TE Bvwg Beschluss 2020/11/12 L507 2226764-1

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Veröffentlicht am 12.11.2020
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Entscheidungsdatum

12.11.2020

Norm

AsylG 2005 §10
AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §8
B-VG Art133 Abs4
VwGVG §28 Abs3 Satz2

Spruch


L507 2226764-1/8E

BESCHLUSS

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Habersack über die Beschwerde des XXXX , geb. XXXX , StA. Türkei, vertreten durch die Kocher und Bucher Rechtsanwälte OG, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 06.11.2019, Zl. 1234066202 – 190610404 / BMI-BFA_KNT_AST, beschlossen:

A) In Erledigung der Beschwerde wird der bekämpfte Bescheid behoben und die Angelegenheit gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG zur Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen.

B) Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Begründung:

I. Verfahrensgang

1. Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger der Türkei, reiste illegal in das Bundesgebiet ein und stellte am 16.06.2019 einen Antrag auf internationalen Schutz.

Bei der Erstbefragung vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 17.06.2019 und bei den niederschriftlichen Einvernahmen vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) am 08.10.2019 und 22.10.2019 brachte der Beschwerdeführer zusammenfassend vor, dass er Staatsangehöriger der Türkei und Angehöriger der kurdischen Volkgruppe sei. Der Beschwerdeführer sei festgenommen, angehalten und gefoltert worden, wobei er gezwungen worden sei ein Geständnis zu unterschreiben. Nach drei Monaten und 15 Tagen sei der Beschwerdeführer freigelassen worden. Nach der Freilassung habe der Beschwerdeführer eine Autowaschanlage betrieben. Polizisten hätten in der Folge Kunden davon abgehalten, beim Beschwerdeführer ihr Auto waschen zu lassen. Danach habe der Beschwerdeführer auf den Namen seines Bruders ein Kaffeehaus eröffnet. Nach kurzer Zeit sei die Polizei öfters im Kaffeehaus gewesen und seien Gäste und der Beschwerdeführer wegen Missachtung des Rauchverbotes bestraft worden. Vier Jahre nach der Festnahme habe ein Gerichtsverfahren stattgefunden und danach habe der Beschwerdeführer beschlossen, die Türkei zu verlassen. [Anmerkung: ein Datum oder eine zeitliche Eingrenzung der Festnahme kann den Einvernahmeprotokollen nicht eindeutig entnommen werden]

Zum Beweis seines Vorbringens brachte der Beschwerdeführer ein Konvolut von verschiedenen Dokumenten und Schriftstücken in türkischer Sprache in Vorlage (AS 151 bis 194).

Bei den niederschriftlichen Einvernahmen des Beschwerdeführers vor dem BFA am 08.10.2019 und 22.10.2019 wurden folgende gleichlautende Vermerke in das Protokoll aufgenommen:

„LA: Bisher haben sie folgende Dokumente – Beweismitteln Vorlage gebracht.

VP:

-         XXXX

Anm. VP gibt an, dass sein Anwalt angerufen hat und ihm mitgeteilt hat, dass er 9 Jahre und 11 Monate abzusitzen hat.“

Bei der niederschriftlichen Einvernahme vor dem BFA am zweiten 20.10.2019 wurde zudem folgende Vermerke protokolliert:

- „Das Dokument über Gerichtsverfahren wird vorgelegt und das Ausstellungsdatum kontrolliert. Ausgestellt am 09.10.2018“

- „LA: Aufgrund welcher Delikte wurden Sie verurteilt?

VP: Weil ich bei einer illegalen Organisation (HDP) teilgenommen habe. Für den Staat sind alle HDP-Mitglieder Terroristen.

LA: Sie wurden laut den vorgelegten Beweismittel „Konvolut Dokument über Gerichtsverfahren“ wegen 6 verschiedenen Delikten (Opposition, Widerstand, Sachschadenbeschädigung, gefährliche Substanzen, Propaganda und Mitglied einer Terrororganisation) im Oktober 2018 insgesamt für 12 Jahre verurteilt. Sie wurden freigelassen. Haben Sie eine Bewährung bekommen?

VP: Ich muss 9 Jahre 8 Monate ins Gefängnis. Eine Bewährung habe ich nicht bekommen.

Dolmetscher wird aufgefordert das Urteil zu übersetzten

Urteil: „Nach § 58/9 kann Beschwerde eingereicht werden

Eine Bewährung kann in Betracht gezogen werden. „

Dolmetscher gibt an, dass eine Bewährung explizit nicht vermerkt ist.“

Eine Anordnung betreffend eine vollständige Übersetzung der vom Beschwerdeführer in türkischer Sprache vorgelegten Dokumente und Schreiben bzw. vollständige Übersetzungen dieser Dokumente und Schreiben in die deutsche Sprache finden sich im Akt des BFA nicht.

2. Mit Bescheid des BFA vom 06.11.2019, Zl. 1234066202 – 190610404 / BMI-BFA_KNT_AST, wurde der Antrag auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG abgewiesen. Gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG wurde der Antrag auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Türkei abgewiesen. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG wurde nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass seine Abschiebung in die Türkei gemäß § 46 FPG zulässig sei. Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG betrage die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung. Gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 2 Z 6 FPG wurde gegen den Beschwerdeführer ein auf die Dauer von zwei Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen.

Im angefochtenen Bescheid wurden folgende Beweismittel aufgezählt und folgende Feststellungen getroffen:

„Von Ihnen vorgelegte Beweismittel:

-         XXXX

[]

Feststellungen

[]

„Zu den Gründen für das Verlassen Ihres Herkunftsstaats:

Es konnte nicht festgestellt werden, dass Sie Ihr Herkunftsland aufgrund einer gegen Sie gerichteten Gefahr einer Verfolgung oder Bedrohung durch die türkische Polizei oder Behörden verlassen haben.

Es konnte nicht festgestellt werden, dass Sie in der Türkei aufgrund Ihrer Rasse, Religion, Nationalität, der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder einer politischen Gesinnung verfolgt wurden.

Es konnte keine individuelle Bedrohung gegen Ihre Person aufgrund einer Teilnahme an einer Demonstration im Jahre 2014 in der Türkei festgestellt werden.

Es konnte keine Mitgliedschaft bei der HDP-Partei festgestellt werden.

Selbst bei Berücksichtigung sämtlicher bekannter Tatsachen kamen keine weiteren Ausreisegründe hervor.

Zu Ihrer Situation im Fall Ihrer Rückkehr:

Es konnte nicht festgestellt werden, dass Ihnen bei einer Rückkehr eine Gefährdung durch die Polizei, staatliche Organe, Behörden oder Private droht.

Es konnte nicht festgestellt werden, dass Ihnen bei einer Rückkehr eine Bedrohung oder Verfolgung durch staatliche Behörden aufgrund Ihrer Volksgruppenzugehörigkeit oder Ihres Religionsbekenntnisses droht.

Es konnte keine wie auch immer geartete, sonstige besondere Gefährdung bei einer Rückkehr in die Türkei festgestellt werden.

Es sind keine Hinweise hervorgekommen, dass allenfalls körperliche oder psychische Erkrankungen Ihrer Rückkehr entgegenstehen würden.“

[]

„Zu den Gründen für die Erlassung des Einreiseverbots:

Festgestellt wird, dass Ihnen keine Frist [sic! vergl. dazu Spruchpunkt VI. des angefochtenen Bescheides] für die freiwillige Ausreise gewährt wird.

Festgestellt werden konnte, dass Sie über keine ausreichenden finanziellen Mittel verfügen um Ihren Lebensunterhalt zu bestreiten.

Sie besitzen nicht die Mittel um Ihren Lebensunterhalt in Österreich aktuell oder in naher Zukunft bestreiten zu können.“

Im Anschluss wurden im angefochtenen Bescheid Feststellungen betreffend die Lage in der Türkei getroffen und zwar im Ausmaß von 71 Seiten, wobei sich der Großteil dieser Feststellungen weder auf die Person des Beschwerdeführers noch auf den zu beurteilenden Sachverhalt bezieht.

Beweiswürdigend wurde von der belangten Behörde im angefochtenen Bescheid Folgendes auszugsweise – insbesondere zum Vorbringen des Beschwerdeführers betreffend die Verurteilung durch ein typisches Gericht – wörtlich ausgeführt:

„[…]

Die von Ihnen in der Einvernahme vorgelegten Dokumente über das Gerichtsverfahren sind in der Zusammenschau mit Ihrem Vorbringen nicht geeignet eine tatsächliche Verurteilung wegen einer Mitgliedschaft zur HDP Partei darzutun. Auf Seite 21 Absatz B: Wegen Widerstand und auf Seite 22/23 Absatz E: Teilnahme Propaganda/Terrororganisation ist eindeutig nachzulesen, dass Sie 5 Jahre auf Bewährung erhalten haben (laut Übersetzung der Gerichtsunterlagen während der Einvernahme vom 08.10.2019). Sie wurden diesbezüglich in der Einvernahme darauf angesprochen und gaben an, dass Sie keine Bewährung bekommen hätten, jedoch dass Sie eine Beschwerde gegen die Entscheidung eingereicht hätten und es noch keine endgültige Entscheidung geben würde. Sie wussten daher, dass Ihr vorgelegter Bescheid nicht rechtskräftig ist und gaben dennoch ein paar Fragen vorher an, dass Sie ins Gefängnis gehen müssten (Siehe Einvernahme vom 22.10.2019 Seite 14: LA: Sie wurden laut den vorgelegten Beweismittel „Konvolut Dokument über Gerichtsverfahren“ wegen 6 verschiedenen Delikten (Opposition, Widerstand, Sachschadenbeschädigung, gefährliche Substanzen, Propaganda und Mitglied einer Terrororganisation) im Oktober 2018 insgesamt für 12 Jahre verurteilt. Sie wurden freigelassen. Haben Sie eine Bewährung bekommen? VP: Ich muss 9 Jahre 8 Monate ins Gefängnis. Eine Bewährung habe ich nicht bekommen.“).

Bestärkt wird die erkennende Behörde diesbezüglich, weil Sie in der Einvernahme vor dem BFA auch selbst angaben, dass die Polizei nicht genügend Beweismittel gegen Sie gehabt hätte, weil man Sie nur auf der Straße gesehen hätte (Siehe Einvernahme vom 08.10.2019 Seite 11).

[]“

3. Gegen diesen dem Beschwerdeführer am 08.11.2019 zugestellten Bescheid wurde am 05.12.2019 fristgerecht Beschwerde erhoben und die Durchführung einer Beschwerdeverhandlung beantragt.

4. In der im Rahmen der Beschwerdevorlage vom 17.12.2019 abgegebenen Stellungnahme wurde von BFA unter anderem folgendes ausgeführt:

„In Bezug auf die angebotenen Beweismittel (Gerichtsdokumente), wird seitens der Behörde eingeräumt, dass es aufgrund der unterschiedlichen Dolmetscher zu unterschiedlichen Übersetzungen der Gerichtsdokumente gekommen ist. Wie bereits im Bescheid gewürdigt (Seite 111), gab der Beschwerdeführer jedoch selbst an, dass die Polizei nicht genügend Beweismittel gehabt hätte und dass der Beschwerdeführer eine Beschwerde gegen die Entscheidung eingereicht hätte. Der Beschwerdeführer gab weiters an, dass er durch seinen Anwalt erfahren hätte, dass er neun Jahre und elf Monate verurteilt worden wäre (Anmerkung: VP gibt an, dass sein Anwalt angerufen hat und mitgeteilt hat, dass er neun Jahre und elf Monate abzusitzen hat.“). Da der Beschwerdeführer keine Beweise [sic!] vorgelegt hat und das Verfahren laut Aussage des Beschwerdeführers noch im Beschwerde ist, ist die vorgebrachte Verurteilung nicht glaubhaft.“

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichts ist durch das Bundesgesetz über das Verfahren der Verwaltungsgerichte (Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz – VwGVG) geregelt. Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung – BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes – AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 – DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

Zu Spruchteil A):

2.1. Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen.

Gemäß § 31 Abs. 1 VwGVG erfolgen, soweit nicht ein Erkenntnis zu fällen ist, die Entscheidungen und Anordnungen durch Beschluss. Gemäß Abs. 3 sind auf die Beschlüsse des Verwaltungsgerichtes § 29 Abs. 1 zweiter Satz, Abs. 4 und § 30 sinngemäß anzuwenden. Dies gilt nicht für verfahrensleitende Beschlüsse.

Gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht (Z1) oder die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist (Z2).

Gemäß § 28 Abs. 3, 2. Satz VwGVG kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen, wenn die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhaltes unterlassen hat. Die Behörde ist hiebei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist.

2.2. Nach dem eindeutigen Wortlaut des § 28 Abs. 3, 2. Satz VwGVG ist Voraussetzung für eine Aufhebung und Zurückverweisung nach dieser Bestimmung das Fehlen relevanter behördlicher Sachverhaltsermittlungen. Hinsichtlich dieser Voraussetzung gleicht die Bestimmung des § 28 Abs. 3, 2. Satz VwGVG jener des § 66 Abs. 2 AVG, der als – eine – Voraussetzung der Behebung und Zurückverweisung gleichfalls Mängel der Sachverhaltsfeststellung normiert, sodass insofern – auch wenn § 66 Abs. 2 AVG im Gegensatz zu § 28 Abs. 3, 2. Satz VwGVG als weitere Voraussetzung der Behebung und Zurückverweisung auch die Notwendigkeit der Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung voraussetzt – auf die Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zur Bestimmung des § 66 Abs. 2 AVG zurückgegriffen werden kann.

§ 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG bildet damit die Rechtsgrundlage für eine kassatorische Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes, wenn „die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen“ hat.

Der Verwaltungsgerichtshof hat sich im seinem Erkenntnis vom 26.06.2014, Ro 2014/03/0063, mit der Sachentscheidungspflicht der Verwaltungsgerichte auseinandergesetzt und darin folgende Grundsätze herausgearbeitet:

Die Aufhebung eines Bescheides einer Verwaltungsbehörde durch ein Verwaltungsgericht komme nach dem Wortlaut des § 28 Abs. 1 Z 1 VwGVG nicht in Betracht, wenn der für die Entscheidung maßgebliche Sachverhalt feststeht. Dies wird jedenfalls dann der Fall sein, wenn der entscheidungsrelevante Sachverhalt bereits im verwaltungsbehördlichen Verfahren geklärt wurde, zumal dann, wenn sich aus der Zusammenschau der im verwaltungsbehördlichen Bescheid getroffenen Feststellungen (im Zusammenhalt mit den dem Bescheid zu Grunde liegenden Verwaltungsakten) mit dem Vorbringen in der gegen den Bescheid erhobenen Beschwerde kein gegenläufiger Anhaltspunkt ergibt.

Der Verfassungsgesetzgeber habe sich bei Erlassung der Verwaltungsgerichtsbarkeits-Novelle 2012, BGBl. I 51, davon leiten lassen, dass die Verwaltungsgerichte grundsätzlich in der Sache selbst zu entscheiden haben, weshalb ein prinzipieller Vorrang einer meritorischen Entscheidungspflicht der Verwaltungsgerichte anzunehmen ist.

Angesichts des in § 28 VwGVG insgesamt verankerten Systems stelle die nach § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG bestehende Zurückverweisungsmöglichkeit eine Ausnahme von der grundsätzlichen meritorischen Entscheidungszuständigkeit der Verwaltungsgerichte dar. Nach dem damit gebotenen Verständnis stehe diese Möglichkeit bezüglich ihrer Voraussetzungen nicht auf derselben Stufe wie die im ersten Satz des § 28 Abs. 3 VwGVG verankerte grundsätzliche meritorische Entscheidungskompetenz der Verwaltungsgerichte. Vielmehr verlangt das im § 28 VwGVG insgesamt normierte System, in dem insbesondere die normative Zielsetzung der Verfahrensbeschleunigung bzw. der Berücksichtigung einer angemessenen Verfahrensdauer ihren Ausdruck findet, dass von der Möglichkeit der Zurückverweisung nur bei krassen bzw. besonders gravierenden Ermittlungslücken Gebrauch gemacht wird. Eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen wird daher insbesondere dann in Betracht kommen, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhaltes (vgl. § 37 AVG) lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterließ, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden (etwa im Sinn einer „Delegierung“ der Entscheidung an das Verwaltungsgericht).

3. Der angefochtene Bescheid erweist sich in Bezug auf den ermittelten Sachverhalt aus folgenden Gründen als schwer mangelhaft:

Der Beschwerdeführer stützte sein Vorbringen insbesondere darauf, dass er aufgrund seines politischen Engagements für eine kurdische Partei einer Verfolgung ausgesetzt sei.

Vom Beschwerdeführer wurde zu Beweiszwecken bzw. zur Untermauerung seines Vorbringens ein Konvolut von Dokumenten und Schreiben in türkischer Sprache in Vorlage gebracht, insbesondere auch gerichtliche Schreiben.

Diese vom Beschwerdeführer in Vorlage gebrachten Dokumente und Schreiben wurden vom BFA lediglich auszugsweise bzw. kursorisch einer Übersetzung in die deutsche Sprache zugeführt, sofern man im gegenständlichen Fall angesichts der im Rahmen der niederschriftlichen Einvernahme protokollierten Angaben des Dolmetschers überhaupt von einer auszugsweisen oder kursorischen Übersetzung dieser Dokumente sprechen kann

Ohne jedoch eine vollständige Übersetzung dieser Dokumente oder Schreiben in die deutsche Sprache zu veranlassen und sich im Ermittlungsverfahren mit diesen in Vorlage gebrachten Beweismittel auseinander zu setzen, traf die belangte Behörde sogleich eine Sachentscheidung.

Obwohl die belangte Behörde weder eine vollständige Übersetzung der vom Beschwerdeführer in Vorlage gebrachten Beweismittel in die deutsche Sprache veranlasst hat, kam sie im angefochtenen Bescheid in den beweiswürdigenden Ausführungen zu dem Ergebnis, dass die Begründung des Beschwerdeführers zu seinem Antrag auf internationalen Schutz nicht glaubhaft sei.

Da es die belangte Behörde unterlassen hat, die vom Beschwerdeführer in türkischer Sprache in Vorlage gebrachten und für die Beurteilung der Rechtssache relevanten Bescheinigungsmittel vollständig in die deutsche Sprache übersetzen zu lassen, war jedoch jegliche inhaltliche Auseinandersetzung hiermit – vor allem auch im Zusammenhang mit den im angefochtenen Bescheid getroffenen Feststellungen zur Lage in der Türkei bzw. zur Situation der Kurden in der Türkei – unmöglich.

Unter diesen Gesichtspunkten leidet der angefochtene Bescheid unter erheblichen Ermittlungsmängeln sowohl in Bezug auf die Frage der maßgeblichen Wahrscheinlichkeit einer konkret und gezielt gegen den Beschwerdeführer gerichteten Verfolgung maßgeblicher Intensität als auch in Bezug auf die Frage des Vorliegens einer realen Gefahr, inwiefern eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung in die Türkei für den Beschwerdeführer eine Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten oder eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung in die Türkei für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde, und erweist sich für das Bundesverwaltungsgericht der vorliegende Sachverhalt zur Beurteilung einer allfälligen Gefährdung des Beschwerdeführers unter dem Aspekt der Gewährung des Status des Asylberechtigten oder der Zuerkennung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten als so mangelhaft, dass weitere notwendige Ermittlungen des Sachverhaltes diesbezüglich unerlässlich erscheinen.

Damit hat die belangte Behörde im Sinne der oben zitierten Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes Ermittlungen teils gänzlich unterlassen, wobei diese Ermittlungen nunmehr durch das Bundesverwaltungsgericht vorgenommen werden müssten.

Eine Nachholung des durchzuführenden Ermittlungsverfahrens und eine erstmalige Ermittlung und Beurteilung des maßgeblichen Sachverhaltes durch das Bundesverwaltungsgericht kann nicht im Sinne des Gesetzes liegen, vor allem unter Berücksichtigung des Umstandes, dass das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl als Spezialbehörde im Rahmen der Staatendokumentation gemäß § 5 BFA-Einrichtungsgesetz für die Sammlung relevanter Tatsachen zur Situation in den betreffenden Staaten samt den Quellen zuständig ist und weil eine ernsthafte Prüfung des Antrages nicht erst beim Bundesverwaltungsgericht beginnen und zugleich enden soll.

Da der maßgebliche Sachverhalt aufgrund der Unterlassung notwendiger Ermittlungen der belangten Behörde nicht feststeht und diese Ermittlungstätigkeit sowie die Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes (erstmals) durch das Bundesverwaltungsgericht selbst vorgenommen werden müsste, war gemäß § 28 Abs. 3, 2. Satz VwGVG mit der Aufhebung des angefochtenen Bescheides und Zurückverweisung der Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde vorzugehen.

Die belangte Behörde wird sich daher im fortgesetzten Verfahren – nach erfolgter vollständiger Übersetzung der in türkischer Sprache in Vorlage gebrachten Dokumente und Schriftstücke in die deutsche Sprache – mit dem vom Beschwerdeführer vorgebrachten Sachverhalt auseinander zu setzen haben.

Der Vollständigkeit halber ist darauf hinzuweisen, dass die Verwaltungsbehörde (lediglich) an die rechtliche Beurteilung des gemäß § 28 Abs. 3, 2. Satz VwGVG aufhebenden und zurückverweisenden Beschlusses des Verwaltungsgerichtes gebunden ist (s. § 28 Abs. 3, 3. Satz VwGVG; vgl. auch z.B. VwGH 22.12.2005, Zl. 2004/07/0010, VwGH 08.07.2004, Zl. 2003/07/0141 zu § 66 Abs. 2 AVG); durch eine Zurückverweisung nach § 28 Abs. 3, 2. Satz VwGVG tritt das Verfahren aber in die Lage zurück, in der es sich vor Erlassung des aufgehobenen Bescheides befunden hatte (Wirkung der Aufhebung ex tunc,
s. Fister/Fuchs/Sachs, Verwaltungsgerichtsverfahren (2013) Anm. 14 zu § 28 VwGVG; vgl. auch 22.05.1984, Zl. 84/07/0012), sodass die belangte Behörde das im Rahmen des Beschwerdeverfahrens erstattete weitere Parteivorbringen zu berücksichtigen und gemäß § 18 Abs. 1 AsylG gegebenenfalls darauf hinzuwirken haben wird, dass dieses ergänzt bzw. vervollständigt wird.

4. Die Durchführung einer mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG unterbleiben, zumal aufgrund der Aktenlage in Verbindung mit dem Vorbringen in der Beschwerde feststeht, dass der angefochtene Bescheid zu beheben und zur Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückzuverweisen war.

Zu Spruchteil B):

Gemäß § 25a Abs. 1 Verwaltungsgerichtshofgesetz (VwGG) hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß
Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Die gegenständliche Entscheidung weicht nicht von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (VwGH 26.06.2014, Ro 2014/03/0063) ab. Durch das genannte Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes fehlt es auch nicht an einer Rechtsprechung und die zu lösende Rechtsfrage wird in der Rechtsprechung auch nicht uneinheitlich beantwortet.

Schlagworte

Beweismittel Ermittlungspflicht Kassation mangelnde Sachverhaltsfeststellung Übersetzung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:L507.2226764.1.00

Im RIS seit

25.02.2021

Zuletzt aktualisiert am

25.02.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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