TE Lvwg Erkenntnis 2020/3/1 VGW-001/042/129/2020

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Veröffentlicht am 01.03.2020
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Entscheidungsdatum

01.03.2020

Index

40/01 Verwaltungsverfahren
10/11 Vereinsrecht Versammlungsrecht

Norm

VStG §45 Abs1 Z2
VersammlungsG §7

Text

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Verwaltungsgericht Wien hat durch seinen Richter Mag. DDr. Tessar über die Beschwerde des Herrn A. B. gegen das Straferkenntnis der Landespolizeidirektion Wien, Sicherheits- und verwaltungspolizeiliche Angelegenheiten, SVA Referat 3 - Vereins-, Versammlungs-, Medienrechtsangelegenheiten, vom 28.10.2019, Zl. ..., betreffend Übertretungen des Versammlungsgesetzes 1953, zu Recht erkannt:

Zu Spruchpunkt 1)

I. Gemäß § 31 Abs. 1 i.V.m. § 50 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz – VwGVG wird der Beschwerde Folge gegeben, der Spruchpunkt 1) des Straferkenntnisses behoben und das Verfahren gemäß § 45 Abs. 1 Z 2 Verwaltungsstrafgesetz 1991 – VStG eingestellt.

Gemäß § 52 Abs. 8 VwGVG hat die beschwerdeführende Partei keinen Beitrag zu den Kosten des Beschwerdeverfahrens zu leisten.

II. Gegen diese Entscheidung ist gemäß § 25a Verwaltungsgerichtshofgesetz – VwGG eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz – B-VG unzulässig.

Zu Spruchpunkt 2)

I. Gemäß § 31 Abs. 1 i.V.m. § 50 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz – VwGVG wird der Beschwerde Folge gegeben, der Spruchpunkt 2) des Straferkenntnisses behoben und das Verfahren gemäß § 45 Abs. 1 Z 2 Verwaltungsstrafgesetz 1991 – VStG eingestellt.

Gemäß § 52 Abs. 8 VwGVG hat die beschwerdeführende Partei keinen Beitrag zu den Kosten des Beschwerdeverfahrens zu leisten.

II. Gegen diese Entscheidung ist gemäß § 25a Verwaltungsgerichtshofgesetz – VwGG eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz – B-VG unzulässig.

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e

Der Spruch und die Begründung des gegenständlich bekämpften Bescheids lauten wie folgt:

„1. Sie haben es als Veranstalter der öffentlich zugänglichen Versammlung, welche am 22.11.2018 von 17:35 bis 18:00 Uhr in Wien, C. veranstaltet wurde, unterlassen, diese Versammlung spätestens 48 Stunden vor der beabsichtigten Abhaltung der zuständigen Behörde schriftlich anzuzeigen.

2. Sie haben am 22.11.2018 von 17:35 bis 18:00 Uhr in Wien, C. eine öffentlich zugängliche Versammlung unter freiem Himmel veranstaltet, obwohl der Versammlungsort in weniger als 300 m Entfernung vom zur selben Zeit tagenden Nationalrat gelegen war.

Begründung

Das Straferkenntnis stützt sich auf die Anzeige vom 12.12.2018, welche aufgrund eigener dienstlicher Wahrnehmung des Meldungslegers erstattet wurde, und das durchgeführte Ermittlungsverfahren.

Der Einspruchswerber brachte vor, dass einerseits die angelastete Tatörtlichkeit außerhalb der Bannmeile gelegen sei, und andererseits ebendort überhaupt keine Versammlung abgehalten worden sei. Der Einspruchswerber habe sich zur angelasteten Tatzeit lediglich auf der Anreise zu einer anderen Versammlung, der ...demonstration, welche ihn an der Anschrift Wien, C. vorbeiführte, befunden.

Dazu wird seitens der erkennenden Behörde ausgeführt:

Zu Spruchpunkt 1:

Der Verfassungsgerichtshof wertet eine Zusammenkunft mehrerer Menschen dann als Versammlung im Sinne des Versammlungsgesetzes, wenn sie in der Absicht veranstaltet wird, die Anwesenden zu einem gemeinsamen Wirken (Debatte, Diskussion, Manifestation usw.) zu bringen, sodass eine gewisse Assoziation der Zusammengekommenen entsteht.

Dem Meldungsleger ist als dafür geschultem Organ die Fähigkeit zuzumuten, für die, in die Zuständigkeit der Landespolizeidirektion Wien fallenden Verwaltungsstrafverfahren, maßgebliche Sachverhalte und Vorgänge einwandfrei zu erkennen und wiederzugeben. Zudem konnte eine Vielzahl weiterer Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes im angelasteten Tatzeitraum an der Tatörtlichkeit das Versammlungsgeschehen wahrnehmen. Auch liegt gegenständlichem Verwaltungsstrafakt eine diesbezügliche Fotodokumentation bei. Für die erkennende Behörde steht sohin außer Zweifel, dass am 22.11.2018 von 17:35 Uhr bis 18:00 Uhr in Wien, C., eine unangemeldete Versammlung stattgefunden hat.

Als Veranstalter einer Versammlung ist zunächst jene Person zu qualifizieren, welche die Organisation, Einladung oder Einberufung übernimmt, und damit in den späteren Versammlungsteilnehmern den Willen sich zu versammeln hervorgerufen oder bestärkt hat. Im Falle einer unangemeldeten Versammlung gilt als Veranstalter zudem, wer innerhalb der Versammlung eine führende Rolle einnimmt.

In der dem gegenständlichen Verwaltungsstrafverfahren zugrunde liegenden Anzeige, wird ausgeführt, dass der Einspruchswerber als der Verantwortliche Vorort anzusehen war. Beispielsweise erfolgte letzten Endes die Beendigung der unangemeldeten Versammlung eindeutig auf Initiative des Einspruchswerbers. Auch an dieser Stelle wird auf die, für die erkennende Behörde außer Streit stehende, Fähigkeit der einschreitenden Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes verwiesen, maßgebliche Sachverhalte richtig erkennen und wiedergeben zu können. Ergänzend liegt dem Verwaltungsstrafakt auch Bildmaterial bei das belegt, dass der Einspruchswerber an der Einberufung und Bewerbung der unangemeldeten Versammlung zumindest Teilhabe hatte. Für die erkennende Behörde steht sohin außer Zweifel, dass der Einspruchswerber als Veranstalter der verfahrensgegenständlichen Versammlung anzusehen ist.

Zu Spruchpunkt 2:

Dass der Nationalrat zur angelasteten Tatzeit im Ausweichquartier (Hofburg) getagt hat, wird im Einspruch nicht bestritten und ist zudem objektiv überprüfbar. Gemäß § 7 Versammlungsgesetz 1953 darf, für den Zeitraum der Tagung einer der gesetzgebenden Körperschaften, im Umkreis von 300 Metern, keine Versammlung unter freiem Himmel abgehalten werden. Die maßgeblichen 300 Meter sind dabei von der Außengrenze jenes Gebäudes zu messen, in welchem sich die gesetzgebende Körperschaft befindet. In § 7 Versammlungsgesetz sind weder Ausnahmen vom bestehenden Verbot vorgesehen, noch ist in diesen Fällen eine darüber hinausgehende Interessensabwägung gemäß Art. 11 Abs. 2 EMRK vorzunehmen. Dem im Verwaltungsstrafakt enthaltenen Plan mit eingezeichneten Gebäudeumriss und 300 Meterzone kann eindeutig entnommen werden, dass verfahrensgegenständliche Versammlung innerhalb der Bannmeile abgehalten wurde.

Die Verwirklichung der objektiven Tatbestände der dem Einspruchswerber angelasteten Verwaltungsübertretungen wurde somit verwirklicht.

Nach § 5 Abs.1 VStG genügt im Verwaltungsstrafrecht zur Strafbarkeit grundsätzlich Fahrlässigkeit. Diese ist bei Zuwiderhandeln gegen ein Verbot oder bei Nichtbefolgung eines Gebotes dann ohne weiteres anzunehmen, wenn zum Tatbestand einer Verwaltungsübertretung der Eintritt eines Schadens oder einer Gefahr nicht gehört und der Täter nicht glaubhaft macht, dass ihn an der Verletzung der Verwaltungsvorschrift kein Verschulden trifft.

Da Rechtfertigungs- oder Schuldausschließungsgründe weder vorgebracht wurden, noch diesbezügliche Anhaltspunkte aufgrund des festgestellten Sachverhaltes erkennbar sind, ist zumindest Fahrlässigkeit vorzuwerfen, und hat der Einspruchswerber den Tatbestand auch in subjektiver Hinsicht verwirklicht.

Im Verfahren sind weder Milderungs- noch Erschwerungsgründe zutage getreten. Die verhängte Strafe entspricht dem Unrechtsgehalt der vorliegenden Verwaltungsübertretung und ist im Hinblick auf die gesetzliche Strafobergrenze eher gering angesetzt. Bei der Strafbemessung wurde zugunsten des Einspruchswerbers von einem Durchschnittseinkommen ausgegangen und auf § 19 VStG Bedacht genommen. Die Entscheidung über die Kosten stützt sich auf § 64 Abs. 2 VStG.“

In der gegen diesen Bescheid eingebrachten Beschwerde führte der Beschwerdeführer aus wie folgt:

„Wie bereits im Einspruch vom 06.03.2019 vorgebracht, dort unter III. 1. Sachverhalt, welcher ebenfalls zum Inhalt dieser Beschwerde erhoben wird, wird zur Vermeidung von Wiederholungen nochmals darauf hingewiesen, dass der Beschwerdeführer am 22.11.2018 in der Zeit zwischen 17:35 und 18:00 Uhr auf dem Weg zur ...demonstration gewesen ist. Der Beschuldigte ist und war nicht Veranstalter einer Versammlung, wurde vom Veranstalter auch nicht eingesetzt als Ordner oder Ähnliches. Sämtliche vom Beschuldigten veranstalteten Demonstrationen wurden bis dato ordnungsgemäß angemeldet. Der belangten Behörde ist aufzutragen, sämtliche Veranstaltungsanmeldungen des Beschwerdeführers bis dato vorzulegen.

Beweis: Zum Beweis dafür sowie das übrige Vorbringen ist der auf dem Straferkenntis genannte Mag. Rat. D. E. als Zeuge, p.A. der belangten Behörde jedenfalls zu laden.

Nach UVS Steiermark vom 19.12.2001, 30.3-11/2001 kann Veranstalter einer nicht angezeigten Versammlung nach § 2 Abs 1 VsIgG nur eine Person sein, die hinsichtlich der Versammlung eine führende Rolle einnimmt. Im Straferkenntnis fehlen jegliche Anhaltspunkte, wonach der Beschwerdeführer eine führende Rolle einnimmt. Die belangte Behörde wirft dem Beschwerdeführer vor, dass dieser verantwortlich sei, weil die Beendigung der unangemeldeten Versammlung eindeutig auf Initiative des Einspruchswerbers zurückging. Weiters nimmt das Straferkenntnis Bezug auf dem Verwaltungsstrafakt beiliegendes Bildmaterial, welches der belangten Behörde „außer Zweifel angibt, dass der Beschwerdeführer als Veranstalter anzusehen ist. Trotz Urgenz der Aktenabschrift, zuletzt am 05.04.2019, wurde dieses Bildmaterial weder dem Beschwerdeführer noch dem hiermit bekämpften Bescheid angeschlossen, weshalb die oben genannte Aktenabschrift unter Beilegung der Bildmaterialien hiermit nochmals begehrt wird. Schon allein nach VfGH G137/11 vom 13.12.2012 hat der Beschwerdeführer aus Gründen der durch Art 6 EMRK gebotenen Waffengleichheit ein Einsichtsrecht in die Videoaufnahmen, die ihm bis dato nicht gewährt wurde, allein dadurch ist das Straferkenntnis mit Nichtigkeit wegen Verletzung der Waffengleichheit bedroht.

Verwiesen wird in diesem Zusammenhang auch auf UVS Stmk 10.10.2001, 30.3-13/2001, wonach eine Person nicht schon allein deshalb Veranstalter einer Versammlung ist, weil sie Fotoaufnahmen macht. Der Beschwerdeführer, der immer nur gesagt habe, er wäre auf dem Weg zur ...demonstration, hat auch den gegenwärtig vorgeworfenen Ort C. verlassen und den dort verbleibenden Menschen mitgeteilt, dass er nunmehr auf die ...demonstration ginge. Ein derartiges Verhalten, nämlich die Beendigung eines Aufenthalts, eines Verabschiedens, kann jedenfalls nicht als Indiz dafür herangezogen werden, dass jemand ein Verantwortlicher einer Veranstaltung ist. Ein Verantwortlicher einer Veranstaltung will im Gegenteil, dass möglichst viele Leute zu dieser Veranstaltung kommen, nicht jedoch, dass sich diese von der Veranstaltung wegbewegen. Die Annahme, dass ein Passant der eine Trillerpfeife umgehängt hat und sich verabschiedet um sich auf eine genehmigte Demonstration zu begeben kann nicht als Indiz für einen Veranstaltungsleiter herangezogen werden.

In Bezug auf den Beschuldigten wäre es angesichts seiner Vorgeschichte aktenwidrig anzunehmen, warum er alle sonstigen Versammlungen und Demonstrationen im Jahr 2019 ordnungsgemäß angemeldet hat nur diese eine nicht. Dies legt gerade den Schluß nahe, dass dies eben keine Demonstration ist und nicht, dass der Beschuldigte eine nicht angemeldete Demonstration abhalten wollte.

Überdies wäre es ja ein leichtes für die Behörde gewesen den Beschuldigten einfach an Ort und Stelle zu fragen, ob er der Veranstalter, Versammlungsleiter ist. Genau dies hat die belangte Behörde aber unterlassen.

Zu Spruchpunkt 2 wird auf die Ausführungen sowie die Pläne im Einspruch verwiesen. Die dem Straferkenntnis beiliegende Aufstellung ist völlig unleserlich und kann nicht dartun, warum die 300m-Zone nicht eingehalten ist. Auch hierzu wird die belangte Behörde im Beweisverfahren darzutun haben, wann genau sie wo welche Bannmeile verordnet und kundgemacht hat. Da dem Beschwerdeführer aufgefallen ist, dass den Einsatzkräften vor Ort völlig unklar war, wo sich nunm ehr weiche Grenze befindet. Ebenfalls wird im Spruch Punkt 2 nicht angegeben, von welcher Außengrenze welchen Gebäudes nunmehr die 300m gemessen werden. Richtigerweise müssten die 300m von der Außengrenze der Räume des provisorischen Nationalratsgebäudes auf dem Heldenplatz gemessen werden und nicht von der Außenmauer der Hofburg. Es wäre völlig sachfremd zB an der äußeren Gartenmauer oder dem Gartenzaum mit der Messung zu beginnen, wenn innerhalb eines sehr großen Gartens getagt wird. Dasselbe gilt wohl für die Hofburg als Ganzes, da sich ja auch die Räumlichkeiten anderer Staatsorgane befinden. Normalerweise mag die Außengrenze des Hauses geeignet sein, allerdings nicht bei einem Gebäude von der Große der Hofburg. Weiters darf dabei natürlich nicht die Luftlinie gemessen werden die allein schon knapp 300 Meter ist, sondern müssten diejenigen Gebäude umgangen werden, im gegenständlichen Fall die Wiener Hofburg und sämtliche Häuser, die sich dazwischen befinden.

Weiters nimmt das Straferkenntnis auf keinerlei Milderungs- oder Erschwerungsgründe Rücksicht. Da das Straferkenntnis allerdings selbst davon ausgeht, dass der Verantwortliche nur dadurch zum Verantwortlichen wird, dass er die Versammlung auflöst, wäre hiermit ja das strafbegründende Verhalten als beendet anzusehen, weshalb dieses jedoch als erheblicher Milderungsgrund zu werten sei. Weiters wird als Milderungsgrund die Beteiligung am Strafverfahren und die Aufklärung des Sachverhalts anzuführen sein.

Zulässigkeit der Beschwerde

Gegen das Straferkenntnis vom 28.10.2019 ist auch nach dessen Rechtsmittelbelehrung die gegenständliche Beschwerde binnen vier Wochen schriftlich zu erheben. Das gegenständliche Straferkenntnis wurde den Beschwerdeführer am 04.11.2019 zugestellt, die vierwöchige Frist endet sohin am 02.12.2019. Die gegenständliche Beschwerde ist daher rechtzeitig erhoben worden. Durch das Straferkenntnis ist der Beschwerdeführer in seinem subjektiven Recht verletzt worden und daher gemäß Art 132 Abs 1 Z 1 B-VG beschwerdelegitimiert.

Beschwerdegründe

Die Beschwerde wird auf sämtliche erdenkliche Rechtsgründe gestützt, aber insbesondere auf das Demonstrationsrecht in Form, an nicht aufgelösten Demonstrationen teilnehmen und sich dorthin bewegen zu dürfen. Weiters greift das Straferkenntnis in Form von EUR 200,00 beziehungsweise in drei Tagen und acht Stunden Ersatzfreiheitsstrafe in das Recht auf Eigentum sowie auf persönliche Freiheit ein. Im Übrigen wird der Einspruch auf die Verletzung des Rechts auf gesetzlichen Richter gestützt, da der Einspruchswerber für ein Verhalten bestraft wird, welches nicht unter Strafe gestellt wurde, nämlich das Gehen zu einer Veranstaltung. Weiters hat das Straferkenntnis grobe Mängel, da einerseits die dem Straferkenntnis angeschlossene Beilage überhaupt nur Punkte kennzeichnet und daher nicht erkenntlich ist, warum der Einspruchswerber bestraft wurde. Weiters wurde dem Einspruchswerber bis dato das Bildmaterial, aus dem sich seine Versammlungsleiterposition ergeben soll trotz mehrfacher auch schriftlicher Nachfrage, nicht zugänglich gemacht.“

Aus dem der Beschwerde beigeschlossenen Akt ist ersichtlich:

Am 12.12.2018 erfolgte seitens eines Organs der Landespolizeidirektion Wien ein Aktenvermerk, in welchem ausgeführt wurde, dass der Landespolizeidirektion Wien eine am 21.11.2018 um 20.50 Uhr von einer Mailadresse, welche sich „F.“ bezeichnete an diverse nicht näher bezeichnete Personen ein Aufruf versendet worden ist, am 22.11.2018 „30 Minuten vor der ...demo“ sich vor der Buchhandlung „G.“ in Wien, C., zu versammeln, zumal zu diesem Zeitpunkt Herr H. I. in dieser Buchhandlung eine Signierstunde gebe.

Wörtlich wird in diesem Aktenvermerk ausgeführt

„Am 22.11.2018 fanden die nachstehend angeführten Ereignisse statt:

-> Sitzung des Nationalrates im Parlament (Ausweichquartier Redoutensaal/Hofburg) -

Bannmeile

-> Buchpräsentation des Herrn H. I. mit Signierstunde in den

Räumlichkeiten der Buchhandlung „G.“ (..., C. etabliert) am 22.11.2018

von 17:30 Uhr - 18:30 Uhr

-> ...demo am 22.11.2018

Route: „Umrundung“ des Regierungsgebäudes am R.-ring

Durch gezielte Erhebungen/Recherchen konnte erhoben werden, dass konkret vom Anmelder der „... Demos“ Herrn J. K.

in sozialen Medien dazu aufgerufen worden war, „auf dem Weg zur ...demo auf die Signierstunde von I. zu ,pfeifen“' - siehe nachstehend angeführtes Postings:

(Posting nicht pseudonymisierbar)

Der Bereich vor der Buchhandlung wurde ab 16.45 mit GSOD-Kräften unter der Einbeziehung von Kombis gesichert und trafen mit 17.35 Uhr auf der gegenüberliegenden Seite ca. 200 Personen am C. ein, wobei Herr B. als der “Verantwortliche“

anzusehen war.

Mit Sirenengeheul (ähnlich/gleich einer amerikanischen Polizeisirene) wurde dann in

„Wellen“ vor der Buchhandlung gegen die do. Veranstaltung „Stimmung gemacht“, welcher von Passanten teilweise als sehr störend empfunden wurde und sie dies auch deutlich artikulierten, zudem wurden die bereits angeführten Pfeifen zum Einsatz gebracht.

Um 17:40 Uhr erfolgte mittels Außenlautsprechers eines Kombis eine deutlich wahrnehmbare Durchsage, zumal eine jegliche Kundgebung in der Bannmeile ex lege verboten ist, sich die Kundgebungsteilnehmer daran zu halten hätten und wurden sie explizit aufgefordert, den gesetzmäßigen Zustand wieder herzustellen. Ebenso erfolgte eine Durchsage gem. § 54/5 SPG mit dem Hinweis, dass nun seitens der Exekutive das Geschehen mitgefilmt wird.

Da diese Aufforderung aber keinerlei Beachtung nach sich zog - im Gegenteil es wurde weiterhin in dem beschriebenen rechtswidrigen Verhalten verharrt - wurden Kräfte zu einer Abdrängkette zusammengezogen und vom Einsatzkommandanten Obstlt. L. B.A. MA („...“) der Entschluss gefasst, die Manifestanten Richtung N.-platz mit maßhaltender Körperkraft aus der Bannmeile zu verbringen.

Durch teilweise passiven Widerstand (Verharren im Pulk,...) wurde versucht, dies zu vereiteln, wodurch von den uEB gezielt Körperkraft (Wegschieben,-drücken) im Sinne des § 4 WaffGG 1969 unter strenger Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgebotes gem. § 29 SPG eingesetzt werden musste , einzig mit dem beabsichtigtem Ziel, einen Bewegungsfluss zu erzielen respektive diesen in Gang zu setzen/zu bringen.

Um 18.00 Uhr konnte wahrgenommen werden, wie Herr B. zu Herrn M. ging (dieser hatte ein Handmegaphon bei sich), welcher dann die die Kundgebungsteilnehmer aufforderte, gemeinsam zur ...demo zu gehen, was dann auch erfolgte (Route über den C., N.-platz, O.-straße, P., Q.-Platz, Nebenfahrbahn R.-ring)

Vor dem Verlassen des C.s erfolgten noch Sprechchöre, wie

„…“

und

„…“

Zeittraum: 22.12.2018, von ca. 17.35 Uhr bis 18:00 Uhr

Unter Zuhilfenahme des Dokumaterials und OSINT-Recherche wurden die nachstehend angeführten Personen identifiziert wurden und werden diese gem. gem. §§ 2 und 19 Versammlungsgesetz zur Anzeige gebracht bzw. Herr B. zusätzlich als Bestimmungstäter (Anstifter) im Sinne des § 7 VStG, wie auch Herr J. K. (in der Bannmeile selbst nicht gesichtet, jedoch rief zum Vorbeischauen am C. auf,...)

Angezeigte/ausgeforschte Personen (Wien, C.)

-> J. K., … geb., … wh

-> B. geb. S. A., … geb., …

-> M. T., … geb., …

-> U. V., … geb., …

-> W. X., … geb., …

-> Y. Z., …, …

-> AA. AB., … geb., …

Ansonsten wird zu diesen Personen auf die beiliegende Fotodokumentation verweisen und angemerkt, dass keine Anzeigeverständigung erfolgte.“

Gemäß dem abgelichteten Screenshot dieser Email wurde dieser Beitrag vom Beschwerdeführer am 22.11.2018 um 4.22 Uhr „geteilt“.

Am 30.1.2020 wurde eine öffentlich mündliche Verhandlung durchgeführt. Die wesentlichen Abschnitte des anlässlich dieser Verhandlung aufgenommenen Verhandlungsprotokolls lauten wie folgt:

„Weiters gibt er eine Stellungnahme zu den Schriftsätzen der Parlamentsdirektion ab und verweist darauf, dass er am gegenständlichen Tag keine Sitzung des Plenums des Nationalrates stattgefunden hat.

Auf Befragen durch den VL bringt der Beschwerdeführer vor, dass dieser nicht die gegenständliche Mail vom 21.11.2018, 20:50 Uhr mit dem Absender „F.“ versendet hat.“

Das Verwaltungsgericht Wien hat erwogen:

§ 2 Versammlungsgesetz lautet wie folgt:

„Wer eine Volksversammlung oder überhaupt eine allgemein zugängliche Versammlung ohne Beschränkung auf geladene Gäste veranstalten will, muß dies wenigstens 48 Stunden vor der beabsichtigten Abhaltung unter Angabe des Zweckes, des Ortes und der Zeit der Versammlung der Behörde (§ 16) schriftlich anzeigen. Die Anzeige muß spätestens 48 Stunden vor dem Zeitpunkt der beabsichtigten Versammlung bei der Behörde einlangen.

(1a) Gemäß Abs. 1 anzuzeigen ist auch die beabsichtigte Teilnahme von Vertretern ausländischer Staaten, internationaler Organisationen und anderer Völkerrechtssubjekte. In diesem Fall muss die Anzeige spätestens eine Woche vor dem Zeitpunkt der beabsichtigten Versammlung bei der Behörde (§ 16) einlangen.

(2) Die Behörde hat auf Verlangen über die Anzeige sofort eine Bescheinigung zu erteilen. Die Anzeige unterliegt keiner Stempelgebühr.“

§ 7 Versammlungsgesetz lautet wie folgt:

„Während der Nationalrat, der Bundesrat, die Bundesversammlung oder ein Landtag versammelt ist, darf im Umkreis von 300 m von ihrem Sitze keine Versammlung unter freiem Himmel stattfinden.“

§ 9 Abs. 1 Versammlungsgesetz lautet wie folgt:

„An einer Versammlung dürfen keine Personen teilnehmen,

1.

die ihre Gesichtszüge durch Kleidung oder andere Gegenstände verhüllen oder verbergen, um ihre Wiedererkennung im Zusammenhang mit der Versammlung zu verhindern oder

2.

die Gegenstände mit sich führen, die ihrem Wesen nach dazu bestimmt sind, die Feststellung der Identität zu verhindern.“

§ 19 Versammlungsgesetz lautet wie folgt:

„Übertretungen dieses Gesetzes sind, insofern darauf das allgemeine Strafgesetz keine Anwendung findet, von der Bezirksverwaltungsbehörde, im Gebiet einer Gemeinde, für das die Landespolizeidirektion zugleich Sicherheitsbehörde erster Instanz ist, aber von der Landespolizeidirektion, mit Arrest bis zu sechs Wochen oder mit Geldstrafe bis zu 720 Euro zu ahnden.

In seinem Erkenntnis vom 22.3.2018, Zl. Ra 2017/01/0359, führte der Verwaltungsgerichtshof zur Frage des Spontanversammlungsbegriffs und Veranstalterbegriffs des Versammlungsgesetzes aus wie folgt:

14 Zunächst kann dahin gestellt bleiben, ob die gegenständliche Demonstration tatsächlich als "Spontanversammlung" zu qualifizieren ist. Darunter sind nämlich solche Versammlungen zu verstehen, die sich ohne vorherige Einladung oder sonstige Absprache bilden, dh. zufällige Zusammentreffen oder Ansammlungen von Menschen, bei denen sich die Anwesenden entschließen, zum Zweck eines gemeinsamen Wirkens zusammenzubleiben. Bei derartigen Spontanversammlungen fallen daher Entschluss zur und Durchführung der Versammlung unmittelbar zusammen (vgl. Eigner/Keplinger, Versammlungsrecht, 3. Aufl. (2015) S. 71).

15 Nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes liegt eine Spontanversammlung darüber hinaus auch dann vor, wenn die fristgerechte Anzeige nach § 2 Abs. 1 VersG bei der Behörde unmöglich ist, ohne den Versammlungszweck zu gefährden (VfSlg. 14.366/1995; vgl. zur Qualifikation einer nicht angemeldeten Versammlungen als "Spontanversammlung" auch VwGH 15.10.2009, 2007/09/0307, und VfGH 20.9.2012, B 1436/10).

16 Ob nach einer der genannten Varianten im Revisionsfall eine Spontanversammlung vorlag, lässt sich nach den - insoweit nicht aussagekräftigen - Feststellungen im angefochtenen Erkenntnis nicht beurteilen.

17 Es handelte sich jedenfalls um eine Versammlung, deren Abhaltung entgegen der Vorschrift des § 2 Abs. 1 VersG nicht (wenigstens 24 Stunden zuvor) der Behörde schriftlich angezeigt wurde. Fraglich ist, ob die Revisionswerberin als Veranstalterin dieser Versammlung anzusehen ist.

18 Als Veranstalter einer Versammlung kann nur auftreten, wer Rechtspersönlichkeit besitzt, also neben einer natürlichen Person etwa ein Verein oder eine politische Partei (vgl. etwa VfSlg. 11.258/1987 und VfSlg. 19.852/2014, jeweils mwN).

19 Veranstalter einer Versammlung im Sinne des VersG ist eine natürliche oder juristische Person, die die Versammlung einberuft, also zu ihr einlädt oder sie organisiert; das ist der Einberufer, Organisator (vgl. dazu auch OGH 25.3.1999, 6 Ob 201/98x), Initiator oder Planer der Versammlung. Veranstalter ist sohin, wer in den potenziellen Teilnehmern den Willen zum Sichversammeln hervorrufen will, was regelmäßig in Form einer Einladung (durch Plakate, persönliches Anschreiben, Aufrufe in Zeitschriften, im Internet etc.) erfolgt. Bloß geringfügige Unterstützungshandlungen bei der Organisation und Durchführung der Versammlung begründen keine Veranstaltereigenschaft. Der Veranstalter muss an der (späteren) Versammlung auch nicht teilnehmen (vgl. zu all dem Eigner/Keplinger, Versammlungsrecht3 (2015) S. 96).

20 Den Veranstalter trifft die - durch § 19 VersG verwaltungsstrafrechtlich sanktionierte - Pflicht, die Versammlung gemäß § 2 Abs. 1 VersG anzuzeigen (vgl. VwGH 21.3.1990, 90/01/0019). Bei ordnungsgemäß angezeigten Versammlungen (§ 2 Abs. 1 VersG) gilt daher als Veranstalter, wer in der Versammlungsanzeige als solcher auftritt (vgl. Fessler/Keller, Vereins- und Versammlungsrecht3 (2013) S. 271).

21 Wird eine Versammlung - wie im Revisionsfall - nicht angezeigt, ist zunächst jene Person als Veranstalter anzusehen, die nach den dargelegten Grundsätzen in den anderen Versammlungsteilnehmern den Willen zum Sichversammeln hervorgerufen hat. Darüber hinaus gilt als Veranstalter auch eine Person, die in der Öffentlichkeit (vgl. VfSlg. 14.773/1997: Pressemitteilung über eine "Protestkundgebung") oder gegenüber der Behörde als solcher auftritt vgl. Eigner/Keplinger, aaO. S. 96 f), weiters, wer eine führende Rolle in der Versammlung einnimmt (vgl. Fessler/Keller, aaO).

22 Die bloße Teilnahme an einer nicht ordnungsgemäß angezeigten Versammlung ist nicht nach § 19 VersG strafbar (vgl. Eigner/Keplinger, aaO., S. 297; OGH 25.3.1999, 6 Ob 201/98x).

23 Für den Revisionsfall ergibt sich daraus:

24 Die Revisionswerberin nahm an der genannten Versammlung ("Gegendemonstration") teil, nachdem sie festgestelltermaßen auf diese mittels SMS-Nachricht "aufmerksam gemacht" worden war. Ungeachtet des Umstandes, dass das Verwaltungsgericht keine näheren Feststellungen über Zeitpunkt, Inhalt und Absender der SMS getroffen hat - es sohin unklar ist, ob damit (vorab) eine Einladung zur Versammlung oder eine bloße Verständigung zB. durch Teilnehmer der (bereits im Gang befindlichen) Demonstration erfolgte - kommt damit jedenfalls die Revisionswerberin nicht als Einberuferin, Planerin oder Organisatorin der Versammlung in Betracht.

25 Die vom Verwaltungsgericht weiters festgestellten Unterstützungshandlungen der Revisionswerberin während bzw. am Ende der Versammlung - (nicht näher bestimmte) Megaphondurchsagen bzw. das bloße Einsammeln von Transparenten - sind indes als zu geringfügig anzusehen, um eine Veranstaltereigenschaft annehmen zu können. Eine führende Rolle der Revisionswerberin in der Versammlung - etwa durch Bestimmung der Richtung des Demonstrationszuges; Aufruf, behördliche Anordnungen zu befolgen bzw. nicht zu befolgen; Bestimmung des Zeitpunkts der Beendigung der Versammlung etc. - lässt sich aus den vom Verwaltungsgericht getroffenen Feststellungen nicht ableiten.“

Im Falle einer nicht angezeigten Zusammenkunft ist für das Vorliegen einer Versammlung jenes Bild maßgeblich, das sich den einschreitenden Organen an Ort und Stelle bietet (vgl. VwGH 29.3.2004, 98/01/0213, 18.5.2009, 2009/17/0047, vgl. auch VwGH 15.10.2009, 2007/09/0307).

Auf Anfrage des erkennenden Gerichts, wie die Parlamentsdirektion im Hinblick auf die Interimslokation von Sitzungen des Plenums des Nationalrats die Auslegung des Bannmeilenbegriffs des § 7 Versammlungsgesetz auslegt, teilte die Parlamentsdirektion mit Schreiben vom 17.1.2020 mit:

„zu Ihrer Frage betreffend die Berechnung der „Bannmeile" iSd § 7 Versammlungsgesetz 1953 (VersG) darf ich Ihnen die folgende Rechtsansicht der Parlamentsdirektion übermitteln.

1. Allgemeines

§ 7 VersG lautet:

„§ 7. Während der Nationalrat, der Bundesrat, die Bundesversammlung oder ein Landtag versammelt ist, darf im Umkreis von 300 m von ihrem Sitze keine Versammlung unter freiem Himmel stattfinden."

Die in § 7 VersG genannte „Bannmeile" besteht dem Wortlaut zufolge („Während der Nationalrat, der Bundesrat, die Bundesversammlung ... versammelt ist, ...") zeitlich nur, wenn (Plenar-)Sitzungen des Nationalrates, des Bundesrates oder der Bundesversammlung stattfinden, nicht jedoch bei Ausschusssitzungen. Versammlungen innerhalb der Bannmeile von 300 m während der Sitzungen allgemeiner Vertretungskörper sind im Hinblick auf das absolut geltende Verbot des § 7 VersG „ohne weitere Gründe" aufzulösen (VfSIg. 14.365/1995).

Sinn und Zweck der Regelung des § 7 VersG ist es, die Sitzungen der gesetzgebenden Organe vor Beeinträchtigungen durch eine Versammlung unter freiem Himmel zu bewahren bzw. deren ungestörten Verlauf (Entschlussfähigkeit und freie Willensbildung ohne „Druck der Straße") zu gewährleisten (vgl. IA 66/A und RV 874 Xl. GP, zu BGBI. 392/1968) und insbesondere einen durch die Versammlung ausgeübten (wenn auch nur psychischen) Druck auf die Abgeordneten zu verhindern (Sicherheit der Abgeordneten). In der Literatur wird vertreten, dass damit nicht nur die Funktionsfähigkeit der gesetzgebenden Körperschaften geschützt, sondern auch der Zugang zu den Tagungsgebäuden gewährleistet werden soll (Eigner/Keplinger, Versammlungsrecht. Praxiskommentar4 [2019] 99 [Anm. 1.2. zu § 7 VersG]).

Die Bannmeile umfasst jedenfalls das gesamte Gebiet innerhalb der 300-Meter-Zone; unabhängig davon, ob es sich um eine öffentliche Fläche oder um ein Privatgrundstück handelt (Eigner/Keplinger, Praxiskommentar4 [2019] 100 [Anm. 1.6. zu § 7 VersG]).

2. Berechnung der „Bannmeile"

Im Erkenntnis VfSlg. 14.365/1995 hat der VfGH zur Auslegung der Formulierung „ihrem Sitze" in § 7 VersG und zur Berechnung der Bannmeile Folgendes ausgeführt:

„Die Meinung der Beschwerdeführerin, die 300-Meter-Zone sei vom Mittelpunkt des Sitzungssaales des Nationalrates zu messen, ist verfehlt. Vielmehr ist — dem allgemeinen Sprachgebrauch folgend — unter dem "Sitz" der gesetzgebenden Körperschaft das Gebäude, in dem diese tagt, zu verstehen. Die 300-Meter-Zone ist von der Außengrenze des Gebäudes zu messen."

Dementsprechend sind für die Berechnung der Bannmeile rund um das historische Parlamentsgebäude am Ring die Außengrenzen des (gesamten) Parlamentsgebäudes heranzuziehen, und nicht nur jener Teil des Gebäudes, in dem sich der Nationalrats-, der Bundesrats- und der historische Sitzungssaal befinden.

Während der Sanierung des historischen Parlamentsgebäudes ist die Hofburg das Gebäude, das als Interimstokation der gesetzgebenden Körperschaften dient. Demnach ist die Bannmeile derzeit von den Außengrenzen des Gebäudes der Interimslokation zu berechnen. Unter dem „Sitz" iSd § 7 VersG ist nämlich das Gebäude zu verstehen, in dem die jeweilige gesetzgebende Körperschaft tagt, und zwar unabhängig davon, ob dies der übliche Tagungsort oder ein — etwa wegen Umbauarbeiten — vorübergehend benütztes anderes Gebäude ist (vgl. auch Eigner/Keplinger, Praxiskommentar4 [2019] 99 f. [Anm. 1.4. zu § 7 VersG]).

Vor dem Hintergrund der Rechtsprechung stellt sich die Frage, ob das Hofburg-Gebäude als Ganzes oder nur bestimmte Teile davon für die Berechnung der Bannmeile relevant sind.

Auf Grundlage von § 7 VersG und dem oben genannten Erkenntnis des VfGH ist davon auszugehen, dass jedenfalls jene Teile, in denen sich der Plenarsaal und die Ausschusslokale befinden, als „Sitz" der gesetzgebenden Körperschaften iSd § 7 VersG zu qualifizieren sind.

Argumentierbar erscheint, dass darüber hinaus auch jene Teile bzw. Trakte der Hofburg miteinzubeziehen sind, deren Räumlichkeiten den gesetzgebenden Körperschaften zu deren

ausschließlichen Nutzung überlassen wurden.

Der Plenarsaal befindet sich derzeit im Redoutensaaltrakt der Hofburg, die Ausschusslokale 1 bis 6 sind im Pavillon Bibliothekshof und die Ausschusslokale 7 und 8 im Hofburg Segmentbogen untergebracht. Der Pavillon Bibliothekshof ist über eine Brücke baulich mit dem Hofburg-Gebäude fest verbunden und mit Blick auf die dort befindlichen Ausschusslokale in den „Sitz" der gesetzgebenden Körperschaft(en) einzubeziehen.

Eine Qualifizierung des gesamten Hofburg-Gebäudes, d.h. auch jener Teile, die nicht den gesetzgebenden Körperschaften zugewiesen sind, als „Sitz" der gesetzgebenden Körperschaften erscheint im Hinblick auf § 7 VersG und dessen höchstgerichtliche Auslegung nicht vertretbar.

Falls Sie noch weitere Informationen benötigen, stehe ich Ihnen natürlich gerne zur Verfügung.“

Aufgrund dieser Beantwortung richtete daraufhin das erkennende Gericht am 20.1.2020 an die Parlamentsdirektion nachfolgende weitere Fragen:

„1) Fanden im November 2019 Plenarsitzungen des Nationalrats in der Interimslokation des Nationalrats statt. Bejahendenfalls an welchen Tagen zu welchen Uhrzeiten.

2) Werden die Zeiten der Plenarsitzungen und deren Örtlichkeit (daher gegenständlich in der Interimslokation Hofburg) kundgemacht, bzw. wie erlangt ein „normaler“ Bürger Kenntnis von den Tagen und den Zeiten der Plenarsitzungen des Nationalrats und vom Ort der Abhaltung dieser Plenarsitzungen.“

Auf diese Fragen wurde mit Schriftsatz vom 20.1.2020 durch die Parlamentsdirektion wie folgt geantwortet:

ad 1)

Die Termine der Plenarsitzungen des Nationalrates finden sich unter https://www.parlament.gv.at/PAKT/PLENAR/. Beginn und Schluss der Plenarsitzungen ergeben sich aus den Stenographischen Protokollen der Plenarsitzungen des Nationalrates: https://www.parlament.gv.at/PAKT/STPROT/.

Während der Sanierung des historischen Parlamentsgebäudes finden alle Plenarsitzungen des Nationalrates in der Interimslokation in der Hofburg (Großer Redoutensaal) statt.

Im November 2019 fanden drei Plenarsitzungen des Nationalrates statt:

- 3. Sitzung des Nationalrates (13. November 2019, 9:05 Uhr bis 17:32 Uhr)

- 4. Sitzung des Nationalrates (13. November 2019, 17:33 Uhr bis 17:34 Uhr)

- 5. Sitzung des Nationalrates (26. November 2019, 10:00 Uhr bis 16:04 Uhr)

ad 2)

Der Arbeitsplan des Nationalrates ist auf der Website des Parlaments veröffentlicht: https://www.parlament.gv.at/PAKT/TERM/PLAN/ (vgl. derzeit den Arbeitsplan des Nationalrates für die Monate Jänner bis Juli 2020). Aus dem Arbeitsplan ergeben sich jene Tage, an denen Plenarsitzungen des Nationalrates stattfinden sollen.

Die Tagesordnungen der einzelnen Plenarsitzungen werden zeitnah vor der jeweiligen Plenarsitzung auf der Website des Parlaments veröffentlicht: https://www.parlament.gv.at/PAKT/PLENAR/. Aus der jeweiligen Tagesordnung ergibt sich der konkret geplante Beginn einer Plenarsitzung.

Zudem gibt es im Vorfeld von Plenarsitzungen des Nationalrates idR eine Aussendung der Parlamentskorrespondenz, in der die Tagesordnungspunkte der jeweiligen Plenarsitzung näher dargestellt werden (vgl. etwa für die 10. Sitzung des Nationalrates am 22. Jänner 2020: https://www.parlament.gv.at/PAKT/PR/JAHR_2020/PK0044/index.shtml).

Auch die Örtlichkeit der Plenarsitzungen des Nationalrates ergibt sich aus der Website des Parlaments: https://www.parlament.gv.at/PAKT/TERM/SITZNR/. Die konkrete Lage des Plenarsaales im Großen Redoutensaal ist aus dem online abrufbaren, detaillierten Plan des DemokratieQuartiers ableitbar:

https://sanierung.parlament.at/demokratiequartier/.

Dass die Plenarsitzungen des Nationalrates während der Sanierung des historischen Parlamentsgebäudes in der Interimslokation stattfinden, ergibt sich zudem aus dem Einleitungsteil der für den Zeitraum der Nutzung der Interimslokation getroffenen abweichenden Anordnungen zur Hausordnung für die Parlamentsgebäude 2006: https://www.parlament.gv.at/PERK/RGES/HO/HO_abweichend/HO_abweichend.shtml.“

Bei der vorliegenden Zusammenkunft handelte es sich unstrittig um eine "Versammlung" im Sinne des VersammlungsG, dh. um eine Zusammenkunft mehrerer Menschen, die in der Absicht veranstaltet wurde, die Anwesenden zu einem gemeinsamen Wirken (Debatte, Diskussion, Manifestation usw.) zu bringen, sodass eine gewisse Assoziation der Zusammengekommenen entsteht.

             

Aufgrund der unstrittigen behördlichen Ermittlungsergebnisse steht weiters fest:

Am 12.12.2018 erfolgte seitens eines Organs der Landespolizeidirektion Wien ein Aktenvermerk, in welchem ausgeführt wurde, dass der Landespolizeidirektion Wien eine am 21.11.2018 um 20.50 Uhr von einer Mailadresse, welche sich „F.“ bezeichnete an diverse nicht näher bezeichnete Personen ein Aufruf versendet worden ist, am 22.11.2018 „30 Minuten vor der ...demo“ sich vor der Buchhandlung „G.“ in Wien, C., zu versammeln, zumal zu diesem Zeitpunkt Herr H. I. in dieser Buchhandlung eine Signierstunde gebe.

Gemäß dem abgelichteten Screenshot dieser Email wurde dieser Beitrag vom Beschwerdeführer am 22.11.2018 um 4.22 Uhr „geteilt“.

Aus den Aufzeichnungen der Landespolizeidirektion Wien geht lediglich hervor, dass (angeblich) der Beschwerdeführer an dieser Demonstration teilgenommen hatte, zumal beobachtet worden sein soll, dass dieser mit einem Handmegaphon gegen 18.00 Uhr die Versammlung verlassen hatte.

Festgestellt wird weiters, dass mangels gegenteiliger Indizien davon auszugehen ist, dass der Entschluss zum Aufruf zur gegenständlichen Versammlung nur kurz vor dem 21.11.2018, 20.50 Uhr, und sohin lediglich etwas mehr als 19 Stunden vor dem aufgerufenen Zusammenkunftstermin gefasst worden ist. Dazu kommt, dass der Zusammenkunftstermin nicht willkürlich für den 22.11.2018, 17.30 Uhr, gewählt worden ist, zumal nur etwa zu diesem Zeitpunkt die zum Anlass der Demonstration genommene Signierstunde des H. I. bestanden hatte.

Bei Zugrundelegung der obangeführten Rechtsprechung ist daher die gegenständliche Demonstration als eine Spontanversammlung i.S.d. zum Versammlungsgesetz vom Verfassungsgerichtshof entwickelten Begriffsverständnis (vgl. etwa VfSlg. 10.443/1985; 11.132/1986; VfGH 19.6.2008, B 1011/07) einzustufen.

Weiters ist bei Zugrundelegung der Mitteilung der Parlamentsdirektion vom 20.1.2020 davon auszugehen, dass am gegenständlichen Tag, daher dass am 22.11.2018 keine Sitzung des Plenums des Nationalrats stattgefunden hat.

Aufgrund dieser Feststellungen ist sohin rechtlich zu folgern:

Es ist im gesamten Verfahren kein Indiz hervorgekommen, dass der Beschwerdeführer als „Veranstalter“ i.S.d. § 2 Abs. 1 VersammlungsG einzustufen ist. So gibt es nicht einmal einen Beleg, dass der Beschwerdeführer dazu aufgerufen hatte, sich am 22.11.2018 um 17.30 Uhr am gegenständlichen Ort einzufinden. Der bloße Umstand, dass ein Aufruf „geteilt“ wird, stellt nämlich keinesfalls eine Handlung dar, welche als ein Aufruf zur Teilnahme an einer Demonstration i.S.d. § 2 VersammlungsG einzustufen ist. Ebenso stellt der Umstand, dass der Beschwerdeführer beim Verlassen der gegenständlichen Demonstration mit einem Handmegaphon beobachtet worden ist, nicht einmal eine Wahrnehmung einer tatsächlichen Beteiligung des Beschwerdeführers an der Organisation bzw. Durchführung der gegenständlichen Demonstration dar, und schon gar nicht eine derart führende Beteiligung an einer Demonstration dar, welche dazu führt, dass dieser als „Veranstalter“ der Demonstration i.S.d. § 2 VersammlungsG einzustufen wäre.

Schon aus diesem Grund war davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer nicht das Tatbild des § 2 Abs. 1 i.V.m. § 19 VersammlungsG verwirklicht hatte. Bei dieser Sachlage konnte daher von der Vornahme der gesetzlich gebotenen Interessensabwägung zur Klärung der Frage des Vorliegens eines Rechtfertigungsgrunds i.S.d. § 6 VStG (vgl. etwa EGMR 5.3.2009, 27.6.2006, 75569/01 [Cetinkaya]; 31684/05 [Barraco]; VfGH 19.6.2008, B 1011/07; VwGH 15.10.2009, 2007/09/0307) unterbleiben.

Zudem ist - wie zuvor ausgeführt – bei Zugrundelegung der Judikatur des Verfassungsgerichtshofs davon auszugehen, dass unter dem „Sitz“ des Nationalrats, des Bundesrats, der Bundesversammlung wie auch des Landtags i.S.d. § 7 Versammlungsgesetz stets nur die Örtlichkeit anzusehen ist, in welcher konkret eine Sitzung dieses jeweiligen Vertretungskörpers (als Plenum) stattfindet. § 7 Versammlungsgesetz knüpft daher jeweils auf eine faktische Gegebenheit an.

Wie festgestellt, fand nun aber am 22.11.2018 keine Sitzung des Plenums des Nationalrats statt, sodass schon aus diesem Grund die Verwirklichung des Tatbilds des § 7 VersammlungsG zu verneinen ist.

Der Beschwerdeführer hat daher beide ihm angelasteten Tatbilder nicht verwirklicht, sodass spruchgemäß zu entscheiden war.

Die Revision ist unzulässig, da keine Rechtsfrage im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG zu beurteilen war, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung. Weiters ist die dazu vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Ebenfalls liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Schlagworte

Versammlung; Spontanversammlung; Veranstalter; Demonstration; Nationalrat

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:LVWGWI:2020:VGW.001.042.129.2020

Zuletzt aktualisiert am

24.02.2021
Quelle: Landesverwaltungsgericht Wien LVwg Wien, http://www.verwaltungsgericht.wien.gv.at
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