Entscheidungsdatum
15.09.2020Norm
AsylG 2005 §3Spruch
I422 2214121-2/2E
BESCHLUSS
Das Bundesverwaltungsgericht beschließt durch den Richter Mag. Thomas BURGSCHWAIGER als Einzelrichter über den Antrag des XXXX (alias XXXX ), geb. XXXX , StA. Irak, auf Wiederaufnahme des mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 29.02.2020, Zl. I422 2214121-1/10E, rechtskräftig abgeschlossenen Asylverfahrens:
A)
Der Antrag auf Wiederaufnahme des mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 29.02.2020, Zl. I422 2214121-1/10E, abgeschlossenen Asylverfahrens wird gemäß § 32 Abs. 1 Z 2 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG) abgewiesen.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Begründung:
I. Verfahrensgang:
1. Der Wiederaufnahmewerber stellte nach illegaler Einreise in das Bundesgebiet am 11.02.2016 einen Antrag auf internationalen Schutz. Zu seinen Fluchtgründen gab er dabei auf das Wesentlichste zusammengefasst an, dass er von IS Kämpfern und anderen internen Gruppen habe getötet werden sollen. Im Rahmen der niederschriftlichen Einvernahme durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl am 10.04.2018 ergänzte der Wiederaufnahmewerber sein Vorbringen dahingehend, dass er aufgrund der früheren Mitgliedschaft seines Vaters in der Baath Partei von der Al Badr Miliz gesucht werde und deshalb den Irak verlassen habe.
2. Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 02.01.2019 wurde über den Antrag auf internationalen Schutz des Wiederaufnahmewerbers negativ entschieden. Die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde wurde mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 29.02.2020, Zl. I422 2214121-1/10E, nach Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung als unbegründet abgewiesen. Zudem sprach das Bundesverwaltungsgericht aus, dass die Revision gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig ist. Dieses Erkenntnis begründete das Bundesverwaltungsgericht zusammengefasst damit, dass der Beschwerdeführer keine wohlbegründete Furcht vor Verfolgung iSd Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) glaubhaft machen konnte.
3. Die Behandlung der gegen dieses Erkenntnis gerichteten Beschwerde wegen Verletzung in den verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander sowie gemäß Art. 3 und 8 EMRK lehnte der Verfassungsgerichtshof mit Beschluss vom 26.06.2020, E 1693/2020-5, ab und trat diese dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung ab, der einen Antrag des Beschwerdeführers auf Verfahrenshilfe abwiesen.
4. Mit Schreiben vom 21.07.2020 stellte der Wiederaufnahmewerber den verfahrensgegenständlichen Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens. Begründend wurde dazu Folgendes ausgeführt: Nachdem der Wiederaufnahmewerber seinem Bruder von der Abweisung seines Asylantrages erzählt habe, habe sich dieser an eine andere Familie gewandt und dabei ein Dokument erlangt, aus welchem hervorgehen soll, dass die Familie des Wiederaufnahmewerbers durch Enteignungen aufgrund der ehemaligen Mitgliedschaft des Vaters des Wiederaufnahmewerbers in der Baath Partei bedroht sein soll. Dieses Dokument habe der Bruder des Wiederaufnahmewerbers diesem am 08.07.2020 übermittelt. Dabei handle es sich um ein neu entstandenes Beweismittel, daher sei dem Wiederaufnahmewerber kein Verschulden an der Nichtvorbringung im Vorverfahren vorzuwerfen. Dieses Beweismittel sei geeignet, voraussichtlich ein im Hauptinhalt des Spruchs anderslautendes Ergebnis herbei zu führen. Das betreffende Dokument wurde dem Wiederaufnahmeantrag beigelegt. Weiters wurde aufgrund der drohenden Abschiebung des Wiederaufnahmewerbers eine vorläufige Anordnung nach Unionsrecht zur Hintanhaltung derselben beantragt und die Auflösung des Vertretungsverhältnisses zwischen dem Wiederaufnahmewerber und seinem bis zu diesem Zeitpunkt bevollmächtigten Vertreter bekannt gegeben.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
Die unter Punkt I. getroffenen Ausführungen werden als entscheidungswesentlicher Sachverhalt festgestellt. Darüber hinaus werden folgende weitere Feststellungen getroffen:
Bereits im Rahmen der am 10.04.2018 stattgefundenen niederschriftlichen Einvernahme zu seinem Antrag auf internationalen Schutz hatte der Wiederaufnahmewerber gegenüber dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl erklärt, dass von den Badr-Milizen aufgrund seiner Mitgliedschaft (und der seines Vaters) in der Baath Partei verfolgt werde.
Auch im Rahmen der öffentlichen mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 18.11.2019 wurde der Wiederaufnahmewerber eingehend zu seiner vorgebrachten Verfolgung aufgrund der ehemaligen Zugehörigkeit seiner Familie zur Baath-Partei befragt (VH-Protokoll 18.11.2019, S. 5 bis 11). Nach Erörterung der Lage im Irak gab er dabei weiters an, dass eine Liste ehemaliger Baath-Mitglieder existieren würde und er auf dieser Liste stünde (VH-Protokoll 18.11.2019, S. 12 f).
Mangels Glaubhaftigkeit des Vorbringens wies das Bundesverwaltungsgericht die Beschwerde des Wiederaufnahmewerbers in der Folge mit Erkenntnis vom 29.02.2020, Zl. I422 2214121-1/10E, als unbegründet ab.
Mit Schreiben vom 21.07.2020 beantragte dieser die Wiederaufnahme des Verfahrens. Er habe sich nach der negativen Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes an seinen Bruder gewandt und dieser hätte ein Dokument erlangt, welches sein Vorbringen hinsichtlich der Verfolgung aufgrund der Mitgliedschaft in der Baath Partei belegen würde. Dieses sei ihm von seinem Bruder elektronisch übermittelt worden.
2. Beweiswürdigung:
Beweis wurde aufgenommen durch Einsichtnahme in den vorliegenden Verwaltungsakt und den Gerichtsakt des Bundesverwaltungsgerichtes, einschließlich des Erkenntnisses vom 29.02.2020 und in den Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens vom 21.07.2020.
Der festgestellte Sachverhalt in Bezug auf den bisherigen Verfahrensgang steht aufgrund der Aktenlage zweifelsfrei fest.
3. Rechtliche Beurteilung:
Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist. Gemäß § 31 Abs. 1 VwGVG erfolgen die Entscheidungen und Anordnungen durch Beschluss, soweit nicht ein Erkenntnis zu fällen ist. Mit Fuchs (in Fister/Fuchs/Sachs, Verwaltungsgerichtsverfahren, 2013, § 32 VwGVG, Anm 13) ist der Systematik des VwGVG folgend anzunehmen, dass sämtliche Entscheidungen über Wiederaufnahmeanträge - als selbstständige Entscheidungen - in Beschlussform zu erfolgen haben (ebenso Eder/Martschin/Schmid, Das Verfahren der Verwaltungsgerichte2, 2017, § 32 VwGVG K 29).
Zu A) Abweisung des Antrages auf Wiederaufnahme:
3.1. Rechtslage:
Gemäß § 32 Abs. 1 Z 2 VwGVG ist dem Antrag einer Partei auf Wiederaufnahme eines durch Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes abgeschlossenen Verfahrens stattzugeben, wenn neue Tatsachen oder Beweismittel hervorkommen, die im Verfahren ohne Verschulden der Partei nicht geltend gemacht werden konnten und allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens voraussichtlich ein im Hauptinhalt des Spruchs anders lautendes Erkenntnis herbeigeführt hätten.
Der Antrag auf Wiederaufnahme ist gemäß § 32 Abs. 2 VwGVG binnen zwei Wochen beim Verwaltungsgericht einzubringen. Die Frist beginnt mit dem Zeitpunkt, in dem der Antragsteller von dem Wiederaufnahmegrund Kenntnis erlangt hat, wenn dies jedoch nach der Verkündung des mündlichen Erkenntnisses und vor Zustellung der schriftlichen Ausfertigung geschehen ist, erst mit diesem Zeitpunkt. Nach Ablauf von drei Jahren nach Erlassung des Erkenntnisses kann der Antrag auf Wiederaufnahme nicht mehr gestellt werden. Die Umstände, aus welchen sich die Einhaltung der gesetzlichen Frist ergibt, sind vom Antragsteller glaubhaft zu machen.
In der Regierungsvorlage zum Verwaltungsgerichtsbarkeits-Ausführungsgesetz 2013 (2009 Blg NR, XXIV. GP) ist festgehalten, dass die Bestimmungen über die Wiederaufnahme des Verfahrens und die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand im VwGVG weitgehend den Bestimmungen der §§ 69 bis 72 AVG mit den entsprechenden Anpassungen auf Grund der Einführung einer Verwaltungsgerichtsbarkeit erster Instanz entsprechen. Durch den Ausschluss der Anwendung des IV. Teiles des AVG ist das AVG in diesem Bereich für unanwendbar erklärt worden, wobei aufgrund der inhaltlichen Übereinstimmung und ähnlichen Formulierung der Bestimmung des § 32 Abs 1-3 VwGVG mit § 69 AVG die bisher ergangenen höchstgerichtlichen Entscheidungen sinngemäß anzuwenden sind bzw. die bisherigen Judikaturrichtlinien zu § 69 AVG herangezogen werden können.
Vollständigkeitshalber wird darauf hingewiesen, dass mit Erkenntnis des VfGH vom 13.12.2016, Zl. G248/2016, ua die Wortfolge „eine Revision beim Verwaltungsgerichtshof gegen das Erkenntnis nicht mehr zulässig ist“ in § 32 Abs. 1 VwGVG als verfassungswidrig aufgehoben wurde. Darin wurde insbesondere die vom Verwaltungsgerichtshof in seinen Erkenntnissen vom 28.04.2016, Ro 2016/12/0007 und 03.08.2016, Ra 2016/12/0059 - 0068 vorgenommene Auslegung des § 32 Abs. 1 iVm § 32 Abs. 2 VwGVG, wonach das Verwaltungsgericht den Eintritt der Bewilligungsvoraussetzung des § 32 Abs. 1 zweiter Halbsatz VwGVG abzuwarten habe, als unsachlich und in Widerspruch zum Rechtsstaatsprinzip gewertet, da es nicht mit dem Grundsatz eines effektiven Rechtsschutzes vereinbar ist, mit der Entscheidung über den Wiederaufnahmeantrag solange zuwarten zu müssen, bis der Verwaltungsgerichtshof über die Revision entschieden hat, zumal diese Entscheidung im Regelfall erst nach längerer Zeit ergehen wird. Gegen ein Zuwarten mit der Entscheidung über den Wiederaufnahmeantrag spricht auch § 34 Abs. 1 erster Satz VwGVG, wonach das Verwaltungsgericht verpflichtet ist, über verfahrenseinleitende Anträge von Parteien ohne unnötigen Aufschub, spätestens aber sechs Monate nach deren Einlangen zu entscheiden. Einer erweiternden Auslegung der in § 34 VwGVG normierten Ausnahmen von der Entscheidungspflicht steht der mit dieser Norm angestrebte Säumnisschutz des Rechtsschutzsuchenden entgegen. Sohin war im gegenständlichen Fall der Wiederaufnahmeantrag nicht wegen fehlender Prozessvoraussetzungen zurückzuweisen, sondern eine inhaltliche Entscheidung zu treffen.
3.2. Anwendung der Rechtslage auf den gegenständlichen Fall:
Der gegenständliche Antrag zielt darauf ab, das mit dem Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 29.02.2020 abgeschlossene und derzeit beim Verwaltungsgerichtshof anhängige vorangegangene Verfahren wiederaufzunehmen.
Das Bundesverwaltungsgericht hat im Erkenntnis vom 29.02.2020 die Abweisung des Asylantrages darauf gestützt, dass der Wiederaufnahmewerber keine wohlbegründete Furcht vor Verfolgung iSd GFK glaubhaft machen konnte. Es wurde für nicht glaubhaft befunden, dass er im Irak vom IS oder von Milizen aufgrund seiner ehemaligen Zugehörigkeit zur Baath Partei verfolgt werde.
Die Rechtzeitigkeit des Antrages auf Wiederaufnahme, datiert vom 21.07.2020, ist ausgehend von der Behauptung, dass das betreffende Dokument dem Wiederaufnahmewerber am 08.07.2020 übermittelt wurde, gegeben. Der letzte Tag der zweiwöchigen Frist war der 22.07.2020. Für die Berechnung der verfahrensrechtlichen Frist sind die §§ 32 und 33 AVG maßgeblich, sodass die Tage von der Übergabe an den Zustelldienst zur Übermittlung an das erkennende Gericht bis zum Einlangen bei dieser (Postlauf) nicht eingerechnet werden. Der am 21.07.2020 zur Post gegebene und am 23.07.2020 beim Bundesverwaltungsgericht eingelangte Antrag war somit rechtzeitig.
Der Antrag auf Wiederaufnahme erweist sich aber als nicht berechtigt, da die Voraussetzungen für die Wiederaufnahme des Verfahrens - die Wiederaufnahmegründe sind taxativ in § 32 Abs. 1 VwGVG aufgezählt - nicht vorliegen. Im gegenständlichen Fall stützt sich der Wiederaufnahmeantrag auf § 32 Abs. 1 Z 2 VwGVG.
Nach § 32 Abs. 1 Z 2 VwGVG rechtfertigen neu hervorgekommene Tatsachen und Beweismittel (also solche, die bereits zur Zeit des früheren Verfahrens bestanden haben, aber erst später bekannt wurden) – bei Vorliegen der übrigen Voraussetzungen – eine Wiederaufnahme des Verfahrens, wenn sie die Richtigkeit des angenommenen Sachverhalts in einem wesentlichen Punkt als zweifelhaft erscheinen lassen; gleiches gilt für neu entstandene Beweismittel, sofern sie sich auf „alte“ – d.h. nicht erst nach Abschluss des wiederaufzunehmenden Verfahrens entstandene – Tatsachen beziehen (vgl. VwGH 21.05.2019, Ra 2018/19/0510).
Die Wiederaufnahme des Verfahrens setzt weiters die Eignung der neuen Tatsachen oder Beweismittel voraus, dass diese allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens voraussichtlich ein im Hauptinhalt des Spruchs anderslautendes Ergebnis herbeigeführt hätten. Ob diese Eignung vorliegt, ist eine Rechtsfrage, die im Wiederaufnahmeverfahren zu beantworten ist (vgl. VfGH 20.02.2014, U 2298/2013); ob tatsächlich ein anderes Ergebnis des Verfahrens zustande kommt, ist sodann eine Frage, die im wiederaufgenommenen Verfahren zu klären ist (vgl. VwGH 21.05.2019, Ra 2018/19/0510).
Tauglich ist ein Beweismittel als Wiederaufnahmegrund (ungeachtet des Erfordernisses der Neuheit) also nur dann, wenn es nach seinem objektiven Inhalt und unvorgreiflich der Bewertung seiner Glaubwürdigkeit die abstrakte Eignung besitzt, jene Tatsachen in Zweifel zu ziehen, auf welche das BVwG entweder die den Gegenstand des Wiederaufnahmeverfahrens bildende Entscheidung oder zumindest die zum Ergebnis dieser Entscheidung führende Beweiswürdigung tragend gestützt hat (vgl. VwGH 21.05.2019, Ra 2018/19/0510; 04.03.2020, Ra 2020/18/0069).
Neu entstandene Tatsachen („nova causa superveniens“), also Änderungen des Sachverhalts nach Abschluss des Verfahrens, erübrigen eine Wiederaufnahme des Verfahrens. Bei Sachverhaltsänderungen, die nach der Entscheidung über einen Asylantrag eingetreten sind, ist kein Antrag auf Wiederaufnahme, sondern ein neuer Antrag (auf internationalen Schutz) zu stellen (vgl. dazu VwGH 17.02.2006, 2006/18/0031; 07.04.2000, 96/19/2240, 20.06.2001, 95/08/0036; 18.12.1996, 95/20/0672; 25. 11. 1994, 94/19/0145; 25.10.1994, 93/08/0123; 19.02.1992, 90/12/0224 ua). Im gegenständlichen Fall war die Behauptung des Wiederaufnahmewerbers, dass er wegen seiner ehemaligen Mitgliedschaft (bzw. der Mitgliedschaft seines Vaters) in der Baath Partei verfolgt werde bereits aus dem rechtskräftig abgeschlossenen Asylverfahren bekannt. Es liegen daher keine neu entstandenen Tatsachen vor.
Bei dem vorgelegten Dokument, welches die im Vorverfahren getätigten Behauptungen des Wiederaufnahmewerbers belegen soll, handelt es sich um ein neu hervorgekommenes Beweismittel.
Wenn die Wiederaufnahme von einer Partei beantragt wird, muss jedoch die unterlassene Geltendmachung im wieder aufzunehmenden Verfahren „ohne ihr Verschulden“ geschehen sein (vgl. VwGH 03.07.2015, Ro 2015/08/0013) Verschulden iSd § 32 VwGVG ist nach ständiger Rechtsprechung des VwGH als Verschulden iSd § 1294 ABGB zu verstehen und bedeutet (abgesehen vom Vorsatz) die Verletzung „eines solchen Grades des Fleißes und der Aufmerksamkeit (...), welcher bei gewöhnlichen Fähigkeiten angewendet werden kann.“ (vgl. VwGH 25.05.2000, 99/16/0217).
Die Wiederaufnahme eines Verfahrens dient jedenfalls nicht dazu, Versäumnisse während eines Verwaltungsverfahrens zu sanieren (VwGH 27.07.2001, 2001/07/0017; 22.12.2005, 2004/07/0209). Ebensowenig bietet die Wiederaufnahme des Verfahrens eine Handhabe dafür, eine im abgeschlossenen Verfahren von der Behörde (nunmehr auch VwG) ihrer Entscheidung zugrunde gelegte Beweiswürdigung oder Sachverhaltsannahme zu bekämpfen (vgl. VwGH 09.04.2020, Ra 2019/14/0309)
Nach allgemeiner Lebenserfahrung ist davon auszugehen, dass ein durchschnittlich sorgfältiger Asylwerber, der bemüht ist, in einem Land Aufnahme und Schutz zu finden, in der Regel bestrebt ist, alles diesem Wunsch dienliche vorzubringen, sodass der Behörde erkennbar ist, welchen massiven Bedrohungen er im Herkunftsland ausgesetzt ist. Denn kein Asylwerber würde wohl eine sich bietende Gelegenheit, zentral entscheidungsrelevantes Vorbringen zu erstatten, ungenützt vorübergehen lassen (VwGH 03.07.2020, Ra 2019/14/0608). Gerade von einem juristischen Laien muss vor dem Hintergrund der Tatsache, dass eine solche Person über das Asylrecht in allen Einzelheiten nicht im Vorhinein informiert ist, davon ausgegangen werden, dass ein solcher Mensch im Bestreben, seine Position im Asylverfahren nicht zu gefährden, von sich aus am Verfahren mitwirkt (vgl. auch UBAS 300.443-2/3E-XVIII/58/08).
Der Wiederaufnahmewerber hat die Zeit von seiner Asylantragstellung am 11.02.2016 bis zum Vorliegen des Erkenntnisses des Bundesverwaltungsgerichtes vom 29.02.2020 ungenützt verstreichen lassen und sich nicht rechtzeitig um die Übermittlung der bezeichneten Dokumente gekümmert, obwohl er selbst die Existenz der Liste, welche ihn als Mitglied der Baath Partei ausweisen soll, bereits sowohl in der niederschriftlichen Einvernahme am 10.04.2018 als auch in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 18.11.2019 vorbrachte und ihm die Bedeutung der Vorlage von Beweismitteln, die Glaubhaftigkeit seines Fluchtvorbringens untermauern, bewusst sein musste. Dabei bleibt auch nicht unberücksichtigt, dass der Wiederaufnahmewerber in seinem Asylverfahren rechtsanwaltlich vertreten war. Das erkennende Gericht lässt dahingehend auch nicht außer Acht, dass ihm zuletzt mit der Ladung zur mündlichen Verhandlung explizit die Vorlage von Beweismittel aufgetragen wurde. In diesem Zusammenhang wird auch nicht verkannt, dass er sowohl im Administrativverfahren, als auch im Beschwerdeverfahren bestätigte, dass er im aufrechten Kontakt zu seiner Familie stand und erscheint es nicht plausibel, wenn erst nach rechtskräftigem Abschluss seines Asylverfahrens die Beweismittel in Vorlage gebracht werden. In diesem Zusammenhang mutet es auch seltsam an, dass der Bruder des Wiederaufnahmewerbers nach der negativen Erledigung des Asylantrages binnen weniger Monate in der Lage gewesen sein soll, das betreffende Dokument zu beschaffen, wo dies offenbar während der vergangenen vier Jahre bis zum Zeitpunkt der Entscheidung nicht möglich gewesen sein soll. Eine Begründung dafür, warum sich der Wiederaufnahmewerber erst nach Abschluss seines Verfahrens an seinen im Irak lebenden Bruder gewandt hat – eine Vorgehensweise, welche zur Erlangung von dort befindlichen Beweismitteln jedenfalls zweckmäßig erscheint – wurde im Antrag auf Wiederaufnahme nicht ausgeführt.
Vor diesem Hintergrund trifft den Wiederaufnahmewerber ein nicht nur geringfügiges Verschulden daran, dass das neue Beweismittel im Verfahren nicht geltend gemacht werden konnte.
Unter Berücksichtigung sämtlicher Umstände ergibt sich sohin für das erkennende Gericht, dass es dem Wiederaufnahmewerber nicht gelungen ist, einen die Wiederaufnahme rechtfertigenden Grund geltend zu machen. Es erübrigte sich somit einerseits ein näheres Eingehen auf die zeugenschaftliche Einvernahme seines im Irak aufhältigen Bruders sowie andererseits ein Eingehen auf die Eignung der Tatsachen, dass diese allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens voraussichtlich ein im Hauptinhalt des Spruchs anderslautendes Ergebnis herbeigeführt hätten.
Die Voraussetzungen für eine Wiederaufnahme des mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 29.02.2020, Zl. I422 2214121-1/10E, abgeschlossenen Verfahrens liegen somit nicht vor und war dem Antrag des Wiederaufnahmewerbers nicht stattzugeben.
Der Wiederaufnahmewerber beantragte zudem die „Gewährung einer vorläufigen Anordnung nach Unionsrecht“ zur Verhinderung seiner drohenden Abschiebung. Einstweilige Anordnungen haben die Funktion, vorläufigen Rechtsschutz bis zur Entscheidung in der Hauptsache zu gewähren; der Grundsatz der Effektivität verlangt nicht, dass die Rechtsordnung eines Mitgliedstaats die Möglichkeit vorsieht, im Rahmen eines nach dem Recht dieses Mitgliedstaats unzulässigen Antrags den Erlass vorläufiger Maßnahmen durch das zuständige nationale Gericht zu erlangen (vgl. VwGH 16.09.2010, 2010/12/0126). Da im gegenständlichen Fall der Antrag abzuweisen war, erübrigt es sich, über den Antrag auf „Gewährung einer einstweiligen Anordnung nach Unionsrecht“ abzusprechen.
4. Zum Unterbleiben einer mündlichen Verhandlung:
Gemäß § 21 Abs. 7 BFA-Verfahrensgesetz kann eine mündliche Verhandlung unterbleiben, wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint oder sich aus den bisherigen Ermittlungen zweifelsfrei ergibt, dass das Vorbringen nicht den Tatsachen entspricht.
Da der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit den Antrag auf Wiederaufnahme geklärt erschien, im vorangegangenen rechtskräftig abgeschlossenen Verfahren Parteiengehör in Form einer mündlichen Verhandlung gewährt wurde und es sich bei der Einordnung, ob die Eignung eines vorgebrachten Wiederaufnahmegrundes vorliegt, um eine Rechtsfrage handelt (vgl. VwGH 19.04.2007, 2004/09/0159; Fister/Fuchs/Sachs, Verwaltungsgerichtsverfahren (2013) § 32 VwGVG Anm. 9), konnte gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG iVm § 24 VwGVG die Abhaltung einer mündlichen Verhandlung unterbleiben.
Zu B) Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Das Bundesverwaltungsgericht orientierte sich bezüglich der Frage des Vorliegens der Voraussetzungen für die Wiederaufnahme eines abgeschlossenen Verfahrens an der höchstgerichtlichen Rechtsprechung. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.
Schlagworte
Asylverfahren Beweismittel Glaubhaftmachung Mitwirkungspflicht nova reperta Rechtskraft der Entscheidung Rechtskraftwirkung Verfolgungsgefahr Verschulden Wiederaufnahmeantrag WiederaufnahmegrundEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2020:I422.2214121.2.00Im RIS seit
24.02.2021Zuletzt aktualisiert am
24.02.2021