TE Bvwg Beschluss 2020/10/30 G313 2201879-2

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Veröffentlicht am 30.10.2020
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Entscheidungsdatum

30.10.2020

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs1
FPG §55 Abs1a
FPG §55 Abs2
FPG §55 Abs3
VwGVG §28 Abs3 Satz2

Spruch

G313 2201876-2/2E
G313 2201879-2/2E
G313 2201895-2/2E

BESCHLUSS

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Birgit WALDNER-BEDITS als Einzelrichterin über die Beschwerde der XXXX , geb. XXXX , (BF1), des XXXX , geb. XXXX , (BF2), und des XXXX , geb. XXXX , (BF3), jeweils StA. Kosovo, BF2 und BF3 gesetzlich vertreten durch BF1 und alle vertreten durch RA Mag. Wolfgang AUNER, gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA) vom 08.09.2020 (BF1) und vom 07.09.2020 (BF2 und BF3), Zl. XXXX (BF1), Zl. XXXX und Zl. XXXX beschlossen:

A)

In Erledigung der Beschwerde werden die angefochtenen Bescheide behoben und die Angelegenheit gemäß § 28 Abs. 3 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz, BGBl. I Nr. 33/2013 (VwGVG), zur Erlassung neuer Bescheide an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.



Text


Begründung:

I. Verfahrensgang:

1. Die BF1 stellte nach Einreise in das österreichische Bundesgebiet am 11.01.2016 für sich und ihren minderjährigen Sohn, den BF2, jeweils einen Antrag auf internationalen Schutz.

2. Nach Geburt ihrer Tochter in Österreich im März 2017 stellte die BF1 auch für diese einen Antrag auf internationalen Schutz.

3. Die BF1 wurde am 12.01.2016 durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes niederschriftlich erstbefragt und folglich am 07.04.2016 und daraufhin am 23.01.2018 vor dem BFA niederschriftlich einvernommen.

4. Mit Bescheiden des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA, belangte Behörde oder Behörde) vom 29.06.2018 wurden die Anträge der BF sowohl hinsichtlich des Status der Asyl- als auch hinsichtlich des Status der subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen, den BF ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG nicht erteilt, gegen sie jeweils eine Rückkehrentscheidung erlassen und festgestellt, dass die Abschiebung der BF in den Kosovo zulässig sei, und ausgesprochen, dass gemäß § 55 Abs. 1. bis 3 FPG die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung beträgt.

5. Gegen diese Bescheide wurde Beschwerde erhoben. Daraufhin folgte die Beschwerdevorlage vor das Bundesverwaltungsgericht (im Folgenden: BVwG).

6. Mit Beschluss des BVwG vom 20.01.2020 wurde jeweils Spruchpunkt I. der Bescheide des BFA vom 29.06.2018 behoben und die Angelegenheit gemäß § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG zur Erlassung eines neuen Bescheides an das BFA zurückverwiesen.

7. Am 11.08.2020 wurde die BF1 erneut vor dem BFA niederschriftlich einvernommen.

8. Mit schriftlicher Stellungnahme der Rechtsvertretung der BF per Telefax vom 27.08.2020 wurde auf psychische Probleme der BF1 und ihres Sohnes, des BF2, hingewiesen und unter anderem um weitergehende Ermittlungen im Hinblick auf Behandlungsmöglichkeit alleinerziehender Frauen mit psychischen Problemen und auf Unterbringungsmöglichkeiten für Kinder, deren Eltern stationär im Krankenhaus behandelt werden, ersucht. Diesbezüglich wurde in der Stellungnahme Folgendes festgehalten:

„Zudem ist nicht unwesentlich und wird besonders darauf hingewiesen, dass hinsichtlich der Fragestellung, ob es bei einer stationären Behandlung Unterbringungsmöglichkeiten für die Kinder von alleinerziehenden Frauen gäbe, festgehalten wurde (Seite 4 der Anfragebeantwortung), dass es keine Unterbringungsmöglichkeiten für Kinder gibt, deren Eltern im Krankenhaus behandelt werden.“ (AS 619).

Es wurde beantragt, im Bedarfsfall ein medizinisches Sachverständigengutachten bzw. vor allem auch kinderpsychologisches Sachverständigengutachten zum Beweisthema Wahrung des Kindeswohles einzuholen, und um hinreichende „Feststellungen zur gynäkologischen Vorerkrankung der Betroffenen Dysplasie Cervicis und der entsprechenden engmaschigen Behandlung bzw. Kontrolle im Kosovo“ ersucht. (AS 619)

Dieser schriftlichen Stellungnahme beigelegt waren eine Einstellungszusage für die BF1 von August 2020 (AS 621), ein Unterstützungsschreiben der Arbeitgeberin der BF1 von März 2020 (AS 622) und eine Bestätigung von August 2020, dass der BF2 im Zeitraum von Jänner bis September 2019 in einer Universitätsambulanz für Kinder und Jugendliche Psychotherapie in Anspruch genommen hat (AS 623).

9. Mit Bescheid des BFA vom 07.09.2020 wurde der Antrag des BF2 auf internationalen Schutz vom 11.01.2016 hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z. 13 AsylG abgewiesen (Spruchpunkt I.), gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z. 13 AsylG auch sein Antrag auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf seinen Herkunftsstaat Kosovo abgewiesen (Spruchpunkt II.), dem BF2 ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt (Spruchpunkt III.), gemäß § 10 Abs. 1 Z. 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG gegen ihn eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z. 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.), gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung des BF 2 gemäß 46 FPG in den Kosovo zulässig ist (Spruchpunkt V.) und ausgesprochen, dass gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG die Frist für die freiwillige Ausreise des BF2 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung beträgt (Spruchpunkt VI.).

10. Mit Bescheid des BFA vom 07.09.2020 wurde der Antrag der BF3 auf internationalen Schutz vom 03.05.2017 hinsichtlich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z. 13 AsylG abgewiesen (Spruchpunkt I.), gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z. 13 AsylG auch ihr Antrag auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf ihren Herkunftsstaat Kosovo abgewiesen (Spruchpunkt II.), der BF3 ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt (Spruchpunkt III.), gemäß § 10 Abs. 1 Z. 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG gegen sie eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z. 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.), gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung der BF 3 gemäß 46 FPG in den Kosovo zulässig ist (Spruchpunkt V.) und ausgesprochen, dass gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG die Frist für die freiwillige Ausreise der BF3 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung beträgt (Spruchpunkt VI.).

11. Mit Bescheid des BFA vom 08.09.2020 wurde der Antrag der BF1 auf internationalen Schutz vom 11.01.2016 hinsichtlich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z. 13 AsylG abgewiesen (Spruchpunkt I.), gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z. 13 AsylG auch ihr Antrag auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf ihren Herkunftsstaat Kosovo abgewiesen (Spruchpunkt II.), der BF1 ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt (Spruchpunkt III.), gemäß § 10 Abs. 1 Z. 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG gegen sie eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z. 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.), gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung der BF 1 gemäß 46 FPG in den Kosovo zulässig ist (Spruchpunkt V.) und ausgesprochen, dass gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG die Frist für die freiwillige Ausreise der BF1 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung beträgt (Spruchpunkt VI.).

12. Gegen diese drei – die BF1 und ihre beiden Kinder (BF2 und BF3) betreffende – Bescheide wurde fristgerecht Beschwerde erhoben.

Es wurde beantragt,

?        eine mündliche Verhandlung anzuberaumen, dies unter Vorladung und Aufnahme der beantragten Beweise – Einholung eines kinderpsychologischen Sachverständigengutachtens zum Beweisthema „Wahrung des Kindeswohls“, welches im Falle der Abschiebung ins Heimatland gefährdet wäre, zeugenschaftliche Einvernahme einer mit Namen und Adresse genannten Psychotherapeutin, zeugenschaftliche Einvernahme jener Ärzte, welche zuletzt den BF2 behandelt haben,

?        den Beschwerden Folge zu geben und den BF jeweils den Status der Asylberechtigten,

?        in eventu den Status der subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen,

?        in eventu den BF jeweils einen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG, in eventu gemäß § 55 AsylG, zu erteilen,

?        in eventu die angefochtenen Bescheide zu beheben und die Angelegenheit jeweils zur Verfahrensergänzung an die belangte Behörde zurückzuverweisen.

13. Am 16.10.2020 langten die gegenständlichen Beschwerden samt dazugehörigen Verwaltungsakten beim BVwG ein.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Die BF sind kosovarische Staatsangehörige, Angehörige der Volksgruppe der Bosniaken und muslimischen Glaubens. Die BF1 ist die Mutter und gesetzliche Vertreterin des minderjährigen, im Jänner 2011 im Kosovo geborenen BF2 und der minderjährigen, im März 2017 in Österreich geborenen BF3. Wer der Vater der BF3 ist, ist unbekannt.

1.2. Die BF1 reiste im Jänner 2016 zusammen mit ihrem minderjährigen Sohn, dem BF2, in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte am 11.01.2016 für sich und ihren Sohn jeweils einen Antrag auf internationalen Schutz. Nach Geburt ihrer Tochter in Österreich im März 2017 stellte sie am 03.05.2017 auch für diese einen Antrag auf internationalen Schutz.

1.3. Die BF1 wurde am 07.04.2016 niederschriftlich einvernommen und brachte zu ihren Fluchtgründen vor dem BFA zusammengefasst vor, ihr Ehemann habe sie nach Geburt ihres gemeinsamen Sohnes verlassen. Sie habe deswegen, weil sie einen Albaner geheiratet habe, keinen Kontakt mehr zu ihren Eltern und sei weiterhin bei ihren Schwiegereltern geblieben, auch wenn sie dort unerwünscht gewesen sei. Nachdem sie ihr Mann verlassen habe, hätten sie unbekannte Personen (Männer und eine Frau) woanders hinbringen, verheiraten und auch ihren Sohn mitnehmen wollen, wobei ihr auch Geld versprochen worden sei. Die Personen seien anfangs sehr freundlich zu ihr gewesen. Die BF1 habe stets abgelehnt. Nach einem Monat hätten sie dann angefangen sie zu bedrohen. (AS 103). Sie habe sich nicht getraut, an die Polizei zu wenden, sei ihr in diesem Fall doch mit negativen Konsequenzen für ihren Sohn gedroht worden. (AS 107). Ihre Probleme hätten ihre Schwiegereltern nicht interessiert. (AS 107). Die BF1 sei von ihnen beim Telefonieren gehört und aufgefordert worden, das Haus zu verlassen, um eigene Probleme zu vermeiden. (AS 119).

Nach der niederschriftlichen Einvernahme der BF1 vor dem BFA am 07.04.2016 wurde die BF1 vor dem BFA erneut am 23.01.2018 und nach Behebung des Bescheides des BFA vom 29.06.2018 mit Beschluss des BVwG vom 20.01.2020 am 11.08.2020 niederschriftlich einvernommen.

In ihrer niederschriftlichen Einvernahme vor dem BFA am 11.08.2020 gab die BF1 ihre diesbezügliche Angabe vor dem BFA am 07.04.2016 wiederholend an, mit ihrer Familie im Kosovo keinen Kontakt mehr zu haben, sei diese doch gegen ihre Ehe mit einem Albaner gewesen.

Befragt, wann die BF1 mit ihren Eltern bzw. ihrer Familie im Kosovo Kontakt aufzunehmen versucht hat, gab diese an:

„2010. Und nach der Geburt meines Sohnes habe ich es auch versucht. Die Familie wollte aber keinen Kontakt zu mir haben. Bei uns im Kosovo ist es anders, wenn die Eltern einmal den Kontakt zum Kindern verweigern dann bleibt es so. Wenn meine Familie wüsste, dass ich eine uneheliche Tochter habe, dann wäre die Situation noch schlimmer.“ (AS 599)

Befragt, was sie aus heutiger Sicht konkret erwarten würde, wenn sie jetzt in ihren Herkunftsstaat (Kosovo) zurückkehren müsste, brachte die BF1 vor:

„Ich habe vorhin angedeutet, dass, wenn ich mit einem außerehelichen Kind in den Kosovo zurückkehre, wird mich meine Familie umbringen. Ich habe zu niemanden mehr Kontakt und es gibt für mich keine Wohnmöglichkeiten. Ich habe Angst um das Leben meiner Kinder.“ (AS 601).

Der BF1 wurde daraufhin vorgehalten, „Kosovo ist ein sicherer Herkunftsstaat laut Herkunftsstaatenverordnung – der Staat ist schutzwürdig und schutzwillig“ und sie gefragt, was sie dazu sage.

Die BF1 gab folglich an:

„Es ist einfach das zu sagen, aber, wenn man dort lebt, schaut es anders aus.“ (AS 601).

Die BF1 gab unter Bezugnahme auf den Gesundheitszustand ihres minderjährigen Sohnes an, ihr Sohn sei wie sie selbst in Österreich in medizinischer Behandlung, sei auch bei einem Psychologen und Psychiater gewesen und mache dieselben Therapien wie sie selbst. Ihren Sohn betreffende ärztliche Unterlagen habe sie bereits vorgelegt. (AS 600).

1.4. Mit den gegenständlich angefochtenen Bescheiden des BFA wurden die Anträge der BF sowohl hinsichtlich des Status der Asyl- als auch hinsichtlich des Status der subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen, den BF ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG nicht erteilt, gegen sie jeweils eine Rückkehrentscheidung erlassen und festgestellt, dass die Abschiebung der BF in den Kosovo zulässig sei, und ausgesprochen, dass gemäß § 55 Abs. 1. bis 3 FPG die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung beträgt.

Die belangte Behörde hat die Anträge der BF sowohl hinsichtlich des Status der Asyl- als auch hinsichtlich des Status der subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen, ohne sich zuvor hinreichend mit dem Fluchtvorbringen der BF1 und mit der individuellen Rückkehrsituation der nachweislich psychisch beeinträchtigen, auch an PTBS leidenden, BF1, des nachweislich ebenso psychisch beeinträchtigten BF2 und der BF3 vor dem Hintergrund entsprechender aktueller Länderberichte auseinandergesetzt zu haben.

2. Beweiswürdigung:

Der oben unter Punkt I. angeführte Verfahrensgang und die unter Punkt II. getroffenen Feststellungen beruhen auf dem vorliegenden Akteninhalt.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu Spruchteil A):

3.1. Zuständigkeit und anzuwendendes Recht:

Gemäß § 7 Abs. 1 Z 1 des BFA-Verfahrensgesetzes (BFA-VG), BGBl. I Nr. 87/2012 idgF, entscheidet das Bundesverwaltungsgericht über Beschwerden gegen Entscheidungen (Bescheide) des BFA.

Da sich die gegenständliche – zulässige und rechtzeitige – Beschwerde gegen einen Bescheid des BFA richtet, ist das Bundesverwaltungsgericht für die Entscheidung zuständig.

Gemäß § 6 des Bundesverwaltungsgerichtsgesetzes (BVwGG), BGBl. I Nr. 10/2013, entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.

Da in den maßgeblichen gesetzlichen Bestimmungen eine Senatszuständigkeit nicht vorgesehen ist, obliegt in der gegenständlichen Rechtssache die Entscheidung dem nach der jeweils geltenden Geschäftsverteilung des Bundesverwaltungsgerichtes zuständigen Einzelrichter.

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG), BGBl. I Nr 33/2013 idgF, geregelt. Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung (BAO), BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes (AgrVG), BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 (DVG), BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

Gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden gemäß Art 130 Abs. 1 Z 1 B-VG (Anmerkung: sog. Bescheidbeschwerden) dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht (Z 1) oder die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist (Z 2).

Gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, wenn die Voraussetzungen des Abs. 2 leg cit. nicht vorliegen, im Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1
B-VG in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Behörde dem nicht bei der Vorlage der Beschwerde unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung oder Beschleunigung des Verfahrens widerspricht. Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen. Die Behörde ist hierbei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist.

Das Modell der Aufhebung des Bescheids und Zurückverweisung der Angelegenheit an die Behörde folgt konzeptionell jenem des § 66 Abs. 2 AVG (vgl. Fister/Fuchs/Sachs, Verwaltungsgerichtsverfahren (2013) § 28 VwGVG Anm11). Gemäß dieser Bestimmung kann die Berufungsbehörde, sofern der ihr vorliegende Sachverhalt so mangelhaft ist, dass die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheint, den angefochtenen Bescheid beheben und die Angelegenheit zur neuerlichen Verhandlung und Erlassung eines neuen Bescheides an eine im Instanzenzug untergeordnete Behörde zurückverweisen. Wie oben ausgeführt, ist aufgrund von § 17 VwGVG die subsidiäre Anwendung von § 66 Abs. 2 AVG durch die Verwaltungsgerichte ausgeschlossen.

Im Gegensatz zu § 66 Abs. 2 AVG setzt § 28 Abs. 3 VwGVG die Notwendigkeit der Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung nicht mehr voraus.

Gemäß § 31 Abs. 1 VwGVG erfolgen, soweit nicht ein Erkenntnis zu fällen ist, die Entscheidungen und Anordnungen durch Beschluss. Gemäß Abs. 3 sind auf die Beschlüsse des Verwaltungsgerichtes § 29 Abs. 1 zweiter Satz, Abs. 4 und § 30 sinngemäß anzuwenden. Dies gilt nicht für verfahrensleitende Beschlüsse.

Der VwGH hat mit Erkenntnis vom 26.06.2014, Zl. Ro 2014/03/0063 (Waffenverbot), in Bezug auf die grundsätzliche Sachentscheidungspflicht der Verwaltungsgerichte nach § 28 VwGVG und die Möglichkeit der Zurückverweisung ausgesprochen, dass angesichts des in § 28 VwGVG insgesamt verankerten Systems die nach § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG bestehende Zurückverweisungsmöglichkeit eine Ausnahme von der grundsätzlichen meritorischen Entscheidungspflicht der Verwaltungsgerichte darstellt. So kommt eine Aufhebung des Bescheides nicht in Betracht, wenn der für die Entscheidung maßgebliche Sachverhalt feststeht oder die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist. Von der Möglichkeit der Zurückverweisung kann nur bei krassen bzw. besonders gravierenden Ermittlungslücken Gebrauch gemacht werden. Eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen wird daher insbesondere dann in Betracht kommen, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts (vgl. § 37 AVG) lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterließ, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden. Das Verwaltungsgericht hat nachvollziehbar zu begründen, wenn es eine meritorische Entscheidungszuständigkeit nicht als gegeben annimmt, etwa weil es das Vorliegen der Voraussetzungen der Z 1 und Z 2 des § 28 Abs. 2 VwGVG verneint bzw. wenn es von der Möglichkeit des § 28 Abs. 3 erster Satz VwGVG nicht Gebrauch macht.

Gemäß § 60 AVG sind in der Begründung eines Bescheides die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens, die bei der Beweiswürdigung maßgebenden Erwägungen und die darauf gestützte Beurteilung der Rechtsfrage klar und übersichtlich zusammenzufassen. Die Begründung eines Bescheides bedeutet die Bekanntgabe der Erwägungen, aus denen die Behörde zur Überzeugung gelangt ist, dass ein bestimmter Sachverhalt vorliegt und dass damit der Tatbestand einer bestimmten Rechtsnorm verwirklicht ist. Die Begründung eines Bescheides hat Klarheit über die tatsächlichen Annahmen der Behörde und ihre rechtlichen Erwägungen zu schaffen. In sachverhaltsmäßiger Hinsicht hat sie daher alle jene Feststellungen in konkretisierter Form zu enthalten, die zur Subsumierung dieses Sachverhaltes unter die von der Behörde herangezogene Norm erforderlich sind. Denn nur so ist es möglich, den Bescheid auf seine Rechtsrichtigkeit zu überprüfen (VwGH 23.11.1993, Zl. 93/04/0156; 13.10.1991, Zl. 90/09/0186; 28.07.1994, Zl. 90/07/0029).

3.2. Mit den gegenständlich angefochtenen Bescheiden wurden die Anträge der BF sowohl hinsichtlich des Status der Asyl- als auch hinsichtlich des Status der subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen, ihnen ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt und gegen sie jeweils eine Rückkehrentscheidung erlassen und festgestellt, dass die Abschiebung der BF in den Kosovo zulässig ist.

3.2.1. Die belangte Behörde führte im die BF1 betreffenden angefochtenen Bescheid das Fluchtvorbringen der BF1 beweiswürdigend Folgendes an:

„(…) Die Feststellungen zur den Gründen für das Verlassen des Herkunftslandes ergaben sich aus Ihrer schriftlichen Einvernahme vor dem BFA vom 07.04.2016. Sie gaben an den Kosovo wegen telefonischer Bedrohungen durch unbekannte Personen verlassen zu haben.

Zu Ihren Fluchtgründen befragt gaben Sie an, dass die Probleme im November 2015 begonnen hätten. Sie während auf der Straße unterwegs gewesen als eine verweinte aufgebrachte Frau – in Begleitung zwei Männer – auf Sie zugekommen wäre. Diese Frau hätte Sie trotz Begleitung gefragt, ob Sie ihr das Handy für ein Gespräch leihen würden, anstatt das Handy ihrer Begleiter auszuborgen – Sie bejahten und reichten ihr das Mobiltelefon. Als Sie Ihr Handy zurückbekamen hätten sie gesehen, dass die Nummer, mit der die Frau telefoniert hätte, gelöscht wurde. Zu der Personenbeschreibung gaben Sie an, dass die Frau fast vollverschleiert wäre und die beiden Männer einen Vollbart hätten.

Am selben Abend hätten Sie auf einmal mehrere Anrufe von unterschiedlichen Telefonnummern erhalten. Man hätte Ihnen gesagt, dass man Sie und Ihren Sohn wo hinbringen wollen würde, um Sie zu verheiraten – zudem würden Sie auch Geld erhalten.

Die unbekannten Personen am Telefon hätten Sie anfänglich 1Mal wöchentlich kontaktiert, danach 2-3 Mal pro Woche und im Dezember 2015 täglich – auch hätte die anfängliche Freundlichkeit nach Ihren Ablehnungen aufgehört und man hätte Ihnen gedroht Ihnen ihren Sohn wegzunehmen. Sie hätten sich während der Drohungen vornehmlich zuhause bei Ihren Schwiegereltern aufgehalten.

Sie hätten mit niemandem über die Drohungen gesprochen und auch vor Ihren Schwiegereltern verheimlicht. Diese hätten Sie trotzdem mit den Personen telefonieren gehört und hätten Sie gebeten das Haus zu verlassen, um eigene Probleme zu vermeiden. Sie hätten aus Furcht vor den unbekannten Personen nicht in Erwägung gezogen, die Polizei aufzusuchen. Stattdessen war es Ihnen trotz dauerhafter Überwachung der unbekannten Personen möglich gemeinsam mit Ihrem Sohn die Reise nach Prizren anzutreten, um dort mittels Schlepper nach Europa zu gelangen. Sie gaben dazu an, dass die Personen vermutlich kurz nicht aufgepasst hätten.

Ihr gesamtes Fluchtvorbringen weist einige Widersprüche auf, zumal Sie in der Erstbefragung angaben, auf der Straße gelebt haben. Verwunderlich ist, dass Ihnen gelungen ist, die Reise nach Prizren anzutreten, zumal Sie angaben, dauerhaft von den unbekannten Personen überwacht zu werden. Sie vermuteten, dass es sich bei den Personen um Männer mit Vollbärten handeln würde – da Sie auch im Fernsehen gesehen hätte, dass Leute mit „Riesenbärten“ große Schäden anrichten können. Wie genau Sie auf diese Vermutungen bzw. Unterstellungen kommen und in welchem Zusammenhang ein bärtiger Mann automatisch eine Bedrohung darstellen soll, ist für die ho. Behörde schleierhaft. Dem ist auch anzumerken, dass Sie aufgrund der telefonischen Bedrohung nicht einmal gewusst haben können, wie die Männer ausgesehen hätten.

Sie zogen es nicht in Betracht in einen anderen Landes- oder Stadtteil zu ziehen, da Sie auch Männer mit Vollbärten in Prizren gesehen hätten – stattdessen beschlossen Sie unumgänglich das Land zu verlassen. Diese Leute würde es laut Ihren Angaben überall geben und wären diese auch untereinander verbunden. Seitens der ho. Behörde wird angemerkt, dass sich auch in Österreich Personen mit der Herkunft Kosovo befinden und unter diesen Personen auch manche bestimmt einen Vollbart tragen. Sie selbst schilderten nur telefonische Bedrohungen durch Männer mit Vollbart – einer persönlichen Bedrohung waren Sie während des gesamten Aufenthaltes im Kosovo nicht ausgesetzt. Auch ist für die ho. Behörde nicht nachvollziehbar, dass ausgerechnet Sie von unbekannten Personen bedroht werden würden und zum erneuten Heiraten aufgefordert werden würden, zumal Sie offiziell verheiratet sind, und sogar bei den Schwiegereltern leben.

In Bezug auf Ihre Fluchtgründe konnten Sie keine individuelle und konkrete Bedrohungssituation, der Sie ausgesetzt wären, schildern. Sie schilderten lediglich oberflächliche telefonische Bedrohungen seitens unbekannter Personen.

Beweise für die geschilderten Bedrohungen legten Sie der ho. Behörde nicht vor. Und ach konnten Sie eine solche nicht glaubhaft machen. Gerade in Ihrer Lage wäre es Ihnen möglich gewesen, sich an staatliche Einrichtungen oder die Exekutive zu wenden. Ihre Begründung zum Unterlassen – dass die unbekannten Personen am Telefon Ihnen gesagt hätten, nicht zur Polizei zu gehen – kann nicht nachvollzogen werden.

Des Weiteren führen Sie an, Ihr Mobiltelefon erst während Ihrer Ausreise aus dem Kosovo entsorgt zu haben. Sie hätten die Telefonnummer trotz der Bedrohungen nicht wechseln wollen, weil Ihr Ehegatte Sie hätte anrufen können. Sie waren bei den Eltern ihres Ehegatten wohnhaft und kann aus diesem Grund darauf geschlossen werden, dass dieser zumindest seine Eltern besucht – somit hätten Sie auch Kontakt zu ihm aufnehmen können. Des Weiteren wäre es Ihnen auch möglich gewesen, die Nummer Ihres Ehegatten zu speichern und mit ihm telefonisch Kontakt aufzunehmen, anstatt auf einen Anruf seinerseits zu warten.

Zudem ist darauf hinzuweisen, dass Kosovo ein sicherer Herkunftsstaat laut Herkunftsstaatenverordnung ist. Der Staat ist schutzwürdig und schutzwillig.

Zu Ihren Rückkehrbefürchtungen gaben Sie am 07.04.2016 an, dass Sie Angst hätten, dass die Leute, die Sie bedroht haben, Ihrem Sohn Schaden zufügen würden.

Am 11.08.2020 wurde mit Ihnen ein Parteiengehör durchgeführt, in dem Sie angaben, dass Ihre Fluchtgründe noch aufrecht sind. Zu Ihren Rückkehrbefürchtungen hingegen machten Sie plötzlich völlig andere Angaben: so würden Sie bei einer Rückkehr befürchten, dass Ihre eigene Familie Sie wegen Ihrer unehelichen Tochter umbringen würde. Zudem machen Sie sich um wirtschaftliche Aspekte Sorgen (ua. Wohnmöglichkeit.). Verständlich ist Ihre Sorge im Kosovo anfänglich wirtschaftliche Schwierigkeiten zu haben und konnten Sie die familiären Streitigkeiten zu Ihren Familienangehörigen glaubhaft darlegen. Bezüglich der wirtschaftlichen Schwierigkeiten wird auf die Länderfeststellung zu Kosovo verwiesen, in der angeführt wird, dass – wenn auch im geringen Ausmaß - Sozialbeihilfen bestehen. Nebenbei erwähnt ist es Ihnen auch möglich erneut den Kontakt zu Ihren Schwierigkeiten herzustellen – die von Ihnen geschilderten Streitigkeiten liegen nun mehr als zehn Jahre zurück und ist davon auszugehen, dass sich der Groll Ihrer Eltern gegen Sie gelegt haben wird.

Die allgemeine wirtschaftliche Lage Ihres Herkunftsstaates, Ihre Arbeitslosigkeit und oberflächliche Bedrohungen durch unbekannte Personen, begründet kein Recht auf Asyl. Sie gaben in Ihrer Einvernahme an, niemals persönlich auf Basis der Konventionsgründe im Kosovo verfolgt worden zu sein. Eine staatliche Verfolgung haben Sie bei einer Rückkehr nicht zu befürchten.

Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist unter Verfolgung ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates zu begründen (VwGH 24.11.1999, 99/01/0280).

Bei der begründeten Furcht vor Verfolgung muss es sich um eine solche handeln, die aus objektiver Sichtbegründet ist und einen weiteren Verbleib des Asylwerbers in seinem Heimatland unerträglich erscheinen lässt (VwGH 24.7.2001, 97/21/0636; VwGH 25.4.1994, 94/20/0034).

Sie brachten keine asylrelevanten Fluchtgründe vor. Wären Sie tatsächlich einer Verfolgung ausgesetzt gewesen, hätten Sie die Exekutive oder andere staatliche Stellen aufgesucht und um Hilfe gebeten.

Weitere zu prüfende, asylrelevante Zwischenfälle, Verfolgungshandlungen oder Fluchtgründe, außer die bereits erwähnten, führten Sie nicht an. Auch im amtswegig geführten verfahren sind keinerlei derartige Hinweise aufgekommen. Kosovo ist ein sicherer Herkunftsstaat und wird es Ihnen als selbstständige Frau möglich sein in Zukunft für Ihren Lebensunterhalt aufzukommen. (AS 702ff)“

3.2.1.1. Diese Beweiswürdigung war in folgenden Punkten mangelhaft:

Im Hinblick auf die von der BF1 in ihren Einvernahmen vor dem BFA angegebenen Rückkehrbefürchtungen wird der Ansicht der belangten Behörde, die BF1 habe in der Einvernahme am 11.08.2020 „andere Angaben“ als in der Einvernahme am 07.04.2016 gemacht, nicht gefolgt.

Die BF1 gab in ihrer Einvernahme vor dem BFA am 07.04.2016 befragt, was sie im Falle einer Rückkehr in ihr Heimatland zu befürchten habe, an:

„Die Leute die mich bedroht haben, würden mir und meinem Sohn Schaden zufügen.“ (AS 121).

In ihrer darauffolgenden Einvernahme vor dem BFA am 23.01.2018 gab die BF1 befragt nach ihrer Rückkehrbefürchtung an:

„Ich habe niemanden. Ich habe Angst, dass jemand meine Kinder umbringt. Ich habe nichts und niemanden. Ich habe kein Zuhause. Ich habe Angst wegen den Kindern.“ (AS 327).

In der Einvernahme vor dem BFA am 11.08.2020 führte die BF1 folgende Rückkehrbefürchtung an:

„Ich habe vorhin angedeutet, dass wenn ich mit einem außerehelichen Kind in den Kosovo zurückkehre wird mich meine Familie umbringen. Ich habe zu niemanden mehr Kontakt und es gibt für mich keine Wohnmöglichkeiten. Ich habe Angst um das Leben meiner Kinder.“ (AS 601).

Die von der BF1 in ihren Einvernahmen bekannt gegebene Rückkehrbefürchtungen schließen sich gegenseitig nicht aus, kann sie doch angesichts ihrer vorgebrachten individuellen Rückkehrsituation sowohl Angst davor haben, dass ihrem Sohn Schaden zugefügt werden könnte, als auch Angst um das Leben ihrer beiden Kinder haben bzw. Angst davor haben, dass bei einer Rückkehr ihre außereheliche Tochter von ihrer Familie getötet werden könnte.

Die belangte Behörde führte im angefochtenen Bescheid zudem zwar an, „Ihr gesamtes Fluchtvorbringen weist einige Widersprüche auf, zumal Sie in der Erstbefragung auf der Straße gelebt haben“, hat dann jedoch nicht das dazu widersprüchliche Vorbringen wiedergegeben, sondern in einem neuen Satz festgehalten, es sei verwunderlich, dass es der BF1 gelungen sei die Reise nach Prizren anzutreten, zumal sie angegeben habe, dauerhaft von den unbekannten Personen überwacht zu werden, und in einem darauffolgenden Satz auf die Nichtnachvollziehbarkeit der Vermutung der BF1 Bezug genommen, bei den Personen, von denen sie bedroht worden sei, habe es sich um Männer mit Vollbärten gehandelt, hätte sie doch auch im Fernsehen gesehen, dass Leute mit Riesenbärten große Schäden anrichten können. (AS 703).

Diesbezüglich ist darauf hinzuweisen, dass die BF1 in der Erstbefragung davon gesprochen hat, auf der Straße gelebt zu haben, als sie von unbekannten Männern bedroht worden sei (AS 15), in ihrer darauffolgenden Einvernahme vor dem BFA am 07.04.2016 zwar zunächst davon berichtet hat, nachdem sie ihr Ehemann verlassen habe, weiterhin bei den Schwiegereltern geblieben zu sein (AS 103), dann jedoch auch angeführt hat, „seit sie angefangen haben zu drohen“, „zu Hause“ gewesen zu sein und nur ab und zu mit dem Kind raus in den Garten gegangen zu sein (AS 109). Diese beiden Angaben sind durchaus vereinbar miteinander, ist es doch nicht ausschließbar, dass sich die BF1, nachdem sie von ihrem Ehemann verlassen worden sei, von ihren Schwiegereltern unerwünscht und ohne richtiges Zuhause, hauptsächlich außerhalb des Hauses, nachdem sie auf der Straße bedroht worden sei, sich jedoch aus Angst vorwiegend im Haus ihrer Schwiegereltern aufgehalten hat.

Soweit die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid angeführt hat, es sei verwunderlich, dass es trotz angeblich dauerhafter Überwachung von den unbekannten Personen der BF1 gelungen sei, gemeinsam mit ihrem Sohn nach Prizren zu entkommen, ist darauf hinzuweisen, dass nicht ausgeschlossen werden kann, dass die besagten Personen, die die BF1 bedroht haben sollen, einen Moment lang nicht aufgepasst haben und die BF1 mit ihrem Sohn entkommen konnte.

Die BF1 gab nach Vorhalt, sie habe geschildert, dass die Personen nur auf einen geeigneten Moment gewartet hätten, sie zu entführen, und wäre das Verlassen ihres Heimatortes ein derartiger geeigneter Moment gewesen, was nur darauf schließen lasse, dass sie bei einem Umzug in einen anderen Landesteil oder einen anderen Ort sicher gewesen wäre, in ihrer Einvernahme vor dem BFA am 07.04.2016, Folgendes an:

„Ich hatte große Angst, aber ich wusste, dass ich uns jetzt irgendwie retten muss. Ich nehme an, dass sie einfach den einen Moment nicht aufgepasst haben. Ich hatte auch in Prizren große Angst vor den Leuten die mich außer Landes gebracht haben. Sie hatten aber keinen großen Bart. Da habe ich mir gedacht, das sind die anderen. Ich hatte ja Angst im Kosovo. Sie sind überall.“ (AS 114f).

Auch wenn die BF1, wie die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid anführte, nicht einmal gewusst haben könne, wie die sie am Telefon bedrohenden Männer ausgesehen hätten, kann sie diese doch auch aus Angst mit den zwei bärtigen Männern, die sie zusammen mit einer Frau auf der Straße um ihr Handy gebeten haben sollen (AS 109), woraufhin sie telefonisch bedroht worden sei, und mit im Fernsehen gesehenen vollbärtigen Männern in Verbindung gebracht und sich alle sie am Telefon bedrohenden Personen als bärtig vorgestellt haben.

Die Unglaubhaftigkeit des Fluchtvorbringens kann daher nicht hinreichend begründend auf diese Angaben der BF1 gestützt werden, ebenso wenig darauf, dass, wie die belangte Behörde weiter ausführt, davon ausgegangen werden könne, dass der Ehemann der BF1 seine Eltern besucht und die BF1 mit diesem Kontakt aufnehmen können hätte, sowie die BF1 die Telefonnummer ihres Ehemannes speichern und den Ehemann selbst anrufen können und nicht auf einen Anruf seinerseits warten müssen hätte (AS 704), gibt es doch im Vorbringen der BF1 keinen Anhaltspunkt dafür, dass sie mit ihrem Ehemann Kontakt aufnehmen und ihn anrufen können hätte, und ist es außerdem auch möglich, dass die BF1, nachdem sie ihr Ehemann nach Geburt ihres Sohnes verlassen habe, derart unter Schock gestanden sei, dass sie eingeschüchtert auf eine Kontaktaufnahme seinerseits gewartet und nicht Selbstinitiative ergreifen können habe.

Die belangte Behörde hält es zudem nicht für nachvollziehbar, dass ausgerechnet die BF1 von unbekannten Personen bedroht und zum erneuten Heiraten aufgefordert worden sein soll, zumal sie offiziell verheiratet sei und sogar bei den Schwiegereltern lebe.

In der niederschriftlichen Einvernahme vor dem BFA am 07.04.2016 befragt, warum gerade die BF1 bedroht worden sei, und was diese Personen von ihr wollten, gab die BF1 an:

„Ich habe auch darüber nachgedacht. Ich habe auch zu ihnen gesagt: „Wieso ruft ihr mich an?“ Man sagte mir, dass man über mich Bescheid weiß, dass ich ohne Mann bin und meine Familie mit mir nichts zu tun haben will und ich bei der Familie meines Mannes lebe, diese mich nicht mögen und ich im Grunde niemanden habe. Sie haben mir gesagt, dass ich mitkommen soll und sie mich verheiraten werden. Es würde mir gut gehen und sie würden meinen Sohn brauchen.“ (AS 111).

Aus diesem Vorbringen geht jedenfalls nur hervor, dass die besagten Personen davon Bescheid wussten, dass die BF1 ohne ihren Mann bei ihren Schwiegereltern lebe, nicht jedoch auch, dass die BF1 offiziell verheiratet sei.

Befragt, wie sie sich erklären könne, dass sie dies von ihr wussten, gab die BF1 an:

„Das habe ich mich ständig gefragt. Woher haben sie diese Informationen über mich? In diesem Dorf sind sehr viele Leute mit Bärten und ich kannte dort fast niemanden.“ (AS 111).

Aufgrund des Vorbringens der BF1 vor dem BFA am 07.04.2016, es habe sich dabei um ein ziemlich großes Dorf mit sehr vielen Leuten mit Bärten gehandelt und die BF1 habe dort fast niemanden gekannt (AS 111), kann nicht ausgeschlossen werden, dass ein Verlassen der BF1 von ihrem Ehemann im Dorf bekannt worden ist und sich herumgesprochen hat.

3.2.2. Im die BF1 betreffenden angefochtenen Bescheid wurde in der Beweiswürdigung „betreffend die Feststellungen der Gründe für das Verlassen des Herkunftslandes“ rechtlich beurteilend Folgendes festgehalten:

„Die allgemeine wirtschaftliche Lage Ihres ´Herkunftsstaates, die hohe Arbeitslosigkeit und oberflächliche Bedrohungen durch unbekannte Personen, begründet kein Recht auf Asyl. Sie gaben in Ihrer Einvernahme an, niemals persönlich auf Basis der Konventionsgründe im Kosovo verfolgt worden zu sein. Eine staatliche Verfolgung haben Sie bei einer Rückkehr nicht zu befürchten.

Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist unter Verfolgung ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates zu begründen (VwGH 24.11.1999, 99/01/0280).

Bei der begründeten Furcht vor Verfolgung muss es sich um eine solche handeln, die aus objektiver Sicht begründet ist und einen weiteren Verbleib des Asylwerbers in seinem Heimatland unerträglich erscheinen lässt (VwGH 24.7.2001, 97/21/0636; VwgH 25.4.1994, 94/20/0034).

Sie brachten keine asylrelevanten Fluchtgründe vor Wären Sie tatsächlich einer Verfolgung ausgesetzt gewesen, hätten Sie die Exekutive oderandere staatliche Stellen aufgesucht und um Hilfe gebeten.“ (AS 705).

In der Rechtlichen Beurteilung zu Spruchpunkt I. steht dann Folgendes:

„Ihre Angaben telefonisch von unbekannten Personen bedroht worden zu sein kann nicht zu Asyl führen. Kosovo ist ein sicherer Herkunftsstaat: der Staat ist schutzwürdig und schutzwillig. Sie hätten jederzeit staatliche Hilfe in Anspruch nehmen können – aus dem Unterlassen kann gedeutet werden, dass ein Einschreiten durch die Exekutive offenbar nicht notwendig und verhältnismäßig war. Auch die Feststellungen und Würdigungen zu Rückkehrfragen zeigen eindeutig, dass eine unmenschliche Behandlung aus Gründen der Asylantragstellung alleine nicht droht.“ (AS 711).

Die belangte Behörde stützte sich im die BF1 betreffenden angefochtenen Bescheid hinsichtlich Schutzfähigkeit und Schutzwilligkeit der kosovarischen Behörden bloß darauf, dass Kosovo ein sicherer Herkunftsstaat ist.

3.2.2.1. In seiner Entscheidung vom 26.06.2019, Zl. Ra 2019/20/0050, hob der VwGH Folgendes hervor:

„Die Festlegung eines Staates als sicherer Herkunftsstaat spricht für die Annahme einer grundsätzlich bestehenden staatlichen Schutzfähigkeit und Schutzwilligkeit der Behörden dieses Staates (vgl. VwGH 10.8.2017, Ra 2017/20/0153, 0154; 29.5.2018, Ra 2017/20/0388; 6.11.2018, Ra 2017/01/0292). Es bleibt aber diesfalls einem Fremden unbenommen, fallbezogen spezifische Umstände aufzuzeigen, die ungeachtet dessen dazu führen können, dass – hier: nach Art. 3 EMRK – geschützte Rechte im Falle seiner Rückführung in nach dem AsylG 2005 maßgeblicher Weise verletzt würden (vgl. in diesem Sinn VwGH 16.11.2016/18/0233). Die Aufnahme eines Staates in die Liste sicherer Herkunftsstaaten führt demnach nicht zu einer gesetzlichen Vermutung, die nicht widerlegbar wäre.“

Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kommt einer von Privatpersonen bzw. privaten Gruppierungen ausgehenden, auf einen Konventionsgrund beruhenden Verfolgung Asylrelevanz zu, wenn der Staat nicht gewillt oder nicht in der Lage ist, diese Verfolgungshandlungen hintan zu halten. Auch eine auf keinem Konventionsgrund beruhende Verfolgung durch Private hat aber asylrelevanten Charakter, wenn der Heimatstaat des Betroffenen aus den in Art. 1 Abschnitt A Z. 2 GFK genannten Gründen nicht bereit ist, Schutz zu gewähren (vgl. VwGH vom 28. Jänner 2015, Ra 2014/18/0112, nwN).

Von einer mangelnden Schutzfähigkeit des Staates kann nicht bereits dann gesprochen werden, wenn der Staat nicht in der Lage ist, seine Bürger gegen jedwede Übergriffe seitens Dritter präventiv zu schützen. Entscheidend für die Frage, ob eine ausreichend funktionierende Staatsgewalt besteht, ist vielmehr, ob für einen von dritter Seite Verfolgten trotz staatlichen Schutzes der Eintritt eines – asylrelevante Intensität erreichenden – Nachteiles aus dieser Verfolgung mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist (VwGH vom 28. Oktober 2009, 2006/01/0793, mwN).

Gemäß Art. 7 Abs. 2 der Richtlinie 2011/95/EU (Statusrichtlinie), die im Sinne einer unionsrechtskonformen Auslegung des nationalen Rechts mit zu berücksichtigen ist, muss der Schutz vor Verfolgung oder ernsthaftem Schaden wirksam sein. Ein solcher Schutz ist generell gewährleistet, wenn etwa der Herkunftsstaat geeignete Schritte einleitet, um die Verfolgung oder den ernsthaften Schaden zu verhindern, beispielsweise durch wirksame Rechtsvorschriften zur Ermittlung, Strafverfolgung und Ahndung von Handlungen, die eine Verfolgung oder einen ernsthaften Schaden darstellen, und wenn der Asylwerber Zugang zu diesem Schutz hat. Bei Prüfung (u.s.) dieser Frage berücksichtigen die Mitgliedstaaten nach Art. 8 Abs. 2 Statusrichtlinie zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Antrag die dortigen allgemeinen Gegebenheiten und die persönlichen Umstände des Antragstellers.

Die Statusrichtlinie sieht daher einerseits vor, dass die staatliche Schutzfähigkeit zwar generell bei Einrichtung eines entsprechenden staatlichen Sicherheitssystems gewährleistet ist, verlangt aber andererseits eine Prüfung im Einzelfall, ob der Asylwerber unter Berücksichtigung seiner besonderen Umstände in der Lage ist, an diesem staatlichen Schutz wirksam teilzuhaben (vgl. VwGH vom 24.02.2015, Ra 2014/18/0063).

Die BF1 gab vor dem BFA zusammengefasst an, sie habe keinen Kontakt mehr zu ihrer Familie, sei auch bei ihren Schwiegereltern unerwünscht und habe Angst vor den Personen, von denen sie vor ihrer Ausreise am Telefon bedroht worden sei und die ihr, sollte sie sich wegen der Bedrohungen an die Polizei wenden, mit einem Schaden für ihren Sohn gedroht hätten (AS 121, 107), und fürchte sich davor, die Leute, die sie bedroht hätten, würden ihr und ihrem Sohn einen Schaden zufügen (AS 121), bzw. ihre Familie könnte sie aufgrund ihrer in Österreich unehelich geborenen Tochter töten (AS 601).

Die Rückkehrsituation der BF1 hat sich durch die Geburt ihrer außerehelichen Tochter in Österreich im März 2017 gegenüber ihrer Ausreisesituation jedenfalls geändert. Dadurch, dass die BF1 nunmehr nicht nur nach der, wie von ihr angegeben, von ihrer Familie unerwünschten, Heirat mit einem Albaner einen mit diesem minderjährigen Sohn, sondern auch eine außereheliche Tochter, deren Vater unbekannt ist, hat, ist auch eine Änderung der Situation für ihre eigene und für die Familie ihres Ehemannes eingetreten.

Im gegenständlichen Fall ist jedenfalls eine nähere Auseinandersetzung mit der aktuellen individuellen Rückkehrsituation der BF1 samt ihrer vor dem BFA angegebenen Rückkehrbefürchtung vor dem Hintergrund aktueller Länderberichte zu Blutrache bzw. Ehrenmorde und zu konkreten staatlichen Schutzmöglichkeiten für sie als alleinstehende, alleinerziehende Frau, einer Angehörigen der Volksgruppe der Bosniaken, im Kosovo notwendig, um hinreichend begründet eine asylrelevante Gefahr für die BF1 und ihre Kinder ausschließen zu können.

3.2.3. Bei der Prüfung, ob die BF subsidiär schutzberechtigt sind, hat sich die belangte Behörde zunächst nicht näher mit dem (psychischen) Gesundheitszustand der BF1 und ihres Sohnes, des BF2, und der individuellen Rückkehrsituation der BF1 und ihrer Kinder vor dem Hintergrund aktueller Länderberichte auseinandergesetzt.

Mit Telefax ihres Rechtsvertreters wurden neben Integrationsnachweisen die BF1 und ihren Sohn betreffende Arztbefunde vorgelegt – ein Befundbericht eines Psychotherapeuten vom 12.02.2020, wonach die BF1 an einer posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS), Somatisierungsstörung und nichtorganischen Insomnie leidet und „bis 05.02.2020 an 111 Stunden teilgenommen“ hat (AS 563), ein neurologischer Befund vom 25.02.2020, wonach die BF1 an einer Somatisierung und einer depressiven Episode leidet (AS 565), ein psychiatrischer Befund eines psychosozialen Zentrums vom 27.02.2020, wonach die BF1 seit 05.05.2017 regelmäßig ambulant psychiatrisch behandelt wird und an PTBS, einer Somatisierungsstörung und einer nichtorganischen Insomnie leidet, und eine Bestätigung einer Psychotherapeutin einer Ambulanz für Kinder und Jugendliche, dass der BF2 vom 25.01.2019 bis 16.09.2019 in der Ambulanz Psychotherapie in Anspruch genommen hat.

Die Länderfeststellungen enthalten auch eine Anfragebeantwortung der Staatendokumentation vom 04.03.2020 zu den Fragen, ob es für alleinerziehende Frauen mit bestimmten angeführten psychischen Problemen (PTBS, Angst- und depressive Störung) dementsprechende Einrichtungen für eine anfallende Behandlung gibt, ob Be- und Nachbehandlung (Kontrollen) der gynäkologischen Vorerkrankung Dysplasie Cervicis im Kosovo möglich ist und ob es bei einer stationären Behandlung Unterbringungsmöglichkeiten für die Kinder der alleinerziehenden Frau gibt.

Nach der besagten Anfragebeantwortung geht aus einem Bericht des VB Büro des BM.I für Kosovo hervor,

„dass Patienten, die an Angst- und depressiven Störung leiden, in den regionalen Krankenhäusern im Kosovo und auch in der Universitätsklinik Pristina behandelt werden können. Für Patienten, die nicht aus Pristina stammen, kann der Zugang zur Universitätsklinik Pristina logistisch problematisch sein, genauso für Patienten, die in abgelegenen Dörfern leben und in den Regionalkrankenhäusern behandelt werden sollen. Das bedeutet, dass es sehr stark davon abhängt, von wo der Patient herkommt (Dorf, Stadt), da all das mit Reise, dem Zugang, Terminen usw. verbunden ist. Es wird darauf hingewiesen, dass es im Kosovo keine zugelassenen Psychotherapeuten gibt, die PTBS behandeln können, sowie kein spezialisiertes Zentrum für Patienten, die an PTBS erkrankt sind. (…)

Für eine alleinerziehende Mutter sind die Chancen ihren Gesundheitszustand stabil zu halten oder zu verbessern sehr gering. Der depressive Zustand der Patientin verschlechtert sich, wenn sie nicht in der Lage ist, ihren Kindern und sich selbst angemessene Lebensbedingungen zu bieten. Aufgrund der allgemeinen Erfahrung sind solche Patienten einem hohen Suizidrisiko ausgesetzt.

Das Zentrum für psychische Gesundheit bietet zwar eine ambulante psychiatrische und psychologische Behandlung an, kann aber die Kosten für Transport, Medikamente und andere technische Hilfsmittel, die benötigt werden, nicht übernehmen. (…) (AS 693)

(…) Die Frau leidet auch an einer gynäkologischen Vorerkrankung (Dysplasie Cervicis). Sind die Be- und Nachbehandlung (Kontrollen) von Dysplasie Cervicis im Kosovo möglich?

(…)

Zu dieser Fragestellung hat das VB Büro des BM.I für Kosovo berichtet, dass diese Art von Krankheiten in den regionalen Krankenhäusern und in der Universitätsklinik Pristina behandelbar ist: (…).“

Das VB Büro des BM.I für Kosovo hat zudem davon berichtet, dass es keine Unterbringungsmöglichkeiten für Kinder gibt, deren Eltern im Krankenhaus behandelt werden (AS 695).

Bestimmten zitierten Länderberichtsquellen sei zudem zu entnehmen,

„dass Patienten, die an PTBS leiden, in den öffentlichen psychiatrischen Einrichtungen weiterhin primär medikamentös behandelt werden. Die Pflege und Betreuung von psychisch kranken Menschen findet im Kosovo in der Regel innerhalb der Familie statt. Im Kosovo existieren nur einige staatliche Pflege und Fürsorgeeinrichtungen mit wenigen Plätzen. Je nach benötigter Behandlung fallen für PatienInnen Kosten an. (…) Der private Gesundheitssektor deckt viele Gesundheitsbereiche ab, ist jedoch teuer und für die breite Bevölkerung meist nicht erschwinglich.

(...)

Das Auswärtige Amt (AA) schrieb in seinem Bericht vom März 2019 unter anderem, dass Patienten, die an PTBS leiden in den öffentlichen psychiatrischen Einrichtungen weiterhin primär medikamentös behandelt werden. Fachärzte für Psychiatrie im privaten Gesundheitssektor behandeln Trauma-Patienten sowohl medikamentös als auch im Rahmen einer Psychotherapie. (…) (AS 696)

Im angefochtenen die BF1 betreffenden Bescheid wurde zu ihrer Person unter anderem Folgendes festgestellt:

„Sie gaben bei der niederschriftlichen Einvernahme vom 11.08.2020 an, sich gesundheitlich nicht sehr wohl zu fühlen. Sie bekommen Medikamente gegen Kopfschmerzen, Krämpfe und Magenprobleme. Die Befunde sind alle in Ordnung und wurde bereits durch österreichische Ärzte festgestellt, dass die meisten Ihrer Probleme psychisch sind. Sie sind derzeit bei einem Neurologen und einem Psychiater in Behandlung. Ihren vorherigen Verfahren und den vorgelegten ärztlichen Unterlagen ist zu entnehmen, dass Sie neben Angst und depressiven Störungen auch an einer gynäkologischen Vorerkrankung (Dysplasie Cervicis) leiden – welche laut der Anfragebeantwortung der Staatendokumentation vom 04.03.2020 im Kosovo behandelbar ist. Weiteres ist dem Befundbericht von Ihrem behandelnden Gynäkologen zu entnehmen, dass Sie im Februar 2020 HPV-Pool positiv getestet wurden – lässt ein einziger Test jedoch auf kein endgültiges Ergebnis schließen – weist dieser somit keine Krebserkrankung nach, sondern lediglich einen Viren-Infekt.

(…) “

Zu ihrer Rückkehrsituation wurde festgestellt:

„(…) Sie leiden an Angst- und depressiven Störungen und an einer gynäkologischen Vorerkrankung (Dysplasie Cervicis), welche laut Anfragebeantwortung vom 04.03.2020 im Kosovo behandelbar ist. Ihr Sohn besucht die Volksschule und Ihre Tochter derzeit den Kindergarten, bei einer Rückkehr können diese den Schul- und Kindergartenbesuch im Kosovo fortsetzen. Demnach sind Ihre Kinder während Ihrer Behandlungen in Pflege. Ansonsten wird es Ihnen als aufgeschlossene Person möglich sein eine Freundin oder Babysitterin zu finden, die sich ab und an um Ihre Kinder kümmert.

Es konnte nicht festgestellt werden, dass Sie im Falle Ihrer Rückkehr in den Kosovo in eine di Existenz bedrohende Notlage geraten würden. Im Falle ihrer Rückkehr sind Sie keinen asylrelevanten Schwierigkeiten ausgesetzt. Es ist ihnen zuzumuten, dass Sie sich im Kosovo den Lebensunterhalt durch eigene Arbeit, durch Sozialbeihilfen, Ihre Schwiegereltern oder durch familiäre Unterstützung sichern. (…) (AS 663)

Beweiswürdigend wurde betreffend die Feststellungen zur Person der BF1 festgehalten:

(..) Die Feststellungen zu Ihrem Gesundheitszustand ergibt sich aus Ihren Einvernahmen und den vorgelegten Befunden. Sie leiden an einer Angst- und depressiven Störung und sind diesbezüglich in Österreich in Behandlung. Zudem leiden Sie an einer gynäkologischen Vorerkrankung, welche bei der Geburt Ihrer Tochter festgestellt wurde. Die angeführten Erkrankungen sind laut der Anfragebeantwortung vom 04.03.2020 im Kosovo medizinisch behandelbar. Bei dem Parteiengehör vom 11.08.2020 gaben Sie an, dass bei Ihnen Gebärmutterhalskrebs festgestellt wurde. Dem vorgelegten Befund des Gynäkologen ist lediglich zu entnehmen, dass bei Ihnen im Februar 2020 HPV-Pool positiv diagnostiziert wurde. Dagegen werden Sie laut Befundbericht geimpft und findet Ihre nächste Kontrolle im September 2020 statt. Es ist Ihnen bei einer Rückkehr in den Kosovo zuzumuten die oa. Erkrankungen behandeln zulassen. Auch wird es Ihnen während einer Behandlung möglich sein eine Betreuung – wenn auch nicht von staatlicher Seite – für Ihre Kinder zu finden.“ (AS 700f)

Betreffend die individuelle Rückkehrsituation der BF1 wurde beweiswürdigend unter anderem Folgendes festgehalten:

„(…) Im Kosovo verfügen Sie über verwandtschaftliche Beziehungen: Ihre Eltern und zwei Brüder leben im Kosovo. Sie haben seit Ihrer Hochzeit als Bosniakin mit einem Albaner kein gutes Verhältnis mehr zu Ihren Eltern und stehen seit 2010 nicht mehr im Kontakt Verständlich ist ihre Enttäuschung über Ihre Familie, ist es ihnen jedoch bei einer Rückkehr trotzdem möglich, nach all den Jahren einen Kontakt versucht zu starten. Neben Ihren Eltern und Geschwistern haben Sie auch weitere Verwandte, mit denen Sie nicht im Kontakt stehen. Sie verneinten zudem Freunde zu haben, gaben aber an noch Personen von Ihrer Schulzeit zu kennen. Gerade Ihnen als aufgeschlossene, selbstständige Frau sollte es möglich sein, im Kosovo neue Kontakte zu knüpfen und für Ihren eigenen Lebensunterhalt aufzukommen. In Österreich managen Sie sämtliche Arzttermine und Behördenwege selbst und ist ihnen zuzumuten, auch im Kosovo als alleinerziehende Mutter zu leben. Der Länderfeststellung ist zu entnehmen, dass es im Kosovo – wenn auch im geringen Ausmaß – Sozialbeihilfen gibt.

Ihren vorgelegten Befunden ist zu entnehmen, dass Sie medizinische Versorgung benötigen. Der Anfragebeantwortung an die Staatendokumentation vom 04.03.2020 (siehe oben) ist zu entnehmen, dass eine Behandlung im Kosovo möglich ist.

Festgestellt wird, dass es Ihnen bei einer Rückkehr möglich sein wird, die Behandlung im Kosovo durchzuführen und die notwendigen Medikamente zu erhalten. (…).“ (AS 707).

Die Rechtliche Beurteilung zu Spruchpunkt II. des die BF1 betreffenden Bescheides besteht aus Rechtsgrundlagen und VwGH-Judikatur – relevante EGMR-Judikatur beinhaltende VfGH- Judikatur (VfGH 6.3.2008, Zl. 2400/07) betreffend Behandlungsmöglichkeiten im Herkunftsstaat wurde nur im Zuge der Beweiswürdigung und nicht mehr im Zuge der Rechtlichen Beurteilung zu Spruchpunkt II. festgehalten – und folgender allgemein- und kurzgehaltener Ausführung:

„Aufgrund des durchgeführten Ermittlungsverfahrens und des festgestellten Sachverhaltes ergibt sich, dass die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status des subsidiären Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 1 AsylG nicht gegeben sind.

Auch besteht kein Hinweis auf das Vorliegen „außergewöhnlicher Umstände“ (lebensbedrohende Erkrankung oder dergleichen), die eine Abschiebung im Sinne von Art. 3 EMRK und § 50 FPG unzulässig machen könnte.

Es ist Ihnen zuzumuten sich mit Hilfe der eigenen Arbeitsleistung zukünftig im Kosovo den Lebensunterhalt zu sichern.

Es steht Ihnen bei einer Rückkehr frei in einem beliebigen Landesteil vom Kosovo Unterkunft zu nehmen. Sie verneinten in Ihrem Heimatland jemals Probleme mit staatlichen Behörden gehabt zu haben.

Wie in der Beweiswürdigung ausführlich erörtert, lassen sich keine Gründe feststellen, die eine Rückkehr in Ihr Heimatland unmöglich erscheinen lassen.“ (AS 712).

3.2.3.1. Im angefochtenen Bescheiden wurde nicht hinreichend begründet, warum keine Art. 3 EMRK-Gefährdung bzw. kein Abschiebungshindernis vorliege.

Es fehlt eine nähere Auseinandersetzung mit der individuellen Rückkehrsituation der BF und dem (psychischen) Gesundheitszustand der BF1 und des BF2, unter Mitberücksichtigung der mit Telefax vom 11.03.2020 vorgelegten ärztlichen Befunden, vor dem Hintergrund entsprechender aktueller Länderfeststellungen samt eingeholter Anfragebeantwortung der Staatendokumentation vom 04.03.2020.

Die belangte Behörde führte an, die gesundheitlichen Beeinträchtigungen der BF1 – Angst-, depressive Störung, gynäkologische Vorerkrankung (Dysplasie Cervicis) seien behandelbar, ohne konkret auf die Länderberichte zu verweisen, welche dies besagen (AS 700).

Die den per Telefax vom 11.03.2020 vorgelegten Arztbefunden zufolge ebenso bestehende PTBS der BF1 wurde nicht festgestellt. In weiterer Folge wurde in der Beweiswürdigung die in der Anfragebeantwortung enthaltenen Informationen, dass es im Kosovo keine zugelassenen Psychotherapeuten, die PTBS behandeln können, sowie kein spezialisiertes Zentrum für Patienten, die an PTBS erkrankt sind, gebe (AS 693), ebenso außer Acht gelassen wie die Informationen, dass an PTBS leidende Patienten in den öffentlichen psychiatrischen Einrichtungen weiterhin primär medikamentös behandelt werden und die Pflege und Betreuung von psychisch kranken Menschen im Kosovo in der Regel innerhalb der Familie stattfinden (AS 696).

Es wurde im angefochtenen Bescheid zudem nicht darauf eingegangen, dass die BF1 aus einem Dorf stammt, was laut angeführter Anfragebeantwortung der Staatendokumentation vom 04.03.2020 für einen Zugang zur Universitätsklinik Pristina logistisch problematisch sein könne (AS 693).

Ebenso nicht auseinandergesetzt

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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