Entscheidungsdatum
06.04.2020Norm
BVergG 2018 §327Spruch
W139 2230047-1/3E
BESCHLUSS
Das Bundesverwaltungsgericht beschließt durch die Richterin Mag. Kristina HOFER über die Anträge der XXXX , vertreten durch DLA Piper Weiss-Tessbach Rechtsanwälte GmbH, Schottenring 14, 1010 Wien, auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung betreffend das Vergabeverfahren „Rahmenvereinbarung ETCS Level 2 - Errichtung sowie Erhaltung, Instandhaltung, Servicierung und Umbau, Verfahrens-ID: 18115“ der Auftraggeberin ÖBB-Infrastruktur Aktiengesellschaft, Praterstern 3, 1020 Wien, vertreten durch Schramm Öhler Rechtsanwälte OG, 1010 Wien, Bartensteingasse 2, 1010 Wien:
A)
Die Anträge, das Bundesverwaltungsgericht möge
„mit einstweiliger Verfügung für die Dauer des Nachprüfungsverfahrens (in eventu: für die Dauer von sechs Wochen) das Vergabeverfahren aussetzen und dem Auftraggeber das Ausscheiden der Antragstellerin sowie die Angebotsöffnung der Letztangebote untersagen; in eventu:
das Vergabeverfahren aussetzen und dem Auftraggeber den Abschluss der Rahmenvereinbarung untersagen; in eventu:
dem Auftraggeber die Angebotsöffnung untersagen; in eventu:
dem Auftraggeber den Abschluss der Rahmenvereinbarung untersagen“
werden abgewiesen.
B)
Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Begründung:
I. Verfahrensgang
1. Mit Schriftsatz vom 30.03.2020, beim Bundesverwaltungsgericht am selben Tag eingelangt, stellte die Antragstellerin den gegenständlichen Antrag auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung, verbunden mit einem Antrag auf Nichtigerklärung der sonstigen Festlegung des Auftraggebers während der Verhandlungsphase gemäß Schreiben vom 20.03.2020, wonach der Labortest (i) bis spätestens 02.04.2020 und (ii) in Österreich durchzuführen ist, auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung, auf Akteneinsicht sowie auf Gebührenersatz.
Begründend führte die Antragstellerin zusammengefasst im Wesentlichen Folgendes aus:
Die Auftraggeberin habe die gegenständlichen Leistungen in einem Verhandlungsverfahren nach vorherigem Aufruf zum Wettbewerb nach dem Bestbieterprinzip im Oberschwellenbereich ausgeschrieben. Beabsichtigt sei der Abschluss einer Rahmenvereinbarung mit zwei Unternehmern. Bei der angefochtenen Entscheidung handle es sich um eine gesondert anfechtbare Entscheidung (sonstige Entscheidung/Festlegung während der Verhandlungsphase). Der Antrag sei rechtzeitig, die Pauschalgebühren seien entrichtet worden. Das Interesse der Antragstellerin am Abschluss des Vertrages ergebe sich aus der fristgerechten Abgabe ihrer ausschreibungskonformen Angebote, der Hinnahme einer wiederholten Schlussrunde und der Einführung des Labortests sowie Einbringung des gegenständlichen Nachprüfungsantrages und des Antrages auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung sowie Entrichtung der erforderlichen Gebühren. Der Antragstellerin drohe ein Schaden in Form der bisher entstandenen Kosten der Angebotserstellung, der Entgang des erzielbaren Gewinnes sowie der Verlust eines wichtigen Referenzprojektes für zukünftige Bewerbungen. Die Antragstellerin bezeichnete die Rechte, in denen sie sich verletzt erachte.
Zu den Gründen der Rechtswidrigkeit der angefochtenen Entscheidung führte die Antragstellerin zusammengefasst aus, dass die von der Auftraggeberin gewählte Vorgangsweise, die Durchführung des Labortests in Österreich und bis spätestens 02.04.2020 zu fordern, die Antragstellerin, so wie allenfalls andere nicht in Österreich niedergelassene Bieter, diskriminieren würde. Es wäre dem Auftraggeber ohne Weiteres möglich, eine nichtdiskriminierende Möglichkeit zu wählen, und zwar indem er sich an die grundsätzliche Regelung des § 222 BVergG 2006 für die Bemessung und Verlängerung von Fristen halten würde, wonach Fristen so festzusetzen seien, dass den Bietern, so auch der Antragstellerin, ausreichend Zeit für die Vornahme der entsprechenden Handlungen verbleibe. Als einzige die Antragstellerin mit den anderen Bietern gleichbehandelnde und rechtskonforme Entscheidung hätte der Auftraggeber sohin richtigerweise, die Frist bis zur Durchführung des Labortests – für alle – solange verlängern müssen, bis entweder eine Durchführung an dem von der Antragstellerin festgelegten Ort oder – wenn schon unbedingt in Österreich – dann ohne Gesundheitsgefährdung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, ohne Reisebeschränkungen und vor allem ohne dass sich die Antragstellerin bzw ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter infolge Missachtung der gesetzlichen Maßnahmen zur Eindämmung von Covid-19 strafbar machen müssten (1 m Abstand!; kein Betreten öffentlichen Raums ohne zwingenden Grund bzw anwendbare Ausnahme) möglich sei. Ganz zwanglos lasse sich dieser Grundsatz auch dahin erweitern, dass Fristen nicht so festgelegt werden dürften, dass der Auftraggeber dem Bieter, trotz Kenntnis des Auftraggebers der dies begründenden außergewöhnlichen Umstände durch die Ausbreitung des COVID-19-Virus, die Vornahme der geforderten Handlung während der festgesetzten Frist schlicht verunmögliche. Dies wäre zweifellos eine Willkürhandlung des Auftraggebers. Es bleibe der Antragstellerin nichts anderes übrig, als den gegenständliche Nachprüfungsantrag zu stellen, weil der Auftraggeber ihr Angebot nach Bestandfestigkeit der angefochtenen Entscheidung ohne Weiteres ausscheiden könne.
Die Antragstellerin erklärte das Vorbringen zu den Nachprüfungsanträgen auch zum Vorbringen im Provisorialverfahren und führte aus, dem Nachprüfungsantrag komme keine aufschiebende Wirkung zu, weswegen die begehrte Maßnahme erforderlich sei, da der – jedenfalls im Provisorialverfahren nicht von vornherein auszuschließende – Anspruch der Antragstellerin auf den Abschluss der Rahmenvereinbarung nur wirksam gesichert werden könne, wenn das Verfahren bis zur Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes in der Hauptsache in einem Stand gehalten werde, der eine spätere Entscheidung zugunsten der und einen Abschluss der Rahmenvereinbarung mit der Antragstellerin ermögliche. Die Interessen der Antragstellerin würden die diesem Antrag allenfalls entgegenstehenden Interessen überwiegen.
2. Am 02.04.2020, beim Bundesverwaltungsgericht am selben Tag eingelangt, erteilte die Auftraggeberin allgemeine Auskünfte zum Vergabeverfahren. Zur beantragten Erlassung der einstweiligen Verfügung führte sie nach Darstellung des maßgeblichen Sachverhaltes aus, dass es sich bei der begehrten Aussetzung des gesamten Vergabeverfahrens weder um ein nötiges und geeignetes Mittel noch die gelindeste noch zum Ziel führende Maßnahme, mit der die durch die behaupteten Rechtswidrigkeiten angeblich entstandenen oder zu entstehen drohenden Schädigungen von Interessen der Antragstellerin beseitigt oder verhindert werden könnten, handle. Das Umdeuten eines von vornherein verfehlten Begehrens komme nicht in Betracht. Soweit die Untersagung der Durchführung der Laborprüfung eines anderen Bieters erreicht werden solle, so fehle es der Antragstellerin am Rechtsschutzinteresse im Zusammenhang mit der Überprüfung der technischen Angaben eines anderen Bieters. Abgesehen davon sei dies auch nicht ausdrücklich beantragt worden und gehe dieses Begehren auch ins Leere.
Zur begehrten Untersagung des Ausscheidens führte die Auftraggeberin aus, es liege eine Ausscheidensentscheidung nicht vor und eine solche Entscheidung sei auch nicht angefochten worden. Auch drohe der Antragstellerin kein unmittelbarer Schaden, da eine Ausscheidensentscheidung gesondert anfechtbar wäre.
Soweit die Untersagung der Angebotsöffnung begehrt werde, sei darauf hinzuweisen, dass die aktuelle Angebotsrunde auf die Laborprüfung und die bereits gemachten technischen Angaben in der zweiten Angebotsrunde keinen Einfluss habe. Es würde mit den Labortests lediglich geprüft, ob die Angaben des Bieters im bereits abgegebenen letztgültigen technischen Angebotsteil (zweite Angebotsrunde) plausibel und nachvollziehbar seien. Mit der Angebotsöffnung gehe sohin kein Wettbewerbsnachteil und kein unmittelbarer, ausschließlich der Antragstellerin drohender Schaden einher. Die Untersagung der Angebotsöffnung würde ausschließlich zu einer weiteren Verzögerung des Vergabeverfahrens führen.
Auch drohe der Antragstellerin kein unmittelbarer Schaden aus dem Abschluss der Rahmenvereinbarung, da sie die Entscheidung, mit welchem Unternehmer die Rahmenvereinbarung abgeschlossen werden solle, noch gar nicht getroffen habe. Es liege keine Ausscheidenentscheidung vor, weswegen die Antragstellerin über den beabsichtigten Abschluss der Rahmenvereinbarung zu informieren wäre, welche Entscheidung wiederum gesondert anfechtbar wäre.
Der Antrag auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung erweise sich sohin insgesamt als unberechtigt.
Es sei zwar richtig, dass ein gewissenhafter Auftraggeber die durch die Einleitung eines Vergabekontrollverfahrens eintretenden zeitlichen Verzögerungen schon bei der Ablaufplanung einzukalkulieren und zu berücksichtigen habe, es habe aber von der Auftraggeberin nicht erwartet werden müssen, dass sie die Auswirkungen der aktuellen Corona-Virus Pandemie bereits berücksichtige. Weiters sei aufgrund der nicht absehbaren Dauer dieser beispiellosen Krise eine Verzögerung des Vergabeverfahrens wegen bloß einem einzigen Bieter überschießend und unverhältnismäßig. Es handle sich überdies um sicherheitskritische Schieneninfrastruktur. Eine weitere Verzögerung könne zu einem völligen Stillstand im österreichischen Schienenverkehr führen.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Sachverhalt:
Aufgrund der vorgelegten Stellungnahmen sowie der Bezug nehmenden Beilagen und Unterlagen des Vergabeverfahrens wird vorerst im Rahmen des Provisorialverfahrens folgender entscheidungserheblicher Sachverhalt festgestellt:
Die Auftraggeberin schrieb im Juli 2018 die gegenständliche Leistung „Rahmenvereinbarung ETCS Level 2 - Errichtung sowie Erhaltung, Instandhaltung, Servicierung und Umbau, Verfahrens-ID: 18115“ in einem Verhandlungsverfahren nach vorherigem Aufruf zum Wettbewerb mit dem Ziel des Abschlusses einer Rahmenvereinbarung mit zwei Unternehmern aus.
Die Ausschreibung blieb unangefochten. Die Antragstellerin beteiligte sich an diesem Vergabeverfahren durch Angebotslegung.
Gemäß Punkt 2.3 der Ausschreibungsunterlage, A. 1 Inhalt des Angebotes, Konformitätsnachweis (Compliance-Liste) zu den Anforderungen des Lastenheftes, ist im Rahmen des technischen Angebotsteiles die Konformität der angebotenen Lösung mit den in Artefakt D.1 Lastenheft enthaltenen Anforderungen (verbindlich, optional) im Konformitätsnachweis (Compliance-Liste) zu bestätigen. Ein entsprechender Konformitätsnachweis war sowohl dem Erstangebot als auch dem Zweitangebot anzuschließen.
Im Anschluss an die zweite Angebotsrunde sowie nach Durchführung der zweiten Verhandlungsrunde forderte die Auftraggeberin die verbliebenen Bieter, darunter auch die Antragstellerin, auf, ein letztes kommerzielles Angebot zu legen, was die Antragstellerin fristgerecht tat. Einen Konformitätsnachweis hatte dieses Angebot nicht zu beinhalten. In der Folge wurde von der Auftraggeberin mit Schreiben vom 29.01.2020 mitgeteilt, dass der Auftraggeber die vom Bieter gemachten Angaben bzw die Selbsteinstufung im Konformitätsnachweis (Compliance-Liste) im Rahmen eines Labortests beim Bieter prüfen werde und weiters, dass die kommerzielle Schlussrunde wiederholt werden müsse. Die Einladung zur Bekanntgabe eines konkreten Labors, die Bekanntgabe der Testbedingungen sowie die Einladung zur Wiederholung der kommerziellen Schlussrunde werde voraussichtlich am 17.02.2020 verschickt.
Mit Schreiben vom 17.02.2020 erfolgte unter Anschluss der adaptierten Ausschreibungsunterlagen sowie der „Beilage A-10 Testkonzept/-katalog“ betreffend die Testbedingungen die Einladung zur neuerlichen Angebotslegung bis 23.03.2020 sowie zur Abstimmung des Labortests, wobei deren Durchführung für die Kalenderwoche 12/2020 oder 13/2020 vorgesehen war. Mit weiterem E-Mail vom 17.02.2020 wurden den verbliebenen Bietern in Ergänzung zur Beilage A-10 Testkonzept die für den Labortest ausgewählten Anforderungen aus ihrem jeweiligen Konformitätsnachweis (Compliance-Liste) bekannt gegeben.
Mit Schreiben vom 10.03.2020 wurde die Antragstellerin von der Auftraggeberin ersucht, angesichts der XXXX ausgesprochenen Reisewarnung und damit der Unmöglichkeit der Laborprüfung in XXXX , bis 17.03.2020 ein Labor für die Laborprüfung in Europa, aber außerhalb XXXX , zu bezeichnen.
Am 12.03.2020 wurde die Angebotsfrist bis 06.04.2020 verlängert.
Am 17.03.2020 teilte die Antragstellerin der Auftraggeberin mit, dass aufgrund der von fast allen europäischen Ländern erlassenen Maßnahmen und Einschränkungen der Mobilität sowie in Anbetracht der Tatsache, dass sich die Situation in allen Ländern rasch verschlechtere, bedauerlicherweise kein alternatives Labor in Europa vorschlagen werden könne. Es könne aber auch kein Test aus der Ferne erfolgen, da derzeit und in naher Zukunft keine Fernverbindung zwischen dem Labor der Antragstellerin in XXXX und Ihren Räumlichkeiten bewerkstelligt werden könne, weswegen gebeten werde, die Tests und den Workshop aufgrund des Ausbruchs des COVID-19-Virus, der eindeutig als ein Ereignis höherer Gewalt anzusehen sei, zu verschieben, bis sich die Gesundheitssituation verbessert habe und die Einschränkungen und Sondermaßnahmen in Österreich und XXXX aufgehoben werden.
Am 20.03.3020 teilte die Auftraggeberin ua mit, dass der Vorschlag, die Laborprüfung per Fernverbindung durchzuführen nicht den festgelegten Anforderungen an die Laborprüfung entspreche, wonach diese Vorort im Labor durchgeführt werden müsse, dass im Hinblick auf die Verpflichtung zur Gleichbehandlung der Bieter die vorgeschlagene Abweichung von den festgelegten Mindestanforderungen nicht zulässig sei und eine Verschiebung der Labortests auf unbestimmte Zeit im Hinblick auf die Verpflichtung zur Gleichbehandlung der Bieter ebenfalls nicht möglich sei. Von den Bietern müsste daher den erhöhten Sicherheitsanforderungen entsprechend ein Labor in Österreich genannt und dafür gesorgt werden, dass während der Laborprüfung zwischen den Personen ein Abstand von mindestens einem Meter eingehalten werden könne (sofern nicht durch entsprechende Schutzmaßnahmen das Infektionsrisiko minimiert werden könne), wobei mindestens ein bis zwei Testteilnehmer der Auftraggeberin im Raum und (zumindest punktuell) auch unmittelbar an der Anlage anwesend sein können, um die Tests zu dokumentieren. Die im Raum bzw unmittelbar an der Anlage während der Laborprüfung anwesenden Personen seien gegebenenfalls entsprechend zu reduzieren. Sofern ein Bieter die Mindestanforderungen an die Laborprüfung nicht erfülle oder die von ihm im Angebot gemachten Angaben im Labor nicht nachweisen könne bzw eine Laborprüfung nicht möglich sei, könne der Bieter im weiteren Verfahren leider nicht mehr berücksichtigt werden.
Mit Schriftsatz vom 30.03.2020, beim Bundesverwaltungsgericht am selben Tag eingelangt, brachte die Antragstellerin den gegenständlichen Antrag auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung verbunden mit einem Nachprüfungsantrag gegen die Entscheidung des Auftraggebers gemäß Schreiben vom 20.03.2020, wonach der Labortest (i) bis spätestens 02.04.2020 und (ii) in Österreich durchzuführen ist, ein. Die Antragstellerin entrichtete Pauschalgebühren in entsprechender Höhe.
Der Labortest wurde im Übrigen, mit Ausnahme hinsichtlich der Antragstellerin, bereits durchgeführt.
Es wurde weder eine Ausscheidensentscheidung noch die Entscheidung, mit welchen Unternehmern die Rahmenvereinbarung abgeschlossen werden soll, bekanntgegeben, sohin wurde auch keine Rahmenvereinbarung abgeschlossen bzw kein Zuschlag erteilt. Es wurde weder eine Widerrufsentscheidung bekanntgegeben noch der Widerruf erklärt.
2. Rechtliche Beurteilung
Zu A)
2.1. Anzuwendendes Recht
Am 21.08.2018 ist das Bundesvergabegesetz 2018, BGBl I, Nr 65/2018 (BVergG 2018), in Kraft getreten. Das gegenständliche Vergabeverfahren wurde im Juli 2018, somit vor In-Kraft-Treten des BVergG 2018 eingeleitet. Das Nachprüfungsverfahren wurde im März 2020 beim Bundesverwaltungsgericht anhängig gemacht. Daraus folgt, dass gemäß § 376 Abs 4 BVergG 2018 materiellrechtlich die Bestimmungen des BVergG 2006 und formellrechtlich die Bestimmungen des BVergG 2018 zur Anwendung kommen.
2.2. Zuständigkeit des Bundesverwaltungsgerichts und Zulässigkeit des Antrages
Gemäß Art 135 Abs 1 B-VG iVm § 2 VwGVG und § 6 BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Gemäß § 328 Abs 1 BVergG 2018 entscheidet das Bundesverwaltungsgericht in den Angelegenheiten des § 327, soweit es sich nicht um die um die Entscheidung über einen Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe für die Einbringung eines Feststellungsantrags, die Entscheidung über einen Antrag auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung, die Entscheidung über den Gebührenersatz oder die Entscheidung über einen Verfahrenseinstellung nach Zurückziehung eines Nachprüfungs- oder Feststellungsantrages handelt, in Senaten. Vorliegend hat das Bundesverwaltungsgericht über die oben wiedergegebenen Anträge auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung zu entscheiden. Somit liegt gegenständlich Einzelrichterzuständigkeit vor.
Auftraggeberin im Sinne des § 2 Z 8 BVergG 2006 ist die ÖBB-Infrastruktur Aktiengesellschaft. Diese ist öffentliche Auftraggeberin gemäß § 3 Abs 1 Z 2 BVergG 2006. Sie übt eine Sektorentätigkeit gemäß § 69 Abs 1 BVergG 2006, nämlich den Betrieb von Verkehrsnetzen auf der Schiene, aus. Sie ist daher Sektorenauftraggeberin gemäß § 164 BVergG 2006. Beim gegenständlichen Auftrag handelt es sich um einen Dienstleistungsauftrag gemäß § 174 iVm § 6 BVergG 2006. Der geschätzte Auftragswert liegt entsprechend den Angaben der Auftraggeberin über dem relevanten Schwellenwert des § 180 Abs 1 Z 1 BVergG 2006, sodass ein Vergabeverfahren im Oberschwellenbereich vorliegt.
Der gegenständliche Beschaffungsvorgang liegt somit im sachlichen und persönlichen Geltungsbereich des BVergG 2006. Die allgemeine Zuständigkeit des Bundesverwaltungsgerichts zur Überprüfung des Vergabeverfahrens und zur Durchführung von Nachprüfungsverfahren entsprechend § 334 Abs 2 BVergG 2018 iVm Art 14b Abs 2 Z 1 B-VG ist sohin gegeben.
Schließlich geht das Bundesverwaltungsgericht davon aus, dass der Antragstellerin die Antragsvoraussetzungen nach § 350 BVergG 2018 nicht offensichtlich fehlen.
Im Ergebnis ist daher davon auszugehen, dass die Anträge auf Erlassung der begehrten einstweiligen Verfügung gemäß § 350 Abs 1 BVergG 2018 zulässig sind, wobei auch die Voraussetzungen des § 350 Abs 2 BVergG 2018 vorliegen. Die Pauschalgebühr wurde in entsprechender Höhe bezahlt (§ 318 Abs 1 Z 1 und 4 BVergG 2018 iVm §§ 1 und 2 Abs 2 BVwG-PauschGebV Vergabe). Der Nachprüfungsantrag richtet sich gegen eine gesondert anfechtbare Entscheidung gemäß § 2 Z 16 lit a sublit jj BVergG 2006 (sonstige Festlegung während der Verhandlungsphase).
2.3. Inhaltliche Beurteilung
Gemäß § 350 Abs 1 BVergG 2018 hat das Bundesverwaltungsgericht auf Antrag eines Unternehmers, dem die Antragsvoraussetzungen nach § 342 Abs 1 BVergG 2018 nicht offensichtlich fehlen, durch einstweilige Verfügung unverzüglich vorläufige Maßnahmen anzuordnen, die nötig und geeignet erscheinen, um eine durch die behauptete Rechtswidrigkeit einer gesondert anfechtbaren Entscheidung entstandene oder unmittelbar drohende Schädigung von Interessen des Antragstellers zu beseitigen oder zu verhindern.
Gemäß § 350 Abs 2 Z 5 BVergG 2018 hat der Antrag auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung die genaue Bezeichnung der begehrten vorläufigen Maßnahme zu enthalten.
Gemäß § 351 Abs 1 BVergG 2018 hat das Bundesverwaltungsgericht vor der Erlassung einer einstweiligen Verfügung die voraussehbaren Folgen der zu treffenden Maßnahme für alle möglicherweise geschädigten Interessen des Antragstellers, der sonstigen Bewerber oder Bieter und des Auftraggebers sowie ein allfälliges besonderes öffentliches Interesse an der Fortführung des Vergabeverfahrens gegeneinander abzuwägen. Ergibt diese Abwägung ein Überwiegen der nachteiligen Folgen einer einstweiligen Verfügung, ist der Antrag auf Erlassung der einstweiligen Verfügung abzuweisen.
Gemäß § 351 Abs 3 BVergG 2018 können mit einer einstweiligen Verfügung das gesamte Vergabeverfahren oder einzelne Entscheidungen des Auftraggebers bis zur Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes über eine allfällige Nichtigerklärung vorübergehend ausgesetzt oder sonstige geeignete Maßnahmen angeordnet werden. Dabei ist die jeweils gelindeste noch zum Ziel führende vorläufige Maßnahme zu verfügen.
Soweit sich das (Erst)Begehren der Antragstellerin auf das Aussetzen des gesamten Vergabeverfahrens richtet, ist dieses als überschießend abzuweisen. Dem Bundesverwaltungsgericht ist kein Grund bekannt und ist das Vorliegen eines solchen seitens der Antragstellerin auch nicht entsprechend vorgebracht worden, welcher es erfordern würde, der Auftraggeberin jedes Tätigwerden im Vergabeverfahren zu untersagen. Dabei ist vorliegend auch zu berücksichtigen, dass sich das Verfahren bereits im Stadium der Letztangebotsrunde befindet und die Antragstellerin als bislang nicht rechtskräftig ausgeschiedene Bieterin weiterhin am Verfahren zu beteiligen ist. Die beantragte Maßnahme stellt im Hinblick auf die mit einer einstweiligen Verfügung zu verfolgenden Ziele nicht das nötige und gelindeste Mittel gemäß §§ 350 Abs 1 und 351 Abs 3 BVergG 2018 dar. Die Handlungsfreiheit der Auftraggeberin wäre über Gebühr eingeschränkt. Denn dies würde im Ergebnis bedeuten, dass der Auftraggeberin jede Disposition im vorliegenden Vergabeverfahren, etwa auch eine Rücknahme bzw Abänderung der angefochtenen Entscheidung, unmöglich wäre (ua BVwG 21.02.2019, W139 2214380-1/2E mwN). Die Antragstellerin begehrt ausdrücklich und ausschließlich das Aussetzen des Vergabeverfahrens sowie die Untersagung des Ausscheidens der Antragstellerin und der Öffnung der Letztangebote, nicht aber die von ihr offenbar mit dem Aussetzen des Vergabeverfahrens (auch) verfolgte Verhinderung von Labortests mit anderen Bietern. Ein Umdeuten eines von vornherein verfehlten Begehrens kommt nicht in Frage, sodass auch keine andere, nicht ausdrücklich bezeichnete, Sicherungsmaßnahme zu verfügen war (siehe ua VwGH vom 22. März 2000, 2000/04/0033; VwGH vom 1. März 2004, 2004/04/0012, VwGH vom 17. November 2004, 2002/04/0176). Abgesehen davon ginge die Untersagung der Durchführung der Labortests, worauf die Auftraggeberin zu Recht verweist, ins Leere, zumal der betreffende Test im Übrigen, ausgenommen hinsichtlich der Antragstellerin, bereits vorgenommen wurde.
Gegenständlich kommt aber auch die weiters beantragte Untersagung des Ausscheidens der Antragstellerin nicht in Betracht. Hierzu ist auf den Zweck einer einstweiligen Verfügung zu verweisen, welcher darin liegt, zu verhindern, dass der Zweck eines Nachprüfungsverfahrens durch zwischenzeitige Handlungen des Auftraggebers unterlaufen wird. Es soll demnach das Vergabeverfahren bis zur Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes in der Hauptsache, nämlich über eine allfällige Nichtigerklärung einer rechtswidrigen Entscheidung eines Auftraggebers, in einem Stand gehalten werden, der die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes nicht ins Leere laufen und der die grundsätzliche Möglichkeit eines Rahmenvereinbarungsabschlusses mit der Antragstellerin im Rahmen eines vergaberechtskonformen Verfahrens wahrt (siehe zum Zweck einer einstweiligen Verfügung auch EBRV 69 BlgNr XXVI. GP 203; Kahl in Gast [Hrsg], BVergG-Leitsatzkommentar, E 1 und 2 zu § 350). Im vorliegenden Fall führt das Treffen einer Ausscheidensentscheidung allerdings nicht dazu, dass die Antragstellerin die Möglichkeit der Verfahrensteilnahme und des allfälligen Rahmenvereinbarungsabschlusses verlieren würde, sie insofern vor vollendete Tatsachen gestellt wäre und dass ihr demnach der von ihr im Verlust dieses „Auftrages“ aufgezeigte Schaden unmittelbar drohen würde. Vielmehr könnte sie eine allenfalls auf der Grundlage der angefochtenen Entscheidung ergehende Ausscheidensentscheidung wiederum anfechten, weswegen sich die begehrte Untersagung des Ausscheidens nicht als iSd § 350 Abs 1 BVergG 2018 geeignet und notwendig darstellt.
Soweit die Antragstellerin die Untersagung der Angebotsöffnung begehrt, ist auch diese Maßnahme nicht iSd § 350 Abs 1 BVergG 2018 geeignet und notwendig, um zu verhindern, dass die beantragte Nichtigerklärung der angefochtenen Entscheidung ins Leere läuft. Auch mit der Angebotsöffnung werden in der vorliegenden Konstellation keine vollendeten Tatsachen geschaffen, welche eine weitere vergaberechtskonforme Teilnahme der Antragstellerin am gegenständlichen Vergabeverfahren verhindern und somit den aufgezeigten drohenden Schaden für die Antragstellerin unmittelbar nach sich ziehen würden. Das Ermittlungsverfahren hat ergeben, dass die Laborprüfung ausschließlich bezüglich der Anforderungen aus dem jeweiligen Konformitätsnachweis (Compliance-Liste) der Bieter, welcher zuletzt Bestandteil des Zweitangebotes war, erfolgen würde. Die betreffenden zu prüfenden Anforderungen wurden den Bietern bereits am 17.02.2020 mitgeteilt und betreffen sohin keinesfalls Angebotsinhalte des nunmehr letzten (kommerziellen) Angebotes, weswegen die Labortests auch ohne Relevanz für die gegenständliche Angebotsrunde sind. Dies bedeutet sohin auch, dass der vom kommerziellen Letztangebot unabhängige Labortest grundsätzlich nachgeholt werden kann.
Schließlich kommt auch die begehrte Untersagung des Abschlusses der Rahmenvereinbarung im gegenwärtigen Verfahrensstadium, nämlich noch vor Treffen und Bekanntgabe der Entscheidung, mit welchem Unternehmer die Rahmenvereinbarung abgeschlossen werden soll, nach ständiger Rechtsprechung nicht in Betracht. Denn es mangelt diesbezüglich beim derzeitigen Stand des Vergabefahrens am Vorliegen einer im Abschluss der Rahmenvereinbarung mit einem anderen Bieter liegenden unmittelbar drohenden Schädigung von Interessen der Antragstellerin. Die Auftraggeberin ist nämlich gemäß § 197 Abs 3 BVergG 2006 verpflichtet, den nicht berücksichtigten Bietern, und damit auch der Antragstellerin, solange deren Angebot nicht ausgeschieden wurde bzw deren Angebot zwar ausgeschieden wurde, jedoch die Ausscheidensentscheidung noch nicht rechtskräftig geworden ist, den Namen des Unternehmers, mit dem die Rahmenvereinbarung abgeschlossen werden soll, nachweislich mitzuteilen. Diese Entscheidung kann sodann von der Antragstellerin angefochten werden (2 Z 16 lit a sublit jj BVergG 2006). Es steht somit ein unmittelbarer Abschluss der Rahmenvereinbarung nicht bevor, sodass insofern keine Gefährdung des Anspruches der Antragstellerin durch die Auftraggeberin droht (ua BVwG 21.02.2019, W139 2214380-1/2E).
Es waren daher sämtliche Anträge auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung spruchgemäß abzuweisen.
Zu B)
Gemäß § 25a Abs 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art 133 Abs 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt.
Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf die grundsätzliche Bedeutung einer zu lösenden Rechtsfrage vor. Dazu wird auf die unter 3. A) zitierte höchstgerichtliche Rechtsprechung verwiesen.
Schlagworte
Abschlussverbot Angebotsöffnung Ausscheiden eines Angebotes Ausscheidensentscheidung Bekanntgabepflicht Compliance Diskriminierungsverbot einstweilige Verfügung gelindeste Maßnahme gelindestes Mittel Informationspflicht Mitteilung Nachprüfungsantrag Nachprüfungsverfahren Provisorialverfahren Rahmenvereinbarung Schaden unmittelbar drohende Schädigung Untersagung VergabeverfahrenEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2020:W139.2230047.1.00Im RIS seit
24.02.2021Zuletzt aktualisiert am
24.02.2021