Index
10/10 Grundrechte;Norm
AufG 1992 §13 Abs1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Pokorny und die Hofräte Dr. Sulyok, Dr. Robl, Dr. Rosenmayr und Dr. Baur als Richter, im Beisein des Schriftführers Regierungsrat Dr. Hanel, über die Beschwerde der N in P, vertreten durch Dr. T, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich vom 13. Juli 1995, Zl. Fr 901/95, betreffend Ausweisung, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 12.860,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit der vorliegenden Beschwerde wird ein Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich vom 13. Juli 1995 angefochten, mit welchem die Beschwerdeführerin, eine türkische Staatsbürgerin, gemäß § 17 Abs. 1 des Fremdengesetzes (FrG) ausgewiesen wurde. Diese Entscheidung wurde im wesentlichen damit begründet, daß die am 26. September 1990 nach Österreich eingereiste Beschwerdeführerin über einen bis zum 31. Juli 1993 gültigen Sichtvermerk verfügt habe und sich nunmehr bereits zwei Jahre ohne Aufenthaltsberechtigung im Bundesgebiet aufhalte. Die Rechtsordnung messe den Vorschriften über die Einhaltung paßrechtlicher und nunmehr fremdengesetzlicher Vorschriften ein solches Gewicht bei, daß selbst bei Einmaligkeit von Verfehlungen gegen diese Normen ein schwerwiegender Verstoß gegen erhebliche öffentliche Interessen des österreichischen Staates vorliege. Im Bundesgebiet lebten noch der Ehegatte und die Tochter der Beschwerdeführerin, die jedoch ebenfalls über keine Aufenthaltsbewilligung verfügten und ebenfalls ausgewiesen würden. Die Ausweisung der Beschwerdeführerin sei zur Erreichung der in Art. 8 Abs. 2 MRK genannten Ziele (Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung) dringend geboten.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, zunächst an den Verfassungsgerichtshof gerichtete und von diesem mit Beschluß vom 28. November 1995, B 3054/95-6, abgelehnte und mit Beschluß vom 30. Jänner 1996, B 3054/95-8, dem Verwaltungsgerichtshof abgetretene Beschwerde, mit welcher die Beschwerdeführerin die Aufhebung des angefochtenen Bescheides wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit beantragt.
Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor, erstattete eine Gegenschrift und beantragte die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde, über welche der Verwaltungsgerichtshof wie folgt erwogen hat:
Gemäß § 17 Abs. 1 FrG sind Fremde mit Bescheid auszuweisen, wenn sie sich nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten; hiebei ist auf § 19 Bedacht zu nehmen. § 17 Abs. 4 FrG lautet:
"(4) Wird der Behörde im Verfahren zur Erlassung einer Ausweisung auf ihr Befragen bekannt, daß der Fremde rechtzeitig einen Antrag auf Verlängerung einer Bewilligung nach dem Aufenthaltsgesetz (§ 6 Abs. 3) gestellt hat, über den noch nicht entschieden wurde, so ist über die Ausweisung erst nach Erledigung dieses Antrages zu entscheiden."
Gemäß § 19 FrG ist u.a. eine Ausweisung gemäß § 17 Abs. 1 FrG nur zulässig, wenn die zur Erreichung der in Art. 8 Abs. 2 MRK genannten Ziele dringend geboten ist.
Die Beschwerdeführerin hält den angefochtenen Bescheid im wesentlichen deswegen für rechtswidrig, weil bei Erlassung des Bescheides nicht ausreichend berücksichtigt worden sei, daß sich ihr Ehegatte seit dem Jahre 1985 in Österreich aufhalte, in einem aufrechten Beschäftigungsverhältnis und im Besitz eines Befreiungsscheines sei, ihr zweijähriges gemeinsames Kind in Österreich lebe, sowie ihr Schwiegervater und weitere Familienangehörige ihres Ehegatten in Österreich lebten; ihr gesamter Lebensmittelpunkt befinde sich in Österreich. Die Beschwerdeführerin habe am 27. Juli 1993 einen Antrag auf Verlängerung ihrer Bewilligung nach dem Aufenthaltsgesetz gestellt, der erst am 9. November 1995 vom Bundesminister für Inneres endgültig abgewiesen worden sei. Im übrigen sei die Ausweisung der Beschwerdeführerin im Grunde des Assoziationsratsbeschlusses Nr. 1/80 vom 19. September 1980 nach dem Abkommen zur Gründung einer Assoziation zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Türkei vom 12. September 1996 nicht zulässig.
Die Beschwerde ist im Ergebnis deswegen berechtigt, weil die Beschwerdeführerin, die unbestritten im Besitz eines bis zum 31. Juli 1993 gültigen Wiedereinreisesichtvermerkes gewesen ist, nach der Aktenlage tatsächlich am 27. Juli 1993 einen Antrag auf Erteilung einer Bewilligung nach dem Aufenthaltsgesetz gestellt hat, welcher gemäß § 13 Abs. 1 des Aufenthaltsgesetzes (AufG) im Lichte des zweiten Satzes dieser Bestimmung als rechtzeitiger Antrag auf Verlängerung einer Bewilligung nach dem Aufenthaltsgesetz zu qualifizieren war. Im Falle der Beschwerdeführerin kam daher § 17 Abs. 4 FrG zur Anwendung (vgl. das hg. Erkenntnis vom 19. Juni 1996, Zl. 95/21/1084). Der Ausweisung der Beschwerdeführerin stand daher der Umstand entgegen, daß zum Zeitpunkt ihrer Erlassung (der angefochtene Bescheid wurde unbestritten am 25. August 1995 zugestellt) aktenkundig über ihren Antrag auf Verlängerung einer Bewilligung nach dem Aufenthaltsgesetz noch nicht entschieden war. Die belangte Behörde belastete dadurch den bekämpften Bescheid mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit, weshalb dieser - ohne daß auf das übrige Beschwerdevorbringen einzugehen war - gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben war.
Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG i.V.m. der Verordnung des Bundeskanzlers BGBl. Nr. 416/1994.
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1997:1996210141.X00Im RIS seit
12.06.2001