TE Bvwg Beschluss 2020/9/28 I408 2235221-1

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Veröffentlicht am 28.09.2020
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Entscheidungsdatum

28.09.2020

Norm

B-VG Art133 Abs4
EMRK Art8
FPG §67
VwGVG §24 Abs2 Z1
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2
VwGVG §28 Abs3 Satz2
VwGVG §31 Abs1

Spruch

I408 2235221-1/3E

BESCHLUSS

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Dr. Harald NEUSCHMID als Einzelrichter über die Beschwerde des XXXX StA Rumänien, vertreten durch ARGE Rechtsberatung – Diakonie und Volkshilfe, gegen den Bescheid des BFA, Regionaldirektion Oberösterreich, vom 12.08.2020, Zl. XXXX , beschlossen:

A)

Der Beschwerde wird insofern Folge gegeben, als der angefochtene Bescheid gemäß § 28 Abs 3 VwGVG aufgehoben und die Angelegenheit zur allfälligen Erlassung eines neuen Bescheids an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen wird.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Begründung:

I. Verfahrensgang und Sachverhalt:

Mit dem verfahrensgegenständlichen Bescheid vom 12.08.2020 erließ die belangte Behörde gegen den in Haft befindlichen Beschwerdeführer ein auf die Dauer von 8 Jahren befristetes Aufenthaltsverbot (Spruchpunkt I.), erteilte ihm keinen Durchsetzungsaufschub (Spruchpunkt II.) und aberkannte einer Beschwerde die aufschiebende Wirkung (Spruchpunkt III.).

Gegen diesen Bescheid richtete sich die fristgerecht eingebrachte Beschwerde vom 07.09.202.

Beschwerde und Behördenakt wurden der Gerichtsabteilung am 22.09.2020 vorgelegt.

Das Verfahren richtet sich gegen einen am XXXX in Österreich geboren rumänischen Staatsbürger, der hier aufgewachsen und wiederholt straffällig geworden ist, im Bundesgebiet über Familienangehörige verfügt, zuletzt vom 28.04.2020 bis 04.05.2020 in einem Beschäftigungsverhältnis gestanden ist und seit 16.05.2020 eine am 10.07.2020 verhängte Haftstrafe verbüßt.

Die belangte Behörde hat keine persönliche Einvernahme des Beschwerdeführers vorgenommen. So wird von den Höchstgerichten immer wieder hervorgehoben, dass bei aufenthaltsbeendenden Maßnahmen dem persönlichen Eindruck vom Beschwerdeführer eine große Bedeutung zukommt, insbesondere dann, wenn er in Österreich geboren und hier den überwiegenden Teil seines Lebens verbracht hat.

Aus diesem Grund fehlen auch konkrete Ermittlungen zu den persönlichen Lebensumständen des Beschwerdeführers oder bleiben in sich widersprüchlich, insbesondere wo er sich in den letzten Jahren aufgehalten und seinen Lebensunterhalt bestritten hat bzw. wie sich die Beziehung zu den in Österreich lebenden Angehörigen gestaltet. Die belangte Behörde stützt sich dabei nur auf die ihr zur Verfügung stehenden Abfragen aus IZR, ZMR und Strafregister sowie einem Bericht zur Wegweisung aus der Wohnung seiner Mutter im Juni 2014 (AS 137). So bleiben die Lebensverhältnisse des Beschwerdeführers vor 2004 bzw. von 2016 bis Mai 2020 völlig im Dunkeln.

Hinzu kommt, dass der Behördenakt unvollständig ist. So ist zwar dem Akt ein Parteiengehör vom 19.05.2020 zu entnehmen (AS 53), eine Übermittlung an den in Haft befindlichen Beschwerdeführer oder eine Übernahme ist nicht dokumentiert. Es fehlen auch das Urteil des Landesgerichtes XXXX vom 10.07.2020, XXXX und der do. Bescheid vom 13.07.2016, Zl. XXXX (Verhängung eines dreijährigen Aufenthaltsverbots), auf die im verfahrensgegenständlichen Bescheid ausdrücklich Bezug genommen wird.

Überwiegend stützt sich die belangte Behörde nur auf die strafgerichtlichen Verurteilungen und das gegen den Beschwerdeführer erlassene und 2016 in Rechtskraft erwachsene dreijährige Aufenthaltsverbot, die Inhalte der eingeholten Strafurteile aus 2008 (AS 91), 2009 (AS 103), 2010 (172), 2014 (AS 125) und 2015 (AS 129), die von ihr eingeholt worden sind, werden in den Bescheidausführungen nicht erwähnt. Die Urteile von 2015 und 2016 liegen – wie die letzte Verurteilung 2020 - im Behördenakt nicht auf.

Im Bescheid ist auch nicht dargelegt, warum im gegenständlichen Fall der erhöhte Gefährdungsmaßstab nach § 67 Abs 1. 5. Satz FPG nicht herangezogen wird, zumal der Beschwerdeführer in Österreich XXXX geboren ist, seine Eltern offenkundig hier leben, er überwiegend hier aufhältig gewesen ist und zuletzt auch einer gemeldeten Beschäftigung nachgegangen ist. So ist es nach dem Wortlaut des § 67 Abs 1. 5. Satz FPG ausreichend, wenn der EWR-Bürger einen zehnjährigen Aufenthalt im Bundesgebiet hatte (vgl. VwGH vom 24.03.2015, Ro 2014/21/0079).

2. Beweiswürdigung:

Verfahrensgang und Sachverhalt ergeben sich aus dem Inhalt der vorgelegten bzw. eingescannten Verwaltungsakte des BFA. und den durchgeführten Abfragen im IZR, ZMR und AJ-WEB. Entscheidungswesentliche Widersprüche liegen insoweit nicht vor, sodass sich eine eingehendere Beweiswürdigung erübrigt.

3. Rechtliche Beurteilung:

Gemäß § 28 Abs 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht über eine Bescheidbeschwerde iSd Art 130 Abs 1 Z 1 B-VG wie die vorliegende dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht (Z 1) oder dessen Feststellung durch das Gericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist (Z 2). Wenn diese Voraussetzungen nicht vorliegen, hat das Gericht gemäß § 28 Abs 3 VwGVG dann meritorisch zu entscheiden, wenn die Behörde dem nicht bei der Vorlage der Beschwerde unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung oder Beschleunigung des Verfahrens widerspricht. Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheids an die Behörde zurückverweisen, die dann an die rechtliche Beurteilung, von der das Gericht ausgegangen ist, gebunden ist.

Eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen kommt daher insbesondere dann in Betracht, wenn die Behörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Behörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterließ, damit diese durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden. Wenn die Behörde den entscheidungswesentlichen Sachverhalt unzureichend festgestellt hat, indem sie keine für die Sachentscheidung brauchbaren Ermittlungsergebnisse geliefert hat, ist eine Zurückverweisung gemäß § 28 Abs 3 zweiter Satz VwGVG zulässig (VwGH 28.03.2017, Ro 2016/09/0009). Von der Möglichkeit einer Zurückverweisung kann nur bei besonders gravierenden Ermittlungslücken Gebrauch gemacht werden (Fister/Fuchs/Sachs, Verwaltungsgerichtsverfahren2 § 28 VwGVG Anm 13), wie sie hier vorliegen.

Wie dargelegt hat sich die belangte Behörde mit den konkreten Lebensumständen des Beschwerdeführers nicht ausreichend auseinandergesetzt und es vor allem unterlassen, den entscheidungsrelevanten Sachverhalt über eine persönliche Einvernahme abzuklären. Gerade in Verfahren, in denen die belangte Behörde vom Verwaltungsgericht eine Entscheidung innerhalb einer Woche einfordert, ist zu erwarten, dass die im Sinne der Rechtsprechung der Höchstgerichte vorgezeichneten Ermittlungsschritte durchgeführt und auch der Behördenakt vollständig übermittelt wird.

Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 28 Abs 3 zweiter Satz VwGVG aufzuheben und die Angelegenheit zur allfälligen Erlassung eines neuen Bescheids an das BFA zurückzuverweisen.

Eine mündliche Verhandlung entfällt gemäß § 24 Abs 2 Z 1 VwGVG, weil schon aufgrund der Aktenlage feststeht, dass der angefochtene Bescheid aufzuheben ist.

Die Revision ist wegen der Einzelfallbezogenheit der Entscheidung über die Anwendung des § 28 Abs 3 zweiter Satz VwGVG, die keine grundsätzliche Rechtsfrage iSd Art 133 Abs 4 B-VG begründet, nicht zuzulassen (siehe z.B. VwGH 25.01.2017, Ra 2016/12/0109).

Schlagworte

Aufenthaltsverbot Behebung der Entscheidung Ermittlungspflicht Haft Haftstrafe Kassation Lebensverhältnisse mangelhaftes Ermittlungsverfahren mangelnde Sachverhaltsfeststellung persönliche Einvernahme persönlicher Eindruck Privat- und Familienleben Strafhaft strafrechtliche Verurteilung Straftat Unvollständigkeit Zurückverweisung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:I408.2235221.1.00

Im RIS seit

24.02.2021

Zuletzt aktualisiert am

24.02.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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