TE Bvwg Erkenntnis 2020/10/1 G310 2235529-1

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Veröffentlicht am 01.10.2020
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Entscheidungsdatum

01.10.2020

Norm

B-VG Art133 Abs4
FPG §67 Abs1
FPG §67 Abs2
FPG §70 Abs3

Spruch

G310 2235529-1/2E

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Gaby WALTNER über die Beschwerde von XXXX , geb. am XXXX , StA. Polen, vertreten durch XXXX , gegen den Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl vom 25.08.2020, Zl. XXXX , betreffend die Erlassung eines Aufenthaltsverbots zu Recht erkannt:

A)       Der Beschwerde wird Folge gegeben und der angefochtene Bescheid ersatzlos behoben.

B)       Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.

Text


Entscheidungsgründe:

Verfahrensgang:

Der Beschwerdeführer (BF1) wurde am XXXX .07.2020 einer fremdenpolizeilichen Kontrolle unterzogen und am XXXX .07.2020 nach Polen abgeschoben.

Mit dem oben genannten Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl (BFA) wurde gegen den BF gemäß § 67 Abs 1 und 2 FPG ein dreijähriges Aufenthaltsverbot erlassen (Spruchpunkt I.), gemäß § 70 Abs 3 FPG kein Durchsetzungsaufschub erteilt (Spruchpunkt II.) und einer Beschwerde gemäß § 18 Abs 3 BFA-VG die aufschiebende Wirkung aberkannt (Spruchpunkt III.). Das Aufenthaltsverbot wurde im Wesentlichen damit begründet, dass dreimal gegen den BF eine Ausweisungsentscheidung getroffen worden und es auch bereits zu Abschiebungen gekommen sei. Der BF habe sich dennoch nicht davon abhalten lassen, rasch ins Bundesgebiet zurückzukehren oder gar im Bundesgebiet zu verweilen. Er sei mittellos und verfüge über keine Unterkunft.

Dagegen richtet sich die Beschwerde des BF mit den Anträgen, das Aufenthaltsverbot ersatzlos zu beheben bzw. in eventu zu verkürzen. Hilfsweise wird ein Aufhebungs- und Rückverweisungsantrag gestellt. Der BF begründet die Beschwerde zusammengefasst damit, dass der BF in Österreich bislang strafrechtlich unbescholten sei und seien keine Umstände ersichtlich, die für die konkrete Annahme einer Gefährdung der öffentlichen Sicherheit durch ihn sprechen würden. Zuletzt habe er sich innerhalb des zulässigen Zeitraums von drei Monaten im Bundesgebiet aufgehalten. Die für die Dauer des Aufenthaltsverbots ausschlaggebenden Kriterien könnten dem angefochtenen Bescheid nicht entnommen werden.

Am XXXX .09.2020 wurde der BF erneut auf dem Landweg nach Polen abgeschoben, nachdem er am XXXX .09.2020 im Rahmen einer fremdenpolizeilichen Kontrolle im Bundesgebiet angetroffen werden konnte.

Das BFA legte die Beschwerde samt den Akten des Verwaltungsverfahrens dem BVwG vor.

Feststellungen:

Der BF ist polnischer Staatsbürger. Er spricht polnisch. Abgesehen von einem in XXXX lebenden Sohn leben seine nächsten Angehörigen in Polen. Er ist verheiratet und hat vier erwachsene Kinder. Ansonsten hat er noch Brüder und Schwestern, die in Polen leben. Zuletzt war er in Polen als Maurer beschäftigt.

Im Zeitraum vom XXXX .03.1997 bis XXXX .06.2013 war er im Bundesgebiet mit Hauptwohnsitz gemeldet. Seitdem verfügt er über keine Wohnsitzmeldung im Bundesgebiet. Ihm wurde zuletzt am XXXX .04.2002 ein bis zum XXXX .10.2018 gültiger Aufenthaltstitel erteilt. Von XXXX .02.1996 bis XXXX .11.2010 weist der BF Beschäftigungszeiten im Bundesgebiet auf, wobei er zwischenzeitlich auch Arbeitslosengeld bezog.

Der BF ist strafgerichtlich unbescholten. Dem Akteninhalt sind keine Verwaltungsstrafverfügungen oder Eintragungen im Kriminalpolizeilichen Aktenindex zu entnehmen.

Mit Bescheiden des BFA vom 10.09.2018, Zl. XXXX , und vom 16.09.2019, Zl. XXXX , wurde der BF aus dem österreichischen Bundesgebiet ausgewiesen. Mit Mandatsbescheiden des BFA vom 20.11.2018, Zl. XXXX und vom 12.09.2020, Zl. XXXX , wurde über den BF zur Sicherung der Abschiebung die Schubhaft angeordnet. Abschiebungen erfolgten am 21.11.2018, 15.07.2020, 28.02.2020, 14.09.2020 und 21.09.2020.

Beweiswürdigung:

Der Verfahrensgang ergibt sich aus dem Inhalt der vorgelegten Verwaltungsakten des BFA und des Gerichtsakts des BVwG. Entscheidungswesentliche Widersprüche liegen nicht vor.

Die Feststellungen basieren ebenfalls auf den vorgelegten Akten des Verwaltungsverfahrens sowie auf den vom BVwG erstellten Auszügen aus dem Zentralen Melderegister (ZMR), Straf- und Fremdenregister.

Kopien eines abgelaufenen polnischen Ausweises des BF, aus dem seine Identität hervorgeht, sind aktenkundig. Polnische Sprachkenntnisse sind aufgrund seiner Herkunft plausibel. Aus dem Versicherungsdatenauszug ergeben sich die Beschäftigungszeiten des BF im Bundesgebiet sowie der Arbeitslosengeldbezug. Die Feststellungen zu seinen privaten und familiären Verhältnissen beruhen auf seinen Angaben anlässlich der Einvernahmen vor dem BFA am 10.09.2018, 20.11.2018 und 12.09.2020.

Dem Akteninhalt sind keine Hinweise auf verwaltungsrechtliche Strafverfügungen zu entnehmen. Den Erhebungsergebnissen der Landespolizeidirektion XXXX anlässlich des Aufgriffs des BF am XXXX .09.2020 ist zu entnehmen, dass im Kriminalpolizeilichen Aktenindex keine Eintragungen vorliegen (AS 335).

Die oben angeführten Bescheide bzw. Mandatsbescheide liegen im Verwaltungsakt auf und sind im Fremdenregister registriert, auch die Abschiebungen des BF sind eingetragen.

Rechtliche Beurteilung:

Zu Spruchteil A):

Der BF ist ein EWR-Bürger iSd § 2 Abs 4 Z 8 FPG. Da er weder seinen Aufenthalt seit zehn Jahren kontinuierlich im Bundesgebiet hatte noch das Daueraufenthaltsrecht erworben hat, ist die Erlassung eines Aufenthaltsverbots gegen ihn nach dem ersten bis vierten Satz des § 67 Abs 1 FPG zulässig, wenn auf Grund seines persönlichen Verhaltens die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet wäre. Das persönliche Verhalten muss nach dieser Bestimmung eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstellen, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Strafrechtliche Verurteilungen allein können diese Maßnahme nicht ohne weiteres begründen. Vom Einzelfall losgelöste oder auf Generalprävention verweisende Begründungen sind nicht zulässig.

Bei der Erstellung der für jedes Aufenthaltsverbot zu treffenden Gefährdungsprognose ist das Gesamtverhalten des Fremden in Betracht zu ziehen und auf Grund konkreter Feststellungen eine Beurteilung dahin vorzunehmen, ob und im Hinblick auf welche Umstände die jeweils anzuwendende Gefährdungsannahme gerechtfertigt ist. Dabei ist nicht auf die bloße Tatsache der Verurteilung oder Bestrafung des Fremden, sondern auf die Art und Schwere der zu Grunde liegenden Straftaten und auf das sich daraus ergebende Persönlichkeitsbild abzustellen. Bei der nach § 67 Abs 1 FPG zu erstellenden Gefährdungsprognose geht schon aus dem Gesetzeswortlaut klar hervor, dass auf das "persönliche Verhalten" des Fremden abzustellen ist und strafrechtliche Verurteilungen oder verwaltungsrechtliche Bestrafungen allein nicht ohne weiteres ein Aufenthaltsverbot begründen können (VwGH 19.05.2015, Ra 2014/21/0057).

§ 67 Abs 1 erster bis vierter Satz FPG ("tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt") enthält einen höheren Gefährdungsmaßstab als § 53 Abs 3 FPG ("schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit"; vgl VwGH 07.05.2014, 2013/22/0233).

§ 67 FPG dient der Umsetzung der Freizügigkeitsrichtlinie (RL 2004/38/EG; vgl § 2 Abs 4 Z 18 FPG), und zwar insbesondere der Umsetzung von deren Art 27 und 28 (VwGH Fr 2016/21/0020), und ist in erster Linie in Fällen schwerer Kriminalität anzuwenden (Filzwieser/Frank/Kloibmüller/Raschhofer, Asyl- und Fremdenrecht § 67 FPG K1).

Obwohl gegen den BF bereits mehrmals eine Ausweisung erlassen wurde, erfüllt sein Gesamtverhalten den Gefährdungsmaßstab des § 67 Abs 1 erster bis vierter Satz FPG nicht, zumal ein - allenfalls weiter zu befürchtender - unrechtmäßiger Aufenthalt im Bundesgebiet ein Aufenthaltsverbot im Hinblick auf die gebotene unionsrechtskonforme Auslegung dieser Bestimmung (tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr) nicht zu rechtfertigen vermag (vgl. VwGH 22.11.2012, 2011/23/0453 zu § 86 Abs. 1 FrPolG 2005). Dies unter Beachtung der im 4. Hauptstück des NAG 2005 enthaltenen Bestimmungen der §§ 51 bis 56 NAG 2005, welche (unter anderem) das unionsrechtliche Aufenthaltsrecht von EWR-Bürgern von mehr als drei Monaten und deren Daueraufenthaltsrecht regeln sowie der Freizügigkeitsrichtlinie 2004/38/EG über das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedsstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten.

Die von ihm begangenen Verstöße weisen noch nicht eine solche Schwere auf, dass eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt, vorliegen würde. Unter Einbeziehung sämtlicher Aspekte erreicht das Gesamt(fehl-)verhalten des BF den in § 67 Abs 1 erster bis vierter Satz FPG festgelegten Schweregrad nicht. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass er strafrechtlich unbescholten ist, keine Eintragungen im Kriminalpolizeilichen Aktenindex vorliegen und noch keine Strafverfügungen erlassen wurden.

Da die Voraussetzungen für die Erlassung eines Aufenthaltsverbots somit nicht erfüllt sind, ist Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheids in Stattgebung der Beschwerde ersatzlos zu beheben. Dies bedingt auch die Aufhebung der darauf aufbauenden Spruchpunkte II. und III. des angefochtenen Bescheids (Nichterteilung eines Durchsetzungsaufschubs und Aberkennung der aufschiebenden Wirkung).

Da bereits auf Grund der Aktenlage feststeht, dass der angefochtene Bescheid aufzuheben ist, entfällt eine mündliche Verhandlung gemäß § 24 Abs 2 Z 1 VwGVG.

Zu Spruchteil B):

Die bei Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme unter Bedachtnahme auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalls in Form einer Gesamtbetrachtung vorgenommene Erstellung einer Gefährdungsprognose ist im Allgemeinen nicht revisibel (vgl VwGH Ra 11.05.2017, 2016/21/0022; 20.10.2016, Ra 2016/21/0284). Die Revision ist nicht zuzulassen, weil sich das BVwG dabei an bestehender höchstgerichtlicher Rechtsprechung orientieren konnte und keine darüber hinausgehende grundsätzliche Rechtsfrage iSd Art 133 Abs 4 B-VG zu lösen war.

Schlagworte

Aufenthaltsverbot Behebung der Entscheidung geringfügiges Verschulden Interessenabwägung mangelnder Anknüpfungspunkt Voraussetzungen Wegfall der Gründe

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:G310.2235529.1.00

Im RIS seit

24.02.2021

Zuletzt aktualisiert am

24.02.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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