TE Bvwg Erkenntnis 2020/11/3 G314 2236473-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 03.11.2020
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Entscheidungsdatum

03.11.2020

Norm

BFA-VG §18 Abs3
B-VG Art133 Abs4
FPG §67 Abs1
FPG §67 Abs2
FPG §70 Abs3

Spruch

G314 2236473-1/2E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag.a Katharina BAUMGARTNER über die Beschwerde des ungarischen Staatsangehörigen XXXX , geboren am XXXX , vertreten durch die ARGE Rechtsberatung (Diakonie Flüchtlingsdienst gemeinnützige GmbH und Volkshilfe Flüchtlings- und MigrantInnenbetreuung GmbH), gegen den Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX .10.2020, Zl. XXXX , A) beschlossen und B) zu Recht erkannt:

A)       Der Antrag, der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen, wird als unzulässig zurückgewiesen.

B)       Der Beschwerde wird Folge gegeben und der angefochtene Bescheid ersatzlos behoben.

C)       Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

Verfahrensgang:

Im September 2019 informierte die Staatsanwaltschaft XXXX das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) darüber, dass gegen den Beschwerdeführer (BF) Anklage wegen vorsätzlich begangener strafbarer Handlungen erhoben worden sei. Das BFA leitete daraufhin ein Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme ein und forderte den BF nach seiner Verurteilung mit dem Urteil des Landesgerichts XXXX vom XXXX , XXXX , mit Schreiben vom 01.09.2020 auf, sich zur beabsichtigten Erlassung eines Aufenthaltsverbots zu äußern. Der BF erstattete eine entsprechende Stellungnahme und legte diverse Urkunden, insbesondere zu seinem Gesundheitszustand, vor.

Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid wurde gegen den BF gemäß § 67 Abs 1 und 2 FPG ein mit vier Jahren befristetes Aufenthaltsverbot erlassen (Spruchpunkt I.), gemäß § 70 Abs 3 FPG kein Durchsetzungsaufschub erteilt (Spruchpunkt II.) und einer Beschwerde gemäß § 18 Abs 3 BFA-VG die aufschiebende Wirkung aberkannt (Spruchpunkt III.). Das Aufenthaltsverbot wurde im Wesentlichen mit der strafgerichtlichen Verurteilung des BF, zwar in Österreich erwerbstätig sei, hier aber keinen Wohnsitz habe und dessen Lebensmittelpunkt in Ungarn liege, begründet.

Dagegen richtet sich die Beschwerde mit den Anträgen auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung und auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung, mit der der BF primär die Behebung des angefochtenen Bescheids, in eventu die Herabsetzung der Dauer des Aufenthaltsverbots, anstrebt. Hilfsweise stellt er auch einen Aufhebungs- und Rückverweisungsantrag. Dies wird zusammengefasst damit begründet, dass das BFA verpflichtet gewesen wäre, ihn vor Erlassung des Aufenthaltsverbots (insbesondere zur Erstellung der Gefährdungsprognose) persönlich zu vernehmen. Weder die bedingte Strafnachsicht noch die Milderungsgründe (Geständnis, bisher ordentlicher Lebenswandel, teilweise Sicherstellung der Beute) seien entsprechend berücksichtigt worden. Das Aufenthaltsverbot greife unverhältnismäßig in das Privatleben des BF ein, der seit vielen Jahren in Österreich einer geregelten Arbeit nachgehe, um seine Familie zu versorgen, und dessen Colitis-ulcerosa-Erkrankung seit Juli 2019 in Österreich erfolgreich behandelt werde. Es sei nicht nachvollziehbar, warum ein mit vier Jahren befristetes Aufenthaltsverbot notwendig und verhältnismäßig sei, zumal die Straftaten des BF nun schon mehr als ein Jahr zurücklägen und er sich seither vorbildlich verhalte.

Das BFA legte dem Bundesverwaltungsgericht (BVwG) die Beschwerde samt den Akten des Verwaltungsverfahrens mit dem Antrag vor, sie als unbegründet abzuweisen.

Feststellungen:

Der BF, ein XXXX ungarischer Staatsangehöriger, lebt mit seiner Ehefrau und seiner siebenjährigen Tochter in XXXX , einer ungarischen Gemeinde, die an der österreichischen Grenze liegt. Er absolvierte in Ungarn nach der Pflichtschule eine Ausbildung zum XXXX . Er spricht Ungarisch und beherrscht die deutsche Sprache kaum. Seit 2011 war er (mit kurzen Unterbrechungen) in Österreich unselbständig erwerbstätig. Zuletzt bezog er von XXXX .2019 bis XXXX .2020 Krankengeld und ging danach ab XXXX .2020 wieder einer Beschäftigung als XXXX nach. Seit XXXX .2020 ist er bei der XXXX mit Sitz in XXXX vollzeitbeschäftigt. Er hat nie die Ausstellung einer Anmeldebescheinigung beantragt.

Der BF leidet an einer entzündlichen Darmerkrankung (Colitis ulcerosa), die seit Juli 2019 im Krankenhaus XXXX medikamentös behandelt wird.

In Österreich wurde der BF einmal strafgerichtlich verurteilt. Mit dem Urteil des Landesgerichts XXXX vom XXXX , XXXX , wurde er wegen des Verbrechens des gewerbsmäßigen Diebstahls durch Einbruch nach §§ 127, 129 Abs 1 Z 1, 130 Abs 1 erster Fall und Abs 2 zweiter Fall StGB – ausgehend von der Strafdrohung des § 130 Abs 2 StGB (Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren) - zu einer zehnmonatigen, für eine dreijährige Probezeit bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe verurteilt. Der Verurteilung liegt zugrunde, dass er von Juni bis August 2019 in elf Angriffen gewerbsmäßig XXXX und andere XXXX im Gesamtwert von EUR 3.500 durch Einbruch in ein Gebäude mit einem nachgemachten Schlüssel stahl, indem er die Türe der Lagerhalle seines damaligen Arbeitgebers mit einem Schlüssel, den er sich angefertigt hatte, öffnete, das Malermaterial an sich nahm, in sein Auto verlud und abtransportierte. Bei der Strafbemessung wurden als mildernd der bisher ordentliche Lebenswandel, das teilweise Geständnis und die teilweise Sicherstellung der Beute gewertet, als erschwerend dagegen die Mehrzahl der Angriffe. Gleichzeitig wurde der BF zur Zahlung von EUR 3.500 an das geschädigte Unternehmen verurteilt. Es handelt sich um seine erste und bislang einzige strafgerichtliche Verurteilung.

Beweiswürdigung:

Der Verfahrensgang und die Feststellungen ergeben sich aus dem Inhalt der vorgelegten Akten des Verwaltungsverfahrens. Entscheidungswesentliche Widersprüche liegen nicht vor.

Die Identität des BF, seine familiären Verhältnisse und die in Ungarn absolvierte Ausbildung werden durch die Angaben im Strafurteil und im polizeilichen Abschlussbericht, insbesondere in der Beschuldigtenvernehmung, belegt. Eine Kopie seines ungarischen Personalausweises wurde vorgelegt. Seine Sprachkenntnisse werden anhand seiner insoweit plausiblen Stellungnahme festgestellt.

Laut dem Zentralen Melderegister (ZMR) weist der BF keine Wohnsitzmeldung im Inland auf. Dies deckt sich mit seinen Angaben zu seinem Wohnsitz in XXXX .

Aus dem Versicherungsdatenauszug ergibt sich, dass der BF von XXXX .09.2011 bis XXXX .12.2013, von XXXX .01.2014 bis XXXX .11.2016, von XXXX .11.2016 bis XXXX .08.2017, von XXXX .08.2017 bis XXXX .08.2017, von XXXX .08.2017 bis XXXX .09.2017, von XXXX .09.2017 bis XXXX .01.2018, von XXXX .01.2018 bis XXXX .02.2018, von XXXX .03.2018 bis XXXX .04.2018, von XXXX .04.2018 bis XXXX .04.2018. von XXXX .04.2018 bis XXXX .10.2018, von XXXX .11.2018 bis XXXX .06.2019, von 1 XXXX .06.2019 bis XXXX .09.2019 und ab XXXX .08.2020 in Österreich unselbständig erwerbstätig war und zwischen XXXX .09.2019 und XXXX .08.2020 Krankengeld bezog. Mit der Beschwerde wurde ein Arbeitsvertrag vorgelegt, aus dem die Beschäftigung für die XXXX seit XXXX .10.2020 hervorgeht. Dies zeigt auch, dass er trotz der Einschränkung aufgrund seiner Colitis-ulcerosa-Erkrankung, deren Behandlung im Krankenhaus XXXX aus den mit der Stellungnahme an das BFA vorgelegten medizinischen Unterlagen hervorgeht, grundsätzlich arbeitsfähig ist.

Es gibt keine Anhaltspunkte dafür, dass dem BF einmal eine Anmeldebescheinigung ausgestellt wurde. Dies wird von ihm selbst auch nicht behauptet. Im Informationsverbundsystem Zentrales Fremdenregister (IZR) ist dementsprechend weder die Erteilung einer Anmeldebescheinigung noch ein entsprechender Antrag gespeichert.

Die Feststellungen zu den vom BF in Österreich begangenen Straftaten, zu seiner Verurteilung, zu den Strafzumessungsgründen und zum Privatbeteiligtenzuspruch basieren auf dem Strafurteil sowie dem Strafantrag und dem polizeilichen Abschlussbericht. Die Rechtskraft der Verurteilung geht auch aus dem Strafregister hervor. Anhaltspunkte für weitere strafgerichtliche Verurteilungen des BF bestehen nicht, zumal sein bisher ordentlicher Lebenswandel als Milderungsgrund berücksichtigt wurde und laut Polizeibericht gegen ihn in Ungarn keine Vormerkungen bestehen.

Rechtliche Beurteilung:

Zu Spruchteil A):

Aufgrund der in § 18 Abs 5 BFA-VG angeordneten amtswegigen Prüfung der Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung durch das BVwG ist der Antrag des BF, der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen, weder notwendig noch zulässig und daher zurückzuweisen.

Zu Spruchteil B):

Der BF, ein EWR-Bürger iSd § 2 Abs 4 Z 8 FPG, ist in Österreich als Arbeitnehmer erwerbstätig. Da er weder seinen Aufenthalt seit zehn Jahren kontinuierlich im Bundesgebiet hatte noch das Daueraufenthaltsrecht erworben hat (was gemäß § 53a Abs 1 NAG grundsätzlich einen fünfjährigen rechtmäßigen und ununterbrochenen Aufenthalt im Bundesgebiet voraussetzt), ist die Erlassung eines Aufenthaltsverbots gegen ihn nach dem ersten bis vierten Satz des § 67 Abs 1 FPG zulässig, wenn auf Grund seines persönlichen Verhaltens die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet wäre. Das persönliche Verhalten muss nach dieser Bestimmung eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstellen, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Strafrechtliche Verurteilungen allein können diese Maßnahme nicht ohne weiteres begründen. Vom Einzelfall losgelöste oder auf Generalprävention verweisende Begründungen sind nicht zulässig.

Bei der Erstellung von Gefährdungsprognosen ist das Gesamtverhalten des Fremden in Betracht zu ziehen und auf Grund konkreter Feststellungen eine Beurteilung dahin vorzunehmen, ob und im Hinblick auf welche Umstände die jeweils anzuwendende Gefährdungsannahme gerechtfertigt ist. Dabei ist nicht auf die bloße Tatsache der Verurteilung bzw. Bestrafung des Fremden, sondern auf die Art und Schwere der zu Grunde liegenden Straftaten und auf das sich daraus ergebende Persönlichkeitsbild abzustellen. Bei der nach § 67 Abs 1 FPG zu erstellenden Gefährdungsprognose geht schon aus dessen Gesetzeswortlaut klar hervor, dass auf das "persönliche Verhalten" des Fremden abzustellen ist und strafrechtliche Verurteilungen allein nicht ohne Weiteres die erforderliche Gefährdungsprognose begründen können (vgl. VwGH 27.04.2020, Ra 2019/21/0367).

§ 67 Abs 1 erster bis vierter Satz FPG ("tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt") enthält einen höheren Gefährdungsmaßstab als § 53 Abs 3 FPG ("schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit"; siehe VwGH 07.05.2014, 2013/22/0233).

§ 67 FPG dient der Umsetzung der Freizügigkeitsrichtlinie (RL 2004/38/EG; vgl § 2 Abs 4 Z 18 FPG), und zwar insbesondere der Umsetzung von deren Art 27 und 28 (VwGH Fr 2016/21/0020), und ist in erster Linie in Fällen schwerer Kriminalität anzuwenden (Filzwieser/Frank/Kloibmüller/Raschhofer, Asyl- und Fremdenrecht § 67 FPG K1).

Obwohl der BF wegen gewerbsmäßiger Einbruchsdiebstähle strafgerichtlich verurteilt wurde, erfüllt sein Verhalten den anzuwendenden Gefährdungsmaßstab des § 67 Abs 1 erster bis vierter Satz FPG (gerade noch) nicht, weil er zum ersten Mal straffällig wurde, mit einer zur Gänze bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe im unteren Bereich der Strafdrohung das Auslangen gefunden wurde und er aktuell in geordneten sozialen Verhältnissen lebt. Da er ein regelmäßiges Einkommen aus eigener Erwerbstätigkeit bezieht, besteht keine maßgebliche Wiederholungsgefahr. Zugunsten des BF ist auch zu berücksichtigen, dass er trotz seiner schweren Erkrankung in den letzten Jahren (abgesehen vom knapp einjährigen Krankengeldbezug) fast immer erwerbstätig war. Außerdem hat er aufgrund der langjährigen legalen Beschäftigung im Inland und der hier durchgeführten medizinischen Behandlung ein erhebliches Interesse an künftigen Aufenthalten im Bundesgebiet, obwohl er mit seiner Familie in Ungarn lebt und nur zur Arbeit nach Österreich einpendelt.

Da die Voraussetzungen für die Erlassung eines Aufenthaltsverbots gegen den BF in einer Gesamtabwägung dieser Umstände somit im Ergebnis nicht erfüllt sind, ist Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheids in Stattgebung der Beschwerde ersatzlos zu beheben. Dies bedingt auch die Aufhebung der darauf aufbauenden Spruchpunkte II. und III. des angefochtenen Bescheids (Nichterteilung eines Durchsetzungsaufschubs und Aberkennung der aufschiebenden Wirkung).

Sollte der BF in Zukunft neuerlich wegen entsprechend schwerwiegender Taten bestraft werden, wird die Erlassung eines Aufenthaltsverbots gegen ihn neuerlich zu prüfen sein.

Da bereits auf Grund der Aktenlage feststeht, dass der angefochtene Bescheid aufzuheben ist, entfällt eine mündliche Verhandlung gemäß § 24 Abs 2 Z 1 VwGVG.

Zu Spruchteil C):

Die einzelfallbezogene Erstellung einer Gefährdungsprognose, die Interessenabwägung gemäß § 9 BFA-VG und die Bemessung der Dauer eines Aufenthaltsverbots sind im Allgemeinen nicht revisibel (siehe VwGH 20.10.2016, Ra 2016/21/0284, 01.03.2018, Ra 2018/19/0014 und 10.07.2019, Ra 2019/19/0186). Die Revision ist nicht zuzulassen, weil sich das BVwG im vorliegenden Einzelfall an der zitierten höchstgerichtlichen Rechtsprechung orientieren konnte und keine darüber hinausgehende grundsätzliche Rechtsfrage iSd Art 133 Abs 4 B-VG zu lösen war.

Schlagworte

Aufenthaltsverbot aufschiebende Wirkung - Entfall Behebung der Entscheidung Gefährdungsprognose strafrechtliche Verurteilung Voraussetzungen Wegfall der Gründe

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:G314.2236473.1.00

Im RIS seit

24.02.2021

Zuletzt aktualisiert am

24.02.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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