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19/05 Menschenrechte;Norm
FrG 1993 §17 Abs1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Pokorny und die Hofräte Dr. Sulyok, Dr. Robl, Dr. Rosenmayr und Dr. Baur als Richter, im Beisein des Schriftführers Regierungsrat Dr. Hanel, über die Beschwerde des S in H, vertreten durch Dr. A, Rechtsanwalt in L, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Oberösterreich vom 20. Oktober 1995, Zl. St 84/95, betreffend Ausweisung, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.890,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
Mit der vorliegenden Beschwerde wird ein Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Oberösterreich vom 20. Oktober 1995 angefochten, mit welchem gegen den Beschwerdeführer, einen bosnischen Staatsbürger, gemäß § 17 Abs. 1 des Fremdengesetzes (FrG) die Ausweisung verfügt wurde. Diese Entscheidung wurde im wesentlichen damit begründet, daß der Beschwerdeführer sich seit 1975 im Bundesgebiet aufhalte und ihm nach mehrmaligen Sichtvermerkserteilungen zuletzt von der Bezirkshauptmannschaft Linz-Land ein bis zum 30. Juni 1994 gültiger Sichtvermerk erteilt worden sei. Der Beschwerdeführer habe am 24. Februar 1995 angegeben, daß er mangels eines bosnischen Reisepasses sich nicht um die rechtzeitige Verlängerung seiner Aufenthaltsbewilligung hätte kümmern können. Zu den persönlichen Verhältnissen des Beschwerdeführers sei anzuführen, daß er ledig und seit 1975 im Gebiet der Republik Österreich aufhältig sei. Nach seinen eigenen Angaben vom 7. März 1995 sei er derzeit als Unterpächter in einem von seiner Schwester gepachteten Gastlokal tätig. Er habe nach seinen eigenen Angaben die Schul- und Berufsausbildung in Österreich genossen. Der Beschwerdeführer halte sich nicht rechtmäßig im Bundesgebiet auf, weil ihm seit Ablauf des ihm zuletzt erteilten Sichtvermerkes weder ein Sichtvermerk, noch eine Bewilligung nach dem Aufenthaltsgesetz erteilt worden sei. Diese Tatsache werde von ihm auch nicht bestritten, sondern mit dem Umstand erklärt, daß ihm mangels eines entsprechenden Reisepasses die Erteilung eines weiteren Sichtvermerkes verwehrt würde. Aufgrund der Tatsache, daß sich der Beschwerdeführer mit seiner Familie in Österreich aufhalte und hier auch seine Schul- und Berufsbildung genossen habe, werde durch die verfügte Ausweisung mit Sicherheit in erheblicher Weise in sein Privat- und Familienleben eingegriffen. Er halte sich jedoch seit mehr als einem Jahr illegal in Österreich auf. Bereits ein mehrmonatiger unrechtmäßiger Aufenthalt, vor allem aber auch das weitere Verbleiben eines Fremden im Bundesgebiet nach und trotz Ablaufes seines Sichtvermerkes oder seiner Bewilligung nach dem Aufenthaltsgesetz gefährde die öffentliche Ordnung in hohem Maße, die Ausweisung sei demnach zur Wahrung der öffentlichen Ordnung dringend geboten. Aus der von dem Beschwerdeführer angeführten Antragstellung um Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft seien keine Bemühungen seinerseits erkennbar, seinen derzeitigen illegalen Aufenthalt zu legalisieren. Ein geordnetes Fremdenwesen sei für den österreichischen Staat von eminentem Interesse. Dies umsomehr, als in einer Zeit, in der, wie in jüngster Vergangenheit unübersehbar geworden, der Zuwanderungsdruck kontinuierlich zunehme. Um den mit diesen Phänomenen verbundenen, zum Teil gänzlich neuen Problemstellungen in ausgewogener Weise Rechnung tragen zu können, gewönnen die für Fremde vorgesehenen Rechtsvorschriften zunehmend an Bedeutung. Den für die Einreise und den Aufenthalt getroffenen Regelungen und deren Beachtung durch die Normadressaten komme aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung ein sehr hoher Stellenwert zu.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, mit welcher die Aufhebung des angefochtenen Bescheides wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit sowie wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften beantragt wird.
Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und beantragte die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde. Von der Erstattung einer Gegenschrift sah sie ab.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Der Beschwerdeführer hält den angefochtenen Bescheid deswegen für rechtswidrig, weil es nicht zu seinen Lasten gehen könne, wenn ihm die ausländische Vertretung für "Restjugoslawien" eine Verlängerung seines Reisepasses deswegen verweigere, weil er aus der bosnischen Teilrepublik stamme und ihm vom bosnischen Konsulat der von ihm beantragte bosnische Reisepaß mit der Begründung verwehrt werde, daß er derzeit über einen jugoslawischen ("serbischen") Reisepaß verfüge. Zum besseren Verständnis dieser ablehnenden Haltung des bosnischen Konsulates verweist der Beschwerdeführer darauf, daß sein Herkunftsort (Okrec, Sanskimost) im umkämpften Gebiet liege und nach der augenblicklichen Aufteilung dieser Teilrepublik dem serbischen Besitzanspruch zufalle. Der Beschwerdeführer hätte daher praktisch keine andere Möglichkeit, seinen Aufenthalt zu legalisieren, als umgehend um die Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft anzusuchen.
Die Ausweisung sei aber bereits im Grunde des § 19 FrG unzulässig. Die belangte Behörde habe nicht berücksichtigt, daß sich der Beschwerdeführer seit seinem fünften Lebensjahr, nunmehr seit mehr als zwanzig Jahren ununterbrochen in Österreich aufhalte und sämtliche seiner Familienangehörigen (auch seine Eltern, seine Schwester) österreichische Staatsbürger seien, sowie daß er ausschließlich in Österreich sowohl privat als auch beruflich integriert sei, in Österreich seine Schul- und Berufsausbildung abgeschlossen habe, bislang in Österreich als Kellner gearbeitet habe und derzeit als Unterpächter erwerbstätig sei. Er habe sich in Österreich nie etwas zuschulden kommen lassen. Ein Aufenthaltsverbot hätte nach § 20 FrG nicht erlassen werden dürfen. Auch lägen die Voraussetzungen des § 17 Abs. 2 Z. 5 FrG nicht vor. Die belangte Behörde hätte seine Schwester zum Thema seiner Erwerbstätigkeit einvernehmen müssen.
Gemäß § 17 Abs. 1 FrG sind Fremde mit Bescheid auszuweisen, wenn sie sich nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten; hiebei ist auf § 19 Bedacht zu nehmen. Nach letzterer Vorschrift ist die Erlassung einer Ausweisung nur zulässig, wenn dies zur Erreichung der in Art. 8 Abs. 2 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten genannten Ziele "dringend geboten ist".
Die Beschwerde ist im Ergebnis berechtigt. Zwar ist es Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, daß ein unrechtmäßiger Aufenthalt eines Fremden in Österreich eine erhebliche Beeinträchtigung der öffentlichen Ordnung hinsichtlich der für die Einreise und den Aufenthalt von Fremden im Bundesgebiet regelnden Vorschriften darstellt. Gegenüber diesem öffentlichen Interesse haben verschiedentlich private und familiäre Interessen von Fremden mit rechtswidrigem Aufenthalt im Bundesgebiet gemäß § 19 FrG zurückzutreten und ist gemäß § 17 Abs. 1 FrG eine Ausweisung auszusprechen, zumal sich ansonsten bei Abstandnahme von der Erlassung einer Ausweisung Fremde mit unrechtmäßigem Aufenthalt durch die bloße Dauer eines unrechtmäßigen Aufenthaltes auch ein Recht dazu verschaffen könnten (vgl. dazu etwa das hg. Erkenntnis vom 28. September 1995, Zl. 95/18/1172). Dies bedeutet jedoch noch nicht, daß bei Anwendung des § 19 FrG das öffentliche Interesse an der Beendigung eines unrechtmäßigen Aufenthaltes stets höher zu bewerten sei als die privaten und familiären Interessen des betroffenen Fremden. Eine derartige Auslegung würde dem § 19 FrG jeden Anwendungsbereich entziehen, was dem Gesetzgeber jedoch nicht unterstellt werden kann. Wenn gemäß § 19 FrG die Erlassung einer Ausweisung nur zulässig ist, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 MRK genannten Ziele "dringend geboten ist", so bedeutet dies, daß die Ausweisung zur Erreichung zumindest eines dieser Ziele ein "zwingendes soziales Bedürfnis" im Sinne der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte darstellen muß (vgl. die Hinweise bei Mayer, B-VG, 1994, 447, und das hg. Erkenntnis vom 4. Dezember 1996, Zl. 96/21/0444). Dies ist vorliegend nicht der Fall. Vielmehr hat die belangte Behörde in Verkennung der Rechtslage den privaten und familiären Interessen des zum Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides 25-jährigen Beschwerdeführers, der sich seit seinem fünften Lebensjahr - auch nach den Feststellungen der belangten Behörde - weitgehend rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten und hier die Schule besucht und eine Berufsausbildung abgeschlossen hat sowie familiär integriert ist, in Anwendung des § 19 FrG geringeres Gewicht beigemessen als den öffentlichen Interessen daran, daß sich der Beschwerdeführer nicht rechtswidrig im Bundesgebiet aufhält. Die belangte Behörde hätte sich im übrigen nicht einmal ohne weiteres darauf berufen können, daß der Beschwerdeführer wegen der Versäumung der Frist zur Stellung eines Antrages auf Verlängerung seiner Bewilligung nach dem Aufenthaltsgesetz gemäß § 6 Abs. 2 i.V.m. § 13 Abs. 1 des Aufenthaltsgesetzes einen derartigen Antrag vom Inland aus nicht stellen hätte können. Im Lichte des in Art. 8 MRK gewährleisteten Rechts auf Achtung des Privat- und Familienlebens führt nämlich bei Antragstellern, die sich jahre- bzw. jahrzehntelang im Bundesgebiet aufgehalten haben oder bei denen spezifische private oder familiäre Interessen vorliegen, eine relativ kurze Versäumung der Frist nicht zum Untergang des Rechts auf Verlängerung einer Bewilligung gemäß § 4 Abs. 1 und § 6 Abs. 2 zweiter Satz AufG (vgl. dazu das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 16. Juni 1995, B 1611-1614/94, sowie des Verwaltungsgerichtshofes vom 20. März 1996, Zl. 95/21/0714).
Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG i. V.m. der Verordnung des Bundeskanzlers BGBl. Nr. 416/1994. Die Abweisung des Mehrbegehrens beruht darauf, daß an Stempelgebühren nur insgesamt S 390,-- zu entrichten waren.
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1997:1995211144.X00Im RIS seit
20.11.2000