TE Vwgh Erkenntnis 1962/3/22 0424/60

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 22.03.1962
beobachten
merken

Index

Arbeitsrecht
40/01 Verwaltungsverfahren
60/03 Kollektives Arbeitsrecht

Norm

AVG §3 litb
BRG
BRG §14 Abs1 Z9
BRG §2 Abs3 lita

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Präsidenten Dr. Guggenbichler und die Räte Dr. Krzizek, Penzinger, Dr. Striebl und Dr. Kadecka als Richter, im Beisein des Polizeikommissärs Dr. Primmer als Schriftführer, über die Beschwerde der Aktiengesellschaft D in W gegen den Bescheid des Einigungsamtes Leoben vom 27. Jänner 1960, Zl. Re 64/59, betreffend Einsichtnahme des Betriebsrates in die Lohn- und Gehaltslisten eines Betriebes, nach durchgeführter Verhandlung, und zwar nach Anhörung des Vortrages des Berichters sowie der Ausführungen des Vertreters der Beschwerde, Rechtsanwalt Dr. Theodor Peschaut, und des Vertreters der mitbeteiligten Partei, Rechtsanwalt Dr. Helmut Pokorny, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Begründung

Mit dem angefochtenen Bescheide stellte die belangte Behörde auf Grund des vom Angestelltenbetriebsrat des Werkes S der Beschwerdeführerin gemäß § 26 lit. a des Betriebsrätegesetzes, BGBl. Nr. 97/1947, (BRG) gestellten Antrages fest, daß der Angestelltenbetriebsrat des Werkes S befugt ist, im Sinne des § 14 Abs. 1 Z. 9 BRG auch in die Gehaltslisten der Angestellten Dipl.Ing. JK, Dipl.Ing. EL, AS und Ing. FS, bei der Generaldirektion des beschwerdeführenden Unternehmens Einsicht zu nehmen. Dieser Entscheidung liegt folgender Sachverhalt zugrunde: Die Beschwerdeführerin ist eine Aktiengesellschaft mit dem Sitz in W. Sie unterhält u.a. in S einen Betrieb zur Erzeugung von Sprengmitteln und Sprengkapseln. Diesem Betriebe steht ein Betriebsleiter (Werksdirektor) vor. Der Betrieb ist in vier Abteilungen gegliedert, nämlich in die Sprengmittelerzeugung, die Sprengkapselerzeugung, die technische Abteilung und die kaufmännische Verwaltung. Die Leiter dieser vier Abteilungen, um deren Gehaltslisten der Streit geht, sind seit Jahren ausschließlich im Werke S tätig. Ihre Personalagenden werden einschließlich der Gehaltslisten gleich denen des Werksdirektors und zum Unterschiede von den übrigen Angestellten und Arbeitern des Werkes S nicht dort, sondern in der Zentrale des Unternehmens, in W geführt. Dem Begehren des Angestelltenbetriebsrates des Werkes S, in die Gehaltslisten der vier Abteilungsleiter Einsicht zu nehmen, hatte sich die Beschwerdeführerin mit dem Hinweis darauf widersetzt, daß die Abteilungsleiter leitende Angestellte seien, denen maßgeblicher Einfluß auf die Betriebsführung zustehe, weshalb sie den Bestimmungen des Betriebsrätegesetzes nicht unterlägen. Davon abgesehen sei eine allfällige Einsichtnahme in die Gehaltslisten dieser Personen nicht Sache des Betriebsrates des Werkes S, sondern des Betriebsrates der Zentrale des Unternehmens in W. Schließlich wurde die örtliche Zuständigkeit des vom Betriebsrat angerufenen Einigungsamtes Leoben bestritten. In der Begründung des angefochtenen Bescheides setzt sich die belangte Behörde mit diesen Einwendungen ausführlich auseinander und kommt zu dem Ergebnis, daß sie nicht stichhaltig seien.

In der Verwaltungsgerichtshofbeschwerde wird dagegen folgendes ausgeführt:

1.) Zur Frage der örtlichen Zuständigkeit, des Einigungsamtes:

Da das Begehren des Betriebsrates darauf gerichtet sei, bei der Generaldirektion des Unternehmens in W Akteneinsicht zu nehmen, handle es sich nicht um einen Streit zwischen dem Betriebsrat und der Betriebsführung des Werkes S, sondern um eine Angelegenheit, die zwischen dem Betriebsrate des Werkes S und der Generaldirektion des Unternehmens in W auszutragen sei. Da sich somit der Anspruch nicht gegen den Betrieb S richte, könne gemäß § 3 Abs. 1 lit. b AVG 1950 nur das Einigungsamt Wien zur Entscheidung örtlich zuständig sein.

2.) Zur Frage der Aktivlegitimation:

Die Aufgaben und Befugnisse des Betriebsrates seien nach dem Betriebsrätegesetz auf den Betrieb abgestellt. Nach § 14 Abs. 1 Z. 9 BRG habe der Betriebsrat das Recht, in die vom Betriebe geführten Lohn- und Gehaltslisten Einsicht zu nehmen. Da die Gehaltslisten der vier in Frage stehenden Angestellten unbestrittenermaßen nicht im Betriebe S, sondern in Wien geführt werden, erstrecke sich die Ingerenz des Betriebsrates des Werkes S nicht auf diese Listen.

3.) Zur Frage der Anwendbarkeit des Betriebsrätegesetzes:

Die Ansicht des Einigungsamtes Leoben, daß den in Frage kommenden vier Abteilungsleitern kein maßgebender Einfluß auf die Betriebsführung zustehe, sei unrichtig. Im angefochtenen Bescheide werde die Meinung vertreten, daß von einem maßgeblichen Einfluß auf die Betriebsführung nur gesprochen werden könne, wenn den betreffenden Angestellten alle nachgenannten Funktionen zugewiesen seien:

a) das Recht auf betriebstechnischem, kaufmännischem oder administrativem Gebiet unter eigener Verantwortung Verfügungen zu treffen, sodaß ihm im Betriebe eine gleiche Stellung wie einem Unternehmer zukommt,

b) das Recht, ohne an Weisungen des Betriebsinhabers gebunden zu sein, sämtliche Arbeiten selbständig zu leiten,

c) das Recht, selbständig Personal aufzunehmen, zu kündigen oder zu entlassen,

d) das Recht, selbständig Dispositionen über den Ein- und Verkauf zu treffen,

e) die Ermächtigung, Neuanschaffungen von Gegenständen der Betriebs- und Geschäftsausstattung zu besorgen.

Diese Meinung treffe möglicherweise auf ein Kleinunternehmen zu, niemals aber könnten alle diese Funktionen bei einem Großunternehmen, insbesondere einer Aktiengesellschaft, von einer einzigen Person ausgeübt werden. Vielmehr seien die Agenden der Betriebsführung notwendigerweise zwischen den Vorstandsmitgliedern geteilt. Gleichwohl sei die Unternehmereigenschaft der Vorstandsmitglieder, denen entweder die kaufmännische, die technische, die administrative, die finanzielle oder die juristische Leitung obliege, unbestritten. Wenn das Betriebsrätegesetz über die Vorstandsmitglieder und Direktoren hinaus auch die leitenden Angestellten aus dem Anwendungsbereiche des Gesetzes herausnahm, so sei der maßgebende Gesichtspunkt für diese Maßnahme darin zu erblicken, daß Angestellte in gehobener Stellung, deren Interessen denen des Unternehmers gleichgelagert seien, zu den übrigen Arbeitnehmern in einem Interessengegensatz stünden. Der moderne Großbetrieb stelle einen organischen Wirtschaftskörper dar, der aus einzelnen einander gleichgeordneten Betriebseinheiten zusammengesetzt sei. Um ein geordnetes Zusammenspiel zu gewährleisten, sei es erforderlich, daß gewisse Fragen, wie insbesondere die Preisgestaltung, die Planung, der Ein- und Verkauf sowie die Personalpolitik von einer zentralen Stelle, nämlich dem Unternehmer selbst geführt und auf einander abgestimmt werden, Den Leitern der einzelnen Betriebe komme jedoch im Rahmen des Gesamtkomplexes eine sehr ausschlaggebende Bedeutung zu. Von ihren Fähigkeiten, ihrem Einfluß, ihrem Wissen und ihrer Erfahrung sowie von ihrer Verantwortung hänge es ab, ob der Teilbetrieb und damit auch das gesamte Unternehmen selbst seine Aufgaben erfüllen könne. Die Funktion der Betriebsleiter stelle sie interessenmäßig an die Seite des Unternehmers und hebe sie über die Interessensphäre der übrigen Arbeitnehmer hinaus. Im Falle der vier Abteilungsleiter des Werkes S habe die belangte Behörde selbst anerkannt, daß es sich um leitende Angestellte handle. Sie habe ferner festgestellt, daß diese Personen auf einer Reihe von Gebieten selbstfindig und allein verantwortlich seien. Daß diese leitenden Angestellten nicht alle in der Entscheidung angeführten Funktionen ausüben, sei mit der arbeitsteiligen Organisation eines Großunternehmens zwangsläufig verbunden. Bei richtiger rechtlicher Beurteilung komme es aber darauf gar nicht an. Entscheidend sei vielmehr, daß wenigstens eine der angeführten Funktionen selbständig und alleinverantwortlich ausgeübt werde. Dies treffe in allen vier Fällen zu, da die leitenden Angestellten in wichtigen und grundsätzlichen Fragen ihrer Abteilung unter eigener Verantwortung Verfügungen zu treffen hätten. Die Beschwerde hebt neben einem allgemeinen Hinweis auf die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens in diesem Zusammenhang insbesondere hervor: Jeder der beiden die Erzeugung leitenden Angestellten habe jene Rohmaterialien und Hilfsmaterialien zu bestellen bzw. anzufordern, die er für die von ihm durchzuführende Produktion benötige. Er habe allein zu entscheiden, welche Mengen und welche Qualitätseigenschaften diese Materialien besitzen müssen. Er habe sie auch vor Verwendung auf das Zutreffen dieser Eigenschaften zu prüfen. Desgleichen müsse er die Arbeitskräfte hinsichtlich ihrer Brauchbarkeit für sein Arbeitsgebiet beurteilen. Er sei für die gute Ausführung der erzeugten Produkte verantwortlich. Auch der Leiter der technischen Abteilung trage die Verantwortung für die Bereitstellung der Ersatzmaterialien, für die erforderlichen Maschinenleistungen, die Wärmeerzeugung usw. Er trage die Verantwortung für die Koordinierung der einzelnen Abteilungen. Daß die administrative Durchführung vom Unternehmen selbst besorgt werde, sei im Rahmen eines Großunternehmens eine Selbstverständlichkeit. Aufgabe des administrativen Leiters sei es, die personalrechtlichen und administrativen Arbeiten im Sinne der gesetzlichen Bestimmungen nach den ihm vom Unternehmer gegebenen Richtlinien durchzuführen. Im Rahmen der Richtlinien sei er allein dafür verantwortlich, daß die Maßnahmen im Interesse des Unternehmers getroffen werden. Abschließend wird in der Beschwerde auf das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 12. Juni 1951, Slg. N.F. Nr. 2148/A, verwiesen. Wenn dieses Erkenntnis auch nicht ein Großunternehmen betreffe, so sei darin dennoch nicht davon die Rede, daß der maßgebende Einfluß der leitenden Angestellten „das Recht der alleinigen Unternehmerfunktion, bedürfe“. Es komme vielmehr darauf an, daß auf einem Teilgebiet unter eigener Verantwortung eine Tätigkeit im Betrieb ausgeübt werde, die in die Interessensphäre der übrigen Dienstnehmer eingreife. Dies treffe in den vorliegenden Fällen zu.

Über die Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof erwogen:

1.) Zur Frage der örtlichen Zuständigkeit:

Das Betriebsrätegesetz selbst enthält nur Bestimmungen über die sachlich zur Entscheidung von Streitigkeiten zuständige Behörde, und zwar im § 26. Nach lit. a dieses Paragraphen sind die Einigungsämter u.a. berufen, Entscheidungen über Streitigkeiten aus der Geschäftsführung der Organe der Betriebsvertretung zu fällen. Um eine solche Streitigkeit handelt es sich im vorliegenden Falle, da die Frage der Ausübung des dem Betriebsrat im § 14 Abs. 1 Z. 9 BRG eingeräumten Rechtes zur Diskussion steht. Die örtliche Zuständigkeit der Einigungsämter wird mangels einer im Betriebsrätegesetz enthaltenen Sondervorschrift durch die allgemeine Regelung des § 3 AVG 1950 bestimmt, welches Gesetz gemäß Art. I Abs. 2 A Z. 9 des Einführungsgesetzes zu den Verwaltungsverfahrensgesetzen (EGVG) in der Fassung der Novelle BGBl. Nr. 92/1959 auf das Verfahren vor den Einigungsämtern Anwendung zu finden hat. (Vor dem Inkrafttreten dieser EGVG-Novelle ergab sich die gleiche Rechtslage auf Grund der im § 22 Abs. 7 der Einigungsamts-Geschäftsordnung, BGBl. Nr. 218/1947; enthaltenen Verweisung auf die Bestimmungen des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes (AVG).) Nach § 3 lit. b AVG 1950 richtet sich die örtliche Zuständigkeit in Sachen, die sich auf den Betrieb einer Unternehmung oder sonstigen dauernden Tätigkeit beziehen, nach dem Ort, an dem das Unternehmen betrieben oder die Tätigkeit ausgeübt wird oder werden soll. Bei dem vom Betriebsrat gestellten Verlangen nach Einsicht, in die Lohn- und Gehaltslisten von Dienstnehmern handelt es sich jedenfalls um eine Sache, die sich auf den Betrieb einer Unternehmung bezieht, weil sich dieses Verlangen der Betriebsvertretung auf das Betriebsrätegesetz stützt und somit der Durchsetzung der vom Gesetzgeber der Betriebsvertretung übertragenen Aufgaben dient, die gemäß § 3 Abs. 1 BRG entweder in der Wahrung der betrieblichen Interessen der Dienstnehmer oder in der Mitwirkung an der Führung und Verwaltung des Betriebes bestehen. Strittig im heutigen Beschwerdefalle ist ja auch nicht die Heranziehung des § 3 lit. b AVG 1950 zur Lösung der Zuständigkeitsfrage, sondern nur die Auslegung dieser Bestimmung insofern, ob sich das vom Betriebsrat gestellte Begehren auf den Betrieb des Werkes S bezieht, weil die vier Angestellten, deren Akten eingesehen werden sollen, dort beschäftigt sind, oder auf den Betrieb der Zentrale des Unternehmens in W, weil die Akten dort geführt werden. Der Verwaltungsgerichtshof hält die Auffassung der belangten Behörde für richtig. Denn die Akteneinsicht dient ja nur dem Zweck, die Gehaltsverhältnisse von vier Angestellten zu erheben, die unbestrittenermaßen seit Jahren ausschließlich im Werke S beschäftigt sind. Der Betriebszugehörigkeit der Dienstnehmer muß aber nach dem Aufbau, Sinn und Zweck des Betriebsrätegesetzes die entscheidende Bedeutung zuerkannt werden (vgl. hiezu das hg. Erkenntnis vom 27. Oktober 1960, Zl. 166/59, auf dessen Begründung unter Erinnerung an Art. 19 Abs. 4 der Geschäftsordnung des Verwaltungsgerichtshofes, BGBl. Nr. 220/1952, verwiesen wird). Daher kann dem Umstande, daß die Personalakten dieser Angestellten in einem anderen Betriebe, nämlich in der Zentrale in W geführt werden, keine entscheidende Bedeutung zugemessen werden. Mithin ist an der örtlichen Zuständigkeit des Einigungsamtes Leoben zur Entscheidung über den vom Betriebsrat eingebrachten Antrag nicht zu zweifeln.

2.) Zur Frage der Aktivlegitimation:

Die Beschwerdeführerin ist im Recht, wenn sie darauf hinweist, daß die Aufgaben und Befugnisse des Betriebsrates auf den konkreten Betrieb abgestellt sind. Gerade daraus ergibt sich aber, daß die Aufgaben und Befugnisse des Betriebsrates, die sich auf die Person eines bestimmten Dienstnehmers beziehen, nur vom Betriebsrat jenes Betriebes wahrgenommen werden können, dem der Dienstnehmer als Beschäftigter angehört. Wenn die Beschwerdeführerin zur Stützung ihrer Ansicht, daß der Betriebsrat des Werkes S zur Antragstellung nicht befugt sei, auf den Wortlaut des § 14 Abs. 1 Z. 9 BRG verweist, wonach der Betriebsrat das Recht hat, in die „vom Betrieb geführten“ Lohn- und Gehaltslisten und die dazugehörigen Unterlagen Einsicht zu nehmen, so scheint ihr eine rein wörtliche Auslegung dieser Bestimmung recht zu geben. Es liegt jedoch auf der Hand, daß eine rein wörtliche Interpretation dem Sinne dieser Gesetzesstelle nicht gerecht zu werden vermag. Hätte es doch sonst jeder Unternehmer, der mehrere Betriebe führt, in der Hand, die Durchsetzung des Rechtes des Betriebsrates auf Einsichtnahme dadurch unmöglich zu machen, daß er die Lohn- und Gehaltsverrechnung der Dienstnehmer eines Betriebes jeweils in einem anderen Betriebe durchführen läßt. Es kann daher bei Beachtung des Sinnes und Zweckes des Betriebsrätegesetzes nicht darauf ankommen, wo die Lohn- und Gehaltslisten geführt werden, vielmehr muß als entscheidend für die Befugnis des Betriebsrates zur Einsichtnahme in diese Listen angesehen werden, ob sie für Angehörige des betreffenden Betriebes geführt werden. Aus dieser Erwägung muß das Recht des Angestelltenbetriebsrates des Werkes S, die Einsichtnahme in die Gehaltslisten der in diesem Werke beschäftigten Angestellten zu verlangen, anerkannt werden, auch wenn diese Listen nicht im Betriebe S selbst geführt werden.

3.) Zur Frage der Dienstnehmereigenschaft der Abteilungsleiter im Sinne des Betriebsrätegesetzes:

Nach § 2 Abs. 3 lit. a BRG gelten nicht als Dienstnehmer im Sinne des Betriebsrätegesetzes Direktoren und leitende Angestellte, denen maßgebender Einfluß auf die Betriebsführung zusteht. Eine Begriffsbestimmung des „leitenden Angestellten“ und des „maßgebenden Einflusses auf die Betriebsführung“ enthält das Gesetz nicht. Aus den Motivenberichten (Nr. 320 und 344 der Beilagen zu den stenographischen Protokollen des Nationalrates V. G.P.) geht aber deutlich hervor, daß der Gesetzgeber nur solche Personen vom Anwendungsbereich des Betriebsrätegesetzes ausnehmen wollte, die berufen sind, auf betriebstechnischem, kaufmännischem oder administrativem Gebiet unter eigener Verantwortung Verfügungen zu treffen, die auf die Betriebsführung von maßgeblichem Einfluß sind. Der Gesetzgeber selbst vertritt im Motivenberichte die Ansicht, daß eine einschränkende Auslegung am Platz ist. Im gegenständlichen Falle hat die belangte Behörde festgestellt, daß die vier Angestellten, in deren Gehaltslisten der Betriebsrat Einsicht nehmen will - es handelt sich um den Leiter der Sprengmittelerzeugung, den Leiter der Sprengkapselerzeugung, den Leiter der technischen Abteilung und den Leiter der kaufmännischen Abteilung des Werkes S -, vom Werksdirektor Dipl.Ing. H weitgehend abhängig sind, welch letzterer wiederum der Generaldirektion in W untersteht. Dies kommt darin zum Ausdruck, daß keiner der Abteilungsleiter befugt ist, selbständig Personal aufzunehmen oder zu kündigen, wenn ihnen auch ein Vorschlagsrecht in diesen Belangen zusteht, das weitgehend berücksichtigt wird. Auch über Gehaltsfragen der Angestellten und Arbeiter entscheidet der Werkedirektor im Einvernehmen mit der Zentrale in W. Bloß die vorausgehenden Verhandlungen werden von den Abteilungsleitern mit den Vertretern des Betriebsrates bzw. den Meistern geführt. Urlaub und sonstige Abwesenheit der Abteilungsleiter bedarf der Genehmigung des Werksdirektors. Auch bei Neuanschaffung von Einrichtungen und Maschinen haben die Abteilungsleiter bloß ein Vorschlagsrecht; es obliegt ihnen die Erstellung der Pläne, doch werden die Entscheidungen von der Generaldirektion in W getroffen. Außergewöhnliche Ausgaben kann nicht einmal der Werksdirektor ohne Zustimmung der Generaldirektion genehmigen. Bei der Bestellung von Rohmaterialien kommt den Abteilungsleitern nur die Prüfung der in Aussicht genommenen Waren hinsichtlich Qualität und Eignung zu. Die Preisgestaltung und die Auswahl der Lieferfirmen sind Sache der Zentrale in W. Was insbesondere den kaufmännischen Verwalter betrifft, so erhält er seine Weisungen für die Geschäftsführung vom Werksdirektor, dem er zu berichten hat und beratend zur Seite steht. Nach der „allgemeinen Betriebsordnung für das Sprengstoffwerk der N-AG - Werk S.“ obliegt dem Werksdirektor allein die Bestellung der Abteilungsleiter, Meister, ihrer Stellvertreter, der Vorarbeiter sowie die Einstellung der nötigen Arbeitskräfte. Er ist in grundsätzlichen Fragen verantwortlich für den Gang der Erzeugung, die Menge und Zusammensetzung der Sprengstoffe für die Rohstoffreinheit, die Lagerung von Säuren und feuergefährlichen Stoffen, die Sicherungsmaßnahmen und die Vornahme von Reparaturen an Maschinen und Werkseinrichtungen. Die Abteilungsleiter sind ihm für die Durchführung der aufgezählten Agenden verantwortlich. Darüber hinaus sind sie zur Einteilung der Arbeitskräfte zuständig und haben die Durchführung der vom Werksdirektor erlassenen Anordnungen zu überwachen.

Legt man diese von der belangten Behörde getroffenen und in der Beschwerde nicht als unrichtig bezeichneten Feststellungen der rechtlichen Beurteilung zugrunde, so kann es dahingestellt bleiben; ob tatsächlich alle im angefochtenen Bescheid allgemein angeführten Kriterien in der Person eines leitenden Angestellten, dem maßgebender Einfluß auf die Betriebsführung zusteht, zusammentreffen müssen. Denn die in den obigen Feststellungen zum Ausdruck kommende Rechtsstellung der Abteilungsleiter zeigt, daß ihnen auf keinem Gebiet eine gleichwertige Stellung zukommt wie dem Unternehmer. Daher mangelt es an der vom Verwaltungsgerichtshof in dem bereits zitierten Erkenntnis Slg. N.F. Nr. 2148/A/1951 aufgestellten wesentlichen Voraussetzung für die Anerkennung der Abteilungsleiter als leitende Angestellte, denen maßgeblicher Einfluß auf die Betriebsführung zusteht. Es muß daher der belangten Behörde jedenfalls im Endergebnis zugestimmt werden, daß die vier Abteilungsleiter des Werkes S auf Grund der Bestimmung des § 2 Abs. 3 lit. a BRG vom Anwendungsbereich dieses Gesetzes nicht ausgenommen sind. Wenn in der Beschwerde zunächst allgemein behauptet wird, es sei festgestellt worden, daß die Abteilungsleiter auf gewissen entscheidenden Gebieten unter eigener Verantwortung Verfügungen treffen und bestimmte entscheidende Arbeiten selbständig zu leiten hätten, so vermögen diese Ausführungen mangels Konkretisierung gegenüber den vorangeführten ins Einzelne gehenden Feststellungen der belangten Behörde nicht zu überzeugen. Der in den weiteren Beschwerdeausführungen enthaltene Hinweis darauf, daß die Abteilungsleiter Roh- und Hilfematerialien zu bestellen bzw. anzufordern, deren Menge und Qualität zu bestimmen und zu prüfen sowie die Eignung der Arbeitskräfte festzustellen hätten, geht ebenso fehl, weil es sich bei den angeführten Agenden nur um eine - vom Unternehmerstandpunkt aus gesehen - Hilfstätigkeit handelt, die dazu dient, die Grundlagen und Voraussetzungen für die vom Werksdirektor bzw. der Zentrale zu treffenden Entscheidungen zu schaffen. Auch in dem von der Beschwerde besonders hervorgehobenen Umstande, daß jeder Abteilungsleiter für das reibungslose Funktionieren der ihm unterstellten Abteilung verantwortlich ist, stellt kein Kriterium für die Ausübung eines maßgebenden Einflusses auf die Betriebsführung des Unternehmens dar, weil eine solche Verantwortung jeden Dienstnehmer in gehobener Stellung trifft. Endlich sei darauf hingewiesen, daß sich der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung des Begriffes der leitenden Angestellten, denen maßgebender Einfluß auf die Betriebsführung zusteht, in voller Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes befindet. Dieser hat in seinem Urteil vom 15. Juni 1951, Zl. 4 Ob 67/51 (abgedruckt in der Sammlung arbeitsrechtlicher Entscheidungen unter Nr. 5297), einen Kollektivprokuristen, der während der Abwesenheit des Chefs in dringenden Fällen sogar zu dessen Vertretung befugt war, im übrigen aber eine im wesentlichen nur beratende Tätigkeit bei betriebswichtigen Maßnahmen ausübte, nicht unter die leitenden Angestellten, denen maßgebender Einfluß auf die Betriebsführung zusteht, eingereiht.

Die in der Beschwerde gegen die Gesetzmäßigkeit des angefochtenen Bescheides vorgebrachten Argumente erwiesen sich aus den dargelegten Gründen als nicht stichhältig. Die Beschwerde mußte daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG 1952 als unbegründet abgewiesen werden.

Wien, am 22. März 1962

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1962:1960000424.X00

Im RIS seit

24.02.2021

Zuletzt aktualisiert am

24.02.2021
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten