Entscheidungsdatum
18.12.2020Norm
BFA-VG §22a Abs1Spruch
L515 2237075-1/12E
Schriftliche Ausfertigung des am 24.11.2020 mündlich verkündeten Erkenntnisses:
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. H. Leitner als Einzelrichter über die Beschwerde des XXXX , volljährig, genaues Geburtsdatum unbekannt, (laut belangter Behörde „fiktives“ Geburtsdatum: XXXX , weitere Alias-Daten laut Akt) Staatsangehörigkeit: Islamische Republik Pakistan, vertreten durch ARGE Rechtsberatung – Diakonie und Volkshilfe, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 11.11.2020, Zl. XXXX , sowie gegen die andauernde Anhaltung in Schubhaft zu Recht erkannt:
A)
I. Die Beschwerde wird gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG, Bundesgesetz über das Verfahren der Verwaltungsgerichte (Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz), BGBl I 33/2013 idgF, § 76 FPG 2005 BGBl I 100/2005 idgF iVm § 22a Abs. 1 BFA-VG VG BGBl I Nr. 87/2012 abgewiesen.
II. Es wird gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG, Bundesgesetz über das Verfahren der Verwaltungsgerichte (Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz), BGBl I 33/2013 idgF, § 76 FPG 2005 BGBl I 100/2005 idgF iVm § 22a Abs. 1 BFA-VG VG BGBl I Nr. 87/2012 festgestellt, dass zum Zeitpunkt der Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen.
III. Der Antrag der beschwerdeführenden Partei auf Kostenersatz wird gemäß § 35 VwGVG Bundesgesetz über das Verfahren der Verwaltungsgerichte (Verwaltungsgerichts-verfahrensgesetz), BGBl I 33/2013 idgF abgewiesen.
IV. Gemäß § 35 Abs. 1 VwGVG Bundesgesetz über das Verfahren der Verwaltungsgerichte (Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz), BGBl I 33/2013 idgF hat die beschwerdeführende Partei dem Bund (Bundesminister für Inneres) Aufwendungen in Höhe von € 887,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:
I.1. Die männliche und volljährige beschwerdeführende Partei (im Folgenden „bP" genannt) ist ein Staatsangehöriger der Islamischen Republik Pakistan (nachfolgend kurz „Pakistan" genannt) und befand sich zum Zeitpunkt der Verkündung des gegenständlichen Erkenntnisses in Schubhaft.
I.2.1. Hinsichtlich des bisherigen verfahrens- bzw. fremden und asylrechtlichen Schicksals der bP wird auf die Ausführungen im angefochtenen Bescheid verwiesen, welche wie folgt auszugsweise wiedergegeben werden:
„Am 11.09.2017 wurden Sie nach einer illegalen Einreise aufgegriffen und stellten einen Antrag auf internationalen Schutz. Sie gaben an den Namen XXXX zu führen, am XXXX geboren und pakistanischer Staatsangehöriger zu sein.
In einem Altersfeststellungsgutachten vom 30.10.2017 wurde Ihre Volljährigkeit festgestellt und ein fiktives Geburtsdatum mit XXXX bestimmt.
…
Am XXXX 2018 (rk XXXX ) wurden Sie vom Landesgericht XXXX unter der Aktenzahl XXXX wegen des Vergehens der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von 3 Wochen, bedingt nachgesehen unter Bestimmung einer Probezeit von 3 Jahren, verurteilt.
Mit Bescheid des BFA vom 05.04.2018 wurde Ihr Antrag auf internationalen Schutz abgewiesen und es wurde eine Rückkehrentscheidung gegen Sie erlassen. Die aufschiebende Wirkung einer Beschwerde wurde aberkannt. Sie brachten Beschwerde gegen diesen Bescheid ein.
Mit Beschluss des BVwG vom 25.05.2018 wurde die aufschiebende Wirkung zuerkannt.
Im Zuge des Beschwerdeverfahrens beim BVwG wurde ein neurologisch-psychiatrisches Sachverständigengutachten in Auftrag gegeben, da Sie behaupteten sich an vieles nicht erinnern zu können. Es stellte sich heraus, dass Sie seit Ihrem 6. Lebensjahr stottern, ansonsten jedoch keine neurologisch-psychiatrischen Erkrankungen vorliegen.
Am 16.11.2018 um XXXX Uhr wurden Sie wegen des Verdachts der Suchtgiftdelikte festgenommen und in weiterer Folge in eine Justizanstalt eingeliefert.
Mit Erkenntnis des BVwG vom 05.12.2018, Zl. L512 2196062-1/33Z, wurde Ihre Beschwerde als unbegründet abgewiesen. Es wurde Ihnen eine Frist von 14 Tagen für die freiwillige Ausreise gewährt. Die Entscheidung erwuchs mit 05.12.2018 in Rechtskraft.
Am XXXX 2019 (rk XXXX ) wurden Sie vom Landesgericht XXXX unter der Aktenzahl XXXX wegen des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 5. Fall und Abs 2 Z 3 SMG, des Verbrechens der Vorbereitung von Suchtgifthandel nach § 28 Abs 1 SMG, der Vergehen des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs 1 Z 1 1. und 2. Fall, Abs 2 SMG und der Vergehen der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB zu einer unbedingten Freiheitsstrafe in der Dauer von 3 Jahren verurteilt.
Am 23.09.2020 langte beim BFA ein Beschluss des LG XXXX vom 07.09.2020, Zl. XXXX [ein], wonach Sie am 16.11.2020 bedingt entlassen werden.
Mit Bescheid des BFA vom 01.10.2020 wurde gegen Sie eine Rückkehrentscheidung iVm einem Einreiseverbot befristet auf 10 Jahre erlassen. Es wurde Ihnen keine Frist zur freiwilligen Ausreise gewährt und die aufschiebende Wirkung einer Beschwerde wurde aberkannt. Sie brachten Beschwerde gegen diesen Bescheid ein, bislang wurde die aufschiebende Wirkung vom BVwG jedoch nicht zuerkannt.
Mit Schreiben des BFA vom 07.10.2020 wurden Sie darüber informiert, dass die Verhängung einer Schubhaft zur Sicherstellung Ihrer Abschiebung beabsichtigt ist. Sie wurden aufgefordert dazu Stellung zu nehmen. Sie haben dieses Schreiben nachweislich am 07.10.2020 übernommen. In Ihrer schriftlichen Stellungnahme vom 21.10.2020 gaben Sie im Wesentlichen folgendes an:
Sie hätten im Verfahren bzgl. Rückkehrberatung den Verein Volkshilfe als Vertretung, die Vollmacht würden Sie beilegen.
Sie hätten keine Familie in Österreich.
Bezüglich einer Wohnadresse nach Ihrer Entlassung würden Sie in Kontakt mit Verein Neustart stehen, die Sie für die betreuten Startwohnungen angemeldet hätten. Da Sie auch Bewährungshilfe als Weisung bekommen hätten, wären Sie in regelmäßiger Betreuung.
Sie hätten derzeit kein Bargeld. Sie würden bei Ihrer Entlassung etwas von der Rücklage bekommen.
Da Sie während Ihrer Haft immer gearbeitet hätten, hätten Sie genügend Arbeitslosenversicherungszeiten erworben.
Sie wären in logopädischer Behandlung wegen Ihre[s] Stottern[s].
Sie hätten sich nie dem Verfahren entzogen, Sie hätten das erste Mal einen Fehler gemacht. Sie würden über Verein Neustart eine Wohnung finden wollen und wären mit allen Auflagen einverstanden.
Sie würden nicht freiwillig nach Pakistan zurückgehen.
Am 16.11.2020 werden Sie bedingt aus der Strafhaft entlassen. Gegen Sie liegt eine durchsetzbare Rückkehrentscheidung mit Einreiseverbot vor. Sie sind zur Ausreise verpflichtet und Ihre Abschiebung wird ehestmöglich stattfinden.
Mit Verfahrensanordnung vom heutigen Tag wurde Ihnen ein Rechtsberater gemäß § 52 BFA-VG für ein allfälliges Beschwerdeverfahren zur Seite gestellt.
I.2.2. Die Belangte Behörde („bB“) führte im angefochtenen Bescheid weiters Folgendes aus (Formatierungen nicht mit dem Original übereinstimmend):
„…
Sie sind nicht österreichischer Staatsbürger.
Ihre Identität steht nicht fest. Sie gaben an XXXX zu heißen und pakistanischer Staatsangehöriger zu sein. Ihr Geburtsdatum wurde mit XXXX bestimmt.
Sie befinden sich derzeit wegen Suchtgifthandels in der JA XXXX in Haft. Am 16.11.2020 werden Sie bedingt entlassen.
Sie sind in logopädischer Behandlung wegen Stotterns. Ansonsten sind Sie gesund. Es konnte keine schwere bzw. lebensbedrohliche Krankheit festgestellt werden.
…
Ihr Antrag auf internationalen Schutz wurde mit 05.12.2018 rechtskräftig abgewiesen und es wurde eine Rückkehrentscheidung gegen Sie erlassen.
Aufgrund Ihrer Straftaten wurde schließlich noch am 01.10.2020 eine Rückkehrentscheidung iVm Einreiseverbot befristet auf 10 Jahre gegen Sie erlassen. Es wurde Ihnen keine Frist zur freiwilligen Ausreise gewährt und die aufschiebende Wirkung einer Beschwerde wurde aberkannt. Sie brachten Beschwerde gegen diesen Bescheid ein, bislang wurde die aufschiebende Wirkung vom BVwG jedoch nicht zuerkannt.
Eine Rückkehrentscheidung iVm Einreiseverbot gegen Ihre Person ist durchsetzbar. Aufgrund des Vorliegens der weiteren für eine Abschiebung erforderlichen Voraussetzungen werden Sie zur Ausreise verhalten werden.
…
Sie sind nach Österreich illegal eingereist und halten sich nun bereits seit 05.12.2018 unrechtmäßig im Bundesgebiet auf.
Sie sind in Österreich, außer in der Justizanstalt, noch nie einer legalen Erwerbstätigkeit nachgegangen. Es besteht keine begründete Aussicht, dass Sie eine Arbeitsstelle finden. Zudem haben Sie auch keine Arbeitsgenehmigung.
Im bisherigen Verfahren verhielten Sie sich unkooperativ, indem Sie ein falsches Alter angaben, mehrfach behaupteten, dass Sie Dokumente beschaffen könnten, die Ihre Identität bestätigen würden, dies jedoch nicht taten, unglaubwürdige Angaben machten und sich schließlich weigerten an der Klärung des Sachverhalts mitzuwirken.
Sie besitzen kein gültiges Reisedokument. Sie können Österreich aus eigenem Entschluss nicht legal verlassen. Sie haben auch keinerlei Anstrengungen unternommen sich ein gültiges Reisedokument zu beschaffen.
Obwohl eine gesetzliche Verpflichtung hierzu besteht, verweigern Sie die Ausreise aus Österreich.
Sie missachteten die österreichische Rechtsordnung, indem Sie das Vergehen der Körperverletzung und das Verbrechen des Suchtgifthandels begingen, weshalb Sie auch zweimal in Österreich verurteilt wurden.
Sie verfügen nicht über ausreichend Barmittel um Ihren Unterhalt zu finanzieren. Laut eigenen Angaben haben Sie aufgrund Ihrer Arbeit in der Justizanstalt Anspruch auf etwas Arbeitslosengeld. Dieses bekommen Sie jedoch höchstens für einen gewissen Zeitraum und Sie können keiner legalen Beschäftigung nachgehen, da Sie unrechtmäßig im Bundesgebiet aufhältig sind und keine Arbeitsgenehmigung vorweisen können.
Sie haben keinen ordentlichen Wohnsitz in Österreich.
Sie sind in keinster Weise integriert, weil Sie keinerlei familiäre, soziale oder berufliche Bindungen in Österreich haben.
…
Sie sind in Österreich weder beruflich noch sozial verankert.
Sie sind hier noch nie einer legalen Beschäftigung nachgegangen, außer in der Justizanstalt und haben keinen Wohnsitz im Bundesgebiet.
Sie haben weder familiäre noch private Bindungen in Österreich.
Sie wurden in Österreich straffällig und wegen Körperverletzung und Suchtgifthandels verurteilt.
Eine Integration im Bundesgebiet ist nicht ersichtlich.
…
Sie haben ein falsches Alter angegeben, mehrfach behauptet, dass Sie Dokumente beschaffen könnten, die Ihre Identität bestätigen würden, dies jedoch nicht getan, unglaubwürdige Angaben gemacht und sich schließlich geweigert an der Klärung des Sachverhalts mitzuwirken. Sie haben auch bereits angegeben, dass Sie nicht beabsichtigen Ihrer Ausreiseverpflichtung nachzukommen. Es muss daher davon ausgegangen werden, dass Sie auch bezüglich der Beschaffung eines Heimreisezertifikates für Sie nicht mitwirken und Sie nach Ihrer Entlassung untertauchen oder zumindest sobald es dann zur Abschiebung kommt für die Behörden nicht greifbar sein werden.
Gegen Sie ist eine Rückkehrentscheidung iVm Einreiseverbot befristet auf 10 Jahre durchsetzbar. Wie bereits erwähnt, kann nicht davon ausgegangen werden, dass Sie Ihrer Ausreiseverpflichtung nachkommen, zumal Sie bereits angekündigt haben dies nicht zu tun.
Sie sind in Österreich in keinster Weise integriert. Sie haben keinerlei familiäre oder private Bindungen in Österreich. Sie haben keinen Wohnsitz im Bundegebiet. Sie sind zwar beim Verein Neustart für betreute Startwohnungen für Haftentlassene angemeldet. Aufgrund mangelnder Bindungen kann jedoch nicht davon ausgegangen werden, dass Sie dann auch wirklich dort angetroffen werden können. Zudem könnten Sie auch nicht dauerhaft in dieser Wohnung bleiben, Sie können sich allerdings keine andere Unterkunft leisten, da Sie keiner legalen Beschäftigung nachgehen können. Sie können sich Ihren Aufenthalt bis zu Ihrer Ausreise nicht finanzieren. Es ist daher anzunehmen, dass Sie zum Abschiebetermin für die Behörde nicht greifbar sein werden.
Sie haben sich bisher in keinster Weise an die österreichischen Gesetze gehalten. Es ist nicht ersichtlich warum dies nun anders sein sollte, wo Sie doch offensichtlich nicht in Ihr Heimatland zurückwollen. Es muss davon ausgegangen werden, dass Sie alles tun werden um eine Abschiebung zu verhindern. Es besteht erhebliche Fluchtgefahr.
Daher ist die Entscheidung auch verhältnismäßig, weil Sie nicht in Ihr Heimatland zurück wollen, Sie eine Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit darstellen, Sie keine Gesetze oder Anordnungen von Behörden achten und Ihre Abschiebung daher ehestmöglich erfolgen soll.
Die Sicherung des Verfahrens bzw. der Abschiebung ist erforderlich, da Sie sich aufgrund Ihres oben geschilderten Vorverhaltens als nicht vertrauenswürdig erwiesen haben. Es ist davon auszugehen, dass Sie auch hinkünftig nicht gewillt sein werden, die Rechtsvorschriften einzuhalten.
Aus Ihrer Wohn- und Familiensituation, aus Ihrer fehlenden sonstigen Verankerung in Österreich sowie aufgrund Ihres bisherigen Verhaltens kann geschlossen werden, dass bezüglich Ihrer Person ein beträchtliches Risiko des Untertauchens vorliegt.
Sie haben keinen aufrechten Wohnsitz und sind in Österreich noch nie einer legalen, versicherungspflichtigen Beschäftigung nachgegangen, außer in der Justizanstalt. Sie haben keine Verwandten im Bundesgebiet. Sie haben in Österreich kein derart stabiles Umfeld, dass ein Untertauchen, um eine Abschiebung zu verhindern, ausgeschlossen werden kann.
Bei der Prüfung der Fluchtgefahr ist auch ein massives strafrechtliches Verhalten des Fremden in Bezug auf Gewalt- und Vermögensdelikte in Verbindung mit der wegen seiner Mittellosigkeit naheliegenden Wiederholungsgefahr einzubeziehen (VwGH 25.03.2010, 2009/21/0276). Der VwGH hat auch ausgesprochen, dass eine erhebliche Deliquenz des Fremden das Gewicht des öffentlichen Interesses an der Effektivität einer baldigen Abschiebung maßgeblich vergrößern kann (VwGH 25.03.2010, 2009/21/0276).
Ihr Strafregister in Österreich weist 2 Verurteilungen auf, eine relativ bald nach Ihrer Einreise wegen Körperverletzung zu einer bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von 3 Wochen und eine wegen Suchtgifthandels zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von 3 Jahren. Sie begannen ebenfalls relativ bald nach Ihrer Einreise und sogar noch während des anderen Gerichtsverfahrens mit Suchtgift zu handeln und haben bis zu Ihrer Festnahme ca. ein Jahr später weitergemacht. Sie haben dabei auch Suchtgift an Minderjährige verkauft. Sie haben folglich während Ihres gesamten Aufenthalts, abgesehen von der Zeit in Haft, wiederholt Straftaten begangen. Ihr gesamtes Verhalten lässt eine völlige Missachtung von geltenden Rechtsvorschriften erkennen. Die Wiederholungsgefahr ist erheblich, nicht zuletzt auch aufgrund Ihrer finanziellen Situation, weshalb ein Einreiseverbot gegen Sie erlassen wurde. Die Sicherstellung Ihrer ehestmöglichen Abschiebung liegt daher jedenfalls im öffentlichen Interesse.
Einem geordneten Fremdenwesen kommt im Hinblick auf die öffentliche Ordnung und dem wirtschaftlichen Wohl des Staates ein hoher Stellenwert zu. Es besteht die Verpflichtung Österreichs, seinen europarechtlichen Vorgaben, als auch den Pflichten gegenüber seinen Staatsbürgern und anderen legal aufhältigen Personen nachzukommen.
Die Prüfung der Verhältnismäßigkeit der Schubhaft und ihrer Notwendigkeit ergibt daher in Ihrem Fall, dass Ihr privates Interesse an der Schonung Ihrer persönlichen Freiheit dem Interesse des Staates am reibungslosen Funktionieren der öffentlichen Verwaltung hintanzustehen hat.
Dabei wurde auch berücksichtigt, dass die Schubhaft eine ultima - ratio – Maßnahme darstellt. Es ist daher zu prüfen, ob die Anordnung gelinderer Mittel gleichermaßen zur Zweckerreichung dienlich wäre. In Betracht käme dabei das gelindere Mittel gem. § 77 FPG mit den dafür vorgesehenen Aufenthalts- und Meldepflichten bzw. der Hinterlegung einer finanziellen Sicherheit. Dabei kommt die finanzielle Sicherheitsleistung aufgrund Ihrer finanziellen Situation schon von vornherein nicht in Betracht.
Doch auch was die Unterkunftsnahme in bestimmten Räumlichkeiten und die periodische Meldeverpflichtung betrifft, kann in Ihrem Fall damit nicht das Auslangen gefunden werden.
Sie haben sich bisher in keinster Weise an die österreichische Rechtsordnung gehalten. Es ist leider nicht anzunehmen, dass Sie jetzt, wo es um Ihre ehestmögliche Abschiebung geht, Anordnungen der Behörde respektieren werden. Es besteht erhebliche Fluchtgefahr. Außerdem soll Ihnen jegliche Möglichkeit genommen werden wieder straffällig zu werden.
Wie oben ausführlich dargelegt, besteht in Ihrem Fall aufgrund Ihrer persönlichen Lebenssituation sowie aufgrund Ihres bisherigen Verhaltens ein beträchtliches Risiko des Untertauchens. Damit wäre jedoch der Zweck der Schubhaft, nämlich die Sicherung des Verfahrens bzw. der Abschiebung, vereitelt. Es liegt somit eine ultima – ratio – Situation vor, die die Anordnung der Schubhaftverhängung unabdingbar erfordert und eine Verfahrensführung, während derer Sie sich in Freiheit befinden, ausschließt.
Es ist weiters aufgrund Ihres Gesundheitszustandes davon auszugehen, dass auch die subjektiven Haftbedingungen, wie Ihre Haftfähigkeit, gegeben sind.
Sie befinden sich seit November 2018 durchgehend ohne Probleme in Haft. Sie sind gesund. Eine schwere bzw. lebensbedrohliche Krankheit konnte nicht festgestellt werden.
Ihre Haftfähigkeit ist gegeben.
Die Behörde gelangt daher zum Ergebnis, dass sowohl die gesetzlichen Formalerfordernisse vorliegen, als auch, dass die Schubhaft zum Zweck der Maßnahme in einem angemessenen Verhältnis steht und im Interesse des öffentlichen Wohls dringend erforderlich und geboten ist.
…“
I.3. Der angefochtene Bescheid wurde der bP rechtswirksam zugestellt.
I.4.1. Am 16.11.2020 stellte die bP einen weiteren Antrag auf internationalen Schutz, worauf der bP ein entsprechender Aktenvermerkt, aus dem sich ergibt, dass die Schubhaft aufrecht bleibt und die bB davon ausgeht, dass die Antragstellung ausschließlich in Verzögerungsabsicht in Bezug auf die Durchsetzung aufenthaltsbeendender Maßnahmen erfolgte, ausgefolgt wurde und die bP nicht aus der Schubhaft entlassen wurde.
Mit ho. Erkenntnis vom 17.11.2020, L527 2196062-2/16E wurde der Bescheid der bB vom 1.10.2020 betreffend die Erlassung einer Rückkehrentscheidung in Verbindung mit einem Einreiseverbot behoben. Diese Behebung erfolgte aus formellen Gründen, zumal die dem angefochtenen Bescheid eine Rückkehrentscheidung iVm einem Einreiseverbot zu Grunde lag und hierüber nunmehr gemeinsam im anhängigen Asylverfahren zu entscheiden ist (vgl. VwGH 4.8.2016, Ra 2016/21/0162).
I.4.2. Zu den Asylverfahren:
Im ersten Asylverfahren gab die bP vor den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes an, sie sei am XXXX geboren, sei ledig, Sunnit und gehöre der Volksgruppe der Paschtunen an. Die bP habe von 01.01.2007 bis 01.01.2015 die Grundschule besucht.
Zum Fluchtgrund befragt gab die bP an, es würde seit 25 Jahren zwischen ihrer und einer anderen Familie eine Feindschaft bestehen. Es hätte immer wieder Streitigkeiten zwischen den Familien gegeben. Vor ihrer Ausreise aus Pakistan hätte es eine Auseinandersetzung zwischen ihrem Bruder und einem aus der anderen Familie gegeben. Dabei sei ihr Bruder und die andere Person verletzt worden. Dieser wäre 2 Monate später an der Verletzung verstorben. Die Polizei hätte den Bruder der bP festgenommen. Nach der bP sei gefahndet worden, obwohl diese unschuldig gewesen wäre, da die Familie der Verstorbenen gegen sie alle eine Anzeige erstattet hätte. Bei einer Rückkehr in ihre Heimat habe die Angst, dass sie ohne Grund festgenommen und bestraft werde.
Die bB gab, nachdem zwei Referenten des BFA das Alter des BF per Augenschein bewertet haben, ein Sachverständigengutachten bezüglich einer Unterscheidung Minder- bzw. Volljährigkeitsbeurteilung bezüglich des BF in Auftrag. In dem entsprechenden Gutachten eines Sachverständigen wurde zusammengefasst erörtert, dass die Zusammenschau der erhobenen Befunde (Anamnese/klinische Untersuchung, Zahnpanorama, Handwurzelröntgen, radiologische Aufnahme Schlüsselbein) ergebe, dass das wahrscheinliche Alter des BF zum Untersuchungszeitpunkt 18,5 Jahre betrage, zum Zeitpunkt der Antragstellung 18,37 Jahre und ergebe sich daraus ein –wie bereits angeführt- „fiktives“ Geburtsdatum mit XXXX .
Vor einer Organwalterin der bB brachte die bB am 14.02.2018 im Wesentlichen Folgendes vor:
Sie sei gesund und befinde sich nicht in ärztlicher Behandlung oder in Therapie.
Zum Fluchtgrund ergänzte die bB, dass eine alte Feindschaft über eine Erbschaft bestehe. 2014 sei diese erneut aufgeflammt. Sie hätten tagtäglich Probleme mit den Feinden gehabt. Im April 2014 hätten die Feinde sie mit Waffen angegriffen. Vor Ort sei der Bruder der bB und dessen Freund gewesen, mit denen gestritten wurde. Der Bruder der bB sei dabei angeschossen worden. Die bP sei zu diesem Zeitpunkt in der Schule gewesen. Die Familie der bP sowie die Gegner hätten deshalb bei der Polizei jeweils eine Anzeige erstattet. In der Anzeige der Gegner sei der Name der bP erwähnt worden. Der Bruder der bP sei verletzt und ins Spital gebracht worden. Nach zweimonatiger Behandlung sei dieser verstorben. Am Sterbetag seien ein anderer Bruder der bP sowie 2 Cousins zu den Feinden gegangen und hätten Rache nehmen bzw. streiten wollen. Die Männer seien aber nicht zuhause gewesen. Danach seien der Bruder der bP und die 2 Cousins geflüchtet. Der Vater der bP habe ihr gesagt, sie solle verschwinden, da der Name der bP in der Anzeige gestanden sei. Daraufhin sei die bP nach Karatschi gegangen. In Rawalpindi sei die bP von der Polizei festgenommen worden. Sie sei 8 Monate lang in Untersuchungshaft gewesen und sei schuldig gesprochen worden. Zudem würden Punjabis mit Paschtunen in ganz Pakistan Probleme habe. Bei einer Rückkehr in ihre Heimat, habe die bP Angst, da ihre Gegner noch immer suchen würden. Sie würden die bP töten oder neuerlich eine Anzeige erstatten. Die bP würde dann erneut ins Gefängnis kommen.
Das ho. Gericht ging im Rechtsmittelverfahren davon aus, dass die Identität der bP aufgrund der Unterlassung entsprechender Mitwirkungshandlungen an dieser nicht feststehe, insbesondere machte sie zu ihrem Alter falsche Angaben. Im konkreten Fall sei zudem darauf Bedacht zu nehmen, dass die bP angab, Unterlagen über ihre Identität vorlegen zu können. Die bP ist seiner Mitwirkungspflicht nicht nachgekommen und hat derartige Beweismittel nicht vorgelegt. Vielmehr entstand der Eindruck, dass die bP bestimmte Umstände verschleiern möchte.
Das ho. Gericht qualifizierte das Vorbringen zu den individuellen Ausreisegründen als nicht glaubhaft, zumal dieses allgemein gehalten, nicht konkret sei und eine Reihe von eklatanten Widersprüchen enthalte und wies die Beschwerde mit ho. Erk. L512 2196062-1/37E in allen Spruchpunkten ab. Seit dem Eintritt der Rechtskraft des gegenständlichen Erkenntnisses besteht in Bezug auf die bP eine durchsetz- und durchführbare Rückkehrentscheidung. Ebenso ging das ho. Gericht davon aus, dass die bP in Pakistan über eine Existenzgrundlage verfügt und keine weiteren Abschiebehindernisse vorliegen.
Im nunmehrigen Folgeantrag berief sich die bP auf die Gründe aus ihrem ersten Antrag. Sie gab vor den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 16.11.2020 an, vor 8 Monaten hätte die bP ein Fremder angerufen. Hierbei hätte sie erfahren, dass ihr Vater von den Gegnern getötet worden sei. Wo ihre Mutter sei, wisse sie seit ca. 1, 5 Jahren auch nicht. Das Haus der Familie sei in Pakistan von der Regierung gesperrt. Ihr Bruder sei auch in Pakistan verhaftet, sie hätte in Pakistan niemanden mehr, sie hätte keine Dokumente und sei in Pakistan ihre Leben in Gefahr.
I.5.1. Ab einem nicht genau datierbaren Datum betrieb die bP ihre vorzeitige Enthaftung aus der Strafhaft. Diesen Umstand teilte die bP der bB nicht mit. Mit Schreiben vom 23.9.2020 des zuständigen Strafgerichts wurde die bB in Kenntnis gesetzt, dass die bP am 16.11.2020 aus der Strafhaft entlassen wird. Die leitete hierauf das ordentliche Verfahren ein, lud am 7.10.2020 ein, sich zu einer allfällig zu verhängenden Schubhaft zu äußern und erließ in weiterer Folge den angefochtenen Schubhaftbescheid.
I.5.2. Mit dem am 19.11.2020 beim ho. Gericht eingebrachten Schriftsatz erhob die bP durch ihren bevollmächtigten Rechtsvertreter Beschwerde gegen den im Spruch angeführten Schubhaftbescheid und die seither andauernde Anhaltung in Schubhaft. Diese Beschwerde wird wie folgt begründet (Hervorhebungen und Formatierung nicht mit dem original übereinstimmend):
„…
Der BF ist Staatangehöriger Pakistan[s,] reiste im September 201 in das Bundesgebiet ein und stellte einen Antrag auf internationalen Schutz, welcher mit Bescheid des BFA vom 05.04.2018 abgewiesen wurde. Die dagegen fristgerecht eingebrachte Beschwerde wurde vom Bundesverwaltungsgericht mit Erkenntnis vom 05.12.2018 zur Zahl L512 2196062-1 abgewiesen.
Der BF war im Verfahren ste[h]ts kooperativ und wirkte am Verfahren mit. Unter anderem legte der BF dem Gericht auch seine Geburtsurkunde im Original vor.
Der BF wurde am 12.06.2019 mit Urteil des Landesgerichts XXXX zur Zahl XXXX zu einer Freiheitsstrafe von 3 Jahren verurteilt.
Vor Verhängung der Untersuchungshaft bzw. Strafhaft war der BF aufrecht gemeldet.
Am 01.10,2020 erließ die belangte Behörde eine neue Rückkehrentscheidung mit einem Einreiseverbot befristet auf 10 Jahre.
Gegen diesen Bescheid wurde Vollumfänglich Beschwerde erhoben und von der belangten Behörde, trotz dem Wissen der bevorstehenden Haftentlassung und auch der geplanten Schubhaft, erst zwei Wochen später an das BVwG übermittelt.
Der BF wurde am 16.11.2020 nach Verbüßung von über zwei Drittel seiner unbedingten Freiheitsstrafe aus der Strafhaft entlassen. Nach Entlassung aus der Strafhaft wurde der BF gemäß des angefochtenen Bescheides direkt in Schubhaft genommen. Der BF zeigt sich kooperativ, es wurde auch schon ein Quartiersplatz für ihn gesucht und gefunden weshalb jedenfalls auch ein gelinderes Mittel zwingend angesagt gewesen wäre. Im Falle des BF liegt sohin auch keine Fluchtgefahr vor.
Aufgrund der derzeitigen Ausnahmesituation (CoViD-19-Pandemie) ist allerdings nicht absehbar, wann die Vorführung des BF vor die jeweiligen Vertretungsbehörden stattfinden kann. Auch ist nicht absehbar, wann — sollte die Ausstellung eines Heimreisezertifikates möglich sein - eine Abschiebung des BF möglich ist. Der internationale Flugverkehr ist derzeit nur sehr eingeschränkt möglich bzw. teilweise nahezu komplett zum Erliegen gekommen.
Die Behörde hat das Vorliegen gelinderer Mittel nicht geprüft und den Beschwerdeführer dazu überhaupt nicht befragt. Im Falle des BF kommen insbesondere die gelinderen Mittel der periodischen Meldeverpflichtung gern § 77 Abs 3 Z 1 FPG in Betracht.
In der Schubhaft stellte der BF einen neuerlichen Asylantrag, mit Aktenvermerk wurde dem BF Verzögerungsabsicht vorgehalten und festgestellt, dass die Anhaltung in Schubhaft aufrecht bleibt.
Mit dem Erkenntnis ebenfalls vom 17.11.2020 zu GZ: L527 2196062-2 wurde der Beschwerde gegen den Bescheid vom 01.10.2020 stattgegeben und der angefochtene Bescheid ersatzlos behoben.
Da durch das Erkenntnis vom 17.11.2020 keine durchsetzbare Rückkehrentscheidung vorliegt und über den Folgeantrag noch nicht entschieden wurde, liegen die Voraussetzungen für eine Schubhaft nicht (mehr) vor.
Die Anordnung der Schubhaft sowie die Anhaltung in Schubhaft seit dem 16.11,2020 sind daher rechtswidrig. Der BF erhebt gegen die Anordnung der Schubhaft mittels Bescheid und die auf diesen Bescheid gestützte Anhaltung in Schubhaft das gegenständliche Rechtsmittel.
…
I. BEGRÜNDUNG der Beschwerde
1. Zur Rechtswidrigkeit des Schubhaftbescheides, der Anordnung der Schubhaft und der weiteren Anhaltung in Schubhaft
Sollte das Bundesverwaltungsgericht nicht zu dem Schluss kommen, dass schon wegen des Fehlens einer aufrechten Rückkehrentscheidung, so ist die Verhängung der Schubhaft und die weitere Anhaltung des BF in Schubhaft dennoch aus folgenden Gründen rechtswidrig:
1. Mangelhafte Begründung des Aktenvermerkes gern. § 76 Abs 6 FPG
Der BF stellte im Stande der Schubhaft aus Furcht vor Verfolgung bei einer Rückkehr nach Pakistan einen Antrag auf internationalen Schutz. In weiterer Folge stellte die belangte Behörde mit Aktenvermerk gern. § 76 Abs 6 FPG fest, dass davon auszugehen ist, dass der Antrag mit Verzögerungsabsicht gestellt wurde. Die Ausführungen der belangten Behörde erschöpfen sich allerdings in der Darstellung des Verfahrensganges. Es werden keine Ausführungen dazu getroffen, inwieweit sich aus dem Vorbringen der BF ergibt, dass der Asylantrag lediglich aus Verzögerungsabsicht gestellt wurde.
Selbst wenn sich aus dem Verfahrensgang ergeben könnte, dass der BF den Asylantrag mit Verzögerungsabsicht gestellt hat, muss sich die belangte Behörde auch mit den vom BF vorgebrachten Verfolgungsgründen auseinandersetzten. Im gegenständlichen Fall handelt es sich um den ersten Folgeantrag des BF. Es ist daher keinesfalls davon auszugehen, der BF hätte den Antrag auf internationalen Schutz „einzig und allein" zur Verzögerung gestellt.
In diesem Zusammenhang ist auf das Erkenntnis des VwGH vom 19.09.2019 zur Zahl 2019/21/0204 zu verweisen. Der VwGH stellt in dieser Entscheidung mit Verweis auf die Aufnahme-RL klar, dass die Schubhaft nur dann aufrecht erhalten werden darf, wenn der Asylantrag ausschließlich zum Zweck zur Verzögerung der Abschiebung gestellt wurde. Sobald jedoch weitere Gründe (auch) gegeben sind, ist der Tatbestand nicht erfüllt:
Im Gegensatz zu Art. 8 Abs. 3 fit d der Richtlinie 2013/33/EU (Aufnahme-RL) stellt der Wortlaut des § 76 Abs. 6 FrPolG 2005 nur auf die Absicht zur „Verzögerung“ der Vollstreckung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme ab; das erfasst allerdings im Sinne eines Größenschlusses ohnehin auch die beabsichtigte „Vereitelung" einer Abschiebung. Bedeutsam ist jedoch, dass im Text der nationalen Regelung - anders als in der damit umgesetzten Norm der Aufnahme-RL - nicht zum Ausdruck kommt, die beabsichtigte Verzögerung müsse der ausschließliche Grund für die Stellung des Antrags auf internationalen Schutz gewesen sein (vgl. EuGH 30.5,2013, Arslan, C 534/11; für die Zulässigkeit der Fortsetzung der Haft wurde verlangt, dass der Antrag auf internationalen Schutz „einzig und allein" zu dem Zweck gestellt wurde, den Vollzug der Rückführungsentscheidung zu verzögern oder zu gefährden) Insoweit ist somit eine unionsrechtskonforme korrigierende Auslegung vorzunehmen. Fs kann kein Zweifel bestehen, dass im Anwendungsbereich der Aufnahme-RL eine an deren Regelungen zur Haft orientierte unionsrechtskonforme Auslegung des § 76 FrPolG 2005 Platz zu greifen hat (vgl. VwGH 11.5.2017, Ro 2016/21/0021; VwGH 31.8.2017, Ro 2017/21/0004, 0013),
Im Gegensatz zu gegenständlichem Verfahren lagen im Fall, welcher der Entscheidung des VwGH zu Grunde lag, sogar mehrere Anhaltspunkte für eine Verzögerungsabsicht vor, jedoch sah der VwGH darin nicht den einzigen Grund für die Stellung des Folgeantrages:
Der Revisionswerber hatte sich zwar schon vor seiner Festnahme für längere Zeit der Abschiebung entzogen und bereits drei erfolglose Anträge auf internationalen Schutz gestellt und sich denn beim vierten Antrag im Rahmen der Ersteinvernahme wieder auf die schon bisher geltend gemachten Fluchtgründe bezogen. Außerdem stellte er diesen Antrag kurz vor seiner zum Zweck der Ausstellung eines Ersatzreisedokumentes vorgenommenen Präsentation vor den nigerianischen Botschaftsangehörigen, was aus der damaligen Sicht des Re Visionswerbers eine zeitnah bevorstehende Außerlandesbringung vermuten lassen musste. Jedoch hatte der Revisionswerber den in der Schubhaft gestellten Asylfolgeantrag auch damit begründet, dass er seine Familie in Österreich nicht im Stich lassen wolle.
[…]
Vor diesem Hintergrund wäre bei der gebotenen Begründung für die Annahme, die weitere Anhaltung in Schubhaft sei nach § 76 Abs. 6 FPG gerechtfertigt, einzubeziehen gewesen, dass der Revisionswerber den Antrag auf internationalen Schutz den diesbezüglich angegebenen Gründen zufolge auch stellte, um bei seinen Familienangehörigen in Österreich bleiben zu können. Das wäre bei verständiger Würdigung dahin zu deuten gewesen, dass der Revisionswerber auf diesem Weg im Hinblick auf die schon in der Vernehmung am 6. Juni 2019 vorgetragenen geänderten Prämissen in Bezug auf sein Familienleben in Österreich eine „Revidierung" der Rückkehrentscheidung erreichen wollte. Davon ausgehend war es nicht offensichtlich, dass der Asylfolgeantrag ausschließlich und zur Gänze missbräuchlich zur Verzögerung der Abschiebung gestellt wurde, sodass das BVwG nicht ohne Weiteres und ohne diesbezügliche Begründung die Erfüllung der Tatbestandsvoraussetzungen nach § 76 Abs. 6 FFG hätte unterstellen dürfen.
Bereits aus diesem Grund ist klar ersichtlich, dass die BF den 2. Antrag auf internationalen Schutz nicht ausschließlich und zur Gänze missbräuchlich zur Verzögerung der Abschiebung gestellt hat.
Weiters führt der VwGH aus, dass in einen Fall wie dem der Entscheidung zugrundeliegenden - wie im Anwendungsbereich des § 76 Abs 2 Z 1 FPG - eine spezielle Verhältnismäßigkeitsprüfung durchzuführen ist und dabei besonders berücksichtigt werden muss, dass durch die Asylantragstellung wieder ein Bleiberecht iSd Verfahrensrichtlinie (idR faktischer Abschiebeschutz) entsteht:
Bei dieser Verhältnismäßigkeitsprüfung wäre vom BVwG, wie schon erwähnt, zu beachten gewesen, dass dem Revisionswerber infolge des von ihm (wenn auch wiederholt) gestellten Antrags auf internationalen Schutz gemäß § 12 Abs. 1 AsylG 2005 nunmehr wieder faktischer Abschiebeschutz zukam. Demzufolge konnte der Revisionswerber bis zur (neuerlichen) Erlassung einer durchsetzbaren Entscheidung nicht abgeschoben werden. Dieser faktische Abschiebeschutz hätte in der vorliegenden Konstellation nach innerstaatlichem Recht nur gemäß § 12a Abs. 2 AsylG 2005 bei Vorliegen der dort genannten Voraussetzungen vom BFA mit Bescheid aberkannt werden können. Dass ein solcher Bescheid ergangen wäre, hat das BVwG aber nicht festgestellt Der Revisionswerber hatte demnach aufgrund des ihm zukommenden faktischen Abschiebeschutzes ein „Bleiberecht" während des Verfahrens über seinen am 13. Juni 2019 gestellten Antrag. Vor diesem Hintergrund hätte das BVwG dar Frage nachgehen müssen, wann gegenüber dem Revisionswerber mit der Erfassung einer durchsetzbaren und auch durchführbaren aufenthaltsbeendenden Maßnahme voraussichtlich zu rechnen sei.
Da es sich bei dem vom BF gestellten Antrag auf internationalen Schutz um den ersten Folgeantrag auf internationalen Schutz handelt, Kommt ihm gem. § 12 AsylG faktischer Abschiebeschutz zu.
Der Aktenvermerk des BFA vom 17.11.2020 lässt jegliche Begründung für die Anwendung des § 76 Abs 6 FPG vermissen. Es ist nicht offensichtlich, dass der Asylfolgeantrag ausschließlich und zur Gänze missbräuchlich zur Verzögerung der Abschiebung gestellt wurde. Die belangte Behörde zählt lediglich den Verfahrensgang auf, ohne sich mit den Gründen für den Antrag auf internationalen Schutz näher auseinander zu setzen. Dies wäre allerdings dringend erforderlich gewesen, da nur dadurch beurteilt hätte werden können, ob der Asylantrag ausschließlich zur Verzögerung der Abschiebung gestellt wurde. Zudem hätte sich die belangte Behörde auch damit auseinander setzten müssen, wann mit der Erlassung einer durchsetzbaren und durchführbaren aufenthaltsbeendenden Maßnahme voraussichtlich zu rechnen ist.
Daher ist die fortgesetzte Anhaltung der BF in Schubhaft aufgrund der Asylantragstellung rechtswidrig und hätte der BF jedenfalls in die Grundversorgung aufgenommen werden müssen bzw. hat sich der BF durch seine Arbeit im Gefängnis einen Arbeitslosengeldanspruch erarbeitet.
2.1. Zur Unverhältnismäßigkeit der Haft
Art 1 Abs 3 BVG zum Schutz der persönlichen Freiheit (PersFrBVG) sieht vor, dass jede Haftverhängung unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit zu prüfen ist. Bereits in seinem Erkenntnis vom 24.06.2006, B 362/06, hat der Verfassungsgerichtshof ausgesprochen, dass die gesamte Bestimmung des § 76 FPG im Lichte des aus dem Bundesverfassungsgesetz vom 29.11.1986 über den Schutz der persönlichen Freiheit erfließenden unmittelbar anwendbaren Gebots der Verhältnismäßigkeit auszulegen ist.
Die Behörde hat vorliegend rechtswidrig ihre Pflicht verletzt, darauf hinzuwirken, dass die Schubhaft so kurz wie möglich dauert bzw. dass diese überhaupt unterbleiben kann. Zudem hat die belangte Behörde bei der Verhängung der Schubhaft nicht auf die derzeitige Ausnahmesituation aufgrund des Corona-Virus (COVID-19) Rücksicht genommen.
Im Folgenden wird ausgeführt, warum die Verhängung der Schubhaft in gegenständlichem
Fall jedenfalls unverhältnismäßig ist.
Mit der Fallkonstellation Strafhaft Schubhaft hat sich auch der Verwaltungsgericht[shof] in unterschiedlichen Entscheidungen beschäftigt, denen zufolge die Behörde nach dem Verhältnismäßigkeitsgebot verpflichtet ist, die Inschub[haft]nahme nur als „ultima ratio“ anzuwenden und bei Möglichkeit abzuwenden:
„Schubhaft darf stets nur „ultima ratio* sein. Dem entspricht nicht nur die in § 80 abs 1 FrPolG 2005 ausdrücklich festgehaltene behördliche Verpflichtung, darauf hinzuwirken, dass die Schubhaft so kurz wie möglich dauere, vielmehr ist daraus auch abzuleiten, dass die Behörde (des BFA) schon von vornherein angehalten ist, im Fall der beabsichtigten Abschiebung eines Fremden ihre Vorgangsweise nach Möglichkeit so einzurichten, dass Schubhaft überhaupt unterbleiben kann. Unterlässt sie das, so wäre die Schubhaft unverhältnismäßig. Demzufolge erweist sich die Verhängung von Schubhaft zum Zweck der Sicherung der Abschiebung im Anschluss an eine Strafhaft regelmäßig als unverhältnismäßig, wenn die Fremdenpolizeibehörde (das BFA) auch zum absehbaren Ende einer Strafhaft hin mit der (versuchten) Beschaffung eines Heimreisezertifikates untätig bleibt. Das muss auch auf den Fortsetzungsantrag durchschlagen." (VwGH 15.10.2015, Ro 2015/21/0026),
„Schubhaft darf stets nur „ultima ratio” sein (vgl. E 26. August 2010, 2010/21/0234). Daraus ergibt sich nicht nur die in § 80 Abs. 1 FrPolG 2005 ausdrücklich festgehaltene behördliche Verpflichtung, darauf hinzuwirken, dass die Schubhaft so kurz wie möglich dauert, vielmehr ist daraus auch abzuleiten, dass die Behörde schon von vornherein angehalten ist, im Fall der beabsichtigten Abschiebung eines Fremden ihre Vorgangsweise nach Möglichkeit so einzurichten, dass Schubhaft überhaupt unterbleiben kann. Unterlässt sie das, so erweist sich die Schubhaft als unverhältnismäßig (vgl. E 27. Jänner 2011, 2008/21/0595). (Hier: Es ist kein Grund ersichtlich, der die Behörde daran gehindert hätte, die Ausstellung eines Heimreisezertifikates nicht bereits während der andauernden Strafhaft des Fremden zu veranlassen, anstatt erst 22 Tage später (vgl. E 23. September 2010, 2009/21/0230).)" (VwGH 19.05.2011,2008/21/0527)
Vor dem Hintergrund der angeführten Judikatur ist der Bescheid der Behörde rechtswidrig. Die Behörde hätte ihre Vorgangsweise vorliegend so einrichten müssen, dass die Schubhaft überhaupt unterbleiben kann. Die Behörde hat offenbar ein Verfahren zur Erlangung eines Heimreisezertifikates (in Folge kurz HRZ) nicht rechtzeitig vor Entlassung des BF betrieben. Da die Behörde aufgrund von § 46 StGB damit rechnen hätte können, dass der BF nach Verbüßung von 2/3 seiner Haft entlassen wird, war auch genug Zeit dafür. Zwar hat es im Jahr 2019 schon einmal einen Botschaftstermin gegeben, welcher fruchtlos verlief, aber der Vorhalt der belangten Behörde, der BF habe zugesagt Identitätsdokumente zu beschaffen, ist entgegenzuhalten, dass der BF die letzten beiden Jahre in Strafhaft verbrachte.
Obwohl der belangten Behörde weithin bekannt sein sollte, dass es aufgrund der derzeitigen Ausnahmesituation in Zusammenhang mit dem Coronavirus (CoVID-19-Pandemie) zu einer Verzögerung von Ausstellungen von Heimreisezertifikaten und auch zur Verzögerung von Abschiebungen kommen wird, hat sich die belangte Behörde damit bei der Beurteilung der Verhältnismäßigkeit nicht ausreichend auseinander gesetzt.
Der BF verfügt über kein Reisedokument und liegt derzeit auch kein Heimreisezertifikat vor.
Im angefochtenen Bescheid führt die belangte Behörde an, dass über den weiteren Verlauf der Pandemie keine verlässliche Prognose abgegeben werden kann, allerdings kommt sie im weiteren zu dem verfehlten Schluss, dass die Verhängung der Schubhaft dennoch rechtmäßig ist.
Aufgrund der Ausnahmesituation (CoViD-19-Pandemie) ist es derzeit nicht absehbar» ob der Sicherungszweck der Schubhaft - die Abschiebung - innerhalb der Schubhafthöchstdauer durchgeführt werden kann.
Zum derzeitigen Zeitpunkt ist somit unter diesen Gesichtspunkten nicht absehbar, ob in naher Zukunft oder innerhalb der höchstzulässigen Schubhaftdauer eine Abschiebung nach Pakistan möglich sein wird.
2,2. Zum Nichtvorliegen der Fluchtgefahr gem. § 76 Abs 2 Z 2 FPG und der mangelhaften Prüfung der Anwendung gelinderer Mittel
Von der Behörde ist bei der Anwendung des § 76 Abs 2 FPG zu prüfen, ob die Schubhaft notwendig ist, um die Abschiebung, Zurückschiebung oder Durchbeförderung eines Fremden zu sichern.
In allen Fällen der Verhängung von Schubhaft besteht die Verpflichtung, eine einzelfallbezogene Abwägung zwischen den öffentlichen Interessen an der Sicherung des Verfahrens und der Sicherung der persönlichen Freiheit des Betroffenen vorzunehmen. Schubhaft darf nie als Standard-Maßnahme gegenüber Asylwerbern oder Fremden angewendet werden; weder eine illegale Einreise oder das Fehlen beruflicher Integration noch der Mangel finanzieller Mittel sind für sich genommen als Schubhaftgründe zu werten (VwGH 24.10.2007, 2006/21/0239).
Hätte die belangte Behörde ein gesetzmäßiges Verfahren zur Bestimmung des Sicherungsbedarfes durchgeführt, hätte die belangte Behörde zum Schluss kommen müssen, dass im vorliegenden Fall keine ausreichenden Anhaltspunkte vorliegen, die einen Sicherungsbedarf bzw eine Fluchtgefahr iSd § 76 Abs 2 Z 2 FPG begründen.
Aus dem Verhalten des BF ergibt sich, dass keine Fluchtgefahr vor:
Zwar ist es zutreffend, dass der BF seiner Ausreiseverpflichtung bislang nicht nachgekommen ist, die fehlende Ausreisewilligkeit alleine begründet nach ständiger
Judikatur des VwGH noch keinen Sicherungsbedarf (VwGH 27.02.2007, 2006/21/0311). Zudem war der BF auch für die belangte Behörde greifbar. Der BF verfügte bis zur Verhängung der Untersuchungshaft über eine aufrechte Meldung und war danach auch in der Justizanstalt für die belangte Behörde greifbar Der BF hat auch stets am Verfahren mitgewirkt - was sich zuletzt auch daran zeigte, dass er der Aufforderung der belangten Behörde zur Stellungnahme im Verfahren betreffend Erlassung einer Rückkehrentscheidung und eines Einreiseverbotes entsprechend nachgekommen ist.
Der BF ist daher äußerst kooperativ und wurden auch bereits identitätsbezeugende Dokumente seitens des BF im Verfahren vorgelegt. Zudem gab der BF im Zuge seiner Einvernahme vom 30.03.2020 auch an, dass er bereit ist betreffend [die] Erlangung eines HRZ mit den Behörden zusammen zu arbeiten.
Zum Beweis der Kooperationsbereitschaft des BF wird die Einvernahme des BF im Rahmen
einer mündlichen Verhandlung beantragt.
Weiters wurde nicht gewürdigt, dass der BF schon die Zusage eine[s] Quartierplatzes für die Zeit nach seiner Haftentlassung hatte.
Falls diese Möglichkeit nicht gegeben gewesen wäre, hätte der BF auch bei seiner Freundin Unterkunft nehmen können und wäre auch weiterhin für die Behörden an dieser Adresse greifbar.
Der Vollständigkeit ist auszuführen, dass ein strafrechtliches Verhalten Fluchtgefahr begründen würde, zumal die Verurteilung zu einer Straftat kein Kriterium zur Bestimmung der Fluchtgefahr gern § 76 Abs 3 FPG darstellt vgl VwGH 11.05.2017, 2016/21/0021:
Festzuhalten ist in diesem Zusammenhang aber vor allem, dass es zur Erfüllung des Kriteriums de r"Fluchtgefahr" zunächst einmal - um, in den Worten des EuGH, 'den Spielraum der Behörden ... in zwingender und im Voraus erkennbarer Weise ab(zu)stecken‘ - jedenfalls des Vorliegens eines in diesem Sinne tauglichen Tatbestandes des § 76 Abs. 3 FPG bedarf. Eine derartige Tatbestandserfüllung, damit die geforderte Anknüpfung an abstrakt formulierte Umstände, stellt gleichsam den Ausgangspunkt für jegliche Annahme von "Fluchtgefahr" dar, die allerdings im Ergebnis nur dann bejaht werden kann, wenn auch eine fallbezogene Betrachtung der Gesamtsituation zu der Schlussfolgerung führt, der Fremde könnte sich dem Verfahren oder der Abschiebung durch Flucht entziehen.
Zwar dürfte ein strafbares Verhalten nach der Judikatur des VwGH im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung miteinbezogen werden. Liegt aber erst Fluchtgefahr gar nicht vor, stellt sich auch die Frage der Verhältnismäßigkeit nicht.
Der BF zeigte sich daher stets kooperationsbereit und ist gewillt mit den Behörden zusammen zu arbeiten. Aus dem bisherigen Verhalten des BF ergibt sich daher entgegen der Ansicht der belangten Behörde keine Fluchtgefahr.
Selbst bei Bestehen von Fluchtgefahr - was jedoch bestritten wird - ist das Vorliegen von Verhältnismäßigkeit eine weitere Voraussetzung für die Rechtmäßigkeit der Schubhaft,
Der VwGH führt in ständiger Judikatur aus, dass sich aus dem ultima-ratio-Prinzip ergibt, dass im Bescheid nachvollziehbar darzulegen ist, inwiefern die Anordnung der Schubhaft notwendig ist, um den Sicherungszweck zu erreichen. Der VwGH hält weiters fest: „in diesem Sinne sind auch Überlegungen darüber anzustellen, ob der Sicherungszweck bereits durch die Anwendung gelinderer Mittel gemäß § 77 FrPolG 2005 erreicht werden kann. " (VwGH 28,06.2007, 2006/21 /0Ö51),
Im angefochtenen Bescheid begründet die belangte Behörde den Ausschluss gelinderer Mittel im Wesentlichen mit textbausteinartigen Stehsätzen.
Wie bereits zuvor angeführt, hat der BF die Möglichkeit bei seiner guten Bekannten Frau xxxxxx in xxxxxx, Unterkunft zu nehmen und wäre an dieser Adresse auch für die Behörden greifbar.
Im Fall des BF wäre daher das gelindere Mittel der Anordnung der periodischen Meldeverpflichtung gern § 77 Abs 3 Z 2 FPG ausreichend.
Zudem würde auch die angeordnete Unterkunftnahme gern § 77 Abs 3 Z 1 FPG im Fall des BF in Betracht kommen. Für den Zweck der Unterkunftnahme gern § 76 Abs 3 Z 1 FPG stehen entsprechende Räumlichkeiten zur Verfügung
Mit der Anordnung eines gelinderen Mittels in Form einer periodischen Meldeverpflichtung oder der angeordneten Unterkunftnahme hätte der Sicherungszweck jedenfalls erreicht werden können. Auch wurde gegen den BF bislang kein gelinderes Mittel angeordnet. Der Vollständigkeit halber ist anzuführen, dass die Anwendung eines gelinderen Mittels der für die Durchsetzung der Abschiebung erforderlichen Befehls- und Zwangsgewalt nicht entgegen steht nd Betroffenen aufgetragen werden kann, sich für insgesamt 72 Stunden übersteigende Zeiträume an bestimmten Orten aufzuhalten (§ 77 Abs 5 FPG).
Zudem ist auch darauf hinzuweisen, dass entgegen selbst eine Obdachlosenmeldung der Erlassung eines gelinderen Mittels nicht entgegen steht, denn auch bei einer derartigen Meldung kann dem BF aufgetragen, werden sich etwa in periodischen Abständigen bei einer bestimmten Polizeiinspektion zu melden.
Der BF ist kooperationsbereit und würde einem angeordneten gelinderen Mittel Folge leisten.
Zum Beweis der Kooperationsbereitschaft des BF wird die Einvernahme des BF im Rahmen einer
mündlichen Verhandlung beantragt.
Somit erweist sich die Verhängung der Schubhaft gegenüber dem BF jedenfalls auch als unverhältnismäßig
…“
In Bezug auf die in der Beschwerdeschrift gestellten Anträge wird auf die entsprechenden Stellen im gegenständlichen Erkenntnis, wo auf diese eingegangen wird, verwiesen.
I.5.3. Mit Übermittlung der gegenständlichen Beschwerde und der anschließend erfolgten Aktenvorlage erstattete die belangte Behörde Gegenschrift, in der sie Folgendes vorbrachte (Hervorhebungen und Formatierung nicht mit dem original übereinstimmend):
„…
Wenn der BF anführt, dass derzeit keine durchsetzbare bzw durchführbare Rückkehrentscheidung besteht, so entspricht dies den Tatsachen.
Jedoch ist dem entgegen zu halten, dass bereits im Dezember 2018 eine rechtskräftige Rückkehrentscheidung bestand, wonach sein damaliger Int-Antrag zur Gänze negativ entschieden worden und die Zulässigkeit der Abschiebung festgestellt worden war.
Über die im Rahmen des EAM-Verfahren von 2019 erlassene Rückkehrentscheidung konnte das BVwG im Beschwerdeverfahren keine Inhaltliche Entscheidung treffen, da der BF noch während der laufenden Beschwerde einen neuerlichen Antrag auf internationalen Schutz stellte und somit die gesetzlichen Voraussetzungen für die Erlassung einer Rückkehrentscheidung ohne die inhaltliche Prüfung des Antrages auf internationalen Schutzes nicht mehr vorlagen.
Jedoch wurde der BF bis dato zum neuerlichen Asylverfahren nicht zugelassen. Mit heutigem Tag wird dem BF eine Ladung zur Befragung am 25.11.2020 zugestellt, wobei auch beabsichtigt ist den faktischen Abschiebeschutz abzuerkennen.
Somit wäre für den BF aufgrund der ersten negativen Asylentscheidung eine rechtskräftige Rückkehrentscheidung vorhanden.
Betreffend der Aufrechterhaltung der Schubhaft trotz Folgeantrag gem § 76 Abs 6 FPG wird ausgeführt, dass diese Entscheidung erst nach negativer 1. Prognose (keine Zulassung) erfolgte, nachdem aufgrund der Erstbefragung festgestellt werden konnte, dass der BF keine neuen Fluchtgründe vorgebracht hat. Dies wurde auch durch die 2. Prognose bestätigt.
Der BF führt weiters aus, dass es nicht absehbar sei wann eine Abschiebung erfolgen kann, sofern ein HRZ ausgestellt werden wird, da eine Vorführung derzeit kaum möglich sei.
Dem muss entgegengehalten werden, dass eine Vorführung vor die pakistanische Botschaft nicht erforderlich und auch nicht üblich ist, sofern alle Formblätter und etwaige Originaldokumente vorliegen. In gegenständlichen Fall liegt derzeit eine originale Geburtsurkunde vor. Auch kann die HRZ-Erlangung erst nach Aberkennung des faktischen Abschiebeschutzes bzw etwaiger negativer Int-Entscheidung weiter vorangetrieben werden.
Die vom BF behauptete verspätete Vorlage an den BVwG betreffend einer Entscheidung im EAM-Verfahren ( XXXX ) und die damit zu Unrecht unterstellte Verzögerung in diesem Verfahren hat der BF durch die Asylantragsstellung selbst konterkariert, da die Entscheidung im EAM-Verfahren somit obsolet wurde.
Weiters bestand und besteht gegen den BF bereits eine rechtskräftige Rückkehrentscheidung aus dem Asylverfahren ( XXXX ) und der BF verzögerte selbst durch den neuerlichen Antrag auf int. Schutz eine anstehende Abschiebung, umso mehr ist die Verzögerung und die Absicht der Vereitelung der Abschiebung offensichtlich, da der BF genau zum Zeitpunkt der Aushändigung des Schubhaftbescheides zur Sicherung der Abschiebung und da ihm damit deutlich Gewahr wurde, dass eine Abschiebung zeitnah bevorstand, einen neuen Antrag auf int. Schutz stellte.
Wenn der BF behauptet, dass ein Gelinderes Mittel (Meldeverpflichtung) auslangen würde um eine etwaige Abschiebung zu sichern, so muss dem folgendes entgegengehalten werden:
In der Stellungnahme zu gegenständlichem ordentlichen Bescheid vom 20.10.2020 führt der BF aus, dass er keine Familie in Österreich habe, bezüglich einer Wohnung lediglich mit dem Verein Neustart in Kontakt sei, jedoch noch keinen Wohnsitz nachweisen konnte, da er erst eine Wohnung hätte finden müssen.
Er spricht in seiner Stellungnahme auch von etwaigen Rücklagen aufgrund der Beschäftigung während der Haft, macht jedoch keine Angaben über die Höhe des Betrages.
Auch führt der BF in seiner Stellungnahme an, dass er nicht freiwillig nach Pakistan zurückkehren wolle. Allein schon diese Aussage begründet eine massive Fluchtgefahr.
Aufgrund dieser Stellungnahme war nicht ersichtlich woraufhin man das Gelindere Mittel hätte anwenden können.
In der Beschwerde führt der BF dann aus, dass er bei seiner Freundin (Name und Adresse wurden nicht angegeben) und auch eventuell bei einer guten Bekannten (Name und Adresse wurden nicht angegeben) Unterkunft nehmen könne.
Aus den in der Stellungnahme gemachten Angaben, kann keinerlei Verankerung in Österreich festgestellt werden, die ein etwaiges Untertauchen nach Haftentlassung verhindern würde. Vielmehr ist aufgrund der Ausreiseunwilligkeit von der entscheidenden Behörde davon auszugehen, dass er sich zum Zweck der Abschiebung den Behörden nicht freiwillig zur Verfügung halten wird, auch nicht bei einer etwaigen Anordnung zur Unterkunftnahme wie in der Beschwerde angeführt wird.
Auch seine Angaben im Beschwerdeschreiben sind keine Angaben zu entnehmen die von der entscheidenden Behörde geprüft werden könnten, da er zwar eine Freundin und eine Bekannte anführt jedoch keine Angaben macht, die Rückschlüsse auf diese Personen zulassen.
Unterstellt man, dass die von ihm im Beschwerdeverfahren erwähnten Personen tatsächlich existieren und es sich auch um zuverlässige Personen handelt, so muss dennoch entgegengehalten werden, dass sich der BF bisher nicht als zuverlässig erwiesen hat und weder bis Folgeantragstellung seiner Ausreiseverpflichtung nachgekommen ist und auch angibt nach wie vor nicht ausreisewillig zu sein. Zur Verhängung eines gelinderen Mittels ist in erster Linie die Zuverlässigkeit der Partei und nicht nur der Bezugspersonen erforderlich. Schon eine Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe in der Höhe von 3 Jahren lässt den BF nicht als zuverlässig erscheinen und musst bei Verhängung der Schubhaft mit berücksichtigt werden.
Davon abgesehen stellte er die Zuverlässigkeit der Bezugspersonen in keiner Weise dar, noch macht er so genaue Angaben, dass dies für die Behörde prüfbar wäre.