TE Vwgh Beschluss 2021/2/3 Ra 2021/22/0016

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Veröffentlicht am 03.02.2021
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Index

10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)
10/07 Verwaltungsgerichtshof
19/05 Menschenrechte
40/01 Verwaltungsverfahren
41/02 Passrecht Fremdenrecht

Norm

AVG §69 Abs1 Z1
B-VG Art133 Abs4
MRK Art8
NAG 2005 §11 Abs3
NAG 2005 §47 Abs2
VwGG §28 Abs3
VwGG §34 Abs1

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Köhler sowie die Hofräte Dr. Mayr und Mag. Berger als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Thaler, in der Revisionssache des I K in W, vertreten durch Rast & Musliu Rechtsanwälte in 1080 Wien, Alser Straße 23/14, gegen das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes Wien vom 6. November 2020, VGW-151/023/9179/2020-8, betreffend Wiederaufnahme eines Verfahrens nach dem NAG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Landeshauptmann von Wien), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1        Der Revisionswerber, ein türkischer Staatsangehöriger, verfügte zunächst über eine Aufenthaltsbewilligung „Studierender“ gemäß § 64 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG), die einmalig verlängert wurde. Auf Grund seines - auf die am 8. April 2017 mit der österreichischen Staatsbürgerin PH geschlossene Ehe gestützten - Zweckänderungsantrags vom 3. November 2017 wurde ihm in der Folge ein Aufenthaltstitel „Familienangehöriger“ gemäß § 47 Abs. 2 NAG erteilt.

2        Mit Bescheid vom 18. Juni 2020 traf der Landeshauptmann von Wien (belangte Behörde) folgende den Revisionswerber betreffende Entscheidungen:

?    Das rechtskräftig abgeschlossene Verfahren auf Erteilung des Aufenthaltstitels „Familienangehöriger“ wurde gemäß § 69 Abs. 1 Z 1 in Verbindung mit Abs. 3 AVG von Amts wegen wiederaufgenommen.

?    Unter einem wurde der Zweckänderungsantrag vom 3. November 2017 auf Erteilung eines Aufenthaltstitels „Familienangehöriger“ abgewiesen.

?    Ferner wurden sowohl der (weitere) Zweckänderungsantrag vom 16. November 2018 auf Erteilung eines Aufenthaltstitels „Rot-Weiß-Rot - Karte plus“ als auch der Verlängerungsantrag vom 3. November 2017 betreffend den Aufenthaltstitel „Student“ jeweils mangels Vorliegen der besonderen Erteilungsvoraussetzungen abgewiesen.

3        Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Verwaltungsgericht Wien die dagegen erhobene Beschwerde des Revisionswerbers als unbegründet ab und bestätigte den angefochtenen Bescheid (Spruchpunkt I.). Dem Revisionswerber wurde der Ersatz näher bestimmter Barauslagen auferlegt (Spruchpunkt II.). Die ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof erklärte das Verwaltungsgericht für unzulässig (Spruchpunkt III.).

Nach Darstellung des Verfahrensganges sowie der in der mündlichen Verhandlung erfolgten Aussagen des Revisionswerbers, seiner ehemaligen Ehefrau PH (die Scheidung erfolgte im April 2018) sowie eines Zeugen stellte das Verwaltungsgericht - soweit für das vorliegende Revisionsverfahren von Relevanz - fest, dass die Ehe zwischen dem Revisionswerber und PH zu dem Zweck geschlossen worden sei, dem Revisionswerber den legalen Aufenthalt im Bundesgebiet sowie den Zugang zum österreichischen Arbeitsmarkt zu ermöglichen. Ein Familienleben sei zu keinem Zeitpunkt entfaltet worden.

In seinen beweiswürdigenden Überlegungen verwies das Verwaltungsgericht insbesondere auf die bei den Aussagen in der mündlichen Verhandlung zutage getretenen Unsicherheiten sowohl des Revisionswerbers als auch seiner ehemaligen Ehefrau sowie auf die entstandenen Widersprüche zu näher dargestellten Aspekten, die durch die behaupteten Erinnerungslücken nicht zu erklären gewesen seien. Dass PH, die im Zuge des verwaltungsbehördlichen Ermittlungsverfahrens vor der Landespolizeidirektion das Vorliegen einer Aufenthaltsehe eingestanden habe, nunmehr angegeben habe, diese Aussage hätte nicht der Wahrheit entsprochen, erachtete das Verwaltungsgericht mit näherer Begründung und unter Bezugnahme auf den in der mündlichen Verhandlung von der ehemaligen Ehefrau gewonnenen Eindruck als nicht glaubwürdig. Auch der in der Verhandlung einvernommene weitere Zeuge habe unsicher gewirkt, seine Aussagen zu Beginn und Ende der Beziehung seien mit den Aussagen der Ehegatten nicht in Einklang zu bringen gewesen und die weiteren Ausführungen hätten sich als irrelevant bzw. einstudiert erwiesen.

In seinen rechtlichen Erwägungen hielt das Verwaltungsgericht zunächst fest, dass der Revisionswerber durch das Eingehen einer Aufenthaltsehe sowie durch den Umstand, dass er sich im Aufenthaltstitelverfahren auf diese Ehe gestützt habe, den ihm erteilten Aufenthaltstitel erschlichen habe. Der Tatbestand des § 69 Abs. 1 Z 1 AVG und die Voraussetzungen für eine amtswegige Wiederaufnahme seien somit erfüllt gewesen. Über den Zweckänderungsantrag vom 3. November 2017 sei nach erfolgter Wiederaufnahme auf Grund der aktuellen Sach- und Rechtslage zu entscheiden. Da der Revisionswerber kein Familienangehöriger einer Zusammenführenden im Sinn des § 47 Abs. 2 NAG mehr sei, sei der Antrag abzuweisen gewesen. Gleiches gelte für den Zweckänderungsantrag vom 16. November 2018, da dem Revisionswerber in Ermangelung eines erteilten Aufenthaltstitels kein eigenständiges Niederlassungsrecht gemäß § 27 Abs. 1 NAG zukomme. Die Abweisung des Antrags auf Verlängerung der Aufenthaltsbewilligung „Student“ beruhe darauf, dass der Revisionswerber keinen Studienerfolgsnachweis erbracht habe. Mangels Vorliegen der besonderen Erteilungsvoraussetzungen könne eine Überprüfung der allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen und eine Interessenabwägung nach § 11 Abs. 3 NAG entfallen.

4        Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision.

5        Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.

Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG vom Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

6        Vorauszuschicken ist zunächst Folgendes: Die Revision richtet sich zwar - ohne erkennbare Einschränkung - gegen das dargestellte Erkenntnis insgesamt, allerdings enthält das Zulässigkeitsvorbringen keine Ausführungen zum Vorliegen einer Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung betreffend den - als trennbar anzusehenden - Spruchpunkt II. (vgl. zur getrennten Prüfung der Zulässigkeit einer Revision bei trennbaren Spruchpunkten VwGH 26.11.2020, Ra 2019/22/0194, Rn. 16, mwN). Soweit sich die vorliegende Revision gegen Spruchpunkt II. des angefochtenen Erkenntnisses richtet, war sie daher schon aus diesem Grund zurückzuweisen.

7        Der Revisionswerber wendet sich in seinem Zulässigkeitsvorbringen vor allem gegen die Beweiswürdigung des Verwaltungsgerichtes im Zusammenhang mit der Annahme des Vorliegens einer Aufenthaltsehe. Das Verwaltungsgericht habe - so die Revision - seine Feststellungen auf Grund einer willkürlichen Würdigung des Falles getroffen.

8        Diesem Vorbringen ist entgegenzuhalten, dass der Verwaltungsgerichtshof als Rechtsinstanz zur Überprüfung der Beweiswürdigung im Allgemeinen nicht berufen ist. Eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG liegt nur dann vor, wenn das Verwaltungsgericht die im Einzelfall vorgenommene Beweiswürdigung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen hat. Die Beweiswürdigung ist nur insofern einer Überprüfung durch den Verwaltungsgerichtshof zugänglich, als es sich um die Schlüssigkeit dieses Denkvorgangs, nicht aber um die konkrete Richtigkeit handelt, sowie wenn es darum geht, ob die in diesem Denkvorgang gewürdigten Beweisergebnisse in einem ordnungsgemäßen Verfahren ermittelt wurden (vgl. VwGH 9.9.2020, Ra 2019/22/0216, Rn. 13, mwN).

9        Vorliegend hält die Beweiswürdigung einer Kontrolle nach den aufgezeigten Kriterien durch den Verwaltungsgerichtshof stand. Das Verwaltungsgericht traf die Feststellungen nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung auf Basis der getätigten Beweisaussagen sowie unter Berücksichtigung des dabei gewonnenen persönlichen Eindrucks und der sich dabei für das Verwaltungsgericht ergebenden Widersprüche und Ungereimtheiten. Der Revision, die einzelne Aspekte der umfangreichen Beweiswürdigung anspricht, gelingt es nicht darzulegen, dass die Beweiswürdigung insgesamt fallbezogen unvertretbar wäre. Der Verwaltungsgerichtshof ist auch nicht berechtigt, eine Beweiswürdigung des Verwaltungsgerichtes allein mit der Begründung zu verwerfen, dass auch ein anderer Sachverhalt schlüssig begründbar wäre (vgl. VwGH 8.11.2018, Ra 2018/22/0211, Rn. 8, mwN).

10       In welcher Weise das Verwaltungsgericht mit dem angefochtenen Erkenntnis - wie vom Revisionswerber ohne nähere Substanziierung vorgebracht - von dem zu einem Aufenthaltsverbot nach dem (damals geltenden) § 60 Abs. 2 Z 9 Fremdenpolizeigesetz ergangenen hg. Erkenntnis vom 4. Juni 2009, 2006/18/0346, abgewichen sei, vermag die Revision nicht aufzuzeigen.

11       Soweit der Revisionswerber unter Verweis auf (ua.) das hg. Erkenntnis vom 15. März 2018, Ra 2017/21/0203, moniert, das Verwaltungsgericht habe es verabsäumt, eine auf alle Umstände des Einzelfalles Bedacht nehmende Gesamtbetrachtung vorzunehmen, genügt der Hinweis, dass die derart ins Treffen geführte Rechtsprechung zur Durchführung einer Interessenabwägung nach Art. 8 EMRK ergangen ist, vorliegend aber - wie auch das Verwaltungsgericht festhielt - im Hinblick auf das Fehlen der besonderen Erteilungsvoraussetzungen keine Interessenabwägung nach § 11 Abs. 3 NAG durchzuführen war.

12       Des Weiteren wird im Zulässigkeitsvorbringen geltend gemacht, das Verwaltungsgericht habe sich entgegen der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ohne Begründung über erhebliche Behauptungen und Beweisanträge des Revisionswerbers hinweggesetzt. Das Verwaltungsgericht habe sämtliche Beweisanträge abgewiesen, obwohl insbesondere die beantragte Einvernahme der Cousine des Revisionswerbers zum Beweis für das Bestehen einer echten Ehe gedient hätte.

13       Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist Beweisanträgen grundsätzlich zu entsprechen, wenn die Aufnahme des darin begehrten Beweises im Interesse der Wahrheitsfindung notwendig erscheint. Dementsprechend dürfen Beweisanträge nur dann abgelehnt werden, wenn die Beweistatsachen als wahr unterstellt werden, es auf sie nicht ankommt oder das Beweismittel an sich ungeeignet ist, über den Gegenstand der Beweisaufnahme einen Beweis zu liefern und damit zur Ermittlung des maßgeblichen Sachverhalts beizutragen. Ob eine Beweisaufnahme in diesem Sinn notwendig ist, unterliegt der einzelfallbezogenen Beurteilung des Verwaltungsgerichts. Eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG läge nur dann vor, wenn diese Beurteilung grob fehlerhaft erfolgt wäre und zu einem die Rechtssicherheit beeinträchtigenden unvertretbaren Ergebnis geführt hätte (siehe VwGH 9.8.2018, Ra 2018/22/0135, Rn. 12, mwN).

14       Dem Verwaltungsgericht ist zwar vorzuhalten, dass es die Ablehnung des (im Rahmen der mündlichen Verhandlung gestellten) Antrags auf Einvernahme der Cousine des Revisionswerbers nicht näher begründet hat. Allerdings ist zu den derart gerügten Begründungs- bzw. Ermittlungsmängeln darauf zu verweisen, dass in der Zulassungsbegründung auch die Relevanz des behaupteten Verfahrensmangels für den Verfahrensausgang darzulegen ist. Im Fall einer unterbliebenen Vernehmung ist konkret darzulegen, was die betreffende Person im Fall ihrer Vernehmung ausgesagt hätte bzw. welche anderen Feststellungen auf Grund dessen zu treffen gewesen wären (vgl. VwGH 28.2.2019, Ra 2018/22/0250, Rn. 9, mwN). Der bloße Verweis darauf, dass die Cousine diejenige gewesen sei, die das Paar einander vorgestellt hätte, stellt keine ausreichende Relevanzdarstellung in diesem Sinn dar. Weder wird substanziiert dargelegt, welche Aspekte eines gemeinsamen Familienlebens durch die Vernehmung der Zeugin nachgewiesen worden wären, noch hat der Revisionswerber ein - gegebenenfalls durch die Aussage der beantragten Zeugin belegbares - konkretes Verhalten, eine konkrete familiäre Begebenheit oder einen auf ein aufrechtes Familienleben hindeutenden konkreten Umstand geltend gemacht, wodurch die Annahme des Vorliegens einer Aufenthaltsehe hätte in Frage gestellt werden können (vgl. erneut VwGH Ra 2018/22/0135, Rn. 13, mwN). Dass die Vernehmung von den in der Revision darüber hinaus angesprochenen Nachbarn vom bereits im verwaltungsgerichtlichen Verfahren anwaltlich vertretenen Revisionswerber beantragt worden wäre, ist aus den Verfahrensakten nicht ersichtlich und wird in der Revision auch nicht behauptet.

15       In der Revision wird somit keine Rechtsfrage aufgeworfen, der im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme.

16       Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG zurückzuweisen.

17       Ausgehend davon erübrigt sich eine Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes über den Antrag, der Revision aufschiebende Wirkung zuzuerkennen.

18       Von der Durchführung der beantragten mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 1 VwGG abgesehen werden.

Wien, am 3. Februar 2021

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2021:RA2021220016.L00

Im RIS seit

23.03.2021

Zuletzt aktualisiert am

23.03.2021
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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