TE Bvwg Erkenntnis 2020/2/27 I406 2198211-2

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 27.02.2020
beobachten
merken

Entscheidungsdatum

27.02.2020

Norm

AsylG 2005 §55
AsylG 2005 §58 Abs11 Z2
AsylG 2005 §58 Abs5
BFA-VG §21 Abs7
B-VG Art133 Abs4
EMRK Art8
VwGVG §24 Abs2 Z1
VwGVG §27
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2
VwGVG §28 Abs5

Spruch

I406 2198211-2/3E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Gerhard KNITEL als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX, geb. XXXX, StA. Nigeria, vertreten durch RA Mag. Dr. Vera Weld, Weihburggasse 4/40, 1010 Wien, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 11.12.2019, Zl. XXXX, zu Recht erkannt:

A)       In Erledigung der Beschwerde wird der bekämpfte Bescheid gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG behoben.

B)       Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang und Sachverhalt:

1.       Der Beschwerdeführer beantragte am 11.06.2019 die Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Art. 8 EMRK gemäß § 55 Abs. 2 AsylG. Er befand sich zu diesem Zeitpunkt (zwischen 30.08.2017 und 29.08.2019) in Strafhaft und übermittelte seinen Antrag durch seine Rechtsvertretung.

2.       Am 30.08.2019 wurde der Beschwerdeführer auf dem Luftweg nach Nigeria abgeschoben.

3.       Mit Schreiben vom 13.11.2019 ersuchte das BFA die Rechtsvertretung des Beschwerdeführers um Auskunft, ob der verfahrensgegenständliche Antrag aufrecht bleibe oder zurückgezogen werde. Es erging erstmals der Hinweis, dass Anträge auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß §§ 55 bis 57 AsylG persönlich beim Bundesamt zu stellen seien. Da der Antrag des Beschwerdeführers per Telefax übermittelt worden sei, wäre er gemäß § 58 Abs. 11 AsylG zurückzuweisen.

4.       Die Rechtsvertreterin des Beschwerdeführers teilte mit Schreiben vom 21.11.2019 mit, dass der Antrag nicht zurückgezogen werde.

5.       Mit verfahrensgegenständlich angefochtenem Bescheid vom 11.12.2019 wies das BFA den Antrag des Beschwerdeführers auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus humanitären Gründen gemäß § 58 Abs. 5 iVm 11 Z 2 AsylG 2005 als unzulässig zurück. Begründend wurde ausgeführt, dass der Beschwerdeführer seinen Antrag nicht entsprechend der Bestimmung des § 58 Abs. 5 AsylG persönlich eingebracht habe. Der Beschwerdeführer sei dadurch seiner Mitwirkungspflicht nicht im erforderlichen Ausmaß nachgekommen und sein Antrag aus diesem Grund zurückzuweisen gewesen.

6.       Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer mit Schriftsatz seiner Rechtsvertretung vom 20.12.2019 fristgerecht Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht. Der Beschwerdeführer habe sich zum Zeitpunkt der Antragstellung bis zu seiner Abschiebung – wie auch der belangten Behörde bekannt gewesen sei – in Strafhaft befunden. Eine persönliche Vorsprache beim BFA sei ihm aus diesem Grund nicht möglich gewesen. Die belangte Behörde habe diesen Umstand weder in die Entscheidungsfindung einbezogen, noch den Beschwerdeführer darauf hingewiesen bzw. ihm die Möglichkeit eingeräumt, diesen Mangel zu beheben. Weiters habe es die belangte Behörde verabsäumt, den Beschwerdeführer persönlich einzuvernehmen.

7.       Beschwerde und Bezug habender Akt wurden dem Bundesverwaltungsgericht am 09.01.2020 vorgelegt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen und Beweiswürdigung:

Der unter Punkt I. ausgeführte Verfahrensgang und Sachverhalt wird den Feststellungen zugrunde gelegt.

Die getroffenen Feststellungen ergeben sich aus dem unzweifelhaften und unbestrittenen Akteninhalt des vorgelegten Verwaltungsaktes der belangten Behörde und des vorliegenden Gerichtsaktes des Bundesverwaltungsgerichtes.

2. Rechtliche Beurteilung:

2.1. Prüfungsumfang

Gemäß § 27 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, soweit es nicht Rechtswidrigkeit wegen Unzuständigkeit der Behörde gegeben findet, den angefochtenen Bescheid, die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt und die angefochtene Weisung auf Grund der Beschwerde (§ 9 Abs. 1 Z 3 und 4) oder auf Grund der Erklärung über den Umfang der Anfechtung (§ 9 Abs. 3) zu überprüfen.

Gemäß § 28 Absatz 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen.

Gemäß § 28 Absatz 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn

1. der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder

2. die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.

Gemäß § 28 Abs 5 VwGVG sind die Behörden verpflichtet, in der betreffenden Rechtssache mit den ihnen zu Gebote stehenden rechtlichen Mitteln unverzüglich den der Rechtsanschauung des Verwaltungsgerichtes entsprechenden Rechtszustand herzustellen, wenn das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid aufhebt.

Gemäß § 31 Abs. 1 VwGVG erfolgen, soweit nicht ein Erkenntnis zu fällen ist, die Entscheidungen und Anordnungen durch Beschluss. Gemäß Abs. 3 sind auf die Beschlüsse des Verwaltungsgerichtes § 29 Abs. 1 zweiter Satz, Abs. 4 und § 30 sinngemäß anzuwenden. Dies gilt nicht für verfahrensleitende Beschlüsse.

2.2 Zum Unterbleiben der mündlichen Verhandlung:

Gemäß § 21 Abs 7 BFA-VG kann eine mündliche Verhandlung unterbleiben, wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint oder sich aus den bisherigen Ermittlungen zweifelsfrei ergibt, dass das Vorbringen nicht den Tatsachen entspricht. Im Übrigen gilt § 24 VwGVG.

Die Abhaltung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung konnte im gegenständlichen Fall gemäß § § 24 Abs 2 Z 1 VwGVG entfallen, da bereits auf Grund der Aktenlage feststeht, dass der mit Beschwerde angefochtene Bescheid zu beheben ist.

Zu Spruchpunkt A):

2.3 Anzuwendendes materielles Recht:

Gemäß § 55 AsylG ist im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen von Amts wegen oder auf begründeten Antrag eine "Aufenthaltsberechtigung plus" zu erteilen, wenn 1. dies gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK geboten ist und 2. der Drittstaatsangehörige das Modul 1 der Integrationsvereinbarung gemäß § 9 Integrationsgesetz (IntG), BGBl. I Nr. 68/2017, erfüllt hat oder zum Entscheidungszeitpunkt eine erlaubte Erwerbstätigkeit ausübt, mit deren Einkommen die monatliche Geringfügigkeitsgrenze (§ 5 Abs. 2 Allgemeines Sozialversicherungsgesetz (ASVG), BGBl. I Nr. 189/1955) erreicht wird. Liegt nur die Voraussetzung des Abs. 1 Z 1 vor, ist gemäß Abs. 2 leg.cit eine "Aufenthaltsberechtigung" zu erteilen.

Gemäß § 58 Abs. 5 AsylG sind Anträge auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß §§ 55 bis 57 sowie auf Verlängerung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 persönlich beim Bundesamt zu stellen. Soweit der Antragsteller nicht selbst handlungsfähig ist, hat den Antrag sein gesetzlicher Vertreter einzubringen.

Gemäß § 58 Abs. 11 ist, wenn der Drittstaatsangehörige seiner allgemeinen Mitwirkungspflicht im erforderlichen Ausmaß, insbesondere im Hinblick auf die Ermittlung und Überprüfung erkennungsdienstlicher Daten, nicht nachkommt, 1. das Verfahren zur Ausfolgung des von Amts wegen zu erteilenden Aufenthaltstitels (Abs. 4) ohne weiteres einzustellen oder 2. der Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels zurückzuweisen. Über diesen Umstand ist der Drittstaatsangehörige zu belehren.

2.4. Anwendung der Rechtslage auf den gegenständlichen Fall:

Im gegenständlichen Fall begründete die belangte Behörde die Zurückweisung des verfahrensgegenständlichen Antrags des Beschwerdeführers auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 55 AsylG 2005 damit, dass der Beschwerdeführer seinen Antrag nicht entsprechend der Bestimmung des § 58 Abs. 5 AsylG persönlich (sondern nur per Telefax) bei der belangten Behörde eingebracht habe und somit seiner Mitwirkungspflicht nicht nachgekommen sei.

Dabei verkannte die belangte Behörde jedoch, dass der Beschwerdeführer sich zum Zeitpunkt der Antragstellung in Strafhaft befand und dadurch in seiner Handlungsfähigkeit derart eingeschränkt war, dass ihm eine persönliche Antragstellung gar nicht möglich war. Dies war der belangten Behörde auch bekannt. Dennoch ist dem Akt keinerlei Bemühen des BFA zu entnehmen, dem in Haft befindlichen Beschwerdeführer eine persönliche Antragstellung zu ermöglichen, etwa im Rahmen einer niederschriftlichen Einvernahme. Eine Verletzung der Mitwirkungspflicht von Seiten des Beschwerdeführers ist sohin nicht ersichtlich.

Unabhängig von der Frage, ob das BFA das Verhalten des Beschwerdeführers in concreto tatsächlich als eine Verletzung der Mitwirkungspflicht im Sinne von § 58 Abs. 11 AsylG 2005 werten durfte, die eine Zurückweisung rechtfertigt, hat es das Bundesamt offenbar auch unterlassen, den Beschwerdeführer rechtzeitig über die Rechtsfolge der Antragszurückweisung bei Unterbleiben einer persönlichen Einbringung des Antrages zu belehren. Eine derartige Belehrung sieht § 58 Abs. 11 letzter Satz AsylG 2005 jedoch vor (vgl. dazu auch VwGH 17.05.2017, Ra 2017/22/0059, Rz 24). Der Beschwerdeführer wurde direkt nach Verbüßung seiner Strafhaft am 30.08.2019 nach Nigeria abgeschoben. Erst zweieinhalb Monate später, am 21.11.2019, erging der Hinweis, dass Anträge auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß §§ 55 bis 57 AsylG persönlich beim Bundesamt zu stellen seien und daher beabsichtigt werde, den Antrag des Beschwerdeführers zurückzuweisen.

Aus dem Verwaltungsakt ist nicht ersichtlich, dass die belangte Behörde versucht hätte, den Beschwerdeführer zu kontaktieren, als er sich zumindest noch im Bundesgebiet befand und für die Behörde greifbar gewesen wäre. Im Akt befindet sich lediglich ein Aktenvermerk vom 22.08.2019, demzufolge die Rechtsanwaltskanzlei der Rechtsvertreterin des Beschwerdeführers am 22.08.2019 telefonisch nicht erreicht werden habe können (AS 43).

Unter Zugrundelegung der höchstgerichtlichen Judikatur (VwGH 30.06.2015, Zl. Ra 2015/21/0039) und den ErläutRV zu § 58 Abs. 11 AsylG 2005 (1803 BlgNR XXIV. GP 48 ff), wo im Wesentlichen klargestellt wird, dass § 58 Abs. 11 AsylG 2005 § 19 Abs. 4 und 10 NAG in der Fassung BGBl. I Nr. 38/2011 entspricht, sowie den entsprechenden Regierungsvorlagen, insbesondere zu § 19 Abs. 4 und 10 NAG kann nur davon ausgegangen werden, dass eine solche Belehrung nach § 58 Abs. 11 AsylG 2005 auch in geeigneter, nachvollziehbarer Weise, etwa im Rahmen einer förmlichen Niederschrift oder mittels eines Informationsblattes in der Muttersprache des Fremden, zu erfolgen hat.

Anhaltspunkte dafür fehlen jedoch im Akt.

Die Zurückweisung des Antrages auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 58 Abs. 11 Z 2 AsylG 2005 durch das Bundesamt hat sich in der vorliegenden Konstellation unter diesen besonderen Umständen sohin letztlich als nicht rechtmäßig erwiesen.

Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs darf ein Verwaltungsgericht auf Grund einer gegen eine Zurückweisung erhobenen Beschwerde nur über die Rechtmäßigkeit des Zurückweisungsbescheides, nicht hingegen über den Antrag selbst entscheiden. (vgl. dazu etwa VwGH 12.10.2015, Zl. Ra 2015/22/0115, mit Verweis auf VwGH 29.04.2015, Zl. 2013/08/013627.01.2010).

"Sache" im Sinne des § 28 Abs. 2 VwGVG und demnach Gegenstand des Beschwerdeverfahrens vor dem Bundesverwaltungsgericht ist im vorliegenden Fall die nur die formell-rechtliche Frage der Rechtmäßigkeit der Zurückweisung des Antrages auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Artikels 8 EMRK vom 11.06.2019 durch das BFA (vgl. VwGH 12.10.2015, Zl. Ra 2015/22/0115, mit Verweis auf VwGH 18.12.2014, Zl. Ra 2014/07/0002, 0003; VwGH 23.06.2015, Zl. Ra 2015/22/0040; VwGH 16.09.2015, Zl. Ra 2015/22/0082 bis 0084).

Damit kommt eine materiell-rechtliche Entscheidung von Vornherein nicht in Betracht bzw. ist es dem Bundesverwaltungsgericht verwehrt, „in der Sache selbst“ zu entscheiden. Da das Bundesverwaltungsgericht nicht über die Erteilung des Aufenthaltstitels nach § 55 AsylG 2005 inhaltlich entscheiden kann, ohne dadurch den Gegenstand des Beschwerdeverfahrens zu überschreiten, war daher nur die ersatzlose Behebung des Bescheides des Bundesamtes möglich (vgl. etwa VwGH 17.11.2016, Zl. Ra 2016/21/0314).

Durch die gegenständliche ersatzlose Behebung des bekämpften Bescheides gemäß § 28 Abs. 5 VwGVG tritt die „Ausnahmesituation“ ein, dass der zugrunde liegende Antrag wieder unerledigt ist. Die belangte Behörde wird daher zu prüfen haben, ob beim Beschwerdeführer die Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Art. 8 EMRK vorliegen oder nicht, bzw. ob die sonstigen Zulässigkeitsvoraussetzungen, etwa jene des § 58 Abs. 10 AsylG, gegeben sind.

Zu Spruchteil B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art 133 Abs 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen. Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung (vgl die oben angeführte Judikatur); weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Schlagworte

Abschiebung Aufenthaltstitel aus Gründen des Art. 8 EMRK Behebung der Entscheidung Bindungswirkung Einbringung ersatzlose Behebung Kassation Mängelbehebung Mitwirkungspflicht persönliche Einvernahme Prüfungsumfang Strafhaft unzulässiger Antrag Zurückweisung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:I406.2198211.2.00

Im RIS seit

24.02.2021

Zuletzt aktualisiert am

24.02.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten