TE Bvwg Erkenntnis 2020/10/13 G306 2232704-1

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Veröffentlicht am 13.10.2020
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Entscheidungsdatum

13.10.2020

Norm

BFA-VG §22a Abs4
B-VG Art133 Abs4
FPG §76

Spruch

G306 2232704-1/8E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Dietmar MAURER als Einzelrichter über die Beschwerde des XXXX, geb. XXXX, StA.: Nigeria, rechtlich vertreten durch die Caritas Graz Sozialzentrum, gesetzlich vertreten durch den Jugendhilfeträger des Landes Steiermark, Bezirkshauptmannschaft Graz-Umgebung, gegen den Schubhaftbescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX.2020, Zl. XXXX, und gegen die Anhaltung in Schubhaft, zu Recht erkannt:

A)

I.       Der Beschwerde hinsichtlich des angefochtenen Schubhaftbescheides wird stattgegeben und dieser für rechtswidrig erklärt.

II.      Der Beschwerde hinsichtlich der Anhaltung in Schubhaft wird stattgegeben, und die Anhaltung von XXXX.2020, 11:14 Uhr, bis zum XXXX.2020, 19:15 Uhr für rechtswidrig erklärt.

III.    Der Bund (Bundesminister für Inneres) hat dem Beschwerdeführer den Verfahrensaufwand in Höhe von 737,60 Euro binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

Mit dem oben im Spruch angeführten Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA), Regionaldirektion Wien, vom Beschwerdeführer (BF) persönlich übernommen am XXXX.2020 um 11:14 Uhr, wurde über den BF gemäß § 76 Abs. 2 Z 2 FPG iVm § 57 Abs. 1 AVG die Schubhaft zum Zweck der Sicherung der Abschiebung angeordnet. Der BF war zu diesem Zeitpunkt durch das Sozialreferat, Bereich Kinder- und Jugendhilfe, gesetzlich vertreten.

Der BF wurde in Folge in das PAZ XXXX verbracht wo er die Schubhaft bis zum XXXX.2020, 13:45 Uhr verbrachte. In Folge wurde der BF in das PAZ Graz überstellt wo dieser am 10.06.2020, 19:15 Uhr aus der Schubhaft entlassen wurde.

Mit dem am 06.07.2020 beim Bundesverwaltungsgericht (BVwG) mittels Postsendung eingebrachten und mit 02.07.2020 datierten Schriftsatz, erhob der BF, durch seinen bevollmächtigten Rechtsvertreter, Beschwerde gegen den im Spruch angeführten Schubhaftbescheid und die bisherige Anhaltung in Schubhaft.

In der Beschwerde wurde beantragt, das BVwG möge aussprechen, dass die Anordnung der Schubhaft und die bisherige Anhaltung in rechtswidriger Weise erfolgten sowie der belangten Behörde den Ersatz der Aufwendungen auferlegen.

Die Aktenvorlage durch das BFA, Regionaldirektion Steiermark, erfolgte am 07.07.2020 und gab diese dazu eine Stellungnahme ab.

Abschließend wurde vom BFA beantragt, die Beschwerde möge als unbegründet abgewiesen werden.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

Feststellungen:

Der BF führt die im Spruch angeführte Identität (Namen und Geburtsdatum) und ist, Staatsangehöriger von Nigeria. Der BF ist ein unbegleiteter mündiger Minderjähriger. Der BF wird durch den Jugendwohlfahrtsträger des Landes Steiermark gesetzlich vertreten. Der BF besitzt nicht die österreichische Staatsbürgerschaft und ist somit Fremder im Sinne des § 2 Abs. 4 Z 1 FPG.

Der BF verfügt über keine Dokumente und über keine Berechtigung zur Einreise in das österreichische Bundesgebiet und zum Aufenthalt in diesem.

Der BF reiste zu einem nicht genau feststellbaren Zeitpunkt illegal in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte hier einen Antrag auf internationalen Schutz, welcher in der II. Instanz am 13.08.2019 negativ rechtskräftig abgeschlossen wurde. Es wurde kein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen erteilt. Es wurde gleichzeitig eine Rückkehrentscheidung erlassen und festgestellt, dass die Abschiebung nach Nigeria zulässig ist. Dem BF wurde eine Frist zur freiwilligen Ausreise von 14 Tagen ab Rechtskraft eingeräumt.

Der BF wurde in Österreich bereits zwei Mal straffällig und weist folgende Verurteilungen auf:

01) LG XXXX vom XXXX.2019 RK XXXX.2019

§ 27 (2a) 2. Fall SMG

§ 15 StGB § 27 (2a) 2. Fall SMG

§27(1)1.2. Fall SMG

Datum der (letzten) Tat XXXX.2019

Freiheitsstrafe 4 Monate, bedingt, Probezeit 3 Jahre

Jugendstraftat

zu LG XXXX RK XXXX.2019

Probezeit verlängert auf insgesamt 5 Jahre

LG F.STRAFS. XXXX vom XXXX.2019

02) LG F.STRAFS. XXXX vom XXXX.2019 RK XXXX.2019

§§ 27 (2a) 2. Fall, 27 (3) SMG Datum der (letzten) Tat XXXX.2019

Freiheitsstrafe 8 Monate, davon Freiheitsstrafe 6 Monate, bedingt, Probezeit 3 Jahre

Anordnung der Bewährungshilfe

Jugendstraftat

zu LG F.STRAFS.XXXX RK XXXX.2019

Aus der Freiheitsstrafe entlassen am XXXX.2019, bedingt, Probezeit 3 Jahre

Anordnung der Bewährungshilfe

LG F.STRAFS.XXXX vom XXXX.2019 

zu LG F.STRAFS. XXXX RK XXXX.2019

Aufhebung der Bewährungshilfe

LG F.STRAFS.XXXX vom XXXX.2020

Der BF befand sich in folgenden Zeiten in Haft (Untersuchungs- und Strafhaft):

XXXX.2019 – XXXX.2019, JA XXXX

XXXX.2019 – XXXX.2019, JA XXXX

XXXX.2019 – XXXX.2019, JA XXXX

Der BF wurde am XXXX.2019 aus der Strafhaft entlassen.

Der BF war bis zum 03.01.2020 im XXXX, in XXXX, mit Hauptwohnsitz gemeldet. Der BF kehrte nach der Entlassung aus der Strafhaft in seine Unterkunft zurück, wurde jedoch kurze Zeit später als abgängig gemeldet. Der BF wurde in Folge amtlich abgemeldet.

Der BF wurde am XXXX.2020 in Wien von Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes angehalten und einer fremdenpolizeilichen Kontrolle unterzogen. Der BF wurde gemäß § 40 BFA-VG festgenommen und in das PAZ XXXX eingeliefert. In Folge wurde der BF vom BFA niederschriftlich einvernommen. Am XXXX.2020, 14:11 Uhr wurde über den BF zur Sicherung der Abschiebung, die Schubhaft verhängt.

In ihrer Begründung führte das BFA zusammengefasst folgendes aus:

„Die Sicherung des Verfahrens bzw. der Abschiebung ist erforderlich, da sich aufgrund ihres oben geschilderten Vorverhaltens sie sich nicht als vertrauenswürdig erwiesen haben. Es ist davon auszugehen, dass sie auch hinkünftig nicht gewillt sein werden, die Rechtsvorschriften einzuhalten. Aus ihren Wohn- und Familiensituation, aus ihre sonstigen fehlenden Verankerung in Österreich sowie aufgrund ihres bisherigen Verhaltens kann geschlossen werden, dass bezüglich ihrer Person ein beträchtliches Risiko des Untertauchens besteht.“

Der BF verfügt in Österreich weder über familiäre, berufliche noch soziale Anknüpfungspunkte. Der BF verfügt über keine ausreichenden Existenzmittel zur Sicherung seines Lebensunterhaltes. Der BF stellte im Bundesgebiet einmal einen Antrag auf internationalen Schutz welcher negativ beschieden wurde. Beim BF handelt es sich um einen unbegleiteten Minderjährigen. Die gesetzliche Vormundschaft liegt beim Jugendwohlfahrtsträger des Landes Steiermark.

Der BF wurde für den XXXX.2019 zur nigerianischen Botschaft in Wien geladen. Dieser Ladung kam der BF, mit Begleitung des Jugendwohlfahrtsträgers nach und wurde er dort als nigerianischer Staatsangehöriger identifiziert. Eine Zustimmung zur HRZ Ausstellung erfolgte seitens der Botschaft jedoch nicht.

Im Zuge der Schubhaft wurde der BF abermals am XXXX.2020 der nigerianischen Botschaft vorgeführt. Die Zustimmung zur Ausstellung eines HRZ wurde erteilt. Der Konsul legte dem BF die freiwillige Ausreise nahe (offensichtlich wurde eine Ausstellung des HRZs nur bei freiwilliger Ausreise zugesagt).

Der BF wurde am XXXX.2020 wieder aus der Schubhaft entlassen. Grund dafür war, dass es aufgrund der Minderjährigkeit des BF nur dann zu einer HRZ Ausstellung – seitens der nigerianischen Botschaft - kommt, wenn der BF freiwillig ausreist.

Der BF wurde wieder in die Obhut des Jugendwohlfahrtsträgers des Landes Steiermark übergeben.

2. Beweiswürdigung:

Der oben angeführte Verfahrensgang ergibt sich aus dem unzweifelhaften und unbestrittenen Akteninhalt des vorgelegten Verwaltungsaktes des BFA und des vorliegenden Gerichtsaktes des BVwG.

Die oben getroffenen Feststellungen beruhen auf den Ergebnissen des vom erkennenden Gericht auf Grund der vorliegenden Akten durchgeführten Ermittlungsverfahrens und werden diese in freier Beweiswürdigung der gegenständlichen Entscheidung als maßgeblicher Sachverhalt zugrunde gelegt.

Die im Spruch angeführte Identität (Namen und Geburtsdatum) und die Staatsangehörigkeit des BF beruhen auf den vom BFA im angefochtenen Bescheid getroffenen Feststellungen, denen nicht entgegengetreten wurde. Diese Feststellungen gelten ausschließlich für die Identifizierung der Person im gegenständlichen Verfahren.

Die weiteren Feststellungen ergeben sich aus dem unzweifelhaften und unbestritten gebliebenen Akteinhalt.

Rechtliche Beurteilung:

Gemäß § 76 Abs. 2 Ziffer 2 FPG ist die Schubhaft zum Zwecke der Sicherung des Verfahrens zur Erlassung einer Rückkehrentscheidung, zur Erlassung einer Anordnung zur Außerlandesbringung oder zur Sicherung der Abschiebung zu verhängen.

Gemäß § 22a Abs. 1 BFA-VG hat der Fremde das Recht, das Bundesverwaltungsgericht mit der Behauptung der Rechtswidrigkeit des Schubhaftbescheides, der Festnahme oder der Anhaltung anzurufen, wenn er nach diesem Bundesgesetz festgenommen worden ist (Z 1), er unter Berufung auf dieses Bundesgesetz angehalten wird oder wurde (Z 2), oder gegen ihn Schubhaft gemäß dem 8. Hauptstück des FPG angeordnet wurde (Z 3).

Gemäß § 76 FPG können Fremde festgenommen und angehalten werden (Schubhaft), sofern der Zweck der Schubhaft nicht durch ein gelinderes Mittel (§ 77 leg. cit.) erreicht werden kann. Die Schubhaft darf nur dann angeordnet werden, wenn 1. dies zur Sicherung des Verfahrens zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme, zur Sicherung des Verfahrens über einen Antrag auf internationalen Schutz im Hinblick auf die Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme oder der Abschiebung notwendig ist und sofern jeweils Fluchtgefahr vorliegt und die Schubhaft verhältnismäßig ist, oder 2. die Voraussetzungen des Art. 28 Abs. 1 und 2 Dublin-Verordnung vorliegen. Eine Fluchtgefahr im Sinne des Abs. 2 Z 1 oder im Sinne des Art. 2 lit. n Dublin-Verordnung liegt vor, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sich der Fremde dem Verfahren oder der Abschiebung entziehen wird oder dass der Fremde die Abschiebung wesentlich erschweren wird.

§ 80. (1) Das Bundesamt ist verpflichtet, darauf hinzuwirken, dass die Schubhaft so kurz wie möglich dauert. Die Schubhaft darf so lange aufrechterhalten werden, bis der Grund für ihre Anordnung weggefallen ist oder ihr Ziel nicht mehr erreicht werden kann.

(2) Die Schubhaftdauer darf, vorbehaltlich des Abs. 5 und der Dublin-Verordnung, grundsätzlich

1.       drei Monate nicht überschreiten, wenn die Schubhaft gegen einen mündigen Minderjährigen angeordnet wird. …… .

§ 46 Abs 3 FPG, Abschiebung lautet auszugsweise:

„… . die Behörde hat sich im Falle einer Abschiebung eines unbegleiteten Minderjährigen zu vergewissern, dass dieser einem Mitglied seiner Familie, einem offiziellen Vormund oder einer geeigneten Aufnahmeeinrichtung im Zielstaat übergeben werden kann. … .“

Da die Verhängung von Schubhaft nach ständiger Rechtsprechung des VwGH nur "ultima ratio" sein kann, ist die Behörde für den Fall der beabsichtigten Abschiebung eines Fremden angehalten, ihre Vorgangsweise nach Möglichkeit so einzurichten, dass Schubhaft überhaupt unterbleiben kann (vgl. VwGH 15.10.2015, Ro 2015/21/0026 mit Verweis auf E vom 25.04.2014, 2013/21/0209).

Ein Sicherungsbedarf ist in der Regel dann gegeben, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sich der Fremde dem Verfahren oder der Abschiebung entziehen oder diese zumindest wesentlich erschweren werde (§ 76 Abs. 3 FPG). Es ist allerdings nicht erforderlich, dass ein Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme bereits eingeleitet worden ist (VwGH 28.06.2002, Zl. 2002/02/0138).

Die fehlende Ausreisewilligkeit des Fremden, d.h. das bloße Unterbleiben der Ausreise, obwohl keine Berechtigung zum Aufenthalt besteht, vermag für sich genommen die Verhängung der Schubhaft nicht zu rechtfertigen. Vielmehr muss der – aktuelle – Sicherungsbedarf in weiteren Umständen begründet sein, etwa in mangelnder sozialer Verankerung in Österreich. Dafür kommt insbesondere das Fehlen ausreichender familiärer, sozialer oder beruflicher Anknüpfungspunkte im Bundesgebiet in Betracht, was die Befürchtung, es bestehe das Risiko des Untertauchens eines Fremden, rechtfertigen kann. Abgesehen von der damit angesprochenen Integration des Fremden in Österreich ist bei der Prüfung des Sicherungsbedarfes auch sein bisheriges Verhalten in Betracht zu ziehen, wobei frühere Delinquenz das Gewicht des öffentlichen Interesses an einer baldigen Durchsetzung einer Abschiebung maßgeblich vergrößern kann (VwGH 21.12.2010, Zl. 2007/21/0498; weiters VwGH 08.09.2005, Zl. 2005/21/0301; 23.09.2010, Zl. 2009/21/0280).

Die Anhaltung eines Asylwerbers in Schubhaft kann nur dann gerechtfertigt sein, wenn besondere Umstände vorliegen, die im jeweiligen Asylverfahrensstadium ein Untertauchen des betreffenden Fremden befürchten lassen (vgl. VwGH 05.07.2011,
Zl. 2008/21/0080 mwN). Dabei bedarf es in dem frühen Verfahrensstadium (etwa vor Einleitung des Verfahrens zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme) besonderer Umstände, die ein Untertauchen des betreffenden Fremden schon zu diesem Zeitpunkt konkret befürchten lassen. In einem späteren Stadium des Asylverfahrens, insbesondere nach Vorliegen einer durchsetzbaren Rückkehrentscheidung oder Anordnung zur Außerlandesbringung, können dann unter Umständen auch weniger ausgeprägte Hinweise auf eine Vereitelung oder Erschwerung der Aufenthaltsbeendigung für die Annahme eines Sicherungsbedarfs genügen (vgl. VwGH 23.09.2010, Zl. 2007/21/0432 mwN).

Auf Grund des durchgeführten Ermittlungsverfahrens und des festgestellten Sachverhaltes ergibt sich:

Die belangte Behörde hat den vorliegenden Schubhaftbescheid auf § 76 Abs. 2 Z 2 FPG gestützt und zum Zweck der Sicherung der Abschiebung erlassen.

Wie die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid zutreffend aufgezeigt hat, kann der BF keinen gültigen Aufenthaltstitel vorweisen.

Es trifft zwar zu, dass der BF nach seiner Haftentlassung am 18.12.2019 sich offensichtlich nur für kurze Zeit in seiner Unterkunft aufgehalten hat und sich dann nach Wien begab, ohne seinen Aufenthalt bekannt zu geben. Es muss jedoch in diesem Fall berücksichtigt werden, dass es sich beim BF um einen unbegleiteten Minderjährigen handelt, dessen gesetzlicher Vertreter der Jugendwohlfahrtsträger des Landes Steiermark ist. Aus dem Akt geht hervor, dass aufgrund der Abgängigkeit des Minderjährigen auch eine Anzeige bei der Polizei erstattet wurde (Mail Verkehr vom XXXX.2020 zwischen XXXX und BMI im Akt ohne Seitenangabe). Inwieweit seitens der Exekutive Anstrengungen unternommen wurden den Abgängigen zu finden, geht aus dem Akt nicht hervor.

Aus dem Akteninhalt geht hervor, dass der BF bereits am XXXX.2019 sich freiwillig – nach vorangegangener Ladung – zu einem Interviewtermin zur nigerianischen Botschaft begeben hat. Der BF wurde dort als nigerianischer Staatsbürger identifiziert (Mailverkehr vom XXXX.2020 zwischen BMI und XXXX im Akt ohne Seitenangabe). Dem BF kann somit nicht vorgehalten werden, dass er am Verfahren zur Erlangung eines HRZs nicht mitgewirkt habe.

Der BF stellte im Jahr 2019 seinen Antrag auf internationalen Schutz, welche am 13.08.2019 rechtskräftig negativ entschieden wurden. Der BF kam seiner Ladung zur nigerianischen Botschaft freiwillig nach und konnte so als nigerianischer Staatsangehöriger identifiziert werden. Es ist nicht ersichtlich, dass sich der BF jemals einem Verfahren entzogen hätte bzw. versucht hätte, in ein anderes Land weiterzureisen, ganz im Gegenteil, gab der BF bei seiner erstmaligen Vorführung vor der nigerianischen Botschaft an, seinen negativen Bescheid bekämpfen zu wollen. Zum Zeitpunkt der Fest.- und Inschubhaftnahme, war der BF im Bundesgebiet zwar nicht behördlich gemeldet, jedoch muss in diesem Zusammenhang mitberücksichtigt werden, dass es sich beim BF um einen unbegleiteten Minderjährigen handelt, dessen gesetzliche Obsorge dem Jugendwohlfahrtsträger übertragen wurde, dieser eine Anzeige wegen Abgängigkeit eines Minderjährigen erstattete. Die Abmeldung an der Unterkunft erfolgte von Amts wegen. Rechtlich betrachtet wurde der BF in der Zeit von 03.01.2020 bis zur Festnahme am XXXX.2020 als Abgängiger Minderjähriger geführt.

Aus dem zentralen Fremdensystem geht hervor, dass die belangte Behörde seit dem 26.08.2019 ein Verfahren zur Erlangung eines HRZs führt. Aus dem gesamten Akteninhalt aber auch im bekämpften Bescheid finden sich keine Hinweise, wie der aktuelle Stand des Verfahrens zur Erlangung eines HRZs zum Zeitpunkt der Festnahme des BF war. Der BF begab sich freiwillig am XXXX.2019 zur Botschaft und wurde dort als nigerianische Staatsangehöriger identifiziert. Zur Ausstellung eines HRZs kam es jedoch nicht, da die Vertretung des BF offensichtlich auf der Botschaft angab, dass das negative Erkenntnis des BVwG noch mit einer außerordentlichen Revision bekämpft werden würde. Hier hätte die Behörde schon mehr Augenmerk auf die Minderjährigkeit des BF legen e und erkennen müssen, dass es offensichtlich seitens der Botschaft (Konsul) zu keiner Ausstellung eines HRZ kommen wird, solange der BF nicht freiwillig in sein Land zurückkehren möchte. Dies wurde nochmals bei der Vorführung vor die Botschaft am XXXX.2020 bestätigt, nachdem der Konsul dem BF abermals die freiwillige Ausreise nahelegte. Aus einen Mailverkehr zwischen Koordinationsbüro des BFA zur RD BFA Wien (AS 85) geht auch hervor, dass der BF deshalb aus der Schubhaft zu entlassen wurde, weil eine HRZ Ausstellung nur bei Entscheidung zur freiwilligen Ausreise aufgrund der Minderjährigkeit erfolgen wird.

Die belangte Behörde wusste von Anfang an, dass es sich beim BF um einen unbegleiteten Minderjährigen handelt, dessen Abschiebung gemäß § 46 Abs. 3 FPG nur zulässig ist, wenn die dort angeführten Voraussetzungen wie, dass der Abzuschiebende in seinem Zielland einem Mitglied der Familie, einem offiziellen Vormund oder einer geeigneten Aufnahmeeinrichtung im Zielstaat übergeben werden kann. Der BF gab im Vorverfahren mehrmals an, in Nigeria niemanden mehr zu haben und er nicht wisse wo er dort hinsoll. Der belangten Behörde hatte bereits seit dem 26.08.2019 ein Verfahren zur Erlangung eines HRZs eingeleitet und hatte sie genügend Zeit zu überprüfen, ob die Voraussetzungen einer möglichen Abschiebung des Minderjährigen überhaut vorliegen. Sie begründete die Inschubhaftnahme mit der Sicherung der Abschiebung. Es ist zwar richtig, dass die Feststellungen zur möglichen Realisierbarkeit der Abschiebung innerhalb der zulässigen Schubhaftdauer zu treffen sind, jedoch handelt es sich beim Schubhäftling um einen unbegleiteten Minderjährigen, deren Dauer der Schubhaft gemäß § 80 Abs. 2 Z 1 FPG auf drei Monate beschränkt ist, der BF immer wieder unmissverständlich gegenüber der belangten Behörde angab, das Land nicht freiwillig verlassen zu wollen sowie, dass er in Nigeria niemanden mehr hätte. Dem BFA musste es auch bekannt gewesen sein, dass die Ausstellung eines HRZs für einen unbegleiteten Minderjährigen, von Seiten der nigerianischen Botschaft, nur bei Vorliegen der Freiwilligkeit erfolgen wird.

Der BF verfügt zwar in Österreich über keine familiäre Anbindung. Der BF verfügt im Bundesgebiet über keine sozialen oder beruflichen Kontakte. Der BF hat nicht ausreichende Mittel für seinen Aufenthalt. Jedoch hat der BF bis zur gegenständlichen Festnahme und Inhaftierung keinerlei Anstalten gemacht, aus deren ersichtlich wäre, dass er versucht habe unterzutauchen. Jedenfalls reicht die amtliche Abmeldung von seiner Meldeadresse dafür nicht aus.

Es kann daher der belangten Behörde unter Berücksichtigung des bisherigen Verhaltens des BF nicht zugestimmt werden, wenn sie bei ihrer Entscheidung zur Anordnung der Schubhaft und dem dafür erforderlichen Sicherungsbedarf davon ausging, dass keinerlei Hinweise ersichtlich wären, die eine eventuelle Fluchtgefahr ausschließen würden. In diesem Zusammenhang ist auch noch anzuführen, dass sich die belangte Behörde in ihrem bekämpften Bescheid selbst wiederspricht, wenn sie anführt, dass der BF seiner freiwilligen Ausreise innerhalb offener Frist nicht nachgekommen sei, jedoch im selben Moment meint, dass der BF aus eigenem Entschluss Österreich nicht freiwillig verlassen könne.

Die belangte Behörde hätte ausführlicher prüfen müssen, ob nicht mit gelinderen Mittel das Auslangen gefunden hätte werden können zumal dies im § 77 FPG ausdrücklich angeführt ist: gegen mündige Minderjährige hat das Bundesamt gelindere Mittel anzuwenden, es sei denn bestimmte Tatsachen rechtfertigen die Annahme, dass der Zweck der Schubhaft damit nicht erreicht werden kann; diese bestimmten Tatsachen wurden im bekämpften Bescheid nicht ausreichend begründet.

Dem Bescheid haftet diesbezüglich auch ein gravierender Begründungsmangel an und ist der erlassene Schubhaftbescheid schon deshalb als rechtswidrig zu bezeichnen.

Obwohl die belangte Behörde bei minderjährigen Personen dazu verpflichtet ist – vorrangig ein gelinderes Mittel – zu Anwendung zu bringen und sie daher auch verhalten ist, dies einer nachvollziehbaren Würdigung zu unterziehen, hat sie dies im gekämpften Bescheid nicht im geforderten Maß vorgenommen.

Des Weiteren musste der belangten Behörde bekannt gewesen sein, dass eine HRZ Ausstellung durch die nigerianische Botschaft nur dann erwirkt werden kann – aufgrund der Minderjährigkeit – wenn der BF freiwillig nach Nigeria zurückkehren möchte, was dieser stets abgelehnt hat (siehe Angaben zur Vorführung Botschaft Nigeria vom XXXX.2020, wonach Konsul bei freiwilliger Ausreise eine HRZ zugesagt hat).

Eine Gesamtabwägung aller angeführten Umstände ergibt daher, dass es der belangten Behörde schon zum Zeitpunkt der Inschubhaftnahme – bei adäquaten Ermittlungen – hätte auffallen müssen, dass eine Abschiebung des unbegleitenden Minderjährigen – sofern dieser nicht freiwillig ausreisen würde – im absehbarer Zeit nicht wird möglich sein.

Aufgrund dessen war der Beschwerde in diesem Bereich Recht zu geben und war der angefochtene Schubhaftbescheid für rechtswidrig zu erklären. Ergo dessen war natürlich auch die Anhaltung in der Zeit von XXXX.2020 – XXXX.2020 für rechtswidrig zu erklären.

Zum Ausspruch über den Ersatz der Aufwendungen (Spruchpunkt A.IV.):

Gemäß § 22a Abs. 1a BFA-VG gelten für Beschwerden gemäß § 22a Abs. 1 BFA-VG die für Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 2 B-VG anwendbaren Bestimmungen des VwGVG mit der Maßgabe sinngemäß, dass belangte Behörde jene Behörde ist, die den angefochtenen Schubhaftbescheid erlassen hat oder der die Festnahme oder die Anhaltung zuzurechnen ist.

Der mit „Kosten“ betitelte § 35 VwGVG lautet:

„§ 35. (1) Die im Verfahren über Beschwerden wegen Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt (Art. 130 Abs. 1 Z 2 B-VG) obsiegende Partei hat Anspruch auf Ersatz ihrer Aufwendungen durch die unterlegene Partei.

(2) Wenn die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt für rechtswidrig erklärt wird, dann ist der Beschwerdeführer die obsiegende und die Behörde die unterlegene Partei.

(3) Wenn die Beschwerde zurückgewiesen oder abgewiesen wird oder vom Beschwerdeführer vor der Entscheidung durch das Verwaltungsgericht zurückgezogen wird, dann ist die Behörde die obsiegende und der Beschwerdeführer die unterlegene Partei.

(4) Als Aufwendungen gemäß Abs. 1 gelten:

1.       die Kommissionsgebühren sowie die Barauslagen, für die der Beschwerdeführer aufzukommen hat,

2.       die Fahrtkosten, die mit der Wahrnehmung seiner Parteirechte in Verhandlungen vor dem Verwaltungsgericht verbunden waren, sowie

3.       die durch Verordnung des Bundeskanzlers festzusetzenden Pauschalbeträge für den Schriftsatz-, den Verhandlungs- und den Vorlageaufwand.

(5) Die Höhe des Schriftsatz- und des Verhandlungsaufwands hat den durchschnittlichen Kosten der Vertretung bzw. der Einbringung des Schriftsatzes durch einen Rechtsanwalt zu entsprechen. Für den Ersatz der den Behörden erwachsenden Kosten ist ein Pauschalbetrag festzusetzen, der dem durchschnittlichen Vorlage-, Schriftsatz- und Verhandlungsaufwand der Behörden entspricht.

(6) Die §§ 52 bis 54 VwGG sind auf den Anspruch auf Aufwandersatz gemäß Abs. 1 sinngemäß anzuwenden.

(7) Aufwandersatz ist auf Antrag der Partei zu leisten. Der Antrag kann bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung gestellt werden.“

Die Höhe der im Verfahren vor den Verwaltungsgerichten über Beschwerden wegen Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 2 B-VG und Beschwerden wegen Rechtswidrigkeit eines Verhaltens einer Behörde in Vollziehung der Gesetze gemäß Art. 130 Abs. 2 Z 1 B-VG als Aufwandersatz zu leistenden Pauschalbeträge wird in § 1 der VwG-Aufwandersatzverordnung (VwG-AufwErsV), BGBl. II Nr. 517/2013, wie folgt festgesetzt:

„1. Ersatz des Schriftsatzaufwands des Beschwerdeführers als obsiegende Partei 737,60 Euro

2. Ersatz des Verhandlungsaufwands des Beschwerdeführers als obsiegende Partei 922,00 Euro

3. Ersatz des Vorlageaufwands der belangten Behörde als obsiegende Partei 57,40 Euro

4. Ersatz des Schriftsatzaufwands der belangten Behörde als obsiegende Partei 368,80 Euro

5. Ersatz des Verhandlungsaufwands der belangten Behörde als obsiegende Partei 461,00 Euro

6. Ersatz des Aufwands, der für den Beschwerdeführer mit dem Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens verbunden war (Schriftsatzaufwand) 553,20 Euro

7. Ersatz des Aufwands, der für die belangte Behörde mit dem Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens verbunden war (Schriftsatzaufwand) 276,60 Euro.“

Da die Beschwerde gegen den Schubhaftbescheid und die Anhaltung in Schubhaft stattgegeben und als rechtswidrig erkannt wurde ist die beschwerdeführende Partei obsiegend sodass dieser die Kosten zugesprochen werden.

Zu Spruchpunkt B. (Unzulässigkeit der Revision):

Gemäß § 25a Abs. 1 des Verwaltungsgerichtshofgesetzes 1985 (VwGG), BGBl. Nr. 10/1985 idgF, hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision gegen die gegenständliche Entscheidung ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor. Konkrete Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung sind weder in der gegenständlichen Beschwerde vorgebracht worden noch im Verfahren vor dem BVwG hervorgekommen.

Schlagworte

Aufwandersatz Interessenabwägung mangelnder Anknüpfungspunkt Rechtswidrigkeit Schubhaft Schubhaftbeschwerde Voraussetzungen Wegfall der Gründe

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:G306.2232704.1.00

Im RIS seit

24.02.2021

Zuletzt aktualisiert am

24.02.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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