TE Vwgh Erkenntnis 1997/5/22 95/09/0310

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Veröffentlicht am 22.05.1997
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Index

40/01 Verwaltungsverfahren;
60/04 Arbeitsrecht allgemein;
62 Arbeitsmarktverwaltung;

Norm

AuslBG §15;
AVG §37;
AVG §45 Abs2;
AVG §46;
VStG §25 Abs2;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Fürnsinn und die Hofräte Dr. Blaschek und Dr. Rosenmayr als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Loibl, über die Beschwerde des S in W, vertreten durch Dr. L, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid der Landesgeschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Wien vom 13. Oktober 1995, Zl. 10/6704B/ABA 531.439, betreffend Nichtausstellung eines Befreiungsscheines nach dem Ausländerbeschäftigungsgesetz, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Das Arbeitsmarktservice hat der beschwerdeführenden Partei Aufwendungen in der Höhe von S 12.950,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Der am 5. Februar 1974 in Wien geborene Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger der "Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien", begehrte mit Antrag vom 16. August 1995 die Ausstellung eines Befreiungsscheines nach dem Ausländerbeschäftigungsgesetz (AuslBG). Er legte seinem Ansuchen unter anderem eine Meldebestätigung, ausgestellt vom Zentralmeldeamt (Bundespolizeidirektion Wien) am 7. Juni 1995, bei und beantragte zum Nachweis dafür, daß er sich über die aus der vorgelegten Meldebestätigung ersichtlichen Meldedaten hinaus (insbesondere vom 11. April 1978 bis 8. Juni 1979 und während der Schulferien der Jahre 1986 bis 1989) ständig in Wien bei seinen Eltern aufgehalten habe, die Einvernahme der in seinem Ansuchen angegebenen Zeugen.

Mit dem im Instanzenzug ergangenen, nunmehr angefochtenen Bescheid der belangten Behörde vom 13. Oktober 1995 wurde der Berufung des Beschwerdeführers gemäß § 66 Abs. 4 AVG in Verbindung mit § 15 Abs. 1 Z. 4 AuslBG keine Folge gegeben und damit die mit dem erstinstanzlichen Bescheid des Arbeitsmarktservice Angestellte Wien ausgesprochene Ablehnung der Ausstellung des beantragten Befreiungsscheines bestätigt. In der Begründung führte die belangte Behörde im wesentlichen aus, die vorgelegte Meldebestätigung sei lückenhaft. Der Beschwerdeführer habe zum Nachweis dafür, daß er sich auch während der Zeiten ohne Meldebestätigungen in Österreich aufgehalten habe, lediglich Zeugenaussagen (der Eltern und von Bekannten) angeboten. Diese (Zeugenaussagen) würden aber im Hinblick auf das Vorliegen von amtlichen Nachweisen, die "schwerer zu bewerten sind", nicht reichen. Aufgrund der vorgelegten Meldebestätigungen ergebe sich aber, daß der Beschwerdeführer sich bis zu seinem 19. Geburtstag weniger als die Hälfte seiner Lebenszeit im Bundesgebiet aufgehalten habe.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde.

Der Beschwerdeführer erachtet sich in dem Recht auf Erteilung eines Befreiungsscheines sowie "in meinen Rechten auf Einhaltung der verfahrensrechtlichen Bestimmungen" verletzt. Er beantragt die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z. 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

Der Beschwerdeführer macht im wesentlichen geltend, das Verfahren sei mangelhaft geblieben, da die belangte Behörde die angebotenen Zeugenbeweise nicht aufgenommen habe. Sie habe es unterlassen, entsprechende Erhebungen über seinen tatsächlichen Aufenthalt in Österreich anzustellen. Die von ihm angebotenen Beweise hätten keineswegs unterbleiben dürfen, da ein Meldezettel nicht das einzige zulässige Beweismittel darstelle.

Schon mit diesem Vorbringen ist der Beschwerdeführer im Recht.

Gemäß § 15 Abs. 1 AuslBG (in der Fassung BGBl. Nr. 475/1992) ist einem Ausländer auf Antrag ein Befreiungsschein auszustellen, wenn

...

3. der Ausländer das 19. Lebensjahr noch nicht vollendet hat (jugendlicher Ausländer) und sich wenigstens ein Elternteil mindestens fünf Jahre rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat, wenn

a) er sich mehr als die halbe Lebenszeit regelmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat oder

b) er seine Schulpflicht zumindest zur Hälfte im Bundesgebiet erfüllt und auch beendet hat, oder

4. der Ausländer das 19. Lebensjahr vollendet hat, die Voraussetzungen der Z. 3 bei Vollendung des 19. Lebensjahres erfüllt waren und er sich während der letzten fünf Jahre mindestens zweieinhalb Jahre im Bundesgebiet aufgehalten hat, oder ...

Die belangte Behörde räumt in ihrer Gegenschrift ein, daß sich der Beschwerdeführer - abweichend von der vorgelegten Meldebestätigung - (auch) in der Zeit zwischen seiner Geburt (5. Februar 1974) und der erstmaligen amtlichen Meldung (25. Februar 1974) tatsächlich in Wien aufgehalten hat. Im übrigen stützt sich die belangte Behörde aber ausschließlich auf die vorgelegte Meldebestätigung; die übrigen vom Beschwerdeführer angebotenen Beweise wurden nicht aufgenommen.

Gemäß § 45 Abs. 2 AVG hat die Behörde unter sorgfältiger Berücksichtigung der Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens nach freier Überzeugung zu beurteilen, ob eine Tatsache als erwiesen anzunehmen ist oder nicht. Als Beweismittel kommt gemäß § 46 AVG alles in Betracht, was zur Feststellung des maßgebenden Sachverhaltes geeignet und nach Lage des einzelnen Falles zweckdienlich ist.

Aus den dargestellten gesetzlichen Bestimmungen ist von der Unbeschränktheit und Gleichwertigkeit der Beweismittel auszugehen (vgl. auch Walter/Mayer, Verwaltungsverfahrensrecht, 6. Auflage, Rz 329, mwN). Eine Beweisregel dahingehend, daß ausschließlich Meldebestätigungen geeignet sein sollten, die Zeiten des tatsächlichen Aufenthaltes des Antragstellers im Bundesgebiet nachzuweisen, ist weder den Verwaltungsverfahrensgesetzen noch dem AuslBG (insbesondere auch nicht den Regelungen über den Befreiungsschein) zu entnehmen. Der Antragsteller war demnach auch in einem Verfahren auf Ausstellung eines Befreiungsscheines nicht gehalten, das Tatbestandsmerkmal seines tatsächlichen Aufenthaltes im Bundesgebiet ausschließlich durch Vorlage amtlicher Meldebestätigungen nachzuweisen. Die vom Antragsteller im Rahmen seiner Mitwirkungspflicht zum Nachweis seines tatsächlichen Aufenthaltes im Bundesgebiet angebotenen Beweismittel (Befragung von Zeugen) waren somit weder unzulässig noch erkennbar ungeeignet (vgl. zum Beweiswert der Meldedaten auch die hg. Erkenntnisse vom 13. September 1983, Zl. 81/05/0159, vom 3. Juni 1993, Zl. 93/18/0154, und vom 4. Juli 1995, Zl. 93/08/0133).

Wie der Verwaltungsgerichtshof in ständiger Rechtsprechung ausgesprochen hat, setzt die Wertung eines Beweises auf seine Glaubwürdigkeit hin die Aufnahme des Beweises voraus. Eine antizipative Beweiswürdigung ist den Verwaltungsverfahrensgesetzen fremd. Nur dann, wenn ein Beweismitel objektiv gesehen nicht geeignet ist, über den maßgebenden Sachverhalt einen Beweis zu liefern, darf die Behörde die Durchführung dieses Beweises ablehnen (vgl. hiezu die hg. Erkenntnisse vom 8. März 1949, Slg. NF Nr. 726/A, vom 9. Juni 1950, Slg. NF Nr. 1.497/A, und vom 31. März 1993, Zl. 92/02/0330).

Die belangte Behörde vermag stichhältige Gründe dafür, warum die Aufnahme der vom Antragsteller angebotenen Zeugenbeweise entbehrlich oder diese objektiv ungeeignet gewesen sein sollten, nicht darzulegen. In dieser Hinsicht ist dem angefochtenen Bescheid lediglich die (ohne Aufnahme der angebotenen Beweise und damit) antizipative Würdigung zu entnehmen, wonach die amtlichen Nachweise "schwerer zu bewerten sind". Eine derartige "Wertung" hätte freilich eine Aufnahme sämtlicher Beweise vorausgesetzt, die aber unterblieben ist. Die "freie Beweiswürdigung" darf erst nach vollständiger Beweiserhebung vorgenommen werden, ermächtigt die Behörde aber nicht dazu, den Wert eines Beweises abstrakt und im vorhinein zu beurteilen. Die belangte Behörde hat in diesem Zusammenhang zudem außer Acht gelassen, daß es zulässig war, die Richtigkeit bzw. Vollständigkeit der Meldebestätigungen durch entsprechende Gegenbeweise zu entkräften oder zu ergänzen. Auch einen derartigen Gegenbeweis hat die belangte Behörde abgelehnt bzw. dem Antragsteller verwehrt.

Aufgrund des demnach unvollständig ermittelten und festgestellten Sachverhaltes ist der Verwaltungsgerichtshof an der nachprüfenden Kontrolle bzw. Beurteilung der erheblichen Rechtsfrage gehindert, ob der Antragsteller das (von der belangten Behörde verneinte) Tatbestandsmerkmal im Sinne von § 15 Abs. 1 Z. 4 AuslBG nachzuweisen bzw. zu erfüllen vermag. Die belangte Behörde hat aus den dargelegten Gründen somit Verfahrensvorschriften verletzt, bei deren Einhaltung sie zu einem anderen Bescheid hätte kommen können. Ferner bedarf der Sachverhalt in wesentlichen Punkten einer Ergänzung. Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit § 41 Abs. 1 AMSG und der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994. Die Abweisung des Mehrbegehrens betrifft nicht erforderlichen (und auch nicht im Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof entrichteten) Stempelgebührenaufwand und die bereits im Pauschalbetrag für den Schriftsatzwand enthaltene (aber zusätzlich verzeichnete) Umsatzsteuer.

Schlagworte

Grundsatz der Gleichwertigkeit Sachverhalt Sachverhaltsfeststellung Freie Beweiswürdigung Vorweggenommene antizipative Beweiswürdigung Grundsatz der Unbeschränktheit freie Beweiswürdigung Beweiswürdigung antizipative vorweggenommene Begründungspflicht Manuduktionspflicht Mitwirkungspflicht Beweismittel Zeugenbeweis Beweismittel Auskünfte Bestätigungen Stellungnahmen Ablehnung eines Beweismittels

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1997:1995090310.X00

Im RIS seit

20.11.2000

Zuletzt aktualisiert am

05.10.2008
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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