Entscheidungsdatum
02.11.2020Norm
BFA-VG §22a Abs4Spruch
G311 2231796-3/5E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Dr. Eva WENDLER, als Einzelrichterin im amtswegig eingeleiteten Verfahren zur Zahl XXXX , über die weitere Anhaltung von XXXX , geb. XXXX alias XXXX , Staatsangehörigkeit Afghanistan, vertreten durch Rechtsanwältin Mag. Sarah KUMAR, in Schubhaft zu Recht:
A)
Gemäß § 22a Abs. 4 BFA-VG wird festgestellt, dass zum Zeitpunkt der Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen nicht vorliegen und die Aufrechterhaltung der Schubhaft nicht verhältnismäßig ist.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang und Sachverhalt:
Der betroffende Fremde (BF), ein afghanischer Staatsangehöriger, stellte am 25.11.2014 einen Antrag auf internationalen Schutz. Er ist im Herkunftsstaat mit einer afghanischen Staatsangehörigen verheiratet.
Mit dem Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA) 06.07.2016 wurde der Antrag des BF auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) und gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan (Spruchpunkt II.) abgewiesen. Dem BF wurde gemäß § 57 AsylG ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen ihn eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen und weiters gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung des BF gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt III.). Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG wurde als Frist für seine freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgelegt (Spruchpunkt IV.).
Mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 12.02.2020, Zahl W163 2130555-1, wurde die dagegen erhobene Beschwerde als unbegründet abgewiesen. Das Erkenntnis wurde dem BF am 12.02.2020 zugestellt. Die dagegen erhobene Revision wurde mit Beschluss des Verwaltungsgerichthofes vom 01.07.2020, Ra 2020/20/0211, zurückgewiesen.
Der BF verfügt über kein Personal- oder Reisedokument.
Das BFA leitete am 27.02.2020 ein Verfahren zur Ausstellung eines Heimreiszertifikates ein.
Der BF war beginnend ab 03.12.2014 mit seinem Hauptwohnsitz im Bundesgebiet gemeldet, die Abmeldung erfolgte am 12.03.2020. Er hat sodann bei einer Freundin Unterkunft genommen und sich dort nicht angemeldet.
Mit Mandatsbescheid vom XXXX .06.2020, Zl. 1046358907-200454403, ordnete das BFA gemäß § 76 Abs. 2 Z 2 iVm § 57 Abs. 1 AVG die Schubhaft zum Zwecke der Sicherung des Verfahrens und der Sicherung der Abschiebung an.
Seit 03.06.2020 liegt wieder eine Wohnsitzmeldung des BF vor, nämlich von 03.06.2020 bis 19.06.2020 im Polizeianhaltezentrum XXXX , und ab 19.06.2020 im Anhaltezentrum XXXX . Der BF befindet sich seit XXXX .06.2020 in Schubhaft.
Gegen den Bescheid vom XXXX .06.2020 und die darauf gestützte Anhaltung wurde Beschwerde erhoben. Mit mündlich verkündetem Erkenntnis vom 15.06.2020 zur Zahl G306 2231796-3 wurde die Beschwerde als unbegründet abgewiesen und festgestellt, dass zum Zeitpunkt der Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen.
Am 28.09.2020 brachte das BFA den Akt zur Überprüfung der Anhaltung des BF in Schubhaft in Vorlage. Mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 05.10.2020, Zahl G305 2231796-2, wurde festgestellt, dass zum Zeitpunkt der Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen und die Aufrechterhaltung der Schubhaft verhältnismäßig ist. Die Zustellung an die Verfahrensparteien erfolgte am 05.10.2010.
Mit Aktenvorlage vom 23.10.2020 legte das BFA neuerlich die Überprüfung der gemäß § 22a Abs. 4 BFA-VG vor.
Der BF hat im Bundesgebiet keine nahen Angehörigen bzw. keine Familienangehörigen. Er hat eine im Bundesgebiet lebende Freundin, bei der er seinen Angaben nach auch Unterkunft genommen hat, eine diesbezügliche Meldung liegt nicht vor. Es wird daher festgestellt, dass er über keine gesicherte Unterkunft verfügt. Laut Auszug aus der Anhaltedatei-Vollzugsverwaltung vom 23.10.2020 erhält der BF regelmäßig Besuch in der Schubhaft.
Der BF verfügt über keine finanziellen Mittel. Er ist in Österreich strafgerichtlich unbescholten.
Das Bundesverwaltungsgericht ist in seinem Erkenntnis vom 05.10.2020, G305 2231796-2, davon ausgegangen, dass keine substantiellen gesundheitlichen Probleme vorliegen. Es habe sich keine Anhaltspunkte ergeben, dass bezüglich der Haftfähigkeit des BF eine Änderung eingetreten ist. Laut Auszug aus der Anhaltedatei-Vollzugsverwaltung vom 23.10.2020 verweigerte der BF die vorgesehenen ärztlichen Kontrollen am 10.10.2020 und am 12.09.2020.
Der BF wurde am 19.06.2020 durch die afghanische Botschaft identifiziert. In der Aktenvorlage vom 23.10.2020 wurde angegeben, dass die Ausstellung eines Ersatzreisedokumentes lediglich von der Durchführbarkeit der nächsten Charter-Abschiebung abhänge und der BF für den nächstmöglichen Charter-Abschiebetransport vorgesehen, der nach derzeitigem Stand für November 2020 geplant ist.
Dem BF wurde mit Schreiben vom 27.10.2020 die Möglichkeit geboten, bis 29.10.2020 um 12.00 Uhr bei Gericht einlangend, zur Aktenvorlage des BFA Stellung zu nehmen.
Der BF nahm mit Schriftsatz vom 29.10.2020 durch seine rechtsfreundliche Vertretung Stellung. Darin wurde auf eine handschriftliche Stellungnahme des BF verwiesen, worin er anführte, dass er seine bisherigen Aussagen bereue und wisse, dass er nicht in Österreich bleiben kann. Er ersuche bei seiner namentlich mit Adresse genannten Freundin bis zur nächsten Abschiebemöglichkeit nach Afghanistan Unterkunft nehmen zu können. Die Rechtsvertreter führte aus, dass das BFA seit der Anhörung des BF bei der afghanischen Botschaft am 19.06.2020 keine weiteren Schritte zur Außerlandesbringung unternommen habe. Die Reisebeschränkungen würden seit Monaten dauern und sei ein Ende nicht absehbar. Auch im Hinblick auf die derzeit weltweit verschärften Maßnahmen sei eine Neubeurteilung der Verhältnismäßigkeit vorzunehmen. Es erweise sich die in der Aktenvorlage mögliche „zeitnahe“ Abschiebung daher als spekulativ.
Der gegenständlich zuständigen Gerichtsabteilung G311 gelangte am 29.10.2020 die am 29.10.2020 beim Bundesverwaltungsgericht eingelangte Aktenvorlage zur Zahl G314 2235679-2 (BFA-Zahl: XXXX ) zur Kenntnis. Darin wird festgehalten, dass folgende Ermittlungsergebnisse erzielt worden seien:
„22.10.2020:
Übermittlung der Termine gem. Charterplanung für die Möglichkeit der Abschiebung nach Afghanistan. Stornierung des geplanten Abschiebetermins in der 46.KW (Anm.: „Storno durch OMS SE auf Grund Unsicherheiten hs. Durchführung“)
Nächster anberaumter Termin am 15.12.2020 – 17.12.2020 – 51.KW“
Es wird daher festgestellt, dass die nächstmögliche Abschiebetermin nach Afghanistan der 15.12.2020 ist (siehe dazu auch die am 29.10.2020 erfolgte Aktenvorlage zur Zahl G311 2236426-1, BFA-Zahl XXXX ).
2. Beweiswürdigung:
Die getroffenen Feststellungen gründen auf den Feststellungen der gegenständlich ergangenen Vorentscheidungen des Bundesverwaltungsgerichtes zur Zahl W163 2130555-1, G306 2231796-1 und G305 2231796-2, in die elektronischen Akten wurde Einsicht genommen. Eine Kopie der Aktenvorlage zur Zahl G314 2235679-2 ist aktenkundig. In die Aktenvorlage zur Zahl G311 2236426-1 wurde ebenfalls Einsicht genommen.
Das Bundesverwaltungsgericht holte weiters aktuelle, den Fremden betreffende, Auszüge aus dem Fremdenregister, dem Strafregister, der Anhaltedatei-Vollzugsverwaltug und dem Zentralen Melderegister ein.
Die Feststellungen zur Identifizierung des BF durch die afghanische Botschaft gründen auf den Angaben des BFA in der Aktenvorlage vom 23.10.2020.
3. Rechtliche Beurteilung:
Zu Spruchteil A)
§76 FPG lautet:
„ (1) Fremde können festgenommen und angehalten werden (Schubhaft), sofern der Zweck der Schubhaft nicht durch ein gelinderes Mittel (§ 77) erreicht werden kann. Unmündige Minderjährige dürfen nicht in Schubhaft angehalten werden.
(2) Die Schubhaft darf nur angeordnet werden, wenn
1. dies zur Sicherung des Verfahrens über einen Antrag auf internationalen Schutz im Hinblick auf die Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme notwendig ist, sofern der Aufenthalt des Fremden die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gemäß § 67 gefährdet, Fluchtgefahr vorliegt und die Schubhaft verhältnismäßig ist,
2. dies zur Sicherung des Verfahrens zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme nach dem 8. Hauptstück oder der Abschiebung notwendig ist, sofern jeweils Fluchtgefahr vorliegt und die Schubhaft verhältnismäßig ist, oder
3. die Voraussetzungen des Art. 28 Abs. 1 und 2 Dublin-Verordnung vorliegen.
Bedarf es der Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme deshalb nicht, weil bereits eine aufrechte rechtskräftige Rückkehrentscheidung vorliegt (§ 59 Abs. 5), so steht dies der Anwendung der Z 1 nicht entgegen. In den Fällen des § 40 Abs. 5 BFA-VG gilt Z 1 mit der Maßgabe, dass die Anordnung der Schubhaft eine vom Aufenthalt des Fremden ausgehende Gefährdung der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit nicht voraussetzt.
(2a) Im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung (Abs. 2 und Art. 28 Abs. 1 und 2 Dublin-Verordnung) ist auch ein allfälliges strafrechtlich relevantes Fehlverhalten des Fremden in Betracht zu ziehen, insbesondere ob unter Berücksichtigung der Schwere der Straftaten das öffentliche Interesse an einer baldigen Durchsetzung einer Abschiebung den Schutz der persönlichen Freiheit des Fremden überwiegt.
(3) Eine Fluchtgefahr im Sinne des Abs. 2 Z 1 oder 2 oder im Sinne des Art. 2 lit n Dublin-Verordnung liegt vor, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sich der Fremde dem Verfahren oder der Abschiebung entziehen wird oder dass der Fremde die Abschiebung wesentlich erschweren wird. Dabei ist insbesondere zu berücksichtigen,
1. ob der Fremde an dem Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme mitwirkt oder die Rückkehr oder Abschiebung umgeht oder behindert;
1a. ob der Fremde eine Verpflichtung gemäß § 46 Abs. 2 oder 2a verletzt hat, insbesondere, wenn ihm diese Verpflichtung mit Bescheid gemäß § 46 Abs. 2b auferlegt worden ist, er diesem Bescheid nicht Folge geleistet hat und deshalb gegen ihn Zwangsstrafen (§ 3 Abs. 3 BFA-VG) angeordnet worden sind;
2. ob der Fremde entgegen einem aufrechten Einreiseverbot, einem aufrechten Aufenthaltsverbot oder während einer aufrechten Anordnung zur Außerlandesbringung neuerlich in das Bundesgebiet eingereist ist;
3. ob eine durchsetzbare aufenthaltsbeendende Maßnahme besteht oder der Fremde sich dem Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme oder über einen Antrag auf internationalen Schutz bereits entzogen hat;
4. ob der faktische Abschiebeschutz bei einem Folgeantrag (§ 2 Abs. 1 Z 23 AsylG 2005) aufgehoben wurde oder dieser dem Fremden nicht zukommt;
5. ob gegen den Fremden zum Zeitpunkt der Stellung eines Antrages auf internationalen Schutz eine durchsetzbare aufenthaltsbeendende Maßnahme bestand, insbesondere, wenn er sich zu diesem Zeitpunkt bereits in Schubhaft befand oder aufgrund § 34 Abs. 3 Z 1 bis 3 BFA-VG angehalten wurde;
6. ob aufgrund des Ergebnisses der Befragung, der Durchsuchung oder der erkennungsdienstlichen Behandlung anzunehmen ist, dass ein anderer Mitgliedstaat nach der Dublin-Verordnung zuständig ist, insbesondere sofern
a. der Fremde bereits mehrere Anträge auf internationalen Schutz in den Mitgliedstaaten gestellt hat oder der Fremde falsche Angaben hierüber gemacht hat,
b. der Fremde versucht hat, in einen dritten Mitgliedstaat weiterzureisen, oder
c. es aufgrund der Ergebnisse der Befragung, der Durchsuchung, der erkennungsdienstlichen Behandlung oder des bisherigen Verhaltens des Fremden wahrscheinlich ist, dass der Fremde die Weiterreise in einen dritten Mitgliedstaat beabsichtigt;
7. ob der Fremde seiner Verpflichtung aus dem gelinderen Mittel nicht nachkommt;
8. ob Auflagen, Mitwirkungspflichten, Gebietsbeschränkungen, Meldeverpflichtungen oder Anordnungen der Unterkunftnahme gemäß §§ 52a, 56, 57 oder 71 FPG, § 38b SPG, § 13 Abs. 2 BFA-VG oder §§ 15a oder 15b AsylG 2005 verletzt wurden, insbesondere bei Vorliegen einer aktuell oder zum Zeitpunkt der Stellung eines Antrags auf internationalen Schutzes durchsetzbaren aufenthaltsbeendenden Maßnahme;
9. der Grad der sozialen Verankerung in Österreich, insbesondere das Bestehen familiärer Beziehungen, das Ausüben einer legalen Erwerbstätigkeit beziehungsweise das Vorhandensein ausreichender Existenzmittel sowie die Existenz eines gesicherten Wohnsitzes.
(4) Die Schubhaft ist schriftlich mit Bescheid anzuordnen; dieser ist gemäß § 57 AVG zu erlassen, es sei denn, der Fremde befände sich bei Einleitung des Verfahrens zu seiner Erlassung aus anderem Grund nicht bloß kurzfristig in Haft. Nicht vollstreckte Schubhaftbescheide gemäß § 57 AVG gelten 14 Tage nach ihrer Erlassung als widerrufen.
(5) Wird eine aufenthaltsbeendende Maßnahme (Z 1 oder 2) durchsetzbar und erscheint die Überwachung der Ausreise des Fremden notwendig, so gilt die zur Sicherung des Verfahrens angeordnete Schubhaft ab diesem Zeitpunkt als zur Sicherung der Abschiebung verhängt.
(6) Stellt ein Fremder während einer Anhaltung in Schubhaft einen Antrag auf internationalen Schutz, so kann diese aufrechterhalten werden, wenn Gründe zur Annahme bestehen, dass der Antrag zur Verzögerung der Vollstreckung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme gestellt wurde. Das Vorliegen der Voraussetzungen ist mit Aktenvermerk festzuhalten; dieser ist dem Fremden zur Kenntnis zu bringen. § 11 Abs. 8 und § 12 Abs. 1 BFA-VG gelten sinngemäß.“
§ 80 FPG lautet:
„ (1) Das Bundesamt ist verpflichtet, darauf hinzuwirken, dass die Schubhaft so kurz wie möglich dauert. Die Schubhaft darf so lange aufrechterhalten werden, bis der Grund für ihre Anordnung weggefallen ist oder ihr Ziel nicht mehr erreicht werden kann.
(2) Die Schubhaftdauer darf, vorbehaltlich des Abs. 5 und der Dublin-Verordnung, grundsätzlich
1. drei Monate nicht überschreiten, wenn die Schubhaft gegen einen mündigen Minderjährigen angeordnet wird;
2. sechs Monate nicht überschreiten, wenn die Schubhaft gegen einen Fremden, der das 18. Lebensjahr vollendet hat, angeordnet wird und kein Fall der Abs. 3 und 4 vorliegt.
(3) Darf ein Fremder deshalb nicht abgeschoben werden, weil über einen Antrag gemäß § 51 noch nicht rechtskräftig entschieden ist, kann die Schubhaft bis zum Ablauf der vierten Woche nach rechtskräftiger Entscheidung, insgesamt jedoch nicht länger als sechs Monate aufrecht erhalten werden.
(4) Kann ein Fremder deshalb nicht abgeschoben werden, weil
1. die Feststellung seiner Identität und der Staatsangehörigkeit, insbesondere zum Zweck der Erlangung eines Ersatzreisedokumentes, nicht möglich ist,
2. eine für die Ein- oder Durchreise erforderliche Bewilligung eines anderen Staates nicht vorliegt,
3. der Fremde die Abschiebung dadurch vereitelt, dass er sich der Zwangsgewalt (§ 13) widersetzt, oder
4. die Abschiebung dadurch, dass der Fremde sich bereits einmal dem Verfahren entzogen oder ein Abschiebungshindernis auf sonstige Weise zu vertreten hat, gefährdet erscheint,
kann die Schubhaft wegen desselben Sachverhalts abweichend von Abs. 2 Z 2 und Abs. 3 höchstens 18 Monate aufrechterhalten werden.
(5) Abweichend von Abs. 2 und vorbehaltlich der Dublin-Verordnung darf die Schubhaft, sofern sie gegen einen Asylwerber oder einen Fremden, der einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, angeordnet wurde, bis zum Zeitpunkt des Eintritts der Durchsetzbarkeit der aufenthaltsbeendenden Maßnahme die Dauer von 10 Monaten nicht überschreiten. Wird die Schubhaft über diesen Zeitpunkt hinaus aufrechterhalten oder nach diesem Zeitpunkt neuerlich angeordnet, ist die Dauer der bis dahin vollzogenen Schubhaft auf die Dauer gemäß Abs. 2 oder 4 anzurechnen.
(5a) In den Fällen des § 76 Abs. 2 letzter Satz ist auf die Schubhaftdauer gemäß Abs. 5 auch die Dauer der auf den Festnahmeauftrag gestützten Anhaltung anzurechnen, soweit sie nach Stellung des Antrags auf internationalen Schutz gemäß § 40 Abs. 5 BFA-VG aufrechterhalten wurde. Die Anrechnung gemäß Abs. 5 letzter Satz bleibt davon unberührt.
(6) Das Bundesamt hat von Amts wegen die Verhältnismäßigkeit der Anhaltung in Schubhaft längstens alle vier Wochen zu überprüfen. Ist eine Beschwerde gemäß § 22a Abs. 1 Z 3 BFA-VG anhängig, hat diesfalls die amtswegige Überprüfung zu entfallen.
(7) Das Bundesamt hat einen Fremden, der ausschließlich aus den Gründen des Abs. 3 oder 4 in Schubhaft anzuhalten ist, hievon unverzüglich schriftlich in Kenntnis zu setzen.
§ 22a Abs. 4 BFA-VG lautet:
„Soll ein Fremder länger als vier Monate durchgehend in Schubhaft angehalten werden, so ist die Verhältnismäßigkeit der Anhaltung nach dem Tag, an dem das vierte Monat überschritten wurde, und danach alle vier Wochen vom Bundesverwaltungsgericht zu überprüfen. Das Bundesamt hat die Verwaltungsakten so rechtzeitig vorzulegen, dass dem Bundesverwaltungsgericht eine Woche zur Entscheidung vor den gegenständlichen Terminen bleibt. Mit Vorlage der Verwaltungsakten gilt die Beschwerde als für den in Schubhaft befindlichen Fremden eingebracht. Das Bundesamt hat darzulegen, warum die Aufrechterhaltung der Schubhaft notwendig und verhältnismäßig ist. Das Bundesverwaltungsgericht hat jedenfalls festzustellen, ob zum Zeitpunkt seiner Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen und ob die Aufrechterhaltung der Schubhaft verhältnismäßig ist. Diese Überprüfung hat zu entfallen, soweit eine Beschwerde gemäß Abs. 1 bereits eingebracht wurde.“
Der BF hält sich seit der Erlassung der Rückkehrentscheidung mit Rechtskraft am 12.02.2020 unrechtmäßig im Bundesgebiet auf. Er ist mit der Abmeldung seines Wohnsitzes am 12.03.2002 untergetaucht, er verfügt über keine finanziellen Mittel und keine gesicherte Unterkunft, er hat eine im Bundesgebiet lebende Freundin und erhält Besuch während der Anhaltung in Schubhaft.
Es liegt somit jedenfalls Fluchtgefahr gemäß § 76 Abs. 3 Z 1 und 3 FPG vor. Auch vom Vorliegen einer Fluchtgefahr gemäß § 76 Abs. 3 Z 9 FPG war auszugehen, selbst wenn man dem Beschwerdevorbringen folgt, dass der BF im Bundesgebiet eine Freundin hat, zumal die sonstigen Elemente einer sozialen Verankerung, wie etwa ausreichend finanzielle Mittel fehlen und der BF zuletzt unangemeldet bei seiner Freundin Unterkunft genommen hat.
Die in § 80 Abs. 2 Z 2 FPG grundsätzlich vorgesehene Höchstdauer der Anhaltung in Schubhaft im Ausmaß von sechs Monaten ist im Entscheidungszeitpunkt noch nicht überschritten. Bedingt durch die Pandemie COVID-19 kommt es zu Verzögerungen bzw Absagen bei der Durchführung von Abschiebungen (siehe Aktenvorlage zu G314 2235679-2).
Der Fremde befindet sich im Entscheidungszeitpunkt seit XXXX .06.2020, somit seit knapp fünf Monaten, in Schubhaft. Die nächste Charter-Abschiebung ist für 15.12.2020 geplant. Gemäß § 80 Abs. 4 Z 2 FPG kann die Schubhaft höchstens 18 Monate aufrechterhalten werden, wenn ein Fremder deshalb nicht abgeschoben werden kann, weil eine für die Ein- oder Durchreise erforderliche Bewilligung eines anderen Staates nicht vorliegt.
Der Fremde verfügt über keine Personal- oder Reisedokumente, dennoch liegt eine Zusage zur Ausstellung eines Heimreisezertifikates seitens des Staates Afghanistan vor, dh nach Auffassung des Bundesverwaltungsgerichtes ist vom Vorliegen eines Heimreisezertifikates und damit einer für die Einreise nach Afghanistan erforderlichen Bewilligung auszugehen.
Würde man die gegenteilige Auffassung vertreten, könnte das BFA allein durch die Bestimmung des Zeitpunktes, wann in concreto das Heimreisezertifikat ausgestellt wird, auch das Vorliegen des Tatbestandes des § 80 Abs. 4 Z 2 FPG bestimmen.
Vor dem Hintergrund der obigen Erwägungen liegt ein Fall des § 80 Abs. 4 Z 2 FPG nicht vor, die höchstzulässige Schubhhaftdauer im gegenständlichen Fall beträgt daher sechs Monate beginnend ab XXXX .06.2020, innerhalb dieser ist eine Abschiebung jedenfalls nicht zu bewerkstelligen.
Die Durchführung einer mündlichen Verhandlung konnte entfallen, da der Sachverhalt aufgrund der Vorentscheidungen des Bundesverwaltungsgerichtes, den Angaben des BFA in der gegenständlichen Aktenvorlage sowie in den Aktenvorlage zu den Zahl G314 2235679-2 und G311 2236426-1 geklärt ist.
Zu Spruchteil B): Zulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die ordentliche Revision ist zulässig, da eine Rechtsfrage im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG zu beurteilen war, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Soweit erkennbar, liegt keine Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zur Frage vor, ob bei Vorliegen einer unbefristeten Zusage zur Ausstellung eines Heimreisezertifikates seitens eines Staates der Tatbestand des § 80 Abs. 4 Z 2 FPG erfüllt ist oder nicht.
Schlagworte
Fluchtgefahr Interessenabwägung öffentliche Interessen Schubhaft Schubhaftbeschwerde Sicherungsbedarf Verhältnismäßigkeit VoraussetzungenEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2020:G311.2231796.3.00Im RIS seit
24.02.2021Zuletzt aktualisiert am
24.02.2021