Entscheidungsdatum
08.10.2020Norm
AsylG 2005 §3Spruch
I401 2174244-1/12E
I401 2174240-1/11E
I401 2174242-1/8E
I401 2174246-1/7E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Gerhard AUER über die Beschwerden 1. XXXX , alle StA. Irak, die minderjährigen Beschwerdeführer vertreten durch den gesetzlichen Vertreter XXXX und die gesetzliche Vertreterin XXXX , alle vertreten durch den Verein Menschenrechte Österreich, Alser Straße 20, 1090 Wien, gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Niederösterreich, jeweils vom 20.09.2017, Zlen. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht erkannt:
A)
Die Beschwerden werden als unbegründet abgewiesen.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:
Die im Spruch genannten Beschwerdeführer (in der Folge wie in obiger Reihenfolge angegeben als Erstbeschwerdeführer, Zweitbeschwerdeführerin, Drittbeschwerdeführer und Viertbeschwerdeführerin bezeichnet) verließen gemeinsam Ende Juli 2015 den Irak legal mit einem Flugzeug in die Türkei. Von dort aus gelangten sie schlepperunterstützt illegal nach Österreich und stellte die Familie am 20.10.2015 Anträge auf internationalen Schutz.
Der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin gaben als Fluchtgründe in ihren Erstbefragungen vor Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes an, dass ihr damals vierjähriger Sohn, der Drittbeschwerdeführer, am 25.07.2015 entführt und erst am späten Abend an diesem Tag wieder freigelassen worden sei. Der Familie sei telefonisch gedroht worden, den Sohn das nächste Mal nicht wieder zu sehen, wenn sie nicht das Land verließe. Außerdem sei der Bruder der Zweitbeschwerdeführerin fünf Monate zuvor von Milizen angeschossen worden, weil er für die Briten gearbeitet habe.
Am 26.01.2017 wurden der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in der Folge als Bundesamt bezeichnet) niederschriftlich einvernommen. Befragt zum Fluchtgrund gab der Erstbeschwerdeführer an, dass die Familie bereits zuvor zweimal Drohbriefe erhalten habe, weil er als Schiite und seine Frau als Sunnitin eine nicht geduldete Mischehe führen würden. Seine Eltern seien Anfang des Jahres 2015 aus Angst nach Erbil gezogen. Die Drohbriefe habe er anfangs nicht ernst genommen und auch nicht aufbewahrt. Nach der Entführung des Sohnes am 25.07.2015 habe sich die Familie entschlossen, den Irak endgültig zu verlassen. Die Zweitbeschwerdeführerin gab als Fluchtgrund nur die Entführung des Sohnes an und dass das Problem von der Mischehe herrühre. Außerdem sei das Leben im Irak nicht einfach, ihrem Bruder sei aufgrund seiner Tätigkeit als Dolmetscher für die Amerikaner in den Fuß geschossen worden.
Mit den oben angeführten Bescheiden jeweils vom 20.09.2017 wurden die Anträge der Beschwerdeführer hinsichtlich der Zuerkennung der Stati der Asylberechtigten abgewiesen (Spruchpunkte I.), ihnen jedoch die Stati der subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 zuerkannt (Spruchpunkte II.) und ihnen eine befristete Aufenthaltsberechtigung erteilt.
Gegen die Bescheide richtet sich die Beschwerde vom 12.10.2017, die für alle Beschwerdeführer erhoben wurde. Bekämpft werde jeweils nur der Spruchpunkt I. Der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin hätten glaubhaft vorgebracht, dass sie durch das Eingehen einer Mischehe gegen den Wertekanon ihrer Stämme verstoßen hätten und aufgrund ihrer interkonfessionellen Ehe einer gezielten Gefährdungslage unterlägen. Die Sippe der Zweitbeschwerdeführerin sei von Anfang an gegen die Heirat mit dem Erstbeschwerdeführer gewesen und sei es wiederholt zu Streitigkeiten und Auseinandersetzungen gekommen. Zusätzlich liege ein Nachfluchtgrund vor, da der Mann der Tante der Zweitbeschwerdeführerin, der zugleich auch der Cousin des Vaters des Erstbeschwerdeführers sei, aufgrund seiner politischen Funktion im Irak in Österreich den Status eines Asylberechtigten erhalten habe und die Zweitbeschwerdeführerin zu ihm im Irak regelmäßig Kontakt gehabt habe. Der Onkel, dessen Wohnhaus im Jahr 2013 und ihm gehörende Supermarkt im Jahr 2014 nach einer Brandattacke abgebrannt seien, habe sich nach der Ausreise der Beschwerdeführer im Wohnhaus des Erstbeschwerdeführers aufgehalten. Er habe mit ihnen zuvor regelmäßigen Umgang sowie oftmals telefonischen Kontakt gepflegt. Als Familienmitglieder politisch einflussreicher Funktionäre könne es zu Entführungen, Erpressungsversuchen oder ähnlichem kommen, um ein gewisses Verhalten zu erzielen und Repressalien zu verüben. Es sei wahrscheinlich, dass die Beschwerdeführer im Fall ihrer Rückkehr solche Vergeltungsmaßnahmen zu befürchten hätten, da sie aufgrund der familiären Nähe zum Onkel einem besonderen Gefährdungskreis unterlägen.
Am 25.09.2020 fand vor dem Bundesverwaltungsgericht, Außenstelle Innsbruck, eine mündliche Verhandlung statt, zu der die Beschwerdeführer, eine Rechtsvertreterin und ein Dolmetscher für die arabische Sprache erschienen sind. Der in der Beschwerde angegebene Onkel wurde als Zeuge geladen, blieb der Verhandlung aber entschuldigt fern ebenso ein Vertreter des Bundesamtes.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
1.1. Zum Sachverhalt und zu den Personen:
Um Wiederholungen zu vermeiden, wird der oben dargestellte Verfahrensgang als Sachverhalt festgestellt. Ergänzend wird festgestellt, dass den Beschwerdeführern zuletzt mit Bescheiden vom 24.09.2020 eine weitere Aufenthaltsberechtigung gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 bis 28.09.2022 erteilt wurde. Die Beschwerdeführer halten sich als subsidiär Schutzberechtigte in Österreich auf und haben ihren Wohnsitz in Niederösterreich.
Der Erstbeschwerdeführer ist moslemisch-schiitischen Glaubens und ist mit der sich zum moselmisch-sunnitischen Glauben bekennenden Zweitbeschwerdeführerin verheiratet. Sie sind die Eltern der minderjährigen Beschwerdeführer. Alle Beschwerdeführer sind irakische Staatsangehörige. Ihre Identität steht fest.
Alle Beschwerdeführer sind gesund und nicht behandlungsbedürftig. Der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin sind arbeitsfähig. Sie sind strafgerichtlich unbescholten.
1.2. Zur (auszugsweise wiedergegebenen) Lage im Herkunftsstaat (mit Angabe der Quellen):
15.1 Sunnitische Araber
Letzte Änderung: 17.3.2020
Die arabisch-sunnitische Minderheit, die über Jahrhunderte die Führungsschicht des Landes bildete, wurde nach der Entmachtung Saddam Husseins 2003, insbesondere in der Regierungszeit von Ex-Ministerpräsident Al-Maliki (2006 bis 2014), aus öffentlichen Positionen gedrängt. Mangels anerkannter Führungspersönlichkeiten fällt es den sunnitischen Arabern weiterhin schwer, ihren Einfluss auf nationaler Ebene geltend zu machen. Oftmals werden Sunniten einzig aufgrund ihrer Glaubensrichtung als IS-Sympathisanten stigmatisiert oder gar strafrechtlich verfolgt (AA 12.1.2019). Bei willkürlichen Verhaftungen meist junger sunnitischer Männer wird durch die Behörden auf das Anti-Terror-Gesetz verwiesen, welches das Recht auf ein ordnungsgemäßes und faires Verfahren vorenthält (USDOS 21.6.2019). Zwangsmaßnahmen und Vertreibungen aus ihren Heimatorten richten sich vermehrt auch gegen unbeteiligte Familienangehörige vermeintlicher IS-Anhänger (AA 12.1.2019).
Es gibt zahlreiche Berichte über Festnahmen und die vorübergehende Internierung von überwiegend sunnitisch-arabischen IDPs durch Regierungskräfte, PMF und Peshmerga (USDOS 11.3.2020). Noch für das Jahr 2018 gibt es Hinweise auf außergerichtliche Hinrichtungen von sunnitischen Muslimen in und um Mossul (USCIRF 4.2019).
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt (12.1.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, https://www.ecoi.net/en/file/local/1457267/4598_1548939544_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-republik-irak-stand-dezember-2018-12-01-2019.pdf, Zugriff 13.3.2020
- USCIRF - US Commission on International Religious Freedom (4.2019): United States Commission on International Religious Freedom 2019 Annual Report; Country Reports: Tier 2 Countries: Iraq, https://www.ecoi.net/en/file/local/2008186/Tier2_IRAQ_2019.pdf, Zugriff 13.3.2020
- USDOS - US Department of State (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 – Iraq, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026340.html, Zugriff 13.3.2020
- USDOS - US Department of State (21.6.2019): 2018 Report on International Religious Freedom: https://www.ecoi.net/de/dokument/2011175.html, Zugriff 13.3.2020
Aus dem EASO-Informationsbericht über das Herkunftsland Irak - Gezielte Gewalt gegen Individuen vom März 2019 ergibt sich aus Punkt 3.10. zu sunnitisch-schiitischen Mischehen (S 208 ff):
Bei der Erörterung von Mischehen im Irak während des EASO-Treffens zur praktischen Zusammenarbeit im Irak im April 2017 merkte Mark Lattimer an, dass Mischehen zwischen sunnitischen und schiitischen Muslimen im Irak ziemlich verbreitet sind.“ Er führt weiter aus, dass „über viele Jahrzehnte hinweg ein großes Übergewicht an Mischehen bestand und es immer noch viele gemischte Familien und gemischte Gemeinden im Irak gibt.“1510 BBC News berichtete, dass sunnitisch-schiitische Ehen in Ländern mit großer schiitischer Bevölkerung wie dem Irak und dem Libanon üblich sind. Mina al-Lami, Journalistin bei BBC Monitoring, die im Irak in eine sunnitisch-schiitische Ehe hineingeboren wurde, fügte hinzu, dass „es im Irak, insbesondere in Gegenden mit ethnisch gemischter Bevölkerung wie in der Hauptstadt Bagdad, üblich war und ist, Eltern aus verschiedenen Sekten zu haben.“1511
Laut einem leitenden Irak-Forscher bei Human Rights Watch, der im Januar 2018 von der Forschungsdirektion des IRB kontaktiert wurde, gibt es „eine umfassende anekdotische Evidenz, dass die Zahl der Mischehen in den Jahren rund um den Höhepunkt der sunnitisch-schiitischen Gewalt in den Jahren 2006-2007 zurückgegangen ist.“ Abgesehen von Ausnahmefällen sind „Mischehen aus unterschiedlichen Sekten im Irak nicht umstritten.“1512 Der Vertreter der Nahost- und Nordafrika-Programme des Ceasefire Centre for Civilian Rights, der im Januar 2018 von der IRB kontaktiert wurde, gab an, dass Ehen zwischen Sekten „seit 2006 in einigen Gegenden aufgrund der Politisierung der konfessionellen Unterschiede gesellschaftlich weniger akzeptiert wurden.“ Er erklärte ferner: „Das ist von Familie zu Familie und von Ort zu Ort ziemlich unterschiedlich.“1513 Die BBC Monitoring-Journalistin Mina al-Lami erklärte ebenfalls, dass die sektiererischen Spannungen im Irak seit 2003 zu einem Rückgang der sunnitisch-schiitischen Ehen geführt haben. „Nach wie vor sind sie jedoch nichts Ungewöhnliches.“1514
Der Vertreter der Nahost- und Nordafrika-Programme des Ceasefire Centre for Civilian Rights erklärte, dass sein Netzwerk aus lokalen Forschern zwischen Februar 2014 und Mai 2015 1.249 Fälle familiärer Gewalt dokumentiert habe. Bei elf dieser Fälle wurde die Mischehe zwischen den Sekten als Faktor für die Gewalt oder den Missbrauch erwähnt. Dieselbe Quelle gab an, dass die Organisation eine Reihe von Fällen dokumentiert hat, in denen sunnitisch-schiitische Paare nach dem Anstieg der sektiererischen Spannungen durch Druck seitens der Familie oder Gemeinde gezwungen waren, sich scheiden zu lassen. In anderen Fällen waren Frauen in Mischehen, insbesondere, wenn sie mit der Familie des Mannes zusammenlebten, aufgrund der andersartigen Konfession der Mutter häuslichem Missbrauch und Gewalt ausgesetzt. In Scheidungsfällen wurde manchmal den Frauen verwehrt, ihre Kinder zu sehen, weil sich ihre Religion von der ihres früheren Mannes unterschied.1515
Auf die Frage, ob Paare in Mischehen zu Opfern von Gewalt werden könnten, antwortete Mark Lattimer beim Treffen zur praktischen Zusammenarbeit des EASO zum Irak im April 2017, dass dies durchaus passieren könnte. „Sie werden jedoch nicht willkürlich verfolgt. Mischehen haben im Irak eine lange Tradition.“1516 In Bezug auf Ehrenmorde in der Region Kurdistan fügte dieselbe Quelle hinzu, dass Frauen stärker von Ehrengewalt betroffen sind als Männer, beispielsweise im Fall einer „problematischen Mischehe.“1517
In einem Bericht von 2011 merkte die IOM Iraq an, dass es unter den Ehen mit gemischten Religionen am häufigsten Scheidungen und Trennungen gab. Der IOM zufolge brechen diese Ehen aufgrund des „familiären Drucks und der Drohungen der Milizengruppen“ auseinander.1518 In einem Artikel aus dem Jahr 2010, der vom Institute for War and Peace Reporting, einer gemeinnützigen Organisation, die mit Medien und der Zivilgesellschaft zusammenarbeitet, um Veränderungen in Konfliktgebieten zu unterstützen, veröffentlicht wurde, beschreibt eine schiitische Frau, die mit einem sunnitischen Mann verheiratet ist, wie sie Morddrohungen erhalten hat, als sie auf dem Höhepunkt des sektiererischen Konflikts im Jahr 2006 in einem sunnitischen Viertel in Bagdad lebte.1519 Im Jahr 2007 berichtete die Washington Post, dass gemischte Paare im Irak Gewalt und Drohungen ausgesetzt waren. Sie wurden von Milizen oder Aufständischen gezwungen, ihre Häuser zu verlassen, weil einer der Partner der falschen Sekte angehört.1520
Quelle:
- EASO - European Asylum Support Office: Irak; Gezielte Gewalt gegen Individuen, März 2019 https://www.ecoi.net/en/file/local/2019413/2019_03_EASO_COI_Report_Iraq_Targeting_of_Individuals_DE.pdf (Zugriff am 29. September 2020)
1.3. Zu den Fluchtgründen:
Entgegen dem Fluchtvorbringen des Erstbeschwerdeführers und der Zweitbeschwerdeführerin wird festgestellt, dass die Beschwerdeführer im Irak keiner Verfolgung oder Bedrohung aufgrund Eingehens einer Mischehe als schiitischer Ehemann und sunnitische Ehefrau ausgesetzt sind.
Die minderjährigen Beschwerdeführer haben keine eigenen Fluchtgründe und droht auch ihnen keine Verfolgung aufgrund der interkonfessionellen Ehe zwischen ihren Eltern.
Den Beschwerdeführern wird auch keine Verfolgung aufgrund der früheren politischen Aktivitäten des nunmehr in Österreich asylberechtigten Onkels drohen.
Die Beschwerdeführer haben den Irak aus anderen Gründen als auf wohlbegründeter Furcht aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verlassen. Sie sind vor ihrer Ausreise keiner individuellen und aktuellen Verfolgung aus den von ihnen genannten Gründen im Herkunftsstaat ausgesetzt gewesen.
2. Beweiswürdigung:
2.1. Zum Sachverhalt und zu den Personen:
Zur Feststellung des für die Entscheidung maßgebenden Sachverhaltes wurden im Rahmen des Ermittlungsverfahrens Beweise erhoben durch die Einsichtnahme in die Beschwerde und die angefochtenen Bescheide, die vorgelegten Verwaltungsakte unter zentraler Berücksichtigung der niederschriftlichen Angaben des Erstbeschwerdeführers und der Zweitbeschwerdeführerin vor den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes und dem Bundesamt, in das aktuelle „Länderinformationsblatt der Staatendokumentation“ zum Irak und den Bericht von EASO - European Asylum Support Office: Irak; Gezielte Gewalt gegen Individuen, März 2019, sowie durch Befragung des Erstbeschwerdeführers und der Zweitbeschwerdeführerin im Rahmen der mündlichen Verhandlung am 25.09.2020.
Ergänzend wurden Auskünfte aus dem Zentralen Fremdenregister, dem Strafregister der Republik Österreich und dem Zentralen Melderegister eingeholt. Bereits aus diesen Abfragen ergeben sich die Feststellungen zu ihren Identitäten und den bisherigen Verfahren sowie den aktuellen Aufenthaltsberechtigungen als subsidiär Schutzberechtigte bis 28.09.2022, zum Wohnsitz der Beschwerdeführer und zur strafgerichtlichen Unbescholtenheit.
2.2. Zur Lage im Herkunftsstaat:
Die Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat beruhen auf dem aktuellen Länderinformationsbericht der Staatendokumentation für den Irak samt den dort publizierten Quellen und Nachweisen. Dieser Länderinformationsbericht stützt sich auf Berichte verschiedener ausländischer Behörden, etwa die allgemein anerkannten Berichte des Deutschen Auswärtigen Amtes, als auch jene von internationalen Organisationen, wie bspw. dem UNHCR, sowie Berichte von allgemein anerkannten unabhängigen Nachrichtenorganisationen.
Angesichts der Seriosität und Plausibilität der angeführten Erkenntnisquellen sowie dem Umstand, dass diese Berichte auf einer Vielzahl verschiedener, voneinander unabhängigen Quellen beruhen und dennoch ein in den Kernaussagen übereinstimmendes Gesamtbild ohne wissentliche Widersprüche darbieten, besteht kein Grund, an der Richtigkeit der Angaben zu zweifeln.
Die Beschwerdeführer traten diesen Quellen und deren Kernaussagen zur Situation im Herkunftsland in der Beschwerde und in der mündlichen Verhandlung nicht substantiiert entgegen und wurde in der mündlichen Verhandlung die Lage im Irak mit den Beschwerdeführern neuerlich erörtert.
Die Anfragebeantwortung der Staatendokumentation vom 24.05.2016 betreffend konfessionell gemischte Ehepaare bzw. Auszüge daraus brachten die Beschwerdeführer selbst im Rahmen ihres Beschwerdeschriftsatzes ins Verfahren ein und erfolgte dazu keine weitere Stellungnahme. Die angegebene Anfragebeantwortung wurde nicht als Beweismittel vorgelegt und konnte auch nach Recherche auf der Seite staatendokumentation.at nicht gefunden werden. In der Beschwerde wurde als Quelle lediglich das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 08.11.2015, L521 2124731-1, angeführt, aber auch daraus ergibt sich nicht das gesamte Dokument. Der oben weiters zitierte Bericht von EASO vom März 2019 steht nicht im Widerspruch zu den vorgenannten Quellen und gibt aufgrund des jüngeren Datums die aktuellere Lage wieder. Aus diesem Grund wurde der EASO-Bericht herangezogen, auch weil die von den Beschwerdeführern angegebene Anfragebeantwortung vom 24.05.2016 nicht (vollständig) aktenkundig gemacht werden konnte.
2.3. Zu den Fluchtgründen:
2.3.1. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist der Begriff der Glaubhaftmachung im AVG oder in den Verwaltungsvorschriften im Sinn der Zivilprozessordnung zu verstehen. Es genügt daher diesfalls, wenn der Beschwerdeführer die Behörde von der (überwiegenden) Wahrscheinlichkeit des Vorliegens der zu bescheinigenden Tatsachen überzeugt. Die Glaubhaftmachung wohlbegründeter Furcht setzt positiv getroffene Feststellungen seitens der Behörde und somit die Glaubwürdigkeit der hierzu geeigneten Beweismittel, insbesondere des diesen Feststellungen zugrundeliegenden Vorbringens des Asylwerbers, voraus (VwGH 23.09.2014, Ra 2014/01/0058, mwN). Die Frage, ob eine Tatsache als glaubhaft gemacht zu betrachten ist, unterliegt ebenso wie die Beweisführung den Regeln der freien Beweiswürdigung (VwGH 27.05.1998, Zl. 97/13/0051). Bloßes Leugnen oder eine allgemeine Behauptung reicht für eine Glaubhaftmachung nicht aus (VwGH 01.10.1997, Zl. 96/09/0007).
Im Falle der Unglaubwürdigkeit der Angaben des Asylwerbers sind positive Feststellungen von der Behörde nicht zu treffen (VwGH 19.03.1997, Zl. 95/01/0466).
Im Hinblick auf die Glaubwürdigkeit von Angaben eines Asylwerbers hat der Verwaltungsgerichtshof als Leitlinien entwickelt, dass es erforderlich ist, dass der Asylwerber die für die ihm drohende Behandlung oder Verfolgung sprechenden Gründe konkret und in sich stimmig schildert (VwGH 26.06.1997, Zl. 95/21/0294) und dass diese Gründe objektivierbar sind (VwGH 05.04.1995, Zl. 93/18/0289). Das Vorbringen des Asylwerbers muss, um eine maßgebliche Wahrscheinlichkeit und nicht nur eine entfernte Möglichkeit einer Verfolgung glaubhaft zu machen, eine entsprechende Konkretisierung aufweisen. Die allgemeine Behauptung von Verfolgungssituationen, wie sie in allgemein zugänglichen Quellen auffindbar sind, genügt zur Dartuung von selbst Erlebtem grundsätzlich nicht. Der Asylwerber hat im Rahmen seiner Mitwirkungspflicht nach § 15 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 alle zur Begründung des Antrags auf internationalen Schutz erforderlichen Anhaltspunkte über Nachfrage und allenfalls durch entsprechende Bescheinigungsmittel untermauert wahrheitsgemäß darzulegen (VwGH 15.03.2016, Ra 2015/01/0069). Die Mitwirkungspflicht des Asylwerbers bezieht sich zumindest auf jene Umstände, die in seiner Sphäre gelegen sind, und deren Kenntnis sich die Behörde nicht von Amts wegen verschaffen kann (VwGH 30.09.1993, Zl. 93/18/0214).
Es entspricht ferner der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes, wenn Gründe, die zum Verlassen des Heimatlandes beziehungsweise Herkunftsstaates geführt haben, im Allgemeinen als nicht glaubwürdig angesehen werden, wenn der Asylwerber die nach seiner Meinung einen Asyltatbestand begründenden Tatsachen im Laufe des Verfahrens bzw. der niederschriftlichen Einvernahmen unterschiedlich oder sogar widersprüchlich darstellt, wenn seine Angaben mit den der Erfahrung entsprechenden Geschehnisabläufen oder mit tatsächlichen Verhältnissen bzw. Ereignissen nicht vereinbar und daher unwahrscheinlich erscheinen oder wenn er maßgebliche Tatsachen erst sehr spät im Laufe des Asylverfahrens vorbringt (VwGH 06.03.1996, Zl. 95/20/0650). Die Unkenntnis in wesentlichen Belangen indiziert ebenso mangelnde Glaubwürdigkeit (VwGH 19.03.1997, Zl. 95/01/0466).
2.3.2. Der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin brachten bei ihren Erstbefragungen übereinstimmend vor, dass ihr Sohn am 25.07.2015 auf dem Weg zum Supermarkt entführt und am späten Abend desselben Tages wieder freigelassen worden sei. Es habe einen Drohanruf gegeben, dass die Familie das Kind das nächste Mal nicht zurückbekomme, sollte sie nicht das Land verlassen. Die Zweitbeschwerdeführerin gab außerdem noch an, dass ihr Bruder von Milizen aufgrund seiner Tätigkeiten für die Briten angeschossen worden sei, vor dem Bundesamt gab sie davon abweichend zu Protokoll, er hätte für die Amerikaner gearbeitet.
Auch in den niederschriftlichen Einvernahmen des Erstbeschwerdeführers und der Zweitbeschwerdeführerin am 26.01.2017 blieben ihre Angaben vage und oberflächlich. Insbesondere ist festzustellen, dass keiner der Beschwerdeführer den oder die Entführer nennen konnte. Beide Beschwerdeführer gaben lediglich übereinstimmend an, aufgrund der zwischen einem Schiiten und einer Sunnitin geschlossenen Mischehe, die der Grund für die Entführung des Sohnes gewesen sein könnte, das Land verlassen zu haben. Er führte zudem aus, dass er nicht wisse, ob die Drohbriefe von Schiiten oder Sunniten verfasst worden seien.
In der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht bot sich ein gänzlich anderes Bild, da der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin nunmehr detailliert darlegen konnten, dass die Onkel der Zweitbeschwerdeführerin hinter all den Drohungen und der Entführung des Sohnes steckten. Nachgefragt, weshalb sie nunmehr den Verfolger namhaft machen können, gab die Zweitbeschwerdeführerin an, dass sie bereits vor dem Bundesamt ihren „Stamm“ erwähnt habe und damit die Onkel väterlicherseits gemeint habe. Nach Zitierung aus dem Protokoll der niederschriftlichen Einvernahme und dem Hinweis darauf, dass die Niederschrift wörtlich rückübersetzt worden war und seitens der Zweitbeschwerdeführerin keine Einwendungen erfolgten, blieb sie trotzdem dabei und gab an: „Ja, das stimmt. Die Dolmetscherin hat die Rückübersetzung auf Arabisch durchgeführt und da habe ich gesagt, „Ja das stimmt“, aber ich konnte nicht so gut Deutsch.“ und weiter: „Ich werfe niemanden etwas vor, aber ich habe damals alles erwähnt.“ (Verhandlungsprotokoll, S. 12).
Wenn also die Zweitbeschwerdeführerin bereits in der Einvernahme vor dem Bundesamt die Onkel als Verfolger kannte, so ist unverständlich, weshalb der Erstbeschwerdeführer in seiner Einvernahme, die am selben Tag stattgefunden hat, zu Protokoll gab, die Bedrohung nicht konkret festmachen zu können und nicht zu wissen, ob die Drohbriefe von Schiiten oder Sunniten stammten.
Ein weiterer Widerspruch ergibt sich aus seiner Aussage im Rahmen der mündlichen Verhandlung, wonach die Beschwerdeführer nach etwa einem Jahr Aufenthalt in Österreich von der Familie im Irak erfahren hätten, dass die Onkel sie verfolgen. Auf den zeitlichen Widerspruch angesprochen und dass er sein Wissen vor dem Bundesamt am 26.01.2017 demnach verschwiegen hat, gab der Erstbeschwerdeführer Folgendes an (Verhandlungsprotokoll, S. 25 f):
„RI: Warum brachten sie erst in Österreich in Erfahrung, wer die Entführer waren?
BF1: Ich hatte Kontakte zu meiner Familie und zur Familie meiner Frau. Damit meine ich meine Schwiegermutter, meinen Schwager und meine Schwägerinnen, also die Kernfamilie. Sie erzählten mir, dass die Entführer der Großfamilie meiner Frau angehören.
RI: Wann haben Sie das erfahren?
BF1: Ein Jahr nach unserer Einreise in Österreich. Aber wir können nichts dagegen unternehmen.
RI: Wann sind Sie eingereist?
BF1: Im Jahr 2015 Juli oder August.
RI: Sie haben also im Juli oder August 2016 erfahren, das die Großfamilie Ihrer Frau Ihren Sohn entführt haben?
BF1: Ja, das stimmt.
RI: Warum erwähnten Sie bei Ihrer Einvernahme im Jänner 2017 nicht, dass die Großfamilie Ihren Sohn entführt hat?
BF2: Wir haben das nicht erwähnt, damit unsere Familien keine Probleme bekommen. Die Onkel meiner Frau sind Stammesführer, sie haben Waffen und die Regierung kann nichts dagegen unternehmen.
RI: Warum sollen Ihre Familie und die Familie Ihrer Frau Probleme bekommen, wenn Sie ausgereist sind?
BF1: Die Onkel von meiner Frau möchten, dass ich mich von ihr scheiden lasse und dass sie wieder zu ihnen zurückgeht. Wenn meine Frau zurückgeht, weiß ich nicht, was mit ihr passiert, aber dann könnte meine Familie wieder nach Basra zurückkehren. […]“
Der Erstbeschwerdeführer führte also gesteigert ins Treffen, dass ihre Familien im Irak von der Verfolgung bedroht seien und gab er vor dem Bundesamt noch aus eigenem an: „[…] Sollte die Frage aufkommen, warum die Schwiegereltern und der Rest meiner Familie im Irak gut leben können, so ist die Antwort darauf, dass die Familie meiner Frau reinrassig sunnitisch ist und bei meiner Familie alle Schiiten sind und es sonst keine Mischehen in der Familie gibt.“ (AS 75).
Auch zu weiteren Fragestellungen ergaben sich Widersprüche in den Aussagen der Beschwerdeführer. Die Zweitbeschwerdeführerin gab beispielsweise an, nach der Entführung des Sohnes aufgrund eines erlittenen Schocks drei Tage lang im Krankenhaus gewesen zu sein (AS 17), später revidierte sie die Dauer auf einen Tag und begründete den Aufenthalt mit der Begleitung des Sohnes, der eine Verletzung am Auge davongetragen haben soll (Verhandlungsprotokoll, S. 8). Die Zweitbeschwerdeführerin machte auch befragt zur Ausreise widersprüchliche Angaben im Vergleich zum Erstbeschwerdeführer. Nach der Nacht im Krankenhaus habe sie zwei weitere Nächte in ihrem Elternhaus verbracht (Verhandlungsprotokoll, S. 19). Der Erstbeschwerdeführer gab abweichend davon an, dass die Zweitbeschwerdeführerin direkt aus dem Krankenhaus zum Flughafen gekommen wäre und die Familie sodann in Richtung Türkei ausgereist sei (Verhandlungsprotokoll, S. 30). Der Erstbeschwerdeführer äußerte in der mündlichen Verhandlung weiters, dass die Probleme erst nach dem Umzug in die Nähe der Schwiegereltern begonnen hätten und er zuvor mit seiner Familie in seinem Elternhaus keinerlei Bedrohung erfahren hätte (Verhandlungsprotokoll, S. 28). Vor dem Bundesamt führte er aber aus: „Wir wohnten zunächst bei meiner Familie. Dorthin bekamen wir einen Drohbrief in dem stand, dass wir aus dem Bezirk wegmüssen, der Grund war uns unbekannt […] Ich zog dann in die Näher meiner Schwiegereltern mit meiner Frau und den Kindern.“ (AS 71). Gesteigert wurde vom Erstbeschwerdeführer und von der Zweitbeschwerdeführerin auch vorgebracht, dass dem Drohbrief eine Patrone beigelegt worden wäre (Verhandlungsprotokoll, S 14 bzw. S. 28) und blieb diese Angabe zuvor unerwähnt. Hinzu kommt, dass die Beschwerdeführer keine nachvollziehbare Erklärung angeben konnten, weshalb sie als konfessionell gemischtes Ehepaar über fünf Jahre unbehelligt leben konnten und nunmehr vehement ihre Scheidung bzw. Vertreibung von den Onkeln der Zeitbeschwerdeführerin gefordert wird. Wenn deren Verfolgungshandlungen für die Beschwerdeführer so an Intensität zunahmen, dass sie ausreisen mussten, ist es nicht nachvollziehbar, dass sie über mehrere Monate in der Nähe der Eltern und der Onkel der Zeitbeschwerdeführerin verblieben und nicht in die unbelastete Umgebung der Eltern bzw. der Familie des Erstbeschwerdeführers wieder zurückkehrten.
Es war auch von einem früher verfassten und ihnen zur Kenntnis gebrachten Ausschluss aus der Sippe nie die Rede und wurden unterschiedliche Angaben zu den Zeitpunkten der Bedrohungen gemacht (zum einen erst ab dem Umzug in die Nähe der Familie der Zweitbeschwerdeführerin, zum anderen Erhalt der Drohbriefe bereits im Elternhaus des Erstbeschwerdeführers). Der vorgelegten Bestätigung über den Ausschluss der Zweitbeschwerdeführerin und ihres Bruders aus der Sippe kommt keine entscheidende Beweiskraft zu, zumal die deutsche Übersetzung nicht den Namen der Zweitbeschwerdeführerin enthält, erst am 13.02.2020 ausgestellt wurde und damit keine Verfolgungshandlung indiziert ist. Das Schreiben bestätigt zwar den nach wie vor aufrechten Verstoß aus der Sippe, was darauf hindeutet, dass ein solcher bereits früher ausgesprochen wurde, spricht aber keine gegen die Zweitbeschwerdeführerin gerichtete konkrete Bedrohungshandlung aus.
Allgemein ergibt sich aus dem aktuellen Länderbericht zum Irak, insbesondere aus dem EASO-Bericht vom März 2019 zu den Mischehen Folgendes: Mischehen zwischen sunnitischen und schiitischen Muslimen im Irak, insbesondere in den großen Städten, sind verbreitet, grundsätzlich unumstritten und haben eine lange Tradition, wobei diesbezüglich Unterschiede von Ort zu Ort und Familie zu Familie bestehen können. Ehepaare, insbesondere die Ehefrauen, einer Mischehe werden jedoch im Irak nicht willkürlich verfolgt.
Im Fall einer Rückkehr der Beschwerdeführer in den Irak ergibt sich somit keine generelle und zum gegenwärtigen Entscheidungszeitpunkt noch aktuelle Verfolgungsgefahr wegen der von ihnen geschlossenen Mischehe.
Im Ergebnis ist daher festzustellen, dass in Gesamtschau der zahlreichen widersprüchlichen Angaben und gesteigerten Vorbringen, keine im Kern glaubhafte Verfolgung geltend gemacht werden konnte.
2.3.3. Zum Nachfluchtgrund:
Erstmals wurde in der Beschwerde vorgebracht, dass der Zweitbeschwerdeführerin eine Verfolgung im Irak auch aufgrund der politischen Aktivitäten des Mannes ihrer Tante, der zugleich auch der Cousin des Vaters des Erstbeschwerdeführers sei, drohe, weil sie in regelmäßigem Kontakt mit ihm gestanden sei. Dem genannten Onkel sei in Österreich aufgrund politischer Verfolgung im Irak Asyl gewährt worden.
Da der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin in der mündlichen Verhandlung abweichend davon angaben, dass es sich nicht um den Onkel der Zweitbeschwerdeführerin, sondern des Erstbeschwerdeführers handle, sind bereits aus diesem Grund Zweifel am vorgebrachten Nachfluchtgrund angebracht.
Im Übrigen handelt es sich bei der Behauptung der Beschwerdeführer, durch die familiäre Nähe zum Onkel könnten sie bei einer Rückkehr wahrscheinlich Vergeltungsmaßnahmen ausgesetzt sein, um bloße Mutmaßungen. Zudem machten sie mit dem unsubstantiiert gebliebenen allgemein gehaltenen Nachfluchtgrund, allein aus der familiären Nähe zum Onkel sei bei ihrer Rückkehr mit Vergeltungsmaßnahmen und Repressalien zu rechnen, eine erhebliche, gegen die Beschwerdeführer gerichtete individuelle Verfolgung und Bedrohung nicht geltend.
Anzumerken ist abschließend, dass für den Drittbeschwerdeführer und die Viertbeschwerdeführerin keine eigenen oder anderen Fluchtgründe vorgebracht wurden.
2.3.4. Das Fluchtvorbringen der Beschwerdeführer ist daher als unglaubwürdig einzustufen. Mit ihrem Vorbringen konnten sie keine beachtenswerte Verfolgung glaubhaft darlegen. Auch in der mündlichen Verhandlung konnten die einvernommenen Beschwerdeführer keine schlüssigen und nachvollziehbaren Gründe angeben, die eine ernsthafte Gefahr einer Verfolgung im Irak glaubhaft machen können.
Damit ist die Beurteilung der Fluchtgründe und die diesbezügliche Beweiswürdigung durch die belangte Behörde nicht zu beanstanden und haben sich auch im Rahmen der mündlichen Verhandlung keine neuen oder anderen Hinweise auf eine die Beschwerdeführer drohende Verfolgung aufgetan. Das Bundesverwaltungsgericht gelangte somit ebenfalls aufgrund des in der mündlichen Verhandlung gewonnenen persönlichen Eindrucks vom Erstbeschwerdeführer und der Zweitbeschwerdeführerin und den oben angegebenen Gründen zur Überzeugung, dass eine Verfolgung im Irak von staatlichen und/oder privaten Gruppen aus politischen, rassischen, religiösen Gründen oder aus Gründen der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe nicht glaubhaft sind.
3. Rechtliche Beurteilung:
Zu Spruchpunkt A):
3.1. „Familienverfahren“:
§ 34 AsylG (in der Fassung BGBl. I Nr. 145/2017) lautet (auszugsweise):
„(1) Stellt ein Familienangehöriger von
1. einem Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt worden ist;
2. einem Fremden, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten (§ 8) zuerkannt worden ist oder
3. einem Asylwerber
einen Antrag auf internationalen Schutz, gilt dieser als Antrag auf Gewährung desselben Schutzes.
(2) … .
(3) Die Behörde hat auf Grund eines Antrages eines Familienangehörigen eines Fremden, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt worden ist, dem Familienangehörigen mit Bescheid den Status eines subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, wenn
1. dieser nicht straffällig geworden ist;
3. gegen den Fremden, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt wurde, kein Verfahren zur Aberkennung dieses Status anhängig ist (§ 9) und
4. dem Familienangehörigen nicht der Status eines Asylberechtigten zuzuerkennen ist.
(4) Die Behörde hat Anträge von Familienangehörigen eines Asylwerbers gesondert zu prüfen; die Verfahren sind unter einem zu führen; unter den Voraussetzungen der Abs. 2 und 3 erhalten alle Familienangehörigen den gleichen Schutzumfang. Entweder ist der Status des Asylberechtigten oder des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, wobei die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten vorgeht, es sei denn, alle Anträge wären als unzulässig zurückzuweisen oder abzuweisen. Jeder Asylwerber erhält einen gesonderten Bescheid. Ist einem Fremden der faktische Abschiebeschutz gemäß § 12a Abs. 4 zuzuerkennen, ist dieser auch seinen Familienangehörigen zuzuerkennen.
(5) Die Bestimmungen der Abs. 1 bis 4 gelten sinngemäß für das Verfahren beim Bundesverwaltungsgericht.
(6) … .
Gemäß § 2 Abs. 1 Z 22 AsylG gilt als Familienangehöriger, wer Elternteil eines minderjährigen Kindes, Ehegatte oder zum Zeitpunkt der Antragstellung minderjähriges lediges Kind eines Asylwerbers oder eines Fremden ist, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten oder des Asylberechtigten zuerkannt wurde, sofern die Ehe bei Ehegatten bereits vor der Einreise des subsidiär Schutzberechtigten oder des Asylberechtigten bestanden hat, sowie der gesetzliche Vertreter der Person, der internationaler Schutz zuerkannt worden ist, wenn diese minderjährig und nicht verheiratet ist, sofern dieses rechtserhebliche Verhältnis bereits vor der Einreise des subsidiär Schutzberechtigten oder des Asylberechtigten bestanden hat; dies gilt weiters auch für eingetragene Partner, sofern die eingetragene Partnerschaft bereits vor der Einreise des subsidiär Schutzberechtigten oder des Asylberechtigten bestanden hat.
3.2.1. Status des Asylberechtigten:
Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß §§ 4, 4a oder 5 leg. cit. zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) droht.
Im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK ist als Flüchtling anzusehen, wer sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furch nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich in Folge obiger Umstände außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.
Zentraler Aspekt der in Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK definierten Verfolgung im Herkunftsstaat ist die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung. Eine Furcht kann nur dann wohlbegründet sein, wenn sie im Lichte der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation aus Konventionsgründen fürchten würde. Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates zu begründen. Die Verfolgungsgefahr steht mit der wohlbegründeten Furcht in engstem Zusammenhang und ist Bezugspunkt der wohlbegründeten Furcht. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht, die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (VwGH 06.10.1999, Zl. 99/01/0279).
Selbst in einem Staat herrschende allgemein schlechte Verhältnisse oder bürgerkriegsähnliche Zustände begründen für sich alleine noch keine Verfolgungsgefahr im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention. Um eine Verfolgung im Sinne des AsylG erfolgreich geltend zu machen, bedarf es einer zusätzlichen, auf asylrelevante Gründe gestützten Gefährdung des Asylwerbers, die über die gleichermaßen die anderen Staatsbürger des Herkunftsstaates treffenden Unbilligkeiten hinaus geht (VwGH 19.10.2000, Zl. 98/20/0233).
3.2.2. Anwendung der Rechtslage auf die gegenständlichen Fälle:
Wie in der Beweiswürdigung (vgl. Pkt. 2.3.2. f) bereits ausführlich dargelegt, war der Grund für die Ausreise der Beschwerdeführer in den Befürchtungen vor Verfolgung aufgrund der zwischen dem Erstbeschwerdeführer als Schiiten und der Zweitbeschwerdeführerin als Sunnitin geschlossenen Mischehe begründet. Die Beschwerdeführer konnten ihr Vorbringen nicht glaubhaft und schlüssig darlegen und machten sohin keine wohlbegründete individuelle Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, geltend und haben somit keine asylrelevanten Verfolgungsgründe vorgebracht.
Es liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass den Beschwerdeführern eine über die allgemeinen Gefahren im Irak hinausgehende Gruppenverfolgung von Ehepaaren, die unterschiedlicher Konfessionen bzw. Glaubensrichtungen innerhalb des Islam angehören, droht.
Da eine aktuelle oder zum Fluchtzeitpunkt bestehende asylrelevante Verfolgung auch sonst im Rahmen des Ermittlungsverfahrens nicht hervorgekommen oder amtsbekannt ist, ist davon auszugehen, dass den Beschwerdeführern keine Verfolgung aus den in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen droht. Nachteile, die auf die in einem Staat allgemein vorherrschenden politischen, wirtschaftlichen und sozialen Lebensbedingungen zurückzuführen sind, stellen ebenso wie allfällige persönliche und wirtschaftliche Gründe keine Verfolgung im Sinn der Genfer Flüchtlingskonvention dar. Es besteht im Übrigen keine Verpflichtung, Asylgründe zu ermitteln, die ein Asylwerber gar nicht behauptet hat (VwGH 21.11.1995, Zl. 95/20/0329, mwN).
Es gibt bei Zugrundelegung des gesamten Vorbringens der Beschwerdeführer keine konkreten Anhaltspunkte dafür, dass sie im Herkunftsstaat möglicherweise gefährdet wären, einer asylrelevanten Bedrohung oder Verfolgung ausgesetzt zu sein. Die entfernte (sich aus der „engen“ Beziehung der Beschwerdeführer zum Onkel ergebende) Möglichkeit einer Verfolgung genügt jedenfalls nicht, um den Status des Asylberechtigten zu erhalten (VwGH 15.12.2015, Ra 2015/18/0100).
Die Voraussetzungen für die Erteilung von Asyl sind daher nicht gegeben. Aus diesem Grund waren die Beschwerden gegen Spruchpunkte I. der jeweils angefochtenen Bescheide gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG iVm § 3 Abs. 1 AsylG als unbegründet abzuweisen.
Zu Spruchpunkt B) - Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder fehlt es an einer Rechtsprechung zur Glaubhaftmachung von Asylgründen insbesondere Mischehen betreffend noch weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.
Schlagworte
Asylantragstellung Asylverfahren begründete Furcht vor Verfolgung Fluchtgründe Glaubhaftmachung Glaubwürdigkeit mündliche Verhandlung Verfolgungsgefahr Verfolgungshandlung wohlbegründete FurchtEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2020:I401.2174246.1.00Im RIS seit
16.06.2021Zuletzt aktualisiert am
16.06.2021