungsantrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels „Rot-Weiß-Rot - Karte plus“ gemäß § 46 Abs. 1 Z 2 NAG zur Familienzusammenführung mit der Mutter.

1.3. Im Zuge der Bearbeitung der Anträge forderte die Revisionswerberin die Mutter (unter anderem) auf, ein Sprachdiplom oder Kurszeugnis auf A1-Niveau einer dafür in Betracht kommenden Einrichtung für den Mitbeteiligten vorzulegen. Nach der Aktenlage erfolgte keine Belehrung über die Möglichkeit einer Antragstellung gemäß § 21a Abs. 5 NAG.

2.1. Mit Bescheid vom 1. Juli 2016 wies die Revisionswerberin den Antrag der Mutter mangels Erfüllung der Erteilungsvoraussetzungen des § 11 Abs. 2 Z 2 und des § 11 Abs. 2 Z 4 in Verbindung mit Abs. 5 NAG ab.

Mit weiterem Bescheid vom selben Tag wies die Revisionswerberin (auch) den Antrag des Mitbeteiligten ab. Es liege - so die wesentliche Begründung - ein Erstantrag eines minderjährigen Kindes vor, sodass sich gemäß § 23 Abs. 4 NAG die Art und Dauer des Aufenthaltstitels nach jenem der obsorgeberechtigten Mutter richteten; dieser sei jedoch ein Aufenthaltstitel versagt worden.

2.2. Die Mutter und der Mitbeteiligte erhoben gegen die Bescheide Beschwerden.

3. Mit Erkenntnis vom 16. Dezember 2016 gab das Verwaltungsgericht der Beschwerde der Mutter Folge und erteilte dieser den beantragten Aufenthaltstitel „Rot-Weiß-Rot - Karte plus“ gemäß § 46 Abs. 1 Z 2 lit. b NAG für die Dauer von zwölf Monaten. Das Erkenntnis erwuchs unbekämpft in Rechtskraft.

4.1. Mit dem angefochtenen Erkenntnis vom 20. Dezember 2016 gab das Verwaltungsgericht (auch) der Beschwerde des Mitbeteiligten Folge und erteilte diesem den beantragten Aufenthaltstitel „Rot-Weiß-Rot - Karte plus“ gemäß § 46 Abs. 1 Z 2 lit. b NAG für die Dauer von zwölf Monaten.

Das Verwaltungsgericht traf eingehende Feststellungen zu den allgemeinen und besonderen Erteilungsvoraussetzungen. Keine Feststellungen tätigte es zu den Deutschkenntnissen des Mitbeteiligten.

Rechtlich folgerte das Verwaltungsgericht, § 23 Abs. 4 NAG komme nicht zur Anwendung, weil kein Erstantrag vorliege. Im Übrigen wäre selbst bei Anwendung der genannten Bestimmung das Ergebnis gleich, weil auch der Mutter der beantragte Aufenthaltstitel erteilt worden sei.

In der weiteren rechtlichen Würdigung erachtete das Verwaltungsgericht sämtliche allgemeinen und besonderen Erteilungsvoraussetzungen als erfüllt. Zu den Deutschkenntnissen hielt es fest, diese seien nicht gemäß § 21a Abs. 1 NAG zu prüfen, weil nicht von einem Erstantrag auszugehen sei. Der Mitbeteiligte habe daher Anspruch auf Erteilung des beantragten Aufenthaltstitels zur Familienzusammenführung mit dem Vater.

4.2. Das Verwaltungsgericht sprach ferner aus, dass eine ordentliche Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

5.1. Gegen dieses Erkenntnis wendet sich die - Rechtswidrigkeit des Inhalts geltend machende - außerordentliche Amtsrevision.

Die Revisionswerberin bringt zur Zulässigkeit der Revision - unter dem Gesichtspunkt eines Fehlens von Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs - vor, es liege zwar kein Erstantrag im Sinn des § 21a Abs. 1 NAG vor. Gemäß § 21a Abs. 2 NAG seien jedoch auch bei einem Antrag auf erstmalige Erteilung eines der dort genannten Aufenthaltstitel im Zuge eines Verfahrens über einen Verlängerungs- und Zweckänderungsantrag nach § 24 Abs. 4 NAG Deutschkenntnisse nachzuweisen. Das Verwaltungsgericht hätte daher die Erfüllung auch dieser Erteilungsvoraussetzung prüfen müssen. Nach den getroffenen Feststellungen und der Aktenlage habe der Mitbeteiligte einen Sprachnachweis bisher nicht erbracht, er sei davon auch nicht ausgenommen.

5.2. Eine Revisionsbeantwortung wurde nicht erstattet.

6. Der Verwaltungsgerichtshof hat - in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat - erwogen:

Die Revision ist aus dem von der Revisionswerberin geltend gemachten Grund zulässig und auch begründet.

7. § 21a NAG - in der im Zeitpunkt der Entscheidung des Verwaltungsgerichts maßgeblichen Fassung BGBl. I Nr. 40/2014 - lautet (auszugsweise):

„§ 21a. (1) Drittstaatsangehörige haben mit der Stellung eines Erstantrages auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 8 Abs. 1 Z 2, 4, 5, 6 oder 8 Kenntnisse der deutschen Sprache nachzuweisen. Dieser Nachweis hat mittels eines allgemein anerkannten Sprachdiploms oder Kurszeugnisses einer durch Verordnung gemäß Abs. 6 oder 7 bestimmten Einrichtung zu erfolgen, in welchem diese schriftlich bestätigt, dass der Drittstaatsangehörige über Kenntnisse der deutschen Sprache zumindest zur elementaren Sprachverwendung auf einfachstem Niveau verfügt. Das Sprachdiplom oder das Kurszeugnis darf zum Zeitpunkt der Vorlage nicht älter als ein Jahr sein.

(2) Abs. 1 gilt auch für Drittstaatsangehörige, die einen Antrag auf erstmalige Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 8 Abs. 1 Z 2, 4, 5, 6 oder 8 im Zuge eines Verfahrens gemäß § 24 Abs. 4 oder § 26 stellen.

(3) Der Nachweis gilt überdies als erbracht, wenn die Voraussetzungen zur Erfüllung des Moduls 1 oder 2 der Integrationsvereinbarung (§§ 14a und 14b) vorliegen.

(4) Abs. 1 gilt nicht für Drittstaatsangehörige,

1.   die zum Zeitpunkt der Antragstellung unmündig sind,

2.   denen auf Grund ihres physischen oder psychischen Gesundheitszustandes die Erbringung des Nachweises nicht zugemutet werden kann [...] oder

3.   die Familienangehörige von Inhabern eines Aufenthaltstitels gemäß §§ 41 Abs. 1, 42 oder 45 Abs. 1, letztere sofern [...], sind.

(5) Die Behörde kann auf begründeten Antrag eines Drittstaatsangehörigen von einem Nachweis nach Abs. 1 absehen:

1.   im Fall eines unbegleiteten Minderjährigen (§ 2 Abs. 1 Z 17) zur Wahrung des Kindeswohls, oder

2.   zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK (§ 11 Abs. 3).

Die Stellung eines solchen Antrages ist nur bis zur Erlassung des Bescheides zulässig. Über diesen Umstand ist der Drittstaatsangehörige zu belehren; § 13 Abs. 3 AVG gilt.

[...]“

8.1. Nach § 21a Abs. 1 NAG (in der oben aufgezeigten maßgeblichen Fassung) hat demnach ein Drittstaatsangehöriger mit der Stellung eines „Erstantrages“ auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 8 Abs. 1 Z 2, 4, 5, 6 oder 8 NAG Kenntnisse der deutschen Sprache zumindest zur elementaren Sprachverwendung auf einfachstem Niveau (A1-Niveau) mittels eines allgemein anerkannten Sprachdiploms oder Kurszeugnisses einer durch Verordnung näher bestimmten Einrichtung nachzuweisen.

Ein „Erstantrag“ ist dabei - laut der Definition des § 2 Abs. 1 Z 13 NAG - ein Antrag, der nicht ein Verlängerungs- oder ein Zweckänderungsantrag (nach § 2 Abs. 1 Z 11 und 12 NAG) ist.

Gegenständlich liegt daher - wie das Verwaltungsgericht ohne Rechtsirrtum erkannte - kein „Erstantrag“ im soeben aufgezeigten Sinn vor, stellte doch der Mitbeteiligte einen Antrag auf Verlängerung seiner Aufenthaltsbewilligung „Schüler“ und damit verbunden einen (hier gegenständlichen) Zweckänderungsantrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels „Rot-Weiß-Rot - Karte plus“ gemäß § 46 Abs. 1 Z 2 NAG.

8.2. Allerdings sieht § 21a Abs. 2 NAG (in der genannten Fassung) vor, dass die Regelung des § 21a Abs. 1 NAG auch für Drittstaatsangehörige gilt, die einen Antrag auf „erstmalige Erteilung“ eines Aufenthaltstitels nach § 8 Abs. 1 Z 2, 4, 5, 6 oder 8 NAG im Zuge eines Verfahrens gemäß § 24 Abs. 4 NAG (betreffend einen Verlängerungsantrag verbunden mit einem Zweckänderungsantrag) oder § 26 (betreffend einen Zweckänderungsantrag) stellen.

Vorliegend trifft daher den - bislang über eine Aufenthaltsbewilligung „Schüler“ verfügenden - Mitbeteiligten, der unstrittig erstmalig die Erteilung eines der im § 21a Abs. 2 NAG angeführten Aufenthaltstitel - konkret eines Aufenthaltstitels „Rot-Weiß-Rot - Karte plus“ gemäß § 8 Abs. 1 Z 2 in Verbindung mit § 46 Abs. 1 Z 2 NAG - im Zuge eines Verfahrens nach § 24 Abs. 4 NAG beantragt, grundsätzlich die Obliegenheit zum Nachweis von Deutschkenntnissen im Sinn des § 21a Abs. 1 NAG.

9.1. Dass der Mitbeteiligte dieser Obliegenheit - vor allem auch mit Blick auf § 21a Abs. 3 NAG - ohnehin entsprochen habe, wurde nicht vorgebracht und vom Verwaltungsgericht ausgehend von seiner verfehlten Rechtsansicht nicht festgestellt bzw. ist auch im Verfahren nicht hervorgekommen.

9.2. Eine Ausnahme von der Erbringung eines Sprachnachweises im Sinn des § 21a Abs. 4 NAG (in der hier maßgeblichen Fassung) ist ebenso nicht ersichtlich, kommt doch nach dem Vorbringen und der Aktenlage keiner der vorgesehenen Ausnahmetatbestände in Betracht.

10.1. Ein allfälliges Absehen von der Erbringung des Sprachnachweises gemäß § 21a Abs. 5 NAG ist einerseits im Fall eines unbegleiteten Minderjährigen im Sinn des § 2 Abs. 1 Z 17 - also eines minderjährigen Fremden, der sich nicht in Begleitung eines für ihn gesetzlich verantwortlichen Volljährigen befindet - zur Wahrung des Kindeswohls, andererseits auch zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinn des Art. 8 EMRK in Verbindung mit § 11 Abs. 3 NAG möglich.

Voraussetzung dafür ist freilich eine begründete Antragstellung gemäß § 21a Abs. 5 NAG, die nur bis zur Erlassung des Bescheids zulässig ist, worüber der Drittstaatsangehörige zu belehren ist.

10.2. Vorliegend stellte der Mitbeteiligte zwar keinen Antrag auf ein Absehen von der Erbringung des Sprachnachweises im Sinn des § 21a Abs. 5 NAG. Allerdings geht aus den Akten nicht hervor, dass er über die Möglichkeit einer solchen Antragstellung und deren Zulässigkeit nur bis zur Erlassung des behördlichen Bescheids belehrt worden wäre. Nach der Aktenlage wurde er lediglich dazu aufgefordert, ein Sprachdiplom oder Kurszeugnis auf A1-Niveau eines entsprechenden Instituts vorzulegen, eine weitergehende Belehrung im vorgenannten Sinn ist nicht ausgewiesen.

Wie der Verwaltungsgerichtshof bereits klargestellt hat, belastet das Unterbleiben der gemäß § 21a Abs. 5 NAG gebotenen Belehrung über die Möglichkeit einer diesbezüglichen Antragstellung und deren Zulässigkeit lediglich bis zur Bescheiderlassung den Bescheid mit Rechtswidrigkeit. Ein solcher Bescheid ist im Rechtsmittelverfahren zu beheben, um dem Rechtsmittelwerber die Antragstellung im fortgesetzten behördlichen Verfahren zu ermöglichen. Die unterbliebene Belehrung ist auch nicht vom Verwaltungsgericht nachzuholen, sondern obliegt der Behörde (vgl. eingehend VwGH 11.3.2020, Ra 2017/22/0139; mwN).

11. Aus den dargelegten Erwägungen ist daher das angefochtene Erkenntnis mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit belastet. Die Entscheidung war deshalb gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

Wien, am 29. Jänner 2021

Schlagworte

Besondere Rechtsgebiete Maßgebende Rechtslage maßgebender Sachverhalt

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2021:RA2017220023.L00

Im RIS seit

23.03.2021

Zuletzt aktualisiert am

23.03.2021
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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