TE Vwgh Erkenntnis 1997/5/22 95/21/0147

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Veröffentlicht am 22.05.1997
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Index

40/01 Verwaltungsverfahren;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

AVG §37;
FrG 1993 §54;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Pokorny und die Hofäte Dr. Sulyok, Dr. Robl, Dr. Rosenmayr und Dr. Baur als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Hanel, über die Beschwerde des S in B, vertreten durch Dr. F, Rechtsanwalt in S, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Salzburg vom 27. Mai 1994, Zl. Fr-5675/94, betreffend Feststellung gemäß § 54 Abs. 1 FrG, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 565,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer ist Staatsbürger der Bundesrepublik Jugoslawien und gehört der albanischen Volksgruppe an. Am 8. Juni 1993 beantragte er die Feststellung, daß er in seinem Heimatstaat im Sinne des § 37 Abs. 1 und 2 FrG bedroht sei.

Mit dem angefochtenen Bescheid vom 27. Mai 1994 sprach die belangte Behörde aus, daß keine stichhaltigen Gründe für die Annahme bestünden, der Beschwerdeführer sei in der Bundesrepublik Jugoslawien gemäß § 37 Abs. 1 oder 2 leg. cit. bedroht. Dies begründete die belangte Behörde damit, daß der Beschwerdeführer zwar als Staatsbürger "der Jugoslawischen Föderation" der Militärdienstpflicht unterliege, die Strafsanktion für die Verletzung dieser Pflicht jedoch für sämtliche Staatsbürger gleich sei, sodaß eine darauf begründete drohende Sanktion nicht aufgrund der ethnischen Zugehörigkeit des Beschwerdeführers zur albanischen Volksgruppe erfolge. Auch wenn der Beschwerdeführer bislang keinen Militärdienst abgeleistet habe, so könne die sich daraus ergebende Verpflichtung nicht als eine Bedrohung im Sinne des § 37 Abs. 1 oder 2 FrG gewertet werden. Da sich die "Jugoslawische Föderation" derzeit nicht im Kriegszustand befinde, sei auch nicht nachvollziehbar, weshalb der Beschwerdeführer im Falle der Einberufung zum Militärdienst gegen seine Landsleute vorzugehen hätte. Wörtlich wird im angefochtenen Bescheid ausgeführt:

"Informationen zum Zeitraum Juni bis September 1991 besagen, daß Albaner aus dem Kosovo kaum mehr einberufen werden, da die Armeeführung damit rechnet, daß Sie im Falle eines Einsatzes ohnehin desertieren oder gar auf ihre (nichtalbanischen) Vorgesetzten schießen würden. Insbesondere auf Grund der bezweifelten Loyalität und Zuverlässigkeit werden Angehörige der albanischen Volksgruppe in der Armee lediglich in der "Etappe" eingesetzt.

Es gibt keinerlei Anhaltspunkte dafür, daß kosovo-albanische Reservisten oder Rekruten in den Kriegsgebieten in Bosnien-Herzegowina oder in der kroatischen Krajina eingesetzt werden. Ebenso werden Kosovo-Albaner nur mehr in technischen Einheiten eingesetzt und nicht an Waffen ausgebildet.

Offiziell hat sich die jugoslawische Armee aus den Bürgerkriegsschauplätzen in Kroatien und Bosnien-Herzegowina zurückgezogen. Die Einberufungen von Wehrpflichtigen innerhalb der Jugoslawischen Föderation gehen weiter. Es gibt jedoch kein überproportionales Aufbieten von Angehörigen bestimmter Ethnien. Vielmehr wird die ehemals jugoslawische Armee tendenziell verkleinert und zunehmend "nationalisiert" und "serbisiert".

Sowohl die seinerzeitige jugoslawische Volksarmee als auch die Armee der nunmehrigen Jugoslawischen Föderation sind im verstärkten Maße von Desertionen und Refraktionen, und zwar quer durch alle Nationalitäten, betroffen. Die Bestrafungen für diese Personengruppen halten sich jedoch im Rahmen, der jedenfalls im Kontext der derzeitigen Militärischen Auseinandersetzungen nicht verschärft wurde.

Refraktion bzw. Desertion können als Übertretung im Sinne von Art. 77 Abs. 1 oder 2 des Militärpflichtgesetzes - also als administratives Vergehen - gesehen werden oder als Straftatbestand nach Art. 214 oder 217 des jugoslawischen Strafgesetzbuches. Während das Militärpflichtgesetz Bußen oder Gefängnisstrafen vorsieht, sind nach dem weiterhin in Geltung stehenden Strafgesetzbuch der ehemaligen Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien Gefängnisstrafen von drei Monaten bis zehn Jahren, theoretisch auch die Todesstrafe möglich. Gemäß geltendem Recht müssen aber der "Zustand der allgemeinen Mobilmachung" und "eine drohende Kriegsgefahr" herrschen, damit überhaupt eine gesetzliche Grundlage für das Vorgehen gegen Deserteure und Refrakteure gegeben ist. Der "Zustand der allgemeinen Mobilmachung" wurde am 4. Oktober 1991 ausgerufen, er dauerte allerdings nur bis Ende April 1992.

In der Folge ist auf Grund der in diesem Zeitraum massenhaft vorgekommenen Desertionen und Refraktionen in mehreren tausend Fällen formal Anklage erhoben worden. Mit der Durchführung von Gerichtsverhandlungen ist jedoch vielfach gezögert worden.

Die festgestellten Höchststrafen für Desertion - Refraktion wird generell milder beurteilt - haben eine Dauer von ein bis höchstens zwei Jahren nicht überstiegen. Wesentlich häufiger sind bedingte Strafen und Freisprüche."

Auch das frühere Eintreten des Beschwerdeführers für die "demokratische Partei des Kosovo" besage noch nicht, daß er im Falle einer Abschiebung in sein Heimatland gemäß § 37 FrG bedroht sei. Ebensowenig glaubhaft sei, daß der Beschwerdeführer aufgrund der von ihm begangenen Schleppungen in seiner Heimat Gefahr laufe, dort einer unmenschlichen Behandlung oder Strafe oder der Todesstrafe unterworfen zu werden.

Im übrigen sei der Begründung im Bescheid der ersten Instanz beizupflichten.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde mit dem Antrag, ihn aus diesen Gründen aufzuheben.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und beantragte, die Beschwerde kostenpflichtig abzuweisen; von der Erstattung einer Gegenschrift sah sie ab.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Abgesehen davon, daß hg. Bedenken dagegen bestehen, einen im Jahr 1994 erlassenen Bescheid über einen Antrag gemäß § 54 FrG, in dem die aktuellen Verhältnisse in dem betreffenden Staat zu beurteilen sind, auf Informationen aus dem Jahr 1991 zu stützen, verweist die Beschwerde zutreffend darauf, daß dem Beschwerdeführer keine Gelegenheit gegeben worden war, zu diesen erstmals in der Berufungsentscheidung herangezogenen "Informationen zum Zeitraum Juni bzw. September 1991" Stellung zu nehmen. Wenn die Beschwerde sich gegen die auf diese "Informationen" gestützten Feststellungen unter Hinweis auf die aufgezeigte Verletzung des Parteiengehörs wendet und geltend macht, im Falle der Einräumung des vermißten Parteiengehörs hätte der Beschwerdeführer konkret darlegen können, daß auch noch im Jahr 1994 Kosovo-Albaner zum Militär einberufen (zum Beweise dafür legte der Beschwerdeführer die Kopie eines Einberufungsbefehles betreffend seinen Cousin vor) und Kosovo-Albaner "auch in den Kriegsgebieten an vorderster Front eingesetzt" würden, sowie, daß die eintretenden Folgen für Wehrdienstverweigerung und Wehrdienstflucht Gefängnisstrafen bis zu zehn Jahren, aber auch die Todesstrafe seien, so steht diesem Vorbringen nicht das im verwaltungsgerichtlichen Verfahren geltende Neuerungsverbot (§ 41 VwGG) entgegen.

Dennoch führt dieser Verfahrensmangel die Beschwerde nicht zum Erfolg: Der Beschwerdeführer bringt vor, daß er im Alter von ca. 16 Jahren aus seiner Heimat ausgewandert sei und sich seither in Österreich aufhalte. Mittlerweile hätten sich die Zustände im Kosovo für Angehörige der albanischen Volksgruppe drastisch verschlimmert und viele durch die serbischen Repressalien ihre Arbeitsplätze verloren. Das auf den Beschwerdeführer zutreffende wesentliche Problem sei die "bekanntermaßen massive Verfolgung von Deserteuren und Wehrdienstflüchtlingen durch die serbischen Behörden". Der Beschwerdeführer unterliege der Militärdienstpflicht, die zur Folge hätte, daß er im Widerspruch zu seinen moralischen Überzeugungen und gegen sein Gewissen an militärischen Aktionen teilnehmen müßte, die den Grundregeln menschlichen Verhaltens widersprächen und eine Bedrohung des Weltfriedens darstellten. Dies sei auch in etlichen Resolutionen der UNO zum Ausdruck gebracht worden.

Es möge zwar richtig sein, daß die Verfolgung von Deserteuren nicht aufgrund der ethnischen Zugehörigkeit selbst erfolge, doch ändere dies nichts daran, daß es sich bei der im Falle der Verletzung der Militärdienstpflicht drohenden Strafsanktion im Falle des ehemaligen Jugoslawien um eine unmenschliche Strafe im Sinne des § 37 Abs. 1 FrG handle.

Weder in der vorliegenden Beschwerde noch im Verwaltungsverfahren hat der Beschwerdeführer behauptet, daß ihm bislang ein Einberufungsbefehl zugestellt worden wäre. Da er nach seinem eigenen Vorbringen bereits im Alter von 16 Jahren aus dem ehemaligen Jugoslawien ausgereist ist, ist vielmehr davon auszugehen, daß er sich damals noch nicht im wehrdienstpflichtigen Alter befunden hatte. Der diesbezüglichen Feststellung im Bescheid der Behörde erster Instanz, daß er bislang nie eine Einberufung erhalten habe, ist der Beschwerdeführer in der Berufung nicht entgegengetreten. Die im Berufungsverfahren aufgestellte (nicht näher konkretisierte) Behauptung, er würde als "Wehrpflichtflüchtiger" den strengen Strafbestimmungen unterliegen, wird auch in der vorliegenden Beschwerde nicht weiter ausgeführt. Es ist somit nicht ersichtlich, warum dem Beschwerdeführer im Falle seiner Rückschiebung in die nunmehrige Bundesrepublik Jugoslawien eine Strafe wegen Wehrdienstverweigerung bzw. Wehrdienstentziehung erwarten soll, zumal er im Alter von 16 Jahren von dort ausgereist ist und sich bereits seit 1988 (also lange vor Ausbruch der kriegerischen Ereignisse) in Österreich befindet. Daß gegen ihn Ermittlungen wegen des Verdachtes der (allenfalls durch seine Ausreise und seinen Aufenthalt im Bundesgebiet bewirkten) Entziehung vom Wehrdienst eingeleitet worden wären oder er solche im Falle seiner Rückkehr konkret zu erwarten hätte, wird in der Beschwerde nachvollziehbar nicht dargelegt. In dieser wird vielmehr die drohende Gefahr im Sinne des § 37 FrG darin erblickt, daß der Beschwerdeführer im Falle seiner Rückkehr einberufen werden könnte, was er jedoch aufgrund seiner angegebenen Motive verweigern müßte. Der Umstand allein, daß er sich nunmehr im wehrdienstpflichtigen Alter befindet, besagt aber noch nicht, daß der Beschwerdeführer tatsächlich im Falle seiner Rückschiebung unmittelbar mit der Einberufung zum Heer zu rechnen habe, zumal auch in der vorliegenden Beschwerde dazu keine konkreten Anhaltspunkte vorgebracht werden.

Damit gleicht der vorliegende Fall in seinem entscheidungswesentlichen Kern demjenigen, der dem hg. Erkenntnis vom 29. Jänner 1997, Zl. 95/21/0146, zugrundelag, auf welches gemäß § 43 Abs. 2 VwGG verwiesen werden kann.

Die Beschwerde war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Die Kostenentscheidung stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1997:1995210147.X00

Im RIS seit

20.11.2000

Zuletzt aktualisiert am

01.12.2016
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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