TE Bvwg Erkenntnis 2020/11/3 G306 2167160-2

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 03.11.2020
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Entscheidungsdatum

03.11.2020

Norm

BFA-VG §18 Abs3
B-VG Art133 Abs4
FPG §67 Abs1
FPG §67 Abs2
FPG §70 Abs3

Spruch

G306 2167160-2/4E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Dietmar MAURER als Einzelrichter über die Beschwerde des XXXX , geb. am XXXX , StA.: Serbien, vertreten durch RA Dr. Gerhard MORY, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, vom 17.01.2020, Zl. XXXX , zu Recht:

A)

Der Beschwerde wird stattgegeben und der angefochtene Bescheid behoben.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1. Mit Schriftsatz des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA) vom 21.06.2016 wurde der Beschwerdeführer (im Folgenden: BF) anlässlich seiner Verurteilung zu einer bedingten 24-monatigen Freiheitsstrafe über ein gegen den BF eingeleitetes Aufenthaltsbeendigungsverfahren in Kenntnis gesetzt. Gleichzeitig wurde der BF zur Abgabe einer Stellungnahme aufgefordert.

Mit Schreiben vom 27.06.2016 gab der BF eine Stellungnahme ab.

2. Mit weiterem Schriftsatz des BFA vom 09.03.2017 wurde der BF erneut zur Abgabe einer Stellungnahme aufgefordert.

Mit Schreiben vom 13.03.2017 gab der BF neuerlich eine Stellungnahme ab.

3. Mit Bescheid des BFA, Zl.: XXXX , vom 18.07.2017, wurde gegen den BF eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Ab. 1 Z 1 FPG erlassen, dessen Abschiebung nach Serbien für zulässig erklärt und gegen den BF gemäß § 53 Abs. 3 FPG eine auf 10 Jahre befristetes Einreiseverbot erlassen.

4. Mit Beschluss des BVwG, Gz.: G306 2167160-1/2E, vom 18.09.2017 wurde im Rahmen einer Beschwerdeerhebung des BF, der unter Punkt I.3. genannte Bescheid des BFA aufgehoben und die Rechtssache zur neuerlichen Entscheidung an die belangte Behörde zurückverwiesen.

5. Mit Urteil des LG XXXX , Zl.: XXXX , vom XXXX .2019, wurde der BF wegen des Verbrechens des schweren gewerbsmäßigen Diebstahls durch Einbruch gemäß §§ 127, 128 Abs. 1 Z 5, 129 Abs. 1 Z 1 und Abs. 2 Z 1, 130 Abs. 2 zweiter Fall, 15 Abs. 1 StGB, zu einer bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von 24 Monaten verurteilt. Zudem wurde eine Unterbringung des BF gemäß §§ 22 Abs. 1 StGB in einer Anstalt für entwöhnungsbedürftige Rechtsbrecher angeordnet, welche bedingt auf 3 Jahre nachgesehen wurde.

6. Mit Schriftsatz des BFA vom 11.10.2019 wurde der BF erneut unter Bekanntgabe des Ermittlungsergebnisses zur Abgabe einer Stellungnahme aufgefordert.

7. Am 13.11.2019 fand eine niederschriftliche Einvernahme des Vaters des BF, XXXX , geb. XXXX , StA.: Serbien, vor dem BFA statt.

8. Der BF gab durch seinen Rechtsvertreter (im Folgenden: RV) wiederholt Stellungnahmen und Ergänzungen im Verfahren vor dem BFA in schriftlicher Form ab.

9. Mit oben im Spruch genannten Bescheid des BFA, dem RV des BF zugestellt am 23.01.2020, wurde gegen den BF gemäß § 67 Abs. 1 und 2 FPG ein auf 5 Jahre befristetes Aufenthaltsverbot erlassen (Spruchpunkt I.), gemäß § 70 Abs. 3 FPG dem BF kein Durchsetzungsaufschub erteilt (Spruchpunkt II.) sowie einer Beschwerde gemäß § 18 Abs. 3 BFA-VG die aufschiebende Wirkung aberkannt. (Spruchpunkt III.)

10. Mit per E-Mail am 05.02.2020 beim BFA eingebrachtem Schriftsatz, erhob der BF durch seinen RV Beschwerde gegen den im Spruch genannten Bescheid an das Bundesverwaltungsgericht (im Folgenden: BVwG).

Darin wurde neben der Anberaumung einer mündlichen Verhandlung und Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung, die ersatzlose Behebung des angefochtenen Bescheides, in eventu die Herabsetzung der Befristung des Aufenthaltsverbotes beantragt.

11. Die gegenständliche Beschwerde und die Bezug habenden Verwaltungsakten wurden dem BVwG vom BFA vorgelegt, wo sie am 20.02.2020 einlangten.

12. Mit Teilerkenntnis des BVwG, GZ.: G306 2167160-2/2Z, vom 24.02.2020, wurde der Antrag des BF auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung als unzulässig zurückgewiesen (Spruchpunkt I.) sowie der Beschwerde gegen die Aberkennung der aufschiebenden Wirkung (Spruchpunkt III. des angefochtenen Bescheides) stattgegeben, der besagte Spruchpunkt behoben und der gegenständlichen Beschwerde gemäß § 18 Abs. 5 BFA-VG die aufschiebende Wirkung zuerkannt. (Spruchpunkt II.)

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Der BF führt die im Spruch angeführte Identität (Namen und Geburtsdatum) und ist Staatsangehöriger der Republik Serbien, ledig und kinderlos. Der BF ist der deutschen und serbischen Sprache mächtig.

Der BF hält sich seit 15.01.2009 durchgehend im Bundesgebiet auf und verfügt seither, abgesehen von einem 4-montigen Zeitraum im Jahr 2009 (17.06.2009 bis 15.10.2009), über durchgehende Wohnsitzmeldungen in Österreich.

Der BF ist im Besitz eines unionsrechtlichen Daueraufenthaltsrechtes und wurde ihm am 10.01.2016 eine Daueraufenthaltskarte als Angehöriger eines die unionsrechtliche Freizügigkeit in Anspruch genommenen Österreichers ausgestellt.

Der BF wurde in Serbien geboren und hat dort die Schule besucht sowie eine Ausbildung zum Koch begonnen, welche er in Österreich erfolgreich abschloss.

Der BF ist gesund und arbeitsfähig, ging wiederholt Erwerbstätigkeiten in Österreich nach und bezog zeitweise Leistungen aus der staatlichen Arbeitslosenversicherung. Aktuell ist der BF im Krankenhaus der Barmherzigen Brüder als Koch Vollzeit beschäftigt.

Im Bundesgebiet hält sich der Vater des BF auf, mit jenem er im gemeinsamen Haushalt lebt. Der BF pflegt zu seinem Vater eine enge Beziehung.

Im Herkunftsstaat hält sich die Mutter sowie eine Vielzahl an Verwandten des BF auf. Die Mutter des BF bewohnt alleine eine 50 m² Wohnung in Serbien, und könnte der BF im Falle seiner Rückkehr – zumindest vorübergehend – bei seiner Mutter Unterkunft nehmen.

Der BF weist folgende Verurteilungen in Österreich auf:

1.       LG XXXX , Zl. XXXX , vom XXXX .2016, RK XXXX .2016, wegen § 125 StGB, §§ 127, 128 (1) Z 5, 129 (1) Z 1 2., 3. Fall, 130 (1 und 2) StGB, § 15 StGB, § 50 (1) Z 2 WaffG, 134 Abs. 1 StGB: Freiheitsstrafe von 24 Monaten, welche bedingt auf 3 Jahre nachgesehen wurde.

Der BF wurde für schuldig befunden, er habe

I.       Fremde bewegliche Sachen im Zeitraum XXXX .2014 bis XXXX .2015 in insgesamt 32 Angriffen in einem insgesamt EUR 50.000,- übersteigenden Gesamtwert Geschädigten mit dem Vorsatz weggenommen, sich durch deren Zueignung unrechtmäßig zu bereichern, wobei er die Diebstähle großteils durch Einbruch in Gebäude und durch Aufbrechen von Behältnissen sowie Sperrvorrichtungen in der Absicht begangen hat, sich durch die wiederkehrende Begehung von Einbruchsdiebstählen eine fortlaufende Einnahme zu verschaffen;

II.      Ab einem bislang unbekannt Zeitpunkt bis XXXX .2015 unbefugt eine in eine Taschenlampe verbaute, mithin als Gegenstand des täglichen Gebrauchs verkleidete, Elektroimpulswaffe, somit eine verbotene Waffe (§ 17 Abs. 1 Z 1 WaffG) besessen;

III.    An einem bislang unbekannten Zeitpunkt im Oktober 2013 ein von ihm gefundenes fremdes Gut, nämlich einen von L.M.H. verlorenen Fotoapparat im Wert von EUR 80,- sich mit dem Vorsatz zugeeignet, sich dadurch unrechtmäßig zu bereichern, und

IV.      In der Nacht von XXXX . auf XXXX .2015 im Rahmen eines Einbruches zu Punkt I. einen PC einer Verfügungsberechtigten Firma, somit eine fremde Sache, im bislang unbekannt Wert zerstört.

Mildernd wurden dabei der bisherige ordentliche Lebenswandel, das umfassende, reumütige und teilweise zur Wahrheitsfindung betragende Geständnis, das es teilweise beim Versuch geblieben ist, die überwiegende Schadengutmachung durch Sicherstellung sowie die schwierige psychosoziale Situation des BF, erschwerend jedoch das Zusammentreffen eines Verbrechens mit drei Vergehen, die Tatwiederholung sowie das deutliche Überschreiten der Wertgrenzen gewertet.

2.       LG XXXX , Zl. XXXX , vom XXXX .2019, RK XXXX .2019, wegen §§ 127, 128 (1) Z 5, 129 (1) Z 1 und (2) Z 1, 130 (2) 2. Fall StGB, § 15 StGB: Freiheitsstrafe von 24 Monaten und Unterbringung in einer Anstalt für entwöhnungsbedürftige Rechtsbrecher, welche bedingt auf 3 Jahre nachgesehen wurden.

Der BF wurde für schuldig befunden, er habe im Zeitraum XXXX .2017 bis XXXX .2017 sowie zu unbekannten Zeitpunkten in insgesamt 8 Angriffen in Orten in Salzburg gewerbsmäßig (§ 70 Abs. 1 Z 3 StGB) fremde bewegliche Sachen durch Einbruch im Gesamtwert von ca. EUR 8.972,70, sohin in einem EUR 5.000,- übersteigenden Wert, den jeweiligen Verfügungsberechtigten, teils durch Aufbrechen mehrerer Kellerabteile, mit dem Vorsatz weggenommen, sich durch deren Zueignung unrechtmäßig zu bereichern.

Mildernd wurde dabei das Geständnis, der teilweise Versuch, sowie die lange Verfahrensdauer, erschwerend jedoch eine einschlägige Vorstrafe, die Tatbegehung während offener Probezeiten, die mehrfache Qualifikation sowie die Faktenhäufung gewertet.

Es wird festgestellt, dass der BF die besagten Straftaten begangen hat.

Im Zeitraum XXXX .2018 bis XXXX .2018 wurde der in Untersuchungshaft in Österreich angehalten. Darüberhinausgehende Anhaltungen in Justizanstalten weist der BF nicht auf.

Der BF absolvierte von XXXX .2018 bis XXXX .2018 eine stationäre Alkoholtherapie über die XXXX und schloss diese Therapie erfolgreich ab. Seit April 2018 wird der BF im Rahmen der Bewährungshilfe betreut und wird diesem von seiner Betreuerin eine positive Entwicklung attestiert. Zudem besucht der BF die Nachsorgegruppe zur Abstinenzsicherung seit XXXX .2018 bei der XXXX regelmäßig.

Mit von der Staatsanwaltschaft XXXX in Auftrag gegebenem Sachverständigengutachten des XXXX , Facharzt- für Neurologie und Psychiatrie, vom XXXX .2018, wurde attestiert, dass der BF an einer psychischen und Verhaltensstörung durch Alkohol mit episodischem Trinken (F 10.26) leidet, wobei offensichtlich Alkohol symptomatisch zur Stimmungsverbesserung missbraucht wird. Eine biologische Abhängigkeit von Alkohol (substanzgebundene Sucht) liegt nicht vor. Ferner besteht mit hoher Wahrscheinlichkeit ein direkter Zusammenhang mit dem Alkoholkonsum und der Straffälligkeit des BF.

Der Herkunftsstaat Serbien gilt als sicherer Herkunftsstaat.

2. Beweiswürdigung:

2.1. Der oben unter Punkt I. angeführte Verfahrensgang ergibt sich aus dem unzweifelhaften und unbestrittenen Akteninhalt der vorgelegten Verwaltungsakten des BFA und des vorliegenden Gerichtsaktes des Bundesverwaltungsgerichtes.

2.2. Die oben getroffenen Feststellungen beruhen auf den Ergebnissen des vom erkennenden Gericht auf Grund der vorliegenden Akten durchgeführten Ermittlungsverfahrens und werden in freier Beweiswürdigung der gegenständlichen Entscheidung als maßgeblicher Sachverhalt zugrunde gelegt:

Die strafgerichtlichen Verurteilungen des BF samt den näheren Ausführungen sowie die Feststellung, dass der BF die besagten Straftaten begangen hat, beruhen auf einer Einsichtnahme in das Strafregister der Republik Österreich sowie auf jeweiligen Ausfertigungen der oben zitierten Strafurteile.

Die Erwerbstätigkeiten, der zeitweise Bezug von Leistungen aus der staatlichen Arbeitslosenversicherung sowie die aktuelle Anstellung des BF lassen sich einem Sozialversicherungsauszug entnehmen. Darüber hinaus hat der BF eine Bestätigung seines aktuellen Arbeitsgebers in Vorlage gebracht, womit die Beschäftigung des BF bestätigt wird (siehe OZ 3). Ferner stützt sich die Arbeitsfähigkeit des BF auf dessen Gesundheitszustand sowie die Tatsache seiner aktuellen Erwerbstätigkeit. Zudem wurde seitens des BF bis dato nichts gegenteiliges behauptet.

Der Besitz des oben genannten Aufenthaltstitels sowie die Ausstellung der Bescheinigung des unionsrechtlichen Daueraufenthaltsrechtes beruht auf einer Einsichtnahme in das Zentrale Fremdenregister.

Die Anhaltung des BF in Untersuchungshaft, die Nichtfeststellbarkeit sonstiger Anhaltungen in Justizanstalten sowie der gemeinsame Haushalt mit dem Vater ließ sich durch eine Einsichtnahme in das Zentrale Melderegister ermitteln und ergibt sich die Einstufung Serbiens als sicherer Herkunftsstaat aus § 1 Z 6 HStV.

Die positive Absolvierung einer stationären Alkoholtherapie, die Betreuung durch die Bewährungshilfe, die positive Entwicklung des BF sowie die Teilnahme an einer Suchtnachsorgetherapie wurde vom BF durch die Vorlage diverser Bestätigungen seiner Betreuerin, der Bewährungshilfe sowie der XXXX belegt (siehe AS 407, 665, 667, 669).

Die oben getroffenen Feststellungen zum Sachverständigengutachten samt Einschätzung des Sachverständigen beruhen auf einer Ausfertigung des oben zitierten Sachverständigengutachtens (siehe AS 463ff).

Das Aufwachsen, der Schuldbesuch und der Beginn einer Kochlehre in Serbien sowie der Abschluss der begonnenen Lehre in Österreich beruhen auf den im angefochtenen Bescheid wiedergegeben Angaben des Vaters des BF vor dem BFA, welchen bis dato durch den BF nicht entgegengetreten wurde.

Die sonstigen getroffenen Feststellungen beruhen auf den Feststellungen im angefochtenen Bescheid, jenen in der gegenständlichen Beschwerde nicht entgegengetreten wurde.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu Spruchteil A):

3.1. Zur Stattgabe der Beschwerde:

3.1.1.  Gemäß § 2 Abs. 4 Z 1 FPG gilt als Fremder, jener der die österreichische Staatsbürgerschaft nicht besitzt und gemäß Abs. 4 Z 10 leg cit Drittstaatsangehöriger, jener der nicht EWR-Bürger oder Schweizer Bürger ist.

Gemäß § 2 Abs. 4 Z 11 gilt als begünstigter Drittstaatsangehöriger, der Ehegatte, eingetragene Partner, eigene Verwandte und Verwandte des Ehegatten oder eingetragenen Partners eines EWR-Bürgers oder Schweizer Bürgers oder Österreichers, die ihr unionsrechtliches oder das ihnen auf Grund des Freizügigkeitsabkommens EG-Schweiz zukommende Aufenthaltsrecht in Anspruch genommen haben, in gerader absteigender Linie bis zur Vollendung des 21. Lebensjahres, darüber hinaus, sofern ihnen Unterhalt tatsächlich gewährt wird, sowie eigene Verwandte und Verwandte des Ehegatten oder eingetragenen Partners in gerader aufsteigender Linie, sofern ihnen Unterhalt tatsächlich gewährt wird, insofern dieser Drittstaatsangehörige den unionsrechtlich aufenthaltsberechtigten EWR-Bürger oder Schweizer Bürger, von dem sich seine unionsrechtliche Begünstigung herleitet, begleitet oder ihm nachzieht.

Der mit „Schweizer Bürger und deren Angehörige sowie Angehörige von Österreichern“ betitelte § 57 NAG lautet:

„§ 57. Die Bestimmungen der §§ 51 bis 56 finden auch auf Schweizer Bürger, die das ihnen auf Grund des Freizügigkeitsabkommens EG-Schweiz zukommende Aufenthaltsrecht von mehr als drei Monaten in Anspruch genommen haben, und deren Angehörige Anwendung. Für Angehörige von Österreichern gelten die Bestimmungen der §§ 52 bis 56 sinngemäß, sofern der Österreicher sein unionsrechtliches oder das ihm auf Grund des Freizügigkeitsabkommens EG-Schweiz zukommende Aufenthaltsrecht von mehr als drei Monaten in einem anderen EWR-Mitgliedstaat oder in der Schweiz in Anspruch genommen hat und im Anschluss an diesen Aufenthalt nach Österreich nicht bloß vorübergehend zurückkehrt.“

Der BF als Enkel eines die Unionsfreizügigkeit in Anspruch genommen habenden österreichischen Staatsbürgers, dem durch die NAG Behörde ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht aufgrund besagter Verwandtschaft in Form einer Aufenthaltskarte bescheinigt wurde, ist begünstigter Drittstaatsangehöriger iSd. § 2 Abs. 4 Z 11 FPG iVm. § 57 NAG.

3.1.2. Der mit „Aufenthaltsverbot“ betitelte § 67 FPG lautet:

„§ 67. (1) Die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegen unionsrechtlich aufenthaltsberechtigte EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige ist zulässig, wenn auf Grund ihres persönlichen Verhaltens die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet ist. Das persönliche Verhalten muss eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstellen, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Strafrechtliche Verurteilungen allein können nicht ohne weiteres diese Maßnahmen begründen. Vom Einzelfall losgelöste oder auf Generalprävention verweisende Begründungen sind nicht zulässig. Die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegen EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige, die ihren Aufenthalt seit zehn Jahren im Bundesgebiet hatten, ist dann zulässig, wenn aufgrund des persönlichen Verhaltens des Fremden davon ausgegangen werden kann, dass die öffentliche Sicherheit der Republik Österreich durch seinen Verbleib im Bundesgebiet nachhaltig und maßgeblich gefährdet würde. Dasselbe gilt für Minderjährige, es sei denn, das Aufenthaltsverbot wäre zum Wohl des Kindes notwendig, wie es im Übereinkommen der Vereinten Nationen vom 20. November 1989 über die Rechte des Kindes vorgesehen ist.

(2) Ein Aufenthaltsverbot kann, vorbehaltlich des Abs. 3, für die Dauer von höchstens zehn Jahren erlassen werden.

(3) Ein Aufenthaltsverbot kann unbefristet erlassen werden, wenn insbesondere

1.       der EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige von einem Gericht zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von mehr als fünf Jahren rechtskräftig verurteilt worden ist;

2.       auf Grund bestimmter Tatsachen die Annahme gerechtfertigt ist, dass der EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige einer kriminellen Organisation (§ 278a StGB) oder einer terroristischen Vereinigung (§ 278b StGB) angehört oder angehört hat, terroristische Straftaten begeht oder begangen hat (§ 278c StGB), Terrorismus finanziert oder finanziert hat (§ 278d StGB) oder eine Person für terroristische Zwecke ausbildet oder sich ausbilden lässt (§ 278e StGB);

3.       auf Grund bestimmter Tatsachen die Annahme gerechtfertigt ist, dass der EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige durch sein Verhalten, insbesondere durch die öffentliche Beteiligung an Gewalttätigkeiten, durch den öffentlichen Aufruf zur Gewalt oder durch hetzerische Aufforderungen oder Aufreizungen, die nationale Sicherheit gefährdet oder

4.       der EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige öffentlich, in einer Versammlung oder durch Verbreiten von Schriften ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen, ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit oder terroristische Taten von vergleichbarem Gewicht billigt oder dafür wirbt.

(4) Bei der Festsetzung der Gültigkeitsdauer des Aufenthaltsverbotes ist auf die für seine Erlassung maßgeblichen Umstände Bedacht zu nehmen. Die Frist des Aufenthaltsverbotes beginnt mit Ablauf des Tages der Ausreise.

(Anm.: Abs. 5 aufgehoben durch BGBl. I Nr. 87/2012)“

Der mit „Schutz des Privat- und Familienlebens“ betitelte § 9 BFA-VG lautet:

„§ 9. (1) Wird durch eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG, eine Ausweisung gemäß § 66 FPG oder ein Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist die Erlassung der Entscheidung zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.

(2) Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK sind insbesondere zu berücksichtigen:

1.       die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war,
2.         das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens,
3.         die Schutzwürdigkeit des Privatlebens,
4.         der Grad der Integration,
5.         die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden,
6.         die strafgerichtliche Unbescholtenheit,
7.         Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts,

8.       die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren,

9.       die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.

(3) Über die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist jedenfalls begründet, insbesondere im Hinblick darauf, ob diese gemäß Abs. 1 auf Dauer unzulässig ist, abzusprechen. Die Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist nur dann auf Dauer, wenn die ansonsten drohende Verletzung des Privat- und Familienlebens auf Umständen beruht, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend sind. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG schon allein auf Grund des Privat- und Familienlebens im Hinblick auf österreichische Staatsbürger oder Personen, die über ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht oder ein unbefristetes Niederlassungsrecht (§ 45 oder §§ 51 ff Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG), BGBl. I Nr. 100/2005) verfügen, unzulässig wäre.

(Anm.: Abs. 4 aufgehoben durch Art. 4 Z 5, BGBl. I Nr. 56/2018)

(5) Gegen einen Drittstaatsangehörigen, der vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes bereits fünf Jahre, aber noch nicht acht Jahre ununterbrochen und rechtmäßig im Bundesgebiet niedergelassen war, darf mangels eigener Mittel zu seinem Unterhalt, mangels ausreichenden Krankenversicherungsschutzes, mangels eigener Unterkunft oder wegen der Möglichkeit der finanziellen Belastung einer Gebietskörperschaft eine Rückkehrentscheidung gemäß §§ 52 Abs. 4 iVm 53 FPG nicht erlassen werden. Dies gilt allerdings nur, wenn der Drittstaatsangehörige glaubhaft macht, die Mittel zu seinem Unterhalt und seinen Krankenversicherungsschutz durch Einsatz eigener Kräfte zu sichern oder eine andere eigene Unterkunft beizubringen, und dies nicht aussichtslos scheint.

(6) Gegen einen Drittstaatsangehörigen, der vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes bereits acht Jahre ununterbrochen und rechtmäßig im Bundesgebiet niedergelassen war, darf eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 4 FPG nur mehr erlassen werden, wenn die Voraussetzungen gemäß § 53 Abs. 3 FPG vorliegen. § 73 Strafgesetzbuch (StGB), BGBl. Nr. 60/1974 gilt.“

Der mit „Bescheinigung des Daueraufenthalts von EWR-Bürgern“ betitelte § 53a NAG lautet wie folgt:

„§ 53a. (1) EWR-Bürger, denen das unionsrechtliche Aufenthaltsrecht zukommt (§§ 51 und 52), erwerben unabhängig vom weiteren Vorliegen der Voraussetzungen gemäß §§ 51 oder 52 nach fünf Jahren rechtmäßigem und ununterbrochenem Aufenthalt im Bundesgebiet das Recht auf Daueraufenthalt. Ihnen ist auf Antrag nach Überprüfung der Aufenthaltsdauer unverzüglich eine Bescheinigung ihres Daueraufenthaltes auszustellen.

(2) Die Kontinuität des Aufenthalts im Bundesgebiet wird nicht unterbrochen von
1.         Abwesenheiten von bis zu insgesamt sechs Monaten im Jahr;
2.         Abwesenheiten zur Erfüllung militärischer Pflichten oder
3.         durch eine einmalige Abwesenheit von höchstens zwölf aufeinander folgenden Monaten aus wichtigen Gründen wie Schwangerschaft und Entbindung, schwerer Krankheit, eines Studiums, einer Berufsausbildung oder einer beruflichen Entsendung.

(3) Abweichend von Abs. 1 erwerben EWR-Bürger gemäß § 51 Abs. 1 Z 1 vor Ablauf der Fünfjahresfrist das Recht auf Daueraufenthalt, wenn sie

1.       zum Zeitpunkt des Ausscheidens aus dem Erwerbsleben das Regelpensionsalter erreicht haben, oder Arbeitnehmer sind, die ihre Erwerbstätigkeit im Rahmen einer Vorruhestandsregelung beenden, sofern sie diese Erwerbstätigkeit im Bundesgebiet mindestens während der letzten zwölf Monate ausgeübt und sich seit mindestens drei Jahren ununterbrochen im Bundesgebiet aufgehalten haben;

2.       sich seit mindestens zwei Jahren ununterbrochen im Bundesgebiet aufgehalten haben und ihre Erwerbstätigkeit infolge einer dauernden Arbeitsunfähigkeit aufgeben, wobei die Voraussetzung der Aufenthaltsdauer entfällt, wenn die Arbeitsunfähigkeit durch einen Arbeitsunfall oder eine Berufskrankheit eingetreten ist, auf Grund derer ein Anspruch auf Pension besteht, die ganz oder teilweise zu Lasten eines österreichischen Pensionsversicherungsträgers geht, oder

3.       drei Jahre ununterbrochen im Bundesgebiet erwerbstätig und aufhältig waren und anschließend in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union erwerbstätig sind, ihren Wohnsitz im Bundesgebiet beibehalten und in der Regel mindestens einmal in der Woche dorthin zurückkehren;

Für den Erwerb des Rechts nach den Z 1 und 2 gelten die Zeiten der Erwerbstätigkeit in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union als Zeiten der Erwerbstätigkeit im Bundesgebiet. Zeiten gemäß § 51 Abs. 2 sind bei der Berechnung der Fristen zu berücksichtigen. Soweit der Ehegatte oder eingetragene Partner des EWR-Bürgers die österreichische Staatsbürgerschaft besitzt oder diese nach Eheschließung oder Begründung der eingetragenen Partnerschaft mit dem EWR-Bürger verloren hat, entfallen die Voraussetzungen der Aufenthaltsdauer und der Dauer der Erwerbstätigkeit in Z 1 und 2.

(4) EWR-Bürger, die Angehörige von unionsrechtlich aufenthaltsberechtigten EWR-Bürgern gemäß § 51 Abs. 1 Z 1 sind, erwerben ebenfalls das Daueraufenthaltsrecht, wenn der zusammenführende EWR-Bürger das Daueraufenthaltsrecht gemäß Abs. 3 vorzeitig erworben hat oder vor seinem Tod erworben hatte, sofern sie bereits bei Entstehung seines Daueraufenthaltsrechtes bei dem EWR-Bürger ihren ständigen Aufenthalt hatten.

(5) Ist der EWR-Bürger gemäß § 51 Abs. 1 Z 1 im Laufe seines Erwerbslebens verstorben, bevor er gemäß Abs. 3 das Recht auf Daueraufenthalt erworben hat, so erwerben seine Angehörigen, die selbst EWR-Bürger sind und die zum Zeitpunkt seines Todes bei ihm ihren ständigen Aufenthalt hatten, das Daueraufenthaltsrecht, wenn

1.       sich der EWR-Bürger zum Zeitpunkt seines Todes seit mindestens zwei Jahren im Bundesgebiet ununterbrochen aufgehalten hat;

2.       der EWR-Bürger infolge eines Arbeitsunfalls oder einer Berufskrankheit verstorben ist, oder

3.       der überlebende Ehegatte oder eingetragene Partner die österreichische Staatsangehörigkeit nach Eheschließung oder Begründung der eingetragenen Partnerschaft mit dem EWR-Bürger verloren hat.“

3.1.3. Der Beschwerde gegen den Bescheid des BFA war aus folgenden Gründen stattzugeben:

3.1.3.1. Der BF nahm im Jänner 2009 im Bundesgebiet Aufenthalt und hält sich seither, sohin seit 11 Jahren und 10 Monaten, durchgehend in Österreich auf. Dem BF wurde zudem ein unionsrechtliches Daueraufenthaltsrecht durch die zuständige NAG-Behörde durch Ausstellung einer Aufenthaltskarte am 10.01.2016 bescheinigt.

Da dem BF ein Daueraufenthaltsrecht zukommt und dieser sich – vom Entscheidungszeitpunkt der belangten Behörde an zurückgerechnet (vgl. EuGH 16.01.2014, C-400/12) – seit mehr als 10 Jahren in Österreich aufgehalten hat und sich nach wie vor aufhält ist im Lichte der EuGH Judikatur zu prüfen, ob der BF die Voraussetzungen des § 67 Abs. 1 Satz 5 FPG, konkret einen durchgehenden und rechtmäßigen Aufenthalt von länger als 10 Jahren, erfüllt.

Bei der Frage nach dem auf den BF anzuwendenden Gefährdungsmaßstab ist das zu Art. 28 Abs. 3 lit. a der Richtlinie 2004/38/EG (Freizügigkeitsrichtlinie) ergangene Urteil des Gerichtshofes der Europäischen Union (EuGH) vom 16. Jänner 2014, Rs C-400/12, zu berücksichtigen, weil § 67 Abs. 1 FPG insgesamt der Umsetzung von Art. 27 und 28 dieser Richtlinie - § 67 Abs. 1 fünfter Satz FPG im Speziellen der Umsetzung ihres Art. 28 Abs. 3 lit. a - dient. Der zum erhöhten Gefährdungsmaßstab nach Art. 28 Abs. 3 lit. a der genannten Richtlinie bzw. dem fünften Satz des § 67 Abs. 1 FPG führende zehnjährige Aufenthalt im Bundesgebiet muss demnach grundsätzlich ununterbrochen sein. Es können einzelne Abwesenheiten des Fremden unter Berücksichtigung von Gesamtdauer, Häufigkeit und der Gründe, die ihn dazu veranlasst haben, Österreich zu verlassen, auf eine Verlagerung seiner persönlichen, familiären oder beruflichen Interessen schließen lassen. Auch der Zeitraum der Verbüßung einer Freiheitsstrafe durch den Betroffenen ist grundsätzlich geeignet, die Kontinuität des Aufenthaltes iSd Art. 28 Abs. 3 lit. a der Freizügigkeitsrichtlinie zu unterbrechen und sich damit auf die Gewährung des dort vorgesehenen verstärkten Schutzes auch in dem Fall auszuwirken, dass sich der Fremde vor dem Freiheitsentzug mehrere Jahre lang (kontinuierlich) im Aufnahmemitgliedstaat aufgehalten hat. Dies ist - bei einer umfassenden Beurteilung - im Rahmen der Prüfung zu berücksichtigen, ob die zuvor mit dem Aufnahmemitgliedstaat geknüpften Integrationsverbindungen abgerissen sind (vgl. insbesondere Rn. 25 sowie 31 bis 36 des zitierten Urteils des EuGH vom 16. Jänner 2004 und - daran anknüpfend - das hg. Erkenntnis vom 19. Februar 2014, Zl. 2013/22/0309).

Was jedoch die Frage betrifft, inwieweit die Diskontinuität des Aufenthalts in den letzten zehn Jahren vor der Ausweisung des Betroffenen diesen daran hindert, in den Genuss des verstärkten Schutzes zu kommen, ist eine umfassende Beurteilung der Situation des Betroffenen jeweils zu dem genauen Zeitpunkt vorzunehmen, zu dem sich die Frage der Ausweisung stellt (vgl. in diesem Sinne Urteil Tsakouridis, Randnr. 32). Das dabei Zeiträume der Verbüßung einer Freiheitsstrafe, da sie grundsätzlich die Kontinuität des Aufenthalts im Sinne von Art. 28 Abs. 3 Buchst. a der Richtlinie 2004/38 unterbrechen können, steht außer Streit. Jedoch muss dies, zusammen mit weiteren Anhaltspunkten, die die Gesamtheit der im Einzelfall relevanten Umstände darstellen, von den für die Anwendung von Art. 28 Abs. 3 dieser Richtlinie zuständigen nationalen Behörden bei der gebotenen umfassenden Beurteilung berücksichtigt werden, die für die Feststellung, ob die zuvor mit dem Aufnahmemitgliedstaat geknüpften Integrationsverbindungen abgerissen sind, und damit für die Feststellung, ob der verstärkte Schutz gemäß dieser Bestimmung gewährt wird, vorzunehmen ist (vgl. in diesem Sinne Urteil Tsakouridis, Rn. 34).

Im Lichte dieser Judikatur ist im gegenständlichen Fall nicht davon auszugehen, dass eine einzig nur 3 ½-monatige Anhaltung in Untersuchungshaft bei letztlich bedingt nachgesehener Freiheitsstrafe zu einer zu diesem Zeitpunkt bereits 9 Jahre andauernden durchgehenden rechtmäßigen Aufenthalt in Österreich eine Diskontinuität des Aufenthaltes des BF im Bundesgebiet bewirkt hat.

Da vom BF, der aufgrund seiner Stellung als begünstigter Drittstaatsangehöriger in den persönlichen Anwendungsbereich von § 67 FPG fällt somit die Voraussetzung eines durchgehenden rechtmäßigen Aufenthaltes im Bundesgebiet seit mehr als 10 Jahren erfüllt ist, kommt für diesen der Prüfungsmaßstab des § 67 Abs. 1 5. Satz FPG für Unionsbürger zu Anwendung.

3.1.3.2. Gegen den BF als grundsätzlich unionsrechtlich aufenthaltsberechtigten EWR-Bürger ist die Erlassung eines Aufenthaltsverbots sohin gemäß § 67 Abs. 1 5. Satz FPG nur zulässig, wenn aufgrund des persönlichen Verhaltens des Fremden davon ausgegangen werden kann, dass die öffentliche Sicherheit der Republik Österreich durch seinen Verbleib im Bundesgebiet nachhaltig und maßgeblich gefährdet würde. Strafrechtliche Verurteilungen allein können nicht ohne weiteres diese Maßnahme begründen. Vom Einzelfall losgelöste oder auf Generalprävention verweisende Begründungen sind nicht zulässig.

„Mit § 67 Abs. 1 fünfter Satz FPG soll nämlich Art. 28 Abs. 3 lit. a der Richtlinie 2004/38 EG ("Freizügigkeitsrichtlinie" ; siehe § 2 Abs. 4 Z 18 FPG) umgesetzt werden, wozu der Gerichtshof der Europäischen Union bereits judizierte, dass hierauf gestützte Maßnahmen auf "außergewöhnliche Umstände" begrenzt sein sollten; es sei vorausgesetzt, dass die vom Betroffenen ausgehende Beeinträchtigung der öffentlichen Sicherheit einen "besonders hohen Schweregrad" aufweise, was etwa bei bandenmäßigem Handeln mit Betäubungsmitteln der Fall sein könne (siehe VwGH 24.1.2019, Ra 2018/21/0248, Rn 6, mit dem Hinweis auf EuGH (Große Kammer) 23.11.2010, Tsakouridis, C-145/09, insbesondere Rn. 40, 41 und 49 ff, und daran anknüpfend EuGH (Große Kammer) 22.5.2012, P.I., C-348/09, Rn. 19 und 20 sowie Rn. 28, wo überdies - im Zusammenhang mit sexuellem Missbrauch eines Kindes, der zu einer siebeneinhalbjährigen Freiheitsstrafe geführt hatte - darauf hingewiesen wurde, dass es "besonders schwerwiegender Merkmale" bedarf).“ (vgl. VwGH 22.08.2019, Ra 2019/21/0091)

„Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist bei der Erstellung der für jedes Aufenthaltsverbot zu treffenden Gefährdungsprognose das Gesamtverhalten des Fremden in Betracht zu ziehen und auf Grund konkreter Feststellungen eine Beurteilung dahin vorzunehmen, ob und im Hinblick auf welche Umstände die jeweils anzuwendende Gefährdungsannahme gerechtfertigt ist. Dabei ist nicht auf die bloße Tatsache der Verurteilung bzw. Bestrafung des Fremden, sondern auf die Art und Schwere der zu Grunde liegenden Straftaten und auf das sich daraus ergebende Persönlichkeitsbild abzustellen. Bei der nach § 67 Abs. 1 FPG zu erstellenden Gefährdungsprognose geht schon aus dem Gesetzeswortlaut klar hervor, dass auf das "persönliche Verhalten" des Fremden abzustellen ist und strafrechtliche Verurteilungen allein nicht ohne weiteres ein Aufenthaltsverbot begründen können (vgl. - noch zu § 86 FPG in der Fassung vor dem FrÄG 2011, der Vorgängerbestimmung des § 67 FPG - etwa die hg. Erkenntnisse vom 26. September 2007, Zl. 2007/21/0197, und vom 21. Februar 2013, Zl. 2012/23/0042, mwN).“ (VwGH 25.04.2014, Ro 2014/21/0039)

Zudem gilt es festzuhalten, dass die fremdenpolizeilichen Beurteilungen eigenständig und unabhängig von den die des Strafgerichts für die Strafbemessung, die bedingte Strafnachsicht und den Aufschub des Strafvollzugs betreffenden Erwägungen zu treffen sind (vgl. Erkenntnis des VwGH v. 6.Juli 2010, Zl. 2010/22/0096) und es bei der Erlassung eines Aufenthaltsverbotes/Einreiseverbotes in keiner Weise um eine Beurteilung der Schuld des Fremden an seinen Straftaten und auch nicht um eine Bestrafung geht. (vgl. Erkenntnis des VwGH vom 8. Juli 2004, 2001/21/0119).

Die Bestimmungen der § 67 Abs. 1 und 2 FrPolG 2005 und § 66 Abs. 1 FrPolG 2005, beide idF FrÄG 2011, sind vor dem Hintergrund der unionsrechtlichen Vorgaben der Richtlinie 2004/38/EG - Freizügigkeitsrichtlinie, deren Umsetzung sie dienen, zu verstehen. Demnach sind sie in ihrem Zusammenspiel dahin auszulegen, dass hinsichtlich Personen, die das Daueraufenthaltsrecht erworben haben, nicht nur bei der Ausweisung, sondern auch bei der Erlassung eines Aufenthaltsverbotes der in § 66 Abs. 1 letzter Satzteil FrPolG 2005 idF FrÄG 2011 vorgesehene Gefährdungsmaßstab, der jenem in Art. 28 Abs. 2 der genannten Richtlinie entspricht, heranzuziehen ist (Hinweis E 13. Dezember 2012, 2012/21/0181; E 12. März 2013, 2012/18/0228). Dieser Maßstab liegt im abgestuften System der Gefährdungsprognosen über dem Gefährdungsmaßstab nach dem ersten und zweiten Satz des § 67 Abs. 1 FrPolG 2005 idF FrÄG 2011. (vgl. VwGH 22.01.2014, 2013/21/0135)

3.1.3.3. Gemäß Art. 8 Abs. 1 EMRK hat jede Person Anspruch auf Achtung ihres Privat- und Familienlebens, ihrer Wohnung und ihres Briefverkehrs.

Gemäß Art. 8 Abs. 2 EMRK ist der Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung dieses Rechts nur statthaft, insoweit ein Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.

Bei der Setzung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme, wie sie eine Ausweisung eines Fremden darstellt, kann ein ungerechtfertigter Eingriff in das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens des Fremden iSd. Art. 8 Abs. 1 EMRK vorliegen. Daher muss überprüft werden, ob die Ausweisung einen Eingriff und in weiterer Folge eine Verletzung des Privat- und/oder Familienlebens des Fremden darstellt:

Die Zulässigkeit einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme, insbesondere die gegenständlichen Rückkehrentscheidung, setzt nach § 9 Abs. 1 BFA-VG unter dem dort genannten Gesichtspunkt eines Eingriffs in das Privat- und/oder Familienleben voraus, dass ihre Erlassung zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist (vgl. VwGH vom 12.11.2015, Zl. Ra 2015/21/0101).

Wie der Verfassungsgerichtshof (VfGH) bereits in zwei Erkenntnissen vom 29.09.2007, Zl. B 328/07 und Zl. B 1150/07, dargelegt hat, sind die Behörden stets dazu verpflichtet, das öffentliche Interesse an der Aufenthaltsbeendigung gegen die persönlichen Interessen des Fremden an einem weiteren Verbleib in Österreich am Maßstab des Art. 8 EMRK abzuwägen, wenn sie eine Ausweisung verfügt. In den zitierten Entscheidungen wurden vom VfGH auch unterschiedliche – in der Judikatur des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR) fallbezogen entwickelte – Kriterien aufgezeigt, die in jedem Einzelfall bei Vornahme einer solchen Interessenabwägung zu beachten sind und als Ergebnis einer Gesamtbetrachtung dazu führen können, dass Art. 8 EMRK einer Ausweisung entgegensteht:

•        die Aufenthaltsdauer, die vom EGMR an keine fixen zeitlichen Vorgaben geknüpft wird (EGMR 31.01.2006, Rodrigues da Silva und Hoogkamer, Zl. 50435/99, ÖJZ 2006, 738 = EuGRZ 2006, 562; 16.09.2004, Ghiban, Zl. 11103/03, NVwZ 2005, 1046),

•        das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens (EGMR 28.05.1985, Abdulaziz ua., Zl. 9214/80, 9473/81, 9474/81, EuGRZ 1985, 567; 20.06.2002, Al-Nashif, Zl. 50963/99, ÖJZ 2003, 344; 22.04.1997, X, Y und Z, Zl. 21830/93, ÖJZ 1998, 271) und dessen Intensität (EGMR 02.08.2001, Boultif, Zl. 54273/00),

•        die Schutzwürdigkeit des Privatlebens,

•        den Grad der Integration des Fremden, der sich in intensiven Bindungen zu Verwandten und Freunden, der Selbsterhaltungsfähigkeit, der Schulausbildung, der Berufsausbildung, der Teilnahme am sozialen Leben, der Beschäftigung und ähnlichen Umständen manifestiert (vgl. EGMR 04.10.2001, Adam, Zl. 43359/98, EuGRZ 2002, 582; 09.10.2003, Slivenko, Zl. 48321/99, EuGRZ 2006, 560; 16.06.2005, Sisojeva, Zl. 60654/00, EuGRZ 2006, 554; vgl. auch VwGH 05.07.2005, Zl. 2004/21/0124; 11.10.2005, Zl. 2002/21/0124),

•        die Bindungen zum Heimatstaat,

•        die strafgerichtliche Unbescholtenheit, aber auch Verstöße gegen das Einwanderungsrecht und Erfordernisse der öffentlichen Ordnung (vgl. zB EGMR 24.11.1998, Mitchell, Zl. 40447/98; 11.04.2006, Useinov, Zl. 61292/00), sowie

•        auch die Frage, ob das Privat- und Familienleben in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren (EGMR 24.11.1998, Mitchell, Zl. 40447/98; 05.09.2000, Solomon, Zl. 44328/98; 31.01.2006, Rodrigues da Silva und Hoogkamer, Zl. 50435/99, ÖJZ 2006, 738 = EuGRZ 2006, 562; 31.07.2008, Omoregie ua., Zl. 265/07).

Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR) sind die Staaten im Hinblick auf das internationale Recht und ihre vertraglichen Verpflichtungen befugt, die Einreise, den Aufenthalt und die Ausweisung von Fremden zu überwachen (EGMR 28.05.1985, Abdulaziz ua., Zl. 9214/80 ua, EuGRZ 1985, 567; 21.10.1997, Boujlifa, Zl. 25404/94; 18.10.2006, Üner, Zl. 46410/99; 23.06.2008 [GK], Maslov, 1638/03; 31.07.2008, Omoregie ua., Zl. 265/07). Die EMRK garantiert Ausländern kein Recht auf Einreise, Aufenthalt und Einbürgerung in einem bestimmten Staat (EGMR 02.08.2001, Boultif, Zl. 54273/00; 28.06.2011, Nunez, Zl. 55597/09).

Hinsichtlich der Rechtfertigung eines Eingriffs in die nach Art. 8 EMRK garantierten Rechte muss der Staat ein Gleichgewicht zwischen den Interessen des Einzelnen und jenen der Gesellschaft schaffen, wobei er in beiden Fällen einen gewissen Ermessensspielraum hat. Art. 8 EMRK begründet keine generelle Verpflichtung für den Staat, Einwanderer in seinem Territorium zu akzeptieren und Familienzusammenführungen zuzulassen. Jedoch hängt in Fällen, die sowohl Familienleben als auch Einwanderung betreffen, die staatliche Verpflichtung, Familienangehörigen von ihm Staat Ansässigen Aufenthalt zu gewähren, von der jeweiligen Situation der Betroffenen und dem Allgemeininteresse ab. Von Bedeutung sind dabei das Ausmaß des Eingriffs in das Familienleben, der Umfang der Beziehungen zum Konventionsstaat, weiters ob im Ursprungsstaat unüberwindbare Hindernisse für das Familienleben bestehen, sowie ob Gründe der Einwanderungskontrolle oder Erwägungen zum Schutz der öffentlichen Ordnung für eine Ausweisung sprechen. War ein Fortbestehen des Familienlebens im Gastland bereits bei dessen Begründung wegen des fremdenrechtlichen Status einer der betroffenen Personen ungewiss und dies den Familienmitgliedern bewusst, kann eine Ausweisung nur in Ausnahmefällen eine Verletzung von Art. 8 EMRK bedeuten (EGMR 31.07.2008, Omoregie ua., Zl. 265/07, mwN; 28.06.2011, Nunez, Zl. 55597/09; 03.11.2011, Arvelo Aponte, Zl. 28770/05; 14.02.2012, Antwi u.a., Zl. 26940/10).

„Bei Beurteilung der Frage, ob die Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 55 AsylG 2005 zur Aufrechterhaltung des Privat- und/oder Familienlebens iSd Art. 8 MRK geboten ist bzw. ob die Erlassung einer Rückkehrentscheidung einen unverhältnismäßigen Eingriff in die nach Art. 8 MRK geschützten Rechte darstellt, ist unter Bedachtnahme auf alle Umstände des Einzelfalles eine gewichtende Abwägung des öffentlichen Interesses an einer Aufenthaltsbeendigung mit den gegenläufigen privaten und familiären Interessen des Fremden, insbesondere unter Berücksichtigung der in § 9 Abs. 2 BFA-VG 2014 genannten Kriterien und unter Einbeziehung der sich aus § 9 Abs. 3 BFA-VG 2014 ergebenden Wertungen, in Form einer Gesamtbetrachtung vorzunehmen (vgl. E 12. November 2015, Ra 2015/21/0101).“ (vgl. VwGH 08.11.2018, Ra 2016/22/0120)

Bei einem mehr als zehn Jahre dauernden inländischen Aufenthalt des Fremden ist regelmäßig von einem Überwiegen der persönlichen Interessen an einem Verbleib in Österreich auszugehen. Nur dann, wenn der Fremde die in Österreich verbrachte Zeit überhaupt nicht genützt hat, um sich sozial und beruflich zu integrieren, wurden etwa Aufenthaltsbeendigungen ausnahmsweise auch nach so langem Inlandsaufenthalt noch für verhältnismäßig angesehen. Diese Rechtsprechung zu Art. 8 MRK ist auch für die Erteilung von Aufenthaltstiteln relevant (vgl. E 26. Februar 2015, Ra 2015/22/0025; E 19. November 2014, 2013/22/0270). Auch in Fällen, in denen die Aufenthaltsdauer knapp unter zehn Jahren lag, hat der VwGH eine entsprechende Berücksichtigung dieser langen Aufenthaltsdauer gefordert (vgl. E 16. Dezember 2014, 2012/22/0169; E 9. September 2014, 2013/22/0247; E 30. Juli 2014, 2013/22/0226). Im Fall, dass ein insgesamt mehr als zehnjähriger Inlandsaufenthalt für einige Monate unterbrochen war, legte der VwGH seine Judikatur zum regelmäßigen Überwiegen der persönlichen Interessen an einem Verbleib in Österreich bei einem mehr als zehnjährigen Inlandsaufenthalt des Fremden zugrunde (vgl. E 26. März 2015, Ra 2014/22/0078 bis 0082). (Vgl. VwGH 08.11.2018, Ra 2016/22/0120

Im Fall, dass ein insgesamt mehr als zehnjähriger Inlandsaufenthalt für einige Monate unterbrochen war, legte der VwGH seine Judikatur zum regelmäßigen Überwiegen der persönlichen Interessen an einem Verbleib in Österreich bei einem mehr als zehnjährigen Inlandsaufenthalt des Fremden zugrunde (vgl. E 26. März 2015, Ra 2014/22/0078 bis 0082). (Vgl. VwGH 08.11.2018, Ra 2016/22/0120

„Nach § 66 Abs. 2 FrPolG 2005 und § 9 BFA-VG 2014 ist bei Erlassung einer auf § 66 FrPolG 2005 gestützten Ausweisung eine Abwägung des öffentlichen Interesses an der Beendigung des Aufenthalts des EWR-Bürgers mit dessen Interesse an einem Verbleib in Österreich vorzunehmen, bei der insbesondere die Art und Dauer des bisherigen Aufenthalts im Bundesgebiet, das Alter, der Gesundheitszustand, die familiäre und wirtschaftliche Lage, die soziale und kulturelle Integration im Bundesgebiet und das Ausmaß der Bindungen zum Heimatstaat sowie die Frage der strafgerichtlichen Unbescholtenheit zu berücksichtigen sind.“ (VwGH 30.08.2018, Ra 2018/21/0049)

„Es trifft zwar zu, dass im Rahmen einer Interessenabwägung nach Art. 8 MRK bei einem mehr als zehn Jahre dauernden inländischen Aufenthalt eines Fremden in der Regel von einem Überwiegen der persönlichen Interessen an einem Verbleib in Österreich auszugehen ist (vgl. VwGH 1.2.2019, Ra 2019/01/0027, mwN). Diese Rechtsprechung betraf allerdings nur Konstellationen, in denen sich aus dem Verhalten des Fremden - abgesehen vom unrechtmäßigen Verbleib in Österreich - sonst keine Gefährdung der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit ergab. Die "Zehn-Jahres-Grenze" spielte in der bisherigen Judikatur nur dann eine Rolle, wenn einem Fremden kein - massives - strafrechtliches Fehlverhalten vorzuwerfen war (vgl. VwGH 10.11.2015, Ro 2015/19/0001, mwN).“ (VwGH 28.02.2019, Ra 2018/01/0409)

3.1.3.4. Der BF kann mittlerweile auf einen beinahe 12-jährigen Aufenthalt in Österreich zurückblicken, weist zudem familiäre und soziale Bezüge in Österreich auf und kann zudem Integrationsbemühungen vorweisen. So lebt der BF mit seinem Vater im gemeinsamen Haushalt in Österreich, pflegt zu diesem eine enge Beziehung, ist der Deutschen Sprache mächtig, hat eine Lehre als Koch in Österreich abgeschlossen, war wiederholt erwerbstätig und steht aktuell wieder in Beschäftigung und ist damit auch selbsterhaltungsfähig.

Demgegenüber wurde der BF jedoch unbestritten zuletzt wegen des Verbrechens des schweren und gewerbsmäßigen Diebstahls durch Einbruch zu einer bedingt nachgesehen Freiheitsstrafe von 24 Monaten sowie zu einer ebenfalls bedingt nachgesehenen Unterbringung in einer Anstalt für gewöhnungsbedürftige Rechtsbrecher verurteilt.

Dabei handelt es sich beim BF um seine zweite einschlägige Verurteilung in Österreich und erweisen sich die Straftaten des BF angesichts der jeweiligen vielen Tatwiederholungen und längeren Tatzeiträume sowie der jeweiligen Gewerbsmäßigkeit des Handelns des BF als durchwegs schwerwiegend.

Jedoch gilt es gegenständlich zu bedenken, dass der letzte bekannte Straftatzeitpunkt der XXXX .2017 ist und der BF sich seither wohlverhalten hat. Ferner wurde ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen dem seinerzeitigen Alkoholkonsum des BF und seinen Straffälligkeiten durch einen Sachverständigen festgestellt und hat der BF mittlerweile erfolgreiche Anstrengungen sein Alkoholproblem in den Griff zu bekommen getätigt. Letztlich ist selbst das Strafgericht nicht von einem Rückfall des BF ausgegangen und hat dieses wiederholt von der Verhängung einer unbedingten Freiheitsstrafe Abstand genommen.

Unter Berücksichtigung der dem BF attestierten positiven Entwicklung bei gleichzeitig während eines beinahe 12-jährigen durchgehenden Aufenthaltes in Österreich erlangter Integration in Österreich in wirtschaftlicher, sprachlicher und sozialer Hinsicht, sowie stabilen familiären und wirtschaftlichen Verhältnissen des BF in Österreich kann dem BF eine positive Zukunftsprognose erstellt werden.

Darüber hinaus erreichen die dem BF anzulastenden strafgerichtlichen Verfehlungen nicht das gegenständlich geforderte Maß der besonderen Schwere im Sinne einer nachhaltigen und maßgeblichen Gefährdung der öffentlichen Sicherheit iSd. § 67 Abs. 1 5. Satz bzw. der oben zitierten Judikatur. So kann in dem vom BF gesetzten Verhalten ein, mit beispielsweise grenzüberschreitendem bandenmäßigen Suchtmittelhandel, vergleichbare die öffentliche Sicherheit gefährdende Sachverhalte nicht erkannt werden.

Nach Beurteilung des vom BF gezeigten Verhaltens und der sich daraus ergebenden Gefährdung maßgeblicher öffentlicher Interessen sowie nach erfolgter Abwägung sich wiederstreitender öffentlicher und privater Interessen iSd. Art 8 EMRK, ist zum Schluss zu kommen, dass sich die Verhängung eines Aufenthaltsverbotes im konkreten Fall als nicht zulässig erweist.

Demzufolge war der Beschwerde stattzugeben und der angefochtene Bescheid aufzuheben.

3.2. Entfall einer mündlichen Verhandlung

Da der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint, konnte gemäß § 21 Abs. 7 BFA VG eine mündliche Verhandlung unterbleiben.

Der Verwaltungsgerichtshof (VwGH) hat mit Erkenntnis vom 28.05.2014, Zl. Ra 2014/20/0017 und 0018-9, für die Auslegung der in § 21 Abs. 7 BFA-VG enthaltenen Wendung „wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint“ unter Bezugnahme auf das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes (VfGH) vom 12.03.2012, Zl. U 466/11 ua., festgehalten, dass der für die rechtliche Beurteilung entscheidungswesentliche Sachverhalt von der Verwaltungsbehörde vollständig in einem ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahren erhoben worden sein und bezogen auf den Zeitpunkt der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes immer noch die gesetzlich gebotene Aktualität und Vollständigkeit aufweisen muss. Die Verwaltungsbehörde muss die die entscheidungsmaßgeblichen Feststellungen tragende Beweiswürdigung in ihrer Entscheidung in gesetzmäßiger Weise offengelegt haben und das Bundesverwaltungsgericht die tragenden Erwägungen der verwaltungsbehördlichen Beweiswürdigung teilen. In der Beschwerde darf kein dem Ergebnis des behördlichen Ermittlungsverfahrens entgegenstehender oder darüber hinaus gehender für die Beurteilung relevanter Sachverhalt behauptet werden, wobei bloß unsubstantiiertes Bestreiten des von der Verwaltungsbehörde festgestellten Sachverhaltes ebenso außer Betracht bleiben kann wie ein Vorbringen, das gegen das in § 20 BFA VG festgelegte Neuerungsverbot verstößt. Schließlich ist auf verfahrensrechtlich festgelegte Besonderheiten bei der Beurteilung Bedacht zu nehmen.

Im gegenständlichen Fall ist dem angefochtenen Bescheid ein umfassendes Ermittlungsverfahren durch die belangte Behörde vorangegangen. Für eine Mangelhaftigkeit des Verfahrens ergeben sich aus der Sicht des Bundesverwaltungsgerichtes keinerlei Anhaltspunkte. Vielmehr wurde den Grundsätzen der Amtswegigkeit, der freien Beweiswürdigung, der Erforschung der materiellen Wahrheit und des Parteiengehörs entsprochen. So ist die belangte Behörde ihrer Ermittlungspflicht hinreichend nachgekommen. Der entscheidungswesentliche Sachverhalt wurde nach Durchführung eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens unter schlüssiger Beweiswürdigung der belangten Behörde festgestellt und es wurde in der Beschwerde auch kein dem Ergebnis des Ermittlungsverfahrens der belangten Behörde entgegenstehender oder darüber hinaus gehender Sachverhalt in konkreter und substantiierter Weise behauptet.

Vor dem Hintergrund dieser Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes konnte im vorliegenden Fall die Durchführung einer mündlichen Verhandlung beim Bundesverwaltungsgericht gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG unterbleiben, weil der maßgebliche Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde samt Ergänzung geklärt war. Was das Vorbringen des BF in der Beschwerde betrifft, so findet sich in dieser kein neues bzw. kein ausreichend konkretes Tatsachenvorbringen, welches die Durchführung einer mündlichen Verhandlung notwendig gemacht hätte.

Zu Spruchteil B): Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 des Verwaltungsgerichtshofgesetzes 1985 (VwGG), BGBl. Nr. 10/1985 idgF, hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision gegen die gegenständliche Entscheidung ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor. Konkrete Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung sind weder in der gegenständlichen Beschwerde vorgebracht worden noch im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht hervorgekommen.

Die oben in der rechtlichen Beurteilung angeführte Judikatur des VwGH ist zwar zu früheren Rechtslagen ergangen, sie ist jedoch nach Ansicht des erkennenden Gerichts auf die inhaltlich meist völlig gleichlautenden Bestimmungen der nunmehr geltenden Rechtslage unverändert übertragbar.

Schlagworte

Aufenthaltsverbot Behebung der Entscheidung Integration Intensität mangelnder Anknüpfungspunkt private Interessen strafrechtliche Verurteilung Voraussetzungen Wegfall der Gründe

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:G306.2167160.2.01

Im RIS seit

24.02.2021

Zuletzt aktualisiert am

24.02.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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