Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am 12. Februar 2021 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schwab als Vorsitzenden sowie die Vizepräsidentin des Obersten Gerichtshofs Mag. Marek, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner-Foregger und Mag. Fürnkranz und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Oberressl als weitere Richter in der Strafsache gegen Johann S***** und eine weitere Angeklagte wegen Verbrechen nach § 3g VG über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten sowie die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Graz als Geschworenengericht vom 16. September 2020, GZ 9 Hv 46/20s-64, nach Anhörung der Generalprokuratur nichtöffentlich (§ 62 Abs 1 zweiter Satz OGH-Geo 2019) zu Recht erkannt:
Spruch
In teilweiser Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde werden der Wahrspruch der Geschworenen, der im Übrigen unberührt bleibt, zu den Hauptfragen 3, 4 und 5 sowie das darauf beruhende Urteil in den Schuldsprüchen I/a, I/b und II, demgemäß im Strafausspruch einschließlich des Ausspruchs über die bedingte Nachsicht des Amtsverlustes aufgehoben und die Sache in diesem Umfang zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landesgericht für Strafsachen Graz als Geschworenengericht mit dem Auftrag verwiesen, die unberührt gebliebenen Teile des Wahrspruchs der Entscheidung mit zugrunde zu legen.
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird im Übrigen zurückgewiesen.
Mit ihren Berufungen werden der Angeklagte und die Staatsanwaltschaft auf die aufhebende Entscheidung verwiesen.
Dem Angeklagten fallen die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Text
Gründe:
[1] Mit dem angefochtenen, auf dem Wahrspruch der Geschworenen beruhenden Urteil, das auch rechtskräftige Teilfreisprüche des Angeklagten und einen rechtskräftigen Freispruch einer weiteren Angeklagten enthält, wurde Johann S***** mehrerer Verbrechen nach § 3g VG schuldig erkannt.
[2] Danach hat er sich zu nachangeführten Zeiten in Graz und an anderen Orten des Bundesgebiets auf andere als die in den §§ 3a bis 3f VG bezeichnete Weise im nationalsozialistischen Sinne betätigt, wobei er billigend in Kauf nahm und sich damit abfand, dass dieses Verhalten geeignet ist, (zumindest) eine der spezifischen Zielsetzungen der NSDAP – im Inland oder mit Auswirkung auf die Republik Österreich – zu neuem Leben zu erwecken oder zu propagieren und solcherart zu aktualisieren, indem er
I/ zu einem nicht näher bekannten Zeitpunkt im Jahr 2016 oder 2017 über den Nachrichtendienst WhatsApp folgende Videos an Karin C***** sendete, nämlich
a/ ein Video mit dem durchgehend eingeblendeten Untertitel „Geh Wählen!!!“, zeigend Adolf Hitler mit Hakenkreuzarmbinde, wie er sich bei einer propagandistischen Wahlkampfrede an eine (am Ende) jubelnde Menge wendet und für eine Stimme wirbt, wodurch dem Betrachter die Wahl der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiter Partei (NSDAP) bzw Adolf Hitlers als etwas Positives und Wünschenswertes dargestellt wird,
b/ ein Video, zeigend einen chinesischen Taxifahrer, der, nachdem ihm der Fahrgast mitteilte, dass er aus Deutschland stamme, die rechte Hand zum Hitlergruß erhebt und die Parole „Heil Hitler“ ruft;
II/ am 8. Oktober 2017 zweimal gegenüber Ernst Se*****, davon einmal auch gegenüber Gerhard D*****, äußerte „Dem Dritten Reich nach sind Frauen Rasse zweiter Klasse“, wobei er damit auf ein Ideal des Nationalsozialismus, nämlich die untergeordnete Rolle der Frau, welche sich auf die Mutterschaft reduzierte, anspielte und diese Rolle positiv darstellte;
III/ zu einem nicht näher bekannten Zeitpunkt ein Sweatshirt mit dem Aufdruck der „Schwarzen Sonne“ als ein das Hakenkreuz ersetzendes Symbol bedrucken ließ und dieses über einen nicht näher bekannten Zeitraum bis zur Sicherstellung am 18. September 2018 zum Zwecke der nationalsozialistischen Propaganda ansammelte.
[3] Die Geschworenen haben die zu diesen Schuldsprüchen jeweils in Richtung der Verbrechen nach § 3g VG gestellten Hauptfragen 3, 4, 5 und 6 bejaht. Weitere Fragen wurden dazu nicht gestellt.
Rechtliche Beurteilung
[4] Dagegen richtet sich die auf § 345 Abs 1 Z 6, 8, 9, 10a und 11 lit a StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten.
[5] Zum berechtigten Teil der Nichtigkeitsbeschwerde:
[6] Die Instruktionsrüge (Z 8) zeigt zutreffend auf, dass die Rechtsbelehrung – entgegen § 321 Abs 2 StPO – keine Ausführungen dazu enthält, nach welchen Kriterien der Bedeutungsinhalt einer Äußerung (zur Struktur des § 3g VG [auch] als Äußerungsdelikt vgl Lässig in WK2 Verbotsgesetz § 3g Rz 9 iVm § 3d Rz 2) zu beurteilen ist.
[7] Zwar ist der Sinngehalt einer Äußerung (worunter – im Sinn der Kundgabe eines Gedankeninhalts – auch die Übermittlung von Videos [I/a und b] fällt) eine Tatfrage und daher allein von den Geschworenen zu lösen (RIS-Justiz RS0092588 [insbes T24]). Nach welchen Kriterien der Bedeutungsinhalt zu beurteilen ist, nämlich dass dabei der Äußerungskontext, das gesamte Tatumfeld, sonstige Begleitumstände der Äußerung und insbesondere auch konkrete Eigenschaften des Täters und der Adressaten (wie etwa Sprachgebrauch, Gewohnheiten und Bildungsgrad) von entscheidender Bedeutung sind (abermals Lässig in WK2 Verbotsgesetz § 3g Rz 9 iVm § 3d Rz 2), ist jedoch (gebotener) Inhalt der Rechtsbelehrung (Ratz, WK-StPO § 345 Rz 31 f; Lässig, WK-StPO § 312 Rz 22).
[8] Diese Unvollständigkeit der Rechtsbelehrung ist – worauf der Beschwerdeführer ebenfalls hinweist – geeignet, zu irriger Auslegung des in den – auf die Verwirklichung des Tatbestands des § 3g VG als Äußerungsdelikt abzielenden – Hauptfragen 3, 4 und 5 (deren Bejahung zu den Schuldsprüchen I und II führte) enthaltenen Begriffs der (jeweils durch eine Äußerung erfolgten) Betätigung „im nationalsozialistischen Sinn“ zu führen.
[9] Da – wie bereits die Generalprokuratur zutreffend ausführte – diese Unrichtigkeit der Rechtsbelehrung (vgl RIS-Justiz RS0101021) die Aufhebung der davon betroffenen Teile des Wahrspruchs (Hauptfragen 3, 4 und 5) und der darauf basierenden Schuldsprüche (I/a, I/b und II) unumgänglich macht (§§ 344, 285e StPO), ist auf das weitere hiezu erstattete Vorbringen nicht mehr einzugehen.
[10] Zur restlichen Nichtigkeitsbeschwerde:
[11] Entgegen der Fragenrüge (Z 6) ist die Hauptfrage 6 (deren Bejahung zu Schuldspruch III führte) aus dem Blickwinkel hinreichender Konkretisierung unbedenklich, weil sich daraus ein Bereithalten („Ansammeln“) mit der weiteren Intention einer propagandistischen Verwendung („zum Zwecke der nationalsozialistischen Propaganda ansammelte“) ergibt (vgl RIS-Justiz RS0080022; Lässig in WK2 Verbotsgesetz § 3g Rz 9). Mit der Behauptung, das – über Initiative des Angeklagten – auf dem Sweatshirt aufgedruckte Symbol der „Schwarzen Sonne“ habe „niemals der NS-Propaganda gedient“, wird ein aus Z 6 relevanter Mangel der Fragestellung nicht aufgezeigt, sondern lediglich unzulässig die Beweiswürdigung der Geschworenen kritisiert.
[12] Die Tatsachenrüge (Z 10a) verfehlt mit dem bloßen Hinweis auf das angebliche Fehlen aktenkundiger Beweisergebnisse dafür, „der Angeklagte hätte das Sweatshirt bedrucken lassen, bzw vor allem jemals getragen, bzw zumindest die Absicht gehabt, es zu tragen“, eine prozessordnungskonforme Darstellung (vgl RIS-Justiz RS0128874).
[13] Die Rechtsrüge (Z 11 lit a) hält mit ihrer Kritik fehlender Feststellungen zum „propagandistische[n] Bestreben“ des Angeklagten nicht an der im Wahrspruch zur Hauptfrage 6 festgestellten Sachverhaltsbasis fest, wonach der Angeklagte – mit auf Betätigung im nationalsozialistischen Sinn gerichtetem Vorsatz das mit „der 'Schwarzen Sonne' als ein das Hakenkreuz ersetzendes Symbol“ bedruckte Sweatshirt „zum Zwecke der nationalsozialistischen Propaganda ansammelte“ (US 6 – vgl abermals RIS-Justiz RS0080022). Bleibt der Vollständigkeit halber festzuhalten, dass die Beurteilung der Sachverhaltsgrundlage des normativen Tatbestandsmerkmals „nationalsozialistisch“ auf der Feststellungsebene angesiedelt und somit den Geschworenen vorbehalten ist. Bejahen diese die Schuldfrage, ist davon auszugehen, dass sie eben jene Voraussetzungen als erwiesen angenommen haben, aufgrund derer das zu beurteilende Sachverhaltselement dem normativen Tatbestandsmerkmal „nationalsozialistisch“ entspricht, sodass (auch) dessen Bejahung einer Anfechtung mit Rechts- oder Subsumtionsrüge entzogen ist (RIS-Justiz RS0119234; Lässig in WK² § 3g VG Rz 17).
[14] In diesem Umfang war die Nichtigkeitsbeschwerde gleichermaßen in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur, jedoch entgegen der dazu erstatteten Äußerung des Angeklagten bereits nach nichtöffentlicher Beratung zurückzuweisen (§§ 344, 285d Abs 1 StPO).
[15] Mit ihren Berufungen waren der Angeklagte und die Staatsanwaltschaft auf die kassatorische Entscheidung zu verweisen.
[16] Die Kostenentscheidung beruht auf § 390a Abs 1 StPO.
Textnummer
E130785European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2021:0110OS00128.20P.0212.000Im RIS seit
01.03.2021Zuletzt aktualisiert am
08.06.2021