TE Bvwg Erkenntnis 2020/10/30 G312 2234758-3

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Veröffentlicht am 30.10.2020
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Entscheidungsdatum

30.10.2020

Norm

BFA-VG §22a Abs4
B-VG Art133 Abs4
FPG §76

Spruch

G312 2234758-3/2E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag. Manuela WILD als Einzelrichterin über die Anhaltung des XXXX, geb. XXXX, StA.: Marokko alias Staatenlos, Zl. XXXX, im amtswegig eingeleiteten Verfahren zur Prüfung der Verhältnismäßigkeit der Schubhaft, zu Recht:

A)       Gemäß § 22a Abs. 4 BFA-VG wird festgestellt, dass zum Zeitpunkt der Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen und dass die Aufrechterhaltung der Schubhaft im Zeitpunkt der Entscheidung verhältnismäßig ist.

B)       Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

Mit dem Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA) vom XXXX wurde gegen XXXX (im Folgenden: OM) gemäß § 76 Abs. 2 Z 2 FPG die Schubhaft zum Zweck der Sicherung der Abschiebung angeordnet.

Am 27.10.2020 wurde vom BFA, XXXX, der Akt gemäß § 22a Abs. 4 BFA-VG dem BVwG zur amtswegigen Überprüfung der Anhaltung gemäß § 76 Abs. 2 Z 2 FPG zum Zweck der Sicherung der Abschiebung vorgelegt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Festgestellt wird, dass OM seit XXXX durchgängig in Schubhaft angehalten wird, dass er haftfähig ist und keine Umstände hervorgekommen sind, die eine Änderung des entscheidungswesentlichen Sachverhalts indizieren oder Zweifel an der Verhältnismäßigkeit der weiteren Anhaltung des OM in Schubhaft erwecken. Die Schubhaft wird seit XXXX, XXXX Uhr, im Anhaltezentrum Vordernberg vollzogen.

1.2. OM reiste eigenen Angaben zufolge illegal und schlepperunterstützt zu einem unbekannten Zeitpunkt im Jahr 2007 in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte im Jänner 2007 beim Bundesasylamt (BAA) einen Antrag auf Gewährung internationalen Schutzes, welcher am 11.05.2007 vollinhaltlich rechtskräftig negativ abgewiesen wurde.

OM gab im Zuge seiner ersten niederschriftlichen Einvernahme vor dem BAA am 15.01.2007 an, er habe das Dorf XXXX in Algerien im Dezember 2006 verlassen. Zuvor habe er für etwa 20 Jahre in einem Lager namens XXXX in der Westsahara gelebt. In der am 03.06.2020 durchgeführten Befragung vor dem BFA brachte OM vor, sein letzter Heimatort sei XXXX in der von Marokko besetzten Westsahara gewesen, wo er über eine ID-Card verfügt habe, welche er bei seiner Ausreise dort gelassen habe.

1.3. OM war – beginnend mit 09.02.2007 bis zum heutigen Tag – abgesehen von einer privaten Meldung beim XXXX vom XXXX bis XXXX – ausschließlich in Polizeianhaltezentren und Justizanstalten gemeldet. Sein Melderegisterauszug weist innerhalb der folgenden Zeitspannen Meldelücken auf, während derer dem Bundesamt der Aufenthalt des OM unbekannt war, weil er diesen nicht bekanntgegeben hat.

1.4. Gegen OM wurde erstmalig am XXXX durch die Bezirkshauptmannschaft XXXX die Schubhaft verhängt und OM wegen Hungerstreiks am XXXX entlassen.

Am XXXX wurde OM abermals in Schubhaft genommen und am XXXX wegen der infolge Hungerstreiks eingetretenen Haftunfähigkeit entlassen.

1.5. Am XXXX um XXXX Uhr wurde OM von Beamten der Polizeiinspektion XXXX beim unrechtmäßigen Aufenthalt im Bereich der XXXX, nächst der XXXX in stark alkoholisiertem Zustand angehalten und gemäß § 120 Abs. 1a FPG zur Anzeige gebracht.

OM entzog sich dem ihm am 13.07.2018 vom BFA gegenüber verhängten gelinderen Mittel der Meldeverpflichtung, in dem er ab dem 11.12.2018 unbekannten Aufenthalts war.

1.6. OM weist in Österreich folgende rechtskräftige strafgerichtliche Verurteilungen auf:

1.)      Mit rechtskräftigem Urteil des Landesgerichts für Strafsachen XXXX, Zahl XXXX vom XXXX, wurde OM rechtskräftig wegen Körperverletzung, versuchter Nötigung und unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften gemäß §§ 83 Abs. 1 StGB, § 15 StGB § 105 Abs. 1 StGB, § 27 Abs.1 Z 1 1.2. Fall SMG § 15 StGB § 27 Abs. 1 Z 1 8. Fall u (3) SMG, § 27 Abs. 1 Z 1 1.2. Fall SMG zu einer bedingten Freiheitsstrafe von 6 Monaten unter Setzung einer Probezeit von 3 Jahren verurteilt.

2.)      Mit rechtskräftigem Urteil des Landesgerichts für Strafsachen XXXX, Zahl XXXX vom XXXX, wurde OM wegen Hehlerei und unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften gemäß §§ 164 Abs. 1, 164 Abs. 2 StGB §§ 27 Abs. 1 Z 1 8. Fall, 27 Abs. 3 SMG zu einer Freiheitsstrafe von 15 Monaten, davon Freiheitsstrafe 10 Monate, bedingt unter Setzung einer Probezeit von 3 Jahren, verurteilt.

3.)      Mit rechtskräftigem Urteil des Landesgerichts für Strafsachen, Zahl XXXX vom XXXX, wurde OM wegen unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften gemäß §§ 27 Abs. 1 Z 1 1. Fall, 27 Abs. 1 Z 1 2. Fall SMG, §§ 27 Abs. 1 Z 1 8. Fall, 27 Abs. 3, 27 Abs. 5 SMG zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von 8 Monaten verurteilt.

Es wird festgestellt, dass OM die zuvor beschriebenen Straftaten begangen und die genannten Verhaltensweisen gesetzt hat.

Das gegen OM wegen Körperverletzung von der Staatsanwaltschaft XXXX mit Strafantrag vom 07.07.2020 in Gang gesetzte Verfahren endete am XXXX mit einem Freispruch des XXXX gemäß § 259 Z 3 StPO zu Zahl XXXX.

1.7. Mit Bescheid des BFA vom XXXX wurde OM ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG nicht erteilt, gemäß § 10 Abs. 2 AsylG iVm § 9 BFA-VG gegen OM eine Rückehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 1 Z 1 FPG erlassen, gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass seine Abschiebung nach Marokko gemäß § 46 FPG zulässig sei, gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 3 Z 1 FPG gegen ihn ein auf die Dauer von 7 Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen, gemäß § 55 Abs. 4 FPG eine Frist für die freiwillige Ausreise nicht eingeräumt sowie einer Beschwerde gemäß § 18 Abs. 2 Z 1 BFA-VG die aufschiebende Wirkung aberkannt.

Die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde wurde mit Erkenntnis des BVwG vom 05.02.2019, Zahl I407 1310778-2/18E, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung – der OM trotz ordnungsgemäßer Ladung unentschuldigt ferngeblieben ist - als unbegründet abgewiesen und erwuchs in Rechtskraft.

1.8. Mit Bescheid vom XXXX, XXXX, wurde die Schubhaft zum Zwecke der Abschiebung verhängt. Die gegen diesen Bescheid eingebrachte Beschwerde wurde mit Erkenntnis des BVwG vom 18.09.2020, G307 2234758-1/15E, als unbegründet abgewiesen und festgestellt, dass zum Zeitpunkt der Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen.

Am 01.10.2020 erfolgte gem. § 22a Abs. 4 BFA-VG von Amts eine Vorlage an das BVwG. Nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung in dem von Amts wegen eingeleiteten Verfahren zur Überprüfung der Anhaltung in Schubhaft am 06.10.2020 wurde vom BVwG festgestellt, dass zum Zeitpunkt dieser Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen und dass die Aufrechterhaltung der Schubhaft verhältnismäßig ist (Erkenntnis G303 2234758-2/7Z vom 21.10.2020).

1.9. OM verfügt im Bundesgebiet über keine sozialen oder familiären Anbindungen, er hat keine Deutschkenntnisse und finanzierte seinen Lebensunterhalt unter anderem durch die unerlaubte Ausübung von Beschäftigungen (Schwarzarbeit). OM war in Österreich bis dato nicht legal beschäftigt. Er kann auf keine private Unterkunft zurückgreifen.

1.10. OM ist gesund und arbeitsfähig.

1.11. Die Behörde hat das Verfahren zur Erlangung eines Heimreisezertifikats rechtzeitig und zielführend geführt. OM wirkt bis dato bei der Erlangung eines Heimreisezertifikates nicht mit und zeigte sich unkooperativ.

So lieferte er in der mündlichen Verhandlung vor dem BVwG am 09.09.2020 zB betreffend den Besitz einer ID-Karte widersprüchliche Angaben im Vergleich zu jenen in der Einvernahme vor dem BFA am 03.06.2020, wo er davon sprach, er habe diese in seinem letzten Aufenthaltsort Dakhla gelassen. Vor dem erkennenden Gericht wiederum führte er aus, er habe seit dem Kindesalter keine ID-Karte mehr.

Das Bundesamt ist sehr bestrebt, von den Staaten Marokko, Algerien und Tunesien sowie über das Bundeskriminalamt ein HRZ zu erlangen bzw. die Identität des BF endgültig zu klären. Es versuchte erstmalig am 18.09.2007, für OM ein Heimreisezertifikat (HRZ) bei der marokkanischen Botschaft zu erlangen. Dieses wurde am 07.11.2011 urgiert. Am 07.01.2013 erfolgte ein neuerliches, dahingehendes Ersuchen an die marokkanische Vertretungsbehörde, welches am 14.02.2013 in Erinnerung gerufen wurde. Am 06.10.2015 unternahm das BFA erneut einen Versuch, bei der marokkanischen Botschaft ein HRZ zu erwirken. Am 23.05.2016 richtete das BFA wiederum eine Anfrage um Ausstellung eines HRZ an die marokkanische Vertretungsbehörde. Am 07.05.2020 richtete die belangte Behörde abermals eine Urgenz an die Botschaft Marokkos.

Am 05.06.2020 erstattete das BFA ein Ersuchen um Ausstellung einer HRZ an die tunesische Botschaft. Diese Verfahren sind laufend und werden regelmäßig urgiert, zuletzt am 14.10.2020 in Bezug auf Marokko und am 30.09.2020 hinsichtlich Tunesien.

Seit 09.09.2020 ist ein HRZ Verfahren mit Algerien laufend.

Es wurde – wie bereits oben ausgeführt - am 12.05.2020 ein Personenfeststellungsverfahren mit den Staaten Marokko, Algerien und Tunesien über das Bundeskriminalamt initiiert.

Die Annahme, wonach es sehr wahrscheinlich ist, dass im Fall der Beendigung der Schubhaft und Freilassung letztlich eine Rückführung des rückkehrunwilligen BF durch Untertauchen vereitelt oder erschwert werden könnte, erweist sich unter Berücksichtigung des bisherigen Gesamtverhaltens des BF, der mangelnden Vertrauenswürdigkeit und einer fehlenden sozialen Verankerung in Österreich nach wie vor als begründet. Der BF hat wiederholt erklärt, zuletzt in der mündlichen Verhandlung vor dem BVwG, dass er nicht freiwillig zurückkehren wolle.

1.12. Aufgrund der eigenen Angaben des OM sowie des Akteninhalts steht fest, dass er nicht in den Herkunftsstaat zurückkehren möchte, nicht gewillt ist, sich der Rechtsordnung entsprechend zu verhalten. OM kommt seit mehr als 13 Jahren kein Aufenthaltsrecht in Österreich zu. Er war bis dato trotz zweier rechtskräftiger Entscheidungen – in keinster Weise bereit, freiwillig aus dem Bundesgebiet auszureisen. OM hätte aber auch die Möglichkeit, aus dem Stande der Schubhaft freiwillig in seinen Herkunftsstaat zurückzukehren und somit die Schubhaft zu beenden.

Sobald die Situation mit COVID-19 zu Ende ist, kann OM nach Erhalt eines HRZ im Wege eines Charterfluges in seinen Heimatstaat abgeschoben werden, einer Abschiebung innerhalb der höchst zulässigen Schubhaftdauer aus aktueller Sicht steht somit kein Hindernis entgegen.

Es liegen die Voraussetzungen aus Sicht des erkennenden Gerichtes für die Fortsetzung der Anhaltung in Schubhaft weiterhin vor. OM ist insgesamt nicht gewillt, sich an die österreichische Rechtsordnung zu halten, insbesondere im Hinblick auf seine bereits bekannten Verurteilungen durch Strafgerichte im österreichischen Bundesgebiet die Gefahr eines neuerlichen Verstoßes gegen die österreichische Rechtsordnung.

Zusammenfassend ist festzuhalten, dass das Risiko, dass OM untertaucht, bevor ein Heimreisezertifikat ausgestellt und er anschließend abgeschoben wird, als schlüssig anzusehen ist und von massiver Fluchtgefahr auszugehen ist.

2. Beweiswürdigung:

Den Verfahrensgang, die getroffenen Feststellungen und die Haftfähigkeit des OM ergeben sich aus den vorgelegten Verwaltungsakten der Behörde und dem Gerichtsakt des Bundesverwaltungsgerichts.

Die Verurteilungen des OM folgen dem Amtswissen des BVwG durch Einsichtnahme in das Strafregister der Republik Österreich und der im Akt einliegenden Urteile des LG XXXX. Ebenso ergibt sich der Freispruch des BG XXXX aus der diesbezüglich im Akt befindlichen Urteilsausfertigung.

Aufgrund seines Verhaltens seit Stellung des Antrags auf internationalen Schutz, insbesondere der Begehung von Suchtmitteldelikten im Zeitraum 2015 bis 2019 kann dem OM keine Vertrauenswürdigkeit attestiert werden.

Das Fehlen substanzieller sozialer, familiärer und beruflicher Anknüpfungspunkte im Bundesgebiet ergibt sich aus der Aktenlage. Substanzielle Deutschkenntnisse wurden vom OM nicht behauptet. Im Verfahren sind auch keine legalen Beschäftigungsverhältnisse oder Fähigkeiten hervorgekommen, die zu einer mittelfristigen Sicherung der eigenen Existenz in Österreich beitragen würde. Vielmehr hat er selbst angegeben, sich mit dem Handel mit Suchtgift den Lebensunterhalt verdient zu haben. Auch außerhalb der Haftzeiten hat OM keine substanziellen beruflichen Integrationsschritte gesetzt. Substanzielle gesundheitliche Probleme des OM wurden im Verfahren vom OM nicht behauptet und sind auch aus der Aktenlage nicht ersichtlich.

Die Behörde ist zutreffend von hoher Fluchtgefahr hinsichtlich des OM ausgegangen, was die Verhängung der Schubhaft und das Absehen eines gelinderen Mittels rechtfertigte. OM hält sich seit XXXX unrechtmäßig im Bundesgebiet auf, durchlief ein für ihn in allen Spruchpunkten abweisendes Asylverfahren und besteht gegen ihn ein rechtskräftiges Einreiseverbot.

Im Hinblick auf das bereits eingeleitete HRZ Verfahren ist begründet zu erwarten, dass die Abschiebung jedenfalls innerhalb der gesetzlichen Anhaltefrist erfolgen wird. Die belangte Behörde hat das Verfahren zeitgerecht eingeleitet, ist mit den betroffenen Staaten laufend in Kontakt und wird nach einer positiven Identifizierung zeitnah nach Beendigung der aktuellen Corona-Virus-Situation eine Abschiebung am Flugwege erfolgen können.

3. Rechtliche Beurteilung

3.1. Zu Spruchpunkt A.

Die maßgeblichen Bestimmungen des Fremdenpolizeigesetzes 2005 (FPG), BGBl. I Nr.100/2005 idgF, lauten:

„Gemäß § 76 FPG können Fremde festgenommen und angehalten werden (Schubhaft), sofern der Zweck der Schubhaft nicht durch ein gelinderes Mittel (§ 77) erreicht werden kann. Die Schubhaft darf nur dann angeordnet werden, wenn

1. dies zur Sicherung des Verfahrens zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme, zur Sicherung des Verfahrens über einen Antrag auf internationalen Schutz im Hinblick auf die Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme oder der Abschiebung notwendig ist und sofern jeweils Fluchtgefahr vorliegt und die Schubhaft verhältnismäßig ist, oder

2. die Voraussetzungen des Art. 28 Abs. 1 und 2 Dublin-Verordnung vorliegen. Eine Fluchtgefahr im Sinne des Abs. 2 Z 1 oder im Sinne des Art. 2 lit. n Dublin-Verordnung liegt vor, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sich der Fremde dem Verfahren oder der Abschiebung entziehen wird oder dass der Fremde die Abschiebung wesentlich erschweren wird.“

Die Anhaltung in Schubhaft ist nach Maßgabe der grundrechtlichen Garantien des Art. 2 Abs. 1 Z 7 PersFrBVG und des Art. 5 Abs. 1 lit. f EMRK nur dann zulässig, wenn der Anordnung der Schubhaft ein konkreter Sicherungsbedarf zugrunde liegt und die Schubhaft unter Berücksichtigung der Umstände des jeweiligen Einzelfalls verhältnismäßig ist. Dabei sind das öffentliche Interesse an der Sicherung der Aufenthaltsbeendigung und das Interesse des Betroffenen an der Schonung seiner persönlichen Freiheit abzuwägen. Kann der Sicherungszweck auf eine andere, die Rechte des Betroffenen schonendere Weise, wie etwa durch die Anordnung eines gelinderen Mittels nach § 77 FPG, erreicht werden (§ 76 Abs. 1 FPG), ist die Anordnung der Schubhaft nicht zulässig. Ein Sicherungsbedarf ist in der Regel dann gegeben, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sich der Fremde dem Verfahren oder der Abschiebung entziehen oder diese zumindest wesentlich erschweren werde (§ 76 Abs. 3 FPG). Es ist allerdings nicht erforderlich, dass ein Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme bereits eingeleitet worden ist. Abgesehen von der damit angesprochenen Integration des Fremden in Österreich ist bei der Prüfung des Sicherungsbedarfes auch sein bisheriges Verhalten in Betracht zu ziehen, wobei frühere Delinquenz das Gewicht des öffentlichen Interesses an einer baldigen Durchsetzung einer Abschiebung maßgeblich vergrößern kann. Die Verhängung der Schubhaft darf stets nur ultima ratio sein.

Soll ein Fremder länger als vier Monate durchgehend in Schubhaft angehalten werden, so ist gemäß § 22a Abs. 4 BFA-VG die Verhältnismäßigkeit der Anhaltung nach dem Tag, an dem das vierte Monat überschritten wurde, und danach alle vier Wochen vom Bundesverwaltungsgericht zu überprüfen. Das Bundesamt hat die Verwaltungsakte so rechtzeitig vorzulegen, dass dem Bundesverwaltungsgericht eine Woche zur Entscheidung vor den gegenständlichen Terminen bleibt. Mit Vorlage der Verwaltungsakte gilt die Beschwerde als für den in Schubhaft befindlichen Fremden eingebracht. Das Bundesamt hat darzulegen, warum die Aufrechterhaltung der Schubhaft notwendig und verhältnismäßig ist. Das Bundesverwaltungsgericht hat jedenfalls festzustellen, ob zum Zeitpunkt seiner Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen und ob die Aufrechterhaltung der Schubhaft verhältnismäßig ist. Diese Überprüfung hat zu entfallen, soweit eine Beschwerde gemäß Abs. 1 bereits eingebracht wurde.

3.2. Auf Grund des festgestellten Sachverhaltes erweist sich die Fortsetzung der seit XXXX andauernden Schubhaft wegen Vorliegens von Fluchtgefahr weiterhin als erforderlich und die Anhaltung in Schubhaft wegen Überwiegens des öffentlichen Interesses an der Sicherung der Abschiebung in den Herkunftsstaat im Vergleich zum Recht des betroffenen Fremden auf persönliche Freiheit auch als verhältnismäßig.

Zunächst ist festzuhalten, dass den vom BVwG im Erkenntnis GZ: G303 2234758-2/7Z vom 21.10.2020 dargelegten Erwägungen zum Vorliegen eines konkreten Sicherungsbedarfs und zur Verhältnismäßigkeit der Schubhaft auch zum Zeitpunkt dieser Entscheidung weiterhin unverändert Geltung zukommt.

Die Behörde hat im Sinne der angewendeten gesetzlichen Bestimmungen zu Recht die Schubhaft wegen Fluchtgefahr angeordnet, weil aus den Angaben des OM (er will nicht zurück in seinen Heimatstaat) mit Sicherheit geschlossen werden kann, dass er seine Abschiebung mit allen Mitteln zu verhindern oder jedenfalls zu behindern beabsichtigt. Zudem hat er bereits mehrmals durch sein Verhalten gezeigt, dass er nicht kooperativ ist. Die Behörde hat im Hinblick auf sein bisheriges Verhalten und seine unzureichende Verankerung im Bundesgebiet zu Recht eine erhebliche Fluchtgefahr und akuten Sicherungsbedarf angenommen. Ferner wurde OM bis dato 3 Mal straffällig, verbrachte nahezu die gesamte Meldezeit in Polizeigewahrsam oder Strafhaft, war dazwischen unsteten Aufenthaltes, entzog sich dem Verfügungsbereich der Behörde, meldete dieser seinen jeweils aktuellen Aufenthalt nicht, hat keinerlei soziale, berufliche oder sonstige Anbindungen im Bundesgebiet, nahm von dem im Rahmen der Anordnung eines gelinderen Mittels bestehenden Meldegebot Abstand, finanzierte seinen Lebensunterhalt durch die unerlaubte Ausübung von Beschäftigungen und wirkte an der Beschaffung eines Ersatzreisedokumentes nicht mit. Ferner erzwang er in der Vergangenheit mehrfach die Entlassung aus der Schubhaft, in dem er in Hungerstreik trat. Dies, wie auch die Zeiten der Strafhaft machten die Erlangung eines HRZ immer wieder unmöglich, weil diese Verfahren derart von neuem eingeleitet werden mussten. Des Weiteren leugnete OM in der mündlichen Verhandlung vom 09.09.2020 teils in den vorigen Einvernahmen zu seiner Person und seinen Verhältnissen getätigte Angaben, trotz dahingehend eindeutigen Akteninhalts.

OM hat im bisherigen Verfahren keine berücksichtigungswürdigen Umstände dargetan, wonach die Schonung seiner Freiheit das öffentliche Interesse an der Sicherung der Aufenthaltsbeendigung überwiegen würde, die Schubhaft ist unter Berücksichtigung sämtlicher Umstände auch verhältnismäßig.

Es besteht nicht nur ein grundsätzliches öffentliches Interesse am effizienten Vollzug des Fremdenrechts, es besteht auch ein erhebliches öffentliches Interesse, Fremde nach abgeschlossenem negativen Asylverfahren, die sich ohne Rechtsgrundlage in Österreich aufhalten, außer Landes zu bringen.

In diesem Sinne hat die Behörde sichergestellt, dass das Abschiebeverfahren zeitnah und zweckmäßig durchgeführt wird. Das Verfahren zur Ausstellung eines Heimreisezertifikates erfolgte zeitnah, die belangte Behörde ist mit den betroffenen Staaten in laufenden Kontakt und ist nach positiver Identifizierung zeitnah mit einer Abschiebung auf dem Flugweg nach Ende der Corona-Virus-Situation zu rechnen.

Eine auf den vorliegenden Einzelfall bezogene Gesamtabwägung zwischen dem öffentlichen Interesse an der Sicherung der Abschiebung einerseits und der Schonung der persönlichen Freiheit andererseits ergibt somit, dass das erwähnte öffentliche Interesse überwiegt, weil ohne Anordnung der Schubhaft die Durchführung der Abschiebung wahrscheinlich vereitelt oder wesentlich erschwert würde. Dass besondere, in der Person des OM gelegene Umstände vorliegen, die der Schubhaft entgegenstehen würden, ist nicht hervorgekommen.

OM hat weder familiäre, soziale, berufliche, sprachliche noch sonstige Bindungen ins Bundesgebiet geltend gemacht. Angesichts des Gesamtverhaltens des OM kann keinesfalls davon ausgegangen werden, dass dieser an seiner Abschiebung mitwirken wird und muss jedenfalls von einer erheblichen Ausreiseunwilligkeit und der Bereitschaft unterzutauchen ausgegangen werden, wobei er bereits ausdrücklich erklärte, nicht in seinen Heimatstaat zurück zu wollen.

Die Anhaltung in Schubhaft erweist sich somit weiterhin zum Zweck der Sicherung der Abschiebung wegen Fluchtgefahr als notwendig und auch als verhältnismäßig. Die andauernde Schubhaft kann daher fortgesetzt werden, weshalb wie im Spruch angeführt zu entscheiden war.

3.3. Entfall einer mündlichen Verhandlung:

Da der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Angaben des OM vor der belangten Behörde sowie in der mündlichen Verhandlung vor dem BVwG im Verfahren G303 2234758-1geklärt erscheint, konnte gemäß § 21 Abs. 7 BFAVG iVm 24 Abs. 4 VwGVG eine mündliche Verhandlung unterbleiben, zudem sich auch keine Änderungen im festgestellten Sachverhalt ergeben haben.

3.4. Zu Spruchpunkt B.:

Gemäß § 25a Abs. 1 des Verwaltungsgerichtshofgesetzes 1985 (VwGG), BGBl. Nr. 10/1985 idgF, hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision gegen die gegenständliche Entscheidung ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor. Konkrete Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung sind weder in der gegenständlichen Beschwerde vorgebracht worden noch im Verfahren vor dem BVwG hervorgekommen.

Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund der einschlägigen Erkenntnisse des VwGH vom 19.02.2015, Zl. Ro 2013/21/0075, vom 23.04.2015, Zl. Ro 2014/21/0077, und vom 19.05.2015, Zl. Ro 2014/21/0071, sowie auch der die Schubhaft betreffenden Erkenntnisse des VfGH vom 12.03.2015, G 151/2014 ua., und E 4/2014.

Schlagworte

Fluchtgefahr Interessenabwägung öffentliche Interessen Schubhaft Schubhaftbeschwerde Sicherungsbedarf Verhältnismäßigkeit Voraussetzungen

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:G312.2234758.3.00

Im RIS seit

24.02.2021

Zuletzt aktualisiert am

24.02.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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