TE Vwgh Beschluss 2021/1/22 Ra 2020/20/0439

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Veröffentlicht am 22.01.2021
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Index

10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)
10/07 Verwaltungsgerichtshof
19/05 Menschenrechte
41/02 Passrecht Fremdenrecht

Norm

AsylG 2005 §11
AsylG 2005 §8 Abs1
B-VG Art133 Abs4
MRK Art3
MRK Art8
VwGG §28 Abs3
VwGG §34 Abs1

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Hinterwirth, den Hofrat Mag. Eder und die Hofrätin MMag. Ginthör als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Engel, in der Rechtssache der Revision des J R, vertreten durch DDr. Rainer Lukits, Rechtsanwalt in 5020 Salzburg, Wolf-Dietrich-Straße 19/5, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 10. September 2020, W216 2168169-1/12E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1        Der Revisionswerber, ein Staatsangehöriger Afghanistans, stellte am 7. November 2015 einen Antrag auf internationalen Schutz nach dem Asylgesetz 2005 (AsylG 2005).

2        Mit Bescheid vom 17. Juli 2017 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl diesen Antrag ab, erteilte dem Revisionswerber keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung und stellte fest, dass seine Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei. Die Frist für die freiwillige Ausreise legte die Behörde mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung fest.

3        Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht die dagegen erhobene Beschwerde des Revisionswerbers nach Durchführung einer Verhandlung als unbegründet ab und sprach aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

4        Gegen dieses Erkenntnis erhob der Revisionswerber Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, der deren Behandlung mit Beschluss vom 24. November 2020, E 3698/2020-5, ablehnte und sie dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abtrat. In der Folge wurde die gegenständliche Revision eingebracht.

5        Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

6        Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.

7        Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

8        Zur Begründung ihrer Zulässigkeit bringt die Revision vor, das Bundesverwaltungsgericht habe bei der Prüfung der Zumutbarkeit der Inanspruchnahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative in Herat und Mazar-e Sharif nicht berücksichtigt, dass der Revisionswerber, der der ethnisch-religiösen Minderheit der schiitischen Hazara angehöre, über keine Berufsausbildung verfüge und als Rückkehrer aus dem Ausland von sozialer Ausgrenzung bedroht sei. Das Gericht habe sich nicht im erforderlichen Ausmaß mit der für den Revisionswerber zu erwartenden Sicherheits- und Versorgungslage in den als innerstaatliche Fluchtalternative ins Auge gefassten afghanischen Städten, insbesondere bezogen auf die Covid-19 Pandemie und deren gravierende, wirtschaftliche „Kollateralfolgen“, auseinandergesetzt. Der Revisionswerber leide zudem an Kopfschmerzen und einer posttraumatischen Belastungsstörung, weshalb ihm Psychotherapie empfohlen worden sei. Aufgrund einer durch eine Verbrennung verursachten, optischen Verunstaltung seiner rechten Hand werde er Schwierigkeiten haben, sich am afghanischen Arbeitsmarkt zu integrieren. Es fehle ihm überdies an einem familiären und sozialen Netzwerk in Afghanistan.

9        Zunächst wirft die Revision, wenn sie kursorisch darauf verweist, dass dem Revisionswerber als Angehörigen der schiitischen Hazara asylrelevante Verfolgung in seiner Herkunftsregion drohe, angesichts der zu diesem Aspekt unter Heranziehung aktueller Quellen getroffenen Feststellungen des Bundesverwaltungsgerichts, auf deren Grundlage dieses eine solche Verfolgungsgefahr verneinte, keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung auf (vgl. VwGH 21.10.2020, Ra 2020/19/0288). Im Übrigen ging das Verwaltungsgericht davon aus, dass dem Revisionswerber in den afghanischen Städten Mazar-e Sharif und Herat eine innerstaatliche Fluchtalternative zur Verfügung stehe.

10       Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs stellt die Frage der Zumutbarkeit der Inanspruchnahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative, die das Verwaltungsgericht vorliegend infolge der prekären Sicherheitslage in der Herkunftsregion des Revisionswerbers prüfte und bejahte, letztlich eine Entscheidung im Einzelfall dar, die auf der Grundlage ausreichender Feststellungen über die zu erwartende Lage des Asylwerbers in dem in Frage kommenden Gebiet sowie dessen sichere und legale Erreichbarkeit zu treffen ist (vgl. etwa VwGH 30.1.2020, Ra 2020/20/0003, mwN).

11       In der Rechtsprechung (betreffend die Prüfung der Voraussetzungen für die Zuerkennung von subsidiärem Schutz) wurde auch bereits klargestellt, dass es nicht entscheidungswesentlich ist, wenn sich für einen Asylwerber infolge der seitens afghanischer Behörden zur Verhinderung der Verbreitung des SARS-CoV-2-Virus und von Erkrankungen an Covid-19 gesetzten Maßnahmen die Wiedereingliederung im Heimatland wegen schlechterer wirtschaftlicher Aussichten schwieriger als vor Beginn dieser Maßnahmen darstellt, weil es darauf bei der Frage, ob im Fall seiner Rückführung eine Verletzung des Art. 3 EMRK zu gewärtigen ist, nicht ankommt, solange diese Maßnahmen nicht dazu führen, dass die Sicherung der existenziellen Grundbedürfnisse als nicht mehr gegeben anzunehmen wäre. Das gilt auch für die Beurteilung der Zumutbarkeit der Inanspruchnahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative (vgl. VwGH 9.11.2020, Ra 2020/20/0373, mwN).

12       Der Einschätzung des Bundesverwaltungsgerichts, nach der es sich beim Revisionswerber um einen jungen und arbeitsfähigen Mann handle, der in Bezug auf die Krankheit Covid-19 keiner Risikogruppe angehöre, bei dem - auch vor dem Hintergrund, dass er durch seine gesundheitlichen Probleme, die im Herkunftsstaat behandelbar seien, nicht in seiner Arbeitsfähigkeit eingeschränkt sei - die grundsätzliche Teilnahmemöglichkeit am Erwerbsleben vorausgesetzt werden könne, und der über Schulbildung sowie Berufserfahrung verfüge, tritt die Revision nicht substantiiert entgegen. Das Bundesverwaltungsgericht hat sich zudem mit der vom Revisionswerber ins Treffen geführten posttraumatischen Belastungsstörung auseinandergesetzt und ist auf Basis nachvollziehbarer Erwägungen zum Ergebnis gekommen, dass der Revisionswerber nicht an einer gravierenden, lebensbedrohlichen Erkrankung leide, welche im Fall der Rückkehr zu einer Verletzung seiner nach Art. 3 EMRK garantierten Rechte führte. Die Revision zeigt nicht auf, dass die Beurteilung des Bundesverwaltungsgerichts, wonach für den Revisionswerber in Mazar-e Sharif und Herat eine innerstaatliche Fluchtalternative, deren Inanspruchnahme zumutbar ist, bestehe, am Prüfmaßstab des Verwaltungsgerichtshofes zu beanstanden wäre (vgl. VwGH 7.9.2020, Ra 2020/20/0314, mwN; sowie etwa VwGH 1.7.2020, Ra 2020/20/0227; 15.4.2020, Ra 2019/20/0340; siehe auch VwGH 29.10.2019, Ra 2019/14/0390; zur Lage nach Afghanistan rückkehrender Hazara VwGH 20.3.2020, Ra 2019/18/0194; 29.1.2020, Ra 2019/18/0258).

13       Soweit die Revision schließlich die Erlassung einer Rückkehrentscheidung beanstandet und vorbringt, das Bundesverwaltungsgericht habe bei der Interessenabwägung im Sinn von Art. 8 EMRK den fehlenden familiären Anschluss des Revisionswerbers in Afghanistan, den Umstand, dass er ein junger Erwachsener sei, sowie die Gefahr seiner Retraumatisierung anlässlich einer Rückkehr in seinen Herkunftsstaat nicht berücksichtigt, ist auf die ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu verweisen. Demnach ist eine unter Bedachtnahme auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalls in Form einer Gesamtbetrachtung durchgeführte Interessenabwägung im Sinn des Art. 8 EMRK im Allgemeinen - wenn sie auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage erfolgte und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde - nicht revisibel (vgl. VwGH 10.7.2019, Ra 2019/14/0306, mwN). Das Bundesverwaltungsgericht hat im vorliegenden Fall alle entscheidungswesentlichen, so auch die zugunsten des Revisionswerbers sprechenden Umstände, in seine Interessenabwägung einbezogen. Dass dem Bundesverwaltungsgericht dabei eine revisible Fehleinschätzung unterlaufen wäre, ist nicht ersichtlich.

14       In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren zurückzuweisen.

Wien, am 22. Jänner 2021

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2021:RA2020200439.L00

Im RIS seit

08.03.2021

Zuletzt aktualisiert am

08.03.2021
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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