TE Vfgh Erkenntnis 1995/6/30 KI-6/95, KI-7/95, KI-8/95, KI-9/95

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Veröffentlicht am 30.06.1995
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Index

10 Verfassungsrecht
10/01 Bundes-Verfassungsgesetz in der Fassung von 1929 (B-VG)

Norm

B-VG Art133 Z1
B-VG Art138 Abs1 litb
B-VG Art144 Abs2
ZivildienstG §2 Abs1 idF BGBl 187/1994
VfGG §46 Abs1

Leitsatz

Gesetzwidrige Verweigerung einer Sachentscheidung über Beschwerden betreffend Feststellungsbescheide bezüglich der Zivildienstpflicht durch den Verwaltungsgerichtshof; Vorliegen eines Kompetenzkonfliktes auch im Falle der Ablehnung einer Beschwerde durch den Verfassungsgerichtshof und Zurückweisung der abgetretenen Beschwerde durch den Verwaltungsgerichtshof mangels Zuständigkeit; Zuständigkeit des Verfassungsgerichtshofs lediglich zur Prüfung grober Verfahrensmängel auch beim verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Ausnahme von der Wehrpflicht zwecks Zivildienstleistung; Kompetenz zur Wahrnehmung sonstiger Verfahrensmängel beim Verwaltungsgerichtshof

Spruch

Der Verwaltungsgerichtshof war zur Entscheidung über die vom Verfassungsgerichtshof mit Beschlüssen vom

28. November 1994, B1807/94-6,

17. Jänner 1995, B2127/94-7,

17. Jänner 1995, B1864/94-9, und 24. November 1994, B1580/94-9,

an ihn abgetretenen Beschwerden des Mag. D T, des W S, des M L und des S B zuständig.

Die entgegenstehenden Beschlüsse des Verwaltungsgerichtshofes vom

28. Feber 1995, Zl. 95/11/0017,

28. Feber 1995, Zl. 95/11/0044,

28. Feber 1995, Zl. 95/11/0045 und 17. Jänner 1995, Zl. 94/11/0372,

werden aufgehoben.

Der Bund (Verwaltungsgerichtshof) ist schuldig, den Antragstellern, zu Handen ihrer Rechtsvertreter, die mit je 18.000 S bestimmten Prozeßkosten binnen 14 Tagen bei Exekution zu bezahlen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Mit Beschlüssen vom 28. November 1994 B1807/94-6, 28. November 1994 B2127/94-4, 28. November 1994 B1864/94-7, und 12. Oktober 1994 B1580/94-7, lehnte der Verfassungsgerichtshof die Behandlung von an ihn gerichteten Beschwerden gegen Bescheide des Bundesministers für Inneres (vom 21. Juli 1994, Zl. 133.731/3-IV/10/94, 2. September 1994, Zl. 197.169/1-IV/10/94, 28. Juli 1994, Zl. 196.658/1-IV/10/94, und 7. Juni 1994, Zl. 193.410/1-IV/10/9) gemäß Art144 Abs2 B-VG ab. Die Beschwerden wurden dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abgetreten. Mit den angefochtenen Bescheiden hatte der Bundesminister für Inneres - gestützt auf das Zivildienstgesetz 1986 (ZDG), BGBl. 679/1986 idF der Novelle BGBl. 187/1994 - festgestellt, daß die von den Beschwerdeführern abgegebenen Zivildiensterklärungen (wegen Fristversäumnis nach §76a Abs2 Z1 ZDG) die Zivildienstpflicht nicht eintreten lassen könnten (§5a Abs4 iVm §5a Abs3 Z2 ZDG).

Der Ablehnungsbeschluß des Verfassungsgerichtshofes wurde zu B 1807/94 wie folgt begründet (in den drei anderen Fällen lauten die Beschlüsse ähnlich):

"Der Verfassungsgerichtshof kann die Behandlung einer Beschwerde in einer nicht von der Zuständigkeit des Verwaltungsgerichtshofes ausgeschlossenen Angelegenheit ablehnen, wenn sie keine hinreichende Aussicht auf Erfolg hat oder von der Entscheidung die Klärung einer verfassungsrechtlichen Frage nicht zu erwarten ist (Art144 Abs2 B-VG). Eine solche Klärung ist dann nicht zu erwarten, wenn zur Beantwortung der maßgebenden Fragen spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen nicht erforderlich sind.

Die vorliegende Beschwerde rügt zunächst die Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Ausnahme von der Wehrpflicht zwecks Zivildienstleistung (§2 Abs1 ZDG). Nach den Beschwerdebehauptungen wäre diese Rechtsverletzung aber zum Teil nur die Folge einer - allenfalls grob - unrichtigen Anwendung des einfachen Gesetzes (zur Befristung der Zivildiensterklärung vgl. VfGH 12.10.1994 B1659/94). Spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen sind zur Beurteilung der aufgeworfenen Fragen insoweit nicht anzustellen. (...)

Soweit die Beschwerde aber insofern verfassungsrechtliche Fragen berührt, als die Rechtswidrigkeit genereller Normen behauptet wird, läßt ihr Vorbringen schon im Hinblick darauf, daß die den angefochtenen Bescheid vornehmlich tragende Norm auf Verfassungsstufe steht, die in dieser Hinsicht behaupteten Rechtsverletzungen als so wenig wahrscheinlich erkennen, daß die Beschwerde keine hinreichende Aussicht auf Erfolg hat.

Die Angelegenheit ist auch nicht von der Zuständigkeit des Verwaltungsgerichtshofes ausgeschlossen (vgl. VfGH 4.3.1994 B1115/93).

Somit wurde beschlossen, von einer Behandlung der Beschwerde abzusehen und sie gemäß Art144 Abs3 B-VG dem Verwaltungsgerichtshof abzutreten (§19 Abs3 Z1 VerfGG)."

2. Der Verwaltungsgerichtshof wies mit Beschlüssen vom 28. Feber 1995, Zl. 95/11/0017, 28. Feber 1995, Zl. 95/11/0044, 28. Feber 1995, Zl. 95/11/0045, und 17. Jänner 1995, Zl. 94/11/0372, die ihm abgetretenen Beschwerden zurück.

Begründend führte er im Beschluß Zl. 95/11/0017 aus (in den anderen Beschlüssen lautet die Begründung ähnlich):

"Mit dem angefochtenen Bescheid wurde gemäß §5a Abs4 in Verbindung mit §5a Abs3 Z. 2 des Zivildienstgesetzes 1986 in der Fassung BGBl. Nr. 187/1994 festgestellt, daß die Zivildiensterklärung des Beschwerdeführers vom 5. Juli 1994 die Zivildienstpflicht nicht eintreten lassen könne.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in ständiger Rechtsprechung zum Ausdruck gebracht, daß ein Bescheid des oben wiedergegebenen Inhaltes nicht beim Verwaltungsgerichtshof bekämpft werden kann, weil damit ein Abspruch über ein verfassungsgesetzlich gewährleistetes Recht erfolgt und demgemäß der Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung über eine Beschwerde gegen einen solchen Bescheid gemäß Art133 Z. 1 B-VG unzuständig ist (vgl. den Beschluß vom 6. September 1994, Zl. 94/11/0218).

Die vom Verfassungsgerichtshof nach Ablehnung ihrer Behandlung dem Verwaltungsgerichtshof gemäß Art144 Abs3 B-VG abgetretene (Beschluß vom 28. November 1994, B1807/94) Beschwerde war daher gemäß §34 Abs1 VwGG wegen Unzuständigkeit des Verwaltungsgerichtshofes zurückzuweisen."

3. Die vier Adressaten der erwähnten Beschlüsse des Verfassungs- und des Verwaltungsgerichtshofes behaupten in ihren nunmehrigen (beim Verfassungsgerichtshof zu KI-6/95, KI-7/95, KI-8/95 und KI-9/95 protokollierten) Eingaben das Bestehen eines negativen Kompetenzkonfliktes zwischen den beiden Gerichtshöfen. Sie beantragen, der Verfassungsgerichtshof möge gemäß Art138 Abs1 litb B-VG (iVm §46 Abs1 VerfGG) diesen Kompetenzkonflikt entscheiden und den Kostenersatz aussprechen.

4. Der Verwaltungsgerichtshof erstattete in den Verfahren über diese Anträge auf Entscheidung eines Kompetenzkonfliktes Äußerungen. In dem zu KI-6/95 abgegebenen Schriftsatz führt er aus (die anderen Äußerungen lauten ähnlich):

"I.

Zur Zulässigkeit des Antrages:

In Ansehung der Beschlüsse des Verfassungsgerichtshofes vom 28. November 1994, B1807/94, und des Verwaltungsgerichtshofes vom 28. Februar 1995, Zl. 95/11/0017, besteht zwar eine Divergenz, was die Frage anlangt, ob der Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung über die Beschwerde des Antragstellers gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 21. Juli 1994, Zl. 133.731/3-IV/10/94, mit dem gemäß §76a Abs2 ZDG in der Fassung BGBl. Nr. 187/1994 das Nichteintreten der Zivildienstpflicht festgestellt wird, zuständig ist oder ob eine solche Angelegenheit gemäß Art133 Z. 1 B-VG von der Zuständigkeit des Verwaltungsgerichtshofes ausgenommen ist. Es liegt jedoch kein verneinender Kompetenzkonflikt im Sinne des Art138 Abs1 litb B-VG vor.

Ein verneinender Kompetenzkonflikt kann nur dann gegeben sein, wenn beide involvierten Behörden jeweils ihre Zuständigkeit verneinen. Wie dem Verwaltungsgerichtshof bekannt ist, hat der Verfassungsgerichtshof bereits in zahlreichen gleichgelagerten Beschwerdefällen Sachentscheidungen getroffen; ein Grund, aus dem er zur Behandlung solcher Beschwerden unzuständig sein könnte, ist auch nicht ersichtlich. Dementsprechend hat der Verfassungsgerichtshof mit dem Beschluß vom 28. November 1994 die an ihn gerichtete Beschwerde des Antragstellers auch nicht wegen Unzuständigkeit zurückgewiesen (§19 Abs3 Z. 2 lita VerfGG 1953). Er hat ihre Behandlung vielmehr gemäß Art144 Abs2 B-VG und §19 Abs3 Z. 1 VerfGG 1953 abgelehnt. So wie eine solche Entscheidung nicht voraussetzt, daß der Verfassungsgerichtshof zur abgelehnten Behandlung zuständig gewesen wäre, so liegt darin umgekehrt auch keine Entscheidung über seine Nichtzuständigkeit. Die Ermächtigung zur Ablehnung einer Beschwerde ergibt sich vielmehr aus deren Inhalt, nämlich aus deren Erfolgsaussichten bzw. den darin angeschnittenen Rechtsfragen. Die Ablehnung der Behandlung einer Beschwerde liegt - sofern ein Ablehnungstatbestand vorliegt - im Ermessen des Verfassungsgerichtshofes. Er kann sich auch in die Behandlung einer ablehnbaren Beschwerde einlassen und über eine solche Beschwerde gegebenenfalls auch eine Sachentscheidung fällen, ja sogar zur Aufhebung des mit der ablehnbaren Beschwerde angefochtenen Bescheides kommen.

Daß in der beschlußmäßigen Ablehnung der Behandlung einer Beschwerde eine Unzuständigkeitsentscheidung erblickt werden könne, verbietet sich auch unter dem Gesichtspunkt, daß es der Bundesverfassung völlig fremd ist, daß die Zuständigkeit einer Behörde in deren Ermessen gestellt ist. Dies wäre auf einfachgesetzlicher Ebene sogar im Widerspruch zu Art83 Abs2 B-VG und damit verfassungswidrig (vgl. Walter-Mayer, Grundriß des österreichischen Bundesverfassungsrechts, 7. Aufl., Rz. 1406). Die der Ablehnung im Sinne des Art144 Abs2 B-VG teleologisch und historisch gleichzuhaltende Ermächtigung des OGH zur Behandlung außerordentlicher Revisionen (§502 Abs1 und §508a ZPO) wäre daher von vornherein verfassungswidrig. Die im Verfassungsrang vorgesehene Ablehnungsmöglichkeit von Beschwerden durch die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts (Art131 Abs3 und Art144 Abs2 B-VG) kann daher nicht als Regelung der Zuständigkeit dieser Gerichtshöfe qualifiziert werden. Es liegt doch auch kein negativer Kompetenzkonflikt vor, wenn Verfassungsgerichtshof und Verwaltungsgerichtshof die Behandlung von an sie gerichteten Beschwerden gegen einen Bescheid eines unabhängigen Verwaltungssenates betreffend Verhängung einer geringen Geldstrafe jeweils ablehnen. Es bietet sich auch ebensowenig ein Anhaltspunkt dafür, daß der Verwaltungsgerichtshof die Behandlung einer solchen vom Verfassungsgerichtshof abgetretenen Beschwerde nicht ablehnen dürfte, wie umgekehrt, daß der Verfassungsgerichtshof von seiner Ermächtigung nach Art144 Abs2 B-VG nicht Gebrauch machen dürfte, hätte der Verwaltungsgerichtshof die Behandlung einer Parallelbeschwerde gegen einen Strafbescheid des in Rede stehenden Inhaltes bereits abgelehnt.

Es ist auch aus Gründen der Wahrung des Rechtsschutzes nicht geboten, die Ablehnung als Unzuständigkeitsentscheidung zu werten. Der Verfassungsgerichtshof kann von der in Rede stehenden Ermächtigung u.a. nur dann Gebrauch machen, wenn die Zuständigkeit des Verwaltungsgerichtshofes gegeben ist. Dies zu beurteilen ist naturgemäß Aufgabe des Verfassungsgerichtshofes. Das ist zwar insofern rechtspolitisch fragwürdig, als er die Abtretung einer Beschwerde nach Art144 Abs3 B-VG auch in Fällen verweigern kann, in denen der Verwaltungsgerichtshof durchaus seine Zuständigkeit bejahte (vgl. das Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 7. Dezember 1988, Zl. 86/03/0157, Slg. Nr. 12.821/A). Umgekehrt bindet eine Abtretung den Verwaltungsgerichtshof insofern nicht, als er rechtlich nicht gehindert ist, die seiner Auffassung nach gegebene Nichtzuständigkeit wahrzunehmen und die abgetretene Beschwerde zurückzuweisen. Für die Überprüfung eines Bescheides ist aber nach dem Konzept der Verfassung immer zumindest ein Gerichtshof zuständig.

So wie es zu Rechtsprechungsdivergenzen zwischen den beiden Gerichtshöfen des öffentlichen Rechts bei der Auslegung von materiellen Rechtsvorschriften kommen kann, so können sich die Auffassungsunterschiede auch auf eine Zuständigkeitsfrage beziehen. Es kann - wie im vorliegenden Fall - zu einer Meinungsverschiedenheit zwischen Verfassungsgerichtshof und Verwaltungsgerichtshof über die Ausschließlichkeit der Zuständigkeit des Verfassungsgerichtshofes und damit gemäß Art133 Z. 1 B-VG der Unzuständigkeit des Verwaltungsgerichtshofes kommen. Zur Bereinigung von Judikaturdivergenzen gibt es kein eigenes Verfahren. Es wäre Sache der beteiligten Gerichtshöfe, den unbefriedigenden Zustand durch eine Änderung der Rechtsprechung zu beheben, oder - da dies nicht erzwungen werden kann - Sache des (Verfassungs-)Gesetzgebers, die unterschiedlich beantwortete Rechtsfrage in eindeutiger Weise zu regeln. Der Verfassungsgesetzgeber hat es aber (bislang) in Kauf genommen, daß es zu Judikaturdivergenzen kommt, die im Ergebnis dazu führen, daß Rechtsschutzdefizite entstehen. Die vom Verfassungsgerichtshof im Erkenntnis vom 14. Dezember 1994, KI-1/94, geortete Lücke im Rechtsschutz liegt - wenn überhaupt - auf dieser allgemeineren Ebene, nicht aber in der Möglichkeit, daß der Verfassungsgerichtshof eine Beschwerde nach Ablehnung ihrer Behandlung an den von ihm für zuständig erachteten Verwaltungsgerichtshof abtritt, der Verwaltungsgerichtshof aber seine Zuständigkeit verneint.

Die Kompetenz des Verfassungsgerichtshofes, im Rahmen der Entscheidung in Kompetenzkonfliktsachen auch Entscheidungen anderer Höchstgerichte zu prüfen und gegebenenfalls aufzuheben, ist darauf eingeschränkt, daß ein solcher Kompetenzkonflikt vorliegt, daß also beide beteiligten Gerichte der Auffassung sind, sie selbst seien zuständig oder unzuständig, wogegen das jeweils andere Gericht unzuständig bzw. zuständig ist. Darüber hinaus besteht de constitutione lata keine diesbezügliche Prüfungskompetenz.

Zum Antragsvorbringen sei bemerkt, daß im gegebenen Zusammenhang ein Mängelbehebungsauftrag an den Antragsteller begrifflich nicht in Betracht zu ziehen war, geht es doch anders als im Fall KI-1/94 nicht um den Inhalt der Beschwerde, sondern um die Anfechtbarkeit eines bestimmten Verwaltungsaktes. Eine weitere Erklärung der Partei hätte an der vom Verwaltungsgerichtshof angenommenen, von ihm von Amts wegen wahrzunehmenden, Nichtzuständigkeit nichts zu ändern vermocht.

Der Verwaltungsgerichtshof stellt daher den (primären) Antrag, den Antrag des Mag. D T vom 11. April 1995 mangels Vorliegens eines verneinenden Kompetenzkonfliktes als unzulässig zurückzuweisen.

II.

Zur Zuständigkeit des Verwaltungsgerichtshofes:

Sollte der Verfassungsgerichtshof ungeachtet der obigen Ausführungen das Vorliegen eines verneinenden Kompetenzkonfliktes bejahen, wäre zu prüfen, welcher der beiden Beschlüsse (der des Verfassungsgerichtshofes vom 28. November 1994 oder der des Verwaltungsgerichtshofes vom 28. Februar 1995) rechtswidrig ist.

Der Verwaltungsgerichtshof ist bei der Beurteilung der Abgrenzung der Zuständigkeit zwischen Verwaltungsgerichtshof und Verfassungsgerichtshof nach Art144 B-VG - was die Frage der Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte anlangt - davon ausgegangen, daß es Grundrechte mit einem sogenannten Ausführungsvorbehalt gibt. Das im Verfassungsrang eingeräumte Recht wird nach Maßgabe näherer Bestimmungen gewährleistet. Auch wenn diese Bestimmungen den Rang einfacher Gesetze haben, bildet ein Verstoß gegen sie einen Verstoß gegen die Verfassung. Klassisches Beispiel ist und war die Vereinsfreiheit. Verstöße gegen die einfachgesetzlichen Bestimmungen des Vereinsgesetzes 1951 über die Vereinsbildung berühren nach ständiger Rechtsprechung beider Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts ausschließlich das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf Vereinsfreiheit. Der Verfassungsgerichtshof hat immer seine ausschließliche Zuständigkeit bejaht und im Fall der Abweisung einer Beschwerde gegen einen Bescheid betreffend Versagung einer Vereinsbildung diese niemals dem Verwaltungsgerichtshof abgetreten. Ein Fall der Ablehnung einer solchen Beschwerde ist ebenfalls nicht bekannt. Der Verwaltungsgerichtshof hat umgekehrt Beschwerden gegen solche Bescheide unter Berufung auf Art133 Z. 1 B-VG immer zurückgewiesen.

Nichts anderes kann nach Auffassung des Verwaltungsgerichtshofes für das Recht auf Befreiung von der Wehrpflicht nach Art9a Abs3 B-VG und §2 ZDG 1986 in der hier maßgeblichen Fassung BGBl. Nr. 187/1994 gelten. Die Gewährleistung dieses Rechtes wird sogar im Verfassungsrang an die Abgabe einer rechtzeitigen Erklärung mit einem bestimmten Inhalt gebunden. Ob eine Erklärung die mit ihr beabsichtigten Rechtswirkungen auszulösen vermag, ist ausschließlich im Verfassungsrang geregelt. Daß im §5a Abs3 ZDG das Fehlen der verfassungsgesetzlich geregelten Erfordernisse auf einfachgesetzlicher Ebene als Mangel der Erklärung bezeichnet wird, ist überflüssig und vermag am rechtlichen Rang dieser Erfordernisse nichts zu ändern. Dies gilt auch für die Regelung, daß die Mangelhaftigkeit und Unwirksamkeit einer Erklärung bescheidmäßig festzustellen ist (§5a Abs4 ZDG). Die von der belangten Behörde im angefochtenen Bescheid für maßgeblich erachtete Frist nach §76a Abs2 Z. 1 ZDG ist wiederum im Verfassungsrang geregelt. Bei der Erlassung eines Bescheides nach §5a Abs4 ZDG geht es dabei um die Feststellung, daß ein bestimmter Erfolg von Verfassungs wegen nicht eingetreten ist. Maßstab der Prüfung eines solchen Bescheides ist ausschließlich Verfassungsrecht, auch wenn dazu ergangene Verfahrensvorschriften nicht im Verfassungsrang stehen. Ein Bescheid des Inhaltes, wie der des Bescheides des Bundesministers für Inneres vom 21. Juli 1994, mit dem die Feststellung getroffen wurde, daß die Zivildiensterklärung des Antragstellers vom 5. Juli 1994 die Zivildienstpflicht nicht habe eintreten lassen, berührt damit ausschließlich das in Rede stehende Grundrecht. Seine Anfechtung und Überprüfung ist gemäß Art133 Z. 1 B-VG von der Zuständigkeit des Verwaltungsgerichtshofes ausgenommen. Die Ablehnung der Behandlung der gegen ihn erhobenen Beschwerde durch den Verfassungsgerichtshof erfolgte daher zu Unrecht.

Der Verwaltungsgerichtshof sieht sich zur Feststellung veranlaßt, daß die Vorgangsweise der belangten Behörde im Lichte der §§13a und 61a AVG insofern fragwürdig ist, als die belangte Behörde in Kenntnis der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes - mag sie sie für zutreffend erachten oder nicht - den Antragsteller ohne weiteres auf die (alternative) Rechtsschutzmöglichkeit einer Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof verweist und damit im Ergebnis über seine faktischen Möglichkeiten in Irrtum führt. Inwieweit dies Amtshaftungsansprüche auszulösen geeignet ist, kann im gegebenen Zusammenhang dahinstehen.

Der Verwaltungsgerichtshof stellt den (alternativen) Antrag, der Verfassungsgerichtshof möge seinen Beschluß vom 28. November 1994, B1807/94, aufheben."

II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die vier Anträge auf Entscheidung des behaupteten negativen Kompetenzkonfliktes erwogen:

1. Gemäß Art138 Abs1 litb B-VG erkennt der Verfasungsgerichtshof über Kompetenzkonflikte "zwischen dem Verwaltungsgerichtshof und allen anderen Gerichten, insbesondere auch zwischen dem Verwaltungsgerichtshof und dem Verfassungsgerichtshof selbst, sowie zwischen den ordentlichen Gerichten und anderen Gerichten".

Nach der zitierten Verfassungsbestimmung iVm §46 Abs1 VerfGG besteht ein verneinender Kompetenzkonflikt u.a. dann, wenn "in

derselben Sache ... der Verwaltungsgerichtshof und der Verfassungsgerichtshof ... die Zuständigkeit abgelehnt haben",

obwohl eines der beiden Gerichte zuständig gewesen wäre. Mit anderen Worten, wenn sich einer der beiden Gerichtshöfe zu Unrecht aus dem Grund der Unzuständigkeit geweigert hat, über einen vom Einschreiter gestellten Antrag eine Entscheidung in der Sache zu treffen (vgl. zB. VfSlg. 2429/1952, 4554/1963, 6046/1969, 13249/1992, 13409/1993).

2. Den vorliegenden Anträgen liegt zugrunde, daß jeweils einerseits der Verfassungsgerichtshof die Behandlung der an ihn gerichteten Beschwerde abgelehnt und diese gemäß Art144 Abs3 B-VG über Antrag des Beschwerdeführers zur Entscheidung darüber, ob letzterer in sonstigen Rechten verletzt wurde, dem Verwaltungsgerichtshof abgetreten hat, und daß andererseits der Verwaltungsgerichtshof die an ihn abgetretene Beschwerde zurückgewiesen hat. Es stellt sich daher die Frage, ob in einem solchen Fall ein negativer Kompetenzkonflikt gemäß Art138 Abs1 litb B-VG überhaupt gegeben ist.

Der Verfassungsgerichtshof ist der Ansicht, daß auch bei einer solchen Fallkonstellation ein Kompetenzkonflikt, der von ihm gemäß Art138 Abs1 litb B-VG zu entscheiden ist, vorliegen kann; nämlich dann, wenn entweder die Abtretung unzulässig war, weil es sich um einen Fall handelt, der gemäß Art133 B-VG von der Zuständigkeit des Verwaltungsgerichtshofes ausgeschlossen ist und dessen Behandlung daher gemäß Art144 Abs2 B-VG vom Verfassungsgerichtshof nicht hätte abgelehnt werden dürfen, oder aber - sofern dies nicht der Fall ist - wenn der Verwaltungsgerichtshof seine Zuständigkeit in derselben Sache zu Unrecht verneint hat. Der Verfassungsgerichtshof meint, daß in solchen Fällen ein Kompetenzkonflikt im Sinne des Art138 Abs1 litb B-VG besteht, weil dem Verfassungsgesetzgeber nicht zugesonnen werden kann, daß er insofern eine Verfassungslücke in Kauf genommen hätte. Der Verfassungsgerichtshof hegt auch keine Bedenken dagegen, §46 Abs1 VerfGG in diesem Sinne auszulegen (so schon VfGH 14.12.1994 KI-1/94, S 6).

Mit dem die Behandlung einer Beschwerde ablehnenden Beschluß des Verfassungsgerichtshofes wird - wie der Verwaltungsgerichtshof zutreffend ausführt - zwar keine negative Entscheidung über die Zuständigkeit des Verfassungsgerichtshofes getroffen (vielmehr bejaht dieser die Zuständigkeit des Verwaltungsgerichtshofes in der Sache). Dieser Beschluß hat aber für den Beschwerdeführer dieselbe Wirkung wie die wegen (angenommener) Unzuständigkeit erfolgte Verweigerung einer Sachentscheidung. Das zum Zeitpunkt der Erlassung des Art138 Abs1 litb B-VG noch nicht bestandene Institut der Ablehnung einer Beschwerdebehandlung bedeutet also im Effekt für die Partei des Verfahrens das gleiche wie eine Ablehnung der Zuständigkeit i. S. der eben zitierten Verfassungsvorschrift. Aufgrund verschiedener Auslegungen der Gesetze durch die beiden Gerichtshöfe kommt es nämlich auch hier dazu, daß dem Beschwerdeführer von keinem der beiden Gerichte Rechtsschutz gewährt wird (vgl. zB. VfSlg. 11037/1986), wenn entweder der Verfassungsgerichtshof - die Zuständigkeit des Verwaltungsgerichtshofes zu Unrecht voraussetzend - die Beschwerdebehandlung abgelehnt oder aber der Verwaltungsgerichtshof in derselben Angelegenheit eine Sachentscheidung zu Unrecht verweigert hat.

Eine dem Rechtsstaatsprinzip entsprechende Auslegung des §46 Abs1 VerfGG gebietet die Annahme, es bestehe in solchen Fällen ein negativer Kompetenzkonflikt (vgl. VfSlg. 13030/1992).

Ein solcher Konflikt liegt - dies ist wiederholend festzuhalten - allerdings nur dann vor, wenn entweder der Verfassungsgerichtshof oder der Verwaltungsgerichtshof über die Zuständigkeit falsch entschieden hat. Da diese Voraussetzung - wie im folgenden (Pkt. 3) dargelegt wird - in den vorliegenden Fällen erfüllt ist, besteht hier ein negativer Kompetenzkonflikt iS des Art138 Abs1 litb B-VG, zu dessen Entscheidung der Verfassungsgerichtshof berufen ist.

3.a) Die Ablehnung der Behandlung einer Beschwerde durch den Verfassungsgerichtshof setzt nach Art144 Abs2 letzter Satz B-VG voraus, daß es sich um einen Fall handelt, der nach Art133 B-VG von der Zuständigkeit des Verwaltungsgerichtshofes nicht ausgeschlossen ist. Gemäß Art144 Abs3 B-VG ist in einem solchen Fall die an den Verfassungsgerichtshof gerichtete Beschwerde über Antrag des Beschwerdeführers zur Entscheidung darüber, ob der Beschwerdeführer durch den angefochtenen Bescheid in sonstigen Rechten verletzt wurde, dem Verwaltungsgerichtshof abzutreten.

b) Der Verwaltungsgerichtshof meint, daß bei den in Rede stehenden Feststellungsbescheiden nach dem Zivildienstgesetz ausschließlich eine Verletzung des durch §2 Abs1 ZDG verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Ausnahme von der Wehrpflicht zwecks Leistung von Zivildienst in Betracht komme und daher - ähnlich wie in Vereins- und Versammlungsangelegenheiten - für eine Zuständigkeit des Verwaltungsgerichtshofes kein Raum mehr bleibe; somit liege ein Fall des Art133 Z1 B-VG vor (siehe Abschnitt II der oben zu I.4. wiedergegebenen Äußerung des Verwaltungsgerichtshofes). Der Verfassungsgerichtshof hätte daher die Behandlung der einschlägigen Beschwerden dem Art144 Abs2 letzter Satz B-VG zufolge nicht ablehnen dürfen.

c) Der Verfassungsgerichtshof tritt dieser Ansicht nicht bei:

Nach seiner ständigen Judikatur (zB VfSlg. 13496/1993; VfGH 4.3.1994 B1115/93) wird das durch §2 Abs1 ZDG verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf Ausnahme von der Wehrpflicht zwecks Zivildienstleistung - abgesehen von einer unrichtigen Beurteilung der (materiellrechtlichen) Rechtslage - nur dann verletzt, wenn grobe Verfahrensfehler dazu führen, daß eine nach §2 Abs1 ZDG abgegebene Zivildiensterklärung von der Behörde als nicht rechtswirksam qualifiziert wird.

Dieser Inhalt des erwähnten Grundrechtes ergibt sich aus der Entstehungsgeschichte und aus dem systematischen Zusammenhalt, in dem §2 Abs1 ZDG steht. Es unterscheidet sich insofern von anderen, vom Verwaltungsgerichtshof ins Treffen geführten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten.

Aus dem Gesagten folgt, daß der Verfassungsgerichtshof beim verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Ausnahme von der Wehrpflicht zwecks Zivildienstleistung - abgesehen davon, ob materiellrechtliche Fehler unterlaufen sind - nur zu prüfen hat, ob grobe Verfahrensmängel vorliegen; im übrigen fehlt ihm die Prüfungszuständigkeit. Die Kompetenz zur Wahrnehmung sonstiger Verfahrensfehler liegt vielmehr beim Verwaltungsgerichtshof.

d) Hieraus ergibt sich, daß die Beschlüsse des Verwaltungsgerichtshofes, mit denen den Einschreitern Sachentscheidungen verweigert wurden, nicht dem Gesetz entsprachen.

Ferner steht fest, daß die Ablehnungsbeschlüsse des Verfassungsgerichtshofes rechtmäßig waren, weil die Fälle nicht nach Art133 B-VG von der Zuständigkeit des Verwaltungsgerichtshofes ausgeschlossen waren - handelte es sich doch (wie dargetan) nicht um Angelegenheiten, die zur (ausschließlichen) Zuständigkeit des Verfassungsgerichtshofes gehören.

Sohin war einerseits auszusprechen, daß die Entscheidung über die vom Verfassungsgerichtshof abgetretenen Beschwerden in die Zuständigkeit des Verwaltungsgerichtshofes fällt; andererseits waren dessen entgegenstehende Beschlüsse aufzuheben (§51 VerfGG).

4. Dies konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VerfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.

5. Die Kostenentscheidung gründet sich auf §52 VerfGG.

In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von je 3.000 S enthalten.

Schlagworte

Rechtsstaatsprinzip, VfGH / Kompetenzkonflikt, VfGH / Abtretung, Verwaltungsgerichtshof, Zuständigkeit Verwaltungsgerichtshof, Rechtsschutz, Zivildienst, VfGH / Ablehnung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1995:KI6.1995

Dokumentnummer

JFT_10049370_95K00I06_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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