TE Bvwg Beschluss 2021/1/22 W139 2238634-1

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Veröffentlicht am 22.01.2021
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Entscheidungsdatum

22.01.2021

Norm

BVergG 2018 §2 Z15
BVergG 2018 §2 Z5
BVergG 2018 §327
BVergG 2018 §328 Abs1
BVergG 2018 §333
BVergG 2018 §334 Abs2
BVergG 2018 §342 Abs1
BVergG 2018 §350 Abs1
BVergG 2018 §350 Abs2
BVergG 2018 §351 Abs1
BVergG 2018 §351 Abs3
BVergG 2018 §351 Abs4
BVergG 2018 §4 Abs1 Z2
BVergG 2018 §6
B-VG Art133 Abs4
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §31 Abs1

Spruch


W139 2238634-1/3E

BESCHLUSS

Das Bundesverwaltungsgericht beschließt durch die Richterin Mag. Kristina HOFER im Verfahren zur Erlassung einer einstweiligen Verfügung betreffend das Vergabeverfahren „Konstruktion, Herstellung, Lieferung von Elektrotriebzügen (EMU), Aktenzeichen des Auftraggebers: 317/007/2020“ der Auftraggeberin ÖBB-Personenverkehr AG, Am Hauptbahnhof 2, 1100 Wien, vertreten durch Schramm Öhler Rechtsanwälte OG, 1010 Wien, Bartensteingasse 2, 1010 Wien, aufgrund des Antrages der XXXX , vertreten durch CMS Reich-Rohrwig Hainz Rechtsanwälte GmbH, Gauermanngasse 2, 1010 Wien:

A)

Dem Antrag, „das Bundesverwaltungsgericht möge für die Dauer des Nachprüfungsverfahrens die Teilnahmeantragsfrist mit der Wirkung einer Fortlaufshemmung aussetzen“ wird dahingehend stattgegeben, als im verfahrensgegenständlichen Vergabeverfahren für die Dauer des gegenständlichen Nachprüfungsverfahrens der Lauf der Teilnahmeantragsfrist im Sinne einer Fortlaufshemmung ausgesetzt wird.

B)

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.



Text


Begründung:

I. Vorbringen der Parteien/Verfahrensgang:

1.       Mit Schriftsatz vom 14.01.2021, am selben Tag beim Bundesverwaltungsgericht eingelangt, stellte die Antragstellerin einen Antrag auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung in Verbindung mit einem Antrag auf Nichtigerklärung der Ausschreibung bzw in eventu einzelner Ausschreibungsbestimmungen. Weiters beantragte die Antragstellerin die Durchführung einer mündlichen Verhandlung sowie den Ersatz der von ihr entrichteten Pauschalgebühren. Begründend führte die Antragstellerin zusammengefasst im Wesentlichen Folgendes aus:

Die ÖBB-Personenverkehr AG (in der Folge Auftraggeberin) führe als Auftraggeberin ein Verhandlungsverfahren mit vorheriger Bekanntmachung im Oberschwellenbereich zur Vergabe eines Lieferauftrages bezüglich der Konstruktion, Herstellung und Lieferung von Doppelstock-Elektrotriebzügen durch. Am 11.12.2020 habe die Auftraggeberin die Bekanntmachung im Supplement zum Amtsblatt der Europäischen Union veröffentlicht. Leistungsgegenstand sei die Konstruktion, Herstellung, Lieferung und Instandhaltung von bis zu 100 Elektrotriebzügen (EMU) mit einer Länge von ca. 100 m und einer maximalen Geschwindigkeit von 160 km/h. Die Angebotsfrist ende am 22.01.2021. Am 18.12.2020 habe die Antragstellerin über die Vergabeplattform eine Frage gestellt, welche nicht beantwortet worden sei.

Die Teilnehmerunterlagen würden Spezifikationen erhalten, die gemäß Punkt 1.1.1. Besondere Teilnahmebestimmungen, unabänderbare Mindestanforderungen gemäß § 281 Abs 1 und Abs 2 BVergG 2018 seien, über die im weiteren Lauf des Verhandlungsverfahrens keine Verhandlungen stattfinden würden. Würde die Antragstellerin die angefochtenen Festlegungen nicht bekämpfen, würden diese bestandsfest werden. Darüber hinaus müssten die Bewerber mit der Abgabe des Teilnahmeantrags gemäß Punkt 2.16 der Besonderen Teilnahmebedingungen die Rechtmäßigkeit der Festlegungen bestätigen. Die Antragstellerin wäre gezwungen, an einem Vergabeverfahren mit rechtswidrigen Festlegungen der Auftraggeberin teilzunehmen bzw von der Teilnahme aufgrund der rechtswidrigen Festlegungen abzusehen. Angefochten werde die Ausschreibung als gesondert anfechtbare Entscheidung gemäß § 2 Z 16 lit a sublit dd BVergG 2018.

Die Antragstellerin beabsichtige sich im gegenständlichen Vergabeverfahren zu beteiligen, einen Teilnahmeantrag sowie in weiterer Folge ein Angebot zu legen und habe ein erhebliches wirtschaftliches Interesse am Vertragsabschluss.

Aufgrund der vergaberechtswidrigen Ausschreibungsbestimmungen drohe ein – von der Antragstellerin näher bezifferter – Schaden aufgrund des Verlustes der bisher angelaufenen Kosten für die Prüfung der Teilnahmeunterlagen, für die begonnene Ausarbeitung des Teilnahmeantrages sowie für externe notwendige Rechtsberatungskosten. Weiters drohe der Entgang eines bedeutenden Referenzprojektes. Nach der Rechtsprechung liege ein Schaden bereits dann vor, wenn ein Unternehmer an dem gesetzwidrigen Vergabeverfahren teilnehmen müsse, um seine Chancen auf den Zuschlag zu wahren. Die Antragstellerin bezeichnete die Rechte, in denen sie sich als verletzt erachte.

Zu den Rechtswidrigkeiten führte die Antragstellerin aus, dass die als Mindestanforderung in der Beilage C1 der Ausschreibungsunterlagen angeführte Leistungsfrist sowie die Zuschlagskriterien rechtswidrig seien. Diesbezüglich führte sie zusammengefasst aus, dass in Beilage C.1 der Ausschreibungsunterlagen, unter „Zugelassene Fahrzeuge in Betrieb“, als Mindestanforderung „Lieferung ab Q1/2022 (gilt insbesondere für einen eventuellen Fixabruf; Karenzfrist für Zulassung außerhalb Österreich inkl. Grenzbahnhöfe bis Ende 2023)“ festgelegt worden sei. Nach dem objektiven Erklärungswert der Festlegung müsste der Partner der Rahmenvereinbarung bereits im ersten Quartal des Jahres 2022 zugelassene Fahrzeuge im Umfang eines noch nicht bekanntgegebenen Fixabrufes liefern können. Da das gegenständliche Vergabeverfahren erst am 11.12.2020 eingeleitet worden sei, sei eine Abgabe des Letztangebotes vor Herbst 2021 und sohin der Abschluss der Rahmenvereinbarung vor Ende des Jahres 2021 nicht realistisch, sodass im bestmöglichen Fall eine Lieferfrist von ca. 3 Monaten verbleiben würde. Für die Konstruktion, Herstellung und Lieferung derartiger Zuggarnituren könne diese kurze Leistungsfrist unter keinen Umständen eingehalten werden. Nur in dem Fall, dass die Anforderungen der Auftraggeberin bereits konstruierten und zugelassenen Zuggarnituren entsprechen würden, wäre diese Lieferfrist für diesen einen Unternehmer einhaltbar. Diesfalls würde diese Festlegung eine Diskriminierung von Unternehmen darstellen und zu einer unzulässigen, künstlichen Wettbewerbsbeschränkung gemäß § 193 Abs 9 BVergG 2018 führen. Da die Vertragsdauer 10 Jahre betrage, handle es sich um ein langfristiges Beschaffungsvorhaben und keinesfalls um eine „Notbeschaffung“.

Betreffend die rechtswidrigen Zuschlagskriterien führte die Antragstellerin aus, dass die Zuschlagskriterien gemäß § 281 Abs 1 BVergG 2018 in den Ausschreibungsunterlagen festgelegt werden müssten, da es sich um bereits bei Einleitung des Vergabeverfahrens verpflichtend bekanntzugebende Informationen handle. Gemäß Punkt 1.7 von Teil A-Besondere Teilnahmebestimmungen der Ausschreibungsunterlagen handle es sich allerdings um „vorläufige Bewertungskriterien“. Diese Festlegung widerspreche § 281 Abs 5 BVergG 2018 und sei daher rechtswidrig und für nichtig zu erklären.

Die Erlassung der beantragten einstweiligen Verfügung, nämlich die Aussetzung der Teilnahmeantragsfrist bzw zumindest die Untersagung der Angebotsöffnung, sei erforderlich, da einem Nachprüfungsantrag gemäß § 342 Abs 3 BVergG 2018 keine aufschiebende Wirkung zukomme und die Antragsgegner daher die Möglichkeit hätten, mit dem Vergabeverfahren trotz des Nachprüfungsantrages fortzufahren und in weiterer Folge unumkehrbare Tatsachen zu schaffen. Der Antragstellerin müsse auch noch nach Abschluss des Nachprüfungsverfahrens die Möglichkeit offenstehen, innerhalb der Frist einen Teilnahmeantrag einzureichen. Die Interessenabwägung habe zu Gunsten der Antragstellerin auszufallen. Einer vorläufigen Hemmung der Teilnahmeantragsfrist stehe weder ein besonderes öffentliches Interesse entgegen noch überwiegen Interessen anderer möglicher Bewerber. Auch bestehen offensichtlich keine schützenswerten Interessen an der Erhaltung höherwertigerer Rechtsgüter, wie Leib und Leben, Gesundheit und Eigentum. Es handle sich um ein langfristiges Beschaffungsvorhaben.

2.       Am 20.01.2021 erteilte die Auftraggeberin allgemeine Auskünfte zum Vergabeverfahren. Sie teilte dabei mit, dass sie am 19.01.2021 die Widerrufsentscheidung betreffend das gegenständliche Vergabeverfahren an die Bewerber über die elektronische Beschaffungsplattform versendet habe. Die Widerrufsentscheidung sei am 19.01.2021 auch an das Amtsblatt der EU versendet worden und werde zu ENOTICES?ECAS_ngrafier/2021?008269 veröffentlicht. Das Vergabeverfahren befinde sich derzeit folglich im Stadium der Stillhaltefrist der Widerrufsentscheidung vom 19.01.2020. Die Auftraggeberin beabsichtige daher, das gegenständliche Vergabeverfahren ehestmöglich zu widerrufen. Sie habe keinen Einwand gegen die Erlassung einer einstweiligen Verfügung, sofern nicht die Erklärung des Widerrufs untersagt werde.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1.       Sachverhalt:

Aufgrund der vorgelegten Stellungnahmen sowie der Bezug nehmenden Beilagen und Unterlagen des Vergabeverfahrens wird vorerst im Rahmen des Provisorialverfahrens folgender entscheidungserheblicher Sachverhalt festgestellt:

Am 11.12.2020 schrieb die ÖBB-Personenverkehr AG, als Auftraggeberin die Leistungen Konstruktion, Herstellung, Lieferung und Instandhaltung von bis zu 100 Elektrotriebzügen in einem Verhandlungsverfahren mit vorheriger Bekanntmachung im Oberschwellenbereich aus (Zahl 2020/S 242-599623, im Supplement zum Amtsblatt der Europäischen Union).

In der Beilage C.1 der Ausschreibungsunterlagen, unter „Zugelassene Fahrzeuge in Betrieb“, wurde als Mindestanforderung die Lieferzeit wie folgt festgelegt: „Lieferung ab Q1/2022 (gilt insbesondere für einen eventuellen Fixabruf; Karenzfrist für Zulassung außerhalb Österreich inkl. Grenzbahnhöfe bis Ende 2023)“. In Punkt 1.7 von Teil A-Besondere Teilnahmebestimmungen wird das Bestangebotsprinzip festgelegt und dazu Folgendes bestimmt: „Die vorläufigen Bewertungskriterien finden sich in der Beilage C2.“

Die Teilnahmeantragsfrist wurde zuletzt mit der Fragebeantwortung vom 14.01.2021 bis zum 29.01.2021 verlängert. Weiters wurde mit der Fragebeantwortung vom 14.01.2021 ua eine Änderung bezüglich der Stückzahl der Fahrzeuge, der Lieferzeit und der Laufzeit der Rahmenvereinbarung vorgenommen.

Mit Fragebeantwortung vom 19.01.2021 zog die Auftraggeberin die Antworten/Festlegungen/Konkretisierungen betreffend die Bewerberfragen Nr. 2 (Lieferzeit, Stückzahl), Nr. 6 (Lieferzeit), Nr. 7 (Laufzeit RV) und Nr. 10 (Lieferzeit) ersatzlos zurück.

Weiters versandte die Auftraggeberin am 19.01.2021 die Widerrufsentscheidung betreffend das gegenständliche Vergabeverfahren an die Bewerber über die elektronische Beschaffungsplattform „ProVia“. Die Widerrufsentscheidung wurde am 19.01.2021 auch an das Amtsblatt der EU versendet. Das Vergabeverfahren befindet sich daher derzeit im Stadium der Stillhaltefrist der Widerrufsentscheidung vom 19.01.2020.

Der gegenständliche Antrag auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung verbunden mit einem Nachprüfungsantrag wurde am 14.01.2021 beim Bundesverwaltungsgericht eingebracht. Die Antragstellerin entrichtete für ihren Antrag (auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung) eine Pauschalgebühr in der Höhe von insgesamt EUR 648,00.

2.       Rechtliche Beurteilung:

Zu A) Antrag auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung

1. Zur Zuständigkeit des Bundesverwaltungsgerichts und zur Zulässigkeit des Antrages

Gemäß Art 135 Abs 1 B-VG iVm § 2 VwGVG und § 6 BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Gemäß § 328 Abs 1 BVergG 2018 entscheidet das Bundesverwaltungsgericht in den Angelegenheiten des § 327, soweit es sich nicht um die Entscheidung über einen Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe für die Einbringung eines Feststellungsantrags, die Entscheidung über einen Antrag auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung, die Entscheidung über den Gebührenersatz oder die Entscheidung über einen Verfahrenseinstellung nach Zurückziehung eines Nachprüfungs- oder Feststellungsantrages handelt, in Senaten. Vorliegend hat das Bundesverwaltungsgericht über einen Antrag auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung zu entscheiden. Somit liegt gegenständlich Einzelrichterzuständigkeit vor.

Auftraggeberin im Sinne des § 2 Z 5 BVergG 2018 ist die ÖBB-Personenverkehr AG. Diese steht zu 100% im Eigentum der Österreichische Bundesbahnen-Holding Aktiengesellschaft (ÖBB-Holding AG) und ist für den Betrieb von Schienenpersonenverkehrsdienstleistungen zuständig. Die ÖBB-Personenverkehr AG ist nach ständiger Rechtsprechung eine öffentliche Auftraggeberin iSd § 4 Abs 1 Z 2 BVergG 2018 bzw – soweit sie Sektorentätigkeiten ausübt – öffentliche Sektorenauftraggeberin gemäß § 167 BVergG 2018 und dem Bund gemäß Art 14b B-VG zuzuordnen (BVwG 16.11.2015, W123 2116907-1/2E; 02.12.2016, W187 2137295-2/36E). Bei der gegenständlichen Ausschreibung handelt es sich gemäß § 177 iVm § 6 BVergG 2018 um einen Lieferauftrag. Der geschätzte Auftragswert liegt über dem relevanten Schwellenwert des § 185 Abs 1 BVergG 2018, sodass es sich um ein Vergabeverfahren im Oberschwellenbereich handelt.

Der gegenständliche Beschaffungsvorgang liegt somit im sachlichen und persönlichen Geltungsbereich des BVergG 2018. Die allgemeine Zuständigkeit des Bundesverwaltungsgerichts zur Überprüfung des Vergabeverfahrens und damit zur Erlassung einstweiliger Verfügungen und zur Durchführung von Nachprüfungsverfahren entsprechend § 334 Abs 2 BVergG 2018 iVm Art 14b Abs 2 Z 1 B-VG ist sohin gegeben.

Schließlich geht das Bundesverwaltungsgericht davon aus, dass der Antragstellerin die Antragsvoraussetzungen nach § 350 BVergG 2018 nicht offensichtlich fehlen. Weder kann ein bereits eingetretener bzw. drohender Schaden, noch das Interesse am Vertragsabschluss derzeit offensichtlich ausgeschlossen werden.

Im Ergebnis ist daher davon auszugehen, dass der Antrag auf Erlassung der begehrten einstweiligen Verfügung gemäß § 350 Abs 1 BVergG 2018 zulässig ist, wobei auch die Voraussetzungen des § 350 Abs 2 BVergG 2018 vorliegen. Die Pauschalgebühr wurde in entsprechender Höhe bezahlt (§ 318 Abs 1 Z 1 und 4 BVergG 2018 iVm § 1, 2 Abs 2 und 3 Abs 1 BVwG-PauschGebV Vergabe).

Der Nachprüfungsantrag richtet sich gegen die Ausschreibung. Dabei handelt es sich um eine gesondert anfechtbare Entscheidung gemäß § 2 Z 15 lit a sublit dd BVergG 2018.

2. Inhaltliche Beurteilung des Antrages

Gemäß § 350 Abs 1 BVergG 2018 hat das Bundesverwaltungsgericht auf Antrag eines Unternehmers, dem die Antragsvoraussetzungen nach § 342 Abs 1 BVergG 2018 nicht offensichtlich fehlen, durch einstweilige Verfügung unverzüglich vorläufige Maßnahmen anzuordnen, die nötig und geeignet erscheinen, um eine durch die behauptete Rechtswidrigkeit einer gesondert anfechtbaren Entscheidung entstandene oder unmittelbar drohende Schädigung von Interessen des Antragstellers zu beseitigen oder zu verhindern.

Gemäß § 351 Abs 1 BVergG 2018 hat das Bundesverwaltungsgericht vor der Erlassung einer einstweiligen Verfügung die voraussehbaren Folgen der zu treffenden Maßnahme für alle möglicherweise geschädigten Interessen des Antragstellers, der sonstigen Bewerber oder Bieter und des Auftraggebers sowie ein allfälliges besonderes öffentliches Interesse an der Fortführung des Vergabeverfahrens gegeneinander abzuwägen. Ergibt diese Abwägung ein Überwiegen der nachteiligen Folgen einer einstweiligen Verfügung, ist der Antrag auf Erlassung der einstweiligen Verfügung abzuweisen.

Gemäß § 351 Abs 3 BVergG 2018 können mit einer einstweiligen Verfügung das gesamte Vergabeverfahren oder einzelne Entscheidungen des Auftraggebers bis zur Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes über eine allfällige Nichtigerklärung vorübergehend ausgesetzt oder sonstige geeignete Maßnahmen angeordnet werden. Dabei ist die jeweils gelindeste noch zum Ziel führende vorläufige Maßnahme zu verfügen.

Gemäß § 351 Abs 4 BVergG 2018 ist in einer einstweiligen Verfügung die Zeit, für welche diese Verfügung getroffen wird, zu bestimmen. Die einstweilige Verfügung tritt nach Ablauf der bestimmten Zeit, spätestens jedoch mit der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes über den Antrag auf Nichtigerklärung außer Kraft, in dem die betreffende Rechtswidrigkeit geltend gemacht wird. Das Bundesverwaltungsgericht hat die einstweilige Verfügung unverzüglich auf Antrag oder von Amts wegen aufzuheben, sobald die Voraussetzungen, die zu ihrer Erlassung geführt haben, weggefallen sind. Das Bundesverwaltungsgericht hat die einstweilige Verfügung unverzüglich auf Antrag oder von Amts wegen zu erstrecken, wenn die Voraussetzungen, die zu ihrer Erlassung geführt haben, nach Ablauf der bestimmten Zeit fortbestehen.

Die Antragstellerin behauptet die Rechtswidrigkeit der gegenständlichen Ausschreibung bzw einzelner Festlegungen der Ausschreibung. Diese Behauptung erscheint zumindest nicht denkunmöglich. Über die inhaltliche Begründetheit ist im Provisorialverfahren nicht abzusprechen. Diese wird im Hauptverfahren durch den zuständigen Senat zu beurteilen sein.

Die Auftraggeberin hat sich grundsätzlich nicht gegen die Erlassung einer einstweiligen Verfügung ausgesprochen und auch keine gegen die Erlassung der einstweiligen Verfügung sprechenden Interessen bezeichnet. Zur gebotenen Interessenabwägung ist daher auszuführen, dass bei Abwägung aller möglicherweise geschädigten Interessen der Antragstellerin, der sonstigen Bewerber und der Auftraggeberin, eines allfälligen besonderen öffentlichen Interesses an der Fortführung des Vergabeverfahrens sowie des öffentlichen Interesses an der Sicherstellung der Auftragserteilung an den tatsächlichen Bestbieter (VfGH 15.10.2001, B 1369/01) sowie unter Zugrundlegung insbesondere des auch im gegenständlichen Vergabeverfahren maßgeblichen Gemeinschaftsrechts, wonach im Zweifel dem provisorischen Rechtsschutz Vorrang einzuräumen ist, ein Überwiegen der nachteiligen Folgen einer einstweiligen Verfügung nicht gegeben erscheint.

In der vorliegenden Konstellation hat die Auftraggeberin am 19.01.2021 eine Widerrufsentscheidung betreffend das gegenständliche Vergabeverfahren „Konstruktion, Herstellung, Lieferung von Elektrotriebzügen (EMU)“ bekanntgegeben. Dabei handelt es sich gemäß § 2 Z 44 BVergG 2018 um die an Unternehmer übermittelte bzw für diese bereitgestellte nicht verbindliche Absichtserklärung, ein Vergabeverfahren widerrufen zu wollen. Die Widerrufsentscheidung stellt sohin eine vorläufige Wissenserklärung dar, welche von den Auftraggeberinnen grundsätzlich jederzeit zurückgenommen werden kann. Demnach beseitigt nicht bereits die Widerrufsentscheidung, sondern erst die Widerrufserklärung die gegenständlich angefochtenen Entscheidungen aus dem Rechtsbestand.

Wenngleich der Auftraggeberin eine Rücknahme der Widerrufsentscheidung nicht unterstellt werden soll, erscheint es angesichts dieser Möglichkeit und angesichts der Vernichtbarkeit der Widerrufsentscheidung weiterhin zur Abwehr des aufgezeigten drohenden Schadens notwendig, um die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes in einem solchen Fall nicht ins Leere laufen zu lassen und die Teilnahme an einem vergaberechtskonformen Vergabeverfahren und damit die grundsätzliche Möglichkeit der Auftragserteilung im Rahmen eines rechtskonformen Vergabeverfahrens über die hier verfahrensgegenständliche Leistung an die Antragstellerin zu wahren, den Lauf der Teilnahmeantragsfrist auszusetzen (siehe ua BVwG 07.08.2017, W187 2165912-1/2E; BVwG 15.12.2016, W138 2141684-1/2E; BVwG 30.05.2014, W139 2008219-1/11E; zur Fortlaufshemmung bereits BVA 11.12.2012, N/0113-BVA/12/2012-EV7). Dabei handelt es sich auch um die gelindeste noch zum Ziel führende Maßnahme iSd § 351 Abs 3 BVergG 2018, welche auch im Interesse der Auftraggeberin eine allfällige Fortführung des Vergabeverfahrens unter allenfalls geänderten Ausschreibungsbestimmungen gewährleisten würde.

Zur Dauer der Provisorialmaßnahme ist auszuführen, dass nach nunmehr ständiger Rechtsprechung eine einstweilige Verfügung für die Dauer des Nachprüfungsverfahrens gemäß § 351 Abs 4 BVergG 2018 als hinreichend befristet zu bewerten ist (ua BVwG 10. 01. 2014, W187 2000170-1/11; BVwG 20.03.2014, W139 2003185-1/11E; BVwG 23.10.2014, W114 2013254-1/6E; BVA 10.02.2011, N/0011-BVA/10/2011-9, BVA 10.05.2011, N/0035-BVA/08/2011-12 mwN; siehe auch VwGH 10.12.2007, AW 2007/04/0054). Durch die Begrenzung der einstweiligen Verfügung mit der Dauer des abzusichernden Nachprüfungsverfahrens wird die Dauer der einstweiligen Verfügung bestimmbar gemacht (Kodek in Angst/Oberhammer, Kommentar zur Exekutionsordnung³ [2015], § 391 Rz 2).

Über den Antrag auf Gebührenersatz wird gesondert entschieden werden.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art 133 Abs 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl dazu VwGH 06.11.2002, 2002/04/0138; 30.06.2004, 2004/04/0028; 01.02.2005, 2005/04/0004; 29.06.2005, 2005/04/0024; 24.02.2006, 2004/04/0127; 01.03.2007, 2005/04/0239; 27.06.2007, 2005/04/0254; 29.02.2008, 2008/04/0019; 14.01.2009, 2008/04/0143; 14.04.2011, 2008/04/0065; 22.06.2011, 2009/04/0128; 29.09.2011, 2011/04/0153; 10.12.2007, AW 2007/04/0054) ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Schlagworte

Aussetzung Dauer der Maßnahme einstweilige Verfügung Entscheidungsfrist Fortlaufshemmung Fristenlauf Interessenabwägung Lieferauftrag Nachprüfungsantrag Nachprüfungsverfahren öffentliche Interessen Provisorialverfahren Schaden Teilnahmeantrag Vergabeverfahren Widerruf Widerrufsentscheidung wirtschaftliche Interessen

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2021:W139.2238634.1.00

Im RIS seit

23.02.2021

Zuletzt aktualisiert am

23.02.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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