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41/02 Staatsbürgerschaft, Pass- und Melderecht, Fremdenrecht, AsylrechtNorm
BVG-Rassendiskriminierung ArtI Abs1Leitsatz
Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander durch die in Folge der Aufhebung durch den Verfassungsgerichtshof ergangene weitere Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts betreffend die Nichtzuerkennung des subsidiären Schutzstatus an eine Familie irakischer Staatsangehöriger; Verkennung der Bindungswirkung durch den Spruch, dass im ausgesprochenen "Umfang aufgehoben und die darin vertretene Rechtsansicht hergestellt" wird sowie mangelnde Auseinandersetzung mit der Situation im Herkunftsstaat und der Situation MinderjährigerSpruch
I. Die Beschwerdeführer sind durch das angefochtene Erkenntnis im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz BGBl Nr 390/1973) verletzt worden.
Das Erkenntnis wird aufgehoben.
II. Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, den Beschwerdeführern zuhanden ihres Rechtsvertreters die mit € 3.531,60 bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Entscheidungsgründe
I. Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren
1. Die Beschwerdeführer, alle irakische Staatsangehörige, stammen aus der Provinz Diyala und sind sunnitisch-muslimischen Glaubens. Sie stellten am 26. August 2015 Anträge auf internationalen Schutz. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl wies diese Anträge mit Bescheiden vom 16. März 2018 jeweils sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch hinsichtlich des Status des subsidiär Schutzberechtigten als unbegründet ab, erteilte keine Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen die Beschwerdeführer Rückkehrentscheidungen, stellte fest, dass die Abschiebungen in den Irak zulässig sind, und setzte jeweils eine 14-tägige Frist zur freiwilligen Ausreise.
2. Die gegen diese Bescheide erhobenen Beschwerden wies das Bundesverwaltungsgericht nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung mit Erkenntnis vom 13. Februar 2020 als unbegründet ab. Eine asylrelevante Verfolgung schloss das Bundesverwaltungsgericht mangels glaubhaften Fluchtvorbringens aus. Auch die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten erachtete das Bundesverwaltungsgericht für nicht gegeben.
3. Gegen diese Entscheidung erhoben die Beschwerdeführer gemäß Art144 B-VG Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof. Mit Erkenntnis vom 8. Juni 2020, E883/2020 ua, hob der Verfassungsgerichtshof das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 13. Februar 2020 wegen Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander insoweit auf, als es sich jeweils auf die Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten und – daran anknüpfend – auf die Nichterteilung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen, die Erlassung einer Rückkehrentscheidung, die Feststellung der Zulässigkeit der Abschiebung und die Setzung einer 14-tägigen Frist für die freiwillige Ausreise bezog. Die Behandlung der Beschwerde, soweit sich diese jeweils auf die Nichtzuerkennung des Status des Asylberechtigten richtete, lehnte der Verfassungsgerichtshof ab.
4. Im fortgesetzten Verfahren sprach das Bundesverwaltungsgericht über die Beschwerden mit dem nunmehr angefochtenen Erkenntnis vom 14. Juli 2020 im Spruchpunkt A) Folgendes aus:
"Die Bescheide vom 16.03.2018, Zlen 1087573302-151366375, 1087573803-151366405, 1087574408-151366421, 1087574604-151366430, 1087575209-151366472, 1087575307-151366515, 1087575503-151366529, werden in dem mit Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofs vom 08.06.2020, Zl E883-889/2020-12, aufgezeigten Umfang aufgehoben und die darin vertretene Rechtsansicht hergestellt."
In Spruchpunkt B) erklärte es die Revision für nicht zulässig.
Zu Spruchpunkt A) führte das Bundesverwaltungsgericht unter der Rubrik "Rechtliche Beurteilung" Folgendes aus:
"Gemäß §87 Abs2 VfGG, BGBl I Nr 85/1953 idgF. sind die Verwaltungsgerichte und die Verwaltungsbehörden im Fall der Stattgebung einer Beschwerde verpflichtet, in der betreffenden Rechtssache den der Rechtsanschauung des Verfassungsgerichtshofs entsprechenden Rechtszustand herzustellen.
Anlassbezogen hat der Verfassungsgerichtshof mit dem Bezug habenden Erkenntnis vom 08.06.020, Zl E883-889/2020-12, den gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 13.02.2020, 1.) Zl G305 2192712-1/11E, 2.) G305 2192712-1/12E, 3.) G305 2192715-1/14E, 4.) G305 2192706-1/14E, 5.) G305 2192709-1/12E, 6.) G305 2192716-1/12E und 7.) G305 2192717-1/12E erhobenen Beschwerden der beschwerdeführenden Parteien teilweise Folge gegeben, indem ausgesprochen wurde, dass die Beschwerdeführer durch das angefochtene Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes, soweit damit die Beschwerden gegen die Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Irak gegen die Nichterteilung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen gegen die Erlassung einer Rückkehrentscheidung, gegen den Ausspruch, dass die Abschiebung in den Irak zulässig ist und gegen die Festsetzung einer vierzehntägigen Frist zur freiwilligen Ausreise abgewiesen werde, im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander verletzt worden sei, weshalb das Erkenntnis insoweit aufgehoben werde und sprach aus, dass die Behandlung der Beschwerde im Übrigen abgelehnt werde.
Seine Entscheidung begründete der VfGH im Kern damit, dass die Beschwerdeführer durch das angefochtene Erkenntnis, soweit damit deren Beschwerden gegen die Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Irak, gegen die Nichterteilung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen, gegen die Erlassung einer Rückkehrentscheidung, gegen den Ausspruch, dass die Abschiebung in den Irak zulässig ist und gegen die Festsetzung einer vierzehntägigen Frist zur freiwilligen Ausreise abgewiesen werden, im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz BGBl 390/1973) verletzt worden sei, weshalb das Erkenntnis in diesem Umfang aufzuheben gewesen sei.
Dabei stützt sich das Höchstgericht auf angebliche Fehler, die dem Bundesverwaltungsgericht bei seiner Entscheidung hinsichtlich der Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten unterlaufen wären und unterstellt dem Bundesverwaltungsgericht, sein vor dem Verfassungsgerichtshof in Beschwerde gezogenes Erkenntnis 'mit Willkür behaftet' zu haben. Zudem unterstellte der Verfassungsgerichtshof, dass das erlassene Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts im Widerspruch zum Bundesverfassungsgesetz über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl Nr 390/1973, stehe.
Spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen hat der Verfassungsgerichtshof in seinem vom Bundesverwaltungsgericht nunmehr umzusetzenden Erkenntnis erkennbar nicht angestellt.
Der Verfassungsgerichtshof hat sein Erkenntnis vom 08.06.2020, Zl E883-889/2020-12, im Rahmen der Sonderverwaltungsgerichtsbarkeit gemäß Art144 Abs1 B-VG erlassen.
Die Bestimmung des Art144 Abs1 B-VG hat folgenden Wortlaut:
[…]
Nach dieser Bestimmung ist der Verfassungsgerichtshof ermächtigt, über Beschwerden gegen das Erkenntnis eines Verwaltungsgerichtes, soweit der Beschwerdeführer durch das Erkenntnis in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht oder wegen Anwendung einer gesetzwidrigen Verordnung, einer gesetzwidrigen Kundmachung über die Wiederverlautbarung eines Gesetzes (Staatsvertrages), eines verfassungswidrigen Gesetzes oder eines rechtswidrigen Staatsvertrages in seinen Rechten verletzt zu sein behauptet, zu erkennen.
In seinem Erkenntnis vom 08.06.2020 hat sich der Verfassungsgerichtshof nach eigenen Angaben und auch erkennbar nicht damit auseinandergesetzt, ob die Beschwerdeführer durch das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht und, wenn ja, in welchem, bzw wegen Anwendung einer gesetzwidrigen Verordnung, einer gesetzwidrigen Kundmachung über die Wiederverlautbarung eines Gesetzes (Staatsvertrag), eines verfassungswidrigen Gesetzes oder eines rechtswidrigen Staatsvertrages verletzt wurden, weshalb er sich damit in Widerspruch zu Art144 B-VG gesetzt hat.
Zwar vertritt der Gerichtshof die Anschauung, dass das in Beschwerde gezogene Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes gegen das Bundesverfassungsgesetz vom 3. Juli 1973, BGBl Nr 390/1973, verstoße bzw im erlassenen Erkenntnis ein willkürliches Verhalten des Verwaltungsgerichtes zu erblicken sei; eine Begründung, worin nun der Verstoß gegen das zitierte Bundesverfassungsgesetz besteht bzw wie und worin die (fremden) Beschwerdeführer durch das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts im Vergleich mit anderen Fremden verletzt worden sein sollen, bleibt er allerdings schuldig. Ungeachtet dieser dem Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofs anhaftenden Fehler wird nicht verkannt, dass selbst Erkenntnisse dieser Art vom Verwaltungsgericht umzusetzen sind.
Aus den angeführten Gründen war daher spruchgemäß zu entscheiden."
5. Gegen dieses Erkenntnis richten sich die vorliegenden, auf Art144 B-VG gestützten Beschwerden, in denen die Verletzung in näher bezeichneten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des Erkenntnisses beantragt wird. Begründend wird vorgebracht, dass das Bundesverwaltungsgericht mit dem pauschalen Verweis auf die Rechtsansicht des Verfassungsgerichtshofes §59 AVG nicht entsprochen habe, da gänzlich unklar bleibe, welche Rechtsposition den Beschwerdeführern zukomme, und entgegen seiner aus §87 Abs2 VfGG resultierenden Verpflichtung keine ergänzenden Ermittlungen zur Situation von Minderjährigen im Irak sowie zur Situation in Diyala angestellt habe.
6. Das Bundesverwaltungsgericht und das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl haben die Gerichts- und Verwaltungsakten vorgelegt. Das Bundesverwaltungsgericht hat von der Erstattung einer Gegenschrift abgesehen.
Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl hat zu E2912/2020 ua und zu E2976/2020 ua Äußerungen erstattet, in denen es dem Beschwerdevorbringen mit folgender Begründung beitritt:
"Gemäß §59 Abs1 AVG, der nach §17 VwGVG im Verfahren vor den Verwaltungsgerichten sinngemäß anzuwenden ist, hat der Spruch (eines Erkenntnisses) die in Verhandlung stehende Angelegenheit in möglichst gedrängter deutlicher Fassung zu erledigen. Die Entscheidung muss dem Gebot der hinreichenden Bestimmtheit entsprechen (vgl VwGH 21.09.2017, Ra 2016/22/0068, Punkt 8.1.). Diesem Bestimmtheitsgebot entspricht der Spruch des angefochtenen Erkenntnisses aber nicht, weil nicht klar ist, ob das BVwG die Bescheide des BFA ersatzlos oder gemäß §28 Abs3 VwGVG zur Erlassung neuerlicher Bescheide aufheben wollte. Es ist auch nicht klar, ob es den Anträgen auf internationalen Schutz stattgeben oder diese abweisen wollte.
Vor dem Hintergrund des §7 Abs2 BFA-VG musste das BVwG aufgrund der Aufhebung seines Vorerkenntnisses durch den Verfassungsgerichtshof in der Sache entscheiden. Eine Aufhebung und Zurückverweisung gemäß §28 Abs3 VwGVG wäre daher rechtswidrig. Eine ersatzlose Aufhebung wäre im vorliegenden Fall auch rechtswidrig, weil damit die Anträge auf internationalen Schutz der Bf unerledigt blieben. Das BVwG hätte daher über die Berechtigung der Anträge auf internationalen Schutz in Bezug auf die Zuerkennung von subsidiärem Schutz absprechen müssen. Dass sich das BVwG für diese Möglichkeit entschieden hätte bzw ob es den Anträgen auf internationalen Schutz stattgegeben hat oder diese abweisen wollte, ist aber nicht klar. Dies insbesondere auch vor dem Hintergrund, dass die Begründung keine Feststellungen und keine rechtliche Beurteilung enthält, anhand derer sich diese Frage beantworten ließe.
Für das BFA ist die den Bf aufgrund des angefochtenen Erkenntnisses zukommende Rechtsposition daher nicht klar. In concreto ist nicht klar, ob das BFA den Bf eine Karte für subsidiär Schutzberechtigte gemäß §52 AsylG ausstellen muss (weil den Anträgen auf internationalen Schutz [teilweise] stattgegeben wurde), es die Bf abschieben muss (weil die Beschwerden abgewiesen wurden und die vom BFA erlassenen Rückkehrentscheidungen damit rechtskräftig wurden), es neuerliche Rückkehrentscheidungen gemäß §52 Abs1 Z1 FPG erlassen muss (weil die Bescheide des BFA ersatzlos aufgehoben wurden, somit die Bf nicht mehr Asylwerber iSd §2 Abs1 Z14 AsylG sind, sondern unrechtmäßig aufhältige Fremde iSd §52 Abs1 Z1 FPG) oder weitere Ermittlungen zur Berechtigung der Anträge auf internationalen Schutz der Bf durchführen muss (weil das BVwG die Angelegenheiten zur Erlassung neuer Bescheide zurückverwiesen hat).
Abschließend soll noch angemerkt werden, dass das BVwG zwei weitere im Wesentlichen gleichlautende Erkenntnisse erließ. Gegen diese Erkenntnisse vom 10.08.2020, G305 2188858-1/29E, und 11.08.2020, G305 2178160-1/32E ua, wurden vom BFA Amtsrevisionen an den Verwaltungsgerichtshof erhoben. Die beiden Ersatzerkenntnisse erließ das BVwG in fortgesetzten Verfahren, nachdem seine ersten Erkenntnisse mit Erkenntnissen des Verfassungsgerichtshofes vom 25.09.2018, E1764-1771/2018, bzw 26.02.2019, E4766/2018, aufgehoben worden waren."
II. Erwägungen
Die in sinngemäßer Anwendung der §§187 und 404 ZPO iVm §35 Abs1 VfGG zur gemeinsamen Beratung und Entscheidung verbundenen, zu E2912/2020 ua und E2976/2020 ua protokollierten Beschwerden sind zulässig und begründet.
1. Der Verfassungsgerichtshof hat im Erkenntnis vom 8.6.2020, E883/2020 ua, wie folgt dargelegt, dass das Bundesverwaltungsgericht im ersten Rechtsgang die Ermittlungstätigkeit in entscheidungswesentlichen Punkten unterlassen und damit sein Erkenntnis vom 13. Februar 2020 mit Willkür belastet hat:
"Indem sich das Bundesverwaltungsgericht im Hinblick auf die minderjährigen Sechst- und Siebtbeschwerdeführerinnen auf die Aussage beschränkt, sie könnten wie ihre in Diyala lebenden Cousins und Cousinen die Schule besuchen, aber keine Feststellungen zur Situation von Minderjährigen im Irak, insbesondere zur Lage in der Provinz Diyala trifft, hat es die gebotene Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt unterlassen.
[…] Ferner hat es das Bundesverwaltungsgericht im Hinblick auf sämtliche Beschwerdeführer unterlassen, die in der Provinz Diyala bzw in der konkreten Herkunftsregion der Beschwerdeführer vorherrschende Sicherheitslage mit der individuellen Situation der Beschwerdeführer in Beziehung zu setzen. Einer solchen Auseinandersetzung kommt im vorliegenden Fall insofern besondere Bedeutung zu, als der UNHCR die 'dringende Empfehlung' ausgesprochen hat, auf eine zwangsweise Rückführung von Personen, die unter anderem aus vormals vom IS kontrollierten Gebieten stammen – dies trifft auf die Provinz Diyala zu –, zu verzichten (UNHCR, Erwägungen zum Schutzbedarf von Personen, die aus dem Irak fliehen, Mai 2019, S 131 f. und S 149; vgl zur Indizwirkung der UNHCR-Erwägungen VwGH 13.12.2018, Ra 2018/18/0533; 13.2.2020, Ra 2019/19/0245). Das Bundesverwaltungsgericht verweist zwar auf in der Provinz Diyala aufhältige Familienmitglieder und setzt sich mit den Lebensumständen der Beschwerdeführer vor ihrer Ausreise auseinander, begründet aber nicht, warum entgegen der Darstellung der Sicherheitslage in dem im Erkenntnis angeführten Länderinformationsblatt bzw in den Erwägungen des UNHCR eine Rückkehr in die Provinz Diyala keinen Bedenken hinsichtlich Art2 und Art3 EMRK begegnet (vgl VfGH 25.2.2020, E3356/2019 ua)."
Derartige Ermittlungsfehler eines Verwaltungsgerichtes reichen nach ständiger Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes in die Verfassungssphäre und belasten sein Erkenntnis in den einschlägigen Spruchpunkten mit Willkür (zB VfSlg 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001), weshalb der Verfassungsgerichtshof mit seinem Erkenntnis vom 8. Juni 2020, E883/2020 ua, das genannte Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 13. Februar 2020 insoweit aufgehoben hat, soweit sich dieses jeweils auf die Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten und – daran anknüpfend – auf die Nichterteilung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen, die Erlassung einer Rückkehrentscheidung bzw auf die Zulässigerklärung der Abschiebung in den Herkunftsstaat Irak unter Setzung einer Frist zur freiwilligen Ausreise bezieht.
2. Das Bundesverwaltungsgericht trifft in dem im fortgesetzten Verfahren ergangenen, nunmehr angefochtenen Erkenntnis vom 14. Juli 2020 zunächst unter der Rubrik "Feststellungen" folgende Ausführungen zur (potentiellen) Situation der Beschwerdeführer im Herkunftsstaat:
"Der BF1 und die BF2 haben in Diyala verbliebene Familienangehörige, der BF1 eine Schwester mit drei zur Schule gehenden minderjährigen Kindern, die zusammen mit dem geistig behinderten Bruder des BF1 in gemeinsamem Haushalt zusammenleben und ihren Lebensunterhalt mit der Witwenpension der Schwester des BF1 bestreiten können; die BF2 ihre Eltern und zwei Schwestern sowie zwei Brüder samt Familie, die jeweils alle in einem eigenen Haus wohnen, wobei die schulpflichtigen Kinder der Geschwister der BF2 zur Schule gehen und manche ihrer Geschwister bereits verheiratet sind und die Brüder der BF2 im Gegensatz zu den verheirateten Schwestern, die in einer traditionellen Familienstruktur leben, einer Erwerbstätigkeit nachgehen.
Die bfP halten den Kontakt zu ihren im Irak verbliebenen Familienangehörigen über Telefon und Internet aufrecht.
Während die bfP in ihrem Herkunftsstaat noch familiäre Anknüpfungspunkte haben, haben sie abgesehen von einem Bruder und einem Cousin der BF2, zu welchen die BF2 lediglich Telefonkontakt, jedoch keine darüber hinausgehendes (Abhängigkeits-) Verhältnis hat, in Österreich keinen weiteren familiären Anknüpfungspunkte. In der mündlichen Verhandlung vor dem BVwG gab die BF2 auf die Frage, ob sie von ihrem Bruder oder ihrem Cousin unterstützt werde, ausdrücklich an: 'Nein; ich lebe in einer Unterkunft und dort bekomme ich Grundversorgung' [VH-Niederschrift vom 19.12.2019[…]]. Lediglich in Schweden lebt noch ein Bruder der BF2.
[…] Die im Herkunftsstaat - in Diyala - aufhältigen Familienangehörigen der bfP können sich auf dieselbe Art und Weise versorgen, wie es diesen selbst vor ihrer Ausreise aus dem Herkunftsstaat selbst möglich war. So haben die bfP vor ihrer Ausreise aus dem Herkunftsstaat Lebensmittel in nahegelegenen kleinen Geschäften eingekauft und vorwiegend Wasser aus dem nahegelegenen Fluss zum Trinken und Kochen verwendet. Der BF1 hat seiner Familie zudem, wenn er in Bagdad gearbeitet hat, auch Wasser in Flaschen aus Bagdad mitgebracht.
Im Herkunftsstaat konnten die bfP den Lebensunterhalt vorwiegend vom Erwerbseinkommen des BF1 als Taxifahrer bestreiten. Dabei ist hervorzuheben, dass die BF3 und BF4 von 2011 bis 2015 durch ihre Arbeit als Tischler selbsterhaltungsfähig waren. In Österreich lebt die Familie ausschließlich von Mitteln aus der staatlichen Unterstützung (sohin von Leistungen aus der staatlichen Grundversorgung). Vor ihrer Ausreise war die BF2 Hausfrau und nicht erwerbstätig."
In der Folge finden sich unter dieser Rubrik im angefochtenen Erkenntnis weiters Ausführungen zu den Fluchtgründen der Beschwerdeführer (was im Hinblick auf die Rechtskraft des diesbezüglichen Spruchpunktes des Erkenntnisses des Bundesverwaltungsgerichtes vom 13. Februar 2020 nicht erklärlich ist) und zu den Aktivitäten der Beschwerdeführer im Bundesgebiet.
Unter der Rubrik "Beweiswürdigung" findet sich im angefochtenen Erkenntnis ausschließlich der Hinweis, dass sich das unter der Rubrik "Verfahrensgang" geschilderte Verfahrensgeschehen aus dem unzweifelhaften und unbestrittenen Akteninhalt des Verwaltungsaktes des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl und des vorliegenden Gerichtsaktes des Bundesverwaltungsgerichtes ergebe. Beweiswürdigende Aussagen zu den Ausführungen des Bundesverwaltungsgerichtes unter der Rubrik "Feststellungen" erfolgen nicht.
Unter der Rubrik "Rechtliche Beurteilung" folgen zu Spruchpunkt A) des angefochtenen Erkenntnisses (s dessen Wiedergabe oben unter Punkt I.4.) die oben (ebenfalls unter Punkt I.4.) wiedergegebenen Enunziationen des Bundesverwaltungsgerichtes.
Das angefochtene Erkenntnis schließt mit formelhaften Ausführungen zu Spruchpunkt B) (Unzulässigkeit der Revision) und einer Rechtsmittelbelehrung.
3. Nach der mit VfSlg 13.836/1994 beginnenden, nunmehr ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s etwa VfSlg 14.650/1996 und die dort angeführte Vorjudikatur; weiters VfSlg 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein – auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes – Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.
Diesem einem Fremden durch ArtI Abs1 leg.cit. gewährleisteten subjektiven Recht widerstreitet eine Entscheidung, wenn sie auf einem gegen diese Bestimmung verstoßenden Gesetz beruht (vgl zB VfSlg 16.214/2001), wenn das Verwaltungsgericht dem angewendeten einfachen Gesetz fälschlicherweise einen Inhalt unterstellt hat, der – hätte ihn das Gesetz – dieses als in Widerspruch zum Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, stehend erscheinen ließe (s etwa VfSlg 14.393/1995, 16.314/2001) oder wenn es bei Erlassung der Entscheidung Willkür geübt hat (zB VfSlg 15.451/1999, 16.297/2001, 16.354/2001 sowie 18.614/2008).
Ein willkürliches Verhalten des Verwaltungsgerichtes, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außerachtlassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001).
Ein willkürliches Vorgehen des Verwaltungsgerichtes liegt insbesondere auch dann vor, wenn das Verwaltungsgericht die Entscheidung mit Ausführungen begründet, denen jeglicher Begründungswert fehlt (s VfSlg 18.925/2009 mwN; weiters VfSlg 13.302/1992, 14.421/1996, 15.451/1999, 15.743/2000, 17.642/2005 und VfGH 10.10.2018, E1805/2018 ua).
4. Derartige, in die Verfassungssphäre reichende Fehler sind dem Bundesverwaltungsgericht gehäuft unterlaufen:
4.1. Das Bundesverwaltungsgericht hat im fortgesetzten Verfahren ein Ermittlungsverfahren in den für das Bundesverwaltungsgericht entscheidungswesentlichen Punkten unterlassen und damit Willkür geübt. Weder trifft es im Hinblick auf die minderjährigen Beschwerdeführerinnen Feststellungen zur Situation von Minderjährigen im Herkunftsstaat, insbesondere zur Lage in der Provinz Diyala, noch setzt es sich ermittelnd mit der in dieser Provinz bzw in der konkreten Herkunftsregion der Beschwerdeführer vorherrschenden Sicherheitslage auseinander oder setzt diese zur individuellen Situation der Beschwerdeführer in Beziehung.
4.2. Das angefochtene Erkenntnis ist willkürlich, weil begründungslos ergangen. Den oben unter Punkt I.4. wiedergegebenen Enunziationen des Bundesverwaltungsgerichtes, die dieses zum maßgeblichen Spruchpunkt A) unter der Rubrik "Rechtliche Beurteilung" tätigt, kommt in Bezug auf die vom Bundesverwaltungsgericht zu entscheidende Sache kein Begründungswert zu.
4.3. Nach §87 Abs2 VfGG sind die Verwaltungsgerichte und die Verwaltungsbehörden verpflichtet, dann, wenn der Verfassungsgerichtshof einer Beschwerde stattgegeben hat, in der betreffenden Rechtssache mit den ihnen zu Gebote stehenden rechtlichen Mitteln unverzüglich den der Rechtsanschauung des Verfassungsgerichtshofes entsprechenden Rechtszustand herzustellen.
Die Verwaltungsgerichte bzw Verwaltungsbehörden sind demnach bei Erlassung der Ersatzentscheidung an die vom Verfassungsgerichtshof im ersten Rechtsgang geäußerte Rechtsansicht gebunden. Diese Verpflichtung besteht für die die Aufhebung der Entscheidung tragenden Gründe bzw die zugrunde liegenden rechtlichen Bewertungen des Verfassungsgerichtshofes. Ein bei Erlassung der Ersatzentscheidung begangener Verstoß gegen dieses Gebot verletzt den Beschwerdeführer – bei unveränderter Sach- und Rechtslage – in demselben Recht wie die im ersten Rechtsgang erlassene und vom Verfassungsgerichtshof aufgehobene Entscheidung (zB VfSlg 6043/1969, 18.404/2008, 18.908/2009; VfGH 22.9.2020, E1868/2020).
Das Bundesverwaltungsgericht wäre daher – worauf die Beschwerdeführer und das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl in ihren Schriftsätzen übereinstimmend und zurecht hinweisen – gehalten gewesen, die für die Beantwortung der zunächst maßgeblichen Rechtsfrage, ob die Beschwerdeführer im Falle ihrer Rückkehr in eine existenz- oder lebensbedrohliche Lage im Sinne der Art2 und 3 EMRK geraten würden, erforderlichen Ermittlungen insbesondere zur Sicherheitslage in der Provinz Diyala bzw in der konkreten Herkunftsregion der Beschwerdeführer im Allgemeinen und zur Sicherheits- und Versorgungssituation von Minderjährigen in dieser Provinz im Besonderen anzustellen und in der Folge rechtlich begründet über die Anträge auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten zu entscheiden.
Mit der unter Spruchpunkt A) des angefochtenen Erkenntnisses – begründungslos (s Punkt II.4.2.) – getroffenen Entscheidung kommt das Bundesverwaltungsgericht dieser aus §87 Abs2 VfGG folgenden gesetzlichen Verpflichtung in keiner Weise nach. Mit dem Ausspruch, dass die vor dem Bundesverwaltungsgericht angefochtenen Bescheide in dem vom Verfassungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 8. Juni 2020 "aufgezeigten Umfang aufgehoben und die darin vertretene Rechtsansicht hergestellt" wird, bleibt völlig offen, ob das Bundesverwaltungsgericht die Bescheide ersatzlos beheben oder gemäß §28 Abs3 VwGVG an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverweisen oder ob es den Anträgen auf internationalen Schutz stattgeben oder diese abweisen wollte. Es bleibt auf Grund der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes gänzlich unklar, welche Rechtsposition den Beschwerdeführern zukommen soll.
Das Bundesverwaltungsgericht verkennt damit seine rechtliche Verpflichtung aus §87 Abs2 VfGG in jeder Hinsicht, verstößt gegen diese Bestimmung und verletzt somit die Beschwerdeführer im fortgesetzten Verfahren neuerlich in ihrem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander.
4.4. Schließlich ist festzuhalten, dass das Bundesverwaltungsgericht mit der von ihm gemäß Spruchpunkt A) des angefochtenen Erkenntnisses getroffenen Entscheidung auch die Anforderungen des §59 Abs1 AVG iVm §17 VwGVG (dazu, dass der Spruch eines verwaltungsgerichtlichen Erkenntnisses die in Verhandlung stehende Angelegenheit in möglichst gedrängter deutlicher Fassung zu erledigen und dabei dem Gebot der hinreichenden Bestimmtheit zu entsprechen hat, s. nur VwGH 22.2.2018, Ra 2017/22/0125; 12.3.2020, Ra 2019/01/0484) und diejenigen des §28 Abs2 VwGVG (wonach das Bundesverwaltungsgericht grundsätzlich in der Sache selbst zu entscheiden hat, vgl nur VwGH 25.9.2019, Ra 2018/09/0211 mwN) gröblich verkannt und auch insoweit sein Erkenntnis mit Willkür belastet hat.
5. Das angefochtene Erkenntnis ist somit offensichtlich nicht einmal ansatzweise darauf ausgerichtet, eine rechtskonforme Erledigung der Sache herbeizuführen. Das Erkenntnis übt Willkür. Es ist aufzuheben.
III. Ergebnis
1. Die Beschwerdeführer sind durch das angefochtene Erkenntnis im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz BGBl 390/1973) verletzt worden.
Das Erkenntnis ist daher aufzuheben.
2. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von € 588,60 sowie ein Streitgenossenzuschlag in der Höhe von € 763,– enthalten. Da die Beschwerdeführer gemeinsam durch einen Rechtsanwalt vertreten sind, ist der einfache Pauschalsatz, erhöht um einen entsprechenden Streitgenossenzuschlag zuzusprechen. Ein Ersatz der Eingabengebühr ist nicht zuzusprechen, weil die Beschwerdeführer Verfahrenshilfe (auch) im Umfang des §64 Abs1 Z1 lita ZPO genießen.
Schlagworte
Ersatzentscheidung, Bindung (der Verwaltungsgerichte an VfGH), Asylrecht / Vulnerabilität, Ermittlungsverfahren, Kinder, RückkehrentscheidungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2020:E2912.2020Zuletzt aktualisiert am
24.02.2021