TE Bvwg Erkenntnis 2020/12/11 W202 2211647-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 11.12.2020
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Entscheidungsdatum

11.12.2020

Norm

AsylG 2005 §10 Abs3
AsylG 2005 §56
AsylG 2005 §60
AsylG-DV 2005 §4
AsylG-DV 2005 §8
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §52
FPG §55

Spruch


W202 2211647-1/6E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Bernhard SCHLAFFER als Einzelrichter über die Beschwerde des XXXX , geb. XXXX , Staatsangehöriger von Indien, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 26.11.2018, IFA 770411505/VZ: 14929743, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 24.09.2020 zu Recht erkannt:

A)

I. Die Beschwerde wird hinsichtlich der Spruchpunkte I.?IV. des angefochtenen Bescheides gemäß §§ 56, 10 Abs. 3 AsylG 2005, 9 BFA-VG und §§ 52, 55 FPG als unbegründet abgewiesen.

II. Der Beschwerde wird hinsichtlich Spruchpunkt V. stattgegeben und dieser ersatzlos behoben.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

Der Beschwerdeführer, ein indischer Staatsangehöriger, stellte nach unrechtmäßiger Einreise spätestens am 01.05.2007 unter dem Namen XXXX einen Asylantrag. An diesem Tag wurde er einer niederschriftlichen Erstbefragung unterzogen, weiters wurde er am 07.05.2007 sowie am 11.05.2007 vor dem Bundesasylamt (BAA) niederschriftlich einvernommen.

Mit Bescheid vom 21.05.2007, 07 04.115-EAST West, wies das BAA den Asylantrag des Beschwerdeführers ab (Spruchpunkt I.), erklärte die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers für zulässig (Spruchpunkt II.) und wies ihn aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Indien aus (Spruchpunkt III.).

Eine dagegen erhobene Beschwerde wies der Asylgerichtshof (AsylGH) nach Einholung eines psychiatrisch-neurologischen Gutachtens und Durchführung einer Verhandlung mit Erkenntnis vom 08.07.2013, C8 312460-1/2008/23E, als unbegründet ab. Mit Ablauf des 30.08.2013 erwuchs diese Entscheidung in Rechtskraft.

Am 01.09.2014 stellte der Beschwerdeführer beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) den verfahrensgegenständlichen „Erstantrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels ‚in besonders berücksichtigungswürdigen Fällen‘“ gem. § 56 Abs. 1 AsylG 2005, welchen er mit der Ausübung einer erlaubten Erwerbstätigkeit begründete.

Er brachte in Kopie einen Mietvertrag, eine Bestätigung der Meldung, seinen Mopedausweis, seine e-card, eine Wohnrechtsvereinbarung, seine Aufenthaltsberechtigungskarte gem. § 51 AsylG 2005, eine Rechnung einer Volkshochschule, Gutschriften der Mediaprint GmbH & Co. KG aus den Monaten Februar 2014, Mai 2014 und Juli 2014, ein „Preis - Leistungsverzeichnis SB - Zustellung“ der Mediaprint GmbH & Co. KG, ein „Informationsblatt bezüglich Qualitätszuschlag“, eine Konventionalstrafenerklärung sowie ein Schreiben betreffend Werkvertragsauflösung zwischen den Unternehmen XXXX GmbH und XXXX GmbH und dem Beschwerdeführer in Vorlage.

Mit Schreiben vom 11.05.2015 gab der Beschwerdeführer durch seine rechtsfreundliche Vertretung bekannt, dass seine bisher angegebenen Daten nicht korrekt seien, er dies zutiefst bedaure und er stellte seinen Namen richtig. Unter einem brachte er in Kopie seine indische Geburtsurkunde, einen indischen Führerschein, eine Mitteilung in einer indischen Zeitung, ein Affidavit der Eltern des Beschwerdeführers und ein Affidavit von XXXX in Vorlage.

Unmittelbar danach liegen im Verwaltungsakt noch zahlreiche weitere Urkunden wie eine Wohnbestätigung, eine Kopie eines indischen Reisepasses lautend auf XXXX , Zahlungsbestätigungen der Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft (SVA) aus den Jahren 2009–2014, eine Bestätigung der SVA über den Saldo des Beitragskontos des Beschwerdeführers, der den Beschwerdeführer betreffende Einkommenssteuerbescheid des Jahrs 2014, Gutschriften der Mediaprint GmbH & Co. KG betreffend April, Mai und Juni 2015, das Jahreskonto 2014 des Beschwerdeführers bei der Mediaprint GmbH & Co. KG, ein A2-Zeugnis lautend auf XXXX , ein arbeitsrechtlicher Vorvertrag und eine Kopie einer e-card lautend auf XXXX .

Mit Schreiben vom 12.08.2015 brachte der Beschwerdeführer durch seine rechtsfreundliche Vertretung eine Geburtsurkunde lautend auf den derzeitigen Namen des Beschwerdeführers inklusive deutscher Übersetzung, zwei Affidavits und ein Empfehlungsschreiben in Vorlage. Weiters teilt das Schreiben unter anderem mit, dass es dem Beschwerdeführer derzeit nicht möglich sei, ein Reisedokument, das auf seinen richtigen Namen laute, vorzulegen.

Das BFA ersuchte mit Schreiben vom 20.08.2015 bei der Botschaft der Republik Indien in
Wien – unter Hinweis auf die vom Beschwerdeführer gemachten unterschiedlichen Identitätsangaben – um Bestätigung der Richtigkeit der vorgelegten Geburtsurkunde an.

Mit Schreiben vom 10.12.2015 legte die rechtsfreundliche Vertretung des Beschwerdeführers ein Schreiben der indischen Botschaft Wien in vom 07.12.2015 vor, welches folgenden Inhalt hat:

„ . . .

This is to certify that Mr. XXXX (DOB: XXXX , Place of Birth: XXXX ) s/o XXXX has applied for re-issue of passport to this Embassy in lieu of his passport No. XXXX dated XXXX issued at Milan. His application is under consideration. This certificate is valid till 06.01.2016.

. . .“

Mit Schreiben vom 15.01.2016 legte die rechtsfreundliche Vertretung des Beschwerdeführers ein weiteres Schreiben der indischen Botschaft Wien vom 05.01.2016 vor. Das Schreiben konstatiert, die indische Botschaft gebe immer längere Bearbeitungszeiträume vor. Die erste Bestätigung sei bloß einen Monat, die zweite bereits zwei Monate gültig. Die tatsächliche Dauer der Ausstellung eines Reisepasses sei daher nicht absehbar. Der Beschwerdeführer erfülle die Voraussetzungen des § 4 AsylG-DV 2005, weil die Beschaffung eines Reisepasses dem Beschwerdeführer nicht möglich oder zumutbar sei. Der Beschwerdeführer stelle den Antrag auf Heilung des Mangels des fehlenden Reisepasses gem. § 4 AsylG-DV 2005. Das beigelegte Schreiben ist gleichlautend wie das oben Zitierte vom 07.12.2015, nennt als Gültigkeitsdatum allerdings den 04.03.2016.

Mit Schreiben vom 22.07.2016 forderte das BFA den Beschwerdeführer neuerlich auf, folgende Urkunden beizubringen: Reisepass, Geburtsurkunde und Bestätigung der Namensänderung.

Mit Schreiben vom 09.08.2016 legte die rechtsfreundliche Vertretung des Beschwerdeführers, neben zahlreichen bereits vorgelegten Dokumenten, wiederum ein Schreiben der indischen Botschaft, diesmal gültig bis 20.09.2016 bei, rekurrierte abermals auf die Unmöglichkeit des Beibringens eines Reisepasses, betonte die Unzumutbarkeit eines weiteren Zuwartens durch den Beschwerdeführer und wiederholte den Antrag auf Heilung des Mangels des fehlenden Reisepasses.

Mit Schreiben vom 21.09.2016 und 28.12.2016 brachte die rechtsfreundliche Vertretung des Beschwerdeführers wiederum Bestätigungen der indischen Botschaft (gleichlautend wie die vom 07.12.2015) in Vorlage, gültig bis zum 31.12.2016 bzw. 22.03.2017.

Am 01.03.2017 wurde der Beschwerdeführer vor dem BFA niederschriftlich einvernommen. Dabei gab er an, er sei seit zehn Jahren in Österreich, die Probleme in Indien seien aufrecht. Er sei sich nicht bewusst, dass er durch seinen Aufenthalt im Bundesgebiet die österreichischen Gesetze missachte und auch nicht, dass er sich im Bundesgebiet unrechtmäßig aufhalte. Er habe einen falschen Namen angegeben, weil ihm ein anderer indischer Staatsangehöriger dazu geraten habe. Er sei oft bei der indischen Botschaft gewesen, habe die Gebühren bezahlt und er werde einen Reisepass bekommen. Bei der im Akt liegenden Kopie eines Reisepasses handle es sich um seinen Reisepass. Diesen habe er von der indischen Botschaft in Mailand bekommen, weil er einen Onlineantrag gestellt habe.

Die Familie des Beschwerdeführers befinde sich in Indien, er sei ledig und habe keine Kinder.

Zu seiner Integration in Österreich gab der Beschwerdeführer an, er fände Österreich gut, er mache Fitness, habe Freunde, arbeite hier und habe den Deutschkurs absolviert. Er verdiene ca. € 800,– als Zeitungszusteller; er sei selbstversichert. Wenn sein Antrag negativ entschieden werde, wäre er bereit, das Bundesgebiet zu verlassen. Im Falle einer Rückkehr nach Indien habe der Beschwerdeführer Probleme, das habe er schon angegeben.

Mit Ladungsbescheid vom 29.08.2017 wurde der Beschwerdeführer für den 04.09.2017 zur indischen Botschaft geladen. Der Beschwerdeführer wurde von den zustellenden Organen der Sicherheitsbehörde am 01.09.2017 nicht angetroffen, aber vom angetroffenen Mitbewohner telefonisch erreicht. Mit dem Beschwerdeführer wurde vereinbart, dass er den Bescheid nach der Arbeit von der Polizeidienststelle abhole. Laut im Akt liegenden Abschlussbericht der Landespolizeidirektion Wien erschien der Beschwerdeführer am 04.09.2017 und nahm den Ladungsbescheid in Empfang.

Mit Schreiben vom 06.09.2017 brachte eine neue Rechtsberatung des Beschwerdeführers eine Kopie seines neuen Reisepasses, ausgestellt am 03.03.2017, in Vorlage.

Mit Schreiben vom 28.09.2018 verständigte das BFA den Beschwerdeführer vom Ergebnis der Beweisaufnahme und forderte den Beschwerdeführer zur Beantwortung zahlreicher Fragen auf.

Mit Schreiben vom 08.10.2018, beim BFA eingelangt am 10.10.2018, nahm der Beschwerdeführer dazu Stellung. Er sei von Indien über Moskau, wo er vier Jahre geblieben sei, nach Wien weitergereist, wo er am 01.05.2007 eingetroffen sei. In Österreich habe er einen Asylantrag gestellt, über den negativ entschieden worden sei. In Indien habe er zehn Jahre die Pflichtschule besucht, anschließend die Berufsschule für das Tischlergewerbe. Der Beschwerdeführer sei ledig, habe keine Kinder, seine Eltern würden in Indien leben, wobei der Beschwerdeführer zu ihnen keine Beziehungen mehr habe. Nach seiner Ausreise aus Indien sei er vier Jahre lang in Moskau gewesen, dort sei er von Dritten finanziell unterstützt worden. Seit seiner Einreise sei er als Zeitungszusteller tätig, er habe ein monatliches Einkommen von € 700,– bis € 800,–. Weiters besitze er für ein anderes Unternehmen eine „bisher noch nicht in Anspruch genommene“ Beschäftigungszusage. Er sei Mitbewohner des Hauptmieters seiner Wohnung, wofür er € 120,– im Monat zahle. Er habe ein Deutschzertifikat A2 erworben. Sein Aufenthalt im Bundesgebiet sei „aus humanitären Gründen [ . . . ] rechtlich und tatsächlich begründet.“

Mit dem nunmehr in Beschwerde gezogenen Bescheid vom 26.11.2018 wies das BFA den Antrag des Beschwerdeführers auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus besonders berücksichtigungswürdigen Gründen gem. § 56 AsylG 2005 ab (Spruchpunkt I.), erließ gem. § 10 Abs. 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gem. § 52 Abs. 3 FPG (Spruchpunkt II.) und stellte gem. § 52 Abs. 9 FPG fest, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers gem. § 46 FPG nach Indien zulässig sei (Spruchpunkt III.). Gem. § 55 Abs. 1–3 FPG betrage die Frist für die freiwillige Ausreise des Beschwerdeführers 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt IV.). Den Antrag auf Mängelheilung vom 15.01.2016 wies das BFA gem. § 4 Abs. 1 Z 2 iVm § 8 AsylG-DV 2005 ab (Spruchpunkt V.).

Gegen diesen Bescheid richtet sich die gegenständliche Beschwerde, die soweit wesentlich ausführt, der Beschwerdeführer sei nachweislich seit über elf Jahren ohne Unterbrechung im Bundesgebiet. Er sei als Zeitungszusteller tätig, wobei er diesen Werkvertrag nicht bekommen hätte, wäre er nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhältig, die Bestimmung des § 54 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 sei erfüllt. Der Beschwerdeführer sei noch nie eine Belastung für eine Gebietskörperschaft geworden, entsprechende Ausführungen des BFA gingen fehl. Da der Bescheid auch keine Ausführungen zu allfälligen Verwaltungsverfahren wegen unrechtmäßiger Beschäftigung des Beschwerdeführers enthalte, folge daraus, dass der Beschwerdeführer ohne Zweifel rechtmäßig berufstätig und daher auch rechtmäßig im Bundesgebiet aufhältig sei.

Das Bundesverwaltungsgericht führte am 24.09.2020 unter Beiziehung eines Dolmetschers für die Sprache Punjabi eine öffentliche mündliche Beschwerdeverhandlung durch, zu der der Beschwerdeführer gemeinsam mit seiner Vertreterin erschien. Das BFA nahm an der Verhandlung nicht teil.

Dabei ergab sich zunächst, dass der Beschwerdeführer kaum Deutsch versteht. Er gab an, ein A2-Zertifikat erlangt zu haben und vorzuhaben, besser Deutsch zu lernen. Er habe keine Zeit gehabt, Deutschkurse zu besuchen.

Der Beschwerdeführer arbeite als Zeitungszusteller, er sei sozialversichert und entrichte selbstständig Sozialversicherungsbeiträge. Er wohne in einer Einzimmerwohnung mit drei Landsleuten. In einem Zimmer schliefen insgesamt vier Leute.

Der Beschwerdeführer sei in Österreich zunächst unter falscher Identität aufgetreten, um nicht abgeschoben zu werden.

In Österreich habe der Beschwerdeführer keine Familienangehörigen, in Indien hielten sich seine Eltern auf, mit denen er in Kontakt stehe. Darüber hinaus habe er zwei Brüder in Indien.

In Österreich habe er indische und österreichische Freunde. Die Namen der österreichischen Freunde kenne er nicht. Er spiele im Park Fußball und Volleyball.

Der Beschwerdeführer gehe in die Kirche und den Sikhtempel. In der Kirche nehme er an Messen teil, darüberhinausgehende soziale Dienste leiste er nicht. Im Sikhtempel spende er Geld und helfe dabei, Essen zu verteilen.

Mit Schreiben vom 05.10.2020 legte der Beschwerdeführer Einkommensteuerbescheide und eine Ambulanzkarte vor.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Zur Person des Beschwerdeführers:

Der Beschwerdeführer ist indischer Staatsangehöriger und besuchte in seinem Heimatland zehn Jahre die Grundschule, danach hat er Tischler gelernt. Seine Identität steht fest. Der Beschwerdeführer ist ledig und kinderlos. In Indien halten sich seine Eltern auf, zu denen er Kontakt hat, und denen es gut geht. Darüber hinaus leben in Indien zwei Brüder, zu denen kein Kontakt besteht.

Der Beschwerdeführer hat keine Familienangehörigen oder sonstigen Verwandten in Österreich. Er hat im Bundesgebiet Freunde, die aus dem indischen Subkontinent stammen. Er ist kein Mitglied in einem Verein oder in einer sonstigen Organisation. Er hat ein Deutschzertifikat A2 vorgelegt, spricht aber kaum Deutsch. Er ist gesund und arbeitet in Österreich als Zeitungszusteller auf Werksvertragsbasis, womit er sich ein monatliches Einkommen von € 700,– bis € 725,– erwirtschaftet. Er ist sozialversichert und führt selbst die Sozialversicherungsbeiträge ab. Er bezieht keine Leistungen aus der Grundversorgung. Der Beschwerdeführer wohnt mit drei Landsleuten gemeinsam in einer Einzimmerwohnung. Er schläft gemeinsam mit diesen in einem Zimmer. In seiner Freizeit geht der Beschwerdeführer in einen Sikhtempel, wo er mitunter Essen verteilt und Geld spendet. Hin und wieder besucht er eine Kirche. Im Park neben seiner Wohnung spielt er gelegentlich Fußball oder Volleyball, bevorzugt es aber zuzuschauen. Er verfügt über eine aktuelle Einstellungszusage, nach der er brutto € 850,- pro Monat verdienen könnte.

Der Beschwerdeführer ist strafgerichtlich unbescholten.

Der Beschwerdeführer befindet sich seit (spätestens) 01.05.2007 im österreichischen Bundesgebiet. Er kam seiner sich aus dem – mit Ablauf des 30.08.2013 in Rechtskraft erwachsenen – Erkenntnis des AsylGH vom 08.07.2013 ergebenden Ausreiseverpflichtung nicht nach und zog es hingegen vor, seinen unrechtmäßigen Aufenthalt im Bundesgebiet fortzusetzen. Festgestellt wird, dass der Beschwerdeführer in diesem Verfahren vor dem AsylGH psychische Probleme in den Raum stellte, die letztlich von einem psychiatrisch-neurologischen Gutachten widerlegt wurden, wodurch der Beschwerdeführer das Verfahren vor dem AsylGH verzögerte. Der Beschwerdeführer trat während seines Asylverfahrens unter einer falschen Identität auf, weil er Angst hatte zurückgeschickt zu werden. Auch beim gegenständlichen Antrag nach § 56 AsylG 2005 gab der Beschwerdeführer zunächst den unzutreffenden Namen XXXX an. Erst mit Schreiben vom 11.05.2015 gab der Beschwerdeführer durch seine damalige rechtsfreundliche Vertreterin seine tatsächliche Identität preis. Mit Schreiben vom 06.09.2017 belegte der Beschwerdeführer durch seine damalige Rechtsvertretung mittels Vorlage einer Reisepasskopie seinen vollständigen Namen. Es bestand der Verdacht, dass der Beschwerdeführer am 16.01.2019 einen epileptischen Anfall hatte. Darüberhinausgehende Gesundheitsbeeinträchtigungen können nicht festgestellt werden.

Zur Situation in Indien wird Folgendes festgestellt:

Politische Lage:

Indien ist mit über 1,3 Milliarden Menschen und einer multireligiösen und multiethnischen Gesellschaft die bevölkerungsreichste Demokratie der Welt (CIA Factbook 28.2.2020; vgl. AA 19.7.2019). Im Einklang mit der Verfassung haben die Bundesstaaten und Unionsterritorien ein hohes Maß an Autonomie und tragen die Hauptverantwortung für Recht und Ordnung (USDOS 11.3.2020). Die Hauptstadt New Delhi hat einen besonderen Rechtsstatus (AA 2.2020a).

Der Grundsatz der Gewaltenteilung von Legislative, Exekutive und Judikative ist nach britischem Muster durchgesetzt (AA 2.2020a; vgl. AA 19.7.2019). Die Unabhängigkeit der Gerichtsbarkeit ist verfassungsmäßig garantiert, der Instanzenzug ist dreistufig (AA 19.7.2019). Das oberste Gericht (Supreme Court) in New Delhi steht an der Spitze der Judikative und wird gefolgt von den High Courts auf Länderebene (GIZ 11.2019a). Die Pressefreiheit ist von der Verfassung verbürgt, jedoch immer wieder Anfechtungen ausgesetzt. Indien hat eine lebendige Zivilgesellschaft (AA 2.2020a).

Indien ist eine parlamentarische Demokratie und verfügt über ein Mehrparteiensystem und ein Zweikammerparlament (USDOS 11.3.2020). Darüber hinaus gibt es Parlamente auf Bundesstaatsebene (AA 19.7.2019).

Der Präsident ist das Staatsoberhaupt und wird von einem Wahlausschuss gewählt, während der Premierminister der Regierungschef ist (USDOS 11.3.2020). Der Präsident nimmt weitgehend repräsentative Aufgaben wahr. Die politische Macht liegt hingegen beim Premierminister und seiner Regierung, die dem Parlament verantwortlich ist. Präsident ist seit 25. Juli 2017 Ram Nath Kovind, der der Kaste der Dalits (Unberührbaren) entstammt (GIZ 11.2019a).

Im April/Mai 2019 wählten etwa 900 Mio. Wahlberechtigte ein neues Unterhaus. Im System des einfachen Mehrheitswahlrechts konnte die Bharatiya Janata Party (BJP) unter der Führung des amtierenden Premierministers Narendra Modi ihr Wahlergebnis von 2014 nochmals verbessern (AA 19.7.2019).

Als deutlicher Sieger mit 352 von 542 Sitzen stellt das Parteienbündnis „National Democratic Alliance“, mit der BJP als stärkster Partei (303 Sitze) erneut die Regierung. Der BJP-Spitzenkandidat und amtierende Premierminister Narendra Modi wurde im Amt bestätigt. Die United Progressive Alliance rund um die Congress Party (52 Sitze) erhielt insgesamt 92 Sitze (AA 19.7.2019). Die Wahlen verliefen, abgesehen von vereinzelten gewalttätigen Zusammenstößen korrekt und frei. Im Wahlbezirk Vellore (East) im Bundesstaat Tamil Nadu wurden die Wahlen wegen des dringenden Verdachts des Stimmenkaufs ausgesetzt und werden zu einem späteren Zeitpunkt nachgeholt (AA 19.7.2019). Mit der BJP-Regierung unter Narendra Modi haben die hindunationalistischen Töne deutlich zugenommen. Die zahlreichen hindunationalen Organisationen, allen voran das Freiwilligenkorps RSS, fühlen sich nun gestärkt und versuchen verstärkt, die Innenpolitik aktiv in ihrem Sinn zu bestimmen (GIZ 11.2019a). Mit der Reform des Staatsbürgerschaftsrechts treibt die regierende BJP ihre hindunationalistische Agenda weiter voran. Die Reform wurde notwendig, um die Defizite des Bürgerregisters des Bundesstaats Assam zu beheben und den Weg für ein landesweites Staatsbürgerregister zu ebnen. Kritiker werfen der Regierung vor, dass die Vorhaben vor allem Muslime und Musliminnen diskriminieren, einer großen Zahl von Personen den Anspruch auf die Staatsbürgerschaft entziehen könnten und Grundwerte der Verfassung untergraben (SWP 2.1.2020; vgl. TG 26.2.2020). Kritiker der Regierung machten die aufwiegelnde Rhetorik und die Minderheitenpolitik der regierenden Hindunationalisten, den Innenminister und die Bharatiya Janata Party (BJP) für die Gewalt verantwortlich, bei welcher Ende Februar 2020 mehr als 30 Personen getötet wurden. Hunderte wurden verletzt (FAZ 26.2.2020; vgl. DW 27.2.2020).

Bei der Wahl zum Regionalparlament der Hauptstadtregion Neu Delhi musste die Partei des Regierungschefs Narendra Modi gegenüber der regierenden Antikorruptionspartei Aam Aadmi (AAP) eine schwere Niederlage einstecken. Diese gewann die Regionalwahl erneut mit 62 von 70 Wahlbezirken. Die AAP unter Führung von Arvind Kejriwal, punktete bei den Wählern mit Themen wie Subventionen für Wasser und Strom, Verbesserung der Infrastruktur für medizinische Dienstleistungen sowie die Sicherheit von Frauen, während die BJP für das umstrittene Staatsbürgerschaftsgesetz warb (KBS 12.2.2020). Modis Partei hat in den vergangenen zwei Jahren bereits bei verschiedenen Regionalwahlen in den Bundesstaaten Maharashtra und Jharkhand heftige Rückschläge hinnehmen müssen (quanatra.de 14.2.2020; vgl. KBS 12.2.2020).

Unter Premierminister Modi betreibt Indien eine aktivere Außenpolitik als zuvor. Die frühere Strategie der „strategischen Autonomie“ wird zunehmend durch eine Politik „multipler Partnerschaften“ mit allen wichtigen Ländern in der Welt überlagert. Wichtigstes Ziel der indischen Außenpolitik ist die Schaffung eines friedlichen und stabilen globalen Umfelds für die wirtschaftliche Entwicklung des Landes und als aufstrebende Großmacht die zunehmende verantwortliche Mitgestaltung regelbasierter internationaler Ordnung (BICC 12.2019). Ein ständiger Sitz im UN-Sicherheitsrat ist dabei weiterhin ein strategisches Ziel (GIZ 11.2019a). Gleichzeitig strebt Indien eine stärkere regionale Verflechtung mit seinen Nachbarn an, wobei nicht zuletzt Alternativkonzepte zur einseitig sino-zentrisch konzipierten „Neuen Seidenstraße“ eine wichtige Rolle spielen. In der Region Südasien setzt Indien zudem zunehmend auf die Regionalorganisation BIMSTEC (Bay of Bengal Initiative for Multi-Sectoral Technical and Economic Cooperation). Indien ist Dialogpartner der südostasiatischen Staatengemeinschaft und Mitglied im „Regional Forum“ (ARF). Überdies nimmt Indien am East Asia Summit und seit 2007 auch am Asia-Europe Meeting (ASEM) teil. Die Shanghai Cooperation Organisation (SCO) hat Indien und Pakistan 2017 als Vollmitglieder aufgenommen. Der Gestaltungswille der BRICS-Staatengruppe (Brasilien, Russland, Indien, China, Südafrika) schien zuletzt abzunehmen (BICC 12.2019).

Die Beziehungen zu Bangladesch sind von besonderer Natur, teilen die beiden Staaten doch eine über 4.000 km lange Grenze. Indien kontrolliert die Oberläufe der wichtigsten Flüsse Bangladeschs und war historisch maßgeblich an der Entstehung Bangladeschs während seines Unabhängigkeitskrieges beteiligt. Schwierige Fragen wie Transit, Grenzverlauf, ungeregelter Grenzübertritt und Migration, Wasserverteilung und Schmuggel werden in regelmäßigen Regierungsgesprächen erörtert. Die Beziehungen des Landes zur EU sind vor allem in wirtschaftlicher Hinsicht von besonderer Bedeutung. Die EU ist der größte Handels- und Investitionspartner Indiens. Der Warenhandel in beide Richtungen hat sich faktisch stetig ausgeweitet (GIZ 11.2019a).

Sicherheitslage:

Es gibt in Indien eine Vielzahl von Spannungen und Konflikten, Gewalt ist an der Tagesordnung (GIZ 11.2019a). Terroristische Anschläge in den vergangenen Jahren (Dezember 2010 in Varanasi, Juli 2011 in Mumbai, September 2011 in New Delhi und Agra, April 2013 in Bangalore, Mai 2014 in Chennai und Dezember 2014 in Bangalore) und insbesondere die Anschläge in Mumbai im November 2008 haben die Regierung unter Druck gesetzt. Von den Anschlägen der letzten Jahre wurden nur wenige restlos aufgeklärt und die als Reaktion auf diese Vorfälle angekündigten Reformvorhaben zur Verbesserung der indischen Sicherheitsarchitektur wurden nicht konsequent umgesetzt (AA 24.4.2015). Aber auch im Rest des Landes gab es in den letzten Jahren Terroranschläge mit islamistischem Hintergrund. Im März 2017 platzierte eine Zelle des „Islamischen Staates“ (IS) in der Hauptstadt des Bundesstaates Madhya Pradesh eine Bombe in einem Passagierzug. Die Terrorzelle soll laut Polizeiangaben auch einen Anschlag auf eine Kundgebung von Premierminister Modi geplant haben (BPB 12.12.2017). Das Land unterstützt die US-amerikanischen Maßnahmen gegen den internationalen Terrorismus. Intern wurde eine drakonische neue Anti-Terror-Gesetzgebung verabschiedet, die Prevention of Terrorism Ordinance (POTO), von der Menschenrechtsgruppen fürchten, dass sie auch gegen legitime politische Gegner missbraucht werden könnte (BICC 12.2020).

Die Spannungen im Nordosten des Landes gehen genauso weiter wie die Auseinandersetzung mit den Naxaliten (maoistische Untergrundkämpfer, Anm.) (GIZ 11.2019a), die das staatliche Gewaltmonopol gebietsweise infrage stellen (AA 19.7.2019).

Konfliktregionen sind Jammu und Kashmir, die nordöstlichen Regionen und der maoistische Gürtel. In Jharkhand und Bihar setzten sich die Angriffe von maoistischen Rebellen auf Sicherheitskräfte und Infrastruktur fort. In Punjab kam es bis zuletzt durch gewaltbereite Regierungsgegner immer wieder zu Morden und Bombenanschlägen. Neben den islamistischen Terroristen tragen die Naxaliten zur Destabilisierung des Landes bei. Von Chattisgarh aus kämpfen sie in vielen Unionsstaaten (von Bihar im Norden bis Andrah Pradesh im Süden) mit Waffengewalt gegen staatliche Einrichtungen. Im Nordosten des Landes führen zahlreiche Separatistengruppen (United Liberation Front Assom, National Liberation Front Tripura, National Socialist Council Nagaland, Manipur People’s Liberation Front etc.) einen Kampf gegen die Staatsgewalt und fordern entweder Unabhängigkeit oder mehr Autonomie. Der gegen Minderheiten wie Moslems und Christen gerichtete Hindu-Radikalismus wird selten von offizieller Seite in die Kategorie Terror eingestuft, sondern vielmehr als „communal violence“ bezeichnet (ÖB 8.2019).

Erhebungen maoistischer Gruppierungen in den ostzentralen Bergregionen Indiens dauern an. Angaben zu Folge haben Rebellen illegale Steuern erhoben, Lebensmittel und Unterkünfte beschlagnahmt und sich an Entführungen und Zwangsrekrutierungen von Kindern und Erwachsenen beteiligt. Zehntausende von Zivilisten wurden durch die Gewalt vertrieben und leben in von der Regierung geführten Lagern. Unabhängig davon greifen in den sieben nordöstlichen Bundesstaaten Indiens mehr als 40 aufständische Gruppierungen, welche entweder eine größere Autonomie oder die vollständige Unabhängigkeit ihrer ethnischen oder Stammesgruppen anstreben, weiterhin Sicherheitskräfte an. Auch kommt es weiterhin zu Gewalttaten unter den Gruppierungen, welche sich in Bombenanschlägen, Morden, Entführungen, Vergewaltigungen von Zivilisten und in der Bildung von umfangreichen Erpressungsnetzwerken ausdrücken (FH 4.3.2020).

Das South Asia Terrorism Portal verzeichnet in einer Aufstellung für das Jahr 2016 insgesamt 907 Todesopfer durch terrorismusrelevante Gewalt. Im Jahr 2017 wurden 812 Personen durch terroristische Gewalt getötet und im Jahr 2018 kamen 940 Menschen durch Terrorakte. 2019 belief sich die Opferzahl terrorismus- relevanter Gewalt landesweit auf insgesamt 621 Tote. Bis zum 5.3.2020 wurden 81 Todesopfer durch terroristische Gewaltanwendungen registriert [Anmerkung: die angeführten Zahlen beinhalten Zivilisten, Sicherheitskräfte und Terroristen] (SATP 17.3.2020).

Gegen militante Gruppierungen, die meist für die Unabhängigkeit bestimmter Regionen eintreten und/oder radikalen (z. B. Maoistisch-umstürzlerische) Auffassungen anhängen, geht die Regierung mit großer Härte und Konsequenz vor. Sofern solche Gruppen der Gewalt abschwören, sind in der Regel Verhandlungen über ihre Forderungen möglich. Gewaltlose Unabhängigkeitsgruppen können sich politisch frei betätigen (AA 19.7.2019).

Regionale Problemzonen Jammu und Kaschmir:

Indien hat am 5.8.2019 den in der Verfassung festgelegten Sonderstatus (ZO 6.8.2019) der mehrheitlich muslimischen Region (FAZ 6.8.2019; vgl. GIZ 11.2019a) des indischen Teils von Kaschmir per Dekret beendet (ZO 6.8.2019). Unmittelbar darauf hat das Parlament in Delhi die Aufhebung jenes Artikels 370 der indischen Verfassung beschlossen (FAZ 7.8.2019), welcher Jammu und Kaschmir einen Sonderstatus einräumt und vorgeschlagen, den Staat in zwei Unionsterritorien, nämlich Jammu und Kaschmir sowie Ladakh aufzuteilen (IT 6.8.2019). Der Artikel 370 gewährt der Region eine gewisse Autonomie, wie eine eigene Verfassung, eine eigene Flagge und die Freiheit, Gesetze (BBC 6.8.2019) mit Ausnahme zu Belangen der Außen- wie auch der Verteidigungspolitik (DS 7.8.2019) zu erlassen. Dies stellte einen Kompromiss zwischen der zu großen Teilen muslimischen Bevölkerung und der hinduistischen Führung in Neu-Delhi dar (ARTE 7.8.2019). Neben dem Artikel 370 wurde auch der Artikel 35A aufgehoben, welcher dem lokalen Parlament erlaubte festzulegen, wer Bürger des Teilstaats ist und wer dort Land besitzen und Regierungsämter ausüben kann (NZZ 5.8.2019).

Die auch in Indien umstrittene Aufhebung der Autonomierechte befeuert die Spannungen in der Region. Kritiker befürchten, dass der hindunationalistische Ministerpräsident Narendra Modi und seine Regierung eine „Hinduisierung“ des Gebiets anstreben (TNYT 6.8.2019). Zur Verhinderung von Unruhen haben die indischen Behörden sämtliche Kommunikationskanäle unterbrochen und zusätzlich 10.000 Soldaten (SO 4.8.2019) in die ohnehin hoch militarisierte Region entsendet (ARTE 7.8.2019) und führende Regionalpolitiker wurden unter Hausarrest gestellt (FAZ 7.8.2019). Die Rücknahme des verwaltungsrechtlichen Sonderstatus des Bundesstaates Jammu und Kaschmir ist mit zahlreichen Verfassungs- und Menschenrechtsverletzungen einhergegangen (RLS 1.2020).

Jammu und Kaschmir gehörten 2018 zu den am stärksten vom Terrorismus betroffen Bundesstaaten in Indien (USDOS 1.11.2019). Militante Gruppen in Jammu und Kaschmir kämpfen weiterhin gegen Sicherheitskräfte, kaschmirische Einrichtungen und lokale Politiker, die sie für „Statthalter” und „Kollaborateure” der indischen Zentralregierung halten. Überläufer zur Regierungsseite und deren Familien werden besonders grausam „bestraft“. Die Zahl der als terroristisch eingestuften Vorfälle in Jammu und Kaschmir hat nach einem rückläufigen Trend im Jahr 2015 in den Jahren 2016 und 2017 zugenommen (AA 19.7.2019; vgl. FH 3.4.2020).

Bei einem Selbstmordanschlag (TOI 15.2.2019) auf indische Sicherheitskräfte im Gebiet von Goripora bei Awantipora im Distrikt Pulwama in Kaschmir wurden am 14.2.2019 mindestens 44 Menschen getötet. Dutzende wurden verletzt (TOI 15.2.2019; vgl. IT 15.2.2019).

In Indien bleibt das zentrale Ziel islamistischer Fundamentalisten die Abspaltung Kaschmirs. Im Einklang mit der Dschihad-Ideologie sehen sich viele islamistische Gruppierungen zudem im Krieg gegen alle Ungläubigen und streben die gewaltsame Islamisierung des gesamten Subkontinents an. Befördert wird der Konflikt durch die anhaltende wirtschaftliche Benachteiligung und Diskriminierung vieler Muslime (BPB 12.12.2017).

Im September hat die Europäische Union die Lage in Jammu und Kaschmir vor dem UN-Menschenrechtsrat thematisiert und Indien aufgefordert, die andauernden Beschränkungen aufzuheben und die Rechte und Grundfreiheiten der betroffenen Bevölkerung zu wahren. Das Europäische Parlament hat zudem eine Sonderdebatte über Kaschmir abgehalten und forderte sowohl Indien als auch Pakistan nachdrücklich auf, ihre internationalen Menschenrechtsverpflichtungen einzuhalten (HRW 14.1.2020).

In Jammu und Kaschmir, im Punjab und in Manipur haben die Behörden besondere Befugnisse ohne Haftbefehl Personen zu suchen und zu inhaftieren (USDOS 11.3.2020; vgl. BBC 20.10.2015). Es gab wiederholt Vorwürfe wegen Menschenrechtsverletzungen durch Regierungskräfte in Jammu und Kaschmir während der durchgeführten Sicherheitsoperationen, was von vielen auf politisches Versagen bei der Sicherstellung der Rechenschaftspflicht zurückgeführt wurde (HRW, 17.1.2019). Im September 2019 äußerte die UN-Hochkommissarin für Menschenrechte, ihre Besorgnis über die Menschenrechtsverletzungen in Jammu und Kaschmir (HRW 14.1.2020).

Nach einer eher ruhigen Phase zwischen den Jahren 2011 und 2014 hat sich die Lage in jüngster Zeit wieder wesentlich verschlechtert (GIZ 11.2019a).

Ab Mitte 2016 hat die Gewalt spürbar zugenommen. Auch Schusswechsel an der Grenze zu Pakistan haben 2016 nach der Ermordung eines populären, militanten separatistischen Führers wieder deutlich zugenommen. Zivilisten im Grenzgebiet werden dabei häufig in Mitleidenschaft gezogen. Seit Sommer 2017 verfolgt die Regierung bewusst eine harte Linie, die ein gezieltes Aufspüren von Führern der Militanten und bei Widerstand gewaltsamen Zugriff vorsieht. Dabei kommt es offenbar wiederholt zu Gefechten, bei denen auch Unbeteiligte zwischen die Fronten geraten können. 2017 starben im Zuge der Aufstandsbekämpfung 358 Menschen. Indischen Sicherheitskräften werden häufig Menschenrechtsverletzungen vorgeworfen, von denen nur wenige bestraft werden. Bürgerliche Freiheiten werden, insbesondere in Zeiten der Unruhe eingeschränkt. Auch 2018 ist es mehrfach zu blutigen Zusammenstößen gekommen. Trotz Benennung eines offiziellen Unterhändlers für Kashmir greift das Dialogangebot der Regierung bisher nicht ausreichend. Die Gewalt nimmt derzeit nicht ab (AA 19.7.2019). Das South Asia Terrorism Portal verzeichnet in einer Aufstellung für das Jahr 2016 insgesamt 267 Todesopfer durch terrorismusrelevante Gewalt in der Region Jammu und Kashmir. Im Jahr 2017 wurden 357 Personen durch Terrorakte getötet, 2018 waren es 452 Todesopfer und im Jahr 2019 wurden durch terroristische Gewalt 283 Todesopfer registriert. Mit 15.3.2020 sind insgesamt 49 Todesfälle durch terroristische Gewaltanwendungen aufgezeichnet [Anmerkung: die angeführten Zahlen beinhalten Zivilisten, Sicherheitskräfte und Terroristen] (SATP 15.3.2020).

Im indischen Teil Kaschmirs bleibt weiterhin der Armed Forces (Special Powers) Act (AFSPA) in Kraft (USDOS 11.3.2020; vgl. BPB 20.11.2017). Unter diesem Sonderermächtigungsgesetz kam es wiederholt zu außergerichtlichen Tötungen, Vergewaltigungen und Folter durch Angehörige der Sicherheitskräfte. Bei der Unterdrückung von Protesten starben über 90 Menschen und Tausende wurden verletzt (BPB 20.11.2017). Die 1997 eingesetzte staatliche Menschenrechtskommission von Jammu und Kaschmir hat kaum Wirkungen entfaltet. Insbesondere hat sie keine Möglichkeit, Übergriffe von Armee und paramilitärischen Kräften zu untersuchen (ÖB 8.2019). Im Juli 2019 veröffentlichte das Büro des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Menschenrechte (OHCHR) einen Bericht, der die Menschenrechtsverletzungen in der Kaschmir-Region im Zeitraum Mai 2018 bis Juni 2019 hervorhob und ein ähnliches Dokument aus dem Jahr 2018 aktualisierte. In dem Bericht werden die exzessive und außergerichtliche Gewalt, welche von indischen Sicherheitskräften ausgeübt wurde verurteilt und die Weigerung der indischen Regierung, die gemeldeten Verletzungen zu untersuchen, kritisiert (OHRC 8.7.2019; vgl. AI 30.1.2020).

Die angespannte Lage zwischen Indien und Pakistan entlädt sich immer wieder in Grenzgefechten, welche oft zu eskalieren drohen (BICC 12.2019). Im östlichsten Teil der Kaschmir-Region zeichnet sich möglicherweise eine friedliche Einigung zwischen Indien und China ab, nachdem im Mai 2020 Truppenbewegungen der chinesischen Volksbefreiungsarmee bis in das angrenzende, indisch kontrollierte Ladakh festgestellt worden sind. Zusammenstöße entlang der „Line of Actual Control (LAC)“ forderten mindestens 20 Tote auf indischer Seite und eine unbekannte Anzahl von Opfern auf chinesischer Seite. Laut einer offiziellen Stellungnahme vom 5. Juni 2020 wollen beide Länder die Situation friedlich deeskalieren und eine gemeinsame Grenzlösung finden (FIDH 23.6.2020; vgl. BBC 3.7.2020, BAMF 8.6.2020).

Regionale Problemzone Punjab:

Laut Angaben des indischen Innenministeriums zu den Zahlen der Volkszählung im Jahr 2011 leben von den 21 Mio. Sikhs 16 Mio. im Punjab (MoHA o.D.).

Der Terrorismus im Punjab ist Ende der 1990er Jahre nahezu zum Erliegen gekommen. Die meisten hochkarätigen Mitglieder der verschiedenen militanten Gruppen haben den Punjab verlassen und operieren von anderen Unionsstaaten oder Pakistan aus. Finanzielle Unterstützung erhalten sie auch von Sikh-Exilgruppierungen im westlichen Ausland (ÖB 8.2019).

Der illegale Waffen- und Drogenhandel von Pakistan in den indischen Punjab hat sich in letzter Zeit verdreifacht. Es gibt Anzeichen von konzertierten Versuchen militanter Sikh-Gruppierungen im Ausland gemeinsam mit dem pakistanischen Geheimdienst ISI, die militante Bewegung in Punjab wiederzubeleben. Indischen Geheimdienstinformationen zufolge werden Militante der Babbar Khalsa International (BKI), einer militanten Sikh-Organisation in Pakistan von islamischen Terrorgruppen wie Lashkar-e-Toiba (LeT) trainiert, BKI hat angeblich ein gemeinsames Büro mit der LeT im pakistanischen West Punjab errichtet. Die Sicherheitsbehörden im Punjab konnten bislang die aufkeimende Wiederbelebung der militanten Sikh-Bewegung erfolgreich neutralisieren (ÖB 8.2019). Im Punjab haben die Behörden besondere Befugnisse ohne Haftbefehl Personen zu suchen und zu inhaftieren (USDOS 11.3.2020; vgl. BBC 20.10.2015). Menschenrechtsberichten zufolge kommt es im Punjab regelmäßig zu Fällen von Menschenrechtsverletzungen, insbesondere durch Sicherheitsbehörden (extralegale Tötungen, willkürliche Festnahmen, Folter in Polizeigewahrsam, Todesfolge von Folter etc.) (ÖB 8.2019).

Die Staatliche Menschenrechtskommission im Punjab hat in einer Reihe von schweren Menschenrechtsverletzungen durch die Sicherheitskräfte interveniert. In vielen Fällen wurde die Behörde zu Kompensationszahlungen verpflichtet. Die Menschenrechtskommission erhält täglich Beschwerden über Menschenrechtsverletzung und ist in ihrer Kapazität überfordert. Oft sind niedrigkastige oder kastenlose Opfer der polizeilichen Willkür (ÖB 8.2019).

Neben den angeführten Formen der Gewalt, stellen Ehrenmorde vor allem in Punjab, Uttar Pradesh und Haryana weiterhin ein Problem dar (USDOS 11.3.2020).

Die Zugehörigkeit zur Sikh-Religion ist kein Kriterium für polizeiliche Willkürakte. Die Sikhs, 60 Prozent der Bevölkerung des Punjabs, stellen dort einen erheblichen Teil der Beamten, Richter, Soldaten und Sicherheitskräfte. Auch hochrangige Positionen stehen ihnen offen (ÖB 8.2019).

Das South Asia Terrorism Portal verzeichnet in einer Aufstellung für das Jahr 2016 insgesamt 25 Todesopfer durch terrorismusrelevante Gewalt in Punjab. Im Jahr 2017 wurden 8 Personen durch Terrorakte getötet, 2018 waren es 3 Todesopfer und im Jahr 2019 wurden durch terroristische Gewalt 2 Todesopfer registriert [Anmerkung: die angeführten Zahlen beinhalten Zivilisten, Sicherheitskräfte und Terroristen] (SATP 15.3.2020).

In Indien ist die Bewegungs- und Niederlassungsfreiheit rechtlich garantiert und praktisch von den Behörden auch respektiert; in manchen Grenzgebieten sind allerdings Sonderaufenthaltsgenehmigungen notwendig. Sikhs aus dem Punjab haben die Möglichkeit sich in anderen Landesteilen niederzulassen, Sikh-Gemeinden gibt es im ganzen Land verstreut. Sikhs können ihre Religion in allen Landesteilen ohne Einschränkung ausüben. Aktive Mitglieder von verbotenen militanten Sikh-Gruppierungen, wie Babbar Khalsa International, müssen mit polizeilicher Verfolgung rechnen (ÖB 8.2019).

Rechtsschutz/Justizwesen:

In Indien sind viele Grundrechte und -freiheiten verfassungsmäßig verbrieft und die verfassungsmäßig garantierte unabhängige indische Justiz bleibt vielmals wichtiger Rechtegarant. Die häufig überlange Verfahrensdauer aufgrund überlasteter und unterbesetzter Gerichte sowie verbreitete Korruption, vor allem im Strafverfahren, schränken die Rechtssicherheit aber deutlich ein (AA 19.7.2019). Eine systematisch diskriminierende Strafverfolgungs- oder Strafzumessungspraxis lässt sich nicht feststellen, allerdings sind vor allem die unteren Instanzen nicht frei von Korruption. Vorurteile z.B. gegenüber Angehörigen niederer Kasten oder Indigenen dürften zudem eine nicht unerhebliche Rolle spielen (AA 19.7.2019).

Das Gerichtswesen ist von der Exekutive getrennt (FH 4.3.2020). Das Justizsystem gliedert sich in den Supreme Court, das Oberste Gericht mit Sitz in Delhi; das als Verfassungsgericht die Streitigkeiten zwischen Zentralstaat und Unionsstaaten regelt. Es ist auch Appellationsinstanz für bestimmte Kategorien von Urteilen wie etwa bei Todesurteilen. Der High Court bzw. das Obergericht besteht in jedem Unionsstaat. Es ist Kollegialgericht als Appellationsinstanz sowohl in Zivil- wie auch in Strafsachen und führt auch die Dienst- und Personalaufsicht über die Untergerichte des Staates aus, um so die Justiz von den Einflüssen der Exekutive abzuschirmen. Subordinate Civil and Criminal Courts sind untergeordnete Gerichtsinstanzen in den Distrikten der jeweiligen Unionsstaaten und nach Zivil- und Strafrecht aufgeteilt. Fälle werden durch Einzelrichter entschieden. Richter am District und Sessions Court entscheiden in Personalunion sowohl über zivilrechtliche als auch strafrechtliche Fälle (als District Judge über Zivilrechtsfälle, als Sessions Judge über Straffälle). Unterhalb des District Judge gibt es noch den Subordinate Judge, unter diesem den Munsif für Zivilsachen. Unter dem Sessions Judge fungiert der 1st Class Judicial Magistrate und, unter diesem der 2nd Class Judicial Magistrate, jeweils für minder schwere Strafsachen (ÖB 8.2019).

Das Gerichtswesen ist auch weiterhin überlastet und verfügt nicht über moderne Systeme zur Fallbearbeitung. Der Rückstau bei Gericht führt zu langen Verzögerungen oder der Vorenthaltung von Rechtsprechung. Eine Analyse des Justizministeriums vom September 2018 hat ergeben, dass von insgesamt 1.079 Planstellen an den 24 Obergerichten des Landes 42714 Stellen nicht besetzt waren (USDOS 11.3.2020). Die Regeldauer eines Strafverfahrens (von der Anklage bis zum Urteil) beträgt mehrere Jahre; in einigen Fällen dauern Verfahren bis zu zehn Jahre (USDOS 11.3.2020; vgl. AA 18.9.2019). Auch der Zeugenschutz ist mangelhaft, was dazu führt, dass Zeugen aufgrund von Bestechung und/oder Bedrohung, vor Gericht häufig nicht frei aussagen (AA 18.9.2018).

Insbesondere auf unteren Ebenen der Justiz ist Korruption verbreitet und die meisten Bürger haben große Schwierigkeiten, ihr Recht bei Gericht durchzusetzen. Das System ist rückständig und stark unterbesetzt, was zu langer Untersuchungshaft für eine große Zahl von Verdächtigen führt. Vielen von ihnen bleiben so länger im Gefängnis, als es der eigentliche Strafrahmen wäre (FH 4.3.2020). Die Dauer der Untersuchungshaft ist entsprechend zumeist exzessiv lang. Außer bei mit der Todesstrafe bedrohten Delikten, soll der Haftrichter nach Ablauf der Hälfte der drohenden Höchststrafe eine Haftprüfung und eine Freilassung auf Kaution anordnen. Allerdings nimmt der Betroffene mit einem solchen Antrag in Kauf, dass der Fall über lange Zeit gar nicht weiterverfolgt wird. Mittlerweile sind ca. 70 Prozent aller Gefangenen Untersuchungshäftlinge, viele wegen geringfügiger Taten, denen die Mittel für eine Kautionsstellung fehlen (AA 19.7.2019).

In der Verfassung verankerte rechtsstaatliche Garantien (z.B. das Recht auf ein faires Verfahren) werden durch eine Reihe von Sicherheitsgesetzen eingeschränkt. Diese Gesetze wurden nach den Terroranschlägen von Mumbai im November 2008 verschärft; u.a. wurde die Unschuldsvermutung für bestimmte Straftatbestände außer Kraft gesetzt (AA 19.7.2019).

Die Inhaftierung eines Verdächtigen durch die Polizei ohne Haftbefehl darf nach den allgemeinen Gesetzen nur 24 Stunden dauern. Eine Anklageerhebung soll bei Delikten mit bis zu zehn Jahren Strafandrohung innerhalb von 60, in Fällen mit höherer Strafandrohung innerhalb von 90 Tagen erfolgen. Diese Fristen werden regelmäßig überschritten. Festnahmen erfolgen jedoch häufig aus Gründen der präventiven Gefahrenabwehr sowie im Rahmen der Sondergesetze zur inneren Sicherheit, z.B. aufgrund des Gesetzes über nationale Sicherheit („National Security Act“, 1956) oder des lokalen Gesetzes über öffentliche Sicherheit („Jammu and Kashmir Public Safety Act“, 1978). Festgenommene Personen können auf Grundlage dieser Gesetze bis zu einem Jahr ohne Anklage in Präventivhaft gehalten werden. Auch zur Zeugenvernehmung können gemäß Strafprozessordnung Personen über mehrere Tage festgehalten werden, sofern eine Fluchtgefahr besteht. Fälle von Sippenhaft sind nicht bekannt (AA 19.7.2019).

Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass unerlaubte Ermittlungsmethoden angewendet werden, insbesondere um ein Geständnis zu erlangen. Das gilt insbesondere bei Fällen mit terroristischem oder politischem Hintergrund oder solchen mit besonderem öffentlichem Interesse. Es ist nicht unüblich, dass Häftlinge misshandelt werden. Ein im Mai 2016 von der renommierten National Law University Delhi veröffentlichter empirischer Bericht zur Situation der Todesstrafe in Indien zeichnet ein düsteres Bild des indischen Strafjustizsystems. So haben bspw. 80 Prozent aller Todeskandidaten angegeben, in Haft gefoltert worden zu sein. Nach glaubwürdigen, vertraulichen Schätzungen des Internationales Komitees des Roten Kreuzes (IKRK) kommt es weiterhin zu systematischer Folter in den Verhörzentren in Jammu und Kaschmir (AA 19.7.2019).

Für Angeklagte gilt die Unschuldsvermutung, ausgenommen bei Anwendung des „Unlawful Activities Prevention Act (UAPA)“, und sie haben das Recht, ihren Anwalt frei zu wählen. Das Strafgesetz sieht öffentliche Verhandlungen vor, außer in Verfahren, in denen die Aussagen Staatsgeheimnisse oder die Staatssicherheit betreffen können. Es gibt kostenfreie Rechtsberatung für bedürftige Angeklagte, aber in der Praxis ist der Zugang zu kompetenter Beratung oft begrenzt (USDOS 11.3.2020). Gerichte sind verpflichtet Urteile öffentlich zu verkünden und es gibt effektive Wege der Berufung auf beinahe allen Ebenen der Justiz. Angeklagte haben das Recht, die Aussage zu verweigern und sich nicht schuldig zu bekennen (USDOS 11.3.2020).

Gerichtliche Ladungen in strafrechtlichen Angelegenheiten sind im Criminal Procedure Code 1973 (CrPC, Chapter 4, §§ 61-69), in zivilrechtlichen Angelegenheiten im Code of Civil Procedure 1908/2002 geregelt. Jede Ladung muss schriftlich, in zweifacher Ausführung ausgestellt sein, vom vorsitzenden Richter unterfertigt und mit Gerichtssiegel versehen sein. Ladungen werden gemäß CrPC prinzipiell durch einen Polizeibeamten oder durch einen Gerichtsbeamten an den Betroffenen persönlich zugestellt. Dieser hat den Erhalt zu bestätigen. In Abwesenheit kann die Ladung an ein erwachsenes männliches Mitglied der Familie übergeben werden, welches den Erhalt bestätigt. Falls die Ladung nicht zugestellt werden kann, wird eine Kopie der Ladung an die Residenz des Geladenen sichtbar angebracht. Danach entscheidet das Gericht, ob die Ladung rechtmäßig erfolgt ist, oder ob eine neue Ladung erfolgen wird. Eine Kopie der Ladung kann zusätzlich per Post an die Heim- oder Arbeitsadresse des Betroffenen eingeschrieben geschickt werden. Falls dem Gericht bekannt wird, dass der Betroffene die Annahme der Ladung verweigert hat, gilt die Ladung dennoch als zugestellt. Gemäß Code of Civil Procedure kann die Ladung des Gerichtes auch über ein gerichtlich genehmigtes Kurierservice erfolgen (ÖB 8.2019).

Indische Einzelpersonen - oder NGOs im Namen von Einzelpersonen oder Gruppen - können sogenannte Rechtsstreitpetitionen von öffentlichem Interesse („Public Interest Litigation petitions“, PIL) bei jedem Gericht einreichen, oder beim Obersten Bundesgericht, dem „Supreme Court“ einbringen, um rechtliche Wiedergutmachung für öffentliche Rechtsverletzungen einzufordern (CM 2.8.2017).

Im ländlichen Indien gibt es auch informelle Ratssitzungen, deren Entscheidungen manchmal zu Gewalt gegen Personen führt, die soziale Regeln brechen - was besonders Frauen und Angehörige unterer Kasten betrifft (FH 4.3.2020).

Sicherheitsbehörden:

Die indische Polizei (Indian Police Service) ist keine direkte Strafverfolgungs- oder Vollzugsbehörde (BICC 12.2019) und untersteht den Bundesstaaten (AA 19.7.2019). Sie fungiert vielmehr als Ausbildungs- und Rekrutierungsstelle für Führungsoffiziere der Polizei in den Bundesstaaten. Im Hinblick auf die föderalen Strukturen ist die Polizei dezentral in den einzelnen Bundesstaaten organisiert. Die einzelnen Einheiten haben jedoch angesichts eines nationalen Polizeigesetzes, zahlreichen nationalen Strafrechten und der zentralen Rekrutierungsstelle für Führungskräfte eine Reihe von Gemeinsamkeiten. Allgemein ist die Polizei mit der Strafverfolgung, Verbrechensprävention und -bekämpfung sowie der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung betraut und übt gleichzeitig eine teilweise Kontrolle über die verschiedenen Geheimdienste aus. Innerhalb der Polizei gibt es eine Kriminalpolizei (Criminal Investigation Department - CID), in die wiederum eine Sondereinheit (Special Branch) integriert ist. Während erstere mit nationalen und die Bundesstaaten übergreifenden Verbrechen betraut ist, hat die Sondereinheit Informationsbeschaffung und Überwachung jeglicher subversiver Elemente und Personen zur Aufgabe. In fast allen Bundesstaaten sind spezielle Polizeieinheiten aufgestellt worden, die sich mit Frauen und Kindern beschäftigen. Kontrolliert wird ein Großteil der Strafverfolgungsbehörden vom Innenministerium (Ministry of Home Affairs) (BICC 12.2019).

Ein Mangel an Vertrauen in die Zuverlässigkeit der Polizei entsteht neben den strukturellen Defiziten auch durch häufige Berichte über Menschenrechtsverletzungen wie Folter, außergerichtliche Tötungen und Drohungen, die mutmaßlich durch die Polizei verübt wurden (BICC 12.2019; vgl. FH 4.3.2020). Es gab zwar Ermittlungen und Verfolgungen von Einzelfällen, aber eine unzureichende Durchsetzung wie auch ein Mangel an ausgebildeten Polizeibeamten tragen zu einer geringen Effizienz bei (USDOS 11.3.2020). Es mangelt nach wie vor an Verantwortlichkeit für Misshandlung durch die Polizei und an der Durchsetzung von Polizeireformen (HRW 14.1.2020).

Das indische Militär ist der zivilen Verwaltung unterstellt und hat in der Vergangenheit wenig Interesse an einer politischen Rolle gezeigt. Der Oberbefehl obliegt dem Präsidenten. Ihrem Selbstverständnis nach ist die Armee zwar die „Beschützerin der Nation“, aber nur im militärischen Sinne (BICC 12.2019). Das Militär kann im Inland eingesetzt werden, wenn dies zur Aufrechterhaltung der inneren Sicherheit notwendig ist (AA 19.7.2019; vgl. BICC 12.2019). Paramilitärischen Einheiten werden als Teil der Streitkräfte, vor allem bei internen Konflikten eingesetzt, so in Jammu und Kaschmir sowie in den nordöstlichen Bundesstaaten. Bei diesen Einsätzen kommt es oft zu erheblichen Menschenrechtsverletzungen (BICC 12.2019).

Für den Einsatz von Streitkräften - vor allem von Landstreitkräften - in Unruhegebieten und gegen Terroristen wird als Rechtsgrundlage der „Armed Forces Special Powers Act“ (AFSPA) zur Aufrechterhaltung von „Recht und Ordnung“ herangezogen (USDOS 11.3.2020). Das Gesetz gibt den Sicherheitskräften in „Unruhegebieten“ weitgehende Befugnisse zum Gebrauch von Gewalt, zu Festnahmen ohne Haftbefehl und Durchsuchungen ohne Durchsuchungsbefehl (AA 19.7.2019; vgl. FH 4.3.2020, USDOS 11.3.2020). Das Gesetz zur Verhinderung ungesetzlicher Aktivitäten (UAPA) gibt den Behörden die Möglichkeit, Personen in Fällen im Zusammenhang mit Aufständen oder Terrorismus festzuhalten (USDOS 11.3.2020). Den Sicherheitskräften wird weitgehende Immunität gewährt (AA 19.7.2019; vgl. FH 4.3.2020, USDOS 11.3.2020).

Im Juli 2016 ließ das Oberste Gericht in einem Zwischenurteil zum AFSPA in Manipur erste Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes erkennen. Der Schutz der Menschenrechte sei auch unter den Regelungen des AFSPA unbedingt zu gewährleisten. Das umstrittene Sonderermächtigungsgesetz wurde im April 2018 für den Bundesstaat Meghalaya aufgehoben, im Bundesstaat Arunachal Pradesh auf acht Polizeidistrikte beschränkt und ist seit April 2019 in drei weiteren Polizeidistrikten von Arunachal Pradesh teilweise aufgehoben. Unverändert in Kraft ist es in folgenden als Unruhegebiete geltenden Staaten: Assam, Nagaland sowie in Teilen von Manipur. Für den Bundesstaat Jammu & Kashmir existiert eine eigene Fassung (AA 19.7.2019).

Die unter anderem auch in den von linksextremistischen Gruppen (sogenannten Naxaliten) betroffenen Bundesstaaten Zentralindiens eingesetzten paramilitärischen Einheiten Indiens unterstehen zu weiten Teilen dem Innenministerium (AA 19.7.2019). Dazu zählen insbesondere die National Security Guard (Nationale Sicherheitspolizei NSG), aus Angehörigen des Heeres und der Polizei zusammengestellte Spezialtruppe für Personenschutz, auch als „Black Cat“ bekannt, die Rashtriya Rifles, eine Spezialtruppe zum Schutz der Verkehrs- und Nachrichtenverbindungen bei inneren Unruhen und zur Bekämpfung von bewaffneten Rebellionen, die Central Reserve Police Force (CRPF) - die Bundesreservepolizei, eine militärisch ausgerüstete Polizeitruppe für Sondereinsätze - die Border Security Force (BSF - Bundesgrenzschutz) als größte und am besten ausgestattete Miliz zum Schutz der Grenzen zu Pakistan, Bangladesch und Myanmar. Sie wird aber auch zur Aufrechterhaltung der inneren Ordnung in anderen Landesteilen eingesetzt. Die sogenannten Assam Rifles sind zuständig für Grenzverteidigung im Nordosten - die Indo-Tibetan Border Force (ITBP) werden als Indo-Tibetische Grenzpolizei, die Küstenwache und die Railway Protective Force zum Schutz der nationalen Eisenbahn und die Central Industrial Security Force zum Werkschutz der Staatsbetriebe verantwortlich (ÖB 8.2019). Besonders in Unruhegebieten haben die Sicherheitskräfte zur Bekämpfung sezessionistischer und terroristischer Gruppen weitreichende Befugnisse, die oft exzessiv genutzt werden (AA 19.7.2019).

Die Grenzspezialkräfte („Special Frontier Force)“ unterstehen dem Büro des Premierministers. Die sogenannten Grenzspezialkräfte sind eine Eliteeinheit, die an sensiblen Abschnitten im Grenzgebiet zu China eingesetzt werden. Sie agieren im Rahmen der Geheimdienste, des sogenannten Aufklärungsbüros („Intelligence Bureau“ - Inlandsgeheimdienst) und dem Forschungs- und Analyseflügel („Research and Analysis Wing“ - Auslandsgeheimdienst) (War Heros of India, 15.1.2017).

Folter und unmenschliche Behandlung:

Indien hat im Jahr 1997 das UN-Übereinkommen gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe unterzeichnet, jedoch bisher nicht ratifiziert (AA 19.7.2019). Es sind außerdem keine für die Ratifizierung notwendigen Änderungen der nationalen Gesetzgebung eingeleitet worden (BICC 12.2019). Ein Gesetzentwurf zur Bekämpfung der Folter (Bill on the Prevention of Torture), welcher innerstaatliche Voraussetzung der Ratifizierung der UN Anti-Folterkonvention ist, wurde vom Parlament bisher nicht verabschiedet (AA 19.7.2019).

Folter ist in Indien zwar verboten (AA 19.7.2019) und der indische Staat verfolgt Folterer grundsätzlich und veranstaltet Kampagnen zur Bewusstseinsbildung bei den Sicherheitskräften, doch bleiben Menschenrechtsverletzungen von Polizeibeamten und paramilitärischen Einheiten häufig ungeahndet und führen nicht einmal zu Ermittlungsverfahren Opfer ihre Rechte nicht kennen, eingeschüchtert werden oder die Folter nicht überleben (ÖB 12.2018; vgl. AA 19.7.2019). Besonders gefährdet sind Angehörige unterer Kasten und andere sozial benachteiligte Bevölkerungsschichten (ÖB 12.2018). Es gibt Berichte, dass Folter im Beobachtungszeitraum angewendet wurde (USDOS 11.3.2020). Die der Nationalen Menschenrechtskommission gemeldeten Zahlen lassen darauf schließen, dass sich im Jahr 2018 1.966 Todesfälle in richterlichem oder polizeilichem Gewahrsam ereignet haben (FH 4.3.2020).

Aufgrund von Folter erlangte Aussagen sind zwar vor Gericht nicht zur Verwertung zugelassen (AA 18.9.2019), doch versuchte die Regierung Menschenrechtsexperten zufolge aber weiterhin Personen festzunehmen und ihnen einen Verstoß nach dem - aufgehobenen - Gesetz zur Bekämpfung von Terrorismus, terroristischer Akte und zerstörenden Handlungen anzulasten. Dieses Gesetz besagte, dass Geständnisse, die vor einem Polizisten abgelegt wurden, als zulässige Beweise vor Gericht gelten (USDOS 13.3.2019). Trotz der Trainings für senior police officers, bleiben willkürliche Verhaftungen, Folter und erzwungene Geständnisse durch Sicherheitskräfte verbreitet (ÖB 12.2018).

Es kommt immer wieder zu willkürlichen Übergriffen der Staatsorgane, insbesondere der Polizeikräfte, vor allem gegenüber Häftlingen in Polizeigewahrsam. In einigen Fällen wird von willkürlichen und nicht gemeldeten Verhaftungen berichtet, bei denen dem Verhafteten mitunter ausreichend Wasser und Nahrung vorenthalten werden. Von Ausnahmen abgesehen, werden gesetzeswidrige Handlungen in diesem Bereich geahndet. Die angerufenen Gerichte haben hierbei in den letzten Jahren verstärkt Verantwortung gezeigt, zumal NGOs und die Presse kritisch über die ihnen bekannt gewordenen Fälle berichten. Auch über Übergriffe der Militärs und der paramilitärischen Gruppen bei ihren Einsätzen im Inneren (vor allem in Jammu und Kaschmir sowie in Indiens Nordosten) berichten Menschenrechtsorganisationen und die Nationale Menschenrechtskommission. Auch diese werden vereinzelt (militär-) gerichtlich geahndet, Prozess und Prozessausgang bleiben allerdings geheim (ÖB 8.2019).

Nach glaubwürdigen, vertraulichen Schätzungen des Internationalen Komitees des Roten Kreuzes (IKRK) kommt es weiterhin zu systematischer Folter in den Verhörzentren in Jammu und Kaschmir. Für den Zeitraum Januar bis August 2017 beziffert Amnesty International die Zahl der Todesfälle in Haftanstalten auf 894, in Polizeigewahrsam auf 74 (AA 19.7.2019).

Korruption:

Korruption ist weit verbreitet (USDOS 11.3.2020). Indien scheint im Korruptionswahrnehmungsindex (Corruption Perceptions Index) von Transparency International (TI) im Jahre 2019 mit einer Bewertung von 40 (von 100) (0 sehr korrupt, 100 kaum korrupt) auf dem 80. Rang von 180 Staaten auf (TI 2019).

NGOs berichten, dass üblicherweise Bestechungsgelder bezahlt werden, um Dienstleistungen wie Polizeischutz, Schuleinschreibung, Zugang zu Wasserversorgung oder Beihilfen zu beschleunigen (USDOS 13.3.2019). Die unteren Bereiche des Gerichtswesens sind von Korruption betroffen und die meisten Bürger haben Schwierigkeiten, Recht durch die Gerichte zu erhalten (FH 3.4.2020). Korruption ist auf allen Regierungsebenen vertreten (USDOS 11.3.2020).

Obwohl Politiker und Beamte regelmäßig bei der Entgegennahme von Bestechungsgeldern erwischt werden, gibt es zahlreiche Korruptionsfälle, die unbemerkt und unbestraft bleiben (FH 4.3.2020). Das Gesetz sieht Strafen für Korruption im öffentlichen Dienst vor, in der Praxis kommen Staatsdiener mit korrupten Praktiken häufig straflos davon (USDOS 11.3.2020).

Die breite Öffentlichkeit hat im Allgemeinen Zugang zu Informationen über die Regierungsgeschäfte, dennoch ist der gesetzliche Rahmen, welcher Transparenz gewährleisten soll, in den letzten Jahren zunehmend unter Druck geraten. Die Änderungen des Whistleblowers Protection Act seit seiner Verabschiedung im Jahr 2014 wurden dahingehend kritisiert, dass sie die Effektivität des Gesetzes aushöhlen, die ohnehin als begrenzt eingestuft wurde. Das Gesetz über das Recht auf Information (RTI) von 2005 wird weithin genutzt, um die Transparenz zu erhöhen und korrupte Aktivitäten aufzudecken. Jedes Jahr werden Millionen von Anträgen auf der Grundlage dieses Gesetzes eingereicht. Laut der Menschenrechtsinitiative des Commonwealth wurden jedoch mehr als 80 Nutzer des Informationsrechts und Aktivisten ermordet und Hunderte wurden angegriffen oder bedroht (FH 4.3.2020).

Gemäß Angaben der Zentralen Untersuchungsbehörde (Central Bureau of Investigation - CBI) unterhält jeder Bundesstaat in Indien mindestens ein Büro unter der Leitung eines Polizeichefs, in welchem Beschwerden per Post, Fax oder persönlich eingereicht werden können. Dabei kann auf Wunsch auch die Identität des Beschwerdeführers geheim gehalten werden. 2018 und 2019 wurden 43.946 Beschwerden im Zusammenhang Korruption registriert. 41.775 Beschwerden wurden abgelehnt. Im Untersuchungszeitraum zwischen Jänner und Anfang Mai 2019 wurden vom CBI insgesamt 412 Korruptionsfälle registriert (CBI o.D.; vgl. USDOS 11.3.2020).

Eine von Transparency International und Local Circles durchgeführte Umfrage hat ergeben, dass ein Einsatz von Bestechungsgeldern immer noch das effizienteste Mittel darstellt, um die Arbeit von Regierungsstellen abzuwickeln. Die Zahl jener Personen, die zugaben, ein Bestechungsgeld bei Behörden erlegt zu

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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