Entscheidungsdatum
15.09.2020Norm
AsylG 2005 §10Spruch
L504 2207666-3/7E
BESCHLUSS
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. R. ENGEL über den Antrag von XXXX alias XXXX , geb. XXXX , StA. staatenlos alias Belgien, auf Wiederaufnahme des mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 13.03.2019, Zl. XXXX , rechtskräftig abgeschlossenen Verfahrens beschlossen:
A)
Der Antrag auf Wiederaufnahme wird gemäß § 32 Abs 2 VwGVG zurückgewiesen.
B)
Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Begründung:
I. Verfahrenshergang
1. Die wiederaufnahmewerbende Partei (wP) stellte – nachdem sie unter Verwendung eines gestohlenen belgischen Personalausweises in das Bundesgebiet einreiste – am 07.08.2016 einen Antrag auf internationalen Schutz.
Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 17.09.2018, wurde der Antrag auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 3 Z. 2 iVm § 6 Abs. 1 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.) sowie bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Palästinensische Gebiete (Gaza) gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z. 13 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Gemäß § 10 Abs. 1 Z. 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG wurde gegen wP eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z. 2 FPG 2005 erlassen (Spruchpunkt IV.) und gemäß § 52 Abs. 9 FPG 2005 unter einem festgestellt, dass die Abschiebung in die Palästinensischen Gebiete (Gaza) gemäß § 46 FPG 2005 zulässig sei (Spruchpunkt V.). Gemäß § 53 Abs. 1 und Abs. 2 Z. 1 FPG 2005 wurde außerdem wider die antragstellende Partei ein auf die Dauer von zwei Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen (Spruchpunkt VI.) sowie einer Beschwerde gemäß § 18 Abs. 1 Z. 2 BFA-VG die aufschiebende Wirkung aberkannt (Spruchpunkt VII.) und schließlich gemäß § 55 Abs. 1a FPG 2005 ausgesprochen, dass keine Frist für die freiwillige Ausreise bestehe (Spruchpunkt VIII.).
Dagegen hat die wP durch ihre gewillkürte Vertretung (ARGE Rechtsberatung) am 09.10.2018 Beschwerde erhoben. Einwendungen gegen die Richtigkeit und Vollständigkeit der Einvernahmen bzw. Niederschriften, die Zweifel am vollen Beweis iSd § 15 AVG aufkommen hätten lassen, erfolgten dabei nicht.
2. Das BVwG hat den Bescheid mit Beschluss vom 18.10.2018 mangels Aktualität der Länderfeststellungen gem. § 28 Abs 3 VwGVG an das Bundesamt zurückverwiesen.
Am 13.12.2018 hat das Bundesamt die wP in Anwesenheit ihrer gewillkürten Vertretung vom MigrantInnenverein St. Marx ergänzend einvernommen. Darin gefragt, ob alle bisherigen Einvernahmen korrekt protokolliert wurden bzw. ob sie etwas korrigieren oder richtigstellen wolle, gab sie an, dass es „einige Übersetzungsfehler“ gebe. Konkret führte sie aus, als sie aus dem Gefängnis gekommen ist, habe es Gefechte zwischen Hamas und Israel gegeben und durch die Bombardierung wurden die Gefängnistore aufgemacht. Sie habe mit dem Onkel mütterlicherseits kooperieren wollen, weil ihre Überzeugung gegen die von der Hamas sei. Nach erfolgter Rückübersetzung ist eine „Klarstellung“ der wP vermerkt, wonach der Onkel mütterlicherseits namens XXXX Angestellter beim Palästinensischen Geheimdienst in Ramallah sei.
3. Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 21.12.2018, Zl. 1125591201-161091675, wurde nach Verfahrensergänzung der Antrag auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 3 Z. 2 iVm § 6 Abs. 1 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.) sowie bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Palästinensische Gebiete (Gaza) gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z. 13 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Gemäß § 10 Abs. 1 Z. 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG wurde gegen wP eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z. 2 FPG 2005 erlassen (Spruchpunkt IV.) und gemäß § 52 Abs. 9 FPG 2005 unter einem festgestellt, dass die Abschiebung in die Palästinensischen Gebiete (Gaza) gemäß § 46 FPG 2005 zulässig sei (Spruchpunkt V.). Gemäß § 53 Abs. 1 und Abs. 2 Z. 1 FPG 2005 wurde außerdem wider die antragstellende Partei ein auf die Dauer von zwei Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen (Spruchpunkt VI.) sowie einer Beschwerde gemäß § 18 Abs. 1 Z. 2 BFA-VG die aufschiebende Wirkung aberkannt (Spruchpunkt VII.) und schließlich gemäß § 55 Abs. 1a FPG 2005 ausgesprochen, dass keine Frist für die freiwillige Ausreise bestehe (Spruchpunkt VIII.).
Die wP erhob dagegen – vertreten durch den MigrantInnenverein St. Marx als gewillkürte Vertretung – Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht. Einwendungen, die den vollen Beweis der aufgenommenen Niederschriften iSd § 15 AVG in Zweifel ziehen ließen, wurden darin nicht getätigt. Mit Erkenntnis vom 13.03.2019, XXXX , wurde die Beschwerde als unbegründet abwies.
4. In weiterer Folge erhob sie – nunmehr durch eine auf Asyl- und Fremdenrecht spezialisierte Rechtsanwältin vertretene – zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, der die Behandlung der Beschwerde mit Beschluss vom 11.06.2019, E 1526/2019-7, ablehnte und die Beschwerde über nachträglichen Antrag dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abtrat.
5. Die am 04.09.2019 erhobene außerordentliche Revision wurde mit Beschluss des Verwaltungsgerichtshofes vom 26.05.2020, Ra 2019/20/0468-10, zurückgewiesen.
6. Die wP verblieb in der Folge im Bundesgebiet, ihr Aufenthalt ist in Anbetracht der im Instanzenzug ergangenen rechtskräftigen Rückkehrentscheidung vom 13.03.2019 nicht rechtmäßig. Derzeit lebt sie in einer Unterkunft für Asylwerber in Wien. Das Land Wien gewährt der nicht rechtmäßig aufhältigen Fremden – ungeachtet der rechtskräftigen Rückkehrentscheidung und des rechtskräftigen Einreiseverbotes – weiterhin Leistungen der Grundversorgung.
7. Mit Schriftsatz vom 15.07.2020 beantragte die wP mit Unterstützung des „Caritas Asylzentrum“ die Wiederaufnahme des mit Erkenntnis vom 13.03.2019, XXXX , rechtskräftig abgeschlossenen Beschwerdeverfahrens gemäß § 32 Abs. 1 Z. 1 und Abs. 2 VwGVG.
Begründend brachte sie dazu im Wesentlichen vor, die anlässlich der Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl angefertigten Niederschriften vom 16.08.2017 sowie vom 04.09.2018 - die auch im Erkenntnis des BVwG vom 13.03.2019 schon gegenständlich waren und wiedergegeben werden – wesentliche Passagen in den Protokollen nicht den tatsächlichen Verlauf dieser Einvernahmen wiedergeben, weil „durch tatsächlich nie bzw. jedenfalls nicht in dieser Form gestellte Fragen und Vorhalte, die in den Jahren 2017/2018 offenbar systematisch vom Team 2 der BFA-Außenstelle Wien verwendet wurden bzw. sich standardmäßig in den von diesem Team herangezogenen Protokollsvorlagen befunden haben, der unzutreffende Eindruck erweckt werde, dass die wP zu wesentlichen Elementen der Fluchtgründe lediglich oberflächliche Angaben gemacht bzw. unvollständige Antworten gegeben hätte“. Die Protokollierung von nicht bzw. nicht in dieser Form gestellten Fragen erfülle zumindest objektiv den Tatbestand des § 311 StGB und allenfalls sogar bei entsprechendem Schädigungsvorsatz den Tatbestand nach §§ 15 und 302 Abs. 1 StGB, sodass der Wiederaufnahmegrund des § 32 Abs. 1 Z. 1 VwGVG verwirklicht sei.
Die wP sei von der Caritas „am heutigen Tage“ im Zuge eines Beratungsgesprächs bei der Caritas darauf aufmerksam gemacht worden. Sie sei der deutschen Sprache nach wie vor nicht mächtig und seien die Einvernahmeprotokolle vom 16.08.2017 und 04.09.2018 „primär ihre Angaben übersetzt worden aber die Fragen und Vorhalte bestenfalls bloß kursorisch“. Daher sei ihr der Umstand, dass in den Protokollen die obzitierten Fragen und Vorhalte enthalten sind, bis zum heutigen Tag nicht bekannt. Ebenso nicht, dass es sich hierbei offenbar um systematisch bzw. standardmäßige verwendete Fragen und Vorhalte mit einem tendenziösen und für das Verfahren nachteiligen Impetus handle. Wären ihr bzw. ihrer früheren Rechtsvertretung diese Umstände bereits anlässlich der Beschwerdeerhebung oder auch noch vor der Erlassung des Erkenntnisses vom 13.03.2019 zur Kenntnis gelangt, so hätte dies im Beschwerdeverfahren entsprechend geltend gemacht werden können. Ohne ihr Verschulden sei ihr dies alles erst am heutigen Tag zur Kenntnis gelangt.
Dass die wP bei der Polizei oder Staatsanwaltschaft Anzeige erstattet hatte, wurde im Wiederaufnahmeantrag weder belegt noch behauptet.
Unter einem beantragt die wP die Erlassung einer einstweiligen Anordnung, wonach gemäß § 78 Abs. 3 StPO sowie Art. 19 Abs. 2 und 47 GRC bis zur Entscheidung über den Wiederaufnahmeantrag die Durchsetzung der Aufenthaltsbeendigung untersagt werde. Zur Begründung wird zunächst das Vorbringen zum Wiederaufnahmeantrag widerholt und schließlich vorgebracht, dass bei Wahrunterstellung des Vorbringens der wP die Ermordung bzw. die Folter drohen würde, da sie ihren Onkel bei geheimdienstlichen Aktivitäten gegen die Hamas unterstützt habe und sie deshalb von Hinrichtung bedroht sei. Die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes sei geboten, da der wP nach erfolgloser Ausschöpfung aller Rechtsmittel die Abschiebung drohen würde und „erhebliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Erkenntnisses vom 13.03.2019“ bestünden.
8. Mit Beschluss des Bundesverwaltungsgerichtes vom 18.07.2020, L504 2207666-3/3Z wurde dem Antrag auf Erlassung einer einstweiligen Anordnung nicht stattgegeben.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
Das BVwG hat zentral durch den Inhalt des übermittelten Verwaltungsaktes der belangten Behörde sowie durch das ergänzende Ermittlungsverfahren Beweis erhoben. Der maßgebliche Sachverhalt ergibt sich dadurch zweifelsfrei.
1. Feststellungen (Sachverhalt)
Das bezughabende Verfahren des BVwG Zl. XXXX , wurde durch Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 13. März 2019 rechtskräftig abgeschlossen und hielt auch einer Überprüfung durch den Verfassungsgerichtshof und Verwaltungsgerichtshof stand.
Das BVwG hat in dieser Entscheidung den gesamten Akteninhalt des Bundesamtes sowie den Inhalt der Beschwerde berücksichtigt.
Der wP wurden die Protokolle der am 08.08.2016 erfolgten Erstbefragung sowie die Niederschriften über die Einvernahmen am 16.08.2017, 04.09.2018 und 13.12.2018 nach deren Durchführung rückübersetzt und ihr jeweils die Möglichkeit zur Korrektur bzw. Richtigstellung gewährt. Der Inhalt und die Richtigkeit der Protokolle wurde durch die wP mit ihrer Unterschrift bestätigt und wurde Gegenteiliges auch nicht in der Beschwerde der vertretenen wP gerügt. Die Niederschriften bilden daher vollen Beweis iSd § 15 AVG.
Die wP brachte am 15.07.2020 gegenständlichen Wiederaufnahmeantrag ein.
2. Beweiswürdigung
Der für diese Entscheidung maßgebliche Sachverhalt ergibt sich aus der Aktenlage des Bundesamtes und des BVwG sowie dem Inhalt des Wiederaufnahmeantrages.
Der Behauptung der wiederaufnahmewerbenden Partei im Wiederaufnahmeantrag, dass die Einvernahmeprotokolle vom 16.08.2017 und 04.09.2018 nie bzw. nicht in der dieser Form gestellte Fragen und Vorhalte der Behörde enthalte, kann seitens des BVwG aus nachfolgenden Gründen nicht gefolgt werden:
Aus dem Inhalt der bislang im Verfahren im Nachhinein im Wesentlichen unbeanstandet gebliebenen Niederschriften ergibt sich für das BVwG zweifelsfrei, dass alle Protokolle der Einvernahmen der wP durch das BFA am Ende der Einvernahme rückübersetzt wurden und ihr ausdrücklich die Möglichkeit zur Kontrolle sowie Richtigstellung gewährt wurde, wovon sie etwa anlässlich der Rückübersetzung der Niederschrift vom 13.12.2018 auch nachweislich Gebrauch machte. Sie bestätigte bei allen Niederschriften am Ende die Richtigkeit der Inhalte durch ihre Unterschrift.
Die im Asylverfahren vertretene wP brachte im Verfahren vor dem Bundesamt und in der Beschwerde an das BVwG, trotz Kenntnis des Inhaltes, zu keinem Zeitpunkt vor, dass in den Protokollen vermerkte Fragen oder Vorhalte nie bzw. nicht in dieser Form gestellt worden seien. Erstmals behauptete sie dies – mit Unterstützung der Caritas - im Wiederaufnahmeantrag.
Ihre Antwort auf die Frage, dass einige Übersetzungsfehler vorliegen würden, lassen deutlich darauf schließen, dass der vertretenen wP die Inhalte der vorherigen Protokolle vom 16.08.2017 und 04.09.2018 durchaus bekannt waren und ihr auch im Nachhinein nochmals übersetzt worden waren, da sie ansonsten auch keine „Übersetzungsfehler“ in diesem hätte monieren können.
Dies sorgt dafür, dass die Behauptung, sie sei erst bei dem Beratungsgespräch am 15.07.2020 auf den Umstand aufmerksam geworden, dass die Einvernahmeprotokolle nicht den richtigen Verlauf wiederspiegelten und nie bzw. nicht in dieser Form gestellte Fragen und Vorhalte beinhalte, nicht nachvollziehbar ist.
Dieser Vorwurf im Wiederaufnahmeantrag ist zudem äußerst unkonkret, spekulativ und damit ohne hinreichende Substanz, wenn argumentiert wird, dass die Fragen und Vorhalte „bestenfalls bloß kursorisch“ übersetzt worden seien.
3. Rechtliche Beurteilung
§ 32. (1) Dem Antrag einer Partei auf Wiederaufnahme eines durch Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes abgeschlossenen Verfahrens ist stattzugeben, wenn
1. das Erkenntnis durch Fälschung einer Urkunde, falsches Zeugnis oder eine andere gerichtlich strafbare Handlung herbeigeführt oder sonstwie erschlichen worden ist oder
2. neue Tatsachen oder Beweismittel hervorkommen, die im Verfahren ohne Verschulden der Partei nicht geltend gemacht werden konnten und allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens voraussichtlich ein im Hauptinhalt des Spruchs anders lautendes Erkenntnis herbeigeführt hätten, oder
3. […]
4. […]
(2) Der Antrag auf Wiederaufnahme ist binnen zwei Wochen beim Verwaltungsgericht einzubringen. Die Frist beginnt mit dem Zeitpunkt, in dem der Antragsteller von dem Wiederaufnahmegrund Kenntnis erlangt hat, wenn dies jedoch nach der Verkündung des mündlichen Erkenntnisses und vor Zustellung der schriftlichen Ausfertigung geschehen ist, erst mit diesem Zeitpunkt. Nach Ablauf von drei Jahren nach Erlassung des Erkenntnisses kann der Antrag auf Wiederaufnahme nicht mehr gestellt werden. Die Umstände, aus welchen sich die Einhaltung der gesetzlichen Frist ergibt, sind vom Antragsteller glaubhaft zu machen.
(3) Unter den Voraussetzungen des Abs. 1 kann die Wiederaufnahme des Verfahrens auch von Amts wegen verfügt werden. Nach Ablauf von drei Jahren nach Erlassung des Erkenntnisses kann die Wiederaufnahme auch von Amts wegen nur mehr aus den Gründen des Abs. 1 Z 1 stattfinden.
(4) Das Verwaltungsgericht hat die Parteien des abgeschlossenen Verfahrens von der Wiederaufnahme des Verfahrens unverzüglich in Kenntnis zu setzen.
(5) Auf die Beschlüsse des Verwaltungsgerichtes sind die für seine Erkenntnisse geltenden Bestimmungen dieses Paragraphen sinngemäß anzuwenden. Dies gilt nicht für verfahrensleitende Beschlüsse.
Wie die Materialien zum VwGVG 2014 (RV 2009 Blg NR 24. GP, 7) erkennen lassen, sind die Wiederaufnahmegründe des § 32 Abs. 1 VwGVG 2014 denjenigen des § 69 Abs. 1 AVG nachgebildet. Auf das bisherige Verständnis dieser Wiederaufnahmsgründe kann folglich zurückgegriffen werden (VwGH 28.06.2016, Ra 2015/10/0136).
Der gegenständliche Antrag zielt darauf ab, das mit oa. Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes rechtskräftig abgeschlossene vorangegangene Verfahren des Wiederaufnahmewerbers aufgrund einer behaupteten gerichtlich strafbaren Handlung - § 311 StGB bzw. mit entsprechender Schädigungsabsicht §§ 15, 302 StGB – und aufgrund neuer Tatsachen, beziehungsweise Beweismittel im Sinne des § 32 Abs. 1 Z 2 VwGVG wieder aufzunehmen.
Den gegenständlichen Wiederaufnahmeantrag stützt die wP die Wiederaufnahmegründe des § 32 Abs. 1 Z 1 und Z 2 VwGVG.
Der Verwaltungsgerichtshof hielt in seinem Erkenntnis vom 31.08.2015, Ro 2015/11/0012, unter Verweis auf die Materialien zu § 32 VwGVG fest, dass die Wiederaufnahmegründe des § 32 Abs. 1 VwGVG denjenigen des § 69 Abs. 1 AVG nachgebildet seien und daher auf das bisherige Verständnis dieser Wiederaufnahmegründe zurückgegriffen werden könne.
Grund für eine Wiederaufnahme des Verfahrens kann nach § 69 Abs. 1 Z 1 AVG sein, dass die Entscheidung durch Fälschung einer Urkunde, falsches Zeugnis oder eine andere gerichtlich strafbare Handlung herbeigeführt wurde. Das Gesetz verlangt nur, dass die Entscheidung durch die strafbare Handlung herbeigeführt worden ist, und nicht, dass die Straftat von der betroffenen Partei gesetzt wurde. Wer die strafbare Handlung begangen hat, ist für die Wiederaufnahme des Verfahrens ohne Bedeutung. Der Wiederaufnahmegrund liegt folglich auch vor, wenn die gerichtlich strafbare Handlung von der Behörde selbst (etwa durch Amtsmissbrauch, falsche Beurkundung oder Beglaubigung im Amt etc. [vgl. VwSlg 9219 A/1977], aber auch durch Nötigung, gefährliche Drohung, Täuschung) oder einem Dritten verübt wurde (vgl. Hengstschläger/Leeb § 69 AVG Rz 9).
Für den Wiederaufnahmegrund des § 32 Abs. 1 Z 2 VwGVG muss es sich um Tatsachen und Beweismittel handeln, die beim Abschluss des wiederaufzunehmenden Verfahrens schon vorhanden waren, deren Verwertung der Partei aber ohne ihr Verschulden erst nachträglich möglich wurde ("nova reperta"), nicht aber um erst nach Abschluss des seinerzeitigen Verfahrens neu entstandene Tatsachen und Beweismittel ("nova producta" bzw. "nova causa superveniens"). Nach § 32 Abs. 1 Z 2 VwGVG 2014 rechtfertigen neu hervorgekommene Tatsachen und Beweismittel (also solche, die bereits zur Zeit des früheren Verfahrens bestanden haben, aber erst später bekannt wurden) - bei Vorliegen der übrigen Voraussetzungen - eine Wiederaufnahme des Verfahrens, wenn sie die Richtigkeit des angenommenen Sachverhalts in einem wesentlichen Punkt als zweifelhaft erscheinen lassen; gleiches gilt für neu entstandene Beweismittel, sofern sie sich auf "alte" - d.h. nicht erst nach Abschluss des wiederaufzunehmenden Verfahrens entstandene - Tatsachen beziehen (18.01.2017, Ra 2016/18/0197 ).
Neu entstandene Tatsachen, also Änderungen des Sachverhalts nach Abschluss des Verfahrens, erübrigen eine Wiederaufnahme des Verfahrens, weil in diesem Fall einem Antrag auf der Basis des geänderten Sachverhaltes die Rechtskraft des bereits erlassenen Bescheides nicht entgegensteht. Bei Sachverhaltsänderungen, die nach der Entscheidung über einen Asylantrag eingetreten sind, ist kein Antrag auf Wiederaufnahme, sondern ein neuer Antrag (auf internationalen Schutz) zu stellen (vgl. dazu VwGH 17.02.2006, 2006/18/0031; 07.04.2000, 96/19/2240, 20.06.2001, 95/08/0036; 18.12.1996, 95/20/0672; 25. 11. 1994, 94/19/0145; 25.10.1994, 93/08/0123; 19.02.1992, 90/12/0224 u.a.).
Das Hervorkommen neuer Tatsachen und Beweise allein genügt nicht, um das Verfahren wieder aufzunehmen. Es handelt sich bei diesem "Neuerungstatbestand" nämlich um einen relativen Wiederaufnahmegrund und ist für eine Wiederaufnahme weiters erforderlich, dass die neuen Tatsachen und Beweise voraussichtlich auch zu einem anderen Verfahrensergebnis führen würden (vgl. VwGH 14.06.1993, 91/10/0107; 27.09.1994, 92/070074; 22.02.2001, 2000/04/0195). Ob diese Eignung vorliegt, ist eine Rechtsfrage, die im Wiederaufnahmeverfahren zu beantworten ist; ob tatsächlich ein anderes Ergebnis des Verfahrens zustande kommt, ist sodann eine Frage, die im wiederaufgenommenen Verfahren zu klären ist (vgl. VwGH vom 19. April 2007, 2004/09/0159).
Tauglich ist ein Beweismittel als Wiederaufnahmegrund (ungeachtet des Erfordernisses der Neuheit) also nur dann, wenn es nach seinem objektiven Inhalt und unvorgreiflich der Bewertung seiner Glaubwürdigkeit die abstrakte Eignung besitzt, jene Tatsachen in Zweifel zu ziehen, auf welche das BVwG entweder die den Gegenstand des Wiederaufnahmeverfahrens bildende Entscheidung oder zumindest die zum Ergebnis dieser Entscheidung führende Beweiswürdigung tragend gestützt hat (vgl. VwGH vom 18.01.2017, Ra 2016/18/0197).
Die Wiederaufnahme eines Verfahrens dient jedenfalls nicht dazu, Versäumnisse während eines Verwaltungsverfahrens zu sanieren (VwGH 27.07.2001, Zl. 2001/07/0017; 22.12.2005, Zl. 2004/07/0209).
Fallbezogen ergibt sich somit Folgendes:
Der Antrag auf Wiederaufnahme ist binnen zwei Wochen beim Verwaltungsgericht einzubringen. Die Frist beginnt mit dem Zeitpunkt, in dem der Antragsteller von dem Wiederaufnahmegrund Kenntnis erlangt hat, wenn dies jedoch nach der Verkündung des mündlichen Erkenntnis und vor Zustellung der schriftlichen Ausfertigung geschehen ist, erst mit diesem Zeitpunkt. Nach Ablauf von drei Jahren nach Erlassung des Erkenntnis kann der Antrag auf Wiederaufnahme nicht mehr gestellt werden. Die Umstände, aus welchen sich die Einhaltung der gesetzlichen Frist ergibt, sind vom Antragsteller glaubhaft zu machen.
Entscheidend ist die Kenntnis von einem Sachverhalt, nicht aber die rechtliche Wertung dieses Sachverhalts. Für den Fristenlauf ist daher nicht maßgebend, ob dem Antragsteller die mögliche Qualifizierung eines Sachverhalts als Wiederaufnahmegrund bewusst ist (VwGH 22.10.2019, Ra 2019/10/0154).
Wie sich aus der Aktenlage und obigen Ausführungen ergibt, stellen die aufgenommenen Niederschriften, die der wP auch rückübersetzt wurden und ihr dabei auch die Möglichkeit der Korrektur eingeräumt wurde, vollen Beweis iSd § 15 AVG dar. Dies auch schon in der vorangegangenen Entscheidung des BVwG, mit der die Beschwerde rechtskräftig abgewiesen wurde und diese Entscheidung auch von den beiden Höchstgerichten nicht beanstandet wurde.
Eine derartige Beanstandung ihrer Niederschriften vor dem Bundesamt, wie nun im Wiederaufnahmeantrag, erfolgte auch nicht in der Beschwerde an das BVwG, die zudem mit Hilfe ihrer Vertretung eingebracht wurde.
Somit steht für das BVwG unzweifelhaft fest, dass die bP bereits seit ihrer jeweiligen Unterfertigung der Niederschriften, spätestens am 13.12.2018, von jenem Sachverhalt bzw. von jenen Beanstandungen zu ihren Niederschriften, von denen sie behauptetermaßen lt. Wiederaufnahmeantrag erst am 15.07.2020 durch die Caritas Kenntnis erlangt haben will, bereits Kenntnis hatte. Die zweiwöchige Frist für die Stellung eines Wiederaufnahmeantrages war somit am 15.07.2020 jedenfalls bereits abgelaufen.
Hinsichtlich der von der wP behaupteten und nicht nachvollziehbaren strafrechtlichen Relevanz ist im Einklang mit der Judikatur des VwGH anzumerken, dass für den Fristenlauf nicht die rechtliche Wertung des Sachverhaltes maßgeblich ist, sondern der Zeitpunkt der Kenntnis vom Sachverhalt. Da die bP, wie bereits oben ausgeführt, schon nach der jeweiligen Unterfertigung der Niederschriften, zuletzt am 13.12.2018, Kenntnis über den Sachverhalt bzw. Inhalt derselben hatte, ist auch hinsichtlich der Z1 leg cit die zweiwöchige Frist zur Erhebung des Wiederaufnahmeantrages bereits abgelaufen.
Abgesehen davon, vermag das BVwG mangels Substanz der Behauptung im konkreten Fall hier keinen derartigen Verdacht einer Straftat erkennen und hat die wP auch selbst offenbar weder bei der Polizei noch bei der Staatsanwaltschaft Anzeige erstattet.
Ob es sich bei den geltend gemachten Gründen tatsächlich um geeignete Wiederaufnahmegründe iSd § 32 VwGVG handelt und die sonstigen Voraussetzungen gegeben sind, bedarf auf Grund der verspäteten Antragstellung und damit wegen der Unzulässigkeit des Antrages keiner Beurteilung mehr.
Absehen von der Verhandlung:
Eine Verhandlung konnte gem. § 24 Abs 4 VwGVG entfallen. Der maßgebliche Sachverhalt ergibt sich im Wesentlichen aus den eigenen Angaben der bP. Die wiederaufnahmewerbende Partei hat zudem auch gar keine Verhandlung beantragt.
Zu B) Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung, weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.
Schlagworte
Fristablauf Verspätung Wiederaufnahme ZurückweisungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2020:L504.2207666.3.01Im RIS seit
24.02.2021Zuletzt aktualisiert am
24.02.2021