TE Vwgh Erkenntnis 1997/5/21 95/21/0725

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Veröffentlicht am 21.05.1997
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Index

40/01 Verwaltungsverfahren;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

AufG 1992 §5 Abs1;
AVG §37;
AVG §58 Abs2;
AVG §66 Abs4;
FrG 1993 §10 Abs1 Z4;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Pokorny und die Hofräte Dr. Rosenmayr und Dr. Baur als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Hanel, über die Beschwerde der V in W, vertreten durch Dr. H, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 3. April 1995, Zl. 300.797/3-III/11/95, betreffend Aufenthaltsbewilligung, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 12.770,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid vom 3. April 1995 wies der Bundesminister für Inneres (die belangte Behörde) den Antrag der Beschwerdeführerin auf Erteilung (nach dem Akteninhalt auf Verlängerung) einer Aufenthaltsbewilligung gemäß § 5 Abs. 1 Aufenthaltsgesetz (AufG) ab.

Begründend führte die belangte Behörde aus, gemäß § 5 Abs. 1 leg. cit. dürfe eine Bewilligung nicht erteilt werden, wenn der Unterhalt der Beschwerdeführerin für die Geltungsdauer der Bewilligung nicht gesichert sei. Gerade die Notwendigkeit, in einem ohnedies sehr sensiblen Bereich die weitere Zuwanderung sorgfältig zu steuern, mache es erforderlich, strenge Maßstäbe an die Beurteilung der gesicherten Unterhaltsmittel von Zuwanderern anzulegen. Diese Beurteilung zeige im vorliegenden Fall, daß die Beschwerdeführerin gemäß dem Sozialhilferichtsatz für das Bundesland Wien "ein monatliches Familien-Nettoeinkommen von ÖS 9.202,-- (plus Miete)" aufbringen müßte, um den Unterhalt "für den dauernden Aufenthalt in Österreich sicher" zu stellen. Demgegenüber "konnten Sie jedoch nicht belegen, daß Sie derzeit über irgendein Einkommen verfügen". Darüber hinaus sei die Beschwerdeführerin am 12. November 1993 wegen des Vergehens nach § 233 Abs. 1 Z. 2 StGB (Weitergabe nachgemachten oder verfälschten Geldes) rechtskräftig verurteilt worden.

"Gerade in einem sensiblen Bereich wie dem Fremdenwesen sind strenge Maßstäbe anzulegen, sodaß eine Interessensabwägung der Berufungsbehörde ergeben hat, daß der Schutz öffentlicher Interessen höherwertig ist als die privaten Interessen an der Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung. Nach Ansicht der Berufungsbehörde liegt damit ein zwingender Sichtvermerksversagungsgrund vor und kann Ihnen daher auch keine Aufenthaltsbewilligung erteilt werden."

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Begehren, ihn wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Die belangte Behörde legte unter Verzicht auf die Erstattung einer Gegenschrift die Verwaltungsakten mit dem Antrag vor, die Beschwerde abzuweisen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Die Beschwerdeführerin bringt im wesentlichen vor, die Behörde erster Instanz habe die Aufenthaltsbewilligung mit der Begründung versagt, daß ihr weiterer Aufenthalt aufgrund ihrer Verurteilung wegen des Vergehens nach § 233 Abs. 1 Z. 2 StGB eine Gefährdung der öffentlichen Ruhe, Ordnung und Sicherheit darstelle. Demgemäß stünde einer weiteren Aufenthaltsbewilligung der Sichtvermerksversagungsgrund des § 10 Abs. 1 Z. 4 FrG entgegen. Die belangte Behörde stütze hingegen die Ablehung der Aufenthaltsbewilligung auf einen völlig anderen Sachverhalt, obwohl sie der Beschwerdeführerin keine Gelegenheit gegeben habe, dazu Stellung zu nehmen. Die Beschwerdeführerin habe aber bereits im Verwaltungsverfahren vorgebracht, daß sie bis zum 22. Februar 1995 Karenzgeld in Höhe von täglich S 331,70 bezog und anschließend eine Beschäftigung als Küchengehilfin erhalten werde. Tatsächlich sei der Beschwerdeführerin mit Bescheid vom 6. Februar 1995 eine Beschäftigungsbewilligung für eine solche Tätigkeit bei der Firma Herta Mader erteilt worden und sie verdiene nunmehr etwa S 10.000,-- netto. Auch die einmalige Verurteilung nach § 233 Abs. 1 Z. 2 StGB rechtfertige für sich allein genommen noch nicht das Vorliegen des Sichtvermerksversagungsgrundes des § 10 Abs. 1 Z. 4 FrG. Die Beschwerdeführerin habe in ihrer Berufung auf ihre starken familiären Bindungen zum Bundesgebiet hingewiesen.

Mit diesem Vorbringen zeigt die Beschwerdeführerin eine dem angefochtenen Bescheid anhaftende Rechtswidrigkeit sowohl des Inhaltes als auch infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften auf. Die belangte Behörde kann zwar ihre rechtliche Beurteilung an die Stelle jener der Unterbehörde setzen und die Abweisung der begehrten Aufenthaltsbewilligung nicht mit dem von der Behörde erster Instanz herangezogenen Sichtvermerksversagungsgrund des § 10 Abs. 1 Z. 4 FrG, sondern mit dem Versagungsgrund des Fehlens eines gesicherten Unterhaltes begründen; wenn sie aber neue Sachverhaltselemente einbezieht und darauf aufbauend ergänzende Feststellungen trifft, hat sie das Parteiengehör zu gewähren (vgl. das hg. Erkenntnis vom 21. Februar 1996, Zl. 95/21/0188). Es kann nicht ausgeschlossen werden, daß die belangte Behörde bei Gewährung des Parteiengehörs zu einem anderen Bescheid hätte kommen können, zumal die Beschwerdeführerin bereits im Verwaltungsverfahren vorgebracht hatte, daß sie im Anschluß an das von ihr bezogene Karenzgeld in Höhe von S 331,70 täglich eine zugesagte Beschäftigung als Küchengehilfin aufnehmen werde. Wegen der Verletzung des Parteiengehörs steht dem Vorbringen in der Verwaltungsgerichtshofbeschwerde, wonach mit Bescheid des Arbeitsmarktservice vom 6. Februar 1995 eine Beschäftigungsbewilligung für die Tätigkeit als Küchengehilfin bei der Firma X erteilt worden sei und sie nunmehr ca. S 10.000,-- netto verdiene, das Neuerungsverbot nicht entgegen (vgl. dazu auch das hg. Erkenntnis vom 12. März 1997, Zl. 95/21/0500). Im übrigen stellte die belangte Behörde zwar fest, daß die Beschwerdeführerin am 12. November 1993 wegen des Vergehens des § 233 Abs. 1 Z. 2 StGB rechtskräftig verurteilt worden sei, zog daraus aber keine weiteren rechtlichen Schlußfolgerungen, insbesondere nicht in Richtung des Vorliegens des Sichtvermerksversagungsgrundes des § 10 Abs. 1 Z. 4 FrG.

Die belangte Behörde hat den bekämpften Bescheid überdies mit einer inhaltlichen Rechtswidrigkeit belastet: Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hat die Behörde sowohl bei Anwendung des § 10 Abs. 1 Z. 4 FrG als auch des im § 5 Abs. 1 AufG besonders hervorgehobenen Versagungstatbestandes des für die Dauer der Bewilligung nicht gesicherten Lebensunterhaltes auf die privaten und familiären Interessen des Fremden Bedacht zu nehmen, und zwar in der Weise, daß sie zu prüfen hat, ob ein Aufenthalt des Fremden im Bundesgebiet die öffentliche Ruhe, Ordnung oder Sicherheit bzw. das wirtschaftliche Wohl des Landes derart gefährden würde, daß die im Art. 8 Abs. 2 MRK genannten öffentlichen Interessen einen Eingriff in sein Privat- und Familienleben rechtfertigen (vgl. u.a. die Erkenntnisse vom 9. November 1995, Zl. 95/18/0826, und vom 20. März 1996, Zl. 95/21/0087, je mwN). Dieser Verpflichtung ist die belangte Behörde im vorliegenden Fall nicht nachgekommen. Obwohl die Beschwerdeführerin in ihrer Berufung im Verwaltungsverfahren vorgebracht hatte, daß sie seit Oktober 1989 gemeinsam mit ihrer Familie (Ehemann und vier Kinder) im Bundesgebiet lebe und arbeite, hat sie sich mit dem (nicht nachvollziehbaren) Hinweis begnügt, daß der Schutz (nicht näher bezeichneter) öffentlicher Interessen höherwertig sei als die privaten Interessen an der Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung. Damit hat die belangte Behörde in Wahrheit keine Interessenabwägung vorgenommen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 9. November 1995, Zl. 95/18/0826). Die weiteren Ausführungen, daß "nach Ansicht der Berufungsbehörde ein zwingender Sichtvermerksversagungsgrund vorliege" lassen vielmehr erkennen, daß die belangte Behörde der rechtswidrigen Auffassung war, keine Interessenabwägung vornehmen zu müssen.

Die Feststellung im angefochtenen Bescheid, die Beschwerdeführerin habe nicht belegen können, daß sie "derzeit über irgendein Einkommen verfüge" ist überdies aktenwidrig, weil zugleich mit der Berufung ein Beleg über den Erhalt von Familienbeihilfe und Kinderabsetzbeträgen vorgelegt worden war. Da die inhaltliche Rechtswidrigkeit jener infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften vorgeht, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994. Das Mehrbegehren war abzuweisen, weil zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung nur die Vorlage von zwei Beschwerdeausfertigungen und einer Bescheidausfertigung erforderlich war.

Schlagworte

Besondere verfahrensrechtliche Aufgaben der Berufungsbehörde Spruch des Berufungsbescheides

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1997:1995210725.X00

Im RIS seit

02.05.2001
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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