Entscheidungsdatum
20.10.2020Norm
BFA-VG §18 Abs3Spruch
I422 2236054-1/4E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Thomas BURGSCHWAIGER als Einzelrichter nach Beschwerdevorentscheidung des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 19.09.2020, Zl. 9923800/EAM 200374582, aufgrund des Vorlageantrages des XXXX , geb. XXXX , StA. Slowakei, vertreten durch die ARGE Rechtsberatung - Diakonie und Volkshilfe, Wattgasse 48/3. Stock, 1170 Wien, über die Beschwerde gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 03.05.2020, Zl. 9923800/200374582, zu Recht:
A)
Der Beschwerde wird stattgegeben und die Beschwerdevorentscheidung behoben.
B)
Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgegenstand:
Aufgrund zweier strafgerichtlicher Verurteilungen erließ die belangte Behörde mit verfahrensgegenständlichem Bescheid über den Beschwerdeführer ein Aufenthaltsverbot (Spruchpunkt I.), erteilte ihm keinen Durchsetzungsaufschub (Spruchpunkt II.) und erkannte sie einer Beschwerde gegen dieses Aufenthaltsverbot zugleich die aufschiebende Wirkung ab (Spruchpunkt III.).
Dagegen richtet sich die fristgerecht erhobene Beschwerde. Begründend wurde zusammengefasst ausgeführt, dass es sich beim Beschwerdeführer um einen EWR-Bürger handle, der seit rund 16 Jahren in Österreich aufhältig sei, weshalb er das Daueraufenthaltsrecht erworben habe. Die belangte Behörde habe nicht nur keine nachvollziehbare Gefährdungsprognose erstellt, sondern unrichtiger Weise den Gefährdungsmaßstab des § 67 Abs. 1 erster und zweiter Satz FPG zur Anwendung gebracht. Im Fall des Beschwerdeführers sei ob seines langjährigen Aufenthaltes jedoch § 67 Abs. 1 fünfter Satz FPG als Prüfungsmaßstab heranzuziehen. Zudem sei der Beschwerdeführer überwiegend berufstätig gewesen, lebe in einer Lebensgemeinschaft und führe mit seiner Partnerin einen gemeinsamen Haushalt. Eine nachhaltige und maßgebliche Gefährdung der Sicherheit der Republik Österreich sei jedenfalls im Falle des Beschwerdeführers nicht gegeben.
Infolge der im Spruch gleichlautenden Beschwerdevorentscheidung der belangten Behörde vom 19.09.2020., Zl. 9923800/200374582, stellte der Beschwerdeführer mit Schriftsatz vom 07.10.2020 rechtzeitig einen Vorlageantrag.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
Der volljährige Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger der Slowakei. Seine Identität steht fest.
Der ledige und kinderlose Beschwerdeführer hielt sich vom 21.12.2004 bis zum 03.05.2020 - mit kurzen Unterbrechungen - durchgehend im Bundesgebiet auf. Er ist gesund und arbeitsfähig.
Er wurde in der Slowakei geboren und verbrachte dort die ersten sechs Lebensjahre. Im Dezember 2004 reiste der Beschwerdeführer mit seiner Mutter und seiner Schwester nach Österreich ein. Er hält sich seit diesem Zeitpunkt im Bundesgebiet auf. In Österreich besuchte der Beschwerdeführer nach seiner Einreise von 2004 bis 2008 die Volksschule und anschließend von 2008 bis 2012 eine Mittelschule. Nach einem weiteren Jahr an einer polytechnischen Schule begann er 2014 eine Tischlerlehre, welche er nicht abschloss. Sozialversicherungspflichtig beschäftigt war der Beschwerdeführer nur für rund drei Monate im Jahr 2019, eine berufliche Verankerung im Bundesgebiet liegt nicht vor.
Der Beschwerdeführer verfügt in Österreich über familiäre Anknüpfungspunkte in Form seines Onkels, der sich seit Mai 2015 durchgehend im Bundesgebiet aufhält und in Form seiner Mutter, die saisonbedingt den überwiegenden Teil des Jahres in Österreich lebt. Er lebt in einer Partnerschaft mit einer österreichischen Staatsbürgerin und mit dieser seit 27.04.2020 in einem gemeinsamen Haushalt. Darüber hinausgehende berücksichtigungswürdige private oder soziale Anknüpfungspunkte des Beschwerdeführers im Bundesgebiet liegen nicht vor.
In seinem Herkunftsstaat verfügt der Beschwerdeführer über familiäre Anknüpfungspunkte in Form seiner Schwester und deren Familie. Er spricht Deutsch und Slowakisch.
Der Beschwerdeführer weist in Österreich zwei strafgerichtliche Verurteilungen auf:
Erstmalig wurde er mit Urteil des Landesgerichtes XXXX vom 10.03.2017, XXXX - als junger Erwachsener - wegen des Vergehens des Betrügerischen Datenverarbeitungsmissbrauchs nach § 148a Abs. 1 StGB und des Verbrechens des bewaffneten Raubes nach §§ 142 Abs. 1, 143 Abs. 1 zweiter Fall StGB zu einer Freiheitsstrafe von 21 Monaten, davon 14 Monate bedingt und einer Probezeit von drei Jahren unter Anordnung der Bewährungshilfe rechtskräftig verurteilt.
Zuletzt wurde der Beschwerdeführer mit Urteil des Landesgerichtes XXXX vom 01.04.2019, XXXX wegen der teils versuchten Vergehen des unerlaubten Umganges mit Suchtgiften nach §§ 27 Abs. 1 Z 1 erster und zweiter Fall, Abs. 2, Abs. 2a zweiter Fall SMG § 15 StGB zu einer Freiheitsstrafe von acht Monaten, davon sechs Monate bedingt unter Setzung einer dreijährigen Probezeit rechtskräftig verurteilt. Der Beschwerdeführer verbüßte den unbedingten Teil seiner Haftstrafe bis zum 27.05.2019 in der JA XXXX .
Wegen des Verdachts des Hausfriedensbruchs wurde der Beschwerdeführer am 02.05.2020 von Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes festgenommen. Das Landesgericht XXXX wies den Antrag auf Verhängung der Untersuchungshaft am 03.05.2020 ab und beschloss die Enthaftung des Beschwerdeführers. In der Folge erließ die belangte Behörde am selben Tag den verfahrensgegenständlichen Bescheid, mit welchem gegen den Beschwerdeführer ein dreijähriges Aufenthaltsverbot erlassen wurde, ihm kein Durchsetzungsaufschub erteilt wurde und einer Beschwerde gegen das über ihn verhängte Aufenthaltsverbot die aufschiebende Wirkung aberkannt wurde. Sodann verfügte die belangte Behörde unmittelbar an die Enthaftung des Beschwerdeführers dessen erneute Festnahme und wurde der Beschwerdeführer am selben Tag in die Slowakei abgeschoben. Die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde vom 29.05.2020 wies die belangte Behörde mit Beschwerdevorentscheidung vom 19.09.2020 ab, woraufhin der Beschwerdeführer die Vorlage an das Bundesverwaltungsgericht beantragte.
2. Beweiswürdigung:
2.1. Zum Sachverhalt:
Zur Feststellung des für die Entscheidung maßgebenden Sachverhaltes wurden im Rahmen des Ermittlungsverfahrens Beweise erhoben durch die Einsichtnahme in den Akt der belangten Behörde unter zentraler Berücksichtigung des bekämpften Bescheides, der Angaben im Beschwerdeschriftsatz, der niederschriftlichen Einvernahme vom 03.05.2020 und der Beschwerdevorentscheidung. Ergänzend wurden Auszüge des Zentralen Melderegisters (ZMR), des Informationsverbundsystems Zentrales Fremdenregister (IZR), des Sozialversicherungsträgers und des Strafregisters eingeholt.
2.2. Zur Person der Beschwerdeführerin:
Die Feststellungen zur Person des Beschwerdeführers, insbesondere ihrer Identität, ergeben sich aus dem Verwaltungsakt. Seine Identität steht aufgrund der Verifizierung durch die österreichische Justiz fest.
Aus der Einsichtnahme in das ZMR ergibt sich, dass der Beschwerdeführer erstmals mit 21.12.2004 mit Hauptwohnsitz im Bundesgebiet melderechtlich erfasst wurde und lassen sich aus dem ZMR-Auszug zwischen den Jahren 2012 bis 2020 nur tages- bzw. wochenweise Unterbrechungen entnehmen. Dies deckt sich mit seinen Angaben vor der belangten Behörde und im Beschwerdeschriftsatz und gründen darauf die Feststellungen über die Einreise und den Aufenthalt des Beschwerdeführers im Bundesgebiet.
Die Feststellung zum Familienstand beruht auf dem unbedenklichen Akteninhalt. Gesundheitliche Beeinträchtigungen wurden weder im Administrativverfahren, noch im Beschwerdeschriftsatz geltend gemacht. In Zusammenschau mit seinem Alter leitet sich daraus die Feststellung seiner Arbeitsfähigkeit ab. Die Feststellung, dass er in der Slowakei geboren wurde und er dort die ersten sechs Lebensjahre verbracht hat, ergibt sich ebenso wie die Feststellung zu seiner Schul- und nicht abgeschlossenen Lehrausbildung aus seinen diesbezüglich glaubhaften Angaben. Aus dem eingeholten Sozialversicherungsauszug gründet die Feststellung zu den Erwerbstätigkeiten und zur fehlenden beruflichen Verankerung des Beschwerdeführers. Glaubhaft erachtete das erkennende Gericht des Weiteren die Angaben des Beschwerdeführers zu seinen familiären Anknüpfungspunkten in Österreich und der Slowakei sowie zu seiner Partnerschaft zu einer österreichischen Staatsbürgerin und dem gemeinsamen Haushalt mit dieser. Weder aus dem Verwaltungsakt noch aus dem Beschwerdeschriftsatz ergaben sich Anhaltspunkte für eine darüber hinausgehende berücksichtigungswürdige private oder soziale Verfestigung des Beschwerdeführers im Bundesgebiet. Dass der Beschwerdeführer Deutsch spricht ist unstrittig und auch durch die Einvernahme am 03.05.2020 in deutscher Sprache belegt, dass er auch slowakisch spricht ist aufgrund seiner Herkunft, der verbrachten ersten Lebensjahre in der Slowakei und aufgrund seiner eigenen Angaben, wonach er zwar Slowakisch, Deutsch jedoch besser, spreche, plausibel.
Die strafgerichtlichen Verurteilungen des Beschwerdeführers sind durch eine Einsichtnahme in das Strafregister belegt. Dass er zuletzt den unbedingten Teil seiner Haftstrafe bis zum 27.05.2019 in der JA XXXX verbüßte, ist durch die Einsichtnahme in das ZMR belegt.
Aus dem sich im Verwaltungsakt befindlichen Beschluss des Landesgerichtes XXXX vom 03.05.2020, XXXX resultiert die Feststellung zu seiner Enthaftung am selben Tag. Aus dem ebenfalls im Verwaltungsakt einliegenden Festnahmeauftrag vom selben Tag resultiert die dementsprechende Feststellung. Die Abschiebung des Beschwerdeführers in die Slowakei am 03.05.2020 ist durch die im Verwaltungsakt einliegende Bestätigung der Landespolizeidirektion Niederösterreich belegt. Der verfahrensgegenständliche Bescheid vom 03.05.2020, Zl. 9923800/200374582 sowie die Beschwerdevorentscheidung vom 19.09.2020 liegen im Verwaltungsakt ein.
3. Rechtliche Beurteilung:
Zu A) Stattgabe der Beschwerde und Behebung der Beschwerdevorentscheidung:
3.1. Rechtslage:
Gemäß § 67 Abs. 1 FPG ist die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegen unionsrechtlich aufenthaltsberechtigte EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige zulässig, wenn auf Grund ihres persönlichen Verhaltens die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet ist. Das persönliche Verhalten muss eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstellen, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Strafrechtliche Verurteilungen allein können nicht ohne weiteres diese Maßnahmen begründen. Vom Einzelfall losgelöste oder auf Generalprävention verweisende Begründungen sind nicht zulässig. Die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegen EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige, die ihren Aufenthalt seit zehn Jahren im Bundesgebiet hatten, ist dann zulässig, wenn aufgrund des persönlichen Verhaltens des Fremden davon ausgegangen werden kann, dass die öffentliche Sicherheit der Republik Österreich durch seinen Verbleib im Bundesgebiet nachhaltig und maßgeblich gefährdet würde.
Gemäß § 67 Abs. 2 FPG kann ein Aufenthaltsverbot, vorbehaltlich des Abs. 3, für die Dauer von höchstens zehn Jahren erlassen werden.
3.2. Anwendung der Rechtslage auf den Beschwerdefall:
Der Beschwerdeführer ist als Staatsangehöriger der Slowakei EWR-Bürger iSd § 2 Abs. 4 Z 8 FPG.
Da er als EWR-Bürger in den persönlichen Anwendungsbereich des § 67 FPG fällt, gilt zu prüfen, welcher Gefährdungsmaßstab in Bezug auf die Aufenthaltsdauer des Beschwerdeführers anzuwenden ist.
In einem Verfahren betreffend Aufenthaltsverbot ist bei der Frage nach dem auf einen Fremden anzuwendenden Gefährdungsmaßstab das zu Art. 28 Abs. 3 lit. a der Rl 2004/38/EG (Freizügigkeitsrichtlinie) ergangene Urteil des EuGH vom 16. Jänner 2014, Rs C-400/12, zu berücksichtigen, weil § 67 Abs. 1 FrPolG 2005 insgesamt der Umsetzung von Art. 27 und 28 dieser RL – § 67 Abs. 1 fünfter Satz FrPolG 2005 im Speziellen der Umsetzung ihres Art. 28 Abs. 3 lit. a – dient. Der zum erhöhten Gefährdungsmaßstab nach Art. 28 Abs. 3 lit. a der genannten RL bzw. dem fünften Satz des § 67 Abs. 1 FrPolG 2005 führende zehnjährige Aufenthalt im Bundesgebiet muss demnach grundsätzlich ununterbrochen sein. Es können einzelne Abwesenheiten des Fremden unter Berücksichtigung von Gesamtdauer, Häufigkeit und der Gründe, die ihn dazu veranlasst haben, Österreich zu verlassen, auf eine Verlagerung seiner persönlichen, familiären oder beruflichen Interessen schließen lassen. Auch der Zeitraum der Verbüßung einer Freiheitsstrafe durch den Betroffenen ist grundsätzlich geeignet, die Kontinuität des Aufenthaltes iSd Art. 28 Abs. 3 lit. a der Freizügigkeitsrichtlinie zu unterbrechen und sich damit auf die Gewährung des dort vorgesehenen verstärkten Schutzes auch in dem Fall auszuwirken, dass sich der Fremde vor dem Freiheitsentzug mehrere Jahre lang (kontinuierlich) im Aufnahmemitgliedstaat aufgehalten hat. Dies ist - bei einer umfassenden Beurteilung - im Rahmen der Prüfung zu berücksichtigen, ob die zuvor mit dem Aufnahmemitgliedstaat geknüpften Integrationsverbindungen abgerissen sind (Hinweis E 19. Februar 2014, 2013/22/0309).
Aus den Angaben des Beschwerdeführers in Verbindung mit den melderechtlichen Erfassungen ergibt sich im gegenständlichen Fall ein seit Dezember 2004 bestehender Aufenthalt des Beschwerdeführers im Bundesgebiet. Dies wird zum Teil auch von der belangten Behörde festgestellt, die ihre Entscheidung als solches auch auf seine Einreise im Jahr 2004 und seine Schul- und nicht abgeschlossenen Berufsausbildung im Jahr 2017 mitberücksichtigt. Das erkennende Gericht verkennt nicht, dass sich bezüglich des Nachweises seines Aufenthaltes – insbesondere im Jahr 2012 und insbesondere in den Jahren 2016 bis 2020 – im ZMR mehrfache Lücken ergeben. Allerdings handelt es sich hierbei um tages- bzw. wochenweise Fehlzeiten. Auch hinsichtlich seiner längsten Abwesenheit im Zeitraum von 27.07.2016 bis 11.01.2017 lässt das erkennende Gericht nicht unberücksichtigt, dass sich der Beschwerdeführer während dieses Zeitraumes bis zum 22.11.2016 als Arbeiterlehrling eine Ausbildung absolvierte und somit (zumindest bis Ende November 2016) von einem Aufenthalt im Bundesgebiet auszugehen ist. Ebensowenig lässt das erkennende Gericht seine insgesamt fünf Inhaftierungen in verschiedenen österreichischen Justizanstalten nicht außer Acht. Diese umfassten Zeitspannen in der Dauer von einem Tag (2020), zwei Mal je rund eineinhalb Monate (2012 und 2017), einmal rund zwei Monate (2019) und einmal rund drei Monate (2018). Die kurze Dauer seiner Inhaftierungen und deren mehrfache Unterbrechungen vermochten das Integrationsband als solches nicht zu unterbrechen, zumal er die Zeiten zwischen seinen Inhaftierungen im Bundesgebiet erfasst war. Im gegenständlichen Fall ergaben sich in einer Gesamtbetrachtung der melderechtlichen Erfassungen des Beschwerdeführers und seiner Angaben keine Anhaltspunkte dafür, dass die Kontinuität seines Aufenthaltes im Bundesgebiet unterbrochen wurde und/oder sich diese zwischenzeitig außerhalb des Bundesgebietes verlagert hätte. Es ist somit von einem über zehn Jahre andauernden Aufenthalt des Beschwerdeführers im Bundesgebiet auszugehen.
Nachdem der Beschwerdeführer die Voraussetzung eines Aufenthalts im Bundesgebiet seit zehn Jahren erfüllt, kommt der qualifizierte Prüfungsmaßstab des § 67 Abs. 1 fünfter Satz FPG zur Anwendung. Demzufolge ist zu beurteilten, ob vom Verbleib des Beschwerdeführers im Bundesgebiet eine nachhaltige und maßgebliche Gefährdung der öffentlichen Sicherheit der Republik Österreich ausgeht.
Bei der Erstellung der für jedes Aufenthaltsverbot zu treffenden Gefährdungsprognose ist das Gesamtverhalten des Fremden in Betracht zu ziehen und auf Grund konkreter Feststellungen eine Beurteilung dahin vorzunehmen, ob und im Hinblick auf welche Umstände die jeweils maßgebliche Gefährdungsannahme gerechtfertigt ist. Dabei ist nicht auf die bloße Tatsache der Verurteilung bzw. Bestrafung des Fremden, sondern auf die Art und Schwere der zu Grunde liegenden Straftaten und auf das sich daraus ergebende Persönlichkeitsbild abzustellen. Bei der nach § 67 Abs. 1 FrPolG 2005 zu erstellenden Gefährdungsprognose geht schon aus dem Gesetzeswortlaut klar hervor, dass auf das „persönliche Verhalten“ des Fremden abzustellen ist und strafgerichtliche Verurteilungen allein nicht ohne weiteres ein Aufenthaltsverbot begründen können (vgl. VwGH 22.08.2019, Ra 2019/21/0091).
Mit der Bestimmung des § 67 Abs. 1 fünfter Satz FrPolG 2005 soll Art. 28 Abs. 3 lit. a der Unionsbürger-RL (§ 2 Abs. 4 Z 18 FrPolG 2005) umgesetzt werden, wozu der EuGH bereits judizierte, dass hierauf gestützte Maßnahmen auf „außergewöhnliche Umstände“ begrenzt sein sollen; es ist vorausgesetzt, dass die vom Betroffenen ausgehende Beeinträchtigung der öffentlichen Sicherheit einen „besonders hohen Schweregrad“ aufweist, was etwa bei bandenmäßigem Handeln mit Betäubungsmitteln der Fall sein kann (vgl. EuGH 23.11.2010, C-145/09; EuGH 22.5.2012, C-348/09, wo überdies darauf hingewiesen wurde, dass es „besonders schwerwiegende(r) Merkmale“ bedarf). Hat der Fremde „mehrfach Probezeiten bestanden“, ist er nunmehr erstmals wegen Suchtgifthandels und dem Überlassen und Anbieten von Suchtgift an Dritte verurteilt worden, wobei „kein professionell strukturierter Suchtgifthandel“ vorliegt, und ist er erstmals für längere Zeit in Haft gewesen, konnte bedingt entlassen werden und hat er vor, seine Drogensucht behandeln zu lassen, kann nicht von „außergewöhnlichen Umständen“ mit „besonders hohem Schweregrad“ bzw. von „besonders schwerwiegenden Merkmalen“ der vom Fremden begangenen Straftaten gesprochen werden (vgl. VwGH 22.08.2019, Ra 2019/21/0091).
Der Beschwerde ist dahingehend beizutreten, dass die belangte Behörde ihre Gefährdungsprognose unrichtigerweise auf § 67 Abs. 1 erster und zweiter Satz FPG (tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefährdung der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit) gestützt hat und diesbezüglich auf Seite 16 des angefochtenen Bescheides ausdrücklich anführt, dass der Beschwerdeführer ob seiner „kurzen Aufenthaltsdauer“ nicht in den Anwendungsbereich des § 67 Abs. 1 fünfter Satz käme. Die belangte Behörde korrigierte diese offenkundig unrichtige Feststellung im Rahmen der Beschwerdevorentscheidung nicht, sondern begründete das erlassene Aufenthaltsverbot erneut gleichlautend. Der angefochtene Bescheid ist bereits durch diese unrichtige rechtliche Beurteilung in einem wesentlichen Punkt mit Rechtswidrigkeit belastet.
Dessen unbenommen ist der belangten Behörde dahingehend zuzustimmen, dass der Beschwerdeführer während seines Aufenthaltes eine gravierende Delinquenz gezeigt hat. So handelt es sich insbesondere bei der Suchtgiftkriminalität um ein besonders sozialschädliches und ein die öffentlichen Interessen besonders gefährdendes Fehlverhalten. Durchaus verkennt das Gericht nicht, dass im Falle des Beschwerdeführers durch sein massives strafrechtswidriges Verhalten eine erhebliche Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit indiziert ist. Jedoch ist der qualifizierte Gefährdungsmaßstab des § 67 Abs. 1 fünfter Satz FPG („nachhaltige und maßgebliche Gefährdung der öffentlichen Sicherheit der Republik Österreich“) trotz der Schwere der von ihm zu verantwortenden Kriminalität nicht erfüllt, auch wenn die besondere Gefährlichkeit von Suchtgiftdelikten berücksichtigt wird.
Im gegenständlichen Fall handelt es sich um die zweite strafgerichtliche Verurteilung des Beschwerdeführers. Diese Verurteilung erfolgte nach einer Wohlverhaltensphase von rund zweieinhalb Jahren. Ein professionell strukturiertes oder organisiertes Vorgehen lässt sich weder aus seiner ersten Verurteilung wegen schweren Raubes noch aus seiner zweiten Verurteilung wegen des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften ableiten. Es ist des Weiteren auch zu berücksichtigen, dass das Strafgericht bei beiden Verurteilungen einen Großteil der verhängten Freiheitsstrafen unter Setzung einer Probezeit bedingt nachsehen konnten und dass der Beschwerdeführer bei seiner ersten Verurteilung als „junger Erwachsener“ bestraft wurde. Somit kann trotz der erheblichen Delinquenz des Beschwerdeführers im gegenständlichen Fall noch nicht von „außergewöhnlichen Umständen“ mit „besonders hohem Schweregrad“ bzw. von „besonders schwerwiegenden Merkmalen“ der von ihm begangenen Straftaten gesprochen werden (vgl. VwGH 24.01.2019, Ra 2018/21/0248).
Da aufgrund der umseitigen Ausführungen aus dem Verhalten des Beschwerdeführers zum Entscheidungszeitpunkt keine nachhaltige und maßgebliche Gefährdung der öffentlichen Sicherheit der Republik Österreich durch seinen Verbleib im Bundesgebiet abgeleitet werden kann, ist die Erlassung eines Aufenthaltsverbots gegen ihn unzulässig. In weiterer Folge erübrigt sich eine Prüfung, ob ein etwaiger mit dem Aufenthaltsverbot verbundener Eingriff in sein Privat- und Familienleben verhältnismäßig wäre. Da die Voraussetzungen für die Erlassung eines Aufenthaltsverbots nicht vorliegen, ist die Beschwerdevorentscheidung in Stattgebung der Beschwerde aufzuheben.
Dies bedingt auch den Entfall der darauf aufbauenden Spruchpunkte II. (Nichterteilung eines Durchsetzungsaufschubes) und III. (Aberkennung der aufschiebenden Wirkung) des angefochtenen Bescheides.
Sollte der Beschwerdeführer hinkünftig erneut straffällig werden, wird die belangte Behörde die Erlassung eines Aufenthaltsverbots gegen ihn neuerlich zu prüfen haben.
4. Zum Entfall einer mündlichen Verhandlung:
Da bereits auf Grund der Aktenlage feststeht, dass der mit Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben ist, konnte gemäß § 24 Abs. 2 Z 1 VwGVG die Durchführung einer mündlichen Verhandlung entfallen.
Zu B) Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. In der gegenständlichen Angelegenheit setzt sich das erkennende Gericht ausführlich mit der Bewertung einer Aufenthaltsdauer (vgl. VwGH 24.03.2015, Ro 2014/21/0079) und der Thematik der Erlassung eines Aufenthaltsverbotes in Folge eines über zehn Jahre andauernden rechtmäßigen Aufenthaltes (VwGH 22.08.2019, Ra 2019/21/0091; 24.01.2019, Ra 2018/21/0248) auseinander. Dabei weicht die der gegenständlichen Entscheidung zugrunde gelegte Rechtsprechung weder von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen.
Schlagworte
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ECLI:AT:BVWG:2020:I422.2236054.1.00Im RIS seit
24.02.2021Zuletzt aktualisiert am
24.02.2021