TE Bvwg Beschluss 2020/12/9 L509 2236633-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 09.12.2020
beobachten
merken

Entscheidungsdatum

09.12.2020

Norm

B-VG Art133 Abs4
FPG §66
FPG §70
VwGVG §28 Abs3 Satz2

Spruch


L509 2236633-1/4E

BESCHLUSS

Das Bundesverwaltungsgericht beschließt durch den Richter Mag. Ewald Huber-Huber als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , Staatsangehörigkeit Pakistan, vertreten durch XXXX , Rechtsanwältin in Wels, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, vom 30.09.2020, Zahl: XXXX :

A)

Der angefochtene Bescheid wird in Erledigung der Beschwerde behoben und die Angelegenheit gemäß § 28 Abs. 3 2.Satz VwGVG zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverwiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Begründung:

I. Verfahrensgang

1. Der Beschwerdeführer heiratete am 12.11.2015 am Standesamt von Aradippou/Zypern Frau XXXX , geb. XXXX , StA Rumänien. Noch im selben Jahr reisten der Beschwerdeführer und seine Frau nach Österreich und meldete am 21.12.2015 ihren Hauptwohnsitz in XXXX an.

2. Am 29.03.2016 stellte der Beschwerdeführer sodann einen Antrag auf Aufenthaltskarte „Angehöriger eines EWR-Bürgers bzw. EU-Bürgers“ gem.§ 54 NAG bei der zuständigen Niederlassungsbehörde.

3. Am 07.04.2016 wurde der Antrag vom Magistrat XXXX bewilligt und dem Beschwerdeführer am 14.04.2016 die Aufenthaltskarte ausgehändigt.

4. Am 14.02.2017 erging eine Meldung des Stadtpolizeikommando XXXX an das BFA RD OÖ, dass der Beschwerdeführer am 14.02.2017 wegen Urkundenfälschung gemäß § 223 StGB angezeigt wurde.

5. Am 27.05.2019 wurde der belangten Behörde der Abschlussbericht der Fremdenpolizeilichen Erhebungs- und Einsatzgruppe AFA-Wien vom 14.02.2019 übermittelt, wonach der Beschwerdeführer und seine Frau im Verdacht stehen, eine Aufenthaltsehe iSd § 117 FPG eingegangen zu sein, um dem Beschwerdeführer einen Aufenthaltstitel für Österreich zu ermöglichen ohne Absicht, ein tatsächliches Ehe- und Familienleben zu führen.

6. Am 17.07.2019 wurde das Verfahren, GZ: 51 BAZ 1099/19y-1, gegen den Beschwerdeführer und seiner Frau wegen des Verdachts der Schließung einer Aufenthaltsehe (gemäß §§ 117 Abs.1 und Abs.2 FPG) von der Staatsanwaltschaft XXXX eingestellt und das BFA umgehend davon verständigt.

7. Am 19.09.2019 wurde der Beschwerdeführer vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, zum Gegenstand: Beendigung des Aufenthalts wegen Vorliegens einer Aufenthaltsehe, niederschriftlich einvernommen.

Befragt gab er dazu an, er habe mit seiner Frau gemeinsam in einer Wohnung gelebt; seit ca. 5 Monaten würden sie jedoch nicht mehr gemeinsam in einem Haushalt leben. Sie hätten von 2015 bis Mai oder Juni 2019 zusammengelebt. Nun sei sie in Rumänien oder auch in Zypern, genau würde er es nicht wissen. Er habe in Zypern bereits die Scheidung eingereicht. Der Grund der Trennung sei gewesen, dass sie nach Rumänien ziehen wollte und er nicht. Er und seine Frau hätten nicht alleine zusammengelebt, sondern mit zwei weiteren Personen namens XXXX und XXXX . Er kenne seine Frau seit 4 oder 5 Jahren, sie hätten gemeinsam in Zypern gearbeitet. In Österreich habe er bisher nur die Karte als Angehöriger eines EU-Bürgers gehabt, ein anderer Aufenthaltstitel komme ihm nicht zu.

8. Am 04.11.2019 wurde die Scheidungsurkunde bei Gericht eingebracht, wonach der Beschwerdeführer am 16.10.2019 vom Familiengericht XXXX von seiner Frau XXXX geschieden wurde.

9. Am 17.12.2019 fand vor der belangten Behörde eine weitere Einvernahme des Beschwerdeführers statt. Dabei brachte der Beschwerdeführer vor, dass seine Ex-Frau gewusst habe, dass er die Scheidung eingereicht habe. Sie sei ebenfalls beim Gericht in Zypern gewesen, um dort vorzusprechen. Seine Frau habe bis 2017 in Österreich gearbeitet. Dann habe sie allerdings nicht mehr gearbeitet und er sei der Ansicht gewesen, dass sie bei ihm in der Krankenversicherung mitversichert ist. Diese Auskunft habe er auch bei der GKK erhalten. Seine Frau sei dann im April oder Mai 2019 wieder nach Rumänien gegangen; im September habe er dann die Scheidung eingereicht. Das genaue Datum der Hochzeit und das Geburtsdatum seiner Frau könne er nicht genau angeben. Weihnachten hätten sie getrennt gefeiert. Sie hätten sich im XXXX kennengelernt. Er sei Sicherheitskraft und sie sei in der Küche tätig gewesen. Nach ca. 5-6 Monaten hätten sie geheiratet. Den Ring habe er in Zypern, bei einem Geschäft am Strand von XXXX gekauft. Derzeit habe er keinen Kontakt mehr zu seiner Ex-Frau; er wüsste nicht, ob sie in Rumänien oder Zypern lebt.

10. Mit gegenständlich in Beschwerde gezogenen Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, RD OÖ, vom 30.09.2020 wurde der Beschwerdeführer Gemäß § 66 Absatz 1 FPG idgF iVm § 55 Absatz 3 NAG idgF aus dem österreichischen Bundesgebiet ausgewiesen (Spruchpunkt I.) und ihm gemäß § 70 Absatz 3 FPG idgF ein Durchsetzungsaufschub von einem Monat ab Durchsetzbarkeit der Entscheidung gewährt (Spruchpunkt II.).

Begründend führte die belangte Behörde aus, dass gegen den Beschwerdeführer am 14.02.2019 eine Anzeige wegen des Verdachts des Eingehens einer Scheinehe erstattet wurde. Der Beschwerdeführer habe am 12.11.2015 am Standesamt von XXXX in Zypern die rumänische Staatsangehörige, XXXX , XXXX , geheiratet, ohne Absicht, mit ihr ein gemeinsames Familienleben iSd Art. 8 EMRK führen zu wollen. Der Antrag des Beschwerdeführers auf „Aufenthaltskarte Familienangehöriger EU-Bürger“ sei am 07.04.2016 bewilligt worden und die Karte bis 07.04.2021 gültig. Die Entscheidung stützte die Behörde auf den Abschlussbericht der AFA Wien FB 1.4 vom 14.02.2019 (Verdacht einer Aufenthaltsehe) und die Angaben des Beschwerdeführers in den durchgeführten beiden Einvernahmen. Wesentliches Entscheidungskriterium für die Behörde sei dabei gewesen, dass der Beschwerdeführer das genaue Datum der Hochzeit nicht nennen und keine Fotos der Hochzeit in Vorlage bringen konnte. Auch hätten sich bei der Schilderung des Ablaufs der Hochzeit Widersprüche ergeben. Auch das Geburtsdatum der Ehefrau sei nicht genau genannt worden.

11. Der Bescheid wurde der rechtlichen Vertretung des Beschwerdeführers am 05.10.2020 zugestellt.

12. Mit Schriftsatz vom 02.11.2020 erhob der Beschwerdeführer vertreten durch Frau Mag. XXXX , Rechtsanwältin in XXXX , fristgerecht Bescheidbeschwerde an das Bundesverwaltungsgericht.

Begründend wurde ausgeführt, dass grundsätzlich keine Einwände dahingehend bestehen würden, dass das Vorliegen einer Scheinehe selbst durch die Behörde beurteilt werde, jedoch würde dies die Behörde nicht von ihrer Begründungspflicht im Hinblick auf das Vorliegen einer Scheinehe entbinden. Die Staatsanwaltschaft habe das gerichtliche Verfahren gemäß § 117 FPG, Verdacht des Eingehens einer Aufenthaltsehe, am 17.07.2019 eingestellt. Die Fremdenpolizei sei in ihrem Abschlussbericht augenscheinlich selbst nicht vom Vorliegen einer Scheinehe beim Beschwerdeführer als direkt Beteiligter ausgegangen. Die Behörde hätte auch inhaltlich Bezug nehmen müssen, weshalb das Verfahren bei der Staatsanwaltschaft eingestellt worden sei. Wenn das Bundesamt entgegen der Auffassung der Staatsanwaltschaft zum Ergebnis komme, dass eine Scheinehe vorliege, so müsse sie die Gründe dafür auch offenlegen.

Gewisse Unsicherheiten bei Datumsangaben, so die ungenauen Angaben hinsichtlich Hochzeitsdatum und der Geburtstag der Ehefrau, seien darauf zurückzuführen, dass der Beschwerdeführer allgemein kein gutes Datengedächtnis habe und Daten für ihn nicht zentral seien. Dennoch seien Geburtstag und Hochzeitstag jährlich gefeiert worden. Viel wahrscheinlicher sei es hingegen, dass der Beschwerdeführer Daten auswendig gelernt hätte, wenn es sich um eine Scheinehe gehandelt hätte. Er habe sich jedoch bewusst nicht verstellt und habe sich das genaue Datum einfach nicht gemerkt. Widersprüche in der Schilderung der Trauung seien damit zu erklären, dass die Hochzeit mittlerweile 5 Jahre zurückliege.

Der Beschwerdeführer habe durchaus wichtige Details geschildert die auf ein Eheleben schließen lassen würden und hätte auch die Ex-Gattin des Beschwerdeführers einvernommen werden müssen, um beurteilen zu können ob eine Scheinehe vorliegt. Ferner hätte die Behörde auch das Paar, welches mit dem Beschwerdeführer und seiner Frau in derselben Wohnung gelebt hat, als Zeugen einvernehmen müssen.

13. Die Beschwerde samt bezughabenden Verwaltungsakt langte am 04.11.2020 beim BVwG ein und wurde sodann an die Außenstelle XXXX zuständigkeitshalber weitergeleitet.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Die Identität des Beschwerdeführers steht fest. Der Beschwerdeführer führt den Namen XXXX , er ist am XXXX in XXXX / Pakistan geboren und pakistanischer Staatsangehöriger.

Fest steht, dass der Beschwerdeführer am 12.11.2015 am Standesamt von XXXX /Zypern Frau XXXX , geb. XXXX , eine rumänische Staatsangehörige geheiratet hat.

Am 21.12.2015 begründeten beide ihren Hauptwohnsitz in Österreich an der Adresse: XXXX . Am 17.02.2016 begründeten sie beide ihren Hauptwohnsitz an der Adresse: XXXX . Der Beschwerdeführer ist am 01.03.2019 aus dem gemeinsamen Haushalt ausgezogen; die (nunmehrige Ex-) Frau des Beschwerdeführers ist hingegen nach wie vor an dieser Adresse gemeldet.

Am 15.02.2016 wurde der (Ex)- Frau des Beschwerdeführers aufgrund der Meldung des Aufenthalts im Bundesgebiet eine Anmeldebescheinigung vom Magistrat XXXX ausgestellt.

Am 29.03.2016 stellte der Beschwerdeführer sodann einen Antrag auf Aufenthaltskarte Angehöriger eines EWR-Bürgers bzw. EU-Bürgers gem. § 54 NAG. Dieser Antrag wurde vom Magistrat XXXX am 07.04.2016 bewilligt.

Fest steht außerdem, dass gegen den Beschwerdeführer aufgrund der Anzeige der Wien AFA FB 1.4 (Fremdenpolizeiliche Erhebungs- und Einsatzgruppe) Wien, Ermittlungen von der Staatsanwaltschaft XXXX wegen des Verdachts des Vorliegens einer Aufenthaltsehe gem. §117 FPG geführt wurden. Das Verfahren wurde jedoch von der Staatsanwaltschaft am 17.07.2019 eingestellt.

Festgestellt wird, dass die Ehe des Beschwerdeführers und seiner Frau XXXX am 16.10.2019 vom Familiengericht XXXX geschieden wurde.

Es konnte nicht festgestellt werden, dass die Ex-Gattin des Beschwerdeführers nicht mehr in Österreich aufhältig ist; festgestellt werden konnte hingegen, dass sie nach wie vor in Österreich gemeldet ist.

1.2. Die belangte Behörde hat ihre Ermittlungspflicht verletzt, indem sie es unterlassen hat, vor Erlassung ihrer Entscheidung zu ermitteln, ob die nunmehrige Ex-Frau des Beschwerdeführers noch in Österreich aufhältig ist und indem sie es verabsäumt hat, diese zu einer mündlichen Einvernahme vor die Behörde zu laden.

Ferner hat die Behörde es auch unterlassen das Paar (Frau XXXX und Herrn XXXX , geb. XXXX ), welches mit dem nunmehr geschiedenen Ehepaar zeitweise im gemeinsamen Haushalt in der XXXX in XXXX lebte, als Zeugen einzuvernehmen.

Festgestellt wird folglich, dass der entscheidungserhebliche Sachverhalt aufgrund gravierender Ermittlungsmängel nicht feststeht und die Sache nicht entscheidungsreif ist.

2. Beweiswürdigung:

3.1. Zum Verfahrensgang:

Der oben unter Punkt I. angeführte Verfahrensgang ergibt sich aus dem unzweifelhaften und unbestrittenen Akteninhalt der vorgelegten Verwaltungsakte des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA) und des vorliegenden Gerichtsaktes des Bundesverwaltungsgerichtes.

3.2. Zur Person des BF:

Die Identität des Beschwerdeführers konnte anhand des vorliegenden Identitätsdokuments, pakistanischer Reisepass Nr. XXXX , festgestellt werden.

Dass der Beschwerdeführer am 12.11.2015 in XXXX /Zypern Frau XXXX geheiratet hat, ergibt sich aus der vorgelegten Heiratsurkunde.

Feststellungen über die Wohnsitzadressen des Ehepaars ergeben sich aus der Einsicht in das zentrale Melderegister.

Die Feststellungen zum Aufenthaltsrecht des Beschwerdeführers und seiner Ex-Frau ergeben sich aus dem Akteninhalt und der Einsicht in amtliche Register.

Die Feststellung, dass der Beschwerdeführer am 16.10.2019 von seiner Frau geschieden wurde, ergibt sich aus der vorgelegten Scheidungsurkunde des Familiengerichts XXXX .

3.3. Inwiefern im gegenständlichen Fall krasse beziehungsweise besonders gravierende Ermittlungslücken vorliegen, wird in der rechtlichen Beurteilung dargelegt.

3. Rechtliche Beurteilung:

3.1. Verfahrensbestimmungen:

Gemäß § 6 BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Da weder im BFA-VG noch im AsylG 2005 eine Senatsentscheidung vorgesehen ist, liegt gegenständlich Einzelrichterzuständigkeit vor.

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das VwGVG, BGBl. I 2013/33 idF BGBl. I 2013/122, geregelt (§ 1 leg.cit.). Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung - BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes - AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 - DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, welche die Behörde in dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht geführten Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen, sofern die Beschwerde nicht zurückzuverweisen oder das Verfahren einzustellen ist. Im gegenständlichen Verfahren wird an die Behörde zurückverwiesen, dies erfolgt mittels Beschluss.

Zu A)

Gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG hat das Verwaltungsgericht im Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Voraussetzungen des Abs. 2 nicht vorliegen und die Behörde dem nicht bei der Vorlage der Beschwerde unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung und Beschleunigung des Verfahrens widerspricht. Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhaltes unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen. Die Behörde ist hiebei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist.

Das Modell der Aufhebung des Bescheides und Zurückverweisung der Angelegenheit an die Behörde folgt konzeptionell jenem des § 66 Abs. 2 AVG, setzt im Unterschied dazu aber nicht auch die Notwendigkeit der Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung voraus. Voraussetzung für eine Aufhebung und Zurückverweisung ist allgemein (nur) das Fehlen behördlicher Ermittlungsschritte. Sonstige Mängel, abseits jener der Sachverhaltsfeststellung, legitimieren nicht zur Behebung auf Grundlage von § 28 Abs. 3 2.Satz VwGVG (Fister/Fuchs/Sachs, Verwaltungsgerichtsverfahren (2013)§ 28 VwGVG Anm. 11).

§ 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG bildet damit die Rechtsgrundlage für eine kassatorische Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes, wenn "die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen" hat.

Der Verwaltungsgerichtshof hat sich im seinem Erkenntnis vom 26.06.2014, Ro 2014/03/0063, mit der Sachentscheidungspflicht der Verwaltungsgerichte auseinandergesetzt und darin folgende Grundsätze herausgearbeitet:

Die Aufhebung eines Bescheides einer Verwaltungsbehörde durch ein Verwaltungsgericht komme nach dem Wortlaut des § 28 Abs. 1 Z 1 VwGVG nicht in Betracht, wenn der für die Entscheidung maßgebliche Sachverhalt feststeht. Dies wird jedenfalls dann der Fall sein, wenn der entscheidungsrelevante Sachverhalt bereits im verwaltungsbehördlichen Verfahren geklärt wurde, zumal dann, wenn sich aus der Zusammenschau der im verwaltungsbehördlichen Bescheid getroffenen Feststellungen (im Zusammenhalt mit den dem Bescheid zu Grunde liegenden Verwaltungsakten) mit dem Vorbringen in der gegen den Bescheid erhobenen Beschwerde kein gegenläufiger Anhaltspunkt ergibt. Der Verfassungsgesetzgeber habe sich bei Erlassung der Verwaltungsgerichtsbarkeits-Novelle 2012, BGBl. I 51, davon leiten lassen, dass die Verwaltungsgerichte grundsätzlich in der Sache selbst zu entscheiden haben, weshalb ein prinzipieller Vorrang einer meritorischen Entscheidungspflicht der Verwaltungsgerichte anzunehmen ist. Angesichts des in § 28 VwGVG insgesamt verankerten Systems stelle die nach § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG bestehende Zurückverweisungsmöglichkeit eine Ausnahme von der grundsätzlichen meritorischen Entscheidungszuständigkeit der Verwaltungsgerichte dar. Nach dem damit gebotenen Verständnis stehe diese Möglichkeit bezüglich ihrer Voraussetzungen nicht auf derselben Stufe wie die im ersten Satz des § 28 Abs. 3 VwGVG verankerte grundsätzliche meritorische Entscheidungskompetenz der Verwaltungsgerichte. Vielmehr verlangt das im § 28 VwGVG insgesamt normierte System, in dem insbesondere die normative Zielsetzung der Verfahrensbeschleunigung bzw. der Berücksichtigung einer angemessenen Verfahrensdauer ihren Ausdruck findet, dass von der Möglichkeit der Zurückverweisung nur bei krassen bzw. besonders gravierenden Ermittlungslücken Gebrauch gemacht wird. Eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen wird daher insbesondere dann in Betracht kommen, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhaltes (vgl. § 37 AVG) lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterließ, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden (etwa im Sinn einer "Delegierung" der Entscheidung an das Verwaltungsgericht).

Der Verwaltungsgerichtshof verlangt in seiner Rechtsprechung auch eine ganzheitliche Würdigung des individuellen Vorbringens eines Asylwerbers unter dem Gesichtspunkt der Konsistenz der Angaben, der persönlichen Glaubwürdigkeit des Asylwerbers und der objektiven Wahrscheinlichkeit seines Vorbringens, wobei letzteres eine Auseinandersetzung mit (aktuellen) Länderberichten verlangt (VwGH 26.11.2003, 2003/20/0389).

Ebenso hat der Verfassungsgerichtshof, in nunmehr ständiger Rechtsprechung, ausgesprochen, dass willkürliches Verhalten einer Behörde, das in die Verfassungssphäre eingreift, dann anzunehmen ist, wenn in einem entscheidenden Punkt jegliche Ermittlungstätigkeit unterlassen wird oder ein ordnungsgemäßes Ermittlungsverfahren gar nicht stattfindet, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteienvorbringens oder dem Außer-Acht-Lassen des konkreten Sachverhaltes (vgl. VfSlg. 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001). Ein willkürliches Vorgehen liegt insbesondere dann vor, wenn die Behörde den Bescheid mit Ausführungen begründet, denen jeglicher Begründungswert fehlt (vgl. VfSlg. 13.302/1992 mwN, 14.421/1996, 15.743/2000).

Der angefochtene Bescheid erweist sich in Bezug auf den ermittelten Sachverhalt aus folgenden Gründen als mangelhaft:

Die belangte Behörde begründete ihre Entscheidung ua. damit, dass eine Meldeerhebung ergeben habe, dass sich Frau XXXX nicht an der aufrechten Meldeadresse aufhalten würde und der Beschwerdeführer des Weiteren angegeben habe, dass sie sich seit April 2019 nicht mehr in Österreich aufhalten würde; seit 31.01.2017 sei sie nicht mehr krankenversichert. Die Behörde mutmaßte, dass sie sich seither nicht mehr in Österreich aufhalten würde. Diese Schlussfolgerung stützt sich jedoch auf unzureichende Ermittlungen:

Zum einen muss angemerkt werden, dass das BFA am 12.09.2019 die Polizei lediglich um Erhebung ersucht hat, ob der Beschwerdeführer an der zu dieser Zeit aufrechten Meldeadresse, XXXX noch aufhältig ist. Eine Nachschau am 13.09.2019 hat ergeben, dass der Beschwerdeführer an der Meldeadresse aufhältig ist. Die Ehegattin war gemäß ZMR jedoch niemals an der genannten Adresse gemeldet und wurde auch hinsichtlich der Ehegattin niemals eine Meldeerhebung in Auftrag gegeben und durchgeführt. Einen gemeinsamen Wohnsitz begründeten der Beschwerdeführer und seine Ex-Ehegattin gemäß ZMR zuletzt an der XXXX und zwar im Zeitraum von 17.02.2016 bis 01.03.2019. Die Ex-Ehegattin ist heute noch an dieser Adresse mit Hauptwohnsitz gemeldet. Der Beschwerdeführer hat seinen Hauptwohnsitz am 01.03.2019 auf die Adresse: XXXX , umgemeldet, wo sodann die Meldeerhebung erfolgte.

Auch kann eine Abmeldung von der Krankenversicherung allein zu keiner Feststellung über den Verbleib der Ex-Ehegattin des Beschwerdeführers führen, da eine Abmeldung automatisch erfolgt, wenn kein versicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis vorliegt.

Es können folglich auch keine abschließenden Feststellungen über den Verbleib der Ex-Ehegattin des Beschwerdeführers getroffen werden. Fest steht jedoch, dass sie nach wie vor in Österreich an der Adresse: XXXX gemeldet ist und im Zeitraum von 17.02.2016 bis 01.03.2019 gemeinsam mit dem Beschwerdeführer dort angemeldet war.

Nach Ansicht des BVwG hat die Behörde somit wesentliche Ermittlungen unterlassen, indem sie die nunmehrige Ex-Ehegattin des Beschwerdeführers nicht zu einer Einvernahme geladen hat bzw. keine Nachforschungen über den Verbleib der Ex-Ehegattin des Beschwerdeführers angestellt hat. Allein die Aussage des Beschwerdeführers, seine Ex-Frau befinde sich nicht mehr in Österreich, hätte die Behörde nicht veranlassen dürfen, von weitere Ermittlungen abzusehen, insbesondere im Hinblick darauf, dass Frau XXXX immer noch in Österreich aufrecht gemeldet ist. Jedenfalls kann die Ex-Frau des Beschwerdeführers zur Klärung des maßgeblichen Sachverhalts beitragen und ist sie in der Folge zu einer Einvernahme vor dem BFA zu laden.

Ferner wurde von der belangten Behörde der Aussage des Beschwerdeführers nicht hinreichend nachgegangen. Er brachte vor, dass er nicht alleine mit seiner Ehegattin an der gemeinsamen Meldeadresse gelebt habe, sondern mit ihnen noch zwei weitere Personen, namens XXXX und XXXX im gemeinsamen Haushalt lebten. Eine aktuelle Abfrage im Zentralen Melderegister hat ergeben, dass ein Herr XXXX , geb. XXXX , Staatsangehörigkeit Pakistan, tatsächlich im Zeitraum von 2016 bis 2019, an derselben Meldeadresse XXXX , zwar nicht durchgängig, jedoch zeitweise gemeldet war. Eine Frau mit Namen XXXX war an der genannten Adresse nicht gemeldet. Es wäre jedenfalls an der Behörde gelegen, auch diese beiden Personen in ihre Ermittlungen miteinzubeziehen, da diese jedenfalls als Auskunftspersonen über das tatsächliche Vorliegen eines Familienlebens bzw. einer Ehegemeinschaft herangezogen hätten werden können. Hinsichtlich Frau XXXX ist auszuführen, dass Herr XXXX über ihren Verbleib zu befragen ist.

Die Behörde hat in Folge jedenfalls zu klären, ob sich die Ex-Ehegattin des Beschwerdeführers noch in Österreich aufhält und diese einzuvernehmen.

Dazu hat die belangte Behörde Herrn XXXX , geb. XXXX zur Ehe des Beschwerdeführers und seiner Ex-Frau XXXX als Zeuge zu befragen und zu ermitteln, ob auch eine Frau namens XXXX als Auskunftsperson zur Verfügung steht.

Jedenfalls ist das Gericht der Ansicht, dass nach einer Abwägung die Aussagen des Beschwerdeführers allein nicht ausreichen, um von einer Aufenthaltsehe auszugehen. Die von der Behörde aufgezeigten Widersprüche sind zwar richtig, in gleicher Weise hat der Beschwerdeführer jedoch Details vorgebracht, die für eine Ehegemeinschaft sprechen und deren Wahrheitsgehalt es noch zu überprüfen bedarf. Nach Ansicht des Gerichts steht der entscheidungserhebliche Sachverhalt keineswegs fest. Der Beschwerdeführer hat Angaben gemacht, welche einer Überprüfung jedenfalls zugänglich sind und hat es die belangte Behörde unterlassen, diesen Anhaltspunkten hinreichend nachzugehen.

Auch ist den Ausführungen in der Beschwerde beizupflichten, dass das BFA zu erheben hat, aus welchen Gründen das Verfahren bei der Staatsanwaltschaft XXXX wegen des Verdachts des Eingehens einer Aufenthaltsehe eingestellt wurde. Nach Ansicht des Gerichts ist es jedenfalls nicht hinreichend auf den Abschlussbericht der „Fremdenpolizeilichen Erhebungs- und Einsatzgruppe AFA-Wien“ vom 14.02.2019 zu verweisen, da dieser die Grundlage für die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft bildete und diese eben zur deren Entscheidung führten, dass der Beschwerdeführer nicht wegen Eingehens einer Aufenthaltsehe gemäß § 117 FPG zu bestrafen ist.

Die Behörde hat es unterlassen die erforderlichen Ermittlungstätigkeiten durchzuführen und folglich den entscheidungserheblichen Sachverhalt festzustellen. Dem Beschwerdeführer ist beizupflichten, dass die Behörde ihre Ermittlungspflicht dadurch verletzte, dass sie vor Erlassung der Entscheidung, mit welcher der Beschwerdeführer aus dem Bundesgebiet ausgewiesen wurde, nicht auch die Ex-Frau des Beschwerdeführers einvernommen hat. Diese hätte wesentlich zur Klärung des Sachverhalts, ob eine Scheinehe vorlag, beitragen können. Auch hat es die Behörde unterlassen zu ermitteln, ob noch weitere Personen mit dem Ehepaar in gemeinsamen Haushalt gelebt haben. Jedenfalls konnte das BVwG erheben, dass ein Herr XXXX , geb. XXXX zumindest zeitweise mit dem Ehepaar im gemeinsamen Haushalt lebte und wäre dieser bei aufrechten Zweifeln, dass bloß eine Scheinehe vorlag, von der Behörde als Zeuge zu vernehmen. Des Weiteren könnte auch die ebenfalls im Zusammenhang mit einer Wohngemeinschaft erwähnte XXXX ausgeforscht und zum Sachverhalt befragt werden.

Den Ausführungen in der Beschwerde ist überdies dahingehend zu folgen, dass nicht bekannt ist, weshalb das Verfahren gegen den Beschwerdeführer wegen der Verdachts einer Aufenthaltsehe gem. § 117 FPG von der Staatsanwaltschaft XXXX eingestellt wurde. Die Behörde hat es unterlassen, die konkreten Gründe für die Einstellung durch die Staatsanwaltschaft zu erheben bzw. auszuführen, zumal diese in einer neuerlichen Entscheidung zu berücksichtigen sein werden.

Da der entscheidungserhebliche Sachverhalt nicht feststeht, wird die Sache zur neuerlichen Entscheidung an die Behörde zurückverwiesen.

Im fortgesetzten Verfahren wird die belangte Behörde somit im Rahmen einer ausführlichen Einvernahme der Ex-Ehegattin des Beschwerdeführers, sowie der weiteren Zeugen Herrn XXXX , geb. XXXX , und Frau XXXX (soweit deren Aufenthaltsort ausgeforscht werden kann) zu ermitteln haben, ob eine Aufenthaltsehe vorliegt.

Das BFA hat bei seiner neuerlichen Entscheidung hinsichtlich des Vorliegens einer Aufenthaltsehe vor allem eine umfassende Beweiswürdigung vorzunehmen. Dabei ist zu beurteilen, ob aufgrund der ergänzenden Einvernahmen und der Gründe, die die Staatsanwaltschaft XXXX zur Verfahrenseinstellung veranlassten, eine eheliche Lebensgemeinschaft des Beschwerdeführers mit seiner nunmehr geschiedenen Ehefrau im Zeitraum von 2015 bis 2019, anzunehmen ist.

Wie oben ausgeführt, liegen hier krasse und besonders gravierende Ermittlungslücken vor. Dass eine unmittelbare weitere Beweisaufnahme durch das Bundesverwaltungsgericht "im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden" wäre, ist nicht ersichtlich, zumal der Aufenthalt von einzuvernehmenden Zeuginnen und Zeugen noch auszuforschen ist, bevor diese einvernommen werden können.

Da der maßgebliche Sachverhalt noch nicht feststeht, war in Gesamtbeurteilung der dargestellten Erwägungen der angefochtene Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG aufzuheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückzuverweisen.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Die Regelung des § 28 Abs. 3 VwGVG erweist sich - vor dem Hintergrund des gegenständlichen Falles - klar und eindeutig. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab (VwGH 26.06.2014, Ro 2014/03/0063), noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Schlagworte

Aufenthaltsehe Einvernahme Ermittlungspflicht Kassation mangelnde Sachverhaltsfeststellung Strafverfahren - Einstellung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:L509.2236633.1.00

Im RIS seit

25.02.2021

Zuletzt aktualisiert am

25.02.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten