TE Bvwg Erkenntnis 2020/10/21 G310 2225010-1

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Veröffentlicht am 21.10.2020
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Entscheidungsdatum

21.10.2020

Norm

B-VG Art133 Abs4
FPG §66 Abs1
FPG §70 Abs3
NAG §55 Abs3

Spruch

G310 2225010-1/5E

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag. Gaby WALTNER über die Beschwerde der slowakischen Staatsangehörigen XXXX , geboren am XXXX , vertreten durch die XXXX , gegen den Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl vom 02.10.2019, Zl. XXXX , zu Recht:

A)             Der Beschwerde wird Folge gegeben und der angefochtene Bescheid ersatzlos behoben.

B)             Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

Verfahrensgang:

Die Beschwerdeführerin (BF) verfügt seit 26.03.2015 über eine aufrechte Hauptwohnsitzmeldung im Bundesgebiet. Am 29.05.2015 wurde der BF eine Anmeldebescheinigung gemäß § 51 Abs 1 Z 2 NAG ausgestellt.

Mit dem Schreiben der Bezirkshauptmannschaft XXXX vom 29.11.2018 wurde das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) darüber informiert, dass aufgrund des Antrags der BF auf eine Ausgleichszulage gemäß § 292 ASVG angenommen werde, dass die Voraussetzungen für das Aufenthaltsrecht gemäß §§ 51, 52 und 54 NAG nicht mehr vorliegen würden.

Mit dem Schreiben des BFA vom 06.06.2019 wurde die BF aufgefordert, sich zu der beabsichtigten Erlassung einer Ausweisung zu äußern und Fragen zu ihrem Aufenthalt in Österreich und zu ihrem Privat- und Familienleben zu beantworten. Eine entsprechende Stellungnahme langte am 28.06.2019 ein.

Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid wurde die BF gemäß § 66 Abs 1 FPG iVm § 55 Abs 3 NAG aus dem österreichischen Bundesgebiet ausgewiesen (Spruchpunkt I.). Ihr wurde gemäß § 70 Abs 3 FPG ein Durchsetzungsaufschub von einem Monat erteilt (Spruchpunkt II.). Die Ausweisung wurde im Wesentlichen damit begründet, dass die BF eine Ausgleichszulage beantragt habe und angenommen werde, dass sie nicht über ausreichende Existenzmittel verfüge und somit die Voraussetzungen des § 51 Abs 1 Z 2 NAG nicht mehr erfüllt seien.

Dagegen richtet sich die Beschwerde der BF mit den Anträgen, eine mündliche Verhandlung durchzuführen und den angefochtenen Bescheid ersatzlos zu beheben. Hilfsweise wird ein Aufhebungs- und Rückverweisungsantrag gestellt. Dies wird zusammengefasst damit begründet, dass die BF seit März 2015 mietfrei im Einfamilienhaus ihrer Tochter lebe. Es bestehe ein umfassender Krankenversicherungsschutz. Den Antrag auf Ausgleichszulage sei am 11.02.2019 zurückgezogen worden, weswegen in weiterer Folge das Strafverfahren der Bezirkshauptmannschaft XXXX eingestellt worden sei. Die BF beziehe eine slowakische Altersrente in der Höhe von EUR 462,10. Aufgrund der Unterstützung ihrer Tochter und ihres Schwiegersohnes verfüge die BF über ausreichende Existenzmittel und seien ihre Lebenserhaltungskosten gedeckt, so dass sie keine Sozialhilfeleistungen in Anspruch nehmen müsse.

Das BFA legte die Beschwerde und die Akten des Verwaltungsverfahrens dem Bundesverwaltungsgericht (BVwG) mit dem Antrag vor, die Beschwerde als unbegründet abzuweisen.

Feststellungen:

Die BF wurde am XXXX in der slowakischen Ortschaft XXXX geboren. Sie spricht Slowakisch und Deutsch. Sie ist mit einem slowakischen Staatsbürger verheiratet, mit dem sie eine Tochter hat. Die BF und ihr Ehemann leben seit März 2015 zusammen mit der Familie ihrer Tochter in deren Einfamilienhaus.

Am 29.05.2019 stellte die BF einen Antrag auf Erteilung einer Anmeldebescheinigung, die ihr am selben Tag ausgestellt wurde.

Die BF erhält eine Rente der slowakischen Sozialversicherung von EUR 462,10 pro Monat.

Die BF ist strafgerichtlich unbescholten. Ihr sind keine Verstöße gegen die öffentliche Ordnung anzulasten.

Beweiswürdigung:

Der Verfahrensgang ergibt sich widerspruchsfrei aus dem Inhalt de vorgelegten Verwaltungsakten und des Gerichtsaktes des BVwG.

Die Feststellungen basieren auf den Angaben der BF in der Stellungnahme und der Beschwerde, insbesondere auf den von der BF vorgelegten Urkunden und den Informationen aufgrund von Abfragen im Zentralen Melderegister (ZMR), Informationsverbundsystem Zentrales Fremdenregister (IZR) und Strafregister sowie den Sozialversicherungsdaten.

Die Feststellungen zur Identität (Name und Geburtsdatum) sowie zur Staatsangehörigkeit der BF beruhen auf den entsprechenden Feststellungen im angefochtenen Bescheid, denen die Beschwerde nicht entgegentritt. Ihre persönlichen und familiären Verhältnisse können aufgrund der Angaben in der Beschwerde festgestellt werden.

Aufgrund der Herkunft der BF ist von entsprechenden Slowakischkenntnissen auszugehen. Kenntnisse der deutschen Sprache sind aufgrund ihres längeren Aufenthalts in Österreich plausibel.

Die Feststellungen zum Aufenthalt der BF in Österreich basieren auf ihren Angaben und dem damit korrespondierenden ZMR-Auszug. Die Ausstellung einer Anmeldebescheinigung ist im IZR dokumentiert und wird durch die vorliegende Kopie der Anmeldebescheinigung bestätigt.

Aus dem ZMR gehen übereinstimmende Wohnsitzmeldungen der BF, ihres Ehemannes und der Familie ihrer Tochter hervor.

Der Rentenbezug ergibt sich aus den vorgelegten Unterlagen der slowakischen Sozialversicherung.

Die Feststellung der strafrechtlichen Unbescholtenheit der BF beruht auf dem Strafregister, in dem keine Verurteilungen aufscheinen. Es liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass der BF Verstöße gegen die öffentliche Ordnung anzulasten wären, sodass von deren Fehlen auszugehen ist.

Rechtliche Beurteilung:

Als Staatsangehörige der Slowakei ist die BF EWR-Bürgerin iSd § 2 Abs 4 Z 8 FPG und hält sich im Rahmen ihres unionsrechtlichen Aufenthaltsrechts in Österreich auf (vgl. § 51 Abs 1 Z 2 NAG).

§ 66 FPG („Ausweisung“) lautet:

„(1) EWR-Bürger, Schweizer Bürger und begünstigte Drittstaatsangehörige können ausgewiesen werden, wenn ihnen aus den Gründen des § 55 Abs 3 NAG das unionsrechtliche Aufenthaltsrecht nicht oder nicht mehr zukommt, es sei denn, sie sind zur Arbeitssuche eingereist und können nachweisen, dass sie weiterhin Arbeit suchen und begründete Aussicht haben, eingestellt zu werden; oder sie bereits das Daueraufenthaltsrecht (§§ 53a, 54a NAG) erworben haben; im letzteren Fall ist eine Ausweisung nur zulässig, wenn ihr Aufenthalt eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit darstellt.

(2) Soll ein EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigter Drittstaatsangehöriger ausgewiesen werden, hat das Bundesamt insbesondere die Dauer des Aufenthalts im Bundesgebiet, sein Alter, seinen Gesundheitszustand, seine familiäre und wirtschaftliche Lage, seine soziale und kulturelle Integration im Bundesgebiet und das Ausmaß seiner Bindung zum Herkunftsstaat zu berücksichtigen.

(3) Die Erlassung einer Ausweisung gegen EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige, die ihren Aufenthalt seit zehn Jahren im Bundesgebiet hatten, ist dann zulässig, wenn aufgrund des persönlichen Verhaltens des Fremden davon ausgegangen werden kann, dass die öffentliche Sicherheit der Republik Österreich durch seinen Verbleib im Bundesgebiet nachhaltig und maßgeblich gefährdet würde. Dasselbe gilt für Minderjährige, es sei denn, die Ausweisung wäre zum Wohl des Kindes notwendig, wie es im Übereinkommen der Vereinten Nationen vom 20. November 1989 über die Rechte des Kindes vorgesehen ist.“

Gemäß § 51 Abs 1 NAG sind EWR-Bürger auf Grund der Freizügigkeitsrichtlinie zum Aufenthalt für mehr als drei Monate berechtigt, wenn sie in Österreich Arbeitnehmer oder Selbständige sind (Z 1); für sich und ihre Familienangehörigen über ausreichende Existenzmittel und einen umfassenden Krankenversicherungsschutz verfügen, so dass sie während ihres Aufenthalts weder Sozialhilfeleistungen noch die Ausgleichszulage in Anspruch nehmen müssen (Z 2), oder als Hauptzweck ihres Aufenthalts eine Ausbildung einschließlich einer Berufsausbildung bei einer öffentlichen Schule oder einer rechtlich anerkannten Privatschule oder Bildungseinrichtung absolvieren und die Voraussetzungen der Z 2 erfüllen (Z 3).

§ 55 NAG („Nichtbestehen, Fortbestand und Überprüfung des Aufenthaltsrechtes für mehr als drei Monate“) lautet:

„(1) EWR-Bürgern und ihren Angehörigen kommt das Aufenthaltsrecht gemäß §§ 51, 52, 53 und 54 zu, solange die dort genannten Voraussetzungen erfüllt sind.

(2) Der Fortbestand der Voraussetzungen kann bei einer Meldung gemäß §§ 51 Abs 3 und 54 Abs 6 oder aus besonderem Anlass wie insbesondere Kenntnis der Behörde vom Tod des unionsrechtlich aufenthaltsberechtigten EWR-Bürgers oder einer Scheidung überprüft werden.

(3) Besteht das Aufenthaltsrecht gemäß §§ 51, 52 und 54 nicht, weil eine Gefährdung aus Gründen der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit vorliegt, die Nachweise nach § 53 Abs 2 oder § 54 Abs 2 nicht erbracht werden oder die Voraussetzungen für dieses Aufenthaltsrecht nicht oder nicht mehr vorliegen, hat die Behörde den Betroffenen hievon schriftlich in Kenntnis zu setzen und ihm mitzuteilen, dass das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl hinsichtlich einer möglichen Aufenthaltsbeendigung befasst wurde. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl ist unverzüglich, spätestens jedoch gleichzeitig mit der Mitteilung an den Antragsteller, zu befassen. Dies gilt nicht in einem Fall gemäß § 54 Abs 7. Während eines Verfahrens zur Aufenthaltsbeendigung ist der Ablauf der Frist gemäß § 8 VwGVG gehemmt.

(4) Unterbleibt eine Aufenthaltsbeendigung (§ 9 BFA-VG), hat das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl dies der Behörde mitzuteilen. Sofern der Betroffene nicht bereits über eine gültige Dokumentation verfügt, hat die Behörde in diesem Fall die Dokumentation des Aufenthaltsrechts unverzüglich vorzunehmen oder dem Betroffenen einen Aufenthaltstitel zu erteilen, wenn dies nach diesem Bundesgesetz vorgesehen ist.

(5) Unterbleibt eine Aufenthaltsbeendigung von Drittstaatsangehörigen, die Angehörige sind, aber die Voraussetzungen nicht mehr erfüllen, ist diesen Angehörigen ein Aufenthaltstitel "Rot-Weiß-Rot - Karte plus" quotenfrei zu erteilen.

(6) Erwächst eine Aufenthaltsbeendigung in Rechtskraft, ist ein nach diesem Bundesgesetz anhängiges Verfahren einzustellen. Das Verfahren ist im Fall der Aufhebung einer Aufenthaltsbeendigung fortzusetzen, wenn nicht neuerlich eine aufenthaltsbeendende Maßnahme gesetzt wird."

Im Rahmen der Prüfung des Tatbestandes des § 51 Abs 1 Z 2 und Z 3 NAG ist (unter anderem) zu beurteilen, ob der Unionsbürger für sich und seine Familienangehörigen über ausreichende Existenzmittel im Aufnahmemitgliedstaat verfügt und ein umfassender Krankenversicherungsschutz besteht, sodass während des Aufenthalts keine Sozialhilfeleistungen des Aufnahmemitgliedstaats in Anspruch genommen werden müssen. Für das Vorliegen ausreichender Existenzmittel genügt, wenn dem Unionsbürger die notwendigen Mittel zur Verfügung stehen; hingegen stellt die Bestimmung keine Anforderungen an die Herkunft der Mittel, sodass diese etwa auch von einem Elternteil des betroffenen Unionsbürgers stammen können (vgl. VwGH 12.12.2017, Ra 2015/22/0149).

Das BVwG hat sich nach der ständigen Rechtsprechung des VwGH an die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt seiner Entscheidung zu halten (vgl. VwGH vom 27.07.2017, Ra 2016/22/0066).

Die BF hält sich seit März 2015 rechtmäßig im Bundesgebiet auf; Ende Mai 2015 wurde ihr eine Anmeldebescheinigung ausgestellt. Aufgrund ihres nunmehr bereits über fünfjährigen rechtmäßigen und kontinuierlichen Aufenthalts im Bundesgebiet hat sie das Recht auf Daueraufenthalt gemäß § 53a NAG erworben. Bei der Erlassung einer Ausweisung gegen sie ist daher der in § 66 Abs 1 letzter Satzteil FPG vorgesehene Maßstab - der im abgestuften System der Gefährdungsprognosen zwischen jenen nach dem ersten und dem fünften Satz des § 67 Abs 1 FPG angesiedelt ist - heranzuziehen (siehe VwGH 12.03.2013, 2012/18/0228).

Der Antrag auf Ausgleichszulage, der zwischenzeitlich zurückgezogen wurde, stellt jedenfalls keine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit iSd § 66 Abs 1 letzter Satzteil FPG dar, sodass gegen die unbescholtene BF mangels Erfüllung des anzuwendenden Gefährdungsmaßstabs keine Ausweisung erlassen werden darf.

Da der BF ob ihres zum Entscheidungszeitpunkt fünf Jahre übersteigenden rechtmäßigen Aufenthalts das Recht auf Daueraufenthalt zukommt, ist die Ausweisung nicht rechtskonform. Dies bedingt zugleich die Gegenstandslosigkeit des der BF gewährten Durchsetzungsaufschubs. Beide Spruchpunkte des angefochtenen Bescheids sind daher in Stattgebung der Beschwerde ersatzlos zu beheben.

Da im vorliegenden Fall bereits aufgrund der Aktenlage feststeht, dass der mit der Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben ist, entfällt die beantragte Beschwerdeverhandlung gemäß § 24 Abs 2 Z 1 VwGVG.

Die Revision war wegen der Einzelfallbezogenheit dieser Entscheidung, die keine grundsätzliche Rechtsfrage iSd Art 133 Abs 4 B-VG begründet, nicht zuzulassen.

Schlagworte

Behebung der Entscheidung dauernder Aufenthalt EU-Bürger Gegenstandslosigkeit Rechtswidrigkeit Voraussetzungen Wegfall der Gründe

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:G310.2225010.1.00

Im RIS seit

24.02.2021

Zuletzt aktualisiert am

24.02.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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