TE Vwgh Beschluss 2021/1/22 Ra 2020/21/0457

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Veröffentlicht am 22.01.2021
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Index

10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)
10/07 Verfassungsgerichtshof
10/07 Verwaltungsgerichtshof
19/05 Menschenrechte
41/02 Asylrecht
41/02 Passrecht Fremdenrecht
64/05 Sonstiges besonderes Dienstrecht und Besoldungsrecht

Norm

BFA-VG 2014 §9
B-VG Art133 Abs4
B-VG Art134 Abs7
B-VG Art87 Abs2
BVwGG 2014 §11
BVwGG 2014 §15 Abs1
BVwGG 2014 §15 Abs3
BVwGG 2014 §15 Abs4
BVwGG 2014 §17 Abs3
FrPolG 2005 §52 Abs4
FrPolG 2005 §52 Abs9
FrPolG 2005 §53 Abs1
FrPolG 2005 §53 Abs3 Z1
Geschäftsverteilung BVwG
MRK Art8 Abs2
RStDG
VwGG §34 Abs1

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Pelant sowie die Hofräte Dr. Sulzbacher und Dr. Pfiel als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Eraslan, über die Revision des N S in R, vertreten durch MMMMag. Dr. Konstantin Haas, Rechtsanwalt in 4060 Leonding, Gerstmayrstraße 40, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 29. September 2020, W281 2220067-1/20E, betreffend Erlassung einer Rückkehrentscheidung samt Nebenaussprüchen und eines befristeten Einreiseverbotes (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1        Der Revisionswerber, ein 1980 geborener kosovarischer Staatsangehöriger, war bis 6. Dezember 2013 mit L.S. verheiratet. In der Folge schloss er mit einer österreichischen Staatsbürgerin am 28. Juni 2014 die Ehe, die bis zur einvernehmlichen Scheidung am 5. Juli 2016 dauerte. Danach heiratete er am 8. Dezember 2016 neuerlich L.S., und zwar im Kosovo, wo die Ehefrau und die beiden gemeinsamen Kinder leben.

2        Der Revisionswerber hält sich durchgehend seit Ende Mai 2014 in Österreich auf. Er verfügte zunächst über einen Aufenthaltstitel als Familienangehöriger einer Österreicherin. Für den Zeitraum vom 19. Juli 2016 bis 18. Juli 2017 wurde ihm dann ein Aufenthaltstitel „Rot-Weiß-Rot - Karte plus“ erteilt; diesbezüglich stellte er rechtzeitig einen Verlängerungsantrag. Zuletzt war der Revisionswerber beginnend ab 1. Februar 2018 bei Unternehmen für Gebäudereinigung (als Vorarbeiter) beschäftigt.

3        Nachdem der Revisionswerber in den Zeiträumen vom 29. April 2017 bis 11. September 2017 und dann wiederum vom 4. Oktober 2017 bis 29. Jänner 2018 in Untersuchungshaft angehalten worden war, wurde er mit Urteil des Landesgerichtes Wels vom 29. Juni 2018 wegen des als Beitragstäter (§ 12 dritter Fall StGB) begangenen Verbrechens des Raubes nach § 142 Abs. 1 StGB zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren, wovon zwei Jahre bedingt nachgesehen wurden, rechtskräftig verurteilt. Dem Schuldspruch zufolge habe er - zusammengefasst - dadurch, dass er den unmittelbaren Tätern Informationen über seine frühere Arbeitgeberin weitergegeben habe, zu dem an ihr am 25. Jänner 2017 unter Verwendung einer Waffe und mit Anwendung von erheblicher Gewalt verübten Raub, bei dem Bargeld und Schmuck im Wert von 795.150 € sowie ein PKW erbeutet worden seien, beigetragen. Dabei hatte der Revisionswerber die Qualifikation der Verwendung einer Waffe und die schwere Verletzung der früheren Arbeitgeberin (in Form einer posttraumatischen Belastungsstörung) nicht zu verantworten.

4        Im Hinblick darauf erließ das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) mit Bescheid vom 9. Mai 2019 gegen den Revisionswerber gemäß § 52 Abs. 4 FPG iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung und es verband damit ein auf § 53 Abs. 1 iVm Abs. 3 Z 1 FPG gestütztes, auf die Dauer von sieben Jahren befristetes Einreiseverbot. Unter einem wurde gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung des Revisionswerbers in den Kosovo zulässig sei, und es wurde ihm gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG eine Frist für die freiwillige Ausreise von vierzehn Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung eingeräumt.

5        Die dagegen erhobene Beschwerde wurde dem Bundesverwaltungsgericht (BVwG) am 14. Juni 2019 vorgelegt und nach der damals geltenden Geschäftsverteilung der in diesen Fremdenrechtssachen für Beschwerden von Personen mit dem Herkunftsstaat Kosovo zuständigen Außenstelle Graz, konkret dem Leiter der Gerichtsabteilung G307, zugewiesen. Mit der auf § 17 Abs. 3 BVwGG gestützten Verfügung des Geschäftsverteilungsausschusses vom 4. März 2020 wurde (unter anderem) die gegenständliche Rechtssache mit Wirksamkeit vom 9. März 2020 der Leiterin der Gerichtsabteilung W281 am Hauptsitz des BVwG in Wien zugewiesen.

6        Die nunmehr für die Erledigung der Beschwerde gegen den Bescheid des BFA vom 9. Mai 2019 zuständige Richterin des BVwG führte hierüber am 29. Juli 2020 eine mündliche Verhandlung durch, in der sie den Revisionswerber, seine zwei in Österreich lebenden Brüder und seinen Arbeitgeber vernahm. In der Folge erging das nunmehr angefochtene Erkenntnis vom 29. September 2020, mit dem der Beschwerde teilweise dahin Folge gegeben wurde, dass die Dauer des Einreiseverbotes auf vier Jahre herabgesetzt wurde. Im Übrigen wurde die Beschwerde als unbegründet abgewiesen. Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG sprach das BVwG aus, dass eine Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

7        Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision, die sich unter dem Gesichtspunkt des Art. 133 Abs. 4 B-VG als unzulässig erweist.

8        Gemäß der genannten Verfassungsbestimmung ist gegen das Erkenntnis eines Verwaltungsgerichtes die Revision (nur) zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

9        An den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision unter dem genannten Gesichtspunkt nicht gebunden (§ 34 Abs. 1a erster Satz VwGG). Zufolge § 28 Abs. 3 VwGG hat allerdings die außerordentliche Revision gesondert die Gründe zu enthalten, aus denen entgegen dem Ausspruch des Verwaltungsgerichtes die Revision für zulässig erachtet wird. Im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe hat der Verwaltungsgerichtshof dann die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zu überprüfen (§ 34 Abs. 1a zweiter Satz VwGG).

10       In der gemäß § 28 Abs. 3 VwGG in der Revision vorgetragenen Begründung zu ihrer Zulässigkeit wird ein Abweichen des BVwG von der zu „Aufenthaltsverboten“ nach § 53 Abs. 1 iVm Abs. 3 FPG ergangenen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes behauptet, wozu Passagen aus mehreren Entscheidungen zitiert werden. Allerdings liegen den ins Treffen geführten Judikaten mit dem vorliegenden Sachverhalt nicht vergleichbare Konstellationen zugrunde, sodass daraus nichts zu gewinnen ist.

11       Zunächst trifft nämlich schon die an mehreren Stellen in der Revision unterstellte Prämisse, der Revisionswerber halte sich seit dem Jahr 2003, somit mehr als zehn Jahre durchgehend in Österreich auf, nicht zu. Das BVwG stellte nämlich diesbezüglich - gestützt auf eine schlüssige und in der Revision nicht bekämpfte Beweiswürdigung - nur fest, er sei beginnend mit April 2003 in näher angeführten Zeiträumen, allerdings jeweils unterbrochen von zumindest mehrere Monate umfassenden Auslandsaufenthalten, in Österreich als Saisonarbeiter beschäftigt gewesen. Das vom Revisionswerber für seinen Standpunkt herangezogene Erkenntnis VwGH 27.8.2020, Ra 2020/21/0159, bezieht sich jedoch auf einen bereits vierzehneinhalb Jahre durchgehend in Österreich aufhältigen und - anders als der Revisionswerber - strafgerichtlich unbescholtenen Drittstaatsangehörigen, wobei dort tragender Aufhebungsgrund auch die Nichtdurchführung einer mündlichen Beschwerdeverhandlung war.

12       Konkret meint der Revisionswerber dann noch, die Erlassung eines vierjährigen Einreiseverbotes gegen einen nur einmal wegen Beitragstäterschaft strafrechtlich Verurteilten stehe nicht im Einklang mit der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes. Der dazu zitierte Beschluss VwGH 24.4.2020, Ra 2020/21/0008, passt aber schon deshalb nicht, weil in diesem Fall die ersatzlose Behebung eines Aufenthaltsverbotes durch das BVwG nicht - wie es in der Revision heißt - „für einen deutschen Staatsbürger trotz Verurteilung wegen eines Verbrechens“ vom Verwaltungsgerichtshof am strengen Maßstab des § 67 Abs. 1 FPG für nicht unvertretbar angesehen wurde, sondern weil noch gar keine strafgerichtliche Verurteilung vorlag. Auch aus den weiteren in diesem Zusammenhang in der Revision zitierten Erkenntnissen ist für den vorliegenden Fall nichts abzuleiten, weil es dort vorrangig immer darum ging, dass das BVwG keine ausreichenden Feststellungen zu dem jeweils zur Last gelegten Verhalten getroffen und damit die Gefährdungsprognose nicht ausreichend begründet hatte. Ein solcher Begründungsmangel liegt aber im vorliegenden Fall nicht vor, weil das BVwG ohnehin Feststellungen zu den näheren Umständen in Bezug auf das vom Revisionswerber gesetzte Fehlverhalten traf, und zwar - insoweit anders als in dem in der Revision dazu auch noch ins Treffen geführten Erkenntnis VwGH 24.10.2019, Ra 2019/21/0267 - auch unter Bedachtnahme darauf, dass dem Revisionswerber (nur) Beitragstäterschaft zur Last gelegt wurde.

13       So hielt das BVwG fest, der Revisionswerber habe durch Preisgabe der ihm aus seiner langjährigen Stellung als Saisonarbeiter im Betrieb seiner ehemaligen Arbeitgeberin bekannten Informationen wissentlich zur Ausführung des Raubes beigetragen. Dabei habe der Revisionswerber ab Anfang September 2016 mit jener Person, die den Überfall geplant habe, mindestens 78-mal telefonischen Kontakt gehabt und sich mit ihr auch persönlich getroffen. Darüber hinaus habe er am 20. Jänner 2017, somit fünf Tage vor der Tatausführung, seiner früheren Arbeitgeberin noch einmal einen Besuch abgestattet, um in Erfahrung zu bringen, ob sich etwas hinsichtlich der Zugriffsmöglichkeiten geändert habe oder ob ein neuer Hund angeschafft worden sei. Angesichts dieses dem Revisionswerber vom BVwG, aber auch schon vom Strafgericht, als erschwerend angelasteten Ausnutzens einer Vertrauensstellung bei der früheren Arbeitgeberin durfte das BVwG den Tatbeitrag - entgegen dem Standpunkt des Revisionswerbers - durchaus als nicht nur geringfügig ansehen, wobei das BVwG dabei zu Recht auch den Umstand berücksichtigte, dass der Revisionswerber trotz der rechtskräftigen Verurteilung die Tat weiterhin hartnäckig leugne und hierfür keine Verantwortung übernehme.

14       Schließlich wird in der Revision im Rahmen der Zulässigkeitsbegründung noch behauptet, „bisher hat der Verwaltungsgerichtshof ausschließlich Aufenthaltsverbote bestätigt, die auf einer mehrfachen strafrechtlichen Verurteilung wegen mehrerer ‚Verbrechen‘ im Sinne des Strafgesetzbuches basieren.“ Zur erstmaligen Verurteilung eines Revisionswerbers wegen eines als Beitragstäter begangenen Verbrechens „fehlt es überhaupt an Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes“.

15       Diese generelle Aussage trifft nicht zu. Diesbezüglich genügt es, beispielsweise auf den dazu schon vom BVwG ins Treffen geführten Beschluss VwGH 3.7.2018, Ra 2018/21/0099, zu verweisen. Dort wurde in Rn. 9 einem ähnlichen Revisionsvorbringen erwidert, der Verwaltungsgerichtshof habe in seiner Judikatur stets zum Ausdruck gebracht, dass auch aus einem einmaligen Fehlverhalten - entsprechende Gravidität vorausgesetzt - eine maßgebliche Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit abgeleitet werden könne und dass im Hinblick darauf die Verhängung einer Rückkehrentscheidung und eines Einreiseverbotes, auch gegen langjährig rechtmäßig in Österreich aufhältige Fremde, gegebenenfalls nicht zu beanstanden sei (vgl. jüngst auch VwGH 29.9.2020, Ra 2020/21/0305, betreffend einen nur einmal, ebenso zu einer teilbedingten Freiheitsstrafe von drei Jahren mit einem unbedingten Teil von einem Jahr strafgerichtlich verurteilten Drittstaatsangehörigen).

16       Im vorliegenden Fall war es aber vertretbar, dass das BVwG eine solche besondere Schwere der Straftat annahm und deshalb auch unter Verwertung des in der Verhandlung gewonnenen persönlichen Eindrucks prognostizierte, es sei vom Vorliegen einer durch den weiteren Aufenthalt des Revisionswerbers bewirkten schwerwiegenden Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit im Sinne des § 53 Abs. 3 FPG auszugehen. Dabei musste es im Hinblick auf den noch nicht langen Zeitraum des Wohlverhaltens nicht den Wegfall dieser Gefährdung unterstellen.

17       In der weiteren Begründung der Revision wird auch die vom BVwG nach § 9 BFA-VG vorgenommene Interessenabwägung kritisiert. Dabei hat das BVwG aber ausreichend auf alle für den Revisionswerber sprechenden Umstände - insbesondere seine Aufenthaltszeiten in Österreich, die sehr guten Deutschkenntnisse, die berufliche Integration und die Beurteilung als fleißiger Arbeiter sowie den Aufenthalt seiner beiden Brüder samt Familien, zu denen regelmäßiger Kontakt bestehe - Bedacht genommen. Es war aber nicht unvertretbar, dass das BVwG nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu dem Ergebnis kam, die privaten Interessen des Revisionswerbers an einem Verbleib in Österreich könnten das öffentliche Interesse an einer Aufenthaltsbeendigung zur Verhinderung von Straftaten der in Rede stehenden Art nicht überwiegen. Dabei durfte auch berücksichtigt werden, dass sich die Ehefrau und die beiden Kinder im Kosovo aufhalten und damit nicht nur ausreichende Anknüpfungspunkte bei einer Rückkehr dorthin bestehen, sondern deshalb mit der Rückkehrentscheidung und dem Einreiseverbot auch kein Eingriff in das Familienleben des Revisionswerbers bewirkt wird. Im Übrigen nahm das BVwG ohnehin eine dem Standpunkt des Revisionswerbers teilweise Rechnung tragende angemessene Herabsetzung der Dauer des Einreisverbotes vor.

18       Der Verwaltungsgerichtshof judiziert in ständiger Rechtsprechung, dass die bei Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme unter Bedachtnahme auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalls in Form einer Gesamtbetrachtung vorgenommene Interessenabwägung im Allgemeinen - wenn sie auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage erfolgte und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde - nicht revisibel im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG ist. Das gilt sinngemäß auch für die einzelfallbezogene Erstellung einer Gefährdungsprognose und für die Bemessung der Dauer eines Einreiseverbotes (vgl. VwGH 24.10.2019, Ra 2019/21/0232, Rn. 12, mwN).

19       Da diese Voraussetzungen - wie dargelegt - im vorliegenden Fall erfüllt sind, liegen insoweit entscheidungswesentliche grundsätzliche Rechtsfragen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht vor.

20       Zur Begründung der Zulässigkeit der Revision wird noch geltend gemacht, es fehle Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu den vom Revisionswerber geäußerten Bedenken „bezüglich der Anwendbarkeit“ der Geschäftsverteilung des BVwG und der Verfügung des Geschäftsverteilungsausschusses vom 4. März 2020. Diese Bedenken lassen sich dahin zusammenfassen, dass die Geschäftsverteilung des BVwG „völlig undurchsichtig“ sei und nur aus zahlreichen Abkürzungen bestehe, die selbst für einen Rechtskundigen nicht nachvollziehbar seien. „Mangels Transparenz“ hätte diese Geschäftsverteilung von der erkennenden Richterin des BVwG nicht angewendet werden dürfen, sondern sie hätte ihre Unzuständigkeit aussprechen müssen. Vor allem erachtet der Revisionswerber aber die Verteilung der Geschäfte (in einer fremdenrechtlichen Angelegenheit wie der gegenständlichen) auf die Richter am Hauptsitz des BVwG und in den Außenstellen nach dem Herkunftsstaat des Beschwerdeführers für unsachlich und demnach für verfassungswidrig. Der Revisionswerber - so wird argumentiert - habe weder zu der zunächst zuständig gewesenen Außenstelle Graz noch zum Hauptsitz des BVwG in Wien „auch nur den geringsten Bezug“. Demnach sei für ihn die Anreise zur Verhandlung mit einem unverhältnismäßigen Aufwand verbunden gewesen und die Rechtsdurchsetzung erheblich erschwert worden. Sachlich gerechtfertigt wäre nur eine Anknüpfung an den Wohnort oder den Ort der Berufsausübung des Beschwerdeführers, die beim Revisionswerber jeweils in Oberösterreich lägen, weshalb davon auszugehen sei, dass im vorliegenden Fall die Außenstelle Linz des BVwG für die Erledigung der Beschwerde örtlich zuständig sei und in der gegenständlichen Angelegenheit hätte entscheiden müssen. Es sei daher rechtswidrig gewesen, dass das BVwG den in der mündlichen Verhandlung erhobenen Einwand der Unzuständigkeit „als unbegründet verworfen“ habe.

21       Richtig ist, dass die Geschäftsverteilung des BVwG ein komplexes Regelungswerk darstellt, was jedoch auf die Notwendigkeit der Schaffung von Vorgaben zur (möglichst gleichmäßigen) Verteilung der Geschäfte betreffend zahlreiche verschiedene Materien auf über 200 Richter, die an vier Standorten tätig sind, zurückzuführen ist. Es kann aber nicht gesagt werden, dass die Geschäftsverteilung des BVwG deshalb - und insbesondere in Bezug auf die Beurteilung des vorliegenden Falles - nicht nachvollziehbar wäre, wie sich auch aus der Begründung im angefochtenen Erkenntnis ergibt. Im Übrigen sind beim Verwaltungsgerichtshof auch aus Anlass etwa des Erkenntnisses VwGH 29.6.2017, Ra 2017/21/0032, in dem er sich im Einzelnen mit den Regelungen der Geschäftsverteilung des BVwG (in einer Angelegenheit betreffend Festnahme und Anhaltung) zu befassen hatte, keine Bedenken dahin entstanden, dass sie insgesamt nicht hinreichend bestimmt oder nicht nachvollziehbar wären.

22       Vor allem ist diesem Revisionsvorbringen aber zu entgegnen, dass die vom Personalsenat eines Gerichtes beschlossene Geschäftsverteilung als gemäß Art. 87 Abs. 2 B-VG zu qualifizierender Akt der Gerichtsbarkeit der Überprüfung durch den Verwaltungsgerichtshof entzogen ist (vgl. VwGH 14.6.1995, 95/12/0051, mwN, und darauf Bezug nehmend VwGH 8.11.1995, 92/12/0010). Auch der Verfassungsgerichtshof geht davon aus, dass es sich bei der von einem Personalsenat eines Gerichtes als Kollegialorgan erlassenen Geschäftsverteilung im Sinne des Art. 87 Abs. 2 B-VG nicht um eine Verordnung, sondern um einen Akt der (ordentlichen) Gerichtsbarkeit handelt. Demnach erachtet sich auch der Verfassungsgerichtshof zur Überprüfung dieser Akte der Gerichtsbarkeit für nicht zuständig (vgl. VfGH 28.6.1995, V 50/94, VfSlg. 14.189, und u.a. darauf Bezug nehmend VfGH 18.9.2014, V 79/2014, u.a.; siehe demgegenüber zu der als Rechtsverordnung angesehenen Geschäftsverteilung der ehemaligen unabhängigen Verwaltungssenate in den Ländern VfGH 10.10.1997, V 17/97, u.a., VfSlg. 14.985, insbesondere Punkt II 3.1. und 3.2. der Entscheidungsgründe). Das gilt vor dem Hintergrund des Art. 134 Abs. 7 B-VG, der unter anderem die sinngemäße Anwendung des Art. 87 Abs. 2 B-VG für die Mitglieder der Verwaltungsgerichte normiert, auch für die vom Geschäftsverteilungsausschuss des BVwG - siehe zu dessen Zusammensetzung und zur sinngemäßen Anwendbarkeit der Vorschriften des RStDG über die Personalsenate § 11 BVwGG - gemäß § 15 Abs. 1 BVwGG jeweils für das nächste Jahr zu beschließende Geschäftsverteilung und für deren Änderungen während des laufenden Jahres nach § 15 Abs. 4 BVwGG sowie für Verfügungen des Geschäftsverteilungsausschusses nach § 17 Abs. 3 BVwGG.

23       Ungeachtet dessen ist zur Vollständigkeit anzumerken, dass es vor dem Hintergrund der Vorgaben des § 15 Abs. 3 BVwGG nicht als unsachlich anzusehen ist, in fremden- und asylrechtlichen Angelegenheiten in der Geschäftsverteilung des BVwG als Anknüpfungspunkt grundsätzlich auf den Herkunftsstaat des Beschwerdeführers abzustellen. Das bringt unter dem Gesichtspunkt der Verfahrensökonomie und der Rechtssicherheit nämlich den Vorteil, dass die mit einem Herkunftsstaat befassten Richter über die dort jeweils bestehenden Verhältnisse aktuelle Kenntnis aus einer Vielzahl von Verfahren haben, sodass auch eher eine Gleichförmigkeit der einen Herkunftsstaat betreffenden Entscheidungen zu erwarten ist. Dass dadurch im Einzelfall infolge des Besuchs einer Verhandlung an einem weiter entlegenen Ort Aufwendungen entstehen können, macht eine solche Regelung aber noch nicht generell unsachlich.

24       Aus all diesen Gründen waren somit die in der Revision angeregten, näher ausformulierten Anträge an den Verfassungsgerichtshof nicht aufzugreifen.

25       Dass die gegenständliche Rechtssache aber nach der damals maßgeblichen Geschäftsverteilung des BVwG zu Recht zunächst dem Leiter der Gerichtsabteilung G 307 zugewiesen und in der Folge mit Verfügung des Geschäftsverteilungsausschusses der letztlich in der vorliegenden Angelegenheit entscheidenden Richterin als Leiterin der Gerichtsabteilung W 281 übertragen wurde, wird auch in der Revision nicht bezweifelt. Der Unzuständigkeitseinrede wurde daher vom BVwG zu Recht (implizit) nicht stattgegeben.

26       Insgesamt ergibt sich daher, dass die Revision gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen war.

Wien, am 22. Jänner 2021

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2021:RA2020210457.L00

Im RIS seit

01.03.2021

Zuletzt aktualisiert am

01.03.2021
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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